Arelion - Das Erwachen (Band 4) - A. Kissen - E-Book

Arelion - Das Erwachen (Band 4) E-Book

A. Kissen

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Beschreibung

Es spielt keine Rolle, welche Entscheidungen du triffst, denn ich habe dein Ende schon längst besiegelt!
Nach einem halben Jahrtausend hat sich die Prophezeiung endlich erfüllt und die dunkle Welt wurde erlöst. Auf den Trümmern des Krieges suchen die Überlebenden nach einem Neuanfang, einem neuen Leben mit Hoffnung auf Friede und ein bisschen Glück.
Im Verborgenen wurden jedoch die Schicksalskarten neu gemischt, damit das Grauen von Neuem erwachen kann. Dieses Mal haben Linas Feinde ein göttliches Wesen an ihrer Seite.
Doch wie bekämpft man etwas, das alle deine Schritte schon lange kennt, bevor du überhaupt an sie denkst und die Zukunft lenken kann?
Oder ist Aufgeben die einzige Option?

Dieses Mal entführt die Geschichte alle nervenstarken, in sich gefestigten Arelion Fans in eine turbulente und kämpferische Welt, die durch Hoffnungslosigkeit, Verlust und Schmerz geprägt ist, und Lina und ihren Freunden alles abverlangt.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

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A. Kissen

ARELION

Das Erwachen

Band 4

Inhaltsverzeichnis

Copyright

Vorwort

Zitat

Prolog - Göttliche Abbilder

1. Kapitel - Willkommen in der Welt

2. Kapitel - Schöpferbindung

3. Kapitel - Die Ordnung

4. Kapitel - Dunkelheit in mir

5. Kapitel - Wo ist Alaric?

6. Kapitel - Ort der Götter

7. Kapitel - Das Erwachen

8. Kapitel - Der Verrat

9. Kapitel - Schutz

10. Kapitel - Die Finsternis

11. Kapitel - Der Tod hat keine Bedeutung

12. Kapitel - Kampf ums Überleben

13. Kapitel - Verdammte Zeitlinien

14. Kapitel - Geister der Vergangenheit

15. Kapitel - Vision einer Zukunft

16. Kapitel - Der Tod ist erst der Anfang

Epilog - Der Beginn

Lesen Sie weiter in…

Begriffe Glossar

Personen Glossar

 

Copyright

1. Auflage 2020

Copyright © 2020 A. Kissen

A. Kissen

c/o AutorenServices.de

König-Konrad-Str. 22

36039 Fulda

[email protected]

Facebook:

AKissen

Instagram:

akissenarelion

Covergestaltung:

Jaqueline Kropmanns (jaqueline-kropmanns.de)

Lektorat:

Vanessa Streng (www.BuchGestalt.com)

Arelion Reihe:

Arelion - Das Licht der Schatten (Band 1)

Arelion - Der Schmerz der Nacht (Band 2)

Arelion - Die Erlösung der Dunkelheit (Band 3)

Arelion - Das Erwachen (Band 4)

Arelion - Die Dämmerung (Band 5)

Weitere Bände werden umgesetzt.

All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, stored in or introduced into a retrieval system, or transmitted in any form or by any means (electronic, mechanical, by photocopying, recording or otherwise) without the prior written permission of the publisher.

Vorwort

Dieses Mal entführt die Geschichte alle nervenstarken, in sich gefestigten Arelion Fans in eine turbulente und kämpferische Welt, die durch Hoffnungslosigkeit, Verlust und Schmerz geprägt ist, und Lina und ihren Freunden alles abverlangt.

 

Alle Personen und Handlungen sind frei erfunden.

 

Um Erinnerungen aufzufrischen, gibt es am Ende ein spoilerfreies Personen und Begriffe Glossar.

Zitat

»Mein Tod ist nur der Anfang deiner Reise.

Ich bitte dich, lass ihn geschehen,

denn nur so können wir die Welt retten!

Vergiss niemals, wie sehr ich dich liebe!«

Prolog - Göttliche Abbilder

<< Jahr 2233 vor Chr. auf der Erde >>

Lautes Geschrei hallte vom Dorf durch den Wald. Ich versteckte mich am Waldrand hinter einer dicken Buche, damit mich niemand entdecken konnte — vor allem nicht mein Bruder Derian, der sonst ständig in meiner Nähe war.

Eine Horde aufgebrachter Menschen hatte sich am Ende des Dorfes versammelt und machte sich nun gemeinsam auf den Weg. Ich konnte nur vermuten, was ihr Ziel war.

Vorsichtig folgte ich ihnen, ohne meine Deckung aufzugeben.

Die Leute wurden von Minute zu Minute streitsüchtiger. Sie fluchten lauthals und schubsten einander.

Meine Neugier stieg immer mehr, denn bislang war mein Volk für seine Gutmütigkeit bekannt gewesen. Zumindest jetzt dachte man das von uns, früher, in den Zeiten, in denen sich die Götter gegenseitig bekriegten und wir an ihrer Seite standen, waren wir ein mächtiges Kriegervolk gewesen.

Wärme breitete sich in meinem Inneren aus und ich wusste sofort, was das zu bedeuten hatte, war es doch ein Teil von mir. Deswegen erzeugte ich blitzschnell eine Rune, die mich kurzzeitig vor jedem abschirmte. Und da kam sie schon, meine Vision – und wie immer kam sie hart und gnadenlos.

Ich fand mich auf dem Boden kniend wieder. Wie immer, wenn ich danach mein Mittagessen herausgewürgt und meine Gabe verflucht hatte, fragte ich mich, wieso gerade ich Teile der Zukunft sehen konnte. Vor allem, da ich den Sinn der wenigen Bruchstücke nie verstand. Melchior, mein neuer Hüter, versuchte stets, mich in Geduld zu üben. Irgendwann würde ich meine Gabe verstehen und kontrollieren können, sagte er zumindest.

Mit einem Ächzen stemmte ich mich auf die Beine. Meine ersten Gehversuche waren wackelig, aber dann beschleunigte ich meine Schritte. Erst bei einer Anhöhe, hinter einem Felsen, blieb ich stehen. Ein großer Teil der Dorfbewohner hatten sich dahinter versammelt. Einer von den Dorfältesten und ein kleiner Junge lagen gefesselt auf dem Boden. Die Horde schrie den geknebelten Mann an.

Erneut erzeugte ich eine Rune, damit ich die Gespräche der über 500 Fuß entfernten Leute verstehen konnte. Es dauerte etwas, bis ich aus dem lauten Geschrei einzelne Personen herausfiltern konnte.

»Kay, was machst du hier?«, fragte mich der Junge, der nur wenige Minuten nach mir geboren wurde. Ich wunderte mich nicht, dass er mich gefunden hatte, denn er wusste stets, wo ich war. Ich deutete ihm, leiser zu sein, denn die Dorfältersten wollten nicht, dass wir Kinder etwas von der Versammlung mitbekamen, und würden sonst Runen zu ihrem Schutz erzeugen.

Mein Bruder sah zuerst zu der Versammlung hinter dem Felsen, danach kniete er sich neben mich und betrachtete meine Lausch-Rune. »Bruder, du darfst hier nicht sein!«, zischte er und legte seine Hand auf die Rune. Unverzüglich verpuffte sie.

»Warum hast du das getan?«, fuhr ich ihn an.

»Weil wir das nicht dürfen«, sagte er seufzend. »Immer musst du gegen die Regeln der Ältesten verstoßen!«

Manchmal hasste ich meinen Bruder für sein naives Wesen. Er war zu gut für diese Welt. »Geh einfach. Ich muss wissen, was die Ältesten besprechen. Ich hab sie noch nie so aufgeregt erlebt, es muss etwas Schlimmes passiert sein.«

Er ließ sich langsam neben mir mit dem Rücken zu dem Geschehenden nieder. Kurz starrte er auf seine Hände, dann ballte er sie und sah zu mir hoch. »Es geht um Bormo und seinen Neffen.« Er nuschelte so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.

Schnell war ich neben ihm. »Was weißt du und woher?«

»Ich war gerade mit Moldra beim Fischen, als die anderen Dorfältesten die beiden vorbeischleppten. Ich hab einige Worte aufgeschnappt, doch Moldra wollte mir nicht erklären, was sie bedeuten. Wie immer hat sie ausweichend geantwortet — du kennst sie doch.«

Mit der Hand deutete ich ihm, dass er zum Wesentlichen kommen sollte.

»Schon gut, ich erzähl es dir ja. Ich habe unsere Vorfahren gerufen und sie waren mehr als bereit, mir meine Fragen zu beantworten.« Er rutschte noch näher zu mir. »Wusstest du, dass unserem Volk die Magie ausgeht? Mit jeder Generation verlieren wir immer schneller unsere Kräfte.«

Ich hob die Schultern, denn ich hatte keine Ahnung.

»Bormo ist einer von unseren Ältesten, man munkelt, dass er bereits vor den Götterkriegen gelebt haben soll, und er soll seit Jahrhunderten einsam in einer Hütte leben.«

»Was hat er getan?«

»Er hat sich – wie soll ich dir das beschreiben? – selbst ein Kind gemacht. Er war dieses Kind.«

Verwundert starrte ich ihn an, denn seine Worte ergaben keinen Sinn und verwirrten mich.

»Lass es mich dir zeigen.« Er streckte seine Hand vor sich aus. Ein weißer Lichtball erschien und schwebte über seiner Handinnenfläche. »Nehmen wir einmal an, das wäre die Lebensenergie von einem von uns.« Er legte die zweite Hand darüber, das Licht strahlte durch seine Finger. »Wenn die Kraft durch eine Geburt weitergegeben wird, dann verliert die nächste Generation Magie.« Er öffnete seine Hände, nun konnte ich einen großen und einen kleineren Lichtball erkennen. »Aber das passiert nicht, wenn du ein sehr altes Wesen bist und das Wissen über längst vergangene Rituale hast.« Er wiederholte den Vorgang und als er die Hände dieses Mal teilte, waren da zwei gleichgroße und kräftige Teile.

»Und? Was ist so schlimm daran?«

Er betrachtete beide Bälle eingehend. »Der Zweite ist wie sein Original. Er ist exakt derselbe. Dieses Abbild hat dessen Bestimmung und seine Fähigkeiten übernommen. Deswegen haben die Alten Götter es schon lange vor den Kriegen verboten.«

Immer noch verwirrt, sagte ich: »Ich verstehe immer noch nicht, warum es nicht erlaubt ist.«

»Kay, es hat Konsequenzen, wenn man sich gegen die Ordnung stellt – vor allem, wenn diese Regeln von den Vorfahren selbst ausgesprochen worden sind. Und eine Konsequenz ist, dass diese Abbilder unfruchtbar sind.«

»Ist Fruchtbarkeit denn notwendig, wenn man ein Unsterblicher ist?«, ätzte ich. »Wir haben keine Feinde, von Tod durch Krankheiten bleiben wir auch verschont und wir heilen so schnell, dass uns Verletzungen ebenfalls nicht töten können.«

Mein Bruder schüttelte den Kopf. »Wie immer weigerst du dich, die Regeln einfach zu akzeptieren. Auf jeden Fall hat Bormo sich ein Abbild erschaffen und geglaubt, ihn als seinen Neffen durchbringen zu können.«

Da ich neugierig war, ob die Dorfältesten bereits ein Urteil ausgesprochen haben, drehte ich mich um, und beobachtete das Geschehene.

Doch sie waren immer noch dabei sich anzuschreien. Deswegen setzte ich mich wieder neben Derian auf den Boden. »Was werden sie tun?«

»Ich hoffe, sie bestrafen ihn hart. Jedenfalls werden die Ältesten die Vorfahren um eine Entscheidung bitten.«

Eigentlich sollte ich verwundert darüber sein, dass mein Bruder sich so gut mit unseren Gesetzen und der Ausübung dessen auskannte. Aber er war einfach der geborene Anführer und in der Zukunft wird er uns bestimmt alle als fähiger Gott führen können.

Schreie hallten von der anderen Seite des Steins zu uns. Sofort suchte ich den Grund. Dann gefror mir das Blut in den Adern. Direkt aus dem Himmel strahlte ein Licht auf die Ältesten. Sie schwebten wie Marionetten in der Luft. Das Licht wurde blendend hell und ihre Schreie erhoben sich zu einem angsterfüllten Kreischen.

»Idioten! Duckt euch gefälligst! Oder wollt ihr mit den anderen draufgehen?«, schimpfte Derians und mein Hüter. Ich hatte keine Ahnung, wieso er hier war. Da ich mich nicht bewegte, rammte er seine Finger schmerzhaft in meine Schulter und drückte mich auf den Boden. »Und verwendet ja keinerlei Magie! So macht ihr sie nur auf euch aufmerksam und sie wollen keine Zeugen!«

»Wer?«, flüsterte ich.

Der mir so bekannte ungeduldige Blick unseres Hüters folgte.

Mit einem lauten Knall explodierte die Magie und die Wucht fuhr über unsere Köpfe hinweg. Melchior presste uns unter sich, damit er uns mit seinem Körper schützen konnte.

»Melchior?«, fragte mein Bruder. »Was ist da gerade passiert?«

Langsam erhob er sich auf den Knien und blickte vorsichtig über den Felsen. Mit den Händen wischte er sich übers Gesicht. So geschockt und beunruhigt hatte ich unseren Hüter noch nie erlebt.

Auf Knien sah ich ebenfalls seitlich am Felsen vorbei, weil ich wissen wollte, was mit den Dorfältesten geschehen war. Auf der Lichtung sah es grauenhaft aus. Ein riesiger Krater war entstanden, der Rand war rußgeschwärzt und Rauch entstieg ihm. Es war mir nicht möglich, irgendwelche Ältesten zu erkennen.

Derian tat es mir gleich.

Melchior griff jeden von uns an die Schulter und zog uns wieder zurück. Abwechselnd blickte er uns an. »Das hier ist niemals passiert! Ihr werdet das sofort aus eurem Gedächtnis löschen!« Sein Griff wurde fester. »Ihr müsst mir schwören, dass ihr mit niemandem darüber redet! Niemals!« Dann ließ er uns los und stand auf.

Ich wollte etwas erwidern, da ich ohne Antworten nichts dergleichen machen wollte.

»Kay!«, sagte er drohend.

»Zuerst will ich wissen, was hier passiert ist!«

»Bruder! Jetzt lass es doch einmal sein«, forderte Derian.

Skeptisch betrachtete ich unseren Hüter. »Beantworte meine Fragen und ich schwör dir alles, was du willst.«

Melchior seufzte. »Du spielst mit unser aller Leben. Ihr beide seid Zeuge von etwas gewesen, dessen Wissen für immer begraben gehört. Ich kann euch nicht erklären, was hier genau passiert ist, aber durch Bormos dämlichen Fehler haben sie erfahren, dass es noch Leute gibt, die die Magie der alten Zeit beherrschen.«

»Wer sind sie?«

»Die Vorfahren«, flüsterte er. »Mehr kann ich euch wirklich nicht sagen. Das Wissen wird mit mir aussterben und das ist auch gut so. In den falschen Händen –« Er unterbrach sich selber. »Sagen wir einfach, dass das nicht gut für uns wäre.«

»Und die getöteten Ältesten wussten davon?«

»Nein«, antwortete er, »aber alleine, dass ihnen bewusst geworden ist, dass es diese alte Magie überhaupt noch gibt, war bereits ihr Todesurteil.«

»Ich versteh das alles nicht«, sagte ich und sah dann zu meinem Bruder. »Wenn sie nicht wollen, dass jemand etwas über die Abbilder und wie man sie erschaffen kann erfährt, warum haben sie dann Derian alles darüber erzählt?«

»Bitte was?« Angst zierte Melchiors Gesicht. »Woher wisst ihr das mit den Abbildern?« Er hob die Hand und schüttelte seinen Kopf. »Nein, ich will es nicht wissen. Ich kann dir nicht sagen, warum die Vorfahren das getan haben, denn ich kenne und verstehe ihre Motive nicht – das habe ich nie. Aber seid trotzdem vorsichtig, auf welchen Weg sie euch führen. Manch einer unserer Vorfahren hilft nur aus persönlichen Motiven und das führt nicht immer zu einem positiven Ende.« Dann murmelte er: »Man hat es ja an den Götterkriegen gesehen.« Er reichte uns die Hände, um uns aufzuhelfen. »Kommt, wir verschwinden jetzt von hier.«

Kaum hatte ich Melchiors Hand berührt, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, denn im gleichen Moment bahnte sich eine Vision an. Nur wage bekam ich mit, dass man die körperliche Verbindung mit mir lösen wollte, doch ich hatte mich tief in seine Hand gekrallt. Durch mich floss so köstliche Magie, wie ich sie noch nie geschmeckt hatte. Zum ersten Mal in meinem Leben war die Vision, die sich vor mir aufgebaut hatte, klar und deutlich zu erkennen.

Jemand, der wie mein Vater aussah, und eine mir völlig fremde Frau stritten sich gerade. Es dauerte eine Weile, bis das verzerrte Rauschen ihrer Stimmen zu Worten wurden. Einstweilen betrachtete ich die beiden. Sie schienen sehr vertraut miteinander zu sein, denn obwohl die Frau ablehnend ihre Arme vor der Brust verschränkt hielt, näherte er sich ihr, um ihre Tränen mit dem Daumen wegzuwischen, dann umarmte er sie. »Lana, es ist die einzige Möglichkeit. Nur so können wir eine richtige Familie werden.«

Sie entwand sich seiner Berührung und wich vor ihm zurück. »Es ist verboten!«, zischte sie.

»Niemand wird es erfahren.« Erneut ging er auf sie zu.

»Wenn wir Abbilder von uns schaffen, werden sie es auf jeden Fall merken!«

»Nicht, wenn sie uns optisch nicht ähneln und wie normale Kinder geboren werden.«

An ihrem Gesicht erkannte ich, dass sie wirklich darüber nachdachte. Doch dann schüttelte sie den Kopf. »Das können wir nicht tun. Sie wären dann unfruchtbar, so wie du.«

»Lana, du bist meine Gefährtin und ich weiß, wie sehr du dir in den letzten Jahrzehnten Kinder gewünscht hast. Ich kann sie dir nicht auf natürliche Art und Weise geben, aber dafür habe ich die Macht, dir etwas Besseres anzubieten. Sie werden genau so sein wie du und ich. Vielleicht verlieben sie sich auch ineinander?«

»Du musst echt wahnsinnig sein!« Mit den Handrücken wischte sie sich über die Stirn und legte sich dann die gefalteten Hände auf die Oberlippe. »Okay, hör mir zu: Ja, ich will Kinder, aber es ist einfach nicht die richtige Zeit. Solange dein Bruder uns dicht auf den Fersen ist, wären wir immer nur auf der Flucht.«

»Darum habe ich mich gekümmert. Die nächsten hundert Jahre wird er damit beschäftigt sein, zu versuchen, aus seinem Gefängnis auszubrechen.«

Die hübsche Frau antwortete etwas, aber statt Worte hörte ich wieder das Rauschen. Die Vision verblasste und mit einem tiefen Atemzug tauchte ich mit Melchior und Derian aus ihr auf.

Sofort beugte ich mich nach vorne und erbrach mich lautstark.

Da ich vorher schon mein Mittagessen herausgewürgt hatte, spuckte ich nur noch Galle. Als ich aufsah, sah ich den Schock in ihren Gesichtern. Hustend versuchte ich zu fragen: »Ihr wart mit mir während der Vision verbunden, also habt ihr dasselbe wie ich gesehen! Wer ist diese Lana und was hat Vater mit ihr zu tun?«

Da Melchior meinem Blick auswich, griff ich nach seiner Hand, doch er zog sie weg, bevor ich ihn berühren konnte. »Lana heißt in Wirklichkeit Belana und sie ist deinem Bruder Derian versprochen.«

Mein Bruder riss die Augen auf. »Was soll das heißen?«

»Sie ist ebenfalls eine Säule der Natur und wird mit euch gemeinsam als deine Gefährtin aufsteigen«, erklärte unser Hüter.

Verständnislos riss ich die Arme hoch. »Jetzt warte mal! Eines nach dem anderen. Wieso sieht Derian als Erwachsener exakt wie Vater aus?«

Schon wieder wich er meinem Blick aus. Schlagartig schoss mir die Antwort in den Kopf. »Derian und ich sind ebenfalls Abbilder! Und deswegen wird er sich in der Zukunft mit dieser Belana selber welche schaffen?« Enttäuscht sah ich meinen Bruder an. »Und warum …?« Ich schluckte. »Ich war stets an deiner Seite. Immer! Also wieso bekämpfst du mich?«

»Woher soll ich denn das wissen? Es ist doch deine Vision gewesen!«

Mein frustrierter Schrei folgte. »Wisst ihr was? Ich geh jetzt einfach, bevor ich noch etwas sage, das mir später leidtut.«

»Komm schon, Bruder! Bleib doch bitte! Lass uns darüber reden!« Er zog mich an meinem Arm zurück.

»Derian, lass ihn gehen. Er hat zum ersten Mal eine konkrete Vision gehabt. Noch wissen wir nicht, was das alles bedeuten wird.«

»Ich kann nicht!«, hörte ich ihn sagen und dann lief er mir hinterher.

Kaum hatte ich den Wald erreicht, drehte ich mich zu ihm um. »Lass mich doch in Frieden!«

Derian faltete flehend die Hände. »Können wir bitte darüber reden? Bitte!« Seine verzweifelte Stimme schmerzte in meinem Herzen.

»Ich kann nicht!«, flüsterte ich und konzentrierte mich auf die Bannrune, die ich soeben in meiner Hand erzeugt hatte.

Ich verstehe es einfach nicht! Tränen bildeten sich in meinen Augen. Mein Bruder wird einmal mein Feind sein? Wieso? Warum gerade er? Selbst als ich in rasender Wut unsere Mutter getötet habe, hat er mir verziehen.

Jäh schleuderte ich die Magie auf ihn.

Unverzüglich wurde er von einem Runengeflecht umhüllt und zu Boden gedrückt. Es würde ihn zwar nur einen Moment aufhalten, aber mir genügend Zeit geben, um Abstand zu gewinnen.

»Es tut mir leid«, flüsterte ich, »aber ich muss jetzt alleine sein.«

Verwirrt und wegen der durch meine Tränen verschleierte Sicht übersah ich eine aus dem Boden ragende Wurzel und fiel hart auf den Bauch. Als ich mich aufrichtete, stand dort eine Person. Es dürfte sich um eine Frau handeln. Zumindest deuteten das ihr Gesicht, ihre langen schwarzen Haare und ihre zierliche Figur an. Ihre Gewandung war aber die eines Mannes, die zudem sehr fremdartig aussah. Die Haut ihrer Unterarme waren mit einem schwarzen Geflecht bedeckt und es schien mir, als würde eine dunkle staubige Essenz sie umhüllen. Auf eine sehr groteske Art und Weise sah das wunderschön aus.

»Wer bist du?«, forderte die schwarzhaarige Frau in einem seltsamen Dialekt zu wissen und riss mich an der Schulter nach oben. In ihrer anderen Hand bildete sich ein Magieball, den sie mir gefährlich nahe an das Gesicht hielt.

Vor Angst konnte ich sie nur anstarren, in ihren Augen lag so viel Hass.

»Bist du Derian oder Kay?« Grob schüttelte sie mich.

»Bruder! Wer ist das?«, hörte ich Derian hinter mir fragen. So schnell hatte er also meinen Bann durchbrochen.

Ohne ihn anzusehen, schrie ich in seine Richtung: »Geh!«

Wieder schüttelte sie mich. »Ist das Kay?« Ihre Ungeduld war nicht zu überhören.

»Ja, ich bin Kay!«, sagte dieser Dummkopf zu ihr. Sofort wurde ich fortgestoßen. Sie verschwand vor mir in einem dunklen Nebel und tauchte in der gleichen Sekunde bei meinem Bruder wieder auf.

»Was bei den heiligen Alten Göttern ist das für eine bösartige Kraft?«, schrie mein Bruder in ihren Fängen.

»Deine Magie, du abscheuliches Monster!«, brüllte sie.

Ich konnte nur noch zusehen, wie ihre Fähigkeit meinen geliebten Bruder verschlang! Panisch lief ich zu der Stelle, an der die beiden gerade noch gestanden waren. Doch mein geliebter kleiner Bruder war fort. Nur noch die dunkle, rußgetränkte Essenz waberte am Boden. Wer war dieses Wesen und was wollte es von mir? Aber noch viel wichtiger war die Frage, wie ich meinen Bruder wieder zurückbekommen würde!

1. Kapitel - Willkommen in der Welt

<< Schloss Averilia, vor einem der vielen Gästezimmer – Mitte 2011 >>

»Sie verliert zu viel Blut«, murmelte der blonde Wächter Magnus neben mir.

Ich blickte auf Kim, die bereits seit vier Tagen in den Wehen lag. »Ich weiß.«

Er folgte meinem Blick zu der Rothaarigen und schüttelte dann seinen Kopf. »Sie wird die Geburt nicht überleben.«

Auch das wusste ich. Ihre schwache Aura zeigte es mir bereits überdeutlich.

Magnus fuhr sich mit einer Hand grob über sein kantiges Gesicht. »Kannst du nicht irgendetwas Göttliches tun? Schließlich bist du die Göttin des Lichts, du kannst Leben erzeugen. Wenn sie stirbt, dann werden wir Don auch verlieren.« In seiner Stimme lag eine unendliche Verzweiflung, die ich genauso auch in mir verspürte.

Wehmütig wanderte mein Blick zu dem anderen Wächter, der wie ein Besessener um das Leben seiner Gefährtin kämpfte. Im Moment versuchte er ihr magische Kräuter, die mit seinem Blut gemischt waren, einzuflößen. Doch auch das schien nicht zu helfen. Don hatte wirklich alles getan. Er hatte sie mit Vampirblut überschüttet, nochmal versucht, ein Bündnis mit ihr einzugehen. Doch die Kraft, die in diesem Vorgang lag und die er auszulösen versucht hatte, war ausgeblieben. Wir alle wussten, dass das nur einmal gelang. Er hatte sämtliche ihm zu Verfügung stehende Magie der Kinder des Lichts angewandt, doch nichts hatte geholfen, das scheinbar Unausweichliche aufzuhalten.

»Ich wüsste nicht was. Niemand hat mir gezeigt, wie ich mit diesen Kräften umzugehen habe.«

»Egal was, du musst jetzt irgendetwas tun.«

Er hat recht, aber ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. »Magnus, wende nochmal deine Heilkräfte an.« Seine besonderen lebenserschaffenden Kräfte müssen es einfach schaffen!

»Es ist sinnlos. Ich erreiche einfach nicht die Stelle, an der sie ihr Blut verliert. Irgendetwas blockiert mich und leitet meine Kraft um.«

Ich fühlte mich so hilflos, hatte Angst. Was passiert, wenn Kims Sohn auf der Welt ist? Wird sich die Vision über die Vernichtung der Welt sofort erfüllen oder haben wir noch etwas Zeit?

»Alaric! Wo bist du? Ich brauche dich!«, schrie ich in Gedanken. Doch ich würde keine Antwort von meinem Gefährten erhalten. Seit Kim vor vier Tagen in die Wehen gekommen war und er von der Vision unserer Zukunft erfahren hatte, war er spurlos verschwunden. Er wollte einfach nicht wahrhaben, dass nur Agon und ich die Welt vor einer allesvernichtenden Finsternis retten können. Um sich der Bedrohung zu stellen und um mich zu beschützen, hatte er mich einfach mit den ganzen Sorgen alleine gelassen.

»Kim!«, brüllte nun Don. »Wach auf! Du musst wieder zu dir kommen!«

Ehe ich darüber nachdenken konnte, stand ich neben ihrem Bett und beugte mich zu ihr herunter. Um sie herum war so viel Blut. Nicht alles davon war ihres. Dennoch war es ein übelerregender Anblick …

Mit tränenerstickter Stimme sagte Don: »Sie stirbt. Lina, egal was ich versuche, sie krepiert!«

Verdammt! Er hat recht! Kims Hautfarbe ist bereits fahl.

Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf.

Wenn ich nur wüsste, was ich tun, wie ich ihr Kraft geben könnte. Dons Aufschluchzen zerriss mir das Herz und löste mich aus meiner Starre. »Magnus, gib mir dein Messer«, befahl ich.

In Sekundenschnelle wurde mir etwas in die Hand gelegt. Dieses gezackte Messer zog ich durch die Handfläche und legte meine blutende Hand auf ihren Mund. »Nimm, was ich dir freiwillig anbiete. Nimm und stärke dich!« Trotz dass ich die Wunde direkt auf ihre offenen Lippen gelegt hatte, floss mein Blut seitlich aus ihrem Mund wieder heraus.

Don setzte sie aufrecht hin und versuchte, ihren Schluckreflex auszulösen, doch es gelang ihm nicht. »Kim, du musst trinken. Bitte trink!«

Da sich meine Wunde bereits wieder verschlossen hatte, fügte ich mir eine weitere zu. Erneut probierten wir, sie zum Schlucken zu bringen, doch es misslang. Nutzlos rann das Blut ihr Kinn herunter.

Es muss doch eine Möglichkeit geben! Wir alle hier zusammen haben die größten Kräfte, die es im irdischen Leben gibt. Welche Optionen gibt es noch? Blut hilft nicht, die Magie der Kinder des Lichts ebenfalls nicht. Was also kann ich als zukünftige Göttin tun?

»Lana«, jammerte ich. »Was soll ich bloß tun? Bitte hilf mir doch!« Ich wusste, dass mich meine Urmutter in der Geisterwelt nicht hören konnte, doch ich war verzweifelt und es war zumindest einen irrwitzigen Versuch wert. Soll ich meinen Urvater rufen? Er würde wissen, was zu tun ist. Schnell verwarf ich den Gedanken wieder, denn Derian würde diese Situation nur ausnutzen. Er war unser Feind.

Ich sah zu Magnus. Vor einigen Monaten hatte ich ihn mittels Magie getötet und dann irgendwie wieder ins Leben zurückgebracht. Durch die eine Kraft, die ebenfalls in mir ruhte: das Wasser des Lebens. Diese Gabe hatte ich auch schon benutzt, intuitiv, um Alaric zu retten. Aber ich wusste nicht, wie ich diese Magie bewusst einsetzen konnte.

»Ihr Herz ist stehengeblieben und sie atmet nicht mehr!«, kreischte Don. Er riss Kopfpolster und Decke achtlos von dem Bett. Seine Hände positionierte er auf ihrem Brustkorb. Dann fing er zu zählen an: eins, zwei, drei, vier … Bei jeder Zahl drückte er mit seiner Handfläche fest auf ihren Brustkorb. Gespannt hofften wir auf ein Wunder. Bei der Dreißig beatmete er sie zweimal. Danach fing er wieder von vorne an.

Rico, Dons ehemaliger Zögling und mein Wächter, stand plötzlich neben uns. Ich wusste nicht, wann er das Zimmer betreten hatte. »Don, ich löse dich ab! Mach du die Mund-zu-Mund-Beatmung.«

Dons Tränen tropften wie Regen auf Kims Brust.

»Don!«, versuchte es sein Zögling erneut.

Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich muss sie retten! Sie darf mich einfach nicht verlassen!« Erneut beatmete er seine Gefährtin und fing dann ein drittes Mal zu zählen an.

Die Zeit verrann, aber Kim gab keinen Mucks von sich. Ich sah zu Rico hoch. Dieser signalisierte mir mit einem Kopfschütteln, dass es für Kim zu spät war. Doch ich war mir sicher, dass ihr Sohn noch eine Chance hatte, wenn wir schnell handelten.

Über eine mentale Verbindung sagte ich zu Rico: »Wir müssen das Baby holen, kannst du Don festhalten?«

»Keine gute Idee. Er würde mich innerhalb kürzester Zeit ausschalten«, antwortete er auf dieselbe Weise.

Rico hatte recht. Don war ein zu mächtiges Wesen und er würde seine Gefährtin nicht ohne blutigen Kampf aufgeben.

Ich legte meine Hand auf Dons Unterarm. »Es tut mir leid. Es tut mir so leid.« Bevor er mich anfahren konnte, erzeugte ich eine goldene Rune in meiner rechten Handfläche und wischte sie durch die Luft bis über sein Gesicht. »Schlaf jetzt«, sagte ich mit Tränen in den Augen.

Unverzüglich brach er über Kim zusammen und Rico zog ihn zur Seite.

Unschlüssig hielt ich das Messer in der Hand. Der Ekel packte mich. »Ich kann das nicht«, gestand ich und ließ die Waffe aufs Bett fallen. Ich konnte ihren Sohn nicht holen.

Rico ergriff es. »Ich mach das«, sagte er, ganz der ehemalige Soldat, und drängte mich weg. Stoff wurde raschelnd zur Seite geschoben.

Unverzüglich drehte ich mich um. Jetzt erst bemerkte ich Magnus. Er legte mir die große Pranke auf den Hinterkopf und drückte mich an seine durchtrainierte Brust.

»Kim, es tut mir so leid«, murmelte ich. Der Anblick ihres leblosen Körpers ließ sich nicht aus meinen Gedanken vertreiben. Und ich war schuld an dem Ganzen! Hätte ich ihr nicht die Segnung erteilt, wäre sie niemals schwanger geworden. Doch ich musste es tun, denn ihr Sohn war wichtig für das Überleben unserer Welt. Gäbe man mir jetzt erneut die Wahl, würde ich mich für Kims Leben entscheiden – trotz der Bedeutung des Kindes.

Nur dumpf hörte ich, wie Rico sich abmühte, unsere einzige Hoffnung auf Fortbestand in die Welt zu bringen.

Wie wird Don reagieren, wenn er erfährt, dass ich ihm keine Wahl gegeben habe? Wie soll ich Kims Sohn erklären, dass ich ihn über das Leben seiner Mutter gestellt habe? Was wird er dann machen? Wie soll ich überhaupt damit umgehen?

»Ich hab ihn! Er scheint in Ordnung zu sein.«

Schon konnte ich den Säugling schreien hören.

Rico hielt mir das Neugeborene hin, das in ein Handtuch gewickelt war.

Ich wollte es nehmen, aber als ich Don sah, erstarrte ich. Obwohl ich ihn mit einer sehr alten Magie in den Schlaf gelegt hatte, riss er nun seine Augen auf. Sofort fiel sein Blick auf die mit einem Tuch bedeckte Kim. Mit einem Satz stand er auf. Sein Blick schnellte zu dem Bündel in Ricos Armen und dann zu mir.

»Bei der Göttin, was habt ihr getan!«, schrie er uns an.

»Don …«, versuchte ich ihm zu erklären, doch er unterbrach mich forsch.

»Ihren Tod hast du zu verantworten! Nur du alleine! Ich wollte dieses Kind nicht! Nur wegen dir muss ich nun ein zweites Mal eine Gefährtin zu Grabe tragen!«

Das Bündel in Ricos Armen fing herzzerreißend zu weinen an. Rico reichte Don dessen Sohn. »Nimm ihn.«

Don riss fluchend die Arme nach oben. »Halt dich bloß mit diesem Kind von mir fern! Ich werde es sowieso niemals akzeptieren, denn es hat mir mein Herz genommen!«

»Aber Don … Du liebst ihn bereits, denn es ist … Agon. Er ist dein Sohn!«

Sechs Augenpaare starrten mich an.

»Das ist unmöglich«, murmelte Magnus.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß es. Kim hat es mir kurz vor eurem Bündnis erzählt.«

Don schnaubte. »Ich glaube dir kein einziges Wort!«

Ich senkte den Blick. »Es ist aber so.« Sofort fiel mir etwas ein! Als mich mein Sandkastenfreund Eric getötet hat, hatte Cretu der Seelenfresser es geschafft, meine Seele so lange an meinen Körper zu binden, bis Magnus mich gerettet hat.

Goldene Runen bildeten sich in meiner Hand und legten sich wie ein Schutzfilm über Kims Körper. Doch es war zu spät! Kims Seele war bereits fort. Zumindest war ihr Körper nun konserviert. Ein anderer Plan formte sich in meinem Geiste, doch dafür würde ich ihre Seele benötigen.

Ein einziger mentaler Befehl ließ Cretu vor uns in einem goldenen Licht erscheinen. Dieses Wesen war weder tot noch lebendig, lebte weder in unserer Zeit noch in der Vergangenheit oder Zukunft – er war einfach überall zugleich. Einst hatte er seine Tochter getötet. Um ihr eine neue Existenz zu erkaufen, hatte er mit meiner Urmutter eine Vereinbarung getroffen. Seither war er der Beschützer der Seelen geworden und begleitete sie ins Geisterreich.

Er schien nicht überrascht zu sein. Sofort fiel er auf ein Knie und senkte den Kopf. »Was ist der Grund Eures Rufes, göttliche Elina, Beschützerin der Neuen Welt?«

Die Männer um uns wichen zurück, nur Don stellte sich vor seine Gefährtin. »Lina! Was hast du vor?«

Hektisch stieß ich die folgenden Worte aus: »Don, die Lebensenergie deines Vaters, Sefyr, war jahrhundertelang an Alaric gebunden, nur so konnte er ohne Körper weiter existieren. Wir müssen es irgendwie schaffen, Kims Seele an dich zu binden, bis ich einen Weg gefunden habe, ihren Körper zu heilen, um sie wieder zurückzuholen!«

Der Seelenfresser hob seinen Kopf und blickte auf den blutigen Körper. Leicht neigte er ihn, während er ihn betrachtete. »Die Zeit ist abgelaufen. Die Seele befindet sich bereits in der Geisterwelt.«

»Cretu«, sagte ich, »nur Ihr alleine könnt beide Welten betreten. Es ist mir egal, wie Ihr es macht oder was dafür notwendig ist, aber bitte holt ihre Seele wieder zurück!«

Einige Sekunden stierte er mich an, keinerlei Emotion sah ich in seinem Gesicht. »Es wird ein Opfer verlangt.«

»Welches? Egal, was es ist, wir werden es tun!«, keifte Don.

»Ein Leben.«

Bevor Don etwas sagen konnte, stellte ich mich vor Cretu. Um sicherzugehen, dass ich es richtig verstanden hatte, fragte ich: »Eine Seele für eine Seele?«

Langsam nickte er.

Als Alaric und ich die Kraft der Reinigung auf die Welt losgelassen haben, erhoben wir uns zu einer Säule. Doch die Macht ist zu groß für uns gewesen und wir mussten die überschüssige Magie aufbrauchen. Wir wussten nicht, wer von uns beiden auf die Idee gekommen war, aber wir nutzten sie, um ein Tor zur Geisterwelt zu öffnen und hunderte Seelen in uns aufzunehmen. Doch kann ich so einfach eine von diesen wieder zurück ins Geisterreich schicken? Nein. Aber ich muss es dennoch tun! »Du bekommst dein Opfer! Und nun sag, was dazu notwendig ist!«, hetzte ich.

Erneut schüttelte er den Kopf. »Eure Worte sprechen Lügen. Ihr werdet es nicht tun, entspricht es doch völlig Eurer Vorstellung. Aber das müsst Ihr auch nicht, denn die Seele, die geopfert werden soll, muss dem aus ihrer Freiwilligkeit heraus zustimmen.«

Da Don Anstalten machte etwas zu sagen, vollführte ich eine Wischbewegung in der Luft und zwang Don mit einer magischen Rune dazu seine Worte zu verschlucken. Heftig begann er zu husten. »Nein, Don! Du wirst dein Leben nicht für sie geben! Und wage es ja nicht, es mental anzubieten!« Dann drehte ich mich wieder zu Cretu. »Ich habe hunderte Seelen in mir, könnt Ihr mir zeigen, wie ich mit ihnen Kontakt aufnehmen kann? Es gibt bestimmt einige Seelen, die dieses Opfer freiwillig tun.«

Der Seelenfresser legte den Kopf schief, doch dann senkte und hob er bestätigend den Kopf. »Ruft Euren Gefährten, denn nur die Macht eurer vereinigten Säulen kann eine Verbindung aufbauen.«

Frustriert kniff ich die Augen zusammen. Alaric hört doch nicht auf meine verzweifelnden Rufe – er ignoriert mich schon seit Tagen. Einzig sein Wunsch, das Unaufhaltsame aufzuhalten, drängt ihn derzeit vorwärts.

Cretus Stimme ertönte in meinem Kopf: »Rufet mich, wenn Ihr bereit seid.« Dann löste sich seine Gestalt auf.

»Nein!«, brüllte Don und stürzte sich auf die Stelle, an der Cretu gerade noch gekniet hatte. »Wo ist er hin?« Tränen schossen in seine Augen und die ersten liefen ihm bereits wie Bäche herunter. »Lina! Befehle ihm, sofort wieder zu erscheinen!«

Es brachte mich fast um den Verstand, seine Verzweiflung zu sehen. Er tut mir so leid! Warum konnte ich ihr denn nicht helfen?

Ich ließ mich ebenfalls auf die Knie herab und nahm den riesigen Kerl in meine Arme. »Don, hör mir bitte zu. Noch ist nichts verloren. Kims Körper ist konserviert und das bleibt er so lange, bis wir ihre Seele wieder zurückhaben. Und die bekommen wir, denn bei allem, was mir heilig ist: Ich werde alles tun, um sie dir zurückzubringen.«

Ein weiteres herzzerreißendes Schluchzen entkam ihm. »Bitte! Bitte! Bring sie mir wieder. Ich kann einfach nicht mehr ohne sie leben. Das schaffe ich nicht noch einmal! Ich kann nicht schon wieder um eine Gefährtin trauern.«

Ihn tröstend an mich drückend nickte ich. »Ich weiß, aber nun ist es wichtig, dass du Alaric findest und ihn wieder zurückbringst. Nur mit seiner Hilfe kann ich eine passende Seele finden. Er reagiert leider nicht auf meine Rufe.«

Er schob sich etwas von mir weg, um mir mit einem überraschten Blick in die Augen zu sehen. »Er ist dein Gefährte, er muss deinem Ruf folgen. Niemand kann sich diesem Urgesetz eines Bündnisses widersetzen.«

Ein verzweifelndes Seufzen entkam mir. »Er anscheinend schon, denn er versucht sich ganz alleine einer finsteren Zukunft zu stellen und will einfach nicht wahrhaben, dass dein Sohn unsere einzige Rettung ist.« Jetzt erst bemerkte ich, dass der Winzling nicht mehr wie von Sinnen brüllte. Rico hatte es irgendwie geschafft, ihn zu beruhigen.

Don betrachtete zum ersten Mal das Bündel in Ricos Armen. »Welche Aufgabe wurde ihm in die Wiege gelegt?«

Ich erklärte: »Kim erzählte mir von einer Vision, die sie bekommen hatte, als sie Agons Blut getrunken hat. Diese ließ sie erkennen, wer Agon für sie ist: ihr Sohn. Und er würde seine Macht nutzen, um mir dabei zu helfen, meinen Urvater Derian aufzuhalten.«

Dons starr aufgerissenen Augen spiegelten seine Emotionen wieder. »Warum habt ihr mir nie etwas davon erzählt?«

»Zuerst wollte Kim es nicht, um zu verhindern, dass du dich gegen eure Zukunft stellst. Aber als sie dich dann doch um Hilfe bitten wollte, verhinderte ihr Fötus all ihre Versuche.«

Grimmig ballte er seine Fäuste. »Wann wird sich dieses Schicksal erfüllen?«

Unwissend hob ich meine Schultern. »Sie war sich nicht sicher, glaubte aber, dass es bald nach der Geburt geschehen wird.«

Don sah schwermütig zu seiner Gefährtin. »Ich verstehe, dann lass mich jetzt nach Alaric suchen. Bis ich wiederkomme, pass bitte auf meine Süße auf.«

»Das mache ich natürlich.« Ich betrachtete Rico, der mit beruhigenden zärtlichen Worten mit dem Baby sprach. Man erkannte sofort, dass er Erfahrung hatte. »Was soll nun mit Agon geschehen?«

Augenblicklich verfinsterte sich sein Gesicht. »Mach mit ihm, was du willst. Er kümmert mich nicht. Einzig meine Gefährtin zählt.« Mittels Handbewegung öffnete er ein Portal vor sich.

»Warte!«, befahl ich und er blieb abrupt stehen. »Nimm Rico und Magnus mit. Ihr seid immer noch Alarics Wächter und wenn er nicht freiwillig zurückkehren sollte, dann könnte es durchaus sein, dass ihr all eure Kräfte zusammenführen müsst, um ihn mit Gewalt zurückzubringen. Aber bitte beeilt euch und holt ihn so schnell wie möglich zurück.«

»Nein!«, grollte mein ewiger Beschützer Magnus. »Ich werde dich bestimmt nicht verlassen!«

Wieder entkam mir ein Seufzen. »Magnus, ich bitte dich, ich passe auf mich auf. Hilf Don und Rico, Alaric zurückzubringen! Ich verspreche dir, ich werde nicht in Gefahr geraten. Das Schloss hat so viele Sicherheitsvorkehrungen, mehr als die dunkle Welt je haben konnte. Bitte, du musst das jetzt einfach für mich tun!«

Fest schüttelte er den Kopf. Ich machte mich bereit, um weitere Argumente auszusprechen, doch dann nickte er mit zusammengekniffenen Augen. »Na schön, ich werde es tun – für dich und für Don.« Kurz umarmte er mich und dann ging er an Don vorbei durch das Portal.

Rico, der selbst einen Sohn hatte, reichte mir gekonnt und vorsichtig das Bündel.

Obwohl ich mich keineswegs bereit fühlte, Verantwortung für so ein kleines Wesen zu übernehmen, übernahm ich ihn.

»Lina, du musst sein Köpfchen besser stützen«, mahnte mich Rico und positionierte ihn stabiler in meiner Armbeuge.

Don starrte auf das Bündel, dann schauderte es ihn. Mit einer Handbewegung deutete er Rico, sich zu beeilen. Als Rico das tat und an ihm vorbeieilte, verschwand Don hinter ihm und das Portal schloss sich unverzüglich.

Tief atmete ich durch und sah das Bündel zum ersten Mal richtig an. Niedliche große braune Augen guckten mich an. Ich konnte nicht anders, ein Lächeln stahl sich in mein Gesicht. Instinktiv sagte ich: »Willkommen in der Welt. Möge das Licht deines Lebens stets deinen Weg erhellen.« Dann hauchte ich ihm mit geschlossenen Augen einen Kuss auf die Stirn. Diese Geste war eine alte Tradition eines alten Volkes vor meiner jetzigen Existenz.

Mit der freien Hand öffnete ich das blutverschmierte Handtuch. Der Säugling hatte wider Erwarten keine einzige Rune auf seinem Körper. Was ist er? Agons ältere Version war, wie die wenigen Kinder des Lichts, während der großen Schlacht in der Zeit eingeschlossen gewesen. Er ist der letzte Geborene der dunklen Welt, denn das Arelion hat ihn nicht seiner Kräfte beraubt. Don und Kim sind nun, durch Alaric und mich, unsere Schöpfungen – eine Weiterentwicklung der dunklen Welt, der des Lichts und einem Volk der Alten Götter. Obwohl beide immer noch Fangzähne haben und über Blut Magie aufnehmen können, sind sie irgendwie auch eine Art der Kinder des Lichts und aus dem Alten Volk – eben alles gleichzeitig. Aber was ist Agon?

Ich öffnete mit dem Zeigefinger seinen kleinen Mund – keine Reißzähne. Gut, die Vampire können ihre Fangzähne auch einfahren. Der Kleine fing an meinem Finger zu nuckeln an. Immer angestrengter sog er daran. »Du hast wohl Hunger?«

Und dann quietschte er und brüllte lautstark auf.

»Ruhig, kleiner Mann. Lass mich kurz nachdenken.« Ich betrachtete den Säugling, dessen Kopf vom Kreischen immer rötlicher wurde.

Die Wände fingen zu wackeln an. Etwas passierte hier. Ich spürte eine Kraft wirken, aber sie kam nicht von mir.

Die Magie konzentrierte sich neben dem Bett – Licht blendete hüfthoch auf und begann, sich im Kreis zu drehen. Ein Lichtkreis formte sich und ähnelte Dons Portale.

Unverzüglich schützte ich den Kleinen und mich mit einer Schutzbarriere.

Der Kreis vergrößerte sich. Ich musste meinen Blick abwenden, da es mir sonst die Augen geblendet hätte.

Abrupt wurde es dunkel und das Zimmer hörte auf zu beben. Selbst der Säugling beendete endlich sein Frustgeschrei. Als ich meine Augen wieder geöffnet hatte, dauerte es einige Wimpernschläge, bis ich erkannte, dass eine Gestalt vor mir hockte.

Sie erhob sich zur vollen Größe. »Prinzessin?«, fragte eine männliche Stimme, doch dann senkte sich sein Kopf.

Durch das gleißend helle Licht konnte ich immer noch nicht viel sehen, farbige Flecken blitzten ständig auf. Ich kniff meine Augen immer wieder zusammen.

Die Gestalt machte einen Schritt auf mich zu.

Instinktiv wich ich zurück.

»Lina? Du bist jetzt die Königin?«, fragte sie nun.

Das Bündel in meiner Hand gab einen schmatzenden Laut von sich. Leicht wiegte ich es und als ich wieder auf die Gestalt blickte, konnte ich endlich ihr Gesicht erkennen. Es war Agon!

Und nicht gerade in Bestform. Sein sonst so attraktives Gesicht war mit einem zotteligen Bart verunstaltet, sein Drei-Millimeter-Haarschnitt war längst einem verknoteten Haaretwas gewichen. Sein Geruch war – ich rümpfte meine Nase – auf jeden Fall nicht angenehm. Selbst die Kleidung hatte längst seine beste Zeit hinter sich gehabt. Äußerlich glich er einem Vagabunden, selbst sein Bündnissiegel war weg. Aber das war verständlich, denn bis auf Alaric und ich hatten alle Paare ihr Bündnis erneuern müssen.

Schnüffelnd hob der erwachsene Agon den Kopf nach oben. Seine Hand hob sich zu dem Leintuch – sie zitterte. Blitzschnell riss er es herunter.

Ich wendete meinen Blick ab, ich wollte Kim in diesem Zustand nicht sehen.

»Nein! Wie konnte das nur geschehen? Was ist mit ihr passiert?«, forderte er zu wissen.

Das Baby wurde unruhig in meinen Armen. Wieder wiegte ich es, doch es ließ sich nicht mehr beruhigen.

Agon ballte seine Fäuste. »Wie lange hat Alaric mich in der Zeit eingesperrt?«

»Vier Monate«, schrie ich, um das Baby zu übertönen.

»Nur vier? Es fühlte sich nach mehreren Jahren an!« Er fluchte leise vor sich hin. »Warum hat Spyridon ihren Tod nicht verhindert?«

»Wir haben wirklich alles Mögliche versucht.«

»Warum habt ihr mich erst jetzt gerufen? Ich hätte ihr bestimmt helfen können!«

Skeptisch kniff ich die Augen zusammen. »Niemand hat dich gerufen. Alaric hat dich gebannt, bis auf ihn wusste keiner, wo du die ganze Zeit warst.«

Ein Knurren folgte. »Einer wusste es und hat mir gerade ein Tor geöffnet – Alaric war es auf jeden Fall nicht.«

Ich starrte auf das Baby. Natürlich! Sie sind eine Person. Das Baby muss ihn zu sich gelockt haben.

»Ist das ihr Kind?«

Ich nickte. »Nimm ihn.«

»Darf ich wirklich?« Unschlüssig hob er die Arme. »Einen Sohn? Wie heißt er?« Anders als ich ergriff er gekonnt seine kleinere Version und sofort beruhigte es sich wieder. »Hallo, mein Hübscher«, flüsterte er zärtlich.

Unsicher starrte ich auf Agon. Wie erklärt man jemanden, dass er selbst das Baby sei? Ich entschloss mich, es ihm einfach ohne Umschweife zu erzählen. »Agon«, sagte ich beinahe tonlos und dann, mit kräftigerer Stimme: »Er heißt Agon … und das bist du.«

Das Baby gluckste, als würde es sich über diese Information freuen.

Mit fahrigem Blick fuhr er über den kleinen Körper. »Das ist unmöglich! Das heißt ja, dass ich …«

»Ja, du bist Kims und Dons Sohn.«

Sein Gesicht spiegelte unterschiedliche Emotionen wider: Begreifen, Angst, Verstehen, Hoffnung und dann Liebe. Sein Blick schnellte zu Kims Körper. »Sie ist meine Mutter? Und sie ist bei meiner Geburt gestorben?« Heftig schüttelte es ihm und dann begann auch er zu weinen. Fest presste er das Baby an sich.

Nach einer Zeit fragte er schluchzend: »Wie geht es Spyridon?« Er sah sich um. »Wo ist er überhaupt? Ich muss ihm erklären, wie leid mir das alles tut. Ich wollte ihr doch niemals schaden! Schon wieder hat er wegen mir eine Gefährtin verloren!«

»Er sucht mit Magnus und Rico nach Alaric, denn wir versuchen, Kim wieder ins Leben zurückzuholen.« Dann erzählte ich ihm, was wir mit Cretus Hilfe versuchten zu schaffen.

»Warum hast du mir nichts gesagt? Wenn ich das alles gewusst hätte, hätte ich mich doch niemals in das Bündnis meiner Eltern eingemischt. Bei der Göttin! Wie schrecklich, ich habe um meine eigene Mutter geworben!« Fahrig fuhr er sich übers Gesicht.

Gewissensbisse drängten sich nach oben. »Es stand mir nicht zu und wenn ich es getan hätte, wer weiß, ob das Bündnis überhaupt zustande gekommen wäre. Ich wollte das, was geschehen muss, nicht verhindern.«

Lange sah er mich an und dachte sichtlich über meine Worte nach. »Warum hat man mich überhaupt als Zehnjähriger meiner Zeit entrissen und in die Vergangenheit gesetzt?«

Ich stockte. »Ich kann nur vermuten, was und warum derjenige – wer auch immer so eine gewaltige Fähigkeit besaß – dein zehnjähriges Ich entführt hat. Vielleicht, damit du jetzt, in dieser Zeit, nicht alleine dastehst und stattdessen deine Kräfte verstärken kannst, um mir zu helfen, die Welt vor der Vernichtung zu retten.«

Kurz dachte er darüber nach. »Wie schlimm ist es?«

»Es geht um unser Überleben! Eine Finsternis wird kommen und jegliches Leben für immer auslöschen. Laut Kims Vision kannst nur du uns noch retten.«

»Ich verstehe. Und alleine habe ich vermutlich diese Macht nicht, aber wenn es mich doppelt gibt, dann könnte es durchaus funktionieren.« Sein Kopf legte sich schief und er musterte das kleine Bündel vor ihm. »Er … also ich trage keinerlei Magie in mir. Ich kann zwar etwas Magisches an ihm erkennen, aber er ist nicht wie ich – kein Geborener.« Dann sah er mich an. »Du bist auch anders. Du bist kein reines Kind des Lichts mehr. Was bist du jetzt?«

Natürlich! Dadurch, dass er in der Dimension zwischen der Zeit eingeschlossen war, weiß er nichts von den irdischen Veränderungen. Er hat auch keine Ahnung von dem gewonnenen Krieg und meiner göttlichen Herkunft!

Ich seufzte. »Das ist nicht so schnell zu erklären, aber ich versuche es mal zusammenzufassen. Alaric und ich stammen von einem sehr alten Volk ab. Dieses Volk nannte man ›Volk der Götter‹. Nach einem langen Krieg waren mehrere Tausend meines Volkes getötet worden, aber auch ihre Götter. Die Natur kam dadurch ins Ungleichgewicht und musste wieder ins Reine kommen. Deswegen schuf es drei Säulen der Erde: Belana, Derian und Kay. Sie sollten sich, wenn die Zeit reif geworden ist, zu den neuen Göttern erheben und die Welt wieder ins Gleichgewicht bringen. Doch einer von ihnen – Kay – unterlag der Dunkelheit. Und so versuchten Derian und Belana, ihn daran zu hindern, sich jemals zu einem Gott zu erheben. Anfangs funktionierte das auch, aber als Belana und Derian Zwillinge gebaren und Kay sich die Seelen dieser Kinder nehmen wollte, stahl das Zwillingsmädchen ihm die Macht seiner Säule und legte die Kraft auf ihren Bruder und sich. Diese Zwillinge waren Alaric und ich – vor mehr als dreitausend Jahren! Von seiner gottähnlichen Macht entzweit, verwandelte er sich in ein anderes Geschöpf: ein Schattenwesen. Drei Jahre lang absorbierte er die Lebenskraft der Wesen aus dem Alten Volk, bis er stark genug war, um seine Rache endlich vollziehen zu können. Er wollte sich die göttliche Kraft wieder holen. Doch sein Plan ging schief. Er tötete den dreijährigen Alaric und besiegelte damit auch meinen Tod. Um das zu verhindern, blieb Belana nichts anderes übrig, als Derians Macht zu nehmen und sich zu der einzig wahren Göttin des Lichts zu erheben – sie wurde zu Hekate. Damit beendete sie ihr irdisches Leben und ließ ihren Gefährten zurück. Dieser musste sich nun alleine Kay stellen. Doch ohne die Lebenskraft des Gefährten – die diese so notwendig zum Überleben brauchten – hatte Derian zu wenig Kraft. Um ihm zu helfen, schickte sie ihm ihre Kinder des Lichts. Sie sollten ihm ihre Magie bringen und ihn stärken. Doch ohne Belanas Licht des Lebens driftete er immer mehr in die Dunkelheit ab und verwandelte sich in ein Wesen der dunklen Welt: Er wurde zu Zero – dem ersten Vampir auf Erden. Ein Jahrtausend verfolgte und schlachtete er die Kinder des Lichts ab, damit er endlich seinen Bruder vernichten konnte.« Ich machte eine Pause. »Den Rest der Geschichte kennst du. Bis zu dem Moment, als ich durch Hekate zu einer Säule wurde und Derian – also Zero – Alaric seine Macht übertrug und wir gemeinsam die Kraft der Reinigung ausgelöst haben. Wir haben sämtlichen Wesen der Dunkelheit ihre Magie entzogen und nur wenige haben sich entschlossen, wieder in die magische Welt zurückzukehren. Sie sind nun Alarics und meine Schöpfungen und wir die zukünftigen Götter der neuen Welt.«

Agon schüttelte hektisch den Kopf und blies seinen Atem stoßweise aus. »Bei der Göttin! Ich meine … das ist heftig!« Er ließ sich auf einen Stuhl nieder und betrachtete sein sehr junges Ebenbild. »Ich habe so viele Fragen und ich weiß nicht, welche ich zuerst stellen soll. Warum ist Zero nicht tot? Warum hat uns die Göttin nie etwas über die Vergangenheit erzählt? Warum wissen wir nichts über dieses Alte Volk? Hast du all ihre Kräfte? Wie sieht es mit dem Garten der Göttin aus, gibt es den noch? Wo sind die Kinder des Lichts?«

Das Baby wurde wieder unruhig und kreischte noch lauter als zuvor.

Ich trat näher und legte die Hand auf Agons Schulter. »Ich weiß, dass du viele Fragen hast, und es gibt noch mehr Informationen. Ich werde dir alles erzählen, doch nun müssen wir uns um den kleinen Agon kümmern. Ich weiß nichts über Babys, aber eines ist klar: Er muss gefüttert und gewickelt werden. Kannst du das übernehmen?«

Er schnaubte. »Davon habe ich absolut keine Ahnung!«

Dann kam mir eine Idee. »Pain kümmert sich derzeit ebenfalls um ein Baby. Wenn ich ihn darum bitte, vielleicht hilft er uns ja.« Mittlerweile muss Suki vier Monate alt sein. Es wäre leicht für mich, ihn zu mir zu rufen, da er nun ebenfalls eines meiner Schöpfungen ist.

Ohne aufzublicken nickte Agon. »Ich habe so viel verpasst. Ausgerechnet dieser hitzköpfige Pain soll sich um ein Baby kümmern? Ist es sein Kind?«

Zerknirscht antwortete ich ihm: »Nein, es ist unsere Suki — Alarics Schützling. Sie war Pains Gefährtin.«

Nun sah er auf. »Okay. Das ist etwas seltsam, aber nach all dem, was ich soeben gehört habe, und der Tatsache, dass ich mich selbst gerade im Arm halte, wundert mich gar nichts mehr.«

Ich machte eine kreisrunde Wischbewegung in der Luft, hunderte goldene Runen lösten sich aus meiner Handfläche und die Luft vor mir wurde in ein buntes Farbenwirrwarr eingetaucht – sie schien zu vibrieren. Eine Gestalt formte sich darin. Sie wurde klarer, bis sie Ähnlichkeit mit einer menschlichen Figur hatte und schlussendlich Pain erkennbar wurde.

Sofort heftete sich sein Blick auf mich. »Was willst du von mir?«, zischte er. »Ich hab jetzt wirklich keine Zeit!«

»Pain«, sagte ich mit sanfter Stimme, »ich brauche deine Hilfe.«

Er sah sich um, registrierte Kims Leiche und schaute dann zu Agon und dem Baby. Er wischte sich die Hände an dem Tuch in seiner Hand ab.

Sind das Teigspuren? Hat er gebacken?

Danach legte er es mit Schwung auf seine Schulter und ging auf Agon zu. »Hast wohl eine harte Zeit hinter dir? Wessen Baby ist das?« Dann sah er wieder zu Kim und schien zu verstehen. Sein Blick wurde traurig. Er seufzte laut. »Das ist Dons Sohn? Gib ihn mir mal.«

Agon überreichte ihm das quietschende Etwas, dessen Kopf so rot wie eine Tomate war.

Pain legte ihn sanft in die Armbeuge und schob seinen Finger in dessen Mund. Baby Agon fing an seinem Finger zu nuckeln an. Endlich hatte er aufgehört zu schreien. »Oh ganz klar. Der Kleine hat Hunger.«Pain sah zu mir, dann zu Agon. Er verstand. »Okay. Ich weiß, welche Hilfe ihr benötigt. Ich habe noch einige Milchflaschen und Nahrung von Suki übrig. Windeln müsst ihr aber selbst besorgen. Diese kleinen Scheißer verbrauchen Unmengen davon.« Er überlegte und dann reichte er Agon das Bündel. »Ich bin gleich wieder hier. Ich hol nur schnell Suki und pack einiges zusammen.«

Erleichterung durchfuhr mich. »Danke«, hauchte ich. »Ich weiß nicht, wie ich dir jemals für deine Hilfe danken kann.«

Er lachte auf. »Nicht dass ihr denkt, ich übernehm das jetzt. Einer von euch wird das tun. Ich werde euch nur ein paar Ratschläge geben und mich dann wieder verziehen. Mein einziges Begehr ist es, Suki zu beschützen und zu umsorgen. Und sei mir nicht böse, Lina, aber ich möchte nie wieder Teil eures Lebens und eurer Zukunft werden. Nach allem, was passiert ist, bin ich das Suki und mir schuldig.« Nach seinen Worten löste sich sein Körper auf.

Agon versuchte, das Bündel mit leichtem Wiegen zu beruhigen, was ihm eher wenig gelang. »Was meint er damit? Was ist geschehen?«

»Suki hat ihre Kraft auf Alaric übertragen, und nur durch die Hilfe der Göttin konnte sie weiterexistieren – zwar nur als menschliches Baby. Aber immerhin lebt sie.«

Er schien sich etwas bewusst zu werden. »Deswegen hat der menschliche Alaric wieder zu seiner wahren Kraft gefunden?«

Ich nickte.

Nun überreichte er mir das Baby. »Ich werde dieses Babyzeug besorgen und dann wieder herkommen.« Und dann erzeugte er wie Don ein Portal vor sich und trat hindurch.

Mit dem Finger in Klein-Agons Mund materialisierte ich mich in Alarics und mein Schlafgemach. Mittels meines mentalen Befehls ließ ich die Wiege erscheinen, die ich vor Tagen unsichtbar gemacht hatte, damit Kim ihr Geschenk nicht vorzeitig erblicken konnte. Wehmütig dachte ich daran, dass es nur eine geringe Chance gab, dass sie ihr Baby jemals darin liegen sehen würde, und legte den Kleinen hinein. Von dem vielen Schreien war er bereits zu müde, um seine Augen offenzuhalten, und schlief sofort ein.

Mein Handy gab einen nervenden Ton von sich und blinkte dann unruhig. Ich hatte einige verpasste Nachrichten. Die meisten waren von dem Bauleiter Lorenzo, der mit seinem Team ein wahres Wunder an dem Schloss vollbracht hatte. Innerhalb weniger Wochen hatten sie das Gebäude modernisiert, indem sie Strom- und Wasserleitungen verlegt hatten, auch ein modernes Sicherheitssystem war installiert worden. Zwar waren sie noch lange nicht fertig, aber vor vier Tagen ließ ich sie ihre Arbeiten unterbrechen, da ich vermeiden wollte, dass sie irgendetwas von den weiteren vier magischen Wesen mitbekamen. Alleine Alaric und meine Anwesenheit ließen sie stets auf der Hut sein. Anscheinend spürten sie, dass wir keine reinen Menschen waren. Im Moment waren die über hundert Mann in dem kargen Dorf vor dem Schloss einquartiert und warteten darauf, ihre Arbeit wieder aufnehmen zu dürfen.

In Lorenzos Nachrichten, die in einem gebrochenen Deutsch geschrieben waren, teilte er mir mit, dass er die meisten seiner Leute nach Hause geschickt hatte – auf unsere Kosten natürlich – und auf weitere Anweisungen wartete. Eigentlich hatte ich keine Lust, mich jetzt auch noch mit dem Bauprojekt zu beschäftigen. Da ich aber nicht wusste, wann sich die Situation wieder beruhigen würde, und ich sie nicht unnötig warten lassen wollte, schickte ich ihm eine Nachricht. Ich informierte ihn über einen dauerhaften Baustopp.

Seine Nachricht kam prompt und klang etwas säuerlich. Er würde uns nicht nur die bereits angefallenen Kosten, sondern das gesamte Projekt in Rechnung stellen. Außerdem bestand er darauf, sich jetzt die ersten hunderttausend Euro abzuholen. Um zu verhindern, dass er sich dem Schloss näherte, schrieb ich ihm, dass ich ihm in den nächsten Minuten einen Scheck vorbeibringen würde.

Damit das Baby während meiner Abwesenheit nicht aufwachen konnte, belegte ich es mit einem Zauber.

Einige Minuten später fand ich mich vor dem früher als Gaststätte genutzten Gebäude wieder, welches Lorenzo und ein paar seiner Arbeiter als Quartier genutzt hatten. Der Bauherr und ein junger Mann unterhielten sich gerade aufgeregt, sie schienen zu streiten. Doch sobald sie mich entdeckt hatten, stoppte ihr Gespräch. Lorenzo kam auf mich zu und wie schon in den letzten Wochen hauchte er mir zuerst auf die rechte, dann auf die linke Wange einen Kuss. In gebrochenem Deutsch erklärte Lorenzo: »Das ist mein Neffe Frederico.«

Der junge Mann reichte mir die Hand und sagte: »Buon giorno.«

»Hallo«, antwortete ich und händigte dem Älteren den Scheck aus.

»Warum enden die Bauarbeiten? Hast du ein besseres Angebot bekommen?«

Kurz sah ich zum Schloss und dann entkam mir ein Seufzen. »Nein, keine Angst. Es hat persönliche Gründe. Wie schnell könnt ihr die Sachen packen?«

Der junge Mann begann auf Italienisch zu fluchen und ging anschließend in das alte Gasthaus.

»Ich verstehe ja, dass euch der Auftrag besonders wichtig ist, aber ihr könnt hier nicht länger bleiben.« Jetzt schien auch er verärgert zu sein, doch bevor er etwas erwidern konnte, legte ich ihn in eine leichte Trance. »Packt euer Zeug und geht!«, wies ich ihn an und verankerte diesen Befehl ganz tief in seinem Unterbewusstsein.

 

***

<< Drei Tage später >>

»Pain! Was mache ich falsch?«, grummelte ich und sah, wie in den letzten Tagen schon, hoffnungslos zu meinem Ratgeber. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass ich mich mit meinen neunzehn Jahren um ein Baby kümmern musste.

Er konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. »Du bist viel zu unruhig und das überträgt sich auf den Kleinen. Entspann dich doch. Du wirst sehen, er wird es dir gleichtun.« Ein blondes Baby saß zu seinen Füßen und versuchte gerade, mit den Patschhändchen einen blauen Würfel auf einen viel zu kleinen grünen zu stellen, doch dieses Konstrukt kippte immer wieder um. Es war seltsam, in dem fremdaussehenden Kind Suki zu sehen. Unsere hatte braune langgelockte Haare und ebenfalls braune Augen gehabt – und nun war sie blond und hatte blaue Augen. Außerdem schien ihre Entwicklung weit über der eines menschlichen Kindes zu liegen, denn ich hatte noch nie gehört, dass Babys in diesem Alter bereits krabbeln konnten.

Seit Pain wieder zurückgekehrt war, füllte er mein Gehirn im Schnelldurchgang mit dem Wissen über Pflege und Handhabung kleiner menschlicher Lebewesen. Mein ehemaliges Liebesnest hatte sich in ein chaotisches Babyzimmer-Lager verwandelt. Auf der einen Zimmerseite waren Unmengen an Windeln gelagert. Diverse Kleiderstapeln lagen nicht nur auf sämtlichen Tischen und Kommoden, auch am Boden waren sie aufgeschichtet. Babyunterhaltungskram war in Hügeln daneben gestapelt.

»Kannst du mir das nicht noch einmal mit der Flasche zeigen? Ich kann mich einstweilen um Suki kümmern.«

Ein Knurren entkam ihm. »Nein, Suki betreue ich alleine.«

»Ich tue ihr doch nichts!«, maulte ich.

»Das ist nicht von Belang.« Er nahm sie mit einem Arm hoch. Schockiert riss sie ihre Augen auf. »Ja, schon gut, kleine Maus«, sagte er liebevoll und hob ihren blauen Würfel hoch und legte ihn in ihre Hände. Sie gluckste verzückt. Bei mir angekommen nahm er mir die Flasche aus der Hand, setzte Suki neben sich auf der Couch ab. »Gib ihn mir«, sagte er und hob seine Arme.

Sobald ich ihm das Baby gereicht hatte, positionierte er ihn mit gekonnter Hand in seiner Armbeuge. Er legte zuerst die Flasche an, doch dann entfernte er sie wieder und hob Klein-Agon stattdessen auf die Schulter und klopfte sanft auf dessen Rücken. Es dauerte etwas, aber dann ertönte der Grund seines Unwohlseins. »Brav gemacht, mein Kleiner. Da hat Tante Lina wohl die Flasche nicht richtig gehalten.« Als er ihn erneut in seiner Armbeuge positioniert und die Flasche angelegt hatte, trank das Baby endlich ohne Mühe. Suki neben ihm gab das Spiel mit dem Würfel auf und zeigte auf die Flasche in Baby-Agons Mund. »Sukilein, das ist doch nichts mehr für dich. Du brauchst bereits andere Nahrung. Soll dir dein Gefährte wieder einen Zauberbrei machen?«

Das Mädchen gluckste wieder und ein Wort rutschte aus ihrer Kehle: »Tauberbei.«

Unruhe entstand ihn mir. »Gefährte? Hast du dich schon an sie gebunden? Du kannst ihr das nicht antun! Sie braucht eine normale Kindheit, ohne die Einschränkungen eines Bündnisses!«

Augenblicklich verfinsterte sich sein Gesicht. »Das was zwischen mir und Suki ist, geht dich gar nichts an! Sie gehört mir!« Er schluckte hörbar und ich konnte ihm ansehen, dass er versuchte, sich zu beruhigen. »Und nein, ich bin kein Bündnis mit ihr eingegangen, denn dann würde der Vampir in mir sie sofort für sich beanspruchen wollen und das, obwohl sie nicht einmal das Kleinkindalter überstanden hat. Ich bin doch kein Perverser! Sie soll nur wissen, dass wir beide in der Zukunft ein Bündnis eingehen werden.«

»Und was wirst du machen, wenn sie sich nicht für dich entscheidet? Wirst du sie dann dazu zwingen?«

Nun stand er auf. Klein-Agon war mittlerweile eingeschlafen und bei der Bewegung zuckten seine Fäustchen mit geschlossenen Augen nach oben. Er überreichte ihn mir. »Ich habe siebzehn Jahre Zeit, mich ihr zu beweisen, und wenn die Zeit gekommen ist, dass ich sie um ein Bündnis bitte und sie sich doch gegen mich entscheidet, dann werde ich das akzeptieren müssen.« Seine Aussage schien ihm nicht im Mindesten zu gefallen, denn sein Blick versteinerte. »Wir werden gehen, denn Suki braucht nun ebenfalls Nahrung.« Ohne mich anzublicken nahm er seinen Schützling und verließ den Raum.