Assassin's Creed Band 1: Renaissance - Oliver Bowden - E-Book

Assassin's Creed Band 1: Renaissance E-Book

Oliver Bowden

4,5

Beschreibung

Die italienische Renaissance im Jahre des Herrn 1476: Wo Kultur und Kunst direkt neben Bestechung, Gier und Mord gedeihen, wo sich konkurrierende Familien erbarmungslose Blutfehden um politische und wirtschaftliche Macht liefern - hier beginnt die Reise eines von Rache beseelten jungen Adligen, der einst zu einem Instrument des Todes werden soll - ein einsamer Vollstrecker. Er folgt dem Weg der Bruderschaft der Assassinen und erlernt die geheimen Fähigkeiten des uralten Attentäter- Ordens. Auf der Jagd nach den Mördern seiner Familie nutzt er die Weisheit großer Geister wie Leonardo Da Vinci und Niccolo Machiavelli, um seine Feinde zur Strecke zu bringen - geleitet nur vom Credo der Assassinen.

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Englische Originalausgabe: “ASSASSIN’S CREED: Renaissance” by Oliver Bowden, published by Penguin Books, London, England, November 2009.

Copyright © 2010 Ubisoft Entertainment. All Rights Reserved. Assassin’s Creed, Ubisoft, Ubi.com and the Ubisoft logo are trademarks of Ubisoft Entertainment in the U.S. and other countries.

No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

Lektorat: Peter Bondy Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest Chefredaktion: Jo Löffler Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart Satz & eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-8332-2091-3

www.paninicomics.de/videogame

1

Fackeln flackerten hoch oben auf den Türmen des Palazzo Vecchio und des Bargello, und auf dem Domplatz ein wenig weiter nördlich schimmerten Laternen. Andere erhellten die Kais entlang der Ufer des Arno, wo im Zwielicht – und zu sehr später Stunde für eine Stadt, in der sich die meisten Menschen schon bei Anbruch der Dunkelheit in ihre Häuser verzogen – eine Anzahl Matrosen und Schauerleute auszumachen war. Ein paar der Matrosen, die sich noch um ihre Schiffe und Boote kümmerten, führten rasch letzte Reparaturen an der Takelage aus und rollten auf den dunklen, blank geschrubbten Decks Taue ordentlich zusammen, derweil die Schauerleute eilends Frachtgut in die Sicherheit der nahen Lagerhäuser schleiften und schleppten.

Lichter glommen auch in den Weinstuben und Bordellen, doch auf den Straßen war kaum ein Mensch unterwegs. Es war sieben Jahre her, seit der damals 27-jährige Lorenzo de’ Medici zum Stadtherrn gewählt worden war und zumindest einen Anflug von Ordnung und Ruhe in die heftige Rivalität zwischen den führenden internationalen Bankiers- und Kaufmannsfamilien gebracht hatte, die Florenz ihrerseits zu einer der wohlhabendsten Städte der Welt gemacht hatten. Dennoch hatte die Stadt nie aufgehört zu brodeln, und bisweilen war sie auch übergekocht, da jede Partei die Herrschaft anstrebte, wozu die einen ihre Sympathien verlagerten und andere auf Dauer unversöhnliche Feinde blieben.

Im Jahre des Herrn 1476 war Florenz nicht unbedingt ein Ort, an dem man sich nach Sonnenuntergang noch im Freien aufhalten sollte – auch an einem jasminsüßen Frühlingsabend nicht, wenn man den Gestank des Arno fast vergaß, so der Wind denn richtig stand.

Der Mond war am nunmehr kobaltblauen Himmel aufgegangen und gebot über das Sternenheer. Sein Licht fiel auf den freien Platz, wo die Ponte Vecchio, in deren aneinander gedrängten Läden es jetzt dunkel und still war, sich mit dem Nordufer des Flusses vereinte. Der fahle Schein beleuchtete aber auch eine schwarz gekleidete Gestalt, die auf dem Dach der Kirche Santo Stefano al Ponte stand – ein junger Mann, gerade erst siebzehn Jahre alt, aber von hochgewachsener und stolzer Statur. Während sein scharfer Blick über die umliegenden Gassen glitt, führte er eine Hand an die Lippen und pfiff. Es war ein leiser, aber durchdringender Ton. Daraufhin traten erst einer, dann drei, dann ein Dutzend und schließlich zwanzig Männer aus dunklen Straßen und unter Torbögen hervor auf den Platz, alle jung wie der Mann auf dem Dach, die meisten ebenfalls in Schwarz gekleidet, einige angetan mit blutroten, grünen oder azurblauen Kapuzen oder Hüten und alle mit Schwertern oder Dolchen am Gürtel. Die Bande gefährlich aussehender Jünglinge verteilte sich, jede Bewegung von großspuriger Selbstsicherheit geprägt.

Der junge Mann auf dem Dach schaute hinab in die gespannten Gesichter, die vom Mondlicht gebleicht zu ihm heraufsahen. Er hob eine Faust zum herausfordernden Gruß.

„Wir stehen zusammen!“, rief er, als auch die anderen ihre Fäuste hoben, und ein paar von ihnen zogen ihre Waffen, schwangen sie und jubelten: „Zusammen!“

Katzenhaft flink kletterte der junge Mann an der rauen Fassade vom Dach zum Kirchenportal herab, von wo aus er mit einem eleganten Sprung und wehendem Mantel sicher zwischen den anderen landete. Erwartungsvoll scharten sie sich um ihn.

„Ruhe, meine Freunde!“ Er hob die Hand, um einen einzelnen letzten Ruf verstummen zu lassen, und lächelte grimmig. „Wisst ihr, warum ich euch heute Nacht hierher gerufen habe, meine engsten Verbündeten und Freunde? Um euch um eure Hilfe zu bitten. Ich habe zu lange geschwiegen, während unser Feind – ihr wisst, wen ich meine, Vieri de’ Pazzi – meine Familie in der ganzen Stadt verleumdet, unseren Namen in den Dreck gezogen und uns auf seine lächerliche Art zu erniedrigen versucht hat. Normalerweise würde ich mir nicht die Mühe machen, nach so einem räudigen Hund auch nur zu treten, aber …“

Er brach ab, als ein großer, kantiger Stein, der aus Richtung der Brücke geworfen worden war, zu seinen Füßen landete.

„Schluss mit dem Unsinn, grullo!“, rief eine Stimme.

Wie ein Mann drehten sich alle nach der Stimme um. Sie wussten bereits, wem sie gehörte. Von der Südseite der Brücke her näherte sich eine weitere Gruppe junger Männer. Ihr Anführer stolzierte ihnen voran. Über seinem dunklen Samtanzug trug er einen roten Umhang, gehalten von einer Klammer, die mit goldenen Delfinen und Kreuzen verziert war. Seine Hand lag auf dem Knauf seines Schwertes. Er war von durchaus gutem Aussehen, das nur ein grausamer Zug um den Mund und ein schwach ausgeprägtes Kinn störten, und obgleich er ein wenig untersetzt war, konnte an der Kraft in seinen Armen und Beinen kein Zweifel bestehen.

„Buona sera, Vieri“, sagte der junge Mann in ruhigem Ton. „Wir haben gerade von dir gesprochen.“ Er verbeugte sich übertrieben höflich und setzte eine überraschte Miene auf. „Aber du musst mir verzeihen. Wir hatten dich nicht persönlich erwartet. Ich dachte, die Pazzis würden stets andere schicken, um ihre Drecksarbeit erledigen zu lassen.“

Vieri trat näher und straffte sich, während sein Trupp ein paar Meter entfernt stehen blieb. „Ezio Auditore! Du verhätschelter kleiner Balg! Ich würde sagen, dass es eher deine Familie von Schreibtischhengsten und Buchhaltern ist, die zu den Wachen läuft, sobald es auch nur das geringste Anzeichen von Schwierigkeiten gibt. Codardo!“ Er packte den Griff seines Schwertes. „Du hast Angst, dich der Dinge selbst anzunehmen. So ist das!“

„Nun, was soll ich sagen, Vieri, ciccione? Deine Schwester Viola schien bei unserer jüngsten Begegnung recht zufrieden mit der Art und Weise gewesen zu sein, wie ich mich ihrer angenommen habe.“ Ezio Auditore schenkte seinem Feind ein breites Grinsen und vernahm mit Befriedigung, wie dessen Gefährten hinter seinem Rücken kicherten und tuschelten.

Aber er wusste auch, dass er zu weit gegangen war. Vieri war vor Zorn bereits dunkelrot angelaufen. „Jetzt reicht es mir mit dir, Ezio, du kleiner Wichser! Jetzt wollen wir mal sehen, ob du auch so gut kämpfst, wie du plapperst!“ Er hob das Schwert und sah über die Schulter hinweg zu seinen Männern. „Bringt die Scheißkerle um!“, brüllte er dann.

Augenblicklich wirbelte ein weiterer Stein durch die Luft, aber diesmal nicht zum Zweck der Provokation. Der Stein traf Ezio an der Stirn, die Haut platzte auf, Blut floss. Ezio wankte kurz, während Vieris Gefolge auch schon einen wahren Steinhagel auslöste. Ezios eigenen Leuten blieb kaum Zeit, sich zu ordnen, ehe die Pazzi-Bande über die Brücke herankam und auf sie zustürmte. Weil alle zugleich angriffen, war das Gedränge so dicht, dass zunächst kaum Gelegenheit war, Schwerter oder auch nur Dolche zu ziehen. So stürzten sich beide Parteien mit bloßen Fäusten aufeinander.

Der Kampf wurde hart und erbittert geführt; brutale Tritte und Schläge mischten sich mit dem Übelkeit erregenden Knacken von Knochen. Für eine Weile standen die Siegeschancen durchaus gleich; doch dann sah Ezio, sein Blick leicht getrübt von dem Blut, das ihm aus der Stirnwunde rann, wie zwei seiner besten Männer strauchelten und zu Boden gingen, wo die Pazzis sogleich auf sie eintraten. Vieri lachte und führte, einen schweren Stein in der Hand, einen weiteren Hieb nach Ezios Kopf. Ezio ging in die Knie, und der Schlag verfehlte ihn, aber es war äußerst knapp gewesen, und jetzt wendete sich das Blatt zuungunsten der Auditore-Fraktion. Bevor er wieder hochkam, gelang es Ezio, den Dolch zu zücken und ungezielt, aber mit Erfolg, nach dem Oberschenkel eines kräftig gebauten Pazzi-Schergen zu stechen, der gerade im Begriff war, sich mit gezogenem Schwert und Dolch auf ihn zu stürzen. Ezios Klinge schnitt erst durch Stoff und dann durch Fleisch und Sehnen, und der Mann stieß ein schmerzerfülltes Heulen aus, fiel vornüber, ließ die Waffen fallen und presste beide Hände auf die Wunde, aus der das Blut quoll.

Ezio rappelte sich auf und blickte in die Runde. Er sah, dass die Pazzis seine eigenen Leute umzingelt und gegen eine Wand der Kirche gedrängt hatten. Er spürte, wie ein Teil seiner Kraft in seine Beine zurückkehrte, und schob sich auf seine Gefährten zu. Ein weiterer Pazzi-Schläger schwang das Schwert nach ihm; Ezio duckte sich, schlug dem Mann die Faust aufs stoppelige Kinn und sah zu seiner Zufriedenheit Zähne fliegen, während der Beinahe-Mörder, von dem Treffer gelähmt, in die Knie sackte. Ezio versuchte seinen Männern mit Zurufen Mut zu machen, doch in Wahrheit dachte er nur darüber nach, wie sie möglichst würdevoll den Rückzug antreten konnten, als er hörte, wie eine laute und sehr vertraute Stimme von jenseits des Pazzi-Mobs nach ihm rief.

„Hey, fratellino, was zum Teufel treibt ihr da?“

Ezios Herz pochte vor Erleichterung, und er keuchte: „Hey Federico! Was tust du denn hier? Ich dachte, du würdest wieder mal die Nacht durchfeiern!“

„Unsinn! Ich wusste doch, dass du etwas im Schilde führst, und da dachte ich mir, ich komme mal mit, um zu sehen, ob mein kleiner Bruder endlich gelernt hat, auf sich aufzupassen. Aber du scheinst noch die eine oder andere Lektion nötig zu haben!“

Federico Auditore, ein paar Jahre älter als Ezio und ältester Sohn der Familie Auditore, war ein großer Mann mit großem Appetit – aufs Trinken, auf die Liebe und auf den Kampf. Noch während er sprach, stürmte er heran, schlug zwei der Pazzis mit den Köpfen aneinander, hob den Fuß und knallte ihn einem dritten unters Kinn, während er durch die Meute auf seinen Bruder zupflügte, scheinbar blind und taub für das gewalttätige Treiben um ihn herum. Solcherart ermuntert, verdoppelten Ezios Leute ihre Anstrengungen. Die Pazzis hingegen waren aus dem Tritt gebracht. Ein paar der Werfthelfer hatten sich in sicherer Entfernung zum Zuschauen versammelt, und im Zwielicht hielten die Pazzis diese Männer für Verstärkung der Auditores. Dies sowie Federicos Gebrüll und fliegende Fäuste und Ezio, der dem Beispiel seines Bruders rasch nacheiferte, versetzten die Gegner schnell in Panik.

Vieri de’ Pazzis wütende Stimme erhob sich über den Tumult. „Rückzug!“, rief er seinen Männern zu. Sein Blick fiel auf Ezio, und er knurrte irgendeine unhörbare Drohung, ehe er im Dunkeln verschwand und über die Ponte Vecchio floh, gefolgt von denjenigen seiner Männer, die sich noch rühren konnten, und gejagt von Ezios nunmehr triumphierenden Gefährten.

Auch Ezio wollte ihnen nachsetzen, aber die massige Hand seines Bruders hielt ihn zurück. „Warte mal“, sagte Federico.

„Was ist denn? Wir müssen hinterher!“

„Halt still.“ Federico furchte die Stirn und betastete sanft die Wunde auf Ezios Stirn.

„Das ist nur ein Kratzer.“

„Das ist mehr als nur ein Kratzer“, befand sein Bruder mit ernster Miene. „Du musst zu einem Arzt.“

Ezio spuckte aus. „Ich kann keine Zeit damit vergeuden, zu einem Arzt zu rennen. Außerdem …“ Er hielt kleinlaut inne. „Ich hab kein Geld.“

„Ha! Hast es für Weiber und Wein verprasst, nehme ich an.“ Federico grinste und schlug seinem Bruder gutmütig auf die Schulter.

„Na ja, ‚verprasst‘ würde ich das nicht nennen. Und schau dir doch nur an, was du mir für ein Vorbild bist.“ Auch Ezio grinste, doch dann zögerte er. Auf einmal merkte er, wie es in seinem Kopf hämmerte. „Na gut, es könnte vielleicht nichts schaden, wenn ein Arzt zumindest einen Blick darauf werfen würde. Du könntest mir nicht zufällig ein paar fiorini leihen?“

Federico tätschelte seinen Geldbeutel. Darin klimperte nichts. „Ehrlich gesagt, ich bin gerade selbst etwas knapp bei Kasse.“

Ezio grinste über den verlegenen Gesichtsausdruck seines Bruders. „Und wofür hast du dein Geld verprasst? Für Messen und Ablässe, wie?“

Federico lachte. „Na gut. Du hast gewonnen.“ Er schaute sich um. Letztlich waren nur drei oder vier ihrer eigenen Leute so schwer verletzt worden, dass sie am Ort des Kampfes zurückbleiben mussten, und selbst die setzten sich auf, stöhnten ein bisschen, grinsten aber auch. Es war eine heftige Prügelei gewesen, aber keiner von ihnen hatte irgendwelche Knochenbrüche davongetragen. Allerdings lag ein gutes halbes Dutzend Pazzi-Schergen bewusstlos da, und mindestens zwei von ihnen waren teuer gekleidet.

„Lass uns mal nachsehen, ob einer unserer gefallenen Gegner irgendwelche Reichtümer mit uns teilen will“, meinte Federico. „Unsere Bedürfnisse sind schließlich größer als die ihren – und ich wette, du schaffst es nicht, sie um ihre Last zu erleichtern, ohne sie aufzuwecken!“

„Das werden wir ja sehen“, sagte Ezio und machte sich mit geschickten Fingern ans Werk. Binnen weniger Minuten hatte er genug Goldstücke beisammen, um ihnen beiden den Beutel zu füllen. Ezio blickte triumphierend zu seinem Bruder und ließ seinen frisch erworbenen Reichtum klimpern, um seinen Erfolg zu verkünden.

„Das reicht!“, rief Federico. „Lass ihnen wenigstens so viel, dass sie nach Hause humpeln können. Wir sind schließlich keine Diebe – das ist lediglich Kriegsbeute. Und es gefällt mir immer noch nicht, wie diese Wunde aussieht. Du musst schleunigst zu einem Arzt.“

Ezio nickte, drehte sich um und ließ den Blick ein letztes Mal über das Schlachtfeld wandern, auf dem die Auditores den Sieg davongetragen hatten. Federico wurde ungeduldig und legte dem jüngeren Bruder die Hand auf die Schulter. „Komm schon“, sagte er und setzte sich dann ohne Umschweife so flott in Bewegung, dass Ezio, vom Kampf erschöpft, Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Fiel er jedoch zu weit zurück oder bog er in eine falsche Gasse ab, blieb Federico stehen oder eilte zurück, um ihm den rechten Weg zu weisen. „Tut mir leid, Ezio. Ich möchte nur, dass wir so schnell wie möglich zum medico kommen.“

Und es war in der Tat nicht weit, aber Ezios Müdigkeit nahm mit jeder Minute zu. Endlich erreichten sie den düsteren Raum, in dem ihr Familienarzt seine Praxis unterhielt – ausstaffiert mit rätselhaften Instrumenten und Phiolen aus Messing und Glas, die sich auf dunklen Eichentischen reihten und zwischen Büscheln getrockneter Kräuter von der Decke hingen. Ezio konnte sich kaum noch auf den Füßen halten.

Dottore Ceresa war alles andere als erfreut, als sie ihn mitten in der Nacht aus dem Bett holten, aber seine Miene wandelte sich von Ärger zu Sorge, als er Ezios Wunde im Licht einer Kerze eingehender beäugte. „Hmmm“, machte er ernst. „Diesmal habt Ihr Euch ganz schön was eingefangen, mein Lieber. Fällt euch jungen Leuten denn nichts Besseres ein, als euch gegenseitig zusammenzuschlagen?“

„Es war eine Frage der Ehre, werter Doktor“, warf Federico ein.

„Verstehe“, brummte der Arzt.

„Es ist wirklich nicht weiter schlimm“, meinte Ezio, obwohl er sich schwach fühlte.

Federico verbarg seine Sorge wie immer hinter Humor und sagte: „Flickt ihn, so gut Ihr könnt, zusammen, Freund. Dieses hübsche kleine Gesicht ist schließlich alles, was er besitzt.“

„Hey, fottiti!“, versetzte Ezio und zeigte seinem Bruder den Mittelfinger.

Der Doktor ignorierte sie, wusch sich die Hände, untersuchte die Wunde behutsam und goss aus einer seiner vielen Flaschen ein wenig von einer klaren Flüssigkeit auf ein Stück Leinen. Damit betupfte er die Wunde. Es stach so sehr, dass Ezio vor Schmerz das Gesicht verzog und beinah vom Stuhl aufgesprungen wäre. Als die Wunde zu seiner Zufriedenheit gereinigt war, nahm der Arzt eine Nadel zur Hand und fädelte dünnes Katgut durchs Öhr.

„So“, sagte er. „Das wird jetzt wehtun, aber nur ein bisschen.“

Als er die Stiche gesetzt und die Wunde so verbunden hatte, dass Ezio aussah wie ein Muselman mit Turban, lächelte der Arzt aufmunternd. „Das macht jetzt erst einmal drei fiorini. In ein paar Tagen komme ich in Euren Palazzo und ziehe die Fäden. Dafür werden dann noch einmal drei fiorini fällig. Ihr werdet furchtbare Kopfschmerzen haben, aber die gehen vorüber. Versucht einfach, Euch auszuruhen – wenn Ihr das könnt! Und keine Bange, die Wunde sieht schlimmer aus, als sie ist. Es wird wohl nicht einmal eine Narbe zurückbleiben, also werdet Ihr die jungen Damen in Zukunft nicht allzu sehr enttäuschen!“

Als sie wieder auf der Straße waren, legte Federico den Arm um seinen jüngeren Bruder. Er holte einen Flachmann hervor und hielt ihn Ezio hin. „Keine Sorge“, sagte er, als er den Ausdruck auf Ezios Gesicht bemerkte. „Das ist der beste Grappa unseres Vaters. Für einen jungen Mann in deiner Verfassung besser als Muttermilch.“

Sie tranken beide und genossen es, wie der Alkohol sie wärmte. „Was für eine Nacht“, meinte Federico.

„Stimmt. Ich wünschte, wir hätten jede Nacht so einen Spaß …“ Ezio unterbrach sich, als er sah, wie sein Bruder von einem Ohr zum anderen zu grinsen begann. „Moment mal“, korrigierte er sich lachend, „wir haben ja jede Nacht so einen Spaß!“

„Trotzdem, ich glaube, etwas Speis und Trank täten dir ganz gut, bevor wir uns auf den Heimweg machen“, sagte Federico. „Es ist zwar spät, aber ich kenne da eine Taverne ganz in der Nähe, die bis zum Morgen offen hat, und …“

„… du und die oste seid amici intimi, hab ich recht?“

„Wie hast du denn das erraten?“

Eine Stunde später und nach einem Mahl aus ribollita und bistecca, das sie mit einer Flasche Brunello hinuntergespült hatten, fühlte Ezio sich, als sei er nie verletzt gewesen. Er war jung und fit und spürte, dass alle verlorene Kraft in ihn zurückgeflossen war. Das Adrenalin, das der Sieg über das Pazzi-Gesindel in ihm freigesetzt hatte, trug sicher auch zu seiner schnellen Genesung bei.

„Zeit, nach Hause zu gehen, kleiner Bruder“, sagte Federico. „Vater fragt sich gewiss schon, wo wir stecken, und du bist derjenige, den er sich als Helfer bei den Bankgeschäften ausgeguckt hat. Zu meinem Glück habe ich mit Zahlen nichts am Hut, weshalb er es kaum erwarten kann, mich in der Politik unterzubringen!“

„In der Politik oder im Zirkus – so wie du dich aufführst.“

„Gibt es da einen Unterschied?“

Ezio wusste, Federico trug es ihm nicht nach, dass ihr Vater ihn mehr mit dem Familiengeschäft betraute als den älteren Bruder. Federico wäre vor Langeweile umgekommen, müsste er ein Leben als Bankier führen. Das Problem war nur, dass Ezio das Gefühl hatte, ihm könnte es genauso gehen. Aber im Augenblick lag der Tag, an dem er den schwarzen Samtanzug und die Goldkette eines florentinischen Bankiers anlegen würde, noch in einiger Ferne, und er war entschlossen, die Tage, an denen er noch frei und ohne Verantwortung war, voll auszukosten. Er ahnte nicht, wie wenige solcher Tage vor ihm lagen.

„Wir sollten uns lieber beeilen“, sagte Federico, „wenn wir keine Predigt riskieren wollen.“

„Er macht sich vielleicht Sorgen.“

„Nein, er weiß doch, dass wir auf uns aufpassen können.“ Federico musterte Ezio forschend. „Aber wir sollten nicht mehr trödeln.“ Er hielt inne. „Du hast nicht zufällig Lust auf ein Spielchen? Auf ein Wettrennen vielleicht?“

„Wohin?“

„Sagen wir mal …“, Federico ließ den Blick über die vom Mond erhellte Stadt hin zu einem nicht weit entfernten Turm wandern, „… bis aufs Dach von Santa Trinità. Wenn es dir nicht zu viel ist – und von dort ist es nicht weit bis nach Hause. Da wäre nur noch eines.“

„Ja?“

„Wir laufen nicht durch die Straßen, sondern quer über die Dächer.“

Ezio holte tief Luft. „Na gut. Versuch dein Glück“, meinte er.

„In Ordnung, kleine tartaruga – los!“

Ohne ein weiteres Wort stürmte Federico davon und kletterte flink wie eine Eidechse an einer nicht verputzten Wand empor. Oben hielt er kurz inne, schien zwischen den abgerundeten roten Schindeln fast zu wanken, dann lachte er, und schon war er wieder fort. Als Ezio das Dach erreichte, war ihm sein Bruder bereits zwanzig Meter voraus. Er machte sich an die Verfolgung; die vom Adrenalin geschürte Erregung der Hetzjagd ließ ihn alle Schmerzen vergessen. Dann sah er, wie Federico mit einem gewaltigen Sprung über eine pechschwarze Kluft setzte, um leichtfüßig auf dem flachen Dach eines grauen Palazzos zu landen, das etwas tiefer lag als jenes, von dem er gesprungen war. Er rannte noch ein kleines Stück weiter, dann wartete er. Ezio verspürte einen Hauch von Angst, als der acht Stockwerke tiefe Abgrund vor ihm gähnte, aber er wusste, dass er lieber sterben würde, als vor den Augen seines Bruders zu zögern, und so raffte er allen Mut zusammen und legte alles, was er hatte, in den Sprung; tief unter seinen strampelnden Füßen sah er das harte Granitpflaster der Straße, das im Mondlicht grau schimmerte. Einen Sekundenbruchteil lang fürchtete er, sich verschätzt zu haben; die harte graue Mauer des Palazzos schien vor ihm in die Höhe zu wachsen; aber dann sank sie doch irgendwie tiefer, und er war auf dem anderen Dach, um sein Gleichgewicht ringend, ja, aber immer noch auf den Füßen und von einem Hochgefühl erfüllt, wenn auch schwer atmend.

„Mein kleiner Bruder hat noch viel zu lernen“, neckte Federico und setzte sich wieder in Bewegung, ein dahinschießender Pfeil zwischen den Schornsteinen, über die sich die Wolkendecke breitete. Ezio warf sich nach vorn, ging ganz auf in der Wildheit des Augenblicks. Weitere Schluchten taten sich vor ihm auf, die einen nur handtuchschmale Gassen, andere breite Durchfahrten. Federico war nirgends zu sehen. Dann lag auch schon der Turm von Santa Trinità vor ihm, der aus dem roten Kirchendach aufragte. Doch im Näherkommen entsann er sich, dass die Kirche in der Mitte eines Platzes stand und dass die Distanz zwischen ihrem Dach und den Dächern der umliegenden Gebäude sehr viel größer war als jede, die er bislang überwunden hatte. Doch wagte er es nicht, jetzt zu zögern oder langsamer zu werden – er konnte nur hoffen, dass das Kirchendach tiefer lag als jenes, von dem er abspringen musste. Wenn er sich mit genügend Kraft nach vorn werfen, sich wirklich durch die Luft katapultieren konnte, würde die Schwerkraft den Rest erledigen. Ein, zwei Sekunden lang würde er fliegen wie ein Vogel. Er vertrieb jeden Gedanken an die Folgen, sollte er versagen.

Die Kante des Daches, auf dem er sich befand, rückte rasch näher, und dann …

Nichts!

Er flog, die Luft pfiff ihm um die Ohren und trieb ihm die Tränen in die Augen. Das Kirchendach schien unendlich weit entfernt. Er würde es nie erreichen, er würde nie wieder lachen oder eine Frau in seinen Armen halten. Er konnte nicht atmen, schloss die Augen, und …

… fiel mit dem Oberkörper vornüber, stützte sich auf Hände und Füße, unter denen er auf einmal wieder festen Boden spürte. Es war gelungen. Zwar lag der Dachrand nur Zentimeter hinter ihm, aber er hatte den Sprung geschafft!

Nur, wo war Federico? Ezio krabbelte zum Fuß des Turmes hinauf und sah zurück in die Richtung, aus der er gekommen war, gerade rechtzeitig, um seinen Bruder durch die Luft fliegen zu sehen, so wie er es selbst gerade noch getan hatte. Federico landete sicher, doch unter seinem Gewicht lösten sich zwei, drei der roten Tonschindeln, und er verlor beinah den Halt, als die Schindeln über die Dachschräge und die Kante rutschten, um Sekunden später in der Tiefe auf den harten Pflastersteinen zu zerschellen. Federico hatte unterdessen sein Gleichgewicht wiedergefunden und richtete sich auf – keuchend zwar, aber mit einem breiten, stolzen Grinsen im Gesicht.

„Doch keine tartaruga“, meinte er, als er heraufkam und Ezio auf die Schulter klopfte. „Du bist ja wie ein geölter Blitz an mir vorbeigezischt.“

„Das hab ich nicht mal gemerkt“, erwiderte Ezio atemlos.

„Aber zur Turmspitze rauf schlägst du mich nicht“, versetzte Federico, schob Ezio beiseite und machte sich daran, den gedrungenen Turm zu ersteigen, den die Stadtväter durch etwas Moderneres ersetzen wollten. Diesmal schaffte es Federico als Erster, und er musste seinem verletzten Bruder, der den Gedanken an ein Bett inzwischen sehr verlockend fand, sogar die Hand reichen, um ihn das letzte Stück hinaufzuziehen. Sie waren beide außer Atem, und während sie sich ausruhten, blickten sie über ihre Stadt, die ihnen im Licht der Dämmerung friedlich und still zu Füßen lag.

„Wir führen ein gutes Leben, Bruder“, sagte Federico in ungewohnt ernstem Ton.

„Das beste Leben“, pflichtete Ezio ihm bei. „Möge es nie anders sein.“

Sie verfielen beide in Schweigen. Keiner von ihnen wollte die Vollkommenheit des Augenblicks stören. Erst nach einer Weile ergriff Federico wieder das Wort: „Möge es auch uns nie ändern, fratellino. Komm, wir müssen zurück. Dort ist das Dach unseres Palazzos. Gebe Gott, dass Vater nicht die ganze Nacht aufgeblieben ist, sonst kriegen wir wirklich Ärger. Komm.“

Er trat an den Rand des Turmes, um hinabzuklettern, hielt jedoch inne, als er sah, dass Ezio sich nicht vom Fleck rührte. „Was ist?“

„Warte mal.“

„Was gibt’s denn da zu sehen?“, fragte Federico und ging zu ihm. Er folgte Ezios Blick, und dann legte sich ein Grinsen über sein Gesicht. „Du kleiner Teufel! Du willst doch nicht etwa jetzt dorthin, oder? Lass das arme Mädchen schlafen!“

„Nein … ich glaube, es ist an der Zeit, dass Cristina aufwacht.“

* * *

Ezio hatte Cristina Calfucci erst vor Kurzem kennengelernt, aber sie schienen schon jetzt unzertrennlich zu sein, obwohl ihrer beider Eltern sie für zu jung hielten, um eine derart feste Beziehung einzugehen. Ezio war da ganz anderer Meinung, aber Cristina war erst siebzehn, und ihre Eltern erwarteten, dass Ezio erst einmal sein Ungestüm zu bezähmen lernte, bevor sie bereit wären, ihn auch nur mit einem wohlwollenderen Blick zu betrachten. Was ihn freilich nur noch ungestümer machte.

Federico und er waren über den Hauptmarkt geschlendert, nachdem sie ein paar Schmuckstücke gekauft hatten, die sie ihrer Schwester zum Namenstag schenken wollten. Sie hatten die hübschen Mädchen der Stadt mit ihrem accompagnatrice beobachtet, wie sie von Stand zu Stand schlenderten, hier Spitze in Augenschein nahmen und dort Borten, Stoffballen und Seide. Ein Mädchen jedoch hatte sich von allen anderen abgehoben, sie war schöner und anmutiger als sonst ein Mädchen, dem Ezio je begegnet war. Diesen Tag würde Ezio nie vergessen, den Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte.

„Oh“, war es ihm unfreiwillig entfahren. „Sieh nur! Wie schön sie ist.“

„Na ja“, meinte sein stets praktisch denkender Bruder, „warum gehst du nicht zu ihr und sagst Hallo?“

„Was?“ Ezio erschrak. „Und wenn ich Hallo gesagt habe, was dann?“

„Nun, dann könntest du versuchen, dich mit ihr zu unterhalten. Darüber, was du gekauft hast, was sie gekauft hat – ist doch ganz egal. Weißt du, kleiner Bruder, es ist so … die meisten Männer fürchten sich so sehr vor schönen Mädchen, dass jeder, der den Mut aufbringt, sie anzusprechen, automatisch im Vorteil ist. Glaubst du etwa, dass sie nicht bemerkt werden, dass sie nicht mit einem Mann plaudern wollen? Natürlich wollen sie das! Wie auch immer, du siehst nicht übel aus, und du bist ein Auditore. Los, mach schon. Ich lenke inzwischen die Anstandsdame ab. Auf den zweiten Blick sieht die auch gar nicht hässlich aus.“

Ezio erinnerte sich, wie er mit Cristina allein gewesen war, wie er sich am Fleck festgewurzelt geglaubt hatte, wie ihm die Worte gefehlt hatten, wie er die Schönheit ihrer dunklen Augen, ihres langen, weichen kastanienbraunen Haars, ihrer Stupsnase in sich aufgesogen hatte …

Sie blickte ihn an. „Was ist?“, fragte sie.

„W…was meint Ihr?“, stammelte er.

„Warum steht Ihr da so herum?“

„Oh … ähm … weil ich Euch etwas fragen wollte.“

„Und das wäre?“

„Wie ist Euer Name?“

Sie verdrehte die Augen. Verdammt, dachte er, den Spruch hat sie schon oft gehört. „Meinen Namen werdet Ihr Euch nicht merken müssen“, antwortete sie. Und dann ging sie davon. Ezio starrte ihr einen Moment lang hinterher, dann ging er ihr nach.

„Wartet!“, rief er, holte sie ein, so außer Atem, als sei er eine Meile gerannt. „Ich war noch nicht soweit. Ich wollte doch wirklich charmant sein. Und zuvorkommend! Und geistreich! Gebt Ihr mir eine zweite Chance?“

Sie erwiderte seinen Blick, ohne langsamer zu werden, aber sie schenkte ihm auch die winzige Andeutung eines Lächelns. Ezio war der Verzweiflung nah gewesen, doch Federico hatte alles beobachtet und rief ihm leise zu: „Gib jetzt nur nicht auf! Ich hab gesehen, wie sie dich angelächelt hat! Sie wird dich nicht vergessen.“

Ezio hatte sich ein Herz gefasst und war ihr gefolgt – unauffällig, damit sie ihn nicht bemerkte. Drei- oder viermal hatte er sich rasch hinter einer Marktbude oder – nachdem sie den Markt verlassen hatte – in einem Hauseingang verstecken müssen, aber es war ihm gelungen, ihr bis zur Tür der Villa ihrer Familie auf den Fersen zu bleiben. Dort verstellte ihr ein Mann, der Ezio bekannt vorkam, den Weg, und er hielt sich vorerst lieber zurück.

Cristina funkelte den Mann wütend an. „Ich habe es Euch schon einmal gesagt, Vieri, Ihr interessiert mich nicht. Und nun lasst mich vorbei.“

In seinem Versteck sog Ezio scharf die Luft ein. Vieri de’ Pazzi! Natürlich!

„Aber ich bin interessiert, signorina. Sehr interessiert sogar“, entgegnete Vieri.

„Dann stellt Euch hinten an.“

Sie versuchte, an ihm vorbeizukommen, aber er trat vor sie hin. „Das habe ich eigentlich nicht vor, amore mio. Ich habe vielmehr entschieden, dass ich es satt habe zu warten, bis Ihr die Beine freiwillig breit macht.“ Und dann packte er sie grob am Arm, zog sie an sich und legte den anderen Arm um sie, als sie sich aus seinem Griff zu befreien versuchte.

„Mir scheint, du hast nicht recht verstanden“, sagte Ezio auf einmal, trat vor und blickte Vieri gerade in die Augen.

„Ach, der kleine Auditore, dieser Balg. Cane rognose! Was zum Teufel geht dich das an? Zur Hölle mit dir!“

„Buon’ giorno, Vieri, ganz meinerseits. Es tut mir leid, dass ich mich so einmischen muss, aber ich habe den Eindruck, du verdirbst dieser jungen Dame den Tag.“

„Ach, hast du, ja? Entschuldigt mich, meine Liebe, ich muss diesem Parvenü nur kurz Manieren beibringen.“ Damit hatte Vieri das Mädchen beiseite gestoßen und mit der rechten Faust nach Ezio geschlagen. Ezio entging dem Hieb mühelos, trat zur Seite und ließ Vieri stolpern, als dessen eigener Schwung ihn nach vorn warf. Bäuchlings landete er im Staub.

„Hast du genug, mein Freund?“, höhnte Ezio. Aber Vieri war sogleich wieder auf den Beinen und kam wütend und mit wirbelnden Fäusten auf ihn zu. Er traf Ezio einmal hart seitlich ins Gesicht, doch dann wehrte dieser einen linken Haken ab und landete selbst zwei Treffer, einen in den Bauch und den anderen, als Vieri zusammenklappte, gegen dessen Kinn. Dann wandte er sich Cristina zu, um sich zu vergewissern, dass sie in Ordnung war. Außer Atem wich Vieri zurück, doch griff er mit der Hand nach seinem Dolch. Cristina sah die Bewegung und stieß einen spitzen Warnruf aus, als Vieri den Dolch auf Ezios Rücken herabsausen ließ; doch der Schrei warnte Ezio, und er drehte sich gerade noch rechtzeitig um, fing Vieris Handgelenk mit hartem Griff ab und lenkte die Faust mit der Klinge ab. Die Waffe fiel zu Boden. Schwer atmend standen die beiden jungen Männer einander gegenüber.

„Ist das alles, was du draufhast?“, presste Ezio zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Halt’s Maul, oder ich bring dich um, ich schwör’s bei Gott!“

Ezio lachte. „Wahrscheinlich sollte es mich nicht überraschen, dass du versuchst, dich mit Gewalt einem netten Mädchen aufzudrängen, das dich offensichtlich für einen Mistkerl hält – wenn man bedenkt, wie dein Papa versucht, sich ins Bankengeschäft von Florenz zu drängen!“

„Du Narr! Dein Vater ist es, der eine Lektion in Sachen Bescheidenheit verdient!“

„Es wird Zeit, dass ihr Pazzis aufhört, uns zu verleumden. Aber andererseits, was sollt ihr tun? Schließlich habt ihr ja nichts weiter als eine große Klappe.“

Vieris Lippe blutete heftig. Er wischte mit dem Ärmel darüber. „Dafür wirst du bezahlen – du und deine ganze Brut. Das vergesse ich dir nicht, Auditore!“ Er hatte Ezio vor die Füße gespuckt, sich gebückt, um seinen Dolch aufzuheben, und war dann davon gerannt.

Ezio hatte ihm nachgeblickt.

* * *

An all das erinnerte Ezio sich, als er nun auf dem Kirchturm stand und zu Cristinas Haus hinübersah. Er erinnerte sich an die freudige Erregung, die er verspürt hatte, als er sich nach Cristina umdrehte und eine neue Wärme in ihren Augen entdeckte, deren Blick ihm dankte.

„Seid Ihr in Ordnung, signorina?“, fragte er.

„Jetzt schon – dank Euch.“ Sie zögerte, ihre Stimme bebte noch vor Furcht. „Ihr habt mich nach meinem Namen gefragt … nun, ich heiße Cristina. Cristina Calfucci.“

Ezio verneigte sich. „Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Signorina Cristina. Ezio Auditore.“

„Kennt Ihr diesen Kerl?“

„Vieri? Wir sind uns ein paar Mal über den Weg gelaufen. Aber unsere Familien haben keinen Grund, einander zu mögen.“

„Ich möchte ihn nie wiedersehen.“

„Ich werde mein Möglichstes tun, um Euch diesen Wunsch zu erfüllen.“

Sie lächelte schüchtern, dann sagte sie: „Ezio, Euch gebührt meine Dankbarkeit – und deshalb bin ich bereit, Euch eine zweite Chance zu gewähren, nachdem Euer erster Versuch so gründlich fehlgeschlagen ist!“ Sie lachte sanft, dann küsste sie ihn auf die Wange, bevor sie in ihrer Villa verschwand.

Die kleine Menge, die sich unweigerlich um sie geschart hatte, spendete Ezio Applaus. Er hatte sich verbeugt, gelächelt, doch als er sich abgewandt hatte, war ihm klar gewesen, dass er zwar eine neue Freundin gewonnen haben mochte – sich aber im selben Zug auch einen unversöhnlichen Feind geschaffen hatte.

„Lass Cristina schlafen“, sagte Federico gerade noch einmal und holte Ezio vollends aus seinen Träumereien.

„Dafür ist später noch Zeit“, erwiderte er. „Ich muss sie sehen.“

„Na schön, wenn es sein muss – ich werde versuchen, Vater gegenüber eine Ausrede für dich zu finden. Aber gib auf dich acht – gut möglich, dass sich Vieris Leute noch da draußen herumtreiben.“ Damit kletterte Federico vom Turm aufs Dach hinab und hüpfte von dort aus hinunter in einen Heuwagen, der auf der Straße stand, die nach Hause führte.

Ezio sah ihm nach, dann beschloss er, es seinem Bruder gleichzutun. Bis zu dem Heuwagen ging es sehr tief hinunter, aber er rief sich in Erinnerung, was er gelernt hatte, kontrollierte seinen Atem, beruhigte und konzentrierte sich. Dann flog er durch die Luft und vollführte seinen bis dato größten Sprung. Einen Augenblick lang glaubte er, sich vertan zu haben, aber er bezwang diesen Anflug von Panik und landete sicher im Heu. Ein wahrhaft gewagter Sprung! Ein wenig außer Atem, aber regelrecht belebt von seiner Leistung, schwang Ezio sich vom Wagen auf die Straße.

Über den Hügeln im Osten schob sich die Sonne empor, aber es waren noch immer nur wenige Menschen unterwegs. Ezio wollte sich gerade auf den Weg zu Cristinas Villa machen, als er widerhallende Schritte hörte; in einem verzweifelten Versuch, sich zu verstecken, duckte er sich in den Schatten des Kirchenportals und hielt die Luft an. Es war kein anderer als Vieri, der da um die Ecke bog, begleitet von zwei Pazzi-Wachen.

„Lasst uns aufgeben, Herr“, sagte der ältere Wächter. „Die Kerle sind inzwischen längst fort.“

„Ich weiß, dass sie hier irgendwo stecken“, knurrte Vieri. „Ich kann sie praktisch riechen.“ Vieri und seine Männer gingen einmal um den Kirchplatz herum, machten jedoch keine Anstalten zu verschwinden. Das Sonnenlicht ließ die Schatten schrumpfen. Ezio kroch vorsichtig zurück in den Schutz des Heus, wo er, wie es ihm vorkam, eine Ewigkeit lang lag, während in ihm die Ungeduld nagte; er wollte weiter. Einmal ging Vieri so dicht an ihm vorbei, dass er praktisch ihn riechen konnte; dann endlich forderte Vieri seine Leute mit einer wütenden Geste zum Weitergehen auf. Ezio blieb noch eine Weile reglos liegen, dann kletterte er vom Wagen und stieß einen langen Seufzer der Erleichterung aus. Er klopfte sich den Staub ab und legte rasch den kurzen Weg zu Cristinas Haus zurück; er betete, dass dort noch alle schliefen.

Die Villa lag still da, allerdings nahm Ezio an, dass im rückwärtigen Teil des Hauses die Diener schon dabei waren, die Küchenfeuer zu schüren. Er wusste, hinter welchem Fenster Cristinas Zimmer lag, und warf eine Handvoll Kies gegen die Läden. Das Geräusch schien ihm ohrenbetäubend laut. Mit pochendem Herzen wartete er. Dann wurden die Läden geöffnet, und Cristina trat auf den Balkon heraus. Ihr Nachthemd enthüllte die wunderbaren Konturen ihres Körpers, als er zu ihr hinaufblickte. Er verging auf der Stelle vor Verlangen.

„Wer ist da?“, rief sie leise.

Er trat zurück, sodass sie ihn sehen konnte. „Ich bin’s!“

Cristina seufzte, aber nicht auf unfreundliche Weise. „Ezio! Das hätte ich mir ja denken können.“

„Darf ich raufkommen, mia colomba?“

Sie warf einen Blick über die Schulter, ehe sie flüsternd antwortete: „Na gut. Aber nur für einen Augenblick.“

„Mehr brauche ich nicht.“

Sie grinste. „Ach, wirklich?“

Er war verdutzt. „Nein, verzeih, so hab ich es nicht gemeint! Warte …“ Er schaute sich um, vergewisserte sich, dass die Straße noch immer verlassen war, dann setzte er den Fuß in einen der großen Eisenringe, die ins graue Mauerwerk des Hauses eingelassen waren, um Pferde anzubinden, und stemmte sich in die Höhe, wo er im Gefüge der Steine problemlos weiteren Halt für Hände und Füße fand. Im Nu hatte er die Balustrade überklettert, und schon lag Cristina in seinen Armen.

„Oh, Ezio!“, seufzte sie, als sie sich küssten. „Sieh nur, dein Kopf. Was hast du denn diesmal wieder angestellt?“

„Das ist nichts weiter, nur ein Kratzer.“ Ezio hielt lächelnd inne. „Da ich jetzt schon mal hier bin, könnte ich da vielleicht auch mit reinkommen?“, raunte er.

„Wohin?“

Er tat ganz unschuldig. „In dein Schlafzimmer natürlich.“

„Nun, vielleicht – wenn du wirklich nur einen Augenblick brauchst …“

Eng umschlungen traten sie durch die Doppeltür in Cristinas Gemach, das von warmem Licht erhellt war.

* * *

Eine Stunde später wurden sie vom Sonnenlicht geweckt, das durch die Fenster hereinfiel, vom Lärm der Wagen und Menschen draußen auf der Straße und – was am schlimmsten war – durch die Stimme von Cristinas Vater, als der bereits die Schlafzimmertür öffnete.

„Cristina“, sagte er, „Zeit zum Aufstehen, Mädchen! Dein Hauslehrer wird gleich hier sein … Ma che? Figlio d’un cane! Was zum Teufel ist hier los?“

Ezio küsste Cristina, schnell, aber fest. „Ich glaube, es ist Zeit zu gehen“, bemerkte er, raffte seine Kleider zusammen und jagte zum Fenster. Er kletterte an der Mauer hinab und zog sich bereits an, als Antonio Calfucci über ihm auf dem Balkon erschien. Der Mann kochte vor Wut.

„Perdonate, Messere“, bat Ezio.

„Ich werde dir perdonate, Messere geben!“, brüllte Calfucci. „Wachen! Wachen! Schnappt euch diese cimice! Bringt mir seinen Kopf! Und seine coglioni will ich auch!“

„Ich hab doch gesagt, es tut mir leid …“, setzte Ezio an, aber da gingen schon die Türen der Villa auf, und die Leibwächter der Calfuccis stürmten mit gezogenen Schwertern heraus. Halbwegs angezogen rannte Ezio die Straße hinunter, wich Wagen aus und drängte sich an Fußgängern vorbei, an reichen Geschäftsleuten in Schwarz, an Händlern in Braun, an einfacherem Volk in selbst gefertigten roten Gewändern und an einer Kirchenprozession, mit der er so überraschend zusammenstieß, dass er beinah die Statue der Jungfrau Maria umgerissen hätte, die die schwarz gekleideten Mönche mit sich trugen. Endlich, nachdem er geduckt durch Gassen gerannt und über Mauern gesprungen war, blieb er stehen und lauschte.

Stille!

Nicht einmal die Rufe und Flüche, die ihm Passanten hinterhergeschickt hatten, waren noch zu hören. Und was die Wachen anging, die hatte er abgeschüttelt, dessen war er sich sicher.

Er hoffte nur, dass Signor Calfucci ihn nicht erkannt hatte. Cristina würde ihn nicht verraten, darauf konnte er sich verlassen. Außerdem fiel es ihr leicht, ihren Vater, der sie vergötterte, um den Finger zu wickeln. Und selbst wenn er dahinterkam, dachte Ezio – er war doch gar keine schlechte Partie. Sein Vater führte eine der größten Banken der Stadt, und eines Tages würde sie vielleicht sogar größer sein als die der Pazzi oder – wer wusste das schon? – die der Medici.

Durch Seitenstraßen ging er nach Hause. Der Erste, auf den er dort traf, war Federico, der ihn mit ernster Miene ansah und unheilvoll den Kopf schüttelte. „Du kannst dich auf was gefasst machen“, erklärte er. „Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“

2

Das Büro von Giovanni Auditore lag im ersten Stock. Zwei Doppelfenster, die auf einen breiten Balkon hinausgingen, boten Aussicht auf den Garten hinter dem Palazzo. Der Raum war mit dunklem, geschnitztem Eichenholz vertäfelt, das mit der reich verzierten Decke harmonierte. Zwei Schreibtische standen einander gegenüber; der größere gehörte Giovanni. An den Wänden reihten sich Bücherregale, die gefüllt waren mit Büchern und Pergamentrollen, von denen schwere rote Siegel hingen. Das Interieur zeugte von Wohlstand, Solidität und Vertrauen. Als Direktor des internationalen Bankhauses Auditore, das sich auf Darlehen an die Königreiche Germaniens spezialisiert hatte, war sich Giovanni Auditore des Gewichts und der Verantwortung seiner Position sehr wohl bewusst. Er hoffte, dass seine beiden älteren Söhne beizeiten zur Vernunft kommen und ihm helfen mochten, die Bürde zu tragen, die er von seinem Vater geerbt hatte; allerdings konnte er dafür noch keine Anzeichen erkennen. Dennoch …

Von seinem Schreibtischstuhl aus blickte er mit finsterer Miene quer durch den Raum auf seinen mittleren Sohn. Ezio stand neben dem anderen Schreibtisch, den Giovannis Sekretär verlassen hatte, um Vater und Sohn jene Ungestörtheit zu gewähren, die sie für ein, wie Ezio befürchtete, sehr unangenehmes Gespräch brauchen würden. Es war jetzt früher Nachmittag. Den ganzen Morgen über hatte er sich vor dem Moment gefürchtet, da sein Vater ihn zu sich bestellen würde, aber er hatte die Zeit auch genutzt, um ein paar Stunden zu schlafen und sich zurechtzumachen. Er vermutete, dass sein Vater ihm diese Gelegenheit einräumen wollte, bevor er ihn zusammenstauchte.

„Hältst du mich für blind und taub, mein Sohn?“, donnerte Giovanni. „Glaubst du, ich wüsste nicht längst von der Prügelei mit Vieri de’ Pazzi und seiner Bande gestern Nacht an der Brücke? Manchmal kommt es mir vor, als seist du um keinen Deut besser als er, Ezio. Und die Pazzis sind gefährliche Feinde.“ Ezio wollte etwas sagen, aber sein Vater hob warnend die Hand. „Jetzt rede ich, wenn du gestattest!“ Er holte Luft. „Und als sei das noch nicht schlimm genug, stellst du Cristina Calfucci nach, der Tochter eines der erfolgreichsten Kaufmänner in der ganzen Toskana, und, weil dir das ja immer noch nicht reicht, fällst du in ihrem eigenen Bett über sie her! Das ist ja wohl der Gipfel! Denkst du denn gar nicht an den Ruf unserer Familie?“ Er verstummte, und Ezio machte zu seiner Überraschung den Hauch eines Zwinkerns im Gesicht seines Vaters aus. „Dir ist doch klar, was all das bedeutet, oder?“, fuhr Giovanni fort. „Du weißt doch, an wen du mich erinnerst, nicht wahr?“

Ezio senkte den Kopf, aber dann staunte er, als sein Vater aufstand, zu ihm kam und ihm einen Arm um die Schultern legte, wobei er von einem Ohr bis zum anderen grinste.

„Du kleiner Teufel! Du erinnerst mich daran, wie ich in deinem Alter war!“ Doch Giovanni wurde sogleich wieder ernst. „Glaub allerdings nur nicht, ich würde dich nicht gnadenlos bestrafen, wenn ich dich hier nicht dringend bräuchte. Andernfalls, und schreib dir das hinter die Ohren, würde ich dich zu deinem Onkel Mario schicken und ihn bitten, dich für seine Söldner zu rekrutieren. Bei dieser Truppe kämest du zur Vernunft! Aber ich muss auf dich zählen können. Du scheinst selbst zwar nicht Verstand genug zu haben, um es zu erkennen, aber wir machen in unserer Stadt eine schwierige Zeit durch. Wie geht es deinem Kopf? Ich sehe, du hast den Verband abgenommen.“

„Schon viel besser, Vater.“

„Dann gehe ich davon aus, dass du die Arbeit, die ich für den Rest des Tages für dich vorbereitet habe, ohne Probleme erledigen kannst?“

„Versprochen, Vater.“

„Sieh nur zu, dass du dieses Versprechen auch hältst.“ Giovanni kehrte an seinen Schreibtisch zurück, holte einen Brief hervor, der sein eigenes Siegel trug, und reichte ihn seinem Sohn, dazu noch zwei pergamentene Dokumente in einer Lederhülle. „Ich möchte, dass du diese Sachen umgehend zu Lorenzo de’ Medici in dessen Bank bringst.“

„Darf ich fragen, worum es sich handelt, Vater?“

„Was die Dokumente angeht, nein, das darfst du nicht. Wissen darfst du allerdings, dass der Brief Lorenzo über den Stand unserer Verhandlungen mit Mailand informiert. Ich brachte den ganzen Morgen damit zu, ihn zu verfassen. Es darf zwar niemand davon erfahren, aber wenn ich dir kein Vertrauen schenke, wirst du nie Verantwortung lernen. Es kursieren Gerüchte über eine Verschwörung gegen Herzog Galeazzo – eine furchtbare Nervensäge, zugegeben, aber Florenz kann es nicht zulassen, dass Mailand destabilisiert wird.“

„Wer ist darin verwickelt?“

Giovanni blickte seinen Sohn aus schmalen Augen an. „Es heißt, die federführenden Verschwörer seien Giovanni Lampugnani, Gerolamo Olgiati und Carlo Visconti. Aber es sieht so aus, als stecke auch unser lieber Francesco de’ Pazzi mit dahinter. Darüber hinaus gibt es Pläne, die mehr als nur die Politik zweier Stadtstaaten zu betreffen scheinen. Der hiesige Gonfaloniere hat Francesco für den Moment zwar in Gewahrsam genommen, aber das wird den Pazzis gar nicht schmecken.“ Giovanni unterbrach sich. „Ich habe dir schon viel zu viel erzählt. Sorge dafür, dass Lorenzo diese Unterlagen so schnell wie möglich erhält. Wie ich hörte, will er bald nach Careggi aufbrechen, um etwas Landluft zu schnuppern, und wenn die Katze aus dem Haus ist …“

„Ich werde mich beeilen.“

„Guter Junge. Und nun lauf!“

Ezio machte sich auf den Weg, benutzte soweit es ging Seitenstraßen, ohne auch nur daran zu denken, dass Vieri immer noch nach ihm suchen könnte. Aber dann war er auf einmal da, in einer ruhigen Straße nicht weit von der Bank der Medici entfernt, und stellte sich Ezio in den Weg. Ezio wollte kehrtmachen, aber Vieris Leute verwehrten ihm auch den Rückzug. Er drehte sich wieder um. „Tut mir leid, mein kleines Schweinchen“, rief er Vieri zu, „aber ich hab im Moment einfach keine Zeit, dir noch eine Abreibung zu verpassen.“

„Die Abreibung werde nicht ich bekommen“, rief Vieri zurück. „Du sitzt in der Falle. Aber keine Sorge, ich werde einen hübschen Kranz zu deiner Beerdigung schicken.“

Die Pazzi-Bande kam näher. Inzwischen wusste Vieri sicher von der Verhaftung seines Vaters. Ezio sah sich verzweifelt um. Die hohen Häuser und Mauern der Straße schlossen ihn ein. Er schlang sich den Beutel, der die kostbaren Dokumente enthielt, um den Leib, visierte das geeignetste Haus in seiner Reichweite an, sprang an dessen Außenwand hoch und fand mit beiden Händen und Füßen Halt an den grob behauenen Steinen, um dann zum Dach hinaufzuklettern. Dort angelangt, hielt er kurz inne, um einen Blick nach unten und in Vieris wütendes Gesicht zu werfen. „Ich hab nicht mal Zeit, dir auf den Kopf zu pissen“, sagte er und krabbelte so schnell er konnte über das Dach davon und ließ sich dann, sobald er seiner Verfolger ledig war, mit neu entdeckter Gewandtheit zu Boden fallen.

Wenig später stand er vor der Tür der Bank. Er trat ein und erkannte Boetio, der zu Lorenzos vertrautesten Dienern gehörte. Was für ein Glück. Ezio eilte zu ihm.

„Hey, Ezio! Was treibt Euch denn zu solcher Eile?“

„Boetio, es ist keine Zeit zu verlieren. Ich bringe Briefe von meinem Vater an Lorenzo.“

Boetio blickte ernst drein und breitete die Arme aus. „Ahimè, Ezio! Du kommst zu spät. Er ist schon unterwegs nach Careggi.“

„Dann müsst Ihr dafür sorgen, dass er diese Briefe so schnell wie möglich bekommt.“

„Ich bin sicher, er wird nicht länger als einen Tag oder so wegbleiben. In diesen Zeiten …“

„Ich komme allmählich dahinter, was es mit diesen Zeiten auf sich hat! Sorgt bitte dafür, dass er die Briefe erhält, Boetio, und zwar persönlich! Und so schnell es geht!“

Wieder zu Hause im Palazzo seiner Familie, suchte Ezio rasch das Büro seines Vaters auf, ohne sich von den freundlichen Sticheleien seines Bruders, der faul unter einem Baum im Garten lag, noch von Giulio, dem Sekretär seines Vaters, der ihm die geschlossene Tür zum Allerheiligsten des Giovanni Auditore verwehren wollte, aufhalten zu lassen. Dort fand er seinen Vater im Gespräch mit dem Oberrichter von Florenz, Gonfaloniere Uberto Alberti. Das überraschte ihn keineswegs, denn die beiden Männer waren alte Freunde, und für Ezio war Alberti so etwas wie ein Onkel. Auf ihren Gesichtern las er jedoch den Ausdruck tiefen Ernstes.

„Ezio, mein Junge!“, sagte Uberto freundlich. „Wie geht es dir? Außer Atem, wie immer, was?“

Ezio sah seinen Vater drängend an.

„Ich habe versucht, deinen Vater zu beruhigen“, fuhr Uberto fort. „Es gab eine Menge Ärger, weißt du, aber …“, er wandte sich Giovanni zu, und sein Tonfall wurde ernster, „… die Gefahr ist vorüber.“

„Hast du die Dokumente abgeliefert?“, fragte Giovanni knapp.

„Ja, Vater. Aber Herzog Lorenzo war bereits unterwegs.“

Giovanni runzelte die Stirn. „Ich hatte nicht erwartet, dass er so schnell aufbrechen würde.“

„Ich ließ die Dokumente bei Boetio“, sagte Ezio. „Er wird sie ihm so schnell wie möglich zukommen lassen.“

„Das wird unter Umständen nicht schnell genug sein“, sagte Giovanni düster.

Uberto klopfte ihm auf die Schulter. „Es kann sich doch nur um ein, zwei Tage handeln“, meinte er. „Wir haben Francesco hinter Schloss und Riegel. Was soll in so kurzer Zeit schon passieren?“

Giovanni wirkte ein wenig beruhigt, aber es war offenkundig, dass die beiden Männer noch mehr zu besprechen hatten und dass Ezios Anwesenheit dabei nicht erwünscht war.

„Geh und such deine Mutter und deine Schwester“, sagte Giovanni. „Du solltest deine Zeit nicht nur mit Federico, sondern auch mit dem Rest der Familie verbringen. Und gönne deinem Kopf etwas Ruhe – ich werde dich später noch brauchen.“ Mit einem Wink seines Vaters war Ezio entlassen.

Er streifte durchs Haus, grüßte den einen oder anderen Diener der Familie sowie Giulio, der von irgendwoher zurück ins Bankbüro eilte, ein Bündel Papiere in der Hand trug und wie immer einen gehetzten Eindruck machte ob all der Dinge, die er noch zu erledigen hatte. Ezio winkte seinem Bruder zu, der immer noch im Garten lümmelte, hatte jedoch keine Lust, sich zu ihm zu gesellen. Außerdem hatte sein Vater ihm aufgetragen, seiner Mutter und seiner Schwester Gesellschaft zu leisten, und er tat gut daran, seinem Vater zu gehorchen, zumal nach dem Gespräch, das sie vorhin geführt hatten.

Seine Schwester fand er in der Loggia vor, ein Buch von Petrarca in den Händen, in dem sie allerdings nicht las. Natürlich nicht. Er wusste, dass sie verliebt war.

„Ciao, Claudia“, sagte er.

„Ciao, Ezio. Wo warst du denn?“

Ezio breitete die Hände aus. „Ich habe für Vater einen Botengang gemacht.“

„Das war aber nicht alles, wie man so hört“, sagte sie, aber ihr Lächeln war dünn und maskenhaft.

„Wo ist Mutter?“

Claudia seufzte. „Sie ist weggegangen, um sich mit diesem jungen Maler zu treffen, von dem alle reden. Du weißt schon, der gerade seine Lehrzeit bei Verrocchio abgeschlossen hat.“

„Wirklich?“

„Interessiert dich denn gar nichts von dem, was in diesem Haus vorgeht? Sie hat einige Gemälde bei ihm in Auftrag gegeben. Sie meint, sie könnten sich später einmal als gute Investition erweisen.“

„Typisch Mutter!“

Aber Claudia erwiderte nichts, und zum ersten Mal wurde Ezio die Traurigkeit in ihrem Gesicht zur Gänze bewusst. Dieser Ausdruck ließ sie viel älter als sechzehn erscheinen.

„Was ist denn los, sorellina?“, fragte er und setzte sich neben sie auf die steinerne Bank.

Sie seufzte und sah ihn kläglich lächelnd an. „Es geht um Duccio“, antwortete sie schließlich.

„Was ist mit ihm?“

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe herausgefunden, dass er mir untreu ist.“

Ezios Miene verfinsterte sich. Duccio war praktisch mit Claudia verlobt, und auch wenn es bislang noch nicht offiziell bekannt gegeben worden war …

„Wer hat dir das gesagt?“, wollte er wissen und nahm sie in den Arm.

„Die anderen Mädchen.“ Sie wischte sich über die Augen und blickte ihn an. „Ich dachte, sie wären meine Freundinnen, aber ich glaube, es hat ihnen Spaß gemacht, mir das zu verraten.“

Ezio erhob sich wütend. „Dann sind sie nichts weiter als Hexen! Du bist ohne sie besser dran.“

„Aber ich habe ihn doch geliebt!“

Ezio ließ sich mit seiner Antwort einen Moment lang Zeit. „Bist du dir da sicher? Vielleicht glaubtest du nur, ihn zu lieben. Was empfindest du jetzt?“

Claudias Tränen waren getrocknet. „Ich möchte ihn leiden sehen, und sei es nur ein bisschen. Er hat mir wirklich weh getan, Ezio.“

Ezio musterte seine Schwester, sah die Traurigkeit in ihren Augen, eine Traurigkeit, in der mehr als nur ein wenig Zorn flackerte. Sein Herz wurde zu Stahl.

„Ich werde ihm wohl einen Besuch abstatten.“

* * *

Duccio Dovizi war nicht daheim, aber die Haushälterin sagte Ezio, wo er zu finden sei. Ezio überquerte die Ponte Vecchio und ging am Südufer des Arno entlang nach Westen bis zur Kirche San Jacopo Soprarno. In deren Nähe gab es ein paar abgeschiedene Gärten, wo sich gelegentlich Liebespaare ein Stelldichein gaben. Ezio, dessen Blut wegen seiner Schwester in Wallung war und der doch eindeutigere Beweise für Duccios Untreue als bloßes Hörensagen brauchte, war fast überzeugt, dass er diese Beweise gleich finden würde.

Und tatsächlich fiel sein Blick schon bald auf den jungen blonden Mann, der todschick gekleidet war, auf einer Bank saß, von der aus man den Fluss überblickte, und den Arm um ein dunkelhaariges Mädchen gelegt hatte, das Ezio nicht kannte. Vorsichtig näherte er sich den beiden.

„Liebster, er ist wunderschön“, sagte das Mädchen und streckte die Hand aus. Ezio sah einen Diamantring aufblitzen.

„Für dich nur das Beste, amore“, schnurrte Duccio und zog sie an sich, um sie zu küssen.

Aber das Mädchen schob ihn von sich. „Nicht so schnell. Du kannst mich nicht einfach kaufen. Wir sind noch nicht so lange zusammen, und ich habe gehört, du seist Claudia Auditore versprochen.“

Duccio schnaubte. „Das ist vorbei. Und Vater sagt ohnehin, ich könnte eine Bessere finden als eine Auditore.“ Er kniff sie in den Po. „Dich zum Beispiel!“

„Birbante! Lass uns ein wenig spazieren gehen.“

„Ich könnte mir etwas Vergnüglicheres vorstellen“, sagte Duccio und schob seine Hand zwischen ihre Schenkel.

Jetzt reichte es Ezio. „Hey, luridoporco“, knurrte er.

Duccio war völlig überrascht, fuhr herum und ließ das Mädchen los. „Hey, Ezio, mein Freund“, rief er, aber seine Stimme klang nervös. Was hatte Ezio gesehen?, musste er sich fragen. „Ich glaube, du kennst meine … Cousine noch nicht, oder?“

Ezio, außer sich über diese Heimtücke, trat vor und schlug seinem ehemaligen Freund voll ins Gesicht. „Duccio, du solltest dich schämen! Du beleidigst meine Schwester und poussierst mit dieser … dieser puttana herum!“

„Wen nennt Ihr eine puttana?“, fauchte das Mädchen, sprang aber auf und wich zurück.

„Ich hätte gedacht, selbst ein Mädchen wie Ihr könnte etwas Besseres finden als dieses Schwein“, sagte Ezio zu ihr. „Glaubt Ihr wirklich, der Kerl wird Euch zu einer Dame machen?“

„Sprich nicht so mit ihr“, zischte Duccio. „Sie ist jedenfalls großzügiger mit ihrer Gunst als deine verklemmte kleine Schwester. Aber ich wette, sie ist so trocken wie eine Nonne. Schade, ich hätte ihr einiges beibringen können. Aber andererseits …“

Ezio fiel ihm mit kalter Stimme ins Wort: „Du hast ihr das Herz gebrochen, Duccio …“

„Hab ich das? Na, so ein Jammer aber auch.“

„… und darum werde ich dir den Arm brechen.“

Daraufhin schrie das Mädchen auf und rannte davon. Ezio packte den winselnden Duccio und zwang den rechten Arm des jungen Kavaliers quer über die Kante der steinernen Bank, auf der er eben noch mit zu enger Hose gesessen hatte. Er drückte den Unterarm gegen den Stein, bis Duccios Wimmern in tränenreiches Greinen umschlug.

„Hör auf, Ezio! Ich flehe dich an! Ich bin doch der einzige Sohn meines Vaters!“

Ezio sah ihn voller Verachtung an und ließ ihn los. Duccio fiel zu Boden, rollte sich zusammen, barg den Arm an der Brust und heulte. Seine feinen Kleider waren zerrissen und schmutzig.

„Du bist die Mühe nicht wert“, sagte Ezio zu ihm. „Aber wenn du nicht willst, dass ich mir die Sache mit deinem Arm noch anders überlege, dann halte dich von Claudia fern. Und von mir auch.“

Nach diesem Zwischenfall nahm Ezio einen langen Nachhauseweg und wanderte am Flussufer entlang, bis er fast bei den Feldern anlangte. Als er umkehrte, wurden die Schatten länger, aber seine Gedanken hatten sich beruhigt. Als Mann würde es ihm nie von Nutzen sein, sagte er sich, wenn er sich je ganz von seiner Wut mitreißen ließ.

Beinah schon zu Hause, erblickte er seinen jüngeren Bruder, den er seit gestern früh nicht mehr gesehen hatte. Er begrüßte den Knaben herzlich. „Ciao, Petruccio. Was treibst du denn hier? Bist du deinem Hauslehrer entwischt? Und ist es für dich nicht schon längst Zeit, im Bett zu sein?“

„Sei nicht albern. Ich bin so gut wie erwachsen. In ein paar Jahren werde ich stark genug sein, um dich windelweich zu schlagen!“ Die Brüder grinsten einander an. Petruccio drückte eine geschnitzte Schachtel aus Birnbaumholz an die Brust. Sie war offen, und Ezio sah darin eine Handvoll weißer und brauner Federn. „Das sind Adlerfedern“, erklärte der Junge. Er zeigte zum Turm eines nahen Gebäudes hinauf. „Dort oben ist ein altes Nest. Die Jungen müssen flügge geworden und verschwunden sein. Im Mauerwerk haben sich noch viel mehr Federn verfangen.“ Petruccio sah seinen Bruder bittend an. „Ezio, würde es dir etwas ausmachen, mir noch ein paar zu holen?“

„Wozu brauchst du sie denn?“

Petruccio senkte den Blick. „Das ist ein Geheimnis“, sagte er.

„Wenn ich sie dir hole, wirst du dann nach Hause gehen? Es ist spät.“

„Ja.“

„Versprochen?“

„Versprochen.“

„Na schön.“ Ich habe Claudia heute schon einen Gefallen getan, dachte Ezio, warum also sollte ich Petruccio nicht auch einen tun?

Den Turm zu erklettern erwies sich als knifflig, denn die Steine waren glatt, und Ezio musste sich konzentrieren, um in den Mauerfugen Halt für seine Finger und Fußspitzen zu finden. Weiter oben halfen ihm dann auch Zierleisten. Letztlich brauchte er eine halbe Stunde, aber er las alle Federn auf, die er finden konnte, fünfzehn an der Zahl, und brachte sie Petruccio.

„Eine hast du aber übersehen“, sagte Petruccio und deutete in die Höhe.

„Ins Bett mit dir!“, knurrte Ezio.

Petruccio lief davon.

Ezio hoffte, dass ihre Mutter sich über das Geschenk freuen würde. Es war nicht schwer, hinter Petruccios Geheimnis zu kommen.

Lächelnd ging auch er ins Haus.

3

Am nächsten Morgen wurde Ezio erst spät wach, fand zu seiner Erleichterung jedoch heraus, dass sein Vater keine Aufgaben für ihn hatte, die sofort erledigt werden mussten. Er ging in den Garten, wo seine Mutter die Beschneidung ihrer Kirschbäume überwachte, deren Blüten gerade zu welken begannen. Sie lächelte, als sie ihn sah, und winkte ihn zu sich. Maria Auditore war eine hochgewachsene, würdevolle Frau Anfang vierzig; das lange schwarze Haar trug sie geflochten unter eine Kappe aus weißem Musselin, die in den Familienfarben gesäumt war, Rot und Gold.

„Ezio! Buon’ giorno.“

„Madre.“

„Wie geht es dir? Ich hoffe, besser.“ Behutsam berührte sie die Wunde an seinem Kopf.

„Mir geht’s gut.“

„Dein Vater sagte, du solltest so lange wie möglich ruhen.“

„Ich brauche keine Ruhe, Mama!“

„Nun, jedenfalls wird es für dich heute Morgen keine Aufregung geben. Dein Vater hat mich gebeten, mich um dich zu kümmern. Ich weiß, was du angestellt hast.“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.“

„Treib keine Spielchen mit mir, Ezio. Ich weiß von deiner Prügelei mit Vieri.“

„Er hat schlimme Geschichten über unsere Familie verbreitet. Das konnte ich doch nicht ungestraft hinnehmen.“

„Vieri steht unter Druck. Jetzt, nachdem sein Vater verhaftet wurde, sogar noch mehr.“ Seine Mutter hielt nachdenklich inne. „Man mag Francesco de’ Pazzi ja vieles nachsagen können, aber ich hätte nie geglaubt, dass er in eine Verschwörung zur Ermordung eines Herzogs verstrickt sein könnte.“

„Was wird mit ihm geschehen?“

„Es wird eine Verhandlung geben. Ich nehme an, dass dein Vater dabei als einer der Hauptzeugen auftreten wird, wenn unser eigener Herzog Lorenzo zurückkehrt.“

Ezio sah beunruhigt drein.

„Keine Sorge, du hast nichts zu befürchten. Und ich werde nichts von dir verlangen, was du nicht tun möchtest – im Gegenteil, ich will, dass du mich begleitest. Ich habe eine Besorgung zu erledigen. Es wird nicht lange dauern, und ich denke, es wird dir sogar gefallen.“

„Ich helfe dir mit Vergnügen, Mama.“

„Dann komm. Es ist nicht weit.“

Sie verließen den Palazzo zu Fuß und gingen Arm in Arm in Richtung der Kathedrale, in deren Nähe sich ein kleines Viertel befand, in dem viele der florentinischen Künstler ihre Werkstätten und Ateliers hatten. Einige davon – wie etwa die des Verrocchio und des Alessandro di Moriani Filipepi (ein aufstrebender junger Meister, der sich bereits den Spitznamen Botticelli erworben hatte) – waren große, geschäftige Örtlichkeiten, wo Assistenten und Lehrlinge eifrig Farben mahlten und Färbestoffe mischten; andere waren bescheidener. Vor einer dieser Türen blieb Maria stehen und klopfte an. Die Tür wurde umgehend geöffnet, und vor ihnen stand ein gut aussehender, wohlgekleideter junger Mann, der fast geckenhaft, aber doch auch sehr athletisch wirkte und einen dunkelbraunen Haarschopf nebst üppigem Bart trug. Er mochte sechs oder sieben Jahre älter als Ezio sein.

„Madonna Auditore! Willkommen! Ich habe Euch erwartet.“

„Leonardo, buon’ giorno