Arvid und das uralte Versprechen - Paula Roose - E-Book

Arvid und das uralte Versprechen E-Book

Paula Roose

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Beschreibung

Wenn nur diese Römer nicht wären! Dann hätte Arvids Vater nicht seinen ganzen Besitz verloren und Arvid müsste nicht vor den Toren von Betlehem sitzen und Schafe hüten. Viel lieber würde er in die Synagogenschule gehen. Zum Glück gibt es seinen besten Freund Nathan. Doch treffen können sie sich nur heimlich. Nathans Vater sieht es gar nicht gerne, wenn sein Sohn mit einem Hirten spielt. Ja, und wenn diese Römer nicht wären, dann gäbe es auch keine Volkszählung. Nur weil der Kaiser mehr Steuern will, ist ganz Israel unterwegs. Das kümmert Arvid wenig, bis er ein junges Paar sieht, das keine Unterkunft findet. Dabei ist die Frau hochschwanger. Wenn nur dieser Streit mit Nathan nicht wäre! Dann hätte Arvid nicht so schlechte Laune und dem jungen Paar geholfen. Sollen sie ihr Kind auf der Straße bekommen? Das will Arvid dann doch nicht zulassen. Um zu helfen, braucht er Nathan. Aber der ist nirgends zu finden.

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Inhaltsverzeichnis

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Bibelstellenverzeichnis

1.

Arvid sprang einen Felsen hinab. Geschickt kletterte er von Stein zu Stein, bog dann in den Olivenhain ab und steuerte direkt auf die Midbar zu. Das war jenes Gelände, das für einen Anbau zu steinig war und deshalb den Schafen überlassen wurde.

Hinter ihm lag Bethlehem. In den Fenstern der Häuser brannten die ersten Öllampen. Nicht mehr lange und die Sonne würde hinter dem Horizont versinken.

Eine Schafherde war Arvids Ziel. Der zwölfjährige Hirtenjunge verbrachte schon lange seine Tage hier draußen jenseits der Stadtmauer. Und seit er seine Bar-Mizwa gefeiert hatte die Nächte, denn jetzt galt er als erwachsen. Eigentlich hätte er bei dieser Feier in der Synagoge aus der Tora vorlesen sollen. Doch Arvid konnte nicht lesen, weil er nicht zur Schule gehen durfte.

Das war nicht immer so gewesen. Mit fünf Jahren hatte er, wie alle Jungen der Stadt, die Synagogenschule besucht und die ersten hebräischen Buchstaben gelernt. Seinem Vater Ibrahim gehörten große Schafherden und außerdem ein paar Weinberge um Bethlehem. Aber dann kam die Dürre und im folgenden Jahr die nächste. Ibrahim musste Schulden machen, konnte nichts zurückzahlen und verlor seinen Besitz an einen Gutsherrn, der in den Diensten des Königs Herodes stand. Gnädigerweise durfte Ibrahim die Schafe noch hüten – als Hirte. Doch der Lohn des Vaters reichte nicht für die ganze Familie. Arvid musste helfen und der Unterricht in der Synagoge fand fortan ohne ihn statt.

Zu Anfang hatte er seinen Vater noch bestürmt, dass er ihm doch das Lesen und Schreiben beibringen möge. Ibrahim wollte nicht. »Wozu soll ein Hirte Lesen lernen?«, hatte er gesagt und den Kopf geschüttelt.

Die Schafe begrüßten Arvid mit lautem Blöken, doch sein Vater schaute ernst. »Da kommt ja mein pflichtvergessener Sohn«, sagte er, ohne ihn anzusehen. »Wenn du zu spät kommst, wird es dir vom Lohn abgezogen. Sollen deine Mutter und deine Schwester im Dunkeln sitzen, weil das Geld für Lampenöl nicht reicht?«

»Entschuldige, Vater«, antwortete Arvid kleinlaut. »Ich habe Mutter noch geholfen.«

Ibrahim wandte sich ab und Arvid hoffte, dass seine kleine Lüge nicht auffliegen würde. Er war zu spät, weil er am Stadttor Nathan getroffen hatte, den einzigen Freund, der ihm geblieben war. Sie hatten sich für die Nacht verabredet, denn von Zeit zu Zeit kam Nathan Arvid besuchen.

Aber sie mussten sich heimlich treffen, denn Nathans Vater Mato sah die Freundschaft der beiden Jungen nicht gerne. Dabei war er früher selbst mit Ibrahim befreundet gewesen. Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er ihm nicht geholfen hatte, als dieser sein Land verlor. Als reicher Kaufmann wäre es ihm ein Leichtes gewesen.

Arvid suchte sich einen Platz an der Ostseite der Midbar, in sicherer Entfernung zu seinem Vater. Bei Nacht war es hier nicht ungefährlich. Wölfe heulten zumeist, bevor sie angriffen. Aber Löwen schlichen sich an. Hätte Arvid nicht seinen sechsten Löwensinn, wie er es nannte, es wäre schon einige Male übel ausgegangen.

Die Dämmerung war nun endgültig der Dunkelheit gewichen und der Mond schien voll und rund am sternenklaren Himmel. Eisiger Wind wehte Arvid um die Nase. In den Nächten konnte es auf den Hängen um Bethlehem empfindlich kalt werden. Aber außer einem gelegentlichen Blöken der Schafe und dem Zirpen der Grillen störte kein Laut die Nachtruhe.

»Hey Arvid! Bist du das?«

»Nathan, komm rüber. Wo warst du so lange?«

»Mein Vater gibt ein Fest. Bin nicht weggekommen.« Nathan schlupfte zwischen zwei Olivenbäume hindurch und ließ sich neben Arvid nieder.

»Und ich dachte schon, ich müsste die Nacht hier allein verbringen.«

»Wieso allein?« Nathan schubste Arvid freundschaftlich. »Du hast doch die Schafe.«

Er knuffte ihn zurück. »Ja klar. Mit denen kann ich mich fast besser unterhalten als mit dir.«

Die Jungs lachten. Diese Nacht war für Arvid gerettet.

Joel, der Chefhirte, schaute bei ihnen vorbei. Er nickte kurz, als er Nathan sah, und verschwand wieder. Auf Joel war Verlass. Er würde die Freunde nicht verraten.

Arvid griff sich einen Stock und zeichnete damit auf den Felsen. »Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«

2.

Nathan streckte seine Brust vor. »Was ist denn das für eine Frage? Meinst du doch nicht ernst?

Natürlich kann ich das.«

»Es geht um ein echtes Geheimnis«, beschwichtigte Arvid. »Das darf niemals herauskommen.«

»Sag es mir.«

»Schwöre bei Jerusalem und dem Heiligen Tempel, dass du niemandem was erzählst.«

Nathan hob die Hand zum Schwur. »Ich schwöre. Jetzt sag schon. Was ist es?«

Arvid holte tief Luft und senkte die Stimme.

»Saham ist in Timna verliebt.«

Nathan riss die Augen auf. »Mein Bruder in deine Schwester? Nie im Leben.«

»Wenn ich es sage. Ich habe gesehen, wie sie sich angeschaut haben. Voll so.« Er ahmte den Blick seiner Schwester nach.

Nathan gluckste, wurde aber gleich wieder ernst.

»Weißt du, was passiert, wenn mein Vater das hört? Du musst Timna sagen, dass sie Saham vergessen soll.«

Er schüttelte seine braunen Locken. »Du kennst doch Timna. Keine Chance.«

»Mein Vater schickt Saham zu meinem Onkel, wenn er das rausfindet. Für immer.«

»Er findet das nicht raus. Nicht, wenn wir den beiden helfen.«

»Wie willst du denn helfen? Willst du sie zwischen den Schafen verstecken?«

»Nicht zwischen den Schafen, in einer Bauernhütte auf den Feldern.«

»Bist du blöd? Da wohnen Bauern drin.«

»Aber nicht am Sabbat. Dann gehen sie in ihre Häuser nach Bethlehem und in die Synagoge.«

Nathan strich sich über seine schwarzen Strubbelhaare. »Saham ist am Sabbat auch in der Synagoge.« Ein Zucken ging durch sein Gesicht.

»Nein, warte. Der alte David nutzt seine Hütte nicht mehr. Sie steht die ganze Woche leer.«

Arvid tippte sich an die Schläfe. »Klar doch. Die Hütte von David.«

Nathan zog die Stirn kraus. »Wenn sie erwischt werden, kann das übel enden.«

»Wir sagen nichts. Geheimnis für immer.«

»Jawohl. Geheimnis für immer.«

Sie schwiegen einen verschwörerischen Moment.

»Aber was machen die dann in der Hütte?«, überlegte Nathan.

Arvid grinste. »Du kannst blöde Fragen stellen.«

Joel tauchte neben den beiden Jungen auf. »Du solltest dich auf den Heimweg machen, Nathan.

Von Osten ziehen Wolken auf. Könnte heute noch ungemütlich werden. Besser Arvid geht ein Stück mit dir.«

Arvid wusste, was das bedeutete. Löwen waren in der Nähe und Joel wollte Nathan nicht beunruhigen. »Ja gut«, sagte er und sprang auf.

»Ich gehe mit Nathan. Passt du so lange hier auf?«

Joel nickte und deutete ihm an, sich zu beeilen.

Hastig liefen die Jungs den Hang hinauf. Kurze Zeit später hörten sie die Hirten rufen und klatschen.

Nathan drehte sich um. »Was machen die da?«

Arvid schob ihn weiter. »Keine Ahnung«, antwortete er schulterzuckend und versuchte, gleichgültig auszusehen. Aber sein Herz pochte. Er tastete mit der Hand nach seinem Gürtel. Dort war ein Beutel mit Steinen angebunden. Die hatten genau die richtige Größe, um Löwen in die Flucht zu schlagen.

Nathan bemerkte seinen Griff. »Bringst du mich bis zur Stadtmauer, Arvid?«

»Klar mach ich das.«

3.

Die Sonne brannte heiß in Bethlehem, obwohl es noch früh am Morgen war. Arvid lief barfuß durch die staubigen Straßen. Gleich nachdem er von seiner Hirtenwache gekommen war, hatte seine Mutter ihn zum Markt geschickt.

Ein breitschultriger Mann rempelte ihn an und für einen Augenblick verlor er das Gleichgewicht. Für diese frühe Stunde war die Stadt ungewöhnlich voll. Seit der römische Kaiser eine Steuerschätzung angeordnet hatte und das Volk zählen ließ, wimmelte es von Leuten. Viele hatten auf der Straße übernachtet, weil sie keinen Platz mehr in einer Herberge bekamen. Auch die nächste Nacht würden viele draußen schlafen, denn es war Sabbat. Niemand reiste an einem Sabbat ab.

Arvid freute sich über die Besucher. Jedenfalls heute. So konnte er mit der Menge in die Synagoge gehen, ohne dass er mit seiner abgewetzten Tunika auffiel. Hirten waren dort nicht gern gesehen. Sie galten als ungebildet und gottesfern, weil sie an den Versammlungen nicht teilnahmen. Wie auch, wenn man draußen vor der Stadt Schafe hüten musste?