Arelion - Das Licht der Schatten (Band 1) - A. Kissen - E-Book

Arelion - Das Licht der Schatten (Band 1) E-Book

A. Kissen

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Beschreibung

Eine geheime Welt geteilt durch Licht und Dunkelheit – eine Allianz verbindet beide.
Doch ein dunkler Feind bedroht die Welt des Lichts.
Eine Prophezeiung bringt ihnen entweder die Rettung oder den Tod der gesamten dunklen Welt.
Was wird geschehen?

Wenn du die Chance bekommst, eine ganze Art zu retten, würdest du dafür auf deine einzig wahre Liebe verzichten?

Die 17 jährige Schülerin Lina Nolan verliebt sich ausgerechnet in den Vampirfürsten Alaric Sullivan. Dieser muss laut einer Prophezeiung die Prinzessin des Lichts finden, bevor diese erwacht. Denn sie hat nur eine Aufgabe! Mit ihrer Kraft soll sie ihre Brüder und Schwestern vor der Bedrohung retten – damit würde sie aber auch alle Vampire auslöschen. Nur wenn ihr Geliebter sich mit der Prinzessin vermählt, wird die Prinzessin ihn und seine Untertanen verschonen.

Doch kann Lina ihre große Liebe loslassen?
Oder gar retten?

Arelion Reihe:
Arelion - Das Licht der Schatten (Band 1)
Arelion - Der Schmerz der Nacht (Band 2)
Arelion - Die Erlösung der Dunkelheit (Band 3)
Arelion - Das Erwachen (Band 4)
Arelion - Die Dämmerung (Band 5)
Weitere Bände werden umgesetzt.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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A. Kissen

ARELION

Das Licht der Schatten

Band 1

Inhaltsverzeichnis

Prolog - Das Ende der Nacht

1. Kapitel - Schicksalhafte Begegnungen

2. Kapitel - Die dunkle Welt

3. Kapitel - Neue Regeln

4. Kapitel - Meine Macht

5. Kapitel - Die Auserwählte

6. Kapitel - Der Kuss

7. Kapitel - Erics Neuanfang

8. Kapitel - Der Fürst ist zurück

9. Kapitel - Das neue Orakel

10. Kapitel - Das Edikt

11. Kapitel - Die Gefahr

Epilog - Die Prinzessin

Lesen Sie weiter in...

Copyright

Danksagung

 

Prolog

Das Ende der Nacht

<< In der Stadt Aversa in Italien, an einem warmen Wintertag im Jahre 1496 >>

Moldana schrak zurück. Was war das für ein Schmerz in ihren Handflächen? Die Hexe atmete tief und schwerfällig, versuchte so, ihre brennenden Lungen mit frischer Luft zu füllen. Der Geschmack von Ruß lag auf ihrer Zunge. Sie musste sich nicht umsehen, um zu erkennen, dass sie keinen Rauch in dem Zimmer entdecken würde. Schweiß stand auf ihrer Stirn.

Erst nach einer Weile fing sie an zu begreifen, was gerade geschehen war. Ihr Puls raste immer noch. Sie drehte ihre Hände hin und her. Tief und schmerzhaft hatte sie sich mit ihren langen Nägeln selbst ins Fleisch gestochen. Dickes, dunkles Blut tropfte auf ihr neues weißes Kleid. Sie starrte auf ihre Wunden. Eigentlich sollte sie diese verbinden. In der Welt, in der sie jetzt lebte, war eine offene blutende Verletzung genau das, wonach sich die dunklen Wesen sehnten. Damit war sie in Gefahr. Sie wusste es, sie spürte es, doch sie war vor lauter Schreck nicht imstande, sich zu bewegen. Noch nie zuvor hatte ihr Hekate, die Göttin des Lichts, persönlich eine Vision geschickt. Wieder und wieder rief sie sich die Bilder und Worte ins Gedächtnis, und langsam wurde ihr das wahre Ausmaß der Bedrohung bewusst. Ihre neue Welt drohte, vernichtet zu werden.

Sie brach in Tränen aus. Ihr Gefährte Zion und sie hatten so lange gebraucht, um zueinander zu finden und ihr Reich aufzubauen! Seite an Seite hatten sie einen großen Feind besiegt, aber seither waren ihnen nur wenige Jahre des Glücks vergönnt gewesen.

Viel zu wenig Zeit, fand Moldana.

Nun stand sie auf, trat zum Fenster und blickte nachdenklich hinaus. Die Sonne schimmerte rot hinter dem weitläufigen Wald, der das Schloss umgab, in dem sie wohnte. Bald würde sie gänzlich untergehen, dann würde es nicht mehr lange dauern, und das Haus würde sich mit todbringenden, machtvollen und stolzen Wesen füllen. Dies war nun auch Moldanas Welt. Vor fünfzig Jahren war sie mit ihrem Gefährten Zion in dieses atemberaubend große Schloss in die dunkle Welt gezogen. Zwar genoss sie offiziell den Status einer Königin, doch nicht alle dunkle Wesen erkannten sie als solche an. Moldana hatte gedacht, dass die Zeit für sie arbeiten würde, denn davon, so glaubte sie, hätte sie genug. Eine gemeinsame Zeit mit einem dunklen Wesen war lang, unsterblich lang.

Diese Welt hier war so anders als ihre alte Welt. Früher hatte sie mit ihrer Familie, einem hohen Hexenzirkel, in einem kleinen Dorf gelebt. Bis … ja … bis ER gekommen war. Das erste Wesen der dunklen Welt. Zero. Und mit ihm kamen Krieg, Tod und Verderben. Sie erinnerte sich nicht gerne an diese Zeit, lange vor ihrem Bündnis mit ihrem Gefährten Zion. Jetzt fielen ihr die wenigen alten Erzählungen aus ihrer früheren Welt wieder ein.

Es gab viele Geschichten über den ersten Dunklen namens Zero. Ob sie tatsächlich stimmten, wusste keiner. Sicher war nur, dass er der Erste seiner Art war, ein Nachtwandler. Er ernährte sich vom Blut Anderer und schlachtete dafür ganze Völker ab. Mit jedem Opfer wuchs seine Kraft, doch das Blut einer Hexe verlieh ihm besondere magische Kräfte.

Selbst die Göttin der Hexen, Hekate, musste diesem Treiben lange Zeit machtlos zusehen. Um ihre Kinder, die Hexen, zu beschützen und dem Dunklen Einhalt zu gebieten, wurde es unerlässlich, zu handeln. Die Macht der Göttin Hekate reichte aus, um machtvolle Wesen, die Drita-Kämpfer, zu schaffen. Bald erkannte Zero die Gefahr und brachte zu seiner Verteidigung einen neuen Dunklen hervor. Zion, ihr Gefährte, war der erste Mensch, der gewandelt wurde und es folgten noch zwei weitere. Sie verwandelten ebenfalls Menschen in Dunkle, und es entstanden die ersten drei Klans auf Erden. Die drei Klanführer selbst wurden Zeros Beschützer – seine Wächter.

Die Kraft der Drita-Kämpfer war den der Dunklen kurzfristig überlegen. Doch die Dunklen fanden nur allzu schnell heraus, welche Schwächen die Drita-Kämpfer hatten, und schlugen unbarmherzig zurück. Es kam zu erbitterten Kämpfen. Dabei mussten die Dunklen herbe Rückschläge ertragen: Zwei der Wächter starben, selbst Zero wurde verletzt.

Der erste Dunkle, Zero, beauftragte Zion, die hohen Hexen des Rates und ihre direkten Nachkommen zu töten. Dann nahm das Schicksal einen unerwarteten Lauf: Die Liebe traf den Klanführer Zion und das Hexenmädchen Moldana. Zion erkannte, dass er auf der falschen Seite kämpfte. Gemeinsam mit seinem Klan kämpfte er nun an der Seite der Hexen gegen Zero. Sie bildeten eine Allianz, und gemeinsam schafften sie es, Zero zu besiegen. Zwar lebten die Dunklen ein ewiges Leben und konnten keines natürlichen Todes sterben, doch auch sie waren verwundbar. Zion hatte Zero den Kopf abgeschlagen und ihn somit getötet.

Nach dem Tod Zeros und seiner Krieger konnte endlich Frieden herrschen. Nun konnten Hexen und Dunkle in friedlicher Koexistenz leben.

Moldana riss sich von den Gedanken an die Vergangenheit los, setzte sich an ihrem Sekretär und schrieb mit Bedacht die Worte der Göttin des Lichts nieder. Niemals würde sie diese vergessen, sie waren Warnung und Hoffnung zugleich, doch die Göttin Hekate hatte ihr aufgetragen, ihre Worte der Zeit zu übergeben.

Unversehens platzte die Kruste auf Moldanas Handfläche beim Schreiben auf. Auf dem Papier vermischte sich die schwarze Tinte mit Moldanas Blut. Sie schauderte. Hekates Prophezeiung sagte voraus, dass das Blut ihres Volkes fließen würde. Moldana war jedoch nicht klar, dass ihres den Anfang machen sollte.

Lange, nachdem sie dem schwarzrötlichen Gemisch aus Blut und Tinte beim Trocknen zugesehen hatte, machte sie sich auf, um ihren Gefährten Zion aufzusuchen. Die Sonne war gerade untergegangen. Er musste umgehend erfahren, dass die Welt der Dunkelheit in Gefahr war. Nicht unmittelbar, aber es mussten Vorbereitungen getroffen werden.

Mit den niedergeschriebenen Worten der Göttin in der Hand schritt Moldana durch die unteren Bereiche des Hauses, um zu Zion zu gelangen. In dieser Ebene suchten die Dunklen tagsüber Schutz vor der Sonne.

Vor ihr wurden zwei große Flügeltüren aufgestoßen, die den Eingang zu Zions Räumlichkeiten darstellten. Ihr Geliebter, ein zwei Meter großer Dunkler, trat durch die Tür. Seine langen schwarzen Haare, die er sonst zu einem Zopf gebunden hatte, trug er heute offen. Sein Gesicht wirkte aristokratisch und barbarisch zugleich. Die Breite seiner Schultern erreichte die Länge seines Kampfschwertes. Er war ein Krieger durch und durch, alles an ihm frönte dem Kampf und der Jagd. Die große kräftige Statur, die Schnelligkeit und sein imposantes Auftreten waren nur ein paar der vielen Vorteile, die ihm als Dunklen zu eigen waren.

Er war gerade dabei, den letzten Riemen seiner ledernen Rüstung zu schließen.

Wie jedes Mal, wenn sie ihn sah, verschlug es ihr die Sprache. Sie liebte es, ihn nur anzusehen und das Spiel seiner Muskeln zu beobachten.

Als ihr Gefährte sie erblickte, reichte er ihr freudig überrascht seine Hand, schenkte ihr ein warmes Lächeln und schloss sie in seine Arme.

»Mein Geliebter?«, fragte sie bekümmert, »dürfte ich Euch um eine kurze Audienz bitten?«

»Natürlich, mein Herz. Ihr dürft jederzeit frei über meine Zeit verfügen. Das wisst Ihr doch.« Er zog sie in seine Räumlichkeiten.

Als er die Tür hinter ihnen schloss, umarmte Moldana ihren Gefährten abermals und fing laut zu schluchzen an. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner breiten Brust.

»Liebste, was hat Euer Herz so beschwert? Sagt es mir, bitte, bin ich derjenige, der Euch Leid zugefügt hat?« Zwischen seinen Worten wollte er ihre Handfläche küssen und starrte überrascht auf ihre Wunden.

Moldana blickte auf den Boden und schüttelte leicht den Kopf. Dabei rannen dicke Tränen über ihre Wangen.

Zärtlich hob Zion ihr Kinn hoch und küsste die Tränen fort. Als sie vertrauensvoll in seine blauen Augen schaute, verlor sie sich in deren Tiefe.

Aber sie schöpfte dabei auch die Kraft, die sie benötigte. Tief holte sie Atem und nahm Abstand, setzte sich auf einen der Stühle, die um einen kleinen Tisch standen. Mit einer leichten Handbewegung bedeutete sie ihm, sich ebenfalls zu setzen.

Zion runzelte skeptisch seine Stirn, dennoch folgte er ihr.

Erst als er Platz genommen hatte, begann sie zu erzählen: »Die Göttin Hekate hat mich mit dem Geschenk der Vorsehung beglückt, mit einer Vorsehung, die die dunkle Welt betrifft.«

»Welch edles Geschenk von ihr, aber ich verstehe nicht«, entgegnete Zion.

Fast schüchtern überreichte Moldana ihm das Papier, mit den Worten, die ihrer beider Zukunft so drastisch verändern würde.

Verwunderung lag in seinen Augen, als er die Worte der Göttin laut vorlas.

 

 

Wenn die Nacht sich teilt, wird sie kommen.

Bezwinge das Licht von Arelion.

Das Blut des Kriegers der Nacht beschreitet den Weg.

Die Wahl trifft die Seite.

Sie entscheidet über Licht oder Dunkelheit.

Die Vereinigung bringt den Sieg.

 

 

»Was bedeutet das?«, fragte Zion.

»Unsere einzige Chance wie wir überleben können! Es ist der einzige Ausweg um den Tod meiner Brüder und Schwestern zu verhindern, denn ein neuer Feind bedroht die Welt des Lichts. Nur mit der Prophezeiung der Göttin und ihrer Hilfe werden wir weiter existieren.«

Zion hob seine Hand zum Kinn und massierte es grob. Das machte er immer, wenn er beunruhigt war. »Das ist keine gute Nachricht. Ihr könnt versichert sein, dass meine Männer und ich alles tun werden, um unsere Allianz zu beschützen. Gebt mir etwas Zeit. Ich …«

»Geliebter! Ihr versteht nicht! Die Göttin hat mich in eine schreckliche Zukunft blicken lassen. Es wird einen fürchterlichen Krieg zwischen der Allianz und einem feindlich gesinnten dunklen Klan geben! Ich weiß nicht, wie, aber ich war dort … Zion! Es war fürchterlich! Ich habe die vielen Toten gesehen! Und wir Hexen … der feindliche Klan wird uns unser Blut stehlen und auslöschen, damit dieser Klan den Krieg gegen die Allianz gewinnen kann! Unzählige Hexen werden ihr Leben dafür lassen müssen. Aber das Schlimmste ist: Wir Hexen werden danach nicht mehr existieren! Dann sah ich nur noch Rauch. So viel Rauch. Immer noch kann ich ihn schmecken. Und als der Rauch verschwand, war es so, als hätte es uns nie gegeben.« Moldana rang um die nächsten Worte. »Ihr müsst verstehen, die Göttin kann nicht zulassen, dass wir alle sterben.«

Erkenntnis blitzte in seinen Augen auf. »Was hat die Göttin getan? Wie will sie sich das Fortbestehen ihrer Kinder sichern?«

»Wenn die Zeit reif ist, wird eines ihrer Kinder in einem Menschen wiedergeboren. Dieses Kind besitzt eine mächtige Waffe. Ein Licht, nur für den Zweck …« Sie schluckte trocken. »Liebster … dieses Kind wird auf einen Schlag alle Dunklen töten, um die Gefahr für meine Brüder und Schwestern ein für allemal auszumerzen.« Wieder begann sie zu weinen. Wie sollte sie mit diesem Wissen um die Zukunft umgehen? Die Göttin, ihre Urmutter, würde das, was ihr das Wichtigste war, töten. Ihre Welt! Ihr Leben! Und ohne Zion würde es nichts mehr wert sein. Aber würde sie selbst, wenn sie die Wahl hätte, ihr Volk für ihn opfern?

Wütend ballte Zion seine Fäuste, danach stieß er ein lautes Knurren hervor. »Die Göttin und ich haben eine Vereinbarung getroffen! Welchen Sinn hätte da noch eine Allianz zwischen unseren Völkern? Ich kann und werde den Tod meiner Klanmitglieder nicht zulassen, denn auch ich trage Verantwortung.«

Moldana warf sich vor Zion auf die Knie und ergriff seine Hand. »Wartet! Die Göttin ist den Dunklen in der Allianz nicht gänzlich abgeneigt. Sie gibt der Allianz eine Chance. Zion, wir müssen dieses Kind finden und die Prinzessin des Lichts erwecken. Die Dunklen in der Allianz werden nur überleben, wenn sie sich der Gunst dieser Prinzessin als würdig erweisen. Nur sie entscheidet, ob die Welt der Dunkelheit weiter bestehen wird oder nicht. Die Göttin Hekate warnte uns: Wenn wir es nicht rechtzeitig schaffen, wird sie die Prinzessin selbst erwecken und damit den Tod aller Dunklen besiegeln.«

»Wie ist es uns möglich, dieses Kind zu finden?«

»Die Göttin wird uns eine meiner Hexenschwestern zur Unterstützung schicken.«

»Und wie erwecken wir die Prinzessin?«

»Das Blut erweckt sie zum Leben, das Blut unseres Sohnes.« Moldana brachte kaum mehr als ein Flüstern hervor.

»Unseres Sohnes?«, fragte Zion verwundert.

»Die Göttin war mir wohlwollend, liebster Zion. Ich bekomme ein Kind. Wir bekommen ein Kind.«

Erschrocken blickte Zion Moldana an, doch sein Ausdruck veränderte sich plötzlich. Stolz zierte sein Antlitz. Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Einen Sohn? Ich wusste nicht, dass das möglich ist. Er wäre der Erste seiner Art. Etwas Besonderes. Eine Verbindung der dunklen Welt mit der Welt der Göttin des Lichts.«

Moldana hob seine Hand zu ihrer Wange und schmiegte sich an ihr, dann berichtete sie weiter: »Erst, wenn die Prinzessin ihn zu ihrem Gefährten macht und sich für eine Existenz an seiner Seite in der dunklen Welt entschließt, sind wir gerettet, denn sie wird unsere Feinde zerstören.«

»Ich verstehe«, sagte Zion.

Traurig senkte Moldana ihren Kopf.

Er nahm zärtlich Moldanas Kinn in seine Hand und hob ihren Kopf an. Zuversichtlich blickte er sie an. »Liebste, lasst die Sorgen mein sein. Ihr werdet sehen, auch dieser Bedrohung werde ich wieder Herr werden. Das habe ich damals getan, um Zero zu vernichten, und ich werde es zu jeder Zeit wieder tun. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um die Zukunft der Allianz und unseres ungeborenen Sohnes zu beschützen.«

Aus einem Impuls heraus griff sie auf ihren Bauch und gab ihrem Sohn ebenfalls ein heiliges Versprechen. Auch sie würde alles tun, um ihre Familie und damit auch die dunkle Welt zu retten. Noch wusste sie nicht, wie, aber gemeinsam würden sie es schaffen.

1. Kapitel

Schicksalhafte Begegnungen

<< In der österreichischen Stadt Heningbrunn, an einem Novembertag im Jahr 2009 >>

Mit raschen Schritten betrat ich meine Schule. Ich musste nur noch die Treppen hinauf und dann nach links. Schweiß stand mir auf der Stirn, und mein Herz pochte bis zum Hals.

Mist! Ich bin schon wieder zu spät!

Oben angekommen stürmte ich in die Klasse.

Verflucht, sie ist leer!

Fieberhaft überlegte ich, wo meine Mitschüler sein könnten. Da fiel mir das Labor ein. Ich sammelte meine letzten Energiereserven und sprintete wieder los, die Treppen hinunter zu den Werkstätten, wo sich auch die Labore befanden.

Wo war das nochmal? Erinnere dich. Erinnere dich!

Der Werkstättenbereich war ein Irrgarten aus Zimmern und Gängen. Ging man einmal falsch herum, befand man sich prompt in einer Sackgasse.

Dann fiel es mir wieder ein, den zweiten Gang entlang nach rechts, durch das eine Zimmer durch, von dort den Gang geradeaus und danach die zweite Tür auf der rechten Seite.

Ich beschleunigte meinen Schritt, als plötzlich eine Tür direkt vor mir aufging. Sonnenlicht schien durch die Tür auf den Gang.

Wie eine engelhafte Erscheinung trat ER aus dem Licht heraus, während er sich mit jemandem unterhielt. Er schien mich nicht zu bemerken.

Ich versuchte zu bremsen, um nicht mit ihm zusammenzustoßen.

Plötzlich brüllte einer: »Wage es nicht!«, gleichzeitig flog ich durch die Luft, krachte mit dem Rücken gegen eine Wand und sackte auf dem Boden zusammen.

Ich blickte auf. Drei Meter vor mir stand ein Bär von einem Mann. Er hatte blonde kurze Haare, einen breiten Kiefer, und seine durchtrainierten Schultern passten gerade so eben durch die Tür. Mit drohendem Blick starrte er mich an. Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Seine muskulösen Arme, mit denen er mich weggestoßen hatte, waren noch immer ausgestreckt.

Jetzt erst bemerkte ich, dass mein Brustkorb und mein Kreuz schmerzten, als hätte mich eine Dampflok gerammt. Auch mein Hinterkopf dröhnte und drohte zu explodieren. Instinktiv betastete ich ihn. Autsch!

Gerade, als ich Luft holte, um meinem Widersacher die Meinung zu sagen, sah ich, wie er IHM – der engelhaften Erscheinung – zunickte, als hätte der Engel etwas zu ihm gesagt. Mein Angreifer drehte sich von mir weg und stampfte den Flur entlang.

Der Engel blickte mich an, und seine dunkelblauen Augen zogen mich tief in ihren Bann. Mir war, als würde ich diese Augen seit vielen hundert Jahren kennen, und sie würden mir eine Welt offenbaren, die ich längst vergessen hatte. Die warme Kinderstimme eines Jungen trat aus Erinnerungen hervor, die ich nie erlebt hatte. Schemenhaft verzerrte Bilder eines Ortes, der mir nicht bekannt war, fluteten meinen Kopf. Ich sah einen Garten. In der Mitte stand ein Brunnen, und ich hörte das Wasser plätschern. Der Junge in meiner Erinnerung lachte herzlich. Und dieser hatte dieselben dunkelblauen Augen, wie der Mann vor mir.

Wer ist das?

Er hatte wirklich schöne Augen, die durch einen dichten, dunklen Wimpernkranz noch mehr zur Geltung kamen. Seine schwarzen Haare trug er kurz. Um seine vollen Lippen spielte ein interessiertes Lächeln, perfekt sitzende weiße Zähne blitzten hervor. Seine hellbraune Haut schimmerte seidig. Seine Haltung war gebieterisch, als wäre er es gewohnt, dass man vor ihm kniet – oder wie in meinem Fall: am Boden sitzt.

Er war einfach perfekt, fast zu perfekt. Toll, er ist sicher Model oder Gott … irgendwas in der Richtung …

Mann, was denke ich denn da! Wie hart habe ich mir den Kopf angeschlagen? Ich kann ja keinen einzigen klaren Gedanken mehr fassen! Verwundert über mich selbst schüttelte ich leicht meinen Kopf. Normalerweise war ich nicht so leicht zu beeindrucken.

»Hast du dir wehgetan?«

Es dauerte etwas, bis ich realisierte, dass dieses Bild von einem Mann tatsächlich mit mir sprach!

»Das sah nach einem schlimmen Sturz aus. Brauchst du Hilfe?« Er reichte mir seine Hand. Die freundliche Geste wurde allerdings von etwas Bösartigem überschattet. Der Raum! Kurz kam es mir vor, als würde sich der Raum verdunkeln. Schatten tanzten hervor, die eigentlich nicht hätten existieren dürften, da die Beleuchtung den Raum vollständig aushellte.

Mein Brustkorb schnürte sich zusammen, ich bekam kaum noch Luft. Mein Magen krampfte sich zusammen. Der Typ strahlte eindeutig eine Bedrohung aus. Reflexartig zog ich meine Beine an und umklammerte fest meine Knie.

Reiß dich doch zusammen! Gib ihm deine Hand! Berühre sie! Die Stimme in meinem Kopf schrie mich an, doch mein Körper reagierte nicht – ich war wie erstarrt.

»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dir nichts tun, ich möchte dir nur auf die Beine helfen … Komm schon. Du kannst mir vertrauen. Ich werde dir nichts tun.«

Unversehens schuf seine samtige Stimme Vertrauen. Vertrauen, wo eigentlich keines sein durfte, denn ich kannte ihn ja nicht. Mein Körper entkrampfte sich wie von alleine, und mein Puls beruhigte sich. Ein zufriedenes, fast glückliches Gefühl breitete sich in meinem Körper aus und hinterließ wohlige Wärme. Ich prüfte, ob ich noch alle Glieder bewegen konnte. Da hob sich meine Hand. Ungläubig, etwas von mir selbst überrascht – hatte ich doch vorher diese Angst empfunden – sah ich dabei zu. Endlich!

»Na, geht doch. Ich heiße übrigens Alaric«, sagte er. »Und du?«

Ich öffnete meinen Mund. Jetzt nichts Falsches sagen! »Lina«, hörte ich mich mit belegter Stimme sagen, und dann kam wie von selbst: »Ich heiße Elina Nolan.« Gottseidank! Meine Stimme klingt einigermaßen normal.

»Hallo, Elina. Was für ein schöner Name. Die griechische Bedeutung deines Namens ist ›Engel‹. Das passt zu dir.«

Mein Name klang wundervoll aus seinem Mund. Die Art, wie er ihn wiederholte … mit dieser tiefen, sanften Stimme würde sich selbst ein Schimpfwort gut anhören.

Unsere Hände näherten sich einander und dann berührten sich endlich unsere Fingerspitzen.

Plötzlich zog sich eine schmerzende Hitze über meinen Arm, schoss in mein Herz und explodierte dort. »Was war das?«, schrie ich. Mir war, als hätte jemand meinen Arm angezündet und mein Herz herausgerissen. Meine Hand schmerzte, sie brannte, als wäre ich in ein Feuer geraten. Panisch schaute ich zu ihm auf.

Blitzschnell hatte er seine Hand weggezogen. Er blickte mich jetzt mit einer Mischung aus Zorn und Enttäuschung an, seine Augen funkelten. »Du hättest lieber auf deine Instinkte hören sollen«, brummte er, und dann ging er mit eisiger Miene den Gang hinunter.

Ich saß noch immer am Boden, starrte meine Hand an und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war.

Nach einer Weile stand ich auf und schleppte mich zum Labor. Dort angekommen, machte ich mich aufs Schlimmste gefasst.

»Fräulein Nolan, schön, dass Sie uns doch noch beehren. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist? Das macht einen weiteren Eintrag ins Klassenbuch«, sagte Professor Ballard, mein Mechaniklehrer und kritzelte sogleich etwas in das Klassenbuch.

Ich beeilte mich, schnell zu meinem Platz zu kommen und mich zu setzen, um jede weitere Aufmerksamkeit zu vermeiden.

Doch bevor mir das gelang, bellte schon mein Professor mit gehässigen Ton: »Fräulein Nolan, bitte kommen Sie doch an die Tafel und helfen Sie uns bei der Lösung unseres aktuellen Versuchs!«

Ich zuckte zusammen, wodurch mein angeschlagener Brustkorb noch stärker schmerzte, dennoch fügte ich mich meinem Schicksal und trat zur Tafel.

Zwölf Minuten später, nachdem mein Professor die Lösung abfällig diktiert und mir eine weitere Standpauke erteilt hatte, konnte ich mich endlich wieder meinen Gedanken hingeben.

Welch seltsame, schicksalhafte Begegnung auf dem Gang! Hätte ich heute nicht zufällig verschlafen und aufgrund der schlechten Busverbindung mit meinem Vater bis zur Arbeit mitfahren müssen, wäre ich diesem faszinierenden Mann nie begegnet. Er dürfte älter als ich sein, zumindest über fünfundzwanzig.

Ich hätte heute auch die Schule schwänzen können. Meinem Vater wäre das nicht aufgefallen, aber der Gedanke, den ganzen Tag in dem leeren Haus zu bleiben, gefiel mir nicht. Ich war nicht gerne alleine in unserem Haus am Rande von Heningbrunn. Es war mein Elternhaus, aber obwohl ich bereits mein Leben lang darin wohnte, fühlte es sich nie wie ein Zuhause an. Mein Zimmer im oberen Stockwerk hatte ich so gut wie möglich eingerichtet, doch konnte ich das allgegenwärtige Gefühl der Leere auch mit den unzähligen Postern verschiedener Bands und Sänger, die ich an die Wände geklebt hatte, nicht loswerden. Nicht einmal der Schaukelstuhl meiner Mama vor meinem einzigen Fenster konnte etwas daran ändern. Nachts, wenn ich im Bett lag, stellte ich mir gerne vor, wie sie mich als Baby in diesem Stuhl zum Einschlafen gewiegt hatte. Oft saß ich darin und dachte an sie. Wie schade, dass ich sie nie richtig kennenlernen durfte. Sie war wenige Monate nach meiner Geburt gestorben.

Mein Vater hatte sein kleines Schlafzimmer im Erdgeschoß, neben dem Wohnzimmer. So konnten wir uns gut aus dem Weg gehen, was auch oft geschah. Wir legten offensichtlich beide keinen Wert auf Gesellschaft. Das Wichtigste war geregelt: Ich hatte ein Dach über dem Kopf. Mein Vater sorgte für Essen, Kleidung und was ich sonst noch brauchte. Doch ein Zuhause sollte, ja es MÜSSTE sich anders anfühlen. Und so ging ich lieber in die Schule, als daheim zu bleiben, es war fast wie eine Flucht. Hauptsache, ich war nicht mit meinen Gedanken alleine.

Seit fast einem Monat besuchte ich nun die internationale technische Lehranstalt der Stadt Heningbrunn. Ein reicher Mann namens Sullivan hatte sie vor Jahren gegründet und mit sämtlichem Komfort und moderner Technik ausgestattet.

Die technische Lehranstalt war in drei Bereiche unterteilt. Der erste Teil beherbergte das Internat und stammte aus dem 17.Jahrhundert. Es war ein fünfstöckiges Märchenschloss mit gelber Fassade. Ich konnte mir vorstellen, dass dieses Gebäude bereits mehrfach in Heimatfilmen als Kulisse gedient hatte.

Am ersten Schultag hatte mein Klassenvorstand betont, dass uns der Zutritt zum Internatsgebäude strengstens untersagt war. Die Internatsschüler seien Eliteschüler und würden sich von uns bei ihren Studien gestört fühlen. Ich fand das sehr schade, aber vielleicht ergab sich ja irgendwann mal eine Möglichkeit …

Der zweite Teil war das Schulhaus selbst, das dem Haupthaus des Internates gegenüber stand. Das Schulhaus war ein graues Gebäude mit großen Fenstern. Es war modern und zweckmäßig eingerichtet und erfüllte sämtliche Bedürfnisse, die ein Schüler so haben konnte. Die Klassenzimmer selbst verfügten über moderne Ausstattung und Präsentationsgeräte.

Der dritte Gebäudeteil bestand aus einem supermodernen Werkstätten- und Laborbereich, in dem sich auch der einzige Ein- und Ausgang und somit der Zugang zu den Bushaltestellen befand. Immer wieder erwähnte unser Klassenvorstand voller Stolz, wie gut die Labore und Werkstätten eingerichtet seien. Auch alle anderen Lehrkräfte äußerten sich ständig lobend über die Schule, als wären sie einer Gehirnwäsche unterzogen worden.

Als ich damals das erste Mal durch den verglasten Verbindungstunnel, der den Werkstättenbereich mit dem Schulgebäude verband, gegangen war, war mir gleich der parkähnliche Garten aufgefallen, der die Gebäude umschloss. Das ganze Areal wurde von Bäumen und dicken hohen Mauern begrenzt. Es wirkte fast wie eine Festung. Ich hatte mich sofort gefragt, ob man hier vielleicht etwas ein- oder aussperren wollte.

An diesem Morgen war mein Vater besonders schweigsam gewesen. In solchen Momenten dachte ich oft an meine Mutter und fragte mich, ob es mit ihr auch so gewesen wäre. Auf den Familienfotos vor meiner Geburt lachte mein Vater immer. Meine Mutter hatte ihn sicher sehr geliebt, und sie fehlte ihm - und mir ebenfalls. Dann dachte ich wieder an meine Begegnung mit Alaric und an die unterschiedlichen Gefühle, welche er in mir ausgelöst hatte. Verbundenheit. Faszination. Angst. Vertrauen. Schmerz. Aber ich dachte auch an sein besorgtes Gesicht, während er mir seine Hand entgegen gestreckt hatte. Bei dem Gedanken wurde mir warm ums Herz, und ich musste lächeln.

Statt dem Unterricht zu folgen, dachte ich ständig an diese seltsame Begegnung. Wer ist dieser Alaric? Warum hat sein Anblick in mir diese Bilder von einem lachenden Jungen ausgelöst? Irgendwie spüre ich bei ihm eine Verbindung, als wären wir uns früher schon einmal begegnet. Und was wohl sein Name bedeutet? Alaric … ein seltsamer, aber starker Name.

Ich nahm mir vor, daheim im Internet mehr darüber herauszufinden.

Kurz vor dem Zusammenstoß hatte ich gedacht, einen Engel zu sehen. Er sah so gut aus und strahlte förmlich durch das Sonnenlicht im Hintergrund. Leicht berührte ich meine Fingerspitzen. Hier hatte er mich berührt … Wieder fiel es mir ein. Diese Explosion in meinem Inneren! Und die Bedrohung, die ich kurz zuvor gespürt habe … Was für ein komisches Gefühl! Auch die Berührung, die schmerzende Hitze ausstrahlte, muss Alaric genauso gespürt haben. Warum hätte er mich sonst so angesehen?

Ungeduldig wartete ich das Ende meines Unterrichts ab. Zuhause angekommen, stürzte ich mich zu allererst einmal an meinem PC und fand im Internet folgende Erklärung zu seinem Namen:

 

ALARIC: kommt aus dem Keltischen, ein sehr alter Name. Bedeutung: der Fürst der Dunklen Welt, auch übersetzt als ›schwarzer (Blut-) Engel‹.

 

Ich erschrak. Mit zitternden Fingern fuhr ich den PC herunter und versuchte, das mulmige Gefühl in meiner Magengrube zu ignorieren. Vielleicht hatte der Name auch gar nichts zu bedeuten?

Im Bett rief ich mir Alarics Erscheinung in Erinnerung. Während ich an seine dunkelblauen Augen, die kräftigen Muskeln an seinen Armen und seine breiten Schultern dachte, überlief mich ein angenehmes Prickeln. Wie stark er war! Morgen würde ich mehr über ihn herausfinden. Jetzt sehnte ich aber nur noch den Schlaf herbei. Mir tat alles weh, und ich war müde. In dieser Nacht hatte ich einen lebhaften Traum.

Ich trug ein hübsches Kleid, einen Traum in Hellrosa. Auf der Seite hingen Satinmaschen, und die vielen Schichten meines Unterrockes bauschten das Kleid auf. Ich sah darin fantastisch aus.

Auf dem sehr vornehmen, altmodischen Ball drehten sich die anderen Gäste immer wieder bewundernd nach mir um. Ein Walzer erklang im Hintergrund, und die Leute bewegten sich im Takt. Ein kleiner dicker Mann trat näher, der jede Menge Orden an der Brust trug. Er verbeugte sich und schnurrte: «Wundervollste aller Blumen, darf ich Sie zum Tanze auffordern?«

In diesem Moment sah ich mitten auf der Tanzfläche den schönsten Mann, den ich je gesehen hatte. Er sah aus wie Alaric. Es war Alaric!

Der ordensgeschmückte Zwerg neben mir räusperte sich, ich blickte ihn an und winkte ab. Ich wollte jetzt nicht mit ihm tanzen.

Auf einmal wurde ich grob gepackt, der kleine Mann wuchs in die Höhe und wurde ein grauenhaftes Monster. Riesige nadelförmige Fangzähne wuchsen aus seinem Zahnfleisch, Speichel tropfte aus seinem immer größer werdenden Maul. Seine Augen funkelten rot. Er keuchte vor Zorn und brüllte: »Ihr wisset wohl nicht, mit wem Ihr hier sprecht! Niemand widersetzt sich mir. Das werdet Ihr gar schnell bereuen.« Und dann holte er zu einem Faustschlag aus.

Ehe er mich damit jedoch mitten ins Gesicht treffen konnte, heulte er auf. Jemand hatte ein Messer in die Richtung des Monsters geschleudert, geradewegs in sein Herz. Der weiße Dolchgriff trat deutlich aus seiner Brust hervor.

Ich drehte mich um. Alaric war der Schütze! Immer noch hatte er seine Hand ausgestreckt, mit der er den Dolch geworfen hatte. Um die Bestie entstand ein Wirbelwind, und mit jeder Umdrehung des Windes verfiel das Monster mehr zu Staub – bis schließlich der Wind verebbte und nichts mehr von ihm übrig geblieben war.

Mein Herz raste. Voller Entsetzen über die Geschehnisse stürmte ich auf Alaric zu und brach in Tränen aus. Er nahm mich fest in seine Arme und küsste mich auf die Stirn.

Vertrauensvoll schmiegte ich mich an ihn und schloss die Augen. Bei ihm fühlte ich mich sicher.

Plötzlich wurde es kalt. Panisch öffnete ich meine Augen und blickte um mich. Niemand war hier. Es war vollkommen dunkel.

Der Wind blies durch den Saal und füllte den Raum mit Kälte. Irgendwo, vermutete ich, hatte jemand die Fenster geöffnet.

Ich raffte mein Kleid und machte mich auf die Suche. Doch ich konnte nichts finden, es herrschte Stille. Eisige Stille. Und da wusste ich es … und die Erkenntnis schmerzte.

Ich war wieder allein. Ganz allein.

 

 

***

<< Eine Woche später >>

Endlich war es soweit, ich wurde siebzehn! Ein Jahr noch, dann wäre ich volljährig und könnte dieses lieblose Leben verlassen. Ich hatte bereits Fluchtpläne geschmiedet. An meinem achtzehnten Geburtstag wollte ich mir mit meinem Ersparten ein Auto kaufen und die Welt bereisen. Endlich raus aus dieser Stadt und Erfahrungen sammeln! Ich würde nicht zurückschauen, denn es gab nichts, was ich vermissen würde.

Langsam ging ich die Treppe vor meinem Zimmer hinunter. Obwohl meine bisherigen Geburtstage nie gefeiert worden waren und nicht anders verlaufen waren als jeder andere Tag, erhoffte ich mir wie jedes Jahr etwas Besonderes. Doch ich wurde erneut enttäuscht. Den liebevoll gedeckten Frühstückstisch gab es nur in meiner Fantasie, ebenso den Geburtstagskuchen mit hell strahlenden Kerzen. Da war kein bunt eingepacktes Geschenk. Niemand küsste mich und wünschte mir »Alles Gute!«. Auf unserem alten, wackeligen Küchentisch lag nur ein abgerissener Zettel. Ich setzte mich an den Tisch und starrte ihn lange an.

Wie lange hatte mein Vater Eddie wohl gebraucht, um ihn zu schreiben? Eine Minute? Oder vielleicht länger, da er erst einen Kugelschreiber suchen musste?

Der Zettel war aus einem alten Kalender neben dem Telefon gerissen worden. Ich atmete tief durch und nahm ihn in die Hand. Mit krakeliger Schrift stand da: »Hallo Elina! Das Geld für deinen Führerschein kann ich dir erst am Monatsende geben. Warte nicht auf mich, ich muss heute die Schicht von einem Kollegen übernehmen. Gruß Papa.«

Jetzt brach ich in Tränen aus. Klar, wir hatten darüber gesprochen, dass ich einen Teil des Geldes für meinen Führerschein zum Geburtstag bekommen würde, aber ich konnte einfach nicht fassen, wie emotionslos mein Vater den Text geschrieben hatte. Ich versuchte mich zu beruhigen und schloss die Augen.

Irgendwann … irgendwo dort draußen gab es eine Welt für mich. Eine Welt, in der ich geliebt wurde. Ich würde sie finden und nicht wieder hergeben. Alles war besser als das hier!

Mit einer Hand zerknüllte ich den Zettel und ließ ihn demonstrativ auf dem Tisch liegen. Ich wusste, dass mein Vater diese Botschaft nicht verstehen würde, aber mir gab es eine kleine Genugtuung.

Mein Blick schweifte ab. Das, was jetzt kam, konnte ich nicht verhindern. Wie gebannt starrte ich in die Richtung, die mir meine Erlösung bringen sollte. Ich wollte das nicht tun, und ich wusste selbst nicht, warum ich es immer wieder tat. Immerhin hatte ich mir die letzten Male geschworen, es nicht wieder zu tun. Doch bevor ich mir meinen Schwur wieder ins Gedächtnis rufen konnte, wusste ich, es war wieder soweit. Der Dämon hatte mich wieder. Verflucht!

 

 

***

<< Einige Tage später >>

Hart wurde ich zur Seite gestoßen, und der Schüler, der mich gestoßen hatte, rief einem anderem zu: »Schau! Da drüben gibt es eine Schlägerei!«

Von hinten strömten immer mehr Schüler an mir vorbei und sammelten sich vor mir im Pausenbereich. Laute Anfeuerungsrufe hallten mir aus dem Park entgegen.

Ich versuchte, ebenfalls einen guten Platz am Fenster zu ergattern.

»Wisst ihr, wer?«, fragte einer.

»Keine Ahnung, einer aus der Dritten zerlegt gerade einen von den Neuen«, sagte ein anderer.

Um die zwei Kämpfenden hatte sich ein Ring aus Menschen gebildet. Immer wieder stießen sie die Streitenden zurück in den Kreis. Der Kampf schien fast zu Ende zu sein.

Erschrocken erkannte ich eine rote Basketballkappe auf dem Kopf des einen Kontrahenten.

Es war Eric Sommer!

Eric war ein Junge aus meiner Nachbarschaft, er ging in meine Klasse. Bis vor Kurzem hatten wir viel Zeit miteinander verbracht. Er und seine Mama Sarah waren für mich die Familie, die ich immer vermisst hatte. Ich genoss die Nähe dieser Frau. Oft hatte ich mir vorgestellt, dass sie meine Mutter wäre. Mein Vater und sie hatten sich immer schon gut verstanden. Vom Christkind wünschte ich mir früher, dass Sarah und mein Vater sich verlieben würden.

Doch die Überraschung kam vor mehr als fünf Jahren, als Sarah unerwartet einen Berufssoldaten geheiratet hatte. Eric hatte sich bald darauf sehr verändert. Im Gymnasium wurde er derjenige, der die Schläge austeilte. Er musste häufig aus dem Büro der Direktorin abgeholt werden. Bis wir uns vor einem Jahr zerstritten hatten, waren Eric und ich die besten Freunde gewesen. Damals hatte ich Eric als meinen Bruder betrachtet. Doch das war vorbei. Im Moment gingen wir uns aus dem Weg oder taten, als würden wir uns nicht kennen.

Eines von Erics Augen war dunkel geschwollen, darunter prangte eine Platzwunde. Seinem Gegner schien es nicht besser zu gehen. Blut lief ihm aus der Nase, sie sah schief aus. Vermutlich gebrochen.

Plötzlich schrie jemand: »Vorsicht, da kommt jemand!« Die Zuschauer drifteten auseinander. Ich konnte meinen Klassenvorstand Professor Haberling entdecken, der die Streithähne trennte, indem er Erics Kontrahent an der Hüfte packte und nach hinten zog. Eric konnte seinem Kontrahenten noch einen Tritt verpassen, bevor ein weiterer Professor ihn wegzog. Eric brüllte weiter seinen Gegner an.

Professor Haberling ging mit dem anderen Schüler in das Schulgebäude, wo wir an einem Fenster standen. Bei uns angekommen, gab er ihm ein Taschentuch, damit er seine gebrochene Nase bedecken konnte. Blut war über sein Kinn gelaufen, und seine rechte Wange und sein Hals waren blutverschmiert. Sein Shirt war ebenfalls blutgetränkt.

Ich sah zu Eric. Wild gestikulierte der Professor neben ihm mit seinen Händen. Wir waren erst seit einem Monat auf der Schule, und schon war er in eine Schlägerei verwickelt.

Was ist mit ihm los? Hat er schon wieder eine Schlägerei angezettelt? Was ist nur aus dem netten Burschen geworden?

Als ich weitergehen wollte, kam mein Klassenvorstand auf mich zu. »Fräulein Nolan? Gut, das ich Sie hier treffe. Sie werden im Sekretariat erwartet.« Mit der Hand bedeutete er mir, voranzugehen – was ich dann auch tat. Er begleitete mich bis zum Büro, öffnete mir die Tür und sagte: »Peggy, ich habe sie gleich mitgebracht.«

Die Sekretärin, eine ältere Dame, blickte von ihrem Schreibtisch auf. »Sie sind also Elina Nolan?«

Ich nickte.

Sie stand auf, ging zu einem grauen Metallschrank zu ihrer linken Seite, öffnete eine von vier großen Schubladen und kramte einige Sekunden darin. Dann schien sie fündig geworden zu sein und zog einen braunen Aktenumschlag heraus. Während sie sich wieder setzte, legte sie ihn auf ihren Tisch. Mit dicken Buchstaben stand mein Name drauf.

Sie öffnete die Akte, blätterte darin, ohne mich anzusehen. Schließlich sagte sie: »Normalerweise übersehe ich so etwas nicht. Ihr Vater hat bei Ihrer Einschreibung ein paar Fragen nicht beantwortet.«

»Was fehlt denn?«

»Er hat keine Angaben über Ihre Mutter gemacht.« Sie hob das leere Formular in meine Richtung so, dass ich es sehen konnte.

»Das liegt vielleicht daran, dass meine Mutter gestorben ist.« Ich bemühte mich, es nicht trotzig klingen zu lassen.

»Das tut mir leid, aber ein paar Informationen brauche ich trotzdem.« Sie starrte mich lange an.

Also seufzte ich und sagte: »Gut, was wollen Sie wissen?«

»Wie hieß Ihre Mutter?«

»Elsbeth Nolan.«

Sofort trug sie die Information ein. »Wie lautete ihr Geburtsname? Und der Geburtstag?«

Gebannt starrte ich auf den Zettel. »Tut mir leid, das weiß ich nicht.«

Etwas genervt klopfte die Sekretärin mit dem Kugelschreiber aufs Papier. »Woran ist Ihre Mutter gestorben?«

»Soweit ich weiß, an einem Nierenversagen.«

»Soweit Sie wissen? In welchem Krankenhaus soll das passiert sein?«, fragte sie ungeduldig.

Auch das wusste ich nicht. Die Fragen und ihre unfreundliche Art wurden mir immer unangenehmer. »Wenn Sie mir das Formular geben, könnte ich es meinen Vater zeigen«, schlug ich ihr vor.

Sie zögerte, schien die Möglichkeiten im Geiste durchzugehen, presste schließlich ein »Das wäre nett von Ihnen« heraus und gab mir das Formular. »Könnten Sie auch den Teil mit den Gesundheitsfragen mitnehmen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, reichte sie mir noch ein Blatt.

Ich las die ersten Fragen. »Das kann ich selbst beantworten.«

Sie gab mir ihren Kugelschreiber, und ich füllte die Fragen aus. Das war leicht, denn ich war noch nie krank oder in einem Krankenhaus gewesen. Ich hatte zwar einen Hausarzt, aber dort holte ich hauptsächlich Medikamente für meinen Vater. Ich gab das Formular zurück und verabschiedete mich.

Am Abend erzählte ich meinem Vater von den Fragen. Den Blick in seine Zeitung gesenkt, meinte er, dass die Schule das nichts anginge.

»Aber Papa, bitte! Mir würden diese Informationen auch sehr viel bedeuten. Du sprichst nie von ihr. Ich möchte so gerne wissen, wie sie war. Was sie zum Lachen und zum Weinen gebracht hat. Wart ihr glücklich zusammen? Wie habt ihr euch kennengelernt?«

Er legte die Zeitung beiseite und fing an, sich grob die Schläfen zu massieren. »Es ist genug. Ich habe dir schon gesagt, dass ich nicht über sie sprechen möchte. Und nun werde ich ins Bett gehen. Von deinen Fragen bekomme ich Kopfschmerzen.« Damit stand er auf und ging in sein Schlafzimmer.

Und wie immer, wenn er mich auf diese Art stehen ließ, fing mein Herz zu rasen an und meine Gedanken überschlugen sich. Er versteht mich nicht, das hat er nie getan! Heulend lief ich in mein Zimmer und stieß die Tür zu.

 

 

***

Wütend über mich selbst schlug ich die Decke über meinen Kopf. Verdammt. Mein Dämon. Er hat mich wieder überwältigt. Wie schon unzählige Male vorher, hatte er mich umzingelt. Immer enger wurden seine Kreise, bis er sich schlussendlich mit einem teuflischen Lachen auf mich gestürzt hatte. Er hatte mir die Worte zugeflüstert, die notwendig waren, damit ich das tat, was ich verabscheute. Doch auch dieses Mal hielt er seine Versprechung nicht. Wieder machte die Verheißung einer Leere Platz, die sich nun zehnmal schlimmer anfühlte als vorher. Wieder hatte er gesiegt, und während ich mich verfluchte, trat er gehässig zurück in die Dunkelheit – wohl wissend, dass er das nächste Mal abermals siegen würde.

Ich wusste nicht, wann mich mein Dämon das erste Mal besucht hatte. Soweit ich mich erinnern konnte, war er schon immer da gewesen. Er hatte mich mein Leben lang begleitet. Mich gequält. Mich verletzt. Vor langer Zeit schon hatte ich entschieden, ihm den Rücken zuzukehren. Doch ich scheiterte immer wieder. Ich wusste, dass ich Hilfe brauchte. Von meinem Vater konnte ich diese nicht erwarten. Wir sahen uns ohnehin kaum, geschweige denn, dass wir miteinander sprachen. Meistens war er schon in der Arbeit, wenn ich aufstand. Und hatte er mal Spätschicht, lag er am Morgen noch im Bett. Oft bemerkten wir einander tagelang nicht, und falls wir uns doch einmal in der Küche über den Weg liefen, konnte man uns in unserer Meisterdisziplin »Wer redet am wenigsten?« oder »Wer schafft es am schnellsten zurück ins Zimmer?« beobachten. Selbst Eric hatte ich nie von meiner Schwäche erzählt. Zu sehr schämte ich mich dafür. Und so hatte der Dämon immer freien Zugang. Zu mir. Zu meiner Seele. Und immer mehr verlor ich etwas von mir selbst. Stück für Stück. Blutstropfen für Blutstropfen.

Mit meiner Jacke in der Hand stürmte ich aus dem Haus. Ich musste hier weg, bevor mein Dämon wieder die Gelegenheit bekam, mich heimzusuchen.

Ohne es zu wollen, landete ich vor Erics Haus.

»Suchst du Eric?«, fragte mich eine freundliche weibliche Stimme.

Verwundert drehte ich mich um. »Tante Sarah!«, quietschte ich. Sofort umarmten mich zwei zarte Arme und drückten mich fürsorglich an sich. Das Gefühl, das ich dabei empfand, war unbeschreiblich. Solange wie möglich versuchte ich, mich an diesem Gefühl festzuhalten. Doch es gelang mir nicht.

»Wow, Lina, lass dich ansehen!« Während sie mich einmal im Kreis drehte, plapperte sie weiter. »Du siehst richtig erwachsen aus! Schön, dich wiederzusehen. Du hast dir die Haare wachsen lassen, oder? Sieht toll aus! Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Ein Jahr? Nein, das muss länger her sein. Warte.« Sie hob ihre Finger und zählte sie ab. Das war Sarah, hektisch wie immer.

Ich nahm ihre Hand in meine. Sie war warm und weich. »Ja, es ist schon mehr als ein Jahr her. Tante Sarah? Wie geht es dir?«

»Lina, kümmerst du dich schon wieder zuerst um alle anderen? Dabei siehst du selbst bedrückt aus. Möchtest du nicht reinkommen?«

Meine Verzweiflung kam wieder auf und nahm mir den Atem. Tränen sammelten sich in meinen Augen, deswegen starrte ich beschämt zu Boden.

»Du kannst drinnen auf Eric warten. Ich denke, er wird gleich zurück sein. Zumindest hat er mir das gestern hoch und heilig versprochen«, sagte sie und sah dabei gespannt auf die Uhr.

Ich blickte in ihr immer noch jugendlich aussehendes Gesicht. Ihre langen Haare, zu einem stufigen Pony geschnitten, umrandeten es. In ihren Augen brannte ein lebhaftes Feuer. »Sarah, du weißt doch, dass Eric und ich nicht mehr befreundet sind. Er hat es dir bestimmt erzählt.« Eric und sie hatten nie eine richtige Mutter-Sohn-Beziehung gehabt, sie pflegten ein eher freundschaftliches Verhältnis. Ich war davon ausgegangen, dass Sarah von der Entfremdung zwischen Eric und mir wusste.

Ein wissendes Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Lina, du weißt, wie sehr er dich mag. Vom ersten Augenblick an, als er dich als Zweijähriger auf der Straße gesehen hat, hast du Eric mit deinen großen blauen Augen verzaubert. Und das wird immer so bleiben. Er freut sich bestimmt, dich zu sehen! Da bin ich mir sicher! Komm rein, ich mach dir eine heiße Schokolade, und dann erzählst du mir, was dich so betrübt.«

Ich war mir nicht sicher, ob Eric sich wirklich über meinen Besuch freuen würde, doch wenn ich nur kurz mit Sarah sprechen könnte, würde sie mir sicher helfen können. Ihre Ratschläge waren immer die besten. Könnte ich mit ihr über meinen Dämon sprechen? Ich musste es tun. Ich musste mit irgendjemandem darüber reden. Ein innerer Kampf entbrannte in meinem Kopf.

Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte Sarah: »Ach, ich Dummerchen! Was rede ich da, dafür bist du doch schon viel zu erwachsen! Ich kann dir einen Tee oder besser einen Kaffee machen! Entschuldige, ich vergesse das immer. Ihr zwei seid so schnell groß geworden.«

»Nein, ich denke, für deine heiße Schokolade ist man nie zu alt. Das ist genau das, was ich jetzt brauche!«

Mit einem freundlichen Lächeln legte Sarah ihren Arm um meine Schultern und sagte: »Toll, also lass uns reingehen.«

Im Haus hatte sich nichts verändert, es war, als wäre ich nie weg gewesen. Beim Betreten fühlte ich mich immer noch sofort willkommen. Das Haus strahlte die gleiche Wärme aus, die Sarah ebenfalls verbreitete. Sarah hatte ihren eigenen Stil, den sie mit ihren teils nur noch mit Klebeband zusammengehaltenen Möbeln zum Ausdruck brachte. Für sie hatte jeder Gegenstand ein Recht auf Existenz, auch wenn man ihn schon lange nicht mehr benutzen konnte. Daran konnte wohl auch ihr neuer Mann, Erics Stiefvater, nichts ändern.

Sie dirigierte mich auf ihre Couch, und während sie in der Küche die heiße Schokolade zubereitete, unterhielten wir uns über die guten alten Zeiten.

Wir kicherten und lachten genauso wie früher. Irgendwann kam sie mit einem hübsch dekorierten Tablett zu mir und stellte es vorsichtig auf den Tisch. Sie überreichte mir eine Tasse und setzte sich zu mir. »Also«, sagte sie, »erzähl mir, was los ist.« Während sie das sagte, griff sie nach der verbliebenen Tasse.

Ich umschloss fest meine Tasse, vielleicht in der Hoffnung, mich daran festhalten zu können. Kurz nippte ich und genoss den Schluck warmer Schokolade, der mir samtig die Kehle hinunterfloss.

So hatte ich genügend Zeit, mir die passenden Worte zu überlegen. »In der Schule hat man mir heute komische Fragen über Mama gestellt, und ich weiß doch überhaupt nichts von ihr. Und Papa … Er …«

Was soll ich ihr sagen? Dass mir sein Verhalten wehtut und ich damit nicht umgehen kann?

»Ja, was ist mit Eddie?«, unterbrach Sarah meine Gedanken.

»Er wird jedes Mal so komisch, wenn ich ihn über Mama ausfrage.«

»Eddie soll sich bloß nicht so anstellen! Die Antworten auf deine Fragen sind wichtig für dich. Ich würde sie dir gerne geben, aber ich kannte deine Mutter nicht. Eric und ich sind erst hergezogen, als du ein Jahr alt warst. Ich habe zwar einmal versucht, etwas über deine Mama zu erfahren, aber dein Vater hat mir auch nicht viel erzählt. Also wenn dir Eddie keine Infos geben will, kram doch etwas in den alten Unterlagen und Fotos. Es ist zwar nicht ideal, aber besser als nichts. Und dann kannst du … « Sie stoppte mitten im Satz und blickte zum Vorzimmer. »Eric? Bist du das? Warum kommst du erst jetzt? Schau doch mal, wer hier ist!«

Hastig stellte ich meine Tasse auf das Tablett. Ich sollte jetzt gehen, deswegen stand ich auf.

Sarah nahm verwundert meine Hand, blickte mich kurz an und sagte: »Ich komm gleich. Das ist bestimmt Eric.« Dann ging sie zur Tür.

Ich überlegte, durch die Terrassentür zu verschwinden, verwarf meinen Plan aber wieder, als ich Erics Worte vernahm. »… Was heißt, Lina ist da? Spinnst du? Du weißt, warum sie nicht hier sein darf!«, hörte ich ihn sagen.

Mit diesen Worten kam er regelrecht ins Wohnzimmer gestürmt und fixierte mich mit einem drohenden Blick. »Was machst du hier?«, fuhr er mich an. Er blickte wieder zu Sarah, die hinter ihm herkam. »Wieso lässt du das zu? Und wo verdammt nochmal ist er?«

»Meinst du deinen Vater? Er ist noch nicht da. Aber warum bist du so aufgebracht?«, fragte Sarah sichtlich verwirrt.

»Jetzt tu bitte nicht so, als wäre nichts passiert. In welcher scheinheiligen Welt bewegst du dich? Wach auf! Du bist alt genug!« Eric schüttelte wütend seinen Kopf.

Ich sah, mit welcher Wucht seine Worte Sarah trafen. Ich kannte Erics aggressive Veränderung bereits, doch ich hätte nicht erwartet, dass er sich auch Sarah gegenüber so verhielt. Ich sprang auf. »Tante Sarah, ich danke dir für deine Hilfe. Wir werden unser Gespräch ein anderes Mal fortführen müssen.« Zart küsste ich Sarah auf die Wangen und ging zur Tür. Ohne Eric anzublicken, marschierte ich an ihm vorbei.

Er verfolgte mich bis zur Haustür.

Als ich die Türklinke drücken wollte, griff er dazwischen. »Lina …«, stammelte er, riss die Türe auf und ließ abrupt den Griff los. Nervös biss er sich auf die Unterlippe. »Komm bitte nie wieder hierher«, murmelte er, ohne mich anzusehen.

Ich ging schnell nach draußen.

Er schmiss die Tür von innen mit so einer Wucht zu, dass die Fenster vibrierten.

Nein, mein anfängliches Gefühl hat sich getäuscht. Das hier hat nichts mehr mit meiner Vergangenheit zu tun. Die Veränderung ist auch hier eingezogen. Ich bin hier nicht mehr willkommen.

 

 

***

<< Am nächsten Morgen >>

Nervös trippelte ich einige Zeit vor dem Sekretariat herum. Mir war eine passende Lösung eingefallen. Nachdem mein Vater zur Arbeit gegangen war, hatte ich das gesamte Haus nach Unterlagen über meine Mutter durchsucht. Seltsamerweise waren die wenigen Dokumente, die ich fand, sämtlich vor meiner Geburt ausgestellt worden. Spätere gab es nicht mehr. Weder fand ich Unterlagen über ihren Tod, noch eine Sterbeurkunde oder Belege über ihren Aufenthalt im Krankenhaus, in dem sie verstorben sein sollte. Es gab nicht einmal eine Sterbeparte. Es schien, als wäre sie vom Erdboden verschluckt worden. Was ich an Informationen über meine Mutter herausfinden konnte, hatte ich auf dem Formular angegeben, und den Rest hatte ich mir einfach ausgedacht. Ich nahm an, dass sowieso niemand die Angaben kontrollieren würde.

Ich betrat das Sekretariat und legte hastig das ausgefüllte Formular auf den Tisch. Die Sekretärin überflog das Blatt und bedankte sich. Ich verabschiedete mich und griff nach der Türklinke, da wurde die Tür von außen aufgezogen.

Mein Herz blieb für einige Sekunden stehen.

Dort im Türrahmen stand Alaric und füllte ihn gänzlich aus. Er hielt mir die Tür auf, trat aber nicht zur Seite.

Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als mich an ihm vorbei zu drücken. Ich holte tief Luft, presste meine Bücher an meinen Körper und ging auf ihn zu.

Der Boden zitterte … Nein, ich zitterte. Erneut bemerkte ich diese widersprüchlichen Reaktionen in meinem Körper. Zu der offensichtlichen Anziehungskraft, die dieser Mann ausströmte und die mich warm umhüllte, gesellte sich etwas Anderes. Etwas Dunkles, Bedrohliches. Jeder Teil meines Körpers schrie mich an: Flieh! Flieh!

Plötzlich rutschten mir die Bücher aus meinen zittrigen Händen und fielen auf denBoden. Schnell bückte ich mich, um sie aufzuheben.

Er tat das Gleiche, und so fanden wir uns Kopf an Kopf auf dem Boden wieder. Die ihm eigene männliche Duftnote umhüllte mich. Er roch nach irgendeinem Gewürz, nach Muskat und nach noch etwas Anderem: Leder, viel Leder. Fest sog ich seinen Duft ein, und kurz schlossen sich meine Augen. In dem Moment kam es mir vor, als hätte ich noch nie etwas Besseres in meinem Leben gerochen.

Er hielt mir meine Bücher hin, doch ich konnte ihn nur anstarren. Wie konnte ich gleichzeitig so überwältigt und so verängstigt sein?

Er räusperte sich.

Schlagartig kam ich zu mir. »Danke«, krächzte ich. Gleichzeitig standen wir wieder auf.

Hat er bei unserer ersten Begegnung auch diese schweren Militärstiefel und die schwarze Lederhose angehabt? Wie er so dasteht, er wirkt stolz, als würde ihm die Welt zu Füßen liegen, … oder nein, als würde sie ihm gehören!

Er war mindestens zwei Köpfe größer als ich. Sein Gesicht war meinem so nahe, dass wir uns hätten küssen können. Bei dem Gedanken färbten sich meine Wangen rot.

Plötzlich wurde sein Blick hart.

Hat er meine Gedanken erraten? Erschrocken blickte ich auf den Boden.

»Peggy, ich werde die notwendigen Unterlagen ein anderes Mal sichten«, hörte ich ihn sagen, und als ich erneut aufblickte, hatte er das Sekretariat bereits verlassen.

Eine überwältigende Leere breitete sich in meinem Brustkorb aus. Unverzüglich musste ich an meinen letzten Traum denken und empfand unversehens die gleiche schmerzliche Einsamkeit. Ich wollte dieses Gefühl loswerden und folgte ihm schnell durch die Tür. Draußen stand der muskelbepackte blonde Bär – der mich gegen die Wand gestoßen hatte – mit zwei weiteren Typen. Die drei sahen mich fragend an. Alaric war bereits oben an der Treppe angelangt, als sich der blonde Bär und ein Weiterer aufmachten, um ihm zu folgen. Schnell verschwanden sie am oberen Treppenabsatz.

Der Dritte starrte mich durchdringend an, machte ein paar Schritte auf mich zu – instinktiv wich ich zurück. Da sich die Tür zum Sekretariat bereits verschlossen hatte, stieß ich mit dem Rücken dagegen. Er trug seine braunen Locken schulterlang. In Ohrläppchen, Augenbrauen und in Unterlippe trug er silberne Piercings. Er war groß und muskulös, nicht so sehr wie der blonde Bär, aber dennoch eine beeindruckende Erscheinung. Vielleicht lag es an den vielen Piercings, aber auf jeden Fall war ich mir sicher, dass ihn so schnell nichts umhauen könnte.

Der Typ blieb knapp einen Meter vor mir stehen. Sein Blick war bohrend.

Ich verspürte ein leichtes Druckgefühl in meinem Kopf. Anders als bei dem Bär fühlte ich mich sonderbarerweise von dem Lockenkopf nicht bedroht. Im Gegenteil, ich fühlte mich ruhig, entspannt und zufrieden. Aber nicht nur das. Seltsamerweise fühlte ich mich glücklich.

»Don … kommst du? Wir warten!«, sagte eine männliche Stimme.

Das angenehme Gefühl ließ urplötzlich nach. Mit einem stillen Wehklagen über diesen Verlust sah ich zum Treppenabsatz, von wo die Stimme kam, und sah den Typen, der mit Alaric und dem muskelbepackten Bären mitgegangen war. Sein fragender Blick ruhte kurz auf mir.

Während der gepiercte Lockenkopf – Don, wie ich jetzt wusste – die Treppen hinauflief, dachte ich an das warme, angenehme Gefühl zurück.

Wie auch immer er das angestellt hatte, es war schade, dass das Gefühl nicht länger angedauert hatte. Und so wurde mir bewusst, wie alleine ich mich gefühlt hatte … wie einsam ich mich immer fühlte.

 

 

***

Mittagspause! Wie immer, wenn die Glocke zur Mittagspause läutete, stand ich von meinem Platz im Klassenzimmer auf und ging hinunter in den Pausenraum.

Ich wusste inzwischen, dass recht wenige Mädchen die Schule besuchten. Die fünf, die an einem Tisch in meiner Nähe saßen, kamen wohl aus der gehobeneren Schicht, nach ihren Kleidern zu urteilen. Ich schätzte sie ein oder zwei Jahre älter als mich, zumindest waren sie keine neuen Schülerinnen. Samantha Riley hieß eines der Mädchen. Samantha, oder Sam wie ihre Freundinnen sie nannten, sah aus wie ein Model aus einem Modekatalog: blond, schlank und schick gekleidet. Sie war wohl die Anführerin, sprach über Mode und irgendwelche »ach so tollen Jungs«, die ihr sicher bald aus der Hand fressen würden. Die anderen Mädchen, die nicht so hübsch waren wie sie, versuchten sie mehr oder weniger erfolgreich zu kopieren. Immer wenn Samantha lachte, stimmten ihr Anhang im Chor lautstark mit ein.

Langsam kaute ich an meinem Brot herum und entdeckte Eric mit einigen meiner Klassenkollegen. Sie standen in einer Runde und wählten gerade ein neues Opfer für ihre Späße aus. Ich seufzte.

Als Samantha Eric bemerkte, drehte sie sich zu ihren Freundinnen und flüsterte ihnen etwas zu, dann fing sie zu kichern an. Er schien ihr zu gefallen. Auch ich musste zugeben, dass Eric gut aussah. Er war schlank, hochgewachsen und muskulös, sah überhaupt nicht aus wie ein Siebzehnjähriger, sondern schon eher wie ein Mann Mitte Zwanzig. Sein Haar war braun, und wenn er mal seine Kappe abnahm, stand es frech vom Kopf ab. Aber nicht nur sein Aussehen machte ihn attraktiv. Es war auch seine Art, mit der er sich charmant in Szene zu setzen wusste. Er wusste, dass er gut ankam. Cool zog er an seiner roten Basketballkappe und nickte Samantha zum Gruß.

Dann blickte Eric zu mir. Ich wusste, was dieser fragende Blick bedeutete. Konnte er mich nicht in Ruhe lassen?

Ich packte mein Pausenbrot in meinen Rucksack, stand auf und ging eine Ebene weiter nach unten. Im unteren Bereich der Schule waren die Garderoben. Dort fummelte ich gereizt am Zahlenschloss meines Spinds herum. »Verdammtes Schloss!«, schimpfte ich. Gerade, als ich die Tür mit dem Fuß auftreten wollte, legte sich von hinten ein Schatten über mich. Eine Hand stützte sich neben meinem Spind ab.

Sein würziger Duft nach Muskat umhüllte mich. »Brauchst du Hilfe?«

Ich drehte mich um und blickte in dunkelblaue leuchtende Augen. Oh mein Gott! Alaric.

Sein Körper war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich konnte seine Wärme spüren. Sein Gesicht war über meines gebeugt. Ich war verzaubert, verlor mich in seinem Anblick.

»Soll ich es mal versuchen?«, fragte er und dabei lächelte er mich unverschämt an.

Panisch drehte ich mich um. »Nein, danke, ich … ich komme schon klar.« Ich konnte seinen Atem an meinem Ohr hören, dabei zuckte mein Rücken leicht, als stünde er unter Strom. Wie ferngesteuert drehte ich mich um. Seine Augen! So ein dunkles, tiefes Blau hatte ich noch nie gesehen. Dennoch scheinen sie mir so vertraut.

Irgendwann löste er seinen Blick und trat etwas zurück. Seine Miene hatte sich nicht verändert.

Ich probierte weiterhin an dem Zahlenschloss herum. Immer wieder gab ich die Zahlen ein, aber mit meinen zittrigen Fingern wollte es mir nicht gelingen, das Schloss zu öffnen. Erneut spürte ich seinen Blick auf mir. »Was willst du von mir?«, fragte ich und biss die Zähne fest aufeinander.

»Ich wollte mich wegen Magnus entschuldigen.« Die Worte kamen freundlich aus seinem Mund. Besorgnis schwang mit.

»Magnus? Wer ist das?« Ich gab auf und ließ meine Arme sinken. Plötzlich stand er wieder neben mir. Seine Augen hatten sich verändert, sie waren jetzt noch dunkler, fast schwarz. Er sagte etwas, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas fest gegen meine Stirn drückte. Um die Verwirrung abzuschütteln, bewegte ich den Kopf. »Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden.«

Jetzt sah er mich verwirrt an. Er räusperte sich. »Der Vorfall neulich, du weißt schon, im Werkstättengang«, sagte er mit seiner tiefen Stimme.

Der Schleier verzog sich langsam, und als ich wieder klarer denken konnte, antwortete ich: »Das war Magnus? Aber warum kommt er nicht selbst, um sich zu entschuldigen?«

»Er hat es nicht so mit dem Entschuldigen.« Alaric nahm das Schloss in die Hand, und mit einem lautem »Klack« sprang es auf. Er entriegelte den Spind für mich und lehnte sich cool daneben.

Ich hatte gerade noch Platz, um die Tür zu öffnen. Ich stopfte die Bücher für die nächsten Fächer in meinen Rucksack. »Gut, Entschuldigung angenommen. Sonst noch etwas?«

»Lina? Darf ich Lina sagen?«

Ich nickte.

Überraschend berührte er meine Hand. Sofort brannte sie, als hätte er sie ins Feuer gelegt. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog ich sie weg. »Was zum Teufel ist das?«

Er hatte sein Gesicht noch näher zu mir gebeugt und blickte mich mit einem Mal unerwartet finster an. »Wer bist du wirklich? Wer hat dich geschickt?«, fragte er.

Der Druck auf meine Stirn wurde stärker und stärker. Ohne, dass ich es wollte, bewegten sich meine Lippen, und ich hörte mich sagen: »Ich bin Elina Nolan. Ich bin 17 Jahre alt. Es hat mich niemand geschickt.«

»Aber warum bist du hier, ausgerechnet an meiner Schule?«, forderte die Stimme weiter.

»Warum nicht? Ob hier oder woanders, ich warte, bis mein richtiges Leben beginnt.«

Alaric riss die Augen auf und dann fing er laut zu lachen an.

Verwirrt schüttelte ich meinen Kopf. Was passiert hier gerade? Ich wusste es nicht. Meine Gedanken ließen sich nicht fassen, entschlüpften mir immer wieder. Bis nichts mehr da war in meinem Kopf.

Jemand räusperte sich. Verwirrt folgte ich Alarics Blick zur Treppe nach oben. Dort standen Magnus und die anderen beiden Freunde von Alaric. Don, den ich vor dem Sekretariat kennengelernt hatte, der Typ mit den vielen Piercings, blickte zu Alaric und sagte schließlich: »Es ist Zeit.«

Alaric nickte. »Wir sehen uns«, sagte er zu mir und verschwand schnell. Mit einem Lächeln, einem bezaubernden Lächeln.

 

 

***

Im Mechanik-Unterricht informierte uns der Professor, dass wir im nächsten Monat ein Projekt abliefern müssten. Wir durften dazu alle Einrichtungen der Werkstätte und des Labors benutzen, und mussten zu zweit zusammenarbeiten. Er begann, die Namen der von ihm definierten Zweierteams vorzulesen.

Wie hypnotisiert starrte ich nach vorne zum Lehrertisch. Bitte lass es nicht Eric sein, mit dem ich zusammenarbeiten soll. Bitte nicht Eric! Den schlaksigen Typen schräg vor mir, dessen Namen ich mir nicht merken kann oder den mit den vielen Pickeln und den großen Ohren, ganz egal, aber bitte nicht …

Da ertönte die Stimme des Lehrers: »Fräulein Nolan und Herr Sommer werden uns ihr Wissen über die Hydro- und Aeromechanik weitergeben. Bei diesem Projekt bestehe ich darauf, dass ihr einen Versuch im Windkanal macht.«

Innerlich pfauchte ich. Natürlich!Ausgerechnet Eric!

Die Schüler verließen das Klassenzimmer und suchten sich Plätze, wo sie sich ungestört mit dem Partner besprechen konnten.

Ich raffte langsam mein Zeug zusammen und sah aus dem Augenwinkel, wie Eric locker in meine Richtung geschlendert kam. Er sah mich freundlich an. Doch ich fürchtete mich jetzt schon davor, dass wir uns wieder in die Haare kriegen würden.

Als er an meinem Tisch ankam, blickte ich ihn böse an. Er dagegen lächelte. »Schau nicht so, ich kann doch nichts dafür. Was hältst du von einem Waffenstillstand?«

»Waffenstillstand?« fragte ich ungläubig. »Ich habe keinen Krieg mit dir angefangen.«

»Da hast du recht«, sagte er. «Na gut, also kein Waffenstillstand. Von mir aus, dann machen wir so weiter wie bisher.«

Schweigend kramte ich mein Zeug zusammen und folgte ihm durch die labyrinthartigen Gänge im Werkstättengebäude. »Wo gehen wir hin?«, fragte ich nach einiger Zeit.

»Zum Windkanal. Ich weiß von Sam, dass dort kaum Schüler vorbeikommen.«