Asphaltwiesn - Andreas Keck - E-Book

Asphaltwiesn E-Book

Andreas Keck

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Beschreibung

Eine junge Filmemacherin kann einen Künstler, der so gut zu ihr passen würde, nicht lieben, da sie ihr Geschick ausschließlich von den Sternen lenken lässt. Beim Zahnarzt gerät ein Patient wegen eines Tierfilms in Rage.Ein bosnischer Nachwuchsrapper ergeht sich in krassen Liebesschwüren. Auf einer Matratze liegt eine junge Frau und ein Mann kommt sie jeden Abend besuchen – doch etwas in dieser Geschichte mutet unheimlich an. Ein Patient versucht, seinen Analytiker in der Wahnsinn zu treiben. Und der Tagesablauf eines Einsamen wird nur am Sonntag unterbrochen, wenn er sich unter die Wartenden in der Ankunftshalle des Münchner Flughafens mischt. In elf Kurzgeschichten gestattet uns Andreas Keck zynische, bissige, verstörende aber mitunter auch vergnügliche Blicke auf die Neurosen hinter den asphaltierten und gepflegten Fassaden urbanisierter Zweibeiner.

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Seitenzahl: 147

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Andreas Keck: Asphaltwiesn Münchner Großstadtgeschichten

© 2011 Periplaneta – Verlag und Mediengruppe

Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin www.periplaneta.com [email protected]

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, mechanische, elektronische oder fotografische Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Ungekürzte, digitale Version der Printausgabe, ISBN: 978-3-940767-39-4, 1. Auflage: Dezember 2011, E-Book Version 1.3: 2017

Coverfoto: Eibe Maleen Krebs Satz, Covergestaltung & Konvertierung: Thomas Manegold Lektorat: Dana Grünzig, Thomas Manegold

Bilder: Eibe Maleen Krebs, Andreas Keck, Elisabeth Hans, Tobias Reithmann

www.periplaneta.com

Andreas Keck

Asphaltwiesn

Münchner Großstadtgeschichten

periplaneta

1860 München

Jedes Mal, wenn sie zusammen in einer Bar waren oder in einem Gemüseladen oder sonst wo, kam ein Barbesucher oder der Gemüsehändler oder sonst wer auf sie zu und erklärte ihnen, was für ein wunderbares Pärchen sie seien. Es war Verlass darauf. Einer sprach sie an. Immer ein Mann. Dabei waren sie keines – sie waren kein Paar. Er war sich nicht ganz sicher, ob er verliebt war in sie, und sie liebte seit einem Jahr einen Mathematikstundenten, der sie zwar liebte, aber keine Beziehung mit ihr haben wollte. Mit dem Mathematiker schlief sie und mit dem, der aussah, als sei er ihr Freund, verbrachte sie die Stunden davor.

Ach ja, und sie glaubte an Engel. Sprach mit ihnen, bevor sie zu Bett ging oder tagsüber oder nach dem Aufstehen. Sie gaben ihr die notwendigen Antworten, weswegen sie kein zufriedenes Leben führte oder ob sie mit siebenundzwanzig noch einmal ein anderes Studium beginnen sollte oder ob sie abends in Inglorious Basterds oder Coco Chanel gehen sollte. Die Engel sagten, Coco Chanel, und sie rief ihn an und sagte, Coco Chanel und er nur: Geht klar. Er wusste, dass sie nach dem Film zu ihrem Mathematiker gehen und wieder eine sagenhafte Nacht mit ihm verbringen würde, um Tags darauf todunglücklich zu sein, und sagte zu. Er würde auch früher hingehen, zu dem kleinen Kino am Rosenheimer Platz, und zwei Karten reservieren. Eigentlich wollte er in Inglourious Basterds und zusehen, wie Brad Pitt als jüdischer Leutnant ganze Bataillone sinnloser Nazis abschlachtete, aber er war beweglich. Gern hätte er die Skalps gesehen, die die coolen amerikanischen Nazijäger den hässlichen Deutschen nahmen, aber war auch mit den erlesenen Hutschöpfungen einer jungenhaften Französin einverstanden, die eigentlich Sängerin werden wollte, aber irgendwie bei Schere, Lineal und Nähnadel landete.

Stunden vorher schrieb er ihr eine SMS:

„Zieh dir etwas Vornehmes an! Ich komme mit Stock und Hut!“

Sie antwortete: „Wir werden gut aussehen, weil wir uns Gedanken darüber machen.“

Sie kam in einem einfachen Kleid, das sie schon am Tag zuvor getragen hatte, und er mit schmaler, schwarzer Krawatte und hautfarbenem Hemd und einem stilsicher zerknitterten Jackett. Er fühlte sich bescheuert und ihr tat es ein bisschen leid. Als sie dann im Kinofoyer ihre langen, stofffreien Beine auf den niedrigen Beistelltisch legte, war alles wieder in Ordnung. Während der Filmvorführung berührten sich ihre Hände. Er stierte auf die Haut ihrer Knie und dachte, wie gern er dieses Knie berühren würde und sonst auch alles.

Ihre Geschichte hatte schon früher begonnen, vor einigen Wochen, in jenen außergewöhnlich warmen Septembertagen, als es nachts noch so heiß war, dass er und sie bis nach Mitternacht kurzärmlig auf den Stufen des Königsplatzes sitzen konnten. Es war ihr zweiter gemeinsamer Abend. Kennen gelernt hatten sie sich im Café an der Synagoge, am Tag zuvor. Er war in das Café hineingegangen und hatte sie mit einem leeren Tablett am Eingang stehen sehen.

Sie sah zweimal kurz hin zu ihm. Er sah sie den ganzen Abend an. Am nächsten Tag kam er wieder. Sie war auch da. Um sie nicht dauernd anstarren zu müssen, setzte er sich an einen Tisch auf der Terrasse. Sie bediente innen. Er war furchtbar nervös und blickte unentwegt auf die Außenwand der neuen, modernen Synagoge und studierte die fraktale Struktur ihrer Travertinverkleidung. Infolge einer kurzen Unachtsamkeit drehte er sich ruckartig um und sah durch die große Frontscheibe des Cafés ins Innere. Sie sah ihn an – in eben diesem Moment, und sein Blick schnellte zurück auf den menschenleeren, großen Platz. Nach zwei weiteren Stunden, die er mit dem Schreiben eines Gedichtes über den Adel der Einsamkeit verbracht hatte, war ihm in der Mittagssonne so heiß, dass er quer über den gepflasterten Platz zu einer ebenerdigen Springfontäne ging und seine Hosenbeine bis zu den Knien mit Wasser besprengte. Als er mit seinen Schuhen in den Händen und der nassen Hose entlang der Tische zurück an seinen Platz ging, straften ihn die Blicke einiger Cafébesucher ab. Und als er dann auch noch mit steifem Hohlkreuz wie angestochen auf seinem Zettel herumstrich, hatte ihn das Pärchen am Nebentisch bereits als seltsam eingestuft. – Das alles war ihm bewusst. Dasselbe Pärchen war gleichermaßen verblüfft, als plötzlich eine ihm unbekannte Kellnerin zu seinem Tisch kam und erklärte, dass sie ihn von Innen gesehen hätte und sie heute mit dem Arbeiten schon um Drei fertig sei, und ob er nicht Lust auf einen Spaziergang habe. Und dann stellte sie sich noch mit Namen vor. Er meinte, Ja, natürlich ... das ... das wäre schön. Sie schrieb ihre Handynummer auf den Zettel mit seinem Gedicht, und er meinte, er würde sie anrufen, gegen Vier.

„Gut!“

„Gut!“

Er versuchte sich noch kurz an seinem Gedicht und verwarf es schließlich als kindisch und peinlich. Er konnte sich nicht mehr auf seine Verse konzentrieren und versuchte, sich das Verhalten der Kellnerin zu erklären. Es wollte ihm nicht gelingen. Sie musste bemerkt haben, wie er sie beobachtete. Als er aufstand und ging, sah ihn der Mann des Pärchens vom Nebentisch mit großen Augen an und verfolgte seinen Abgang. Sie verabredeten sich telefonisch für Fünf in einem türkischen Restaurant am Roecklplatz.

Kurz vor Fünf stieg er von seinem Fahrrad und sah, wie sie ihr Rad eben an einer Straßenlaterne ankettete. Er dachte: Licht. Sie trug jenes schwarze Kleid und er bemerkte, dass sie sehr groß war. Am Tisch erzählte sie ihm zuerst, dass sie mit den Engeln rede und fragte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, ob er das komisch fände.

„Was sagen sie dir denn?“

„Sie beantworten meine Fragen.“

„Und was fragst du sie?“

„Ich frage sie, weswegen ich unzufrieden bin.“ Und sie lächelte und ihre Augen strahlten und zwei schneeweiße, zusammengepresste Zahnreihen kamen zum Vorschein.

Er dachte, was für gesunde, vitale Zähne! „Weswegen bist du unzufrieden?“

„Das kann ich dir nicht sagen.“

„Wieso?“

„Weil du dann vielleicht gleich wieder gehst.“

„Jetzt sag!“

„Da gibt es einen Typen. “

„Ja?“

„In den bin ich verliebt.“

„Und?“

„Er will keine Beziehung mit mir.“

Währenddessen kommt der türkische Besitzer an ihren Tisch, schickt den Kellner wieder weg, der gerade ihre Bestellung aufnehmen wollte, und fragt sie, was sie essen möchte und wo sie arbeitet.

„Im Café an der Synagoge!“

„Wann arbeitest du wieder da?“

„Weiß’ noch nicht.“

„Hm, wann?“

„Äh, ... am ... Dienstag ... wahrscheinlich.“

„Ich komme vorbei!“ Er zwinkert mit einem Auge und geht.

„Wollen wir zusammen Türkischen Honig essen?“

Er nickt.

„Oh, wie schön!“ Ihr Ellbogen berührt seinen Arm und sie zieht ihn nicht weg und strahlt ihn an. Er erklärt ihr, dass er zwar nicht unbedingt an Engel glaube, aber sehr wohl an Energien. Der Kellner zum Beispiel, der sie vorher bediente, fürchte sie. Natürlich, ohne es zu wissen.

Er spüre unbewusst ihre Licht-Kraft. Doch er habe hier alles verdunkelt. Hier draußen. Die ganze Stimmung an den Tischen sei schlecht. Er könne das spüren.

„Das stimmt. Du hast recht!“

„Ich kann dunkle Stimmungen aber brechen.“ Er betrachtet ihre Augen.

Er ist sich nicht sicher, ob er an Engel glauben soll oder nicht. Er denkt, sie könnte einer sein. Ausschließen will er deren Existenz nicht. Sie könnte ebenso keiner sein ... und schlimmer.

Sie sagt: „Ich sehe dein Licht. Es ist total stark.“

Sie sagt: „Du hast Angst vor deinem Vater.“

Er: „Woher weißt du das?“

Ein Lächeln von ihr.

Er erwidert: „Es stimmt. Beides stimmt.“

Zwei breite, entblößte Zahnreihen.

Er sagt: „Du hast tolle Zähne.“

„Sind sie zu groß?“

„Nein ...“ Er stiert auf ihre riesigen Schneidezähne. „... mach mal weiter auf!“

Sie: „Was?“

Er: „Deinen Mund.“

„Wieso?“

„Bitte! Weil ich deine Kauflächen sehen will.“

„Wieso willst du meine Kauflächen sehen!?“

„So, halt.“

Er denkt, sie macht nicht mit. Sie macht nicht alles mit.

Sie sieht ihn stumm an, mit geschlossenen Lippen. Dann nimmt sie einen Schluck von ihrem Hellen. Er zieht die Arme an den Körper. Er denkt, ich bin dämlich, komisch und seltsam. Und: ‚Es ist nicht so, wie es ist. Wir sind nicht gleich. Wir sind verschieden.’

Sie entschuldigt sich für einen Moment und geht ins Innere des Restaurants.

Der barsche Kellner geht an ihrem Tisch vorbei, als sie zurück ist, und blickt beide vorwurfsvoll an. Als der Kellner über die Türschwelle ins Innere des Lokals gehen will, fällt sein voll gestelltes Tablett zu Boden und unzählige Gläser und Teller zerschellen auf dem Asphalt.

„Siehst du! Das habe ich getan. Ich habe seine Macht gebrochen.“

Darauf sie: „Du hast auch etwas sehr Dunkles.“

„Ja. Aber ich benutze das Dunkle, um anderes Dunkel zu besiegen.“

„Aber du solltest im Licht bleiben.“

„Und du müsstest ein bisschen Dunkelheit zulassen!“

„Die ganze Welt ist schon dunkel – Ich will strahlen.“

„Die Welt ist dunkel, tut aber hell. Deswegen müssen wir gegen ihre Helligkeit ... gegen ihre falsche Helligkeit vorgehen.“

„Ach, mein Schriftsteller!!“ Sie streicht mit ihren Fingerspitzen über seinen Daumen – was der Restaurantbesitzer sieht, der sogleich an ihrem Tisch erscheint. Er setzt sich neben sie und überreicht ihr eine DVD mit einem preisgekrönten türkischen Kinofilm mit englischen Untertiteln – wie er erklärt. Anscheinend hatte er sie angesprochen, als sie zwischendurch auf die Toilette gegangen war, was sie denn so mache, wenn sie nicht kellnert. Anscheinend hatte er erfahren, dass sie Dokumentarfilm studiert und gerade eine Dokumentation über Engel dreht; dass heißt, über Menschen, die mit Engeln in Kontakt stehen. Nachdem der Besitzer gegangen ist, sagt er: „Der weiß ja schon mehr als ich!“

„Er hat mich ja auch gefragt!“

„Aha.“

„Was ist?“

„Nichts.“

„Du!“ Sie sieht ihn bedeutungsvoll an.

„Ja?“ Er denkt, jetzt kommt etwas!

„Glaubst du, dass ich mit einer Entzündung im Mund rauchen darf?“

Sie zieht ihre Unterlippe nach unten und deutet mit dem kleinen Finger auf eine Stelle des Zahnfleischs. „Da!“

„Was ist da?“

„Siehst du es nicht?“ Sie sieht ihn besorgt an.

„Nein, ich sehe nichts.“

Sie zieht ihre Lippe weiter nach unten, kommt an ihn heran und öffnet weit ihre Augen.

„Da ist nichts ... absolut gar nichts. Vollkommen rotes, reines Zahnfleisch!“

„Ja?“

„Ja – keinerlei Veränderung der Oberflächenstruktur.“

Nachdem sie beide den Türkischen Honig verspeist haben, beginnt sie von ihrem Dokumentarfilmprojekt zu erzählen. Sie hat schon zwei Personen, die sie filmen will und braucht noch eine dritte. Eine Freundin von ihr spielt mit, und eine Bekannte. Nur gibt es momentan Probleme mit einem Medium, dem sie die Teilnahme an ihrem Filmprojekt erst zugesagt und gestern abgesagt hat, weil sie es nicht in den Film passt. Das ist jetzt sauer, verständlicherweise.

Er: „Das wär’ ich auch!“

Sie: „Ich weiß.“

Drei Stunden später sitzen sie innen im Lokal. Der Besitzer hat sie hereingebeten, obwohl das Restaurant gerade schließt und die Kellner bereits dabei sind, die Abrechnung zu machen. Er hat ihnen zwei Helle gebracht, die er selbst gezapft und sehr gut eingeschenkt hat. Nun sitzt er ihnen in gerader Linie gegenüber, an der anderen Wandseite des Raumes, gelassen gegen die alte Holzwand gelehnt, mit einer ovalen, kleinen Gitarre, und zupft die Saiten und summt ab und an und sieht sie versonnen an. Sein Blick wechselt von ihm zu ihr, und von ihr zu ihm. Sie schweigen beide und sehen hinüber zu ihm. Sein Saitenspiel ist von großer Meisterschaft und er spielt leise und in langsamen Tempi. Als sie ihre Hand auf der Holzbank abstützt, legt er seine Hand auf ihre Hand.

Sie sagt: „Ich bin vollkommen glücklich.“

Er sagt: „Ja.“ Und: „Der spielt unglaublich!“

Sie beginnt, mit ihrem Daumen zärtlich über seinen Handballen zu streichen und sie wagen beide sehr lange nicht, sich zu bewegen. Die Kellner sind unterdessen über die Belege und Geldscheine und Münzen gebeugt, und legen Stapel und schreiben Zahlen und rechnen zusammen.

Am nächsten Abend sitzen sie (wie oben bereits erwähnt) auf den Stufen der Antikensammlung am Königsplatz. Nach dem türkischen Restaurant hatte sie sich mit den Worten, „Es ist eigentlich komisch, wenn wir uns jetzt trennen!’, verabschiedet, war flugs auf ihr Rad gestiegen und weggefahren. Der Königsplatz war ihre Idee. Sie wollte Bier mitbringen. Er hingegen stand lange vor seinem Expedit-Bücherregal und überlegte, welchen Roman er mitbringen könnte, um daraus zu lesen. Nicht Fitzgerald, nicht Hemingway, kein Bernhard, vielleicht Frisch, nein. – Nabokov! Den Russen. Den verträgt sie. Leicht! Nur womöglich vergleicht sie die Figur aus Nabokovs Kurzgeschichte mit sich selbst: Eine russische Schönheit, deretwegen sich jeder halbwegs vernünftige Junge eines russischen Dorfes aus Kummer erschießen will. Die dann aber abbaut, sich für keinen und nichts entscheiden kann und am Ende jung und unglücklich stirbt.

Nachdem er die Geschichte vorgelesen hat, auf den breiten, warmen Stufen der Antikensammlung, sieht sie ihn verunsichert an und fragt:

„Warum hast du mir diese Geschichte vorgelesen!?“

„Gefiel sie dir nicht?“

„Doch, doch.“

„Aber?“

„Es hat einen bestimmten Grund, weswegen du diese Geschichte gelesen hast!“

„Ich ... ich weiß nicht. Es gibt keinen bestimmten Grund. Die Sprache ist Wahnsinn und das Erzähltempo rasant und genial!“

„Aber du last sie mir nicht grundlos vor! Bin ich das, dieses Mädchen?!“

„Weswegen solltest du das sein!“

„Weil ich auch nie glücklich werde. Und weil früher im Freibad die Jungs auch verrückt nach mir waren. Wenn ich ans Becken kam, stiegen alle aufs Vier-Meter-Brett und sprangen. Ich hatte natürlich schon einen krassen Körper, damals. Ich war irre braun. An den Schultern waren zwei schmale weiße Streifen von den Trägern meines Bikini-Tops. – Und nach dem Abi war so ein Jungstar vom Fußballclub 1860 München in mich verliebt und ich ...“

Sie erzählt und erzählt und er sieht sie an und denkt, sie ist die Richtige!

Er hat das Gefühl, dass sie weiß, dass er das denkt. Sie ist witzig. Sie nimmt sich selbst nicht ganz ernst. Sie denkt nach. Sie ist neurotisch, nur ganz dezent. Und Künstlerin. Sie ist perfekt. Auch hat sie etwas leicht Verfahrenes und permanent Unruhiges.

„Warum siehst du mich so an?“

„Weil ich in deinen Augen reisen kann.“

„Pass auf! Ich übernachtete mit meinen Eltern und meiner Schwester damals – ich war noch keine achtzehn – in einem Allgäuer Landhotel und hörte, dass das gesamte Team von 1860 auch in unserem Hotel abgestiegen war. Es drang irgendwie zu den Hotelgästen durch. Nicht einmal die Presse wusste davon. Also setzte ich mich am Abend allein an die Hotelbar und trank Spezi. Nach der sechsten Spezi begann der Alleinunterhalter, seine Anlage abzubauen und ich und der seltsame Typ hinter der Bar waren allein; als plötzlich fünf Jungs vom Team auftauchten und sich Drinks bestellten. Nach einer Weile bestellten sie auch für mich und begannen, mir Blondinen-Witze zu erzählen. Einer von ihnen wollte mich unbedingt aufs Zimmer mitnehmen, aber ich stellte mich quer. Als ich nach einigen Margaritas ausreichend betrunken war, ging ich mit und legte mich in ihrem Mehrbettzimmer auf die Matratze und alle lagen sie wie Sardinen neben mir und wagten nicht, mich zu berühren und erzählten mir, wie streng ihr Trainer sei. Und ich lag eingequetscht da - dann zeigten sie mir ihre Alkohol-Verstecke und erzählten bis in den Morgen Österreicher-Witze.“

„Das war alles?“

„Ja.“

„Aha?“ Er sah ihr tief in die Augen und versuchte auszumachen, ob sie ebenso tief in seine sah. Sie schwieg und sah ihn lange an und sagte dann: „Wenn ich dich anschau’, ist es, als nähme ich LSD.“

„Mir geht es auch so.“

„Du?“

„Ja?“

„Hast du dich in mich verliebt?“

„Ich weiß nicht.“

„Ich glaube schon.“

Er fasste ruckartig an ihren Nacken und griff ihr ins Haar. Es war immer noch warm und nur noch vereinzelt fuhren Taxis über das laute Kopfsteinpflaster des Königsplatzes. Sie öffneten zwei weitere Flaschenbiere und sie bat ihn, ihr eine Zigarette von seinem Tabak zu drehen. Er zog ein hauchdünnes Papierchen aus der winzigen Zigarettenpapierpackung und legte es auf die breite Kalksteinstufe. Es war vollkommen windstill. Dann öffnete er das Tabakpäckchen und nahm eine Portion Tabak zwischen Daumen und Zeigefinger. Dieses Häufchen positionierte er behutsam auf dem Zigarettenpapierchen, nahm das Ganze in beide Hände und begann zu drehen. Während des Drehens stieß er mit einem Finger gegen die dickeren Stellen des Röllchens, um den Tabak ebenmäßig auf der gesamten Länge des Papierchens zu verteilen. Dann befeuchtete er den Klebestreifen mit der Zungenspitze, drückte die Tabakrolle nochmals besonders fest zusammen und ließ den feuchten Klebefalz auf dem dünnen Papierchen aufliegen. Er riss die losen Tabakstränge ab, die von beiden Seiten abstanden, und überreichte ihr die Zigarette. Sie nahm sie behände an sich, und er entzündete ein Schwefelholz und gab ihr das Feuer. Sie rauchte drei Züge, bevor sie die Zigarette wortlos zwischen seine Finger setzte, wobei ihre Handinnenfläche kurz auf seiner Haut auflag. Er erfasste die Zigarette, nahm sie an seine Lippen und tat einen tiefen Zug.

„Wollen wir uns nicht irgendwo noch ein Bierchen holen?“ Sie sah ihn fragend an. Kurz darauf stiegen sie auf ihre Räder und fuhren an der Alten Pinakothek vorbei und am Museum Brandhorst und bogen in die Türkenstraße ein. Es war weit nach Mitternacht und sämtliche Bars und Kneipen hatten bereits geschlossen. Sie kreuzten etliche kleine Straßen des Studentenviertels und fanden nichts, und während sie auf gleicher Höhe auf ihren Rädern fuhren, drehte sie ihren Kopf zu ihm und drehte ihn nicht weg und sah ihn an. Dabei lächelte sie. Er schaute immer wieder nach vorn und passte auf, dass sie in nichts hineinfuhr.