Erfindungen der Wirklichkeit - Kritik der Ausrichtung Sozialer Arbeit am Paradigma des Konstruktivismus - Andreas Keck - E-Book

Erfindungen der Wirklichkeit - Kritik der Ausrichtung Sozialer Arbeit am Paradigma des Konstruktivismus E-Book

Andreas Keck

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Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1, Philosophisch-Theologische Hochschule der Salesianer Don Boscos Benediktbeuern, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Arbeit entstand aus dem Anliegen heraus, sich einem derzeitig starken Trend in der Sozialen Arbeit wissenschaftlich anzunähern, und diesen nach eingehender und objektiver Darstellung kritisch zu hinterfragen. Der Trend, konstruktivistische Anlei-hen aus Philosophie und Neurobiologie zusehends in der Sozialen Arbeit zu etablieren, wird in Form einer logisch-philosophischen Abhandlung diskutiert. Die Arbeit gliedert sich in drei große Abschnitte, welche sich steigernd dem Hauptteil der Kritik annähern. Im ersten Abschnitt werden zunächst in einem kurzen Abriss die `Gründungsväter´ des Konstruktivismus dargestellt. Im Anschluss ermöglicht eine Erläuterung der grundlegendsten Standpunkte und Begriffe des neuen `Paradigma´ einen Einblick in dessen Funktions- und Wirkungsweisen. Der zweite große Abschnitt der Arbeit widmet sich der bereits weit vorangeschrittenen Rezeption des Konstruktivismus innerhalb der Sozialen Arbeit. Hierzu werden zunächst die Anwendungsmöglichkeiten des Konstruktivismus analog der klassischen Handlungsbegriffe Sozialer Arbeit diskutiert: Fall, Hilfe, Klient oder Problem als Dimensionen sozialen Handelns sind jeweils in ihrer konstruktivistischen `Kopplung´ dargelegt. Dies geschieht zunächst objektiv, also wertungsfrei. Auf die praktischen Überlegungen folgen in den nächsten Kapiteln, ebenfalls noch wertungsfrei, die Möglichkeiten des Konstruktivismus auf der Theorieebene. Im dritten und letzten Abschnitt erfolgt die kritische Prüfung des konstruktivistischen Ansatzes in Bezug auf dessen Anwendbarkeit innerhalb der Sozialen Arbeit. Analog zum zweiten Abschnitt konzentriert sich die Kritik zunächst auf praktische Konsequenzen und hierauf auf theoretische Implikationen. Die Abhandlung gelangt zu dem Ergebnis, dass sowohl praktische, als auch theoretische Konstruktivismusansätze innerhalb der Sozialen Arbeit einen umfassenden Paradigmenwechsel eingeleitet haben. Allerdings weist diese Entwicklung eine nicht unbedenkliche Umorientierung auf ein stark funktionalistisches und pragmatisches Welt- und Menschenbild auf.

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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Ursprünge des Konstruktivismus
2. 2 Das Biological Computer Laboratory
3. Einführung in das Denken des Konstruktivismus
3. 1. 1 Die Vorstellung von Wirklichkeit
3. 1. 2 Möglichkeiten und Bedingungen menschlicher
3. 2 Grundbegriffe des Konstruktivismus
3. 2. 1 Das Prinzip der undifferenzierten Codierung
3. 2. 2 Pragmatik als Leitmotto
3. 2. 3 Eine neue Dimension - Die Autopoiesis
3. 2. 4 Die Lehre von der Geschlossenheit
3. 2. 5 Selbstbezüglichkeit und Selbstgesetz der
4. Kommunikation und Sprache im Konstruktivismus
4. 1 Darstellung des klassischen Sprachmodells
4. 2 Konstruktivistische Modifikationen und Ergänzungen
5. Konstruktivismus in den Handlungsbegriffen der Sozialen Arbeit
5. 2 Der modifizierte Klient-Begriff
5. 3 Das Verständnis von Hilfe
5. 4 Verhältnisbestimmung von Problem und Lösung
5. 5 Pädagogische Interventionen
6. Beispiel einer konkreten Anwendung: Die Lösungsorientierte
7. Konstruktivismus und die Theoriebildung Sozialer Arbeit
8. Kritik des Konstruktivismus als einem Modell der Sozialen Arbeit.
Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit
8. 1. 1 Die Auflösung der Hilfe
8. 1. 2 Die Unmöglichkeit zu erziehen
8. 1. 3 Beweggründe und Selbstverständnis helfenden
8. 2 Komplikationen in der Sozialarbeitswissenschaft
8. 3 Ethische Dimensionen
8. 3. 1 Ethik in der Sozialen Arbeit
8. 3. 2 Der Verlust von Werten und Bewertung.
9. Epilog.
1 M. d. Montaigne (1922), S. 214.

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KATHOLISCHE STIFTUNGSFACHHOCHSCHULE MÜNCHEN,

Kritik der Ausrichtung Sozialer Arbeit am Paradigma des Konstruktivismus

Diplomarbeit zur Abschlussprüfung als Dipl. Sozialpäd. (FH)

von: Andreas Keck

Erstkorrektor: Prof. Dr. Bernhard Stangl

Benediktbeuern, den 2. April 2oo2

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summary:

Die vorliegende Arbeit entstand aus dem Anliegen heraus, sich einem derzeitig starken Trend in der Sozialen Arbeit wissenschaftlich anzunähern, und diesen nach eingehender und objektiver Darstellung kritisch zu hinterfragen. Der Trend, konstruktivistische Anleihen aus Philosophie und Neurobiologie zusehends in der Sozialen Arbeit zu etablieren, wird in Form einer logisch-philosophischen Abhandlung diskutiert. Die Arbeit gliedert sich in drei große Abschnitte, welche sich steigernd dem Hauptteil der Kritik annähern. Im ersten Abschnitt werden zunächst in einem kurzen Abriss die `Gründungsväter´ des Konstruktivismus dargestellt. Im Anschluss ermöglicht eine Erläuterung der grundlegendsten Standpunkte und Begriffe des neuen `Paradigma´ einen Einblick in dessen Funktions-und Wirkungsweisen. Der zweite große Abschnitt der Arbeit widmet sich der bereits weit vorangeschrittenen Rezeption des Konstruktivismus innerhalb der Sozialen Arbeit. Hierzu werden zunächst die Anwendungsmöglichkeiten des Konstruktivismus analog der klassischen Handlungsbegriffe Sozialer Arbeit diskutiert: Fall, Hilfe, Klient oder Problem als Dimensionen sozialen Handelns sind jeweils in ihrer konstruktivistischen `Kopplung´ dargelegt. Dies geschieht zunächst objektiv, also wertungsfrei. Auf die praktischen Überlegungen folgen in den nächsten Kapiteln, ebenfalls noch wertungsfrei, die Möglichkeiten des Konstruktivismus auf der Theorieebene. Im dritten und letzten Abschnitt erfolgt die kritische Prüfung des konstruktivistischen Ansatzes in Bezug auf dessen Anwendbarkeit innerhalb der Sozialen Arbeit. Analog zum zweiten Abschnitt konzentriert sich die Kritik zunächst auf praktische Konsequenzen und hierauf auf theoretische Implikationen. Die Abhandlung gelangt zu dem Ergebnis, dass sowohl praktische, als auch theoretische Konstruktivismusansätze innerhalb der Sozialen Arbeit einen umfassenden Paradigmenwechsel eingeleitet haben. Allerdings weist diese Entwicklung eine nicht unbedenkliche Umorientierung auf ein stark funktionalistisches und pragmatisches Welt- und Menschenbild auf. Das scheinbar ideale neue Leitkonzept für die Soziale Arbeit trägt, vor allem auch im ethischen Bereich, zahlreiche problematische Züge, die in dieser Arbeit eingehend diskutiert werden. Ich habe versucht, die Primärliteratur des neuen Paradigmas in eine einfache, verständliche Sprache zu übersetzen. Um hierbei weitere komplizierte Satzkonstruktionen zu vermeiden, habe ich bewusst auf die geschlechtsspezifische Unterscheidung verzichtet.

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1. Einleitung

Der Anspruch des Menschen, die Gegebenheiten seiner Welt in der richtigen Weise erfassen, erklären und deuten zu können, ist seit jeher ein charakteristisches Merkmal menschlichen Daseins und Strebens. Was geschieht aber, wenn dieses Charakteristikum in Frage gestellt wird und dem Menschen jegliche Fähigkeit, seine Welt zu erkennen, abgesprochen wird. Die vorliegende Arbeit widmet sich dieser Thematik und den Auswirkungen eines konstruktivistischen Denkens. Sie hinterfragt die Prämissen und Konditionen eines Weltbildes, das auf der Annahme fußt, die Wirklichkeit sei lediglich eine `neuronale Konstruktion´ unseres Geistes. Die Soziale Arbeit hat bereits, wie die meisten ihrer Bezugswissenschaften, das konstruktivistische Denkmodell in zahlreichen Nuancen und Facetten rezipiert und weiterbearbeitet. Die vorliegende Arbeit will die, von der Sozialen Arbeit `absorbierten´, konstruktivistischen Elemente wieder einzeln ersichtlich machen, um sie daraufhin kritisch diskutieren zu können. In diesem Sinne wird zunächst die ursprüngliche Lehre des Konstruktivismus dargestellt. Hierauf folgt eine wertneutrale Transformation dieses neuen Modells in die Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit; um im letzten Abschnitt die kritische Prüfung der `Eignung´ des Konstruktivismus als einem Konzept der Sozialen Arbeit vorzunehmen.

Mein Anliegen war es, eine Synthese von sowohl theoretischen, als auch praktischen Überlegungen anzuregen. Theoretische Modelle werden in der Praxis angesiedelt und praktische Erfahrungen in die Sprache der Theorie übersetzt. Das Hauptziel dieser Arbeit jedoch ist es, wenn man einen Ausdruck der Theologie zitieren darf, die `Geister´ eines Paradigmas zu `prüfen´; die ursprünglichen Ausgangspunkte, sowie die letzthinnigen Auswirkungen eines Denkens zu erörtern, welches in einem Arbeitsfeld wie der Sozialen Arbeit eine unmittelbare Bedeutung für Menschen und deren Taten gewinnt.

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2. Die Ursprünge des Konstruktivismus

2. 1 Das `Dreigestirn´ eines neuen Paradigmas

Der Philosoph R. Descartes (1643 - 1727), sowie der Physiker I. Newton (1596 - 165o), waren die zwei wohl ausschlaggebendsten Persönlichkeiten, auf deren logischen, sowie physikalischen Erkenntnissen ein Weltbild aufgebaut wurde, das bis in das 2o. Jahrhundert hinein nahezu sämtliche Bereiche abendländischer Wissenschaft dominierte: DasNewtonschebzw.Kartesianische Paradigma.An den `Grundfesten´ dieses kausalistischen und mechanistischen Weltbildes wagte als erster W. Heisenberg zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu `rütteln´, als er mit der Aufstellung derHeisenbergschen Unschärferelation2die Möglichkeit eines zufälligen und auf Wahrscheinlichkeiten aufgebauten Naturbildes in Betracht zog.3W. Heisenberg legte damit das Fundament für „[...]einen umfassenden Paradigmenwechsel in den Wissenschaften - eine wissenschaftliche Revolution.“4, welche in den darauffolgenden Jahrzehnten durch die Theorie des Konstruktivismus vollends vollzogen wurde. Für letzteres verant-wortlich waren vor allem drei österreichische Wissenschaftler, die mithin als das `Dreigestirn´ des Konstruktivismus bezeichnet werden können:

E.v. Glasersfeld

H.v. Foerster

P.Watzlawick

2DieHeisenbergsche Unschärferelationbesagt, dass jede wissenschaftliche Messung, mag sie noch so exakt sein, stets durch die Messgeräte bzw. das Messverhalten des Beobachters in ihrer Objektivität eingeschränkt ist.

3Vgl. F. Capra (1987), S. 14ff.

4W. Krohn (2ooo), S. 441.

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Im Folgenden werde ich kurz auf die Profile dieser drei `Ausnahmewissenschaftler´ eingehen, da deren Biographien und Werkschaffen bereits hilfreiche Anhaltspunkte für diesen neuen `way of thinking´ zu geben vermögen.

Der 1917 in München geborene, österreichische Baron E. v. Glasersfeld studierte zunächst Mathematik in Zürich und Wien, verdingte sich während des zweiten Weltkriegs als Farmer in Irland und arbeitete nach 1947 kurzzeitig als Journalist in Italien. E. v. Glasersfeld prägte den TerminusRadikaler Konstruktivismus5, indem er immer wieder betonte , dass die Aneignung der konstruktivistischen Position es erfordere, dass man fast alles umbaut, was man vorher gedacht hat. Indem sich E. v. Glasersfeld vor allem die konstruktivistischen Erkenntnisse des Entwicklungspsychologen J. Piaget6aneignete, kommt er zu der Schlussfolgerung, dass sich nicht, wie gemeinhin angenommen, der Mensch an seine Umgebung anpasst, sondern der Mensch seine Umgebung an sich selbst anpasst. Hieraus entstand schließlich einer der Leitsätze des Konstruktivismus: „Wirerzeugen daher buchstäblich die Welt, in der wir leben, indem wir sie leben.“7.

H. v. Foerster, geboren 1911 in Wien, stellt einen weiteren radikalen Anfechter des linearen, auf stabilen Raum- und Zeitkoordinaten basierenden, alten Weltbildes dar. H. v. Foerster, der niemals einen akademischen Titel errang, studierte zunächst an der Technischen Hochschule in Wien technisches Ingenieurwesen. Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde er nach USA berufen, wo er der Leiter des innovativenBiological Computer Laboratorywurde. Von dort aus entwickelte er zusammen mit W. McCulloch, N. Wiener und J. v. Neumann den neuen Wissenschaftszweig derKybernetik8. Zeitlebens erschien keine Monographie von H. v. Foerster; vielmehr unzählige Aufsatzsammlungen, Mitschriften von Studenten, Interviews und Tagungsbände. H. v. Foerster, der Akademismen jeglicher Art ablehnte, redete bevorzugt in Form von Anekdoten und Parabeln. Ihm ist es zu verdanken, dass die exakt gezogenen Trennlinien zwischen Natur- und Geistes-

5Vgl.S. Schmidt (2ooo), S. 76.

6Hervorzuheben ist vor allem J. PiagetsKonstruktion der Wirklichkeit beim Kinde(195o)

7H. Maturana (1982), S. 269.

8H. v. Foerster war insbesondere der `Architekt´ derKybernetik zweiter Ordnung,sowie der Erfinder der Unterscheidungtrivialerundnicht-trivialer Maschinen.Beide Konzepte wurden, z. B. durch P. Lüssi, von der Sozialen Arbeit adaptiert.

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wissenschaften allmählich aufgebrochen wurden. Naturwissenschaften, die er „[...]hard sciences [...]“nennt und Geisteswissenschaften, welche er als „[...]softsciences [...]“9betitelt, sind erst in ihrer Synthese wirklich nutzbar.

Im Jahre 1921 wurde in Villach/Österreich P. Watzlawick geboren. Nach dem Studium der Philologie und Philosophie in Venedig, absolvierte er eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. 1957 wurde er, wie auch H. v. Foerster und E. v. Glasersfeld, an eine amerikanische Universität gerufen. Bekannt wurde P. Watzlawick vor allem durch populärwissenschaftliche Publikationen, wie z. B.Wie wirklich ist die Wirklichkeit(1976), oderAnleitung zum Unglücklichsein(1983). Letztere offenbart bereits im Titel P. Watzlawicks typische Methode, durch ungewohnte und überraschende Paradoxien den hilfesuchenden Leser bzw. Patienten neue Sichtmöglichkeiten des eigenen Problems zu eröffnen. Er prägte außerdem den Begriff derselbsterfüllenden Prophezeiung,der auch in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit `seinen Platz´ gefunden hat. In einem Vorwort schriebt P. Watzlawick, und dies ist bezeichnend für sein gesamtes Denken: „DiesesBuch handelt davon, dass die sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist. Diese These scheint den Wagen vor das Pferd zu spannen, denn die Wirklichkeit ist doch offensichtlich das, was wirklich der Fall ist, und Kommunikation nur die Art und Weise, sie zu beschrieben und mitzuteilen.“10

Durch denAutopoiesis-Aufsatz(1974) der beiden chilenischen Biologen H. Maturana und F. J. Varela erhielt das philosophisch vorbereitete `Gedankengut´ von E. v. Glasersfeld, H. v. Foerster und P. Watzlawick die noch ausstehende wissenschaftliche Fundierung.11Auf den Inhalt der Autopoiesis-Theorie werde ich in den Punkten 3. 2. 3.ff detailliert eingehen.

9H. v. Foerster (1993), S. 161.

10P. Watzlawick (1994), S. 7.

11G. Roth schreibt zum Autopoiesis-Aufsatz:„Hier wird - häufig auf ein paar Seiten zusammengedrängteine neuartige Erklärung der Phänomene des Lebens, der Funktion des Nervensystems, der Wahrnehmung, des Denkens [...] und vieles mehr angeboten, die - wenn dieser Anspruch zu Recht besteht - eine wirkliche Revolution [...] der Kognitions- und Kommunikationswissenschaften einzuleiten vermag.“(G. Roth (2ooo), S. 256.)