Asgard - Eine Reise in die Götterwelt der Germanen - Walter Hansen - E-Book

Asgard - Eine Reise in die Götterwelt der Germanen E-Book

Walter Hansen

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Beschreibung

Götter, Mythen, uralte Rätsel – und eine Expedition zu den Wurzeln der germanischen Sagenwelt!

Gibt es die Welt der germanischen Götter wirklich? Ist Asgard mehr als nur ein mythologischer Ort? Ist Helheim tatsächlich ein verborgenes Reich tief unter der Erde? Und welche realen Landschaften verbergen sich hinter den Erzählungen von Riesen, Zwergen und der sagenumwobenen Weltesche Yggdrasil?

Der Autor Walter Hansen nimmt den Leser mit auf eine atemberaubende Reise nach Island, wo er mit detektivischem Spürsinn den ursprünglichen Schauplätzen der nordischen Mythologie nachgeht. Seine These: Die Edda-Dichter haben die spektakuläre Natur Islands – ihre Vulkanlandschaften, Geysire, Lavafelder und Gletscher – als Grundlage für ihre Erzählungen genutzt und sie in verschlüsselter Form in ihren Sagen bewahrt.

Mit einer Kombination aus wissenschaftlicher Analyse, geologischen Erkenntnissen und abenteuerlichem Forschergeist begibt sich Hansen auf Spurensuche:
Asgard – die sagenhafte Götterburg: Existiert sie tatsächlich in den Hochlandwüsten Islands?
Helheim – das Reich der Toten: Gibt es geologische Phänomene, die als Vorbild für die düstere Unterwelt dienten?
Die Welt der Riesen und Zwerge: Welche bizarren Felsformationen und Höhlenlandschaften spiegeln sich in den Mythen wider?
Die Götterdämmerung – ein reales Ereignis? Könnte ein gewaltiger Vulkanausbruch das Ragnarök der Edda-Dichtung inspiriert haben?

Mit wissenschaftlicher Akribie und packendem Erzählstil enthüllt Hansen die verborgenen Verbindungen zwischen Mythologie und Realität. Sein fesselnder Reisebericht ist zugleich eine Spurensuche nach dem, was einst die germanischen Völker glaubten – und was davon heute noch sichtbar ist. Seine viel beachtete Edda-Ausgabe, die auch im Regionalia Verlag erschienen ist, gehört zu den meistgelesenen Werken über die nordischen Sagen.

Ein faszinierendes Buch für alle, die sich für nordische Mythologie, Archäologie, alte Sagen und die Geheimnisse Islands begeistern!

Perfekt für Fans von: Edda, nordischer Mythologie, Wikinger-Geschichte, Islandreisen, Archäologie, Historische Spurensuche, Götterwelten und Sagenforschung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 278

Veröffentlichungsjahr: 2025

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ASGARD

ENTDECKUNGSFAHRT NACH ISLAND ZU DEN SCHAUPLÄTZEN DER EDDA

WALTER HANSEN

IMPRESSUM

Asgard

Walter Hansen

Überarbeitete Neuauflage 2025

Regionalia Verlag

Ein Imprint der Kraterleuchten GmbH,

Gartenstraße 3, 54550 Daun

Verlagsleitung: Sven Nieder

Alle Rechte vorbehalten.

Gestaltung: Kerstin Fiebig

Lektorat: Bruno Hof

Korrektorat: Tim Becker

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Diese Zusammenfassung basiert auf automatisierter Prüfung und redaktioneller Kontrolle.

ISBN Print 978-3-95540-438-3

ISBN E-Book: 978-3-95540-439-0

www.regionalia-verlag.de

INHALT

Einleitung

Der Weg zur Unterwelt ist dreißig Kilometer lang

Die Edda: Reportage aus der Götterwelt

Götterwelt und Geologie

Die aktive Vulkanzone: Reiseland der Edda-Dichter

Die Götterburg Asgard

Asgard liegt in der Missetäterwüste

Die seltsame Geschichte von Swadilfari

Das Geheimnis der Götterpaläste

Odins Hochsitz HlIdskjalf

Das Idafeld: Die Hofwiese der Götter

Das westliche Tor der Götterburg

Das Reich der Riesen

Die Flammenburg der schönen Riesentochter Gerda

Hexenkessel und Gespensterstadt

Griottunagard: Die Felsburg des Steinriesen

Der Strom, der nie zufrieren kann

Der Unhold aus Lehm und Hrungnirs Schild

Thryms Burg: Die Heimat der Stürme

Der See aus Sand

Wie die Götter um den Bierkessel kämpften

Gletscher, Birken, Felsen, Wiesen

Thors Reich

Der Donnergott in seinem Zorn

Das Reich der Zwerge

Hausten die Zwerge in einer Schachtel?

Dickwanst, Meisterdieb und Mutsäufer

Eine vulkanische Werkstatt großen Stils

Das unterirdische Labyrinth

Aurwangs Tiefen

Der Hügel aus Halbedelstein

Die Drachenschlucht

Der Mord am Sonnengott

Symbol des moralischen Niedergangs

Das Grab der Seherin

Wo Baldur starb, weinten die Götter

Der Weg zur Unterwelt

Keine Gnade für den Sonnengott

Die Unterwelt

Das Reich der Totengöttin ist nebelverhüllt

Die Hölle

Lavawüsten, Schnee und Kraterschlünde

Feuerstöße, Aschensäulen, schwarzes Schneegestöber

Die Weltesche Yggdrasil

Das Symbol für Werden und Vergehen

Mimirs Brunnen

Urds Brunnen

Der Brunnen Hwergelmir

Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltbaum

Das Geheimnis der drei Wurzeln

Thors Weg zur Weltesche

Die Zeitbombe im Gletscher

Die Götterdämmerung

Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt

Vögel fallen tot zur Erde

Snorri Sturlusons Bericht vom Weltende

Völuspa: Die Weissagung der Seherin

Vulkanausbruch statt Bürgerkrieg

Wo der Feuergott an seinen Fesseln zerrt

Der hochrote Hahn im Vogelwalde

Der Angriff des Feuerriesen

Surturs Insel

Das grüne Land

Die Götterdämmerung fand im Südwesten statt

Verzeichnis der Bücher, denen Zitate entnommen wurden

Index

Anmerkungen

Bildnachweis

Übersichtskarte

EINLEITUNG

Die nordischen Mythen sind, nach dem Zeugnis der Mythenquellen selbst, Runen, Geheimnisse, Geheimreden, sie wollen nach Rätselart gelöst sein.

Ludwig Uhland

»Der Mythus von Thor« (1836)

DER WEG ZUR UNTERWELT IST DREISSIG KILOMETER LANG

Gegen zwölf Uhr Mittag hatte ich mit meinem Geländewagen den Weg in die Unterwelt des germanischen Mythos erreicht: eine erkaltete Feuerschlucht aus erstarrter Lava, dreißig Kilometer lang und 150 Meter tief, die gewaltigste Vulkanspalte der Erde. Ihre Steilhänge waren schwarz wie Kohlenhalden. Es roch nach Schlamm und feuchtem Fels hier herunten im Abgrund der Schlucht.

Durch diese »tiefen, dunklen Täler« war, wie in uralter Sage beschrieben, der Götterbote Hermodhr in die Unterwelt geritten, um den ermordeten Sonnengott Baldur zu befreien und ins Land der Lebenden zurückzuholen. Hier, an dieser Stelle, an der ich mich gerade befand, hatte. Hermodhr den Gjöll-Fluss erreicht, die Grenze zum Totenreich; hier war er über die Gjöll-Brücke hinweggeritten ins düstere Reich der Totengöttin Hel.

Der sagenhafte Grenzfluss zur Unterwelt rauschte vor den Rädern meines Geländewagens – schwarz wie eine Flut von Tusche, glanzlos aufgeschäumt in seinem Bett aus Lavageröll.

Die Gjöll-Brücke wölbte sich in halber Höhe der Nordwestwand: eine Felsbrücke, gleichmäßig geformt, wie von einem Architekten konstruiert … und doch – auf natürliche Weise aus dem Lavagestein herausmodelliert von der Sturzflut eines Wasserfalls.

Naturbrücke in der Feuerschlucht – Gjöll-Brücke in die Unterwelt © Walter Hansen

Der düstere Weg zur Unterwelt, der Gjöll-Fluss, die Gjöll-Brücke und alle anderen Stätten der germanischen Göttersagen galten bislang als unauffindbar, als geheimnisvolle, versunkene Welt, als mythisches Atlantis. Denn die Sagendichter hatten die Ortsbeschreibungen verschlüsselt, hatten die Welt ihrer Götterlehre gleichsam mit einer Dornenhecke literarischer Rätsel schützend umgeben. Von der Lösung dieses Rätselspiels wird auf den folgenden Seiten noch oft die Rede sein. Nur so viel vorweg: Die Dechiffrierung mythischer Texte ist – wenn man den Code kennt – mitunter verblüffend einfach. Dann erweisen sich die germanischen Göttersagen gleichsam als Baedeker in die Götterwelt, als Reiseführer, der die Wege zeigt zu den verschollenen Schauplätzen des germanischen Mythos:

Vom Gjöll-Fluss aus fuhr ich, Hermodhrs sagenhaftem Ritt folgend, in die Unterwelt des germanischen Mythos, ins Schreckensreich vorzeitlicher Glaubensvorstellungen.

Gut drei Jahre später kletterte ich mit einem Freund aufs schneeglänzende Dach der Götterburg Asgard, den Wohnsitz der Götter, und von dort aus weiter hinauf zu Odins Hochsitz Hlidskjalf, der weithin sichtbar in den Himmel ragt, wie in der Sage beschrieben.

Ich war am Tatort von Baldurs Ermordung, in der Flammenburg der schönen Riesentochter Gerda und im Reich der Zwerge, in dem sich die von allerlei mythischem Gesindel hart bedrängte Liebesgöttin Freyja eine erotische Entgleisung geleistet hat.

Mein Geländewagen wäre ums Haar in einem Sumpf versackt, als ich die mythische Welt der Steinriesen besuchte und die Felsburg Griottunagard entdeckte.

Hochwasser überraschte mich auf den Sandbänken eines Flussdeltas, als ich in die von Mythendichtern geheimnisvoll umschriebene Welt der Eisriesen eindrang.

Ich fand die Insel des Feuerriesen Surtur, die Schauplätze der Götterdämmerung, den Brunnen Hwergelmir, und ich weiß, wie die Weltesche Yggdrasil aussieht, das rätselhafte Glaubenssymbol der Germanen für Werden und Vergehen der Welt.

Die Stätten der Göttersagen sind heute noch dort zu sehen, wo einst die Mythendichter gelebt und ihre Werke niedergeschrieben haben: auf Island.

Die Vulkaninsel am Polarkreis, fernab vom europäischen Festland im Nordmeer gelegen, war bis ins 13. Jahrhundert hinein letzte Bastion des germanischen Glaubens. Nur auf Island konnten neben der behutsam eingeführten Christianisierung lange noch germanische Traditionen, religiöse Vorstellungswelt und Dichtkunst überdauern. »Island ist klassischer Boden für den Germanisten«, hat schon Jacob Grimm erkannt, der mit seinem Werk »Deutsche Mythologie« aus dem Jahre 1835 den Anstoß gab zu einer wissenschaftlichen Untersuchung der germanischen Religion.

DIE EDDA: REPORTAGE AUS DER GÖTTERWELT

Auf Island entstand die Edda, ein Frühwerk der Weltliteratur, eine Sammlung alter Sagen, die uns Kunde gibt von Göttern und Göttinnen der Germanen, von Dämonen, Riesen und Zwergen, von mythischen Abenteuern, Tragödien und Komödien, von Weltanfang und Weltuntergang. Ohne Edda hätte die Forschung nur Bruchstücke mythischen Schrifttums, die zusammen nicht annähernd ein Bild der Sagenwelt bieten würden. Aus der Edda kennen wir den Göttervater Odin beispielsweise, der auf seinem achtbeinigen Schimmel Sleipnir die Wilde Jagd anführt; den Gewittergott Thor, der donnergrollend durchs Gewölk fährt; den Sonnengott Baldur, der vom blinden Hödur ermordet wird; den listigen Loki, der ständig Zwietracht sät unter den Göttern; den Fruchtbarkeitsgott Freyr, der in Liebe zur schönen Riesentochter Gerda entbrennt; den Wächter Heimdall, der in sein Signalhorn stößt, wenn die Dämonen heranstürmen und Ragnarök anbricht, der letzte Kampf, die Götterdämmerung, der Weltbrand, die Apokalypse der germanischen Religionsvorstellungen. In den Schriften der Edda lesen wir von der Göttermutter Frigg, von der Liebesgöttin Freyja und der Totengöttin Hel, von der Midgardschlange, vom Fenriswolf und vom Höllenhund Garm, von den Riesen Hrungnir, Thrym und Hymir – und von allen anderen sagenhaften Wesen, an deren Existenz die Germanen glaubten. Aus der Edda stammen Wörter unseres Sprachgebrauchs: Asen, Nornen, Götterdämmerung, Walhall oder Walküren; vom Namen der Totengöttin Hel leitet sich etymologisch das Wort Hölle ab; nach dem Gewittergott Thor oder Donar ist der Donnerstag benannt und nach der Liebesgöttin Freyja der Freitag. Die populären Nacherzählungen der Göttersagen, die wir alle gelesen haben, stützen sich auf die Edda. Was. immer wir auch von den Göttern und Dämonen der Germanen wissen, was immer unsere Vorstellungen von den Göttersagen bestimmt, von mythischen Stätten, Götterburgen und Dämonenschlupfwinkeln, die wichtigsten Quellen dafür sind die Schriften der Edda-Dichter aus Island.

Die Edda besteht aus zwei Teilen: aus Prosa-Edda und Lieder-Edda. Die Prosa-Edda wurde von Snorri Sturluson verfasst, einem Poeten, Staatsmann, Rechtssprecher und Geschichtsschreiber, der von 1179 bis 1241 lebte. Sein im Jahre 1230 geschriebenes Werk bietet eine zusammenfassende Darstellung der germanischen Göttersagen, gestrafft, pointiert, einer Reportage modernen Stils nicht unähnlich.

Snorri schöpfte sein Wissen offensichtlich aus mündlichen Überlieferungen und aus Liedern, die er vereinzelt zitiert. Diese Lieder galten als verschollen, bis im Jahre 1643 der Bischof Brynjulf Swendson eine alte Handschriftensammlung mit über hundert Götter- und Heldenliedern unbekannter Dichter fand – und feststellte, dass er zumindest einen Teil von Snorris Quellenmaterial entdeckt hatte. Diese Sammlung wird heute Lieder-Edda genannt. Einzelne Verse stimmen fast wörtlich mit den in der Prosa-Edda zitierten Strophen überein, und viele Lieder ergänzen das von Snorri in seiner mythischen Reportage gebotene Bild der Göttersagen. Alle Lieder, wuchtig rhythmisiert und bilderreich geschrieben, sind in Stabreimen abgefasst, in der traditionellen, altgermanischen Reimform mit gleichklingenden Anlauten: »Windzeit, Wolfszeit, eh die Welt zerstürzt.« Die Götterlieder sind unterschiedlich alt. Viele entstanden um die Jahrtausendwende oder später, einige früher, knapp nach der Landnahmezeit Islands, die im Jahre 874 begann.

Die Edda wird auch »Buch von Oddi« genannt: nach der an Islands Südküste gelegenen Skaldenschule Oddi. Dort konnte germanische Dichtkunst noch lange gedeihen. Denn die christlichen Missionare, die seit dem 10. Jahrhundert auf der Insel waren, haben ihre Lehre dem im Volk tiefverwurzelten Götterglauben nur behutsam entgegengesetzt. Es ist durchaus möglich, dass einige anonyme Dichter der Lieder-Edda – besonders die aus späterer Zeit – christliche Denkart schon kannten. Von Snorri Sturluson – dem Verfasser der Prosa-Edda – weiß man sogar mit Sicherheit, dass er Christ war. Und doch haben sie alle die germanische Götterlehre überliefert, originalgetreu im Stil und in archetypischem, der Urform entsprechendem Inhalt.

Wie schon angedeutet, ist die Edda ein Werk geheimnisvoll verschlüsselter Hinweise. »Die nordischen Mythen sind, nach dem Zeugnis der Mythenquellen selbst, Runen, Geheimnisse, Geheimreden, sie wollen nach Rätselart gelöst sein.« (Ludwig Uhland, Dichter, Germanist und Tübinger Universitätsprofessor für deutsche Literatur in seinem 1836 erschienenen Werk »Der Mythus von Thor«.) Die geheimnisvollen Hinweise finden sich in Metaphern versteckt, in bildhaften Umschreibungen, in Bilderrätseln, Symbolen und in mythischen Namen. Bisher haben Forscher die verschlüsselten Edda-Texte vor allem auf ihre Gehalte an Religionstheorie und Philosophie, an Weltentstehungslehre und Weltuntergangsvisionen hin untersucht. Dabei sind sie zu teils recht widersprüchlichen Einsichten gelangt.

Die geheimnisvollen Ortsbeschreibungen zu entschlüsseln und die mythischen Schauplätze in der Landschaft zu suchen, hat man weitgehend versäumt; und wenn es versucht wurde, dann scheiterten die Forscher an ihren mangelnden Kenntnissen der isländischen Topografie und Geologie. Für ihre Höhenflüge fanden sie keine Landebahnen. Mit anderen Worten: Die Schauplätze der Göttersagen konnten nicht entdeckt werden, weil die Mythologen zu wenig über Islands ungewöhnliche Geologie wussten – und die Geologen keine Veranlassung sahen, in den Einöden der Vulkaninsel Island nach mythischen Stätten zu suchen.

Mythologie und Geologie zusammenzubringen, darin sah ich die bisher ungenutzte Chance, das Rätsel der längst verschollen geglaubten mythischen Schauplätze doch noch zu lösen.

Warum ich von der Idee so gepackt wurde? Den Anstoß zu diesem Unternehmen – zu einer Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Abenteuer – gab ein Buch mit vergilbten Seiten, das ich als Zwölfjähriger in der Bibliothek meines Großvaters aufgestöbert hatte: »Unsere Vorzeit Nordisch-germanische Götter und Helden«, verfasst von Dr. Wilhelm Wägner, gedruckt 1894 in Leipzig. In diesem Buch fanden sich abenteuerliche Geschichten, deren Lektüre nicht ohne Nachteil blieb für die Qualität meiner Hausaufgaben in Mathematik: Die Abenteuer und galanten Affären des Göttervaters Odin zum Beispiel, die Geschichte vom Bau der Götterburg Asgard, die Kämpfe zwischen Göttern und Riesen, die Intrigenspiele Lokis, Skirnirs Sprung in den Flammenring oder die Tragödien der Götterdämmerung. Freyjas Liebesleben interessierte mich damals mehr als der Lehrsatz des Pythagoras, und Baldurs Ermordung ging mir nahe wie Winnetous Tod. Wie oft habe ich Hermodhr bei seinem Ritt in die Unterwelt begleitet, um Baldur zu retten!

Fünfundzwanzig Jahre später – ich bereitete gerade die Herausgabe einer Edda-Übersetzung mit Kommentaren vor – fiel mir dieses Buch wieder in die Hände. Ich schlug es auf, und da waren auch wieder die Seiten mit den verschnörkelten Initialen. Diesmal fesselte mich jedoch besonders ein Kapitel, das ich als Zwölfjähriger überblättert hatte. Der Autor beklagt, dass – im Gegensatz zu den griechischen, römischen und allen anderen Sagenkreisen – die Schauplätze der germanischen Göttersagen und mithin die natürlichen Kultstätten der germanischen Götterverehrung noch nicht entdeckt worden seien. Gleichwohl äußerte er die Hoffnung, dass sie gefunden werden mussten – denn jede Sage hat ihren örtlichen Bezug, jede Sage wird herausgefordert oder zumindest beeinflusst von der Faszination einer Landschaft. So forderte das Riesengebirge die Sage vom Rübezahl heraus; das neblige Hochmoor auf dem Brocken die Sage vom Teufelstanzplatz; der schottische Grabensee Loch Ness die Sage vom Seeungeheuer; der feuerspeiende Vesuv die Sage vom römischen Feuergott Vulcanus; der 2911 Meter hohe, schneeglänzende Olymp die Sage vom Göttersitz der altgriechischen Religion. Wo aber liegt Asgard, der Göttersitz des germanischen Mythos? Wo das Panorama der uns wohlvertrauten Schauplätze und Kultstätten germanischer Göttersagen? Wägner gab die naheliegende Antwort, dass sie sich in der Vulkanwildnis Islands finden müssten, die einst Reiseland der Edda-Dichter war. Von diesem Gebiet wusste man freilich wenig zu Ende des 19. Jahrhunderts.Wilhelm Wägner selbst beschrieb es als »unzugänglich«.

Inzwischen sind die vulkanischen Phänomene Islands von Geologen weitgehend erforscht worden und allgemein bekannt; unbekannt sind hingegen nach wie vor die Stätten der germanischen Göttersagen. Das Thema fesselte mich auf Anhieb. Ich nahm mir vor, das Rätsel zu lösen und eine Entdeckungsreise in jenes Land zu unternehmen, das gleichsam die letzten weißen Flecken auf der Landkarte bot: ins unentdeckte Wunderland der germanischen Göttersagen.

Wie gesagt, ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt gerade an einer Edda-Ausgabe und beschäftigte mich intensiv mit der Mythologie. Und doch war es nicht nur wissenschaftliches Interesse, das mich antrieb, die mythischen Stätten zu suchen. Einer meiner Freunde, die ich zu meinen späteren Reisen animiert hatte, sagte, als unser Geländewagen beim größten Sauwetter in einem Fluss steckenblieb und wir regenbegossen, durch hüfttiefes Wasser watend, unsere Ausrüstung ans Ufer schleppten: »Und das alles, weil du dir einen Jugendtraum erfüllen willst.« Vielleicht hat er recht. Vielleicht war’s das.

GÖTTERWELT UND GEOLOGIE

Meine ersten Entdeckungsreisen führten mich freilich nicht sogleich in die Vulkangebiete, Feuerspalten und Lavawüsten der Polarkreisinsel Island, sondern in die Lesesäle, Katalogräume und Archive der Bayerischen Staatsbibliothek. Die Entschlüsselung der Ortsbeschreibungen bedurfte intensiver Vorstudien und forderte Opfer von meiner wenig strapazierfähigen Geduld. Mit den Kenntnissen, die ich für die Herausgabe meiner Edda-Ausgabe gewonnen hatte, war’s nicht getan. Wie ein Detektiv musste ich nach kleinsten Hinweisen fahnden. Ich las die Bücher der Gelehrten, die-ihr Lebenswerk der Erforschung des germanischen Mythos gewidmet haben: Walter Baetke, de Boor, Sophus Bugge, Detter und Heinzel, Gering und Sijmons, Genzmer, Golther, Jacob Grimm, Herrmann, Heusler; Kuhn, Lüning, Mogle, Müllenhoff, Neckel, Niedner; Nordal, Olrik, Simrock, Uhland, de Vries, um nur einige zu nennen. Auf meinem Schreibtisch im Lesesaal stapelten sich etymologische Wörterbücher des Altnordischen und Ausgaben der Edda samt Urtexten, Übersetzungsvarianten und Kommentaren.

Bevor ich die Fahrt mit dem Geländewagen zu den Stätten des germanischen Mythos näher beschreibe, ist es unerlässlich, ganz kurz einige, dem späteren Verständnis dienliche Probleme mythologischer Forschung aufzuzeigen, die sich allein aus dem Studium der Edda-Texte ergeben:

Die Sprache der Dichter, das Altnordische, ist mit dem heutigen Isländisch zwar nahe verwandt, erschließt sich in dem Facettenreichtum ihrer Bedeutungen aber erst durch Vergleiche und Rückschlüsse mit anderen Sprachen jener Zeit.

Im Altnordischen finden sich eine Vielzahl von Wörtern mit unterschiedlichen, teils naheliegenden, teils völlig ausgefallenen Bedeutungen. Das altnordische Wort freki beispielsweise kann bedeuten: Wolf, Gieriger, Fresser und Feuer. Mit freki können zudem gemeint sein: einer der Wölfe des Göttervaters Odin oder das dämonische Ungeheuer Fenriswolf. Was hat der Dichter gemeint? Nur aus dem Zusammenhang ergibt sich die Antwortergeben sich mitunter mehrere Antworten, über die sich die Gelehrten dann streiten.

Weitere Erschwernisse sind die besonderen Metaphern der altnordischen Literatur: Heiti und Kenningar. Ein Kenning (Mehrzahl: Kenningar) ist die mehrgliedrige Umschreibung eines Wortes oder Namens, beispielsweise »Des Zwergs Überlisterin« für Sonne. Die Sonnenstrahlen nämlich konnten nach germanischer Vorstellung einen Zwerg in eine Steingestalt verwandeln. Als Heiti wird die eingliedrige Umschreibung bezeichnet, beispielsweise »Wieherer« für Wind. Denn die Germanen stellten sich den Wind als dahinstürmendes Pferd vor, so wie wir heute noch zur Zeit der Winterstürme bildhaft von den Geisterreitern der Wilden Jagd sprechen. Probleme wirft auch die Auslegung mythischer Namen auf. Denn die Namen von Göttern, Dämonen und Orten sind Bilderrätsel, deren Lösungen manchen gordischen Knoten mythologischer Grübelei zu durchhauen die Chance bieten. So lässt sich die Weltesche Yggdrasil in achtzehn Varianten übersetzen und dementsprechend vielfältig deuten. Auch hier hilft nur die Auslegung des Zusammenhangs.

Zusammenhänge zu deuten ist allerdings so einfach nicht, denn wie gesagt, es entsprach altnordischer Dichtertradition, die Texte zu verschlüsseln und zu verrätseln. Oft verbergen sich hinter den scheinbar vordergründigen Erzählungen und Ortsbeschreibungen tiefere Sinngehalte und, was bisher kaum beachtet wurde, Hinweise auf tatsächlich vorhandene Schauplätze und Kultstätten des germanischen Götterglaubens.

Bei der Deutung von Theorien der Göttersagen bietet das Altnordische, mag auch manches als gesichert gelten, statt exakter Übersetzungskriterien die fatale Chance etymologischer Spekulation. Und deshalb ist die Geschichte der mythologischen Forschung eine Geschichte von Gelehrtenstreit, Widersprüchen und vielerlei Deutungsversuchen- soweit es um Fragen der Philosophie, der Eschatologie, der Kosmogonie und so weiter geht. Bei Ortsbeschreibungen verhält es sich anders. Mythische Ortsbeschreibungen, wenn auch verschlüsselt, sind gleichsam mit dem Erdboden verwurzelt. Sie lassen sich entweder auf topographische Gegebenheiten beziehen oder nicht. Der Erfolg ist auch der Beweis.

Die Dechiffrierung der Edda-Texte schien mir zunächst unlösbar. Erst nachdem ich geologische Fachliteratur hinzugezogen und die Werke gelesen hatte von Winkler, Bunsen, Preyer und Zirkel, Erkes, von Knebel, Reck, Spethmann, Thoroddsen, Schwarzbach, Schutzbach, Thorarinsson und so weiter, erst nachdem ich also genaue Kenntnisse der vulkanischen Phänomene Islands gewonnen hatte, da entpuppten sich die geheimnisvollen Ortsbeschreibungen als exakte topographische Hinweise, die sich Satz für Satz auf Besonderheiten der Landschaft beziehen lassen. Mythische Namen erwiesen sich als geologische Fachbegriffe, die Architekturbeschreibungen mythischer Bauwerke stellten sich in allen Einzelheiten als Beschreibungen außergewöhnlicher Vulkanformen heraus. Mitunter ergaben sich sogar eindeutige Hinweise auf die chemische Zusammensetzung des Materials, aus dem, der Sage nach, mythische Stätten gebaut waren. So erwies sich beispielsweise, wie später im Einzelnen noch ausgeführt wird, dass die als leuchtend beschriebene Götterburg Asgard aus Hyaloklastit besteht, aus vulkanischem Glas, und dass sie deshalb bei einem bestimmten Winkel der Sonnenbestrahlung wahrhaftig leuchtet, wie in der Sage beschrieben.

Anhand vieler solcher Hinweise konnte ich, mythische Texte und Geologiebücher parallel lesend und unablässig vergleichend, eine Kultstätte germanischer Göttersagen nach der anderen auf der Landkarte Islands einkreisen und mit Beweisen oder Indizienketten so absichern, dass es schließlich keinen Zweifel mehr gab an der Existenz der Götterburg Asgard, der Unterwelt Helheim, der Flammenburg, des Brunnen Hwergelmir und der meisten anderen Kultstätten germanischer Göttersagen. Ich markierte diese Orte mit roten Punkten auf meiner Landkarte.

Bei diesen Vorarbeiten, diesem Vergleichen, Abschätzen, Abwägen und dieser Tüftelei auf der Karte lernte ich die Landschaft Islands, vor allem die Wildnisgebiete, am grünen Tisch der Bayerischen Staatsbibliothek theoretisch schon so genau kennen, dass ich bei meinen späteren Reisen zu den mythischen. Orten die meisten Querfeldeinrouten, Holperwege, Flussfurten, Passüberquerungen und Schlammstrecken aus dem Gedächtnis fahren konnte, nur mit dem Kompass, ohne lange auf die Landkarte zu blicken. Ich hatte auch, gestützt auf die Beschreibungen in Geologiebüchern, sehr genaue Vorstellungen von den Stätten der Göttersagen, Vorstellungen freilich, die später, an Ort und Stelle, von der Wirklichkeit weit in den Schatten gestellt wurden. Denn: Was Island an vulkanischen Phänomenen bietet, an landschaftlicher Dämonie, an bizarrer Schönheit, das übertrifft jede Fantasie.

Es erwies sich, dass alle von mir vorerst nur theoretisch georteten Schauplätze der Göttersagen, die ich auf der Landkarte mit roten Punkten markiert hatte, in einem ganz bestimmten, weltberühmten, genau begrenzten Landesteil der Insel lagen: in der aktiven Vulkanzone. Das war verblüffend – und doch kein Zufall.

DIE AKTIVE VULKANZONE: REISELAND DER EDDA-DICHTER

Die aktive Vulkanzone ist 35000 Quadratkilometer groß und bedeckt etwa ein Drittel der 103000 Quadratkilometer großen Insel (zum Vergleich die Schweiz: 41288 Quadratkilometer), Diese Zone zieht sich als Streifen von Norden nach Südwesten durch die Mitte der Insel hin. Sie bietet wie kein anderes Terrain auf engstem Raum nahezu alle Studienobjekte des Vulkanismus: Kegelvulkane, Gletschervulkane, Tafelvulkane, Ringwallvulkane, Feuerspalten, Lavahöhlen, kochende Schwefeltümpel, heiße Quellen, Geysire und vielfältige Formen von Lava. Lavafelder beispielsweise, die wie erstarrte Meeresbrandung aussehen; Lavagestein, das der Sandsturm zu wunderlichen Gestalten verschmirgelt hat; Lavasand, der weite Wüsten bedeckt und, vom Sturm aufgewirbelt, gleichsam wie die Nacht über den Reisenden hereinbrechen kann. Mancherorts sieht’s aus wie auf dem Mond. Die amerikanischen Astronauten Armstrong, Aldrin und Collins hatten ihr Trainingscamp in der aktiven Vulkanzone, bevor sie am 20. Juli 1969 mit dem Raumschiff Apollo 11 auf dem Mond landeten.

Die aktive Vulkanzone © Pinpin (Volcanic-system-of-Iceland-Map-fr, wikimedia.org)

Dass die Mythen gerade in der aktiven Vulkanzone entstanden, lässt sich so erklären: Einst, in den ersten Jahrhunderten nach der Landnahme Islands, war dieses Gebiet das bevorzugte Reiseland zwischen den frühen Siedlungszentren im Norden und im Südwesten der Insel. Denn die Flüsse, die gefährlichsten Hindernisse, entsprangen fast alle in der aktiven Vulkanzone und waren nur dort, in der Nähe der Quellen, wo sie sich noch nicht zu Strömen bündelten, einigermaßen passierbar für Ross und Wandersmann. Einzeln oder in Karawanen, beritten oder zu Fuß zogen Fürsten mit Gefolge, fahrende Dichter und Skalden, Kaufleute, Krieger, Bauern und Hirten durch diese vom Vulkanismus gleichsam verzauberte Landschaft – bedroht von vielerlei Gefahren, geängstigt von Dämonenfurcht, ermutigt vom Glauben an ihre Götter. Zu dieser Zeit entstand die Edda.

Szene aus der Vulkanzone

Zu dieser Zeit geschah in der aktiven Vulkanzone das Wunder der Sagenbildung: Wie alle Gebiete von ungewöhnlichem Reiz, von bizarren Felsformationen, von landschaftlicher Dämonie forderte auch – und ganz besonders – die aktive Vulkanzone fantastische Vorstellungen von Götterburgen, von der Unterwelt, von der Brücke zum Totenreich und geheimen Schlupfwinkeln heraus. Das Volk der Vorzeit, verwurzelt in der Glaubenstradition seiner Ahnen, fasziniert von dieser Landschaft, projizierte die Archetypen, die Urstrukturen der germanischen Sagenmotive in dieses Gebiet und schuf sich dort eine eigene Welt, die Welt der Göttersagen, die unsere Kenntnis von germanischer Religion bis heute bestimmt. Deshalb sind die in der Edda beschriebenen mythischen Schauplätze und Kultstätten, die Burgen der Götter und die Felsenschlösser der Riesen, das Reich der Totengöttin Hel, die Schlachtfelder der Götterdämmerung und alle anderen Schauplätze des germanischen Mythos in der aktiven Vulkanzone zu finden. Sie war ein Reich der Fantasie und doch eine reale Welt germanischer Kultstätten, ein Wunderland, das es wirklich gab und heute noch gibt, das aber erst entdeckt werden musste. Denn die Mythendichter haben diese Welt in »Geheimnissen und Geheimreden« beschrieben, rätselvoll für spätere Generationen.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts hörten die Reisen durch dieses Gebiet auf – und etwa gleichzeitig erloschen auch die Überlieferungen der Edda. Die Reiter und Wanderer orientierten sich fortan entlang den Küsten, die inzwischen dichter besiedelt waren. Sie erhielten dort auf vergleichsweise gefahrlosen Wegen überall Obdach und fanden Fischer, die sie in Fährbooten über die Ströme setzten. Die Einöden der aktiven Vulkanzone gerieten in Vergessenheit – und in Vergessenheit geriet auch die Welt der germanischen Kultstätten.

Erst in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde die Vulkanzone wiederentdeckt. Geologen fanden dort ein ideales Terrain für erdgeschichtliche Studien, ahnten jedoch nicht, dass sie die Sagenwelt ihrer germanischen Vorfahren betraten. Sie entdeckten Spuren der alten, längst versandeten, versumpften und sturmverwehten Reit- und Wanderwege, vor allem kleine Steinpyramiden, sogenannte Steinmännchen, die einst als Wegweiser gedient hatten. So schreibt Thorwaldur Thoroddsen (1855–1921), den man »Vater der isländischen Geologie« nennt, über eine 1884 unternommene Expedition: »Am 22. Juli untersuchte ich die Bergkette Herdubreidarfjöll nördlich vom Dyngju (Kollatadyngja-Vulkan), welche … auf keiner Karte zu finden war. Die Reise führte zum kleinen Berg am Jökulsa (Ferjufjall) … und von da über klippenreiches Terrain, wo wir zu unserer Überraschung auf eine Reihe sehr alter Steinpyramiden stießen; vor langer Zeit muss also hier ein Reitweg bestanden haben.« Inzwischen lassen sich die alten Reit- und Wanderwege anhand von Aufzeichnungen und Wegweisern ziemlich genau rekonstruieren.

Heute ist die aktive Vulkanzone eines der letzten Wildnisgebiete Europas, größtenteils ohne Wege und menschenleer, ein Eldorado für sogenannte Abenteuerreisende und nach wie vor ein unerschöpfliches Forschungsterrain für Geologen.

Dieses Gebiet war mein Reiseziel, ein Gebiet, das sich nur mit Geländewagen, Zelt und Schlafsack, mit Orientierungskünsten, Geländefahrtechniken und allerlei Survivalkenntnissen durchqueren lässt. Die letzte Phase meiner theoretischen Vorbereitungen unmittelbar vor dem Start in die Wildnis vollzog sich an der vordersten Front zur Vulkanzone: im »schwarzen Haus« des geologischen Instituts der Universität Reykjavik. Ich besuchte dessen Leiter, Professor Sigurdur Thorarinsson (1912–1983), einen Geologen von Weltruf und Ehrenmitglied der Geological Society of America, bei dem ich mich von München aus telefonisch zu einem kurzen Gespräch angemeldet hatte, um einige geologische Detailfragen zu klären. Zu meiner Überraschung stellte sich heraus, dass Thorarinsson – ein exzellenter Kenner der Edda und der germanischen Mythologie und ein Hobbydichter dazu – bei seinen geologischen Expeditionen vereinzelt schon en passant auf Zusammenhänge zwischen mythischen Orten und bestimmten Stätten der isländischen Vulkanlandschaft gestoßen war, zufälligerweise, ohne dass er sich solche Entdeckungen zum Ziel gesetzt oder von sich aus weiterverfolgt hätte. Nun, da der Anstoß zum Erfahrungsaustausch – ebenso zufällig – von mir kam, war sein privates Interesse gezündet Aus einem Gesprächstermin wurde eine ganze Serie von Gesprächen. Thorarinsson hörte sich meine Ermittlungen in allen Einzelheiten an, fragte dazwischen, blätterte in seiner Edda-Ausgabe, blickte auf die roten Punkte in meiner Landkarte – auf die Markierungen mythischer Orte – und bestätigte und ergänzte meine Recherchen mit einigen zusätzlichen Beweisen, die ihm zum Teil erst während unserer Gespräche bewusst geworden waren. Ihm verdanke ich wertvolle Anregungen für mein Buch – und nützliche Ratschläge für meine Reise. Er zeichnete Kartenskizzen, die mir in extremen Wildnisgebieten zur Orientierung dienen sollten, warnte mich vor Sümpfen, Schwemmsandstrecken und schwierigen Flüssen und gab mir allerhand Tipps, wie. ich meine Ziele erreichen. konnte, ohne den Geländewagen zuschanden zu fahren.

DIE GÖTTERBURG ASGARD

ASGARD LIEGT IN DER MISSETÄTERWÜSTE

Noch war’s windstill. Ich fuhr von Norden her auf Asgard zu. Doch statt der »leuchtenden Götterburg«, wie sie beschrieben ist in Edda-Texten, ragte Gewölk empor, schwarz, ins Violette übergehend, schwefelgelb gesäumt hoch droben am Firmament. Die Luft flirrte über schwarzem Sand. Einige Drosseln und Brachvögel hetzten kreuz und quer, sie flohen vor dem Wetter und wussten nicht wohin. Wolken waren überall und kündigten Sturm und Regen an.

Die Götterburg Asgard liegt in einem verrufenen Gebiet, das die Isländer Odadahraun nennen: Missetäterwüste oder Wüste der Verbannten, benannt nach den Mördern, Meineidigen und Ehebrechern, die einst, germanischer Rechtstradition entsprechend, aus der menschlichen Gemeinschaft verbannt und für vogelfrei erklärt worden waren. Von der Stätte ihrer Verurteilung aus – dem Felsen des Thingplatzes in südwestlicher Küstennähe – hatten sie sich hierher geflüchtet, in eine Hochlandwüste der aktiven Vulkanzone, die tief im Innern der Insel versteckt liegt. Hier gibt es kaum Oasen, nur dann und wann sprießen – immer wieder verblüffend – handtellergroße Büschel von Gräsern und Blumen aus dem Lavasand.

Vor mir wellten sich sandige Hügel, bedeckt von kleineren und größeren, teils haushohen Gesteinstrümmern, sogenannten Moränenblöcken und Findlingen, Überbleibseln des eiszeitlichen Gletschergeschiebes, die weit verstreut herumlagen, wie hingeschleudert von der Hand eines Riesen.

Durch die Missetäterwüste hatten einst Reit- und Wanderwege geführt. Einem dieser Pfade – dem östlichen – folgte ich in meinem Geländewagen, denn ich wollte Asgard genau aus dem Blickwinkel der Mythendichter sehen und erleben. Stattdessen konnte ich nachvollziehen, was den Reitern und Wanderern der Vorzeit auf ihrem Weg nach Asgard geblüht hatte, wenn sie in eines der berüchtigten Hochland-Unwetter geraten waren.

Erst kam der Sturm. Über der westlichen Hügelkette zeigte er schon seine Drohgebärde. Sandschwaden, aus dem Erdboden gepeitscht, wie von Explosionen emporgeschleudert bis zum Gewittergewölk, bildeten Zacken, Türme, Wirbel und Fontänen, ballten und verklumpten sich dann jählings zu einer Sturzflut aus Sand, schwarz und voller Wucht, die auf breiter Front heranrollte. Höchste Zeit, den Wagen ein paar Meter nach Südosten zu lenken, so dass die rechte, rückwärtige Ecke der Karosserie einen Keil gegen den Weststurm bot Ich hielt an, stellte den Motor ab und schob tröstlich eine Kassette mit Beethovens 7. Symphonie in den Recorder. Einige Takte des freundlichen Vwace – dann prasselte das Staccato sturmschwirrender Sandkörner und Kiesel ans Autoblech. Die Landschaft verzischte in einer schwarzen Wolke. Der Wagen ging, wie unter einem Donnerschlag, gleichsam in die Knie. Die Karosserie wurde zum Resonanzkasten und begann zu heulen. Flutwellen von Sand stürzten über den sturmgebeutelten Wagen hinweg wie Brecher über ein Schiff. Sand schloff durch die Spalten der Türen und Fenster herein, legte sich auf meine Augen, belegte Gaumen und Zunge, zwang zu würgend langsamen Atemzügen, reizte zum Husten, verklebte die Haare, rieselte am Genick entlang zwischen Hemd und Rücken, machte die Haut rau wie Schmirgelpapier. Im Geländewagen hatte ich es noch vergleichsweise gemütlich. Was einst die Reiter und Wanderer erlebt haben, lässt sich im Bericht einer Geologenexpedition aus dem vorigen Jahrhundert nachlesen: »Bei Sandsturm im Hochland empfiehlt sich das Hinlegen von Reitern und Pferden auf den Boden. Die Gefahr des Erstickens ist nicht unbeträchtlich. Feuchte Tücher sind vor Mund und Nase zu pressen. Peinlich ist darauf zu achten, dass Menschen und Pferde nicht unter dem Sand begraben werden. Stürme können stundenlang dauern.«

Von einer Sekunde zur anderen war der Sturm vorbei, so unvermittelt, dass der Wagen, vom Druck entlastet, gleichsam aus der Hocke ging und emporfederte. Das Geheul der Karosserie hörte abrupt auf. Die Musik von Beethovens Siebter, vierter Satz, war wieder zu hören: Der Sturm muss also etwa dreißig Minuten lang gedauert haben. Aus den abziehenden Schwaden des Sandsturmes tauchte allmählich das Bild der Landschaft wieder auf. Ich startete den Motor, Die Räder griffen nicht mehr wie vorher festen Boden. Das Auto schlingerte und taumelte trotz Allradantriebs.

Es begann heftig zu regnen. Nur wenige Augenblicke dauerte der Trommelwirbel erster Tropfen auf dem Autodach, dann brauste es wie unter einem Wasserfall. Kurz darauf ein neuer Angriff des Westwindes. Der Wagen wankte in seiner Federung. Ich musste hart sturmwärts steuern, das Lenkrad nach rechts drehen, um geradeaus zu fahren. Der Sand war inzwischen regengetränkt und wirbelte nicht mehr durch die Luft. Die Sicht blieb einigermaßen klar, bis ich in Nebel eintauchte und erst im letzten Augenblick, sehr zu meinem Unbehagen, die unter Regenströmen hochspritzende, sturmgeschäumte Gischt eines Flusses entgegenglänzen sah.

Ich musste den Fluss unverzüglich durchqueren, denn der Regen würde, wenn er nicht bald aufhörte, Hochwasser bringen, den Fluss unpassierbar anschwellen lassen und mir vielleicht für Tage den weiteren Weg verwehren. Zudem lockte mich am anderen Ufer, einen Steinwurf weit entfernt und im Nebel schemenhaft erkennbar, eine langgestreckte Felswand aus senkrechten, gleichsam miteinander verschweißten Basaltsäulen, die mir Schutz bieten würden vor den Peinigungen des Weststurmes.

Ich watete durch den Fluss, hin und zurück, gegen Sturm und Strömung balancierend, tastete mit den Füßen das Flussbett auf Untiefen, Gesteinsbrocken und Lockergeröll ab. Das Wasser reichte mir knapp über die Knie. Der Boden war fest, allerdings lagen einige gefährliche Felsstücke in der Strömung. Die Durchquerung war riskant, aber nicht unmöglich. Wirf dein Herz über den Fluss und fahr hinterher, pflegt man unter Geländefahrern zusagen.

Ich setzte mich ans Steuerrad und fuhr auf den Fluss zu. Der Geländewagen kippte über die Uferböschung, pflügte sich in die Strömung hinein, warf Wassersehwälle nach links und rechts und rumpelte über die Gesteinsbrocken im Flussbett; Gischt strudelte knapp unterhalb der Seitenfenster; Schaumfetzen verschlierten die Frontscheibe. Die Kühlerhaube dampfte. Das Ufer, verschwommen sichtbar, kam langsam näher. Ich horchte auf den Motor: er tuckerte brav, ohne zu stottern, ohne abzusaufen; ich lauerte, ob die Räder griffen oder sich in Lockergeröll einwühlten; Felsstücke knallten gegen die Unterbodenplatte; einmal tauchte der Wagen tief ins Wasser ein – für Sekunden nur, dann kam er wieder hoch. Alles ging gut. Gleich War ich draußen. Ich forcierte die Geschwindigkeit – jetzt war die Uferböschung erreicht, der Wagen hob sich vorne empor und robbte gleichsam auf allen vieren an Land.

Dann war ich im Windschutz der Felswand, wo es mir vorkam wie im Paradies. Ich baute das Zelt auf, kroch in den Schlafsack und horchte aufs Rauschen des Regens.

DIE SELTSAME GESCHICHTE VON SWADILFARI

Tafelvulkan Herdubreid – Götterburg Asgard © Warmalklein (Die Herðubreið von der Ringstrasse Nr. 1 aus gesehen, wikimedia.org)

Am anderen Morgen schimmerte Sonnenlicht durch die Zeltplane. Ich zog den Reißverschluss auf. Über leichtem Bodennebel, der sich aus Lavasand löste, sah ich ganz aus der Nähe den Berg Herdubreid in wolkenlosen Himmel ragen, ein schroffes Gebirge, 1 682 Meter hoch, fast kreisrund, wie eine Festung, mit seltsam leuchtenden, steil abfallenden Felswänden und schneeglitzerndem Hochplateau: die Götterburg Asgard der germanischen Sagen, die verschollen geglaubte, wichtigste Kultstätte der germanischen Religion – genauso, wie sie von den Dichtern der Edda in vielen Details beschrieben worden ist.

Hier, am Ziel, vor meinem Zelt, fühlte ich mich zurückversetzt in die Anfangsphase meiner Recherchen, als ich am Schreibtisch in der Bayerischen Staatsbibliothek die Edda Texte nach Hinweisen auf Asgard durchforscht hatte. Die erste verschlüsselte Beschreibung war mir in der Geschichte vom Bau der Götterburg Asgard aufgefallen. Diese Geschichte liest sich in der Prosa-Edda⁠1 so:

Es geschah früh bei der ersten Niederlassung der Götter, als sie Midgard⁠2 erschaffen hatten, dass ein Baumeister⁠3 kam und sich erbot, in drei Wintern eine Burg zu bauen die den Göttern zum Schutz und Schirm wäre wider Bergriesen und Hrimthursen⁠4, wenn sie gleich über Midgard eindrängen. Aber er bedingte sich das zum Lohn, dass er Freyja⁠5 haben sollte und dazu Sonne und Mond.

Da traten die Asen⁠6