Assassin's Creed Band 3: Der geheime Kreuzzug - Oliver Bowden - E-Book

Assassin's Creed Band 3: Der geheime Kreuzzug E-Book

Oliver Bowden

5,0

Beschreibung

NICCOLO POLO - DER VATER DES BERÜHMTEN HANDELSREISENDEN MARCO POLO - ÖFFNET SEIN GEHEIMARCHIV UND OFFENBART DIE GESCHICHTE EINES MANNES, DER DAS SCHICKSAL DER GEHEIMEN BRUDERSCHAFT DER ATTENTÄTER WIE KEIN ANDERER GEPRÄGT HAT: DER ASSASSINE ALTAIR. Altair steht vor der vermutlich heikelsten Mission seines Daseins als Assassine. Um seine uneingeschränkte Hingabe zur Bruderschaft unter Beweis zu stellen, will er neun der tödlichsten Feinde der Assassinen zur Strecke bringen. Darunter Robert de Sable, den Anführer des Templer-Ordens. Dies ist die bislang unveröffentlichte Geschichte Altairs. Eine Reise, die den Lauf der Geschichte verändern sollte; ein ewiger Kreuzzug gegen die Machenschaften der Templer; eine Familienchronik, die so schockierend wie tragisch ist; das Zeugnis eines beispiellosen Verrats ... Die Geschichte von Altair - dem Meister-Assassinen. Basiernd auf Ubisofts Bestseller-Game.

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

In neuer Rechtschreibung.

Englische Originalausgabe:

“ASSASSIN’S CREED: The Secret Crusade” by Oliver Bowden, published by Penguin Books, London, England, July 2011.

Copyright © 2012 Ubisoft Entertainment. All Rights Reserved. Assassin’s Creed, Ubisoft and the Ubisoft logo are trademarks of Ubisoft Entertainment in the US and/or other countries.

No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

Übersetzung: Timothy Stahl

Lektorat: Caspar D. Friedrich, Susanne Gebauer

Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest

Chefredaktion: Jo Löffler

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und eBooks: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-8332-2494-2

Gedruckte Ausgabe:

ISBN 978-3-8332-2436-2

1. Auflage, Februar 2012

www.paninicomics.de

PROLOG

Das majestätische Schiff knarrte und ächzte, seine Segel waren im Wind gebläht. Tage vom Land entfernt pflügte es durchs Meer– der großen Stadt entgegen. An Bord hatte es kostbare Fracht. Es war ein Mann. Ein Mann, den die Besatzung nur als den Meister kannte.

Jetzt war er unter ihnen, stand allein auf dem Vordeck, wo er die Kapuze seines wallenden Gewands zurückgeschlagen hatte, die Nase in den Wind hielt und sich die Gischt ins Gesicht wehen ließ. Das tat er einmal am Tag. Dann kam er aus seiner Kabine, schritt übers Deck, suchte sich einen Platz, von dem aus er den Blick übers Meer schweifen lassen konnte, und ging wieder nach unten. Manchmal stand er auf dem Vordeck, manchmal auf dem Achterdeck. Aber immer starrte er hinaus auf die mit weißen Schaumkronen besetzte See.

Und jeden Tag beobachtete die Mannschaft ihn. Die Leute arbeiteten zwar weiter, riefen einander übers Deck Anweisungen zu und hantierten an der Takelage, aber die ganze Zeit über warfen sie der einsamen, gedankenvoll wirkenden Gestalt heimliche Blicke zu. Und sie fragten sich, was das wohl für ein Mann sein mochte? Wer befand sich da mitten unter ihnen?

Verstohlen musterten sie ihn nun, als er von der Reling zurücktrat und sich die Kapuze wieder über den Kopf streifte. Einen Moment lang stand er gesenkten Hauptes und mit hängenden Armen da, und die Mannschaft ließ ihn nicht aus den Augen. Ein paar der Männer erbleichten sogar, als er übers Deck zwischen ihnen hindurch und zurück in seine Kabine ging. Und als sich die Tür hinter ihm schloss, wurde jedem bewusst, dass er den Atem angehalten hatte, bis der Meister verschwunden war.

In der Kabine setzte sich der Assassine an seinen Schreibtisch und goss Wein in einen Becher, bevor er nach einem Buch griff und es heranzog. Dann schlug er es auf und begann zu lesen.

TEIL EINS

1

19. Juni 1257

Maffeo und ich sind noch in Masyaf und werden vorerst auch hier verweilen. Zumindest bis ein, zwei … wie soll ich sagen? …Unklarheiten ausgeräumt sind. Bis dahin bleiben wir auf Geheiß des Meisters, Altaïr Ibn-La’Ahad. So ärgerlich es auch ist, die Freiheit über das eigene Tun solcherart abzutreten – zumal an den Führer des Ordens, der in seinem hohen Alter die Zweideutigkeit mit derselben unbarmherzigen Präzision handhabt wie einst Schwert und Dolch –, genieße ich doch wenigstens den Vorteil, in seine Geschichten eingeweiht zu sein. Maffeo hingegen ist dieses Glück nicht beschieden, und so ist er verständlicherweise von Unruhe erfüllt. Er hat genug von Masyaf. Er mag die steilen Wege zwischen der Festung der Assassinen und dem Dorf unten nicht, und das gebirgige Umland findet er reizlos. Er sei ein Polo, sagt er, und so sei das Fernweh nach sechs Monaten an diesem Ort für ihn wie der Ruf einer lüsternen Frau, verlockend und unwiderstehlich. Er sehnt sich danach, die Segel zu setzen, zu neuen Ufern aufzubrechen und Masyaf den Rücken zu kehren.

Ehrlich gesagt könnte ich auf die Plage, zu der seine Ungeduld sich ausgewachsen hat, gut verzichten. Altaïr steht kurz vor einem Entschluss. Ich kann es spüren.

Also sagte ich heute: „Maffeo, ich will dir eine Geschichte er­zählen.“

Oh, die Manieren dieses Mannes! Sind wir wirklich von der­selben Art? Ich bezweifele es allmählich. Anstatt beispielsweise diese Worte mit der gebührenden Begeisterung aufzunehmen, höre ich ihn, da bin ich mir fast sicher, nur seufzen. (Nun gut, vielleicht tue ich ihm unrecht, und er war in der heißen Sonne lediglich ein wenig außer Atem.) Doch dann verlangte er auch noch von mir: „Niccolò, würde es dir etwas ausmachen, mir zu verraten, wovon deine Geschichte handelt, ehe du anfängst?“ Und das fast schon in einem Ton der Verzweiflung, ich muss doch wirklich bitten!

Nichtsdestotrotz erwiderte ich: „Das ist eine sehr gute Frage, Bruder.“ Und ich dachte während des gefürchteten steilen Aufstiegs darüber nach. Über uns ragte die Zitadelle im Vorgebirge düster und drohend in die Höhe, als sei sie direkt aus dem Kalkstein herausgeschlagen worden. Ich hatte beschlossen, meine Geschichte am perfekten, passenden Ort zu erzählen, und es gab keinen angemesseneren als die Festung über Masyaf. Die imposante Burg thronte mit ihren vielen Türmen und umgeben von schimmernden Flüssen über dem wimmelnden Dorf im Tal des Orontes. Einer Oase des Friedens. Einem Paradies.

„Ich würde sagen, sie handelt vom Wissen“, erklärte ich schließlich. „Wie du ja weißt, steht das Wort Assasseen im Arabischen für Wächter oder Hüter. Die Assassinen sind die Hüter der Geheimnisse, und sie hüten und bewahren geheimes Wissen. Ja, in der Tat“, ich klang zweifelsohne sehr zufrieden mit mir selbst, „die Geschichte handelt vom Wissen.“

„Dann, so fürchte ich, muss ich zu einer dringenden Angelegen­heit.“

„Ach?“

„Freilich wüsste ich eine Ablenkung von meinen Studien zu schätzen, Niccolò. Andererseits möchte ich sie aber auch nicht in die Länge ziehen.“

Ich grinste. „Aber den Geschichten, die der Meister mir erzählt hat, würdest du doch gewiss gern lauschen, oder?“

„Das kommt ganz darauf an. Deine Art, sie anzupreisen, lässt sie nicht gerade vielversprechend erscheinen. Sagst du nicht immer, mein Geschmack sei ausgesprochen blutrünstig, wenn es um deine Geschichten geht?“

„Ja.“

Maffeo lächelte schief. „Und damit hast du recht.“

„Auch damit kann ich dienen. Immerhin sind dies die Erzählungen des großen Altaïr Ibn-La’Ahad. Es ist seine Lebensgeschichte, Bruder. Glaub mir, darin herrscht kein Mangel an Ereignissen, und viele davon – das wird dich sicherlich freuen – drehen sich ums Blutvergießen.“

Unterdessen hatten wir uns zur Barbakane hochgekämpft, dem Außenwerk, das dem Festungstor vorgelagert war. Wir passierten den Torbogen und das Wachhaus und stiegen weiter nach oben, der inneren Festung zu. Vor uns lag der Turm, in dem Altaïr sein Quartier hatte. Wochenlang hatte ich ihn immer wieder aufgesucht und ihm zahllose Stunden lang hingerissen zugehört, während er auf seinem hohen Stuhl saß – die Hände im Schoß verschränkt, die Arme auf den Lehnen, die Augen unter dem Rand seiner Kapuze kaum zu sehen – und seine Geschichten erzählte. Und dabei war mir immer deutlicher bewusst geworden, dass er sie mir aus einem bestimmten Grund berichtete. Dass ich aus einem Grund, der sich mir noch nicht erschloss, auserwählt worden war, diese Geschichten zu hören.

Wenn er keine Geschichten erzählte, saß Altaïr vor sich hin- brütend inmitten seiner Bücher und Erinnerungen, und blickte mitunter stundenlang zum Fenster seines Turmes hinaus. Auch jetzt würde er dort sitzen, dachte ich und beschattete meine Augen mit der Hand, um zum Turm emporzuschauen, ohne jedoch mehr zu sehen als von der Sonne gebleichten Stein.

„Er gibt uns eine Audienz?“, unterbrach Maffeo meine Gedanken.

„Nein, heute nicht“, antwortete ich und wies stattdessen auf einen Turm zu unserer Rechten. „Wir gehen da hinauf.“

Maffeos Miene verfinsterte sich. Der Wehrturm war einer der höchsten der Zitadelle, und zu erreichen war er nur über eine Reihe schwindelerregender Leitern, von denen die meisten aussahen, als bedürften sie dringend einer Reparatur. Aber ich blieb hartnäckig, stopfte meinen Überrock in den Gürtel und führte Maffeo erst ein Stockwerk in die Höhe, dann ein weiteres und schließlich bis ganz nach oben. Von dort schauten wir über die Landschaft. Meilenweit erstreckte sich felsig schroffes Gelände. Flüsse durchzogen es wie Adern. Hier und da lag eine vereinzelte Siedlung. Unser Blick schweifte über Masyaf und die steilen Abhänge, die hinabreichten bis zu den Häusern, Stallungen und Märkten des Dorfes, das sich in der Tiefe ausbreitete, umzäunt von hölzernen Palisaden.

„Wie hoch sind wir?“, fragte Maffeo. Er sah ein bisschen grün um die Nase aus, wie er so dastand, weit, weit über dem Boden und zerzaust vom Wind.

„Über achtzig Meter“, klärte ich ihn auf. „So sind die Assas­sinen außerhalb der Reichweite feindlicher Bogenschützen, können sie ihrerseits aber selbst mit Pfeilhageln und anderem eindecken. Hier …“

Ich zeigte auf die Öffnungen ringsum. „Durch diese Pechnasen könnten sie Steine auf ihre Feinde hinunterwerfen oder sie mit Öl übergießen, mithilfe dieser …“

Hölzerne Plattformen ragten ins Leere hinaus, und wir bewegten uns auf eine davon zu, wobei wir uns links und rechts an senkrechten Stützen festhielten und uns nach vorn beugten, damit wir nach unten schauen konnten. Direkt unter uns ging der Turm in die senkrecht abfallende Felswand über. Darunter lag der glitzernde Fluss.

Maffeo wich alles Blut aus dem Gesicht. Er trat zurück auf den sicheren Boden des Turms. Ich tat es ihm lachend nach (und war insgeheim auch froh darüber, denn um der Wahrheit Genüge zu tun, so war auch mir ein wenig flau im Bauch und etwas schwindlig geworden).

„Und warum hast du mich nur auf den Turm heraufgeführt?“, wollte Maffeo wissen.

„Hier beginnt meine Geschichte“, erklärte ich. „In vielerlei Hinsicht. Von hier aus sah der Wachtposten die Invasoren zuerst.“

„Die Invasoren?“

„Ja. Salah Al’dins Armee. Er rückte an, um Masyaf zu belagern und die Assassinen zu bezwingen. Es war vor achtzig Jahren, an einem strahlenden Augusttag. An einem Tag gerade wie dem heutigen …“

2

Zuerst sah der Wachtposten die Vögel.

Eine Armee, die in Bewegung ist, lockt Aasfresser an, hauptsächlich der geflügelten Art, die sich auf sämtliche Reste stürzen, die zurückgelassen werden: Essen, Abfall, Kadaver, sowohl die von Pferden als auch solche von Menschen. Als Nächstes sah er den Staub. Und dann einen riesigen, dunklen Fleck, der am Horizont auftauchte, langsam vorwärtskroch und alles in Sichtweite überflutete. Eine Armee vereinnahmt, zerreißt und zerstört die Landschaft, sie ist wie ein gigantisches, hungriges Tier, das alles verschlingt, was ihm in die Quere kommt, und meistens genügte der bloße Anblick – wie Salah Al’din sehr wohl wusste –, um den Feind zur Kapitulation zu bewegen.

Diesmal jedoch nicht. Denn diesmal waren die Assassinen der Feind.

Der Sarazenenführer hatte für diesen Feldzug eine ansehnliche Streitmacht auf die Beine gestellt. Zehntausend Mann, Fußsoldaten, Reiter und Gefolge. Damit wollte er die Assassinen zermalmen, die bereits zwei Anschläge auf sein Leben verübt hatten, und ein dritter würde ihnen sicher nicht mehr misslingen. So hatte nun er das Heft in die Hand genommen und seine Armee in das Gebirge des Djabal an-Nusayriyah geführt und zu den dortigen neun Zitadellen der Assassinen.

In Masyaf waren Meldungen eingegangen, dass Salah Al’dins Männer plündernd durchs Land zögen, aber keine der Festungen gefallen sei. Dass Salah Al’din auf dem Weg nach Masyaf sei, um die Stadt zu erobern und sich den Kopf von Al Mualim, des Führers der Assassinen, zu holen.

Salah Al’din galt als maßvoller, gerechter Führer, die Assassinen jedoch machten ihn gleichermaßen wütend, wie sie ihn beunruhigten. Berichten zufolge riet ihm sein Onkel, Shihab Al’din, ein Friedensangebot zu unterbreiten. Zieh die Assassinen auf deine Seite, dann hast du sie nicht mehr gegen dich, war seine Devise. Aber dazu ließ sich der rachedurstige Sultan nicht überreden, und so war es seine Armee, die sich an einem strahlenden Augusttag im Jahr 1176 auf Masyaf zuwälzte, und ein Wachtposten auf dem Wehrturm der Zitadelle sah den Vogelschwarm und die mächtigen Staubwolken sowie den schwarzen Fleck am Horizont, und er hob sein Horn an die Lippen und blies Alarm.

Viele Bewohner der Stadt stapelten sofort Vorräte, zogen sich zurück in den Schutz der Zitadelle und drängten sich mit von Angst gezeichneten Gesichtern auf deren Höfen, andere aber bauten Stände auf und trieben weiter Handel. Die Assassinen machten sich unterdessen daran, die Burg zu befestigen, und bereiteten sich auf die Konfrontation mit der Armee vor, ohne den wachsenden Fleck aus den Augen zu lassen, als der die feindliche Streitmacht sich über die herrliche grüne Landschaft ausbreitete, einer ungeheuren Flutwelle gleich, die das Land verschlang und den Horizont verdunkelte.

Sie hörten die Hörner, die Trommeln und die Becken. Und bald schon konnten sie Gestalten ausmachen, die sich aus dem Hitzedunst schälten, und das zu Tausenden. Sie sahen die Infanterie, die Speerträger und Bogenschützen, Armenier, Nubier und Araber. Sie sahen die Kavallerie, Araber, Türken und Mamelucken, bewaffnet mit Säbeln, Streitkolben, Lanzen und Langschwertern, ein paar trugen Kettenhemden, andere lederne Rüstungen. Sie sahen die Sänften der Edelfrauen, der heiligen Männer und das ungeordnete Gefolge am Ende des Zugs, die Familien, Kinder und Sklaven. Sie sahen, wie die einfallenden Krieger den äußeren Wall erreichten und ihn in Brand steckten wie auch die Ställe, und immer noch plärrten die Hörner und schepperten die Becken. In der Zitadelle begannen die Frauen aus dem Dorf zu schluchzen, weil sie glaubten, ihre Häuser würden als Nächstes ein Raub der Flammen. Aber die Gebäude blieben unversehrt, stattdessen machte die Armee im Dorf halt, ohne der Burg besondere Aufmerksamkeit zu widmen. So schien es jedenfalls.

Sie schickten keinen Gesandten, keine Nachricht, sondern schlugen einfach nur ihr Lager auf. Die meisten ihrer Zelte waren schwarz, in der Mitte des Lagers befand sich jedoch eine Anzahl größerer Pavillons, die Unterkunft des großen Sultans Salah Al’din und seiner Generäle. Bestickte Fahnen flatterten im Wind, die Spitzen der Zeltpfähle waren mit goldenen Kugeln besetzt, die Planen bestanden aus bunter Seide.

In der Zitadelle wogen die Assassinen strategische Fragen ab. Würde Salah Al’din die Festung angreifen, oder wollte er sie aushungern? Sie erhielten die Antwort bei Anbruch der Nacht. Unten begann die Armee mit dem Zusammenbau ihrer Belagerungsmaschinen. Feuer brannten bis weit in die Nacht. Der Lärm von Sägen und Hämmern drang von unten herauf an die Ohren derjenigen, die hinter den Zinnen der Zitadelle Wache hielten, und auch in den Turm des Meisters, wo Al Mualim eine Versammlung seiner Meister-Assassinen einberief.

„Salah Al’din wurde uns auf dem Silbertablett serviert“, sagte Faheem Al-Sayf, ein Meister-Assassine. „Das ist eine Gelegenheit, die wir uns nicht entgehen lassen dürfen.“

Al Mualim überlegte. Er sah zum Turmfenster hinaus und dachte an den bunten Pavillon, in dem Salah Al’din nun saß und seinen, Al Mualims, Untergang plante – wie auch den aller Assassinen. Er dachte an die Armee des großen Sultans und an die Verheerung, die sie auf ihrem Weg angerichtet hatte. Und er dachte daran, dass der Sultan mit Leichtigkeit eine noch größere Streitmacht auf die Beine stellen konnte, sollte dieser Feldzug fehlschlagen.

Salah Al’dins Macht war einzigartig, sinnierte er. Die Assassinen jedoch waren listig.

„Wenn Salah Al’din tot ist, werden die Armeen der Sarazenen auseinanderfallen“, sagte Faheem. Doch Al Mualim schüttelte den Kopf.

„Das glaube ich nicht. Shihab wird seinen Platz einnehmen.“

„Er ist als Führer nicht halb so gut wie Salah Al’din.“

„Dann wäre er weniger erfolgreich dabei, die Christen zurückzuschlagen“, entgegnete Al Mualim scharf. Manchmal war er Faheems falkenhafter Art müde. „Wollen wir uns ihrer Gnade ausliefern? Wollen wir zu unfreiwilligen Verbündeten gegen den Sultan werden? Wir sind die Assassinen, Faheem. Wir verfolgen unsere eigenen Ziele. Wir unterstehen niemandem.“

Stille senkte sich über den von süßen Düften erfüllten Raum.

„Salah Al’din ist vor uns ebenso auf der Hut wie wir vor ihm“, fuhr Al Mualim nach einem weiteren Moment der Überlegung fort. „Wir sollten dafür sorgen, dass er sich noch mehr in Acht nimmt.“

Am nächsten Morgen schoben die Sarazenen einen Rammbock und einen Belagerungsturm über den steilen Hang nach oben. Während auf- und abreitende türkische Bogenschützen Pfeile über der Zitadelle niedergehen ließen, attackierten sie die Außenmauern mit ihren Belagerungsmaschinen, wobei sie ihrerseits unter einem konstanten Beschuss mit Pfeil und Bogen der Assassinen standen und sich Steine und Öl von den Türmen auf sie ergossen. Dorfbewohner schlossen sich dem Kampf an, bewarfen die Feinde von den Wehrgängen aus mit Steinen und löschten die Brände, derweil tapfere Assassinen am Haupttor Ausfälle durch die Seitenpforten machten und die Infanteristen zurückschlugen, die diese Pforten anzuzünden versuchten. Der Tag endete mit vielen Toten auf beiden Seiten, die Sarazenen zogen sich an den Fuß des Hangs zurück, entfachten ihre Feuer für die Nacht, reparierten ihre Belagerungsmaschinen und bauten weitere zusammen.

In dieser Nacht kam es im Lager zu einem großen Aufruhr, und am Morgen wurde der farbenprächtige Pavillon, der dem großen Salah Al’din gehörte, abgebaut. Dann zog er mit einer kleinen Gruppe von Leibwächtern ab.

Wenig später stieg sein Onkel, Shihab Al’din, den Hang empor, um den Meister der Assassinen zu sprechen.

3

„Seine Majestät Salah Al’din hat Eure Nachricht erhalten und dankt Euch freundlichst dafür“, rief ein Gesandter. „Seine Anwesenheit ist andernorts vonnöten, doch hat er Seine Exzellenz Shihab Al’din angewiesen, in Verhandlungen zu treten.“

Der Gesandte stand neben Shihabs Hengst und hatte eine Hand wie einen Trichter an den Mund gelegt, damit der Meister und seine Generäle, die sich im Wehrturm versammelt hatten, ihn hören konnten.

Eine kleine Streitmacht hatte den Hang erklommen, etwa zweihundert Männer und eine Sänfte, die von ihren nubischen Trägern abgesetzt worden war. Shihab, der auf seinem Pferd sitzen blieb, hatte nur einen Leibwächter dabei. Shihabs Miene strahlte Ruhe aus, als sei er hinsichtlich der Ergebnisse der Verhandlungen nicht übermäßig besorgt. Er trug eine weiße Pluderhose, eine Weste und eine rote Schärpe. Sein großer, blendend weißer Turban war mit einem glitzernden Edelstein geschmückt. Dieser Edelstein hatte gewiss einen illustren Namen, dachte Al Mualim, der vom Turm aus auf Shihab hinabblickte, „der Stern“ oder „die Rose von irgendetwas“. Die Sarazenen liebten es, ihrem Plunder Namen zu geben.

„So denn, beginnt“, rief Al Mualim und dachte: Seine Anwesenheit ist andernorts vonnöten? Er lächelte, und seine Gedanken wanderten ein paar Stunden zurück, als ein Assassine in sein Gemach gekommen war und ihn aus dem Schlaf geweckt hatte.

„Umar, sei willkommen“, hatte Al Mualim gesagt und sich in sein Gewand gehüllt, weil er die Kühle des frühen Morgens in den Knochen spürte.

„Meister“, hatte Umar mit leiser Stimme und gesenktem Kopf erwidert.

„Bist du gekommen, um mir von deiner Mission zu berichten?“, fragte Al Mualim. Er entzündete eine Öllampe, die an einer Kette von der Decke hing, dann ließ er sich auf seinem Stuhl nieder. Schatten huschten über den Boden.

Umar nickte. Al Mualim bemerkte, dass sein Ärmel blutig war.

„War die Information unseres Spions zutreffend?“

„Ja, Meister. Ich habe mich in ihr Lager geschlichen, und genau, wie man es uns gesagt hat, diente der bunte Pavillon nur zur Ablenkung. Salah Al’dins Zelt befand sich ein Stück daneben und war weit unauffälliger.“

Al Mualim lächelte. „Ausgezeichnet, ausgezeichnet. Und wie hast du herausgefunden, welches Zelt das richtige ist?“

„Es war so, wie unser Spion sagte. Rings um das Zelt hatte man Kreide und trockenes Holz auf dem Boden ausgelegt, sodass meine Schritte zu hören gewesen wären.“

„Aber das ist nicht geschehen?“

„Nein, Meister, und es gelang mir auch, das Zelt des Sultans zu betreten und die Feder zu hinterlassen, wie Ihr es mir aufgetragen habt.“

„Und der Brief?“

„Den habe ich mit einem Dolch an sein Bett geheftet.“

„Und dann?“

„Habe ich mich aus seinem Zelt geschlichen …“

„Und?“

Umar stockte kurz. „Dann wurde der Sultan wach und schlug Alarm. Es gelang mir nur mit Müh und Not, lebendig davonzukommen.“

Al Mualim wies auf Umars blutigen Ärmel. „Und was hat es damit auf sich?“

„Ich musste einem Mann die Kehle durchschneiden, um zu fliehen, Meister.“

„Einem Wächter?“, hakte Al Mualim hoffnungsvoll nach.

Umar schüttelte bedauernd den Kopf. „Er trug den Turban und die Weste eines Edelmanns.“

Al Mualim schloss müde und sorgenvoll die Augen. „Es gab keine andere Möglichkeit?“

„Ich musste schnell handeln, Meister.“

„Aber abgesehen davon war deine Mission ein Erfolg?“

„Ja, Meister.“

„Dann lass uns sehen, was sich daraus ergibt.“

Und was sich daraus ergab, war erst der Abgang von Salah Al’din und dann der Besuch von Shihab. Und Al Mualim stand hoch aufgerichtet in seinem Turm und gab sich dem Glauben hin, dass die Assassinen obsiegt hatten. Dass sein Plan aufgegangen war. Ihre Nachricht war dem Sultan Warnung genug gewesen: Sollte er seinen Feldzug gegen die Assassinen fortsetzen, würden sie ihm den nächsten Dolch nicht ins Holz seines Bettes, sondern in seine Genitalien rammen. Indem sie einfach nur die Nachricht und den Dolch hinterließen, hatten sie dem Monarchen vor Augen geführt, wie verletzlich er in Wirklichkeit war und dass seine gewaltige Streitmacht nichts bedeutete, wenn ein einzelner Assassine sein Täuschungsmanöver durchschauen und seine Wachen übertölpeln und sich so mühelos in sein Zelt stehlen konnte, während er darin schlief.

Und offenbar waren Salah Al’din seine Genitalien lieber als ein langer und teurer Zermürbungskrieg gegen einen Feind, dessen Interessen nur selten in Konflikt mit seinen eigenen gerieten. Denn er war verschwunden.

„Seine Majestät Salah Al’din nimmt Euer Friedensangebot an“, tat der Gesandte kund.

Im Turm wechselte Al Mualim einen amüsierten Blick mit Umar, der neben ihm stand. Faheem befand sich ein Stück entfernt. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst.

„Er sichert uns also zu, dass unsere Gemeinschaft in ihrem Tun und Wirken mit keinerlei Feindseligkeiten und Störungen mehr rechnen muss?“, fragte Al Mualim.

„Solange es unseren Interessen nicht zuwiderläuft, habt Ihr diese Zusicherung.“

„Dann gehe auch ich auf das Angebot Seiner Majestät ein“, rief Al Mualim erfreut. „Ihr dürft Eure Männer aus Masyaf abziehen. Und vielleicht wärt Ihr noch so freundlich und würdet unsere Palisaden reparieren, bevor Ihr Euch verabschiedet?“

Daraufhin schaute Shihab scharfen Blickes am Turm empor. Selbst aus der enormen Höhe sah Al Mualim die Wut in seinen Augen aufblitzen. Shihab lehnte sich von seinem Hengst herab und sagte etwas zu dem Gesandten, der dann wieder die Hand an den Mund legte, um das Wort erneut an die Assassinen im Turm zu richten.

„Bei der Überbringung der Nachricht wurde einer von Salah Al’dins tüchtigsten Generälen getötet. Seine Majestät verlangt Wiedergutmachung. Den Kopf des Übeltäters.“

Das Lächeln auf Al Mualims Gesicht erstarb. Neben ihm straffte sich Umar.

Stille trat ein. Nur das Schnauben der Pferde war noch zu hören. Und Vogelgezwitscher. Alle warteten auf Al Mualims Antwort.

„Ihr könnt dem Sultan ausrichten, dass ich diese Bedingung ablehne.“

Shihab zuckte mit den Schultern und lehnte sich abermals zu dem Gesandten hinab, der dann wieder sprach.

„Seine Exzellenz möchte Euch darüber informieren, dass in diesem Fall eine Abordnung unserer Streitmacht in Masyaf zurückbleiben wird. Unsere Geduld ist größer als Eure Vorratslager. Soll das Friedensabkommen ungültig sein? Wollt Ihr zulassen, dass Eure Dorfbewohner und Soldaten verhungern? All das nur des Kopfes eines Assassinen wegen? Seine Exzellenz hofft, dass dies nicht Euer Wunsch ist.“

„Ich gehe“, zischte Umar dem Meister zu. „Es war mein Fehler. Es ist nur recht und billig, wenn ich dafür büße.“

Al Mualim schenkte ihm gar keine Beachtung. „Ich bin nicht bereit, das Leben eines meiner Männer zu opfern“, rief er dem Gesandten zu.

„Dann bedauert Seine Exzellenz Eure Entscheidung und bittet Euch, Zeuge einer Angelegenheit zu sein, die nun der Klärung bedarf. Wir haben herausgefunden, dass sich ein Spion in unserem Lager aufhält. Er muss hingerichtet werden.“

Al Mualim hielt den Atem an, als die Sarazenen den Spion der Assassinen aus der Sänfte zerrten, gefolgt von einem Richtblock, den zwei Nubier vor Shihabs Hengst zu Boden stellten.

Der Spion hieß Ahmad. Man hatte ihn geschlagen. Sein Kopf, voller blauer Flecken und mit Blut verschmiert, hing vornüber auf seine Brust, als man ihn auf den Knien zum Richtblock schleifte und mit der Kehle nach oben darauflegte. Der Henker trat an den Block, ein Türke mit einem schimmernden Krummsäbel, den er auf dem Boden abstützte, während er beide Hände um den mit Edelsteinen besetzten Griff legte. Die beiden Nubier hielten Ahmads Arme fest. Er stöhnte ein wenig, und der Laut wehte in die Höhe und erreichte die Ohren des wie betäubt im Wehrturm stehenden Meisters der Assassinen.

„Wenn Euer Mann seinen Platz einnimmt, soll das Leben des Spions verschont bleiben, und der Friedensvertrag wird gültig sein“, rief der Gesandte. „Wenn nicht, stirbt er, die Belagerung beginnt, und Eure Leute werden verhungern.“

Plötzlich hob Shihab den Kopf und rief: „Willst du dein Gewissen damit belasten, Umar Ibn-La’Ahad?“

Den Assassinen stockte der Atem. Ahmad hatte geredet. Unter der Folter zwar, aber er hatte geredet.

Al Mualims Schultern sanken herab. Umar war außer sich.

„Lasst mich gehen“, bedrängte er Al Mualim. „Meister, ich bitte Euch!“

Unten nahm der Henker breitbeinig Aufstellung. Mit beiden Händen hob er das Schwert über den Kopf. Ahmad wand sich schwach im Griff der Hände, die ihn hielten. Seine Kehle lag entblößt da, die Haut war gespannt. Es war still bis auf sein leises Wimmern.

„Das ist deine letzte Chance, Assassine“, rief Shihab.

Die Klinge blitzte auf.

„Meister“, flehte Umar, „lasst mich gehen.“

Al Mualim nickte.

„Halt“, rief Umar. Er trat auf eine Plattform des Turmes hinaus und blickte zu Shihab hinunter. „Ich bin Umar Ibn-La’Ahad. Es ist mein Leben, das Ihr nehmen solltet.“

Ein aufgeregtes Raunen ging durch die Reihen der Sarazenen. Shihab nickte lächelnd. Er gab dem Henker einen Wink, der daraufhin die Waffe sinken ließ und zurücktrat. „Nun gut“, richtete er das Wort an Umar. „Kommt herunter und nehmt Euren Platz ein.“

Umar wandte sich zu Al Mualim um, der den Kopf hob und ihn aus rot geränderten Augen ansah.

„Meister“, sagte Umar, „ich möchte Euch um einen letzten Gefallen bitten. Sorgt für Altaïr. Nehmt ihn zu Eurem Novizen.“

Al Mualim nickte. „Natürlich, Umar“, sagte er. „Natürlich.“

Vollkommene Stille lag über der Zitadelle, als Umar über die Leitern vom Turm hinabkletterte, dann den Abhang durch das Torvorwerk hinunterstieg und ans Haupttor trat. Ein Wächter öffnete ihm die Seitenpforte, und er bückte sich gerade, um hinauszuschlüpfen, als hinter ihm ein Ruf erscholl.

„Vater.“

Dann das Geräusch rennender Füße.

Er hielt inne.

„Vater.“

Umar hörte den Schmerz in der Stimme seines Sohnes und unterdrückte die Tränen, die ihm in die Augen stiegen, während der Wächter die Pforte hinter ihm schloss.

Man zerrte Ahmad vom Richtblock, und Umar versuchte ihm einen aufmunternden Blick zuzuwerfen, aber Ahmad konnte ihm nicht ins Gesicht sehen, als man ihn fortschleppte und vor der Seitenpforte zu Boden stieß, die sogleich geöffnet und – kaum dass man ihn hineingezogen hatte – wieder geschlossen wurde. Arme umschlangen Umar. Er wurde zum Richtblock gedrängt und daraufgelegt. Er ließ den Kopf nach hinten sinken, spürte, wie sich die Haut an seinem Hals spannte, und sah, wie der Henker über ihm aufragte. Über dessen Kopf war nur der Himmel zu sehen.

„Vater!“, hörte er den verzweifelten Ruf aus der Zitadelle, als die blitzende Klinge zischend auf ihn herabsauste.

Zwei Tage später verließ Ahmad die Festung im Schutz der Dunkelheit. Als man am nächsten Morgen sein Verschwinden bemerkte, wunderten sich die einen, wie er es bloß fertigbrachte, seinen Sohn alleinzulassen – die Mutter war vor zwei Jahren am Fieber gestorben –, während die anderen meinten, die Scham müsse zu groß gewesen sein, als dass er sie ertragen konnte, und deshalb sei er wohl nicht umhingekommen fortzugehen.

Die Wahrheit indes war eine ganz andere.

4

20. Juni 1257

An diesem Morgen wurde ich wach, als Maffeo mich an der Schulter rüttelte. Und das nicht besonders sanft, wie ich hinzufügen möchte. Aber immerhin rührte diese Nachdrücklichkeit von seinem Interesse an meiner Geschichte her. Zumindest dafür sollte ich wohl dankbar sein.

„Und?“, fragte er.

„Und was?“ Ich klang verschlafen … nun, weil ich es eben war.

„Was wurde aus Ahmad?“

„Das sollte ich erst später herausfinden, Bruder.“

„Dann erzähl’s mir.“

Ich setzte mich im Bett auf und dachte darüber nach. „Ich glaube, es ist am besten, wenn ich dir die Geschichten so erzähle, wie sie mir zu Ohren kamen“, meinte ich schließlich. „Altaïr, mag er auch längst nicht mehr der Jüngste sein, ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Also halte ich mich an seine Schilderungen. Und was ich dir gestern berichtet habe, führte letztlich zu unserer allerersten Begegnung, bei der er gerade einmal elf Jahre alt war.“

„Ein traumatisches Erlebnis für jedes Kind“, befand Maffeo. „Was war mit seiner Mutter?“

„Sie starb im Kindbett.“

„Dann war Altaïr also mit elf ein Waisenkind?“

„So ist es.“

„Was ist aus ihm geworden?“

„Nun, das weißt du doch. Er sitzt oben in seinem Turm und …“

„Nein, ich meine, was wurde damals aus ihm?“

„Auch dazu werde ich erst später kommen, Bruder. Als ich Altaïr das nächste Mal traf, setzte er mit seiner Erzählung fünfzehn Jahre später ein, an einem Tag, an dem er durch die dunklen, tropfenden Katakomben unter Jerusalem schlich …“

Man schrieb das Jahr 1191. Mehr als drei Jahre waren vergangen, seit Salah Al’din und seine Sarazenen Jerusalem eingenommen hatten. Die Christen hatten daraufhin mit den Zähnen geknirscht, zornig aufgestampft und ihr Volk mit höheren Steuern belegt, um den dritten Kreuzzug zu finanzieren – und einmal mehr waren Männer in Kettenhemden ins Heilige Land einmarschiert und hatten dessen Städte belagert.

Englands König Richard, der den Beinamen Löwenherz trug und gleichermaßen tapfer wie grausam war, hatte unlängst Akkon zurückerobert. Sein größter Wunsch war es jedoch, Jerusalem, die heilige Stätte, wieder einzunehmen. Und nichts in Jerusalem war heiliger als der Tempelberg und die Ruinen des Tempels von Salomon … auf den Altaïr, Malik und Kadar zupirschten.

Sie bewegten sich schnell, aber lautlos, immer dicht an den Tunnelwänden entlang, und ihre weichen Stiefel schienen den Sand kaum zu berühren. Altaïr ging voraus, Malik und Kadar folgten ihm im Abstand weniger Schritte, ihrer aller Sinne waren aufs Höchste gespannt, und ihr Puls schlug schneller, je näher sie dem Tempelberg kamen. Die Katakomben waren Tausende Jahre alt, und man sah ihnen jeden einzelnen Tag davon an. Sand und Staub rieselten zwischen wacklig gewordenen Holzstützen hervor, der Boden war weich, der Sand nass vom Wasser, das stetig von den Decken tropfte, und die Luft war erfüllt von Schwefelgeruch, verströmt von den Pechfackeln, die entlang den Tunnelwänden in Halterungen steckten.

Altaïr war der Erste, der den Priester hörte. Natürlich hörte er ihn als Erster. Er war der Anführer, der Meister-Assassine, seine Fähigkeiten waren ausgeprägter, seine Sinne schärfer als die der anderen. Er blieb stehen, fasste sich ans Ohr, dann hob er die Hand, und sie verharrten alle drei reglos und still wie Gespenster. Als Altaïr den Blick seinen Gefährten zuwandte, die auf seinen nächsten Befehl warteten, sah er ein erwartungsvolles Leuchten in Kadars Augen. Malik hingegen blickte wachsam und hart.

Alle drei hielten sie den Atem an. Um sie her tropfte das Wasser, und Altaïr lauschte aufmerksam auf das Murmeln des Priesters.

Die falsche christliche Pietät eines Templers.

Jetzt führte Altaïr die Hand hinter seinen Rücken, drehte das Gelenk, um seine Klinge einrasten zu lassen, und schon spürte er den vertrauten Zug am Ring des Mechanismus, den er am kleinen Finger trug. Er behandelte seine Klinge stets pfleglich, und so war das Geräusch, das sie verursachte, wenn er sie auslöste, kaum hörbar. Zusätzlich brachte er den Moment noch mit dem Tropfen des Wassers in Einklang.

Tropf … tropf …klick.

Er brachte den Arm nach vorn, und die Klinge an seiner linken Hand blitzte nach Blut dürstend im flackernden Fackellicht.

Dann drückte sich Altaïr so flach wie möglich gegen die Tunnelwand und schob sich leise vorwärts und um eine leichte Krümmung herum, bis er den Priester im Tunnel knien sah. Er trug das Gewand eines Templers, was nur bedeuten konnte, dass noch weitere dort waren, wahrscheinlich in der eigentlichen Tempelruine.

Altaïrs Herz schlug schneller. Es war genauso, wie er es sich gedacht hatte. Dass die Stadt unter der Herrschaft von Salah Al’din stand, hielt die Männer des roten Kreuzes nicht auf. Auch sie interessierten sich für den Tempelberg. Weshalb? Altaïr hatte vor, das herauszufinden, aber zunächst …

Zunächst musste er sich um den Priester kümmern.

Geduckt huschte er hinter den knienden Mann, der weiterbetete und nicht ahnte, wie nahe der Tod ihm war. Altaïr verlagerte sein Gewicht auf den vorderen Fuß und beugte das Knie ein wenig, dann hob er die Klinge, die Hand nach hinten geneigt, zum Stoß bereit.

„Warte“, zischte Malik von hinten. „Es muss eine andere Möglichkeit geben. Dieser Mann braucht nicht zu sterben.“

Altaïr ignorierte ihn. In einer fließenden Bewegung packte er mit der rechten Hand die Schulter des Priesters, mit der linken stieß er die Klingenspitze in den Nacken des Mannes, genau zwischen den Schädel und den ersten Wirbel, und durchtrennte das Rückgrat.

Dem Priester blieb keine Zeit zum Schreien, der Tod trat fast augenblicklich ein. Fast. Sein Körper zuckte und spannte sich, doch Altaïr hielt ihn fest und spürte, wie das Leben seines Opfers verebbte, während er einen Finger auf die Halsschlagader legte, bis sich der Tote langsam entspannte und Altaïr ihn lautlos zu Boden sacken ließ, wo sich eine Blutlache um ihn ausbreitete, die der Sand aufsog.

Es war schnell und lautlos vonstattengegangen. Aber als Altaïr die Klinge einzog, sah er die Anklage in Maliks Blick. Er musste an sich halten, um ob Maliks Schwäche nicht spöttisch zu grinsen. Maliks Bruder Kadar hingegen blickte mit einer Mischung aus Staunen und Ehrfurcht auf den Leichnam des Priesters hinab.

„Bewundernswert“, sagte er atemlos. „Das Glück ist mit deiner Klinge.“

„Mit Glück hat das nichts zu tun, nur mit Können“, tönte Altaïr. „Sieh mir noch ein paar Mal zu, vielleicht lernst du etwas.“

Bei diesen Worten behielt er Malik genau im Blick, und er sah in dessen Augen ein wütendes Funkeln. Zweifellos war er neidisch auf den Respekt, den sein Bruder Altaïr zollte.

Und wie erwartet wandte Malik sich an Kadar. „Oh ja, er wird dir beibringen, alles zu missachten, was der Meister uns gelehrt hat.“

Altaïr grinste. „Und wie wärst du vorgegangen?“

„Ich hätte keine Aufmerksamkeit auf uns gelenkt. Ich hätte keinem Unschuldigen das Leben genommen.“

Altaïr seufzte. „Es ist egal, wie wir unsere Aufgabe erfüllen, wichtig ist nur, dass wir sie erfüllen.“

„Aber das ist nicht der richtige Weg …“, setzte Malik an.

Altaïr fixierte ihn mit festem Blick. „Mein Weg ist der bessere.“

Einen Moment lang funkelten die beiden Männer einander an. Selbst hier, in diesem feuchten, kalten, tropfenden Tunnel konnte Altaïr die Anmaßung in Maliks Augen sehen, den Unmut, den Groll. Davor musste er auf der Hut sein, das wusste er. Es sah ganz danach aus, als würde der junge Malik allmählich zu einem Feind.

Aber wenn Malik vorhatte, Altaïr seine Rolle streitig zu machen, entschied er doch, dass dies nicht der rechte Augenblick war, um sich ihm entgegenzustellen. „Ich werde den weiteren Weg auskundschaften“, sagte er, „und versuchen, nicht noch mehr Schande über uns zu bringen.“

Die Strafe für diesen unverfrorenen Ungehorsam musste warten, beschloss Altaïr, während Malik davonging und in Richtung des Tempels im Tunnel verschwand.

Kadar schaute ihm nach, dann wandte er sich an Altaïr. „Worin besteht unsere Mission?“, fragte er. „Mein Bruder wollte mir nichts darüber sagen. Er meinte nur, dass ich mich geehrt fühlen solle, daran teilnehmen zu dürfen.“

Altaïr musterte das junge, enthusiastische Bürschlein. „Der Meister glaubt, dass die Templer unter dem Tempelberg etwas gefunden haben …“

„Einen Schatz?“, platzte es aus Kadar heraus.

„Das weiß ich nicht. Es zählt jedoch ohnehin nur, dass der Meister den Fund für wichtig hält, andernfalls hätte er mich nicht gebeten, ihn zu bergen.“

Kadar nickte, und auf einen Wink Altaïrs hin eilte er seinem Bruder nach. Altaïr blieb einen Augenblick lang allein im Tunnel zurück. Nachdenklich blickte er hinunter auf den toten Priester, dessen Kopf wie von einem Heiligenschein aus Blut umgeben auf dem sandigen Boden lag. Malik mochte recht haben. Es hätte andere Möglichkeiten gegeben, den Priester zum Schweigen zu bringen. Er hätte nicht sterben müssen. Altaïr hatte ihn trotzdem getötet, weil …

Weil er es konnte.

Weil er Altaïr Ibn-La’Ahad war, der Sohn eines Assassinen. Der Begnadetste im ganzen Orden. Ein Meister-Assassine.

Er setzte sich in Bewegung, kam an eine Reihe von Gruben, in deren Tiefe Dunst wirbelte, und sprang mühelos auf den ersten Querbalken, landete leichtfüßig und duckte sich katzenhaft, atmete regelmäßig und genoss es, seine Kraft und Sportlichkeit zu spüren.

Er sprang zum nächsten und weiter zum übernächsten, dann erreichte er die Stelle, an der Malik und Kadar standen und auf ihn warteten. Anstatt etwas zu ihnen zu sagen, rannte er an ihnen vorüber. Das Geräusch seiner Füße war wie ein Flüstern auf dem Boden, und den Sand schienen sie kaum zu berühren. Vor ihm befand sich eine hohe Leiter, die er im Sprung anging und lautlos emporkletterte. Erst als er ganz oben anlangte, verharrte er, horchte und sog prüfend die Luft ein.

Dann hob er langsam den Kopf. Sein Blick fiel in einen erhöht liegenden Raum, und darin stand, wie er es erwartet hatte, mit dem Rücken zu ihm ein Wächter, der die traditionelle Kleidung der Templer trug: gefüttertes Wams, Überhose, Kettenhemd, an der Hüfte sein Schwert. Laut- und reglos musterte ihn Altaïr einen Augenblick lang, seine Haltung, seine Schulterstellung. Gut. Der Mann war müde und unaufmerksam. Ihn zum Verstummen zu bringen, würde ein Leichtes sein.

Langsam zog Altaïr sich zum Boden des Raums hinauf, wo er kurz geduckt innehielt, bis sein Atem sich beruhigt hatte. Dabei beobachtete er den Templer sorgsam, ehe er sich von hinten an ihn heranschlich, sich aufrichtete und die Hände hob, die Linke zur Klaue geformt, die Rechte zum Zupacken bereit, auf dass dem Wächter kein Laut entschlüpfte.

Dann schlug er zu, bewegte das Handgelenk und löste die Klinge aus, die genau in dem Moment hervorschnellte, da Altaïr sie dem Wächter schon ins Rückgrat rammte, während er die rechte Hand auf den Mund des Mannes presste, um jeden Laut zu ersticken.

Einen Augenblick lang standen sie in makabrer Umarmung da. Altaïr spürte das Kribbeln des letzten gedämpften Schreis des Mannes unter seiner Hand. Dann sackte der Wächter zusammen. Altaïr ließ ihn sanft zu Boden gleiten und beugte sich über ihn, um ihm die Lider zu schließen. Der Mann war für seine nachlässige Pflichterfüllung als Wachtposten schwer bestraft worden, dachte Altaïr grimmig, während er sich aufrichtete und Malik und Kadar folgte, die schon unter dem Mauerbogen hindurchschlichen, der so unzureichend bewacht worden war.

Jenseits davon fanden sie sich auf einer der höheren Galerien eines riesigen Raums wieder. Altaïr blieb für einen Moment stehen und nahm den Anblick in sich auf, von dem er sich wie erschlagen fühlte. Denn dies waren die Ruinen des sagenum­wobenen Tempels von Salomon, der angeblich 960 vor Christus von König Salomon erbaut worden war. Und wenn Altaïr sich nicht täuschte, blickten sie von dieser Stelle aus auf den Vorderraum, das sogenannte große Haus, das Heilige des Tempels. In alten Aufzeichnungen hieß es, die Wände des Heiligen seien mit Zedernholz verkleidet gewesen, in das man Cherubim, Palmen und Blumen geschnitzt und sie mit Gold ausgelegt hatte, doch jetzt war der Tempel nur noch ein Schatten des Bildes, das er einst geboten haben mochte. Das Schmuckholz, die Cherubim und die Goldeinlagen waren verschwunden; wohin, darüber konnte Altaïr nur Vermutungen anstellen, aber er zweifelte kaum daran, dass die Templer dabei die Finger im Spiel gehabt hatten. Doch selbst allen Schmucks beraubt, war dieser Tempel immer noch ein Ort der Ehrerbietung, und ihn zu schauen, erfüllte Altaïr mit Staunen.

Seine beiden Begleiter, die hinter ihm standen, hatte die Ehrfurcht noch viel stärker ergriffen.

„Da“, sagte Malik und wies quer durch den Raum, „das muss die Lade sein.“

„Die Bundeslade“, keuchte Kadar, dessen Blick dem Fingerzeig seines Bruders gefolgt war.

Altaïr hatte sich wieder gefasst, und er sah die beiden Männer wie zwei dümmliche Händler dastehen, die ganz hingerissen waren vom Anblick glänzenden Tands. Bundeslade?

„Seid nicht albern“, schalt er sie. „Es gibt keine Bundeslade. Das ist nur ein Märchen.“

Als er selbst hinschaute, war er sich dessen jedoch nicht mehr ganz so sicher. Die Truhe wies sämtliche Eigenschaften der legendären Lade auf. Sie sah genauso aus, wie die Propheten sie immer beschrieben hatten, war zur Gänze mit Gold verkleidet, der goldene Deckel wurde von Cherubim gekrönt, und da waren auch die Ringe, durch die man die Stangen führte, mittels derer die Lade getragen wurde. Und es ging irgendetwas davon aus, stellte Altaïr fest. Diese Truhe besaß eine Aura …

Er riss seinen Blick davon los. Er musste seine Aufmerksamkeit wichtigeren Dingen widmen, den Männern nämlich, die unter ihnen gerade hereingekommen waren und deren Stiefel über den Boden knirschten, der einst unter Fichtenholzbohlen gelegen hatte, heute aber nur noch aus blankem Stein bestand. Templer, deren Anführer bereits Befehle blaffte.

„Ich erwarte, dass wir noch vor Sonnenaufgang durch dieses Tor gebrochen sind“, sagte er und bezog sich damit zweifellos auf die Lade. „Je eher wir sie in unserem Besitz haben, desto schneller können wir unser Augenmerk auf diese Schakale in Masyaf richten.“

Er sprach mit französischem Akzent, und als er ins Licht trat, erkannten sie seinen charakteristischen Umhang – den eines Großmeisters der Templer.

„Robert de Sable“, flüsterte Altaïr. „Sein Leben gehört mir.“

Malik fuhr zornig zu ihm herum. „Nein. Wir wurden beauftragt, den Schatz zu bergen. Um Robert sollen wir uns nur kümmern, wenn es unbedingt nötig ist.“

Altaïr hatte Maliks ständige Widerworte satt. „Er steht zwischen uns und dem Schatz“, zischte er wütend. „Es ist nötig.“

„Besonnenheit, Altaïr“, beschwor ihn Malik.

„Du meinst Feigheit. Dieser Mann ist unser größter Feind – und wir haben die Gelegenheit, uns seiner zu entledigen.“

Malik gab noch immer nicht nach. „Du hast bereits zwei Grundsätze unseres Credos gebrochen. Jetzt willst du auch noch den dritten brechen. Du gefährdest die Bruderschaft.“

„Ich bin dir vorgesetzt“, schnappte Altaïr schließlich, „sowohl was meinen Titel als auch was meine Fähigkeiten angeht. Du soll­test klug genug sein, meine Entscheidungen nicht infrage zu stellen.“

Und damit drehte er sich um, kletterte rasch die erste Leiter zu einer tiefer gelegenen Galerie hinunter und dann bis zum Boden, wo er selbstsicher den Tempel durchquerte und auf die Gruppe von Rittern zuschritt.

Sie sahen ihn kommen und wandten sich ihm zu, die Hände am Griff ihrer Schwerter, das Kinn vorgereckt, und Altaïr glitt über den Boden auf sie zu, das Gesicht unter der Kapuze verborgen, mit wehendem Gewand, das Schwert an der Hüfte und die Griffe seiner Kurzschwerter über der rechten Schulter. Er konnte die Furcht, die sie befiel, beinahe spüren.

Aber auch er ließ sie nicht aus den Augen und taxierte im Geist jeden einzelnen Mann – wer von ihnen war Rechtshänder, wer kämpfte mit der Linken? Wer war schnell, und wer würde sich als der Stärkste erweisen? Und sein besonderes Augenmerk galt ihrem Anführer.

Robert de Sable war der Größte von ihnen, der Kräftigste. Sein Kopf war kahl rasiert, sein Gesicht gezeichnet von den Erfahrungen vieler Jahre, und jedes einzelne dieser Jahre hatte beigetragen zu seiner Legende, der Geschichte von einem Ritter, der für sein Talent im Umgang mit dem Schwert ebenso bekannt war wie für seine Grausamkeit und Skrupellosigkeit. Und vor allem wusste Altaïr, dass de Sable von allen anwesenden Männern bei Weitem der gefährlichste war. Er musste als Erster ausgeschaltet werden.

Er hörte, wie Malik und Kadar von den Leitern sprangen, wandte sich um und sah, wie sie ihm folgten – Kadar schluckte nervös, in Maliks Augen blitzte die Missbilligung. Die Templer spannten sich beim Anblick zweier weiterer Assassinen noch mehr. Jetzt war das Verhältnis ausgeglichener. Vier Templer umringten de Sable. Jeder von ihnen war auf der Hut, und die Luft war zum Schneiden dick vor Furcht und Spannung.

„Halt, Templer“, rief Altaïr, als er den fünf Rittern nahe genug gekommen war. Er richtete das Wort an de Sable, der mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen dastand. Im Gegensatz zu seinen Gefährten lag seine Hand nicht auf dem Griff seiner Waffe, er wirkte entspannt, als kümmere ihn die Anwesenheit von drei Assassinen kaum.

Altaïr wollte ihn für seine Überheblichkeit büßen lassen.

„Ihr seid nicht die Einzigen, die ein Interesse haben an diesem Ort“, fügte er hinzu.

Die beiden Männer maßen einander mit Blicken. Altaïr bewegte die rechte Hand, als sei er dabei, den Griff seines Schwerts am Gürtel zu packen, weil er de Sables Aufmerksamkeit dorthin lenken wollte, während der Tod in Wahrheit geschmeidig aus seiner linken Hand fahren würde. Ja, beschloss er. Mit rechts antäuschen, mit links zuschlagen. Wenn er Robert de Sable mit der Klinge erledigte, würden seine Männer fliehen, und die Assassinen konnten den Schatz bergen. Alle würden von Altaïrs großem Sieg über den Großmeister der Templer reden. Malik, dieser Feigling, würde verstummen, sein Bruder abermals von Staunen ergriffen sein, und wenn sie nach Masyaf zurückkehrten, würden die Mitglieder des Ordens Altaïr verehren. Al Mualim würde ihn persönlich auszeichnen, und Altaïrs Aufstieg in den Rang des Meisters wäre gesichert.

Er blickte in die Augen seines Gegners. Unmerklich spannte er die linke Hand, prüfte den Zug des Klingenmechanismus. Er war bereit.

„Und was wollt Ihr?“, fragte de Sable immer noch mit jenem unbekümmerten Lächeln.

„Blut“, sagte Altaïr nur, und dann schlug er zu.

Mit übermenschlicher Schnelligkeit sprang er auf de Sable zu, ließ im selben Moment die Klinge hervorschnellen, täuschte mit der rechten Hand an und stieß blitzschnell und tödlich wie eine Kobra mit der linken zu.

Doch der Templer-Großmeister war schneller und listiger, als Altaïr es erwartet hatte. Er erwischte den Assassinen mitten im Angriff, und das offenbar so mühelos, dass Altaïr innehielt, sich nicht rühren konnte und auf einmal entsetzlich hilflos war.

In diesem Augenblick erkannte Altaïr, dass er einen verhängnisvollen Fehler begangen hatte. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass es nicht de Sable war, der vor Hochmut strotzte – nein, das war er selbst, und plötzlich fühlte er sich nicht mehr wie Altaïr, der Meister-Assassine. Er kam sich vor wie ein schwaches kleines Kind. Schlimmer noch, wie ein kleiner Angeber.

Er versuchte sich zu wehren und stellte fest, dass er sich kaum bewegen konnte. De Sable hielt ihn mit Leichtigkeit fest. Er spürte die Schmach wie einen scharfen Stich, der ihm in die Brust fuhr, und dachte an Malik und Kadar, die mit ansahen, wie er zu Fall gebracht wurde. De Sables Hand lag um seine Kehle und drückte zu, und er schnappte nach Luft, während der Templer sein Gesicht ganz nah an das von Altaïr heranbrachte. Auf seiner Stirn pochte eine Ader.

„Du hast keine Ahnung von den Dingen, in die du deine Nase steckst, Assassine. Ich verschone dich nur, damit du zu deinem­ Meister zurückkehren und ihm eine Nachricht überbringen kannst. Das Heilige Land ist für ihn und die Seinen verloren. Er sollte fliehen, auf der Stelle, solange er noch Gelegenheit dazu hat. Wenn ihr bleibt, werdet ihr alle sterben.“

Altaïr keuchte und spuckte, sein Blickfeld begann, an den Rändern zu verschwimmen, er kämpfte gegen die Bewusstlosigkeit, während de Sable mit ihm umsprang, als hätte er es mit einem Neugeborenen zu tun. Scheinbar mühelos schleuderte er Altaïr gegen die hintere Wand des Raums. Altaïr krachte durch das ur­alte Mauerwerk und landete in der Vorhalle auf der anderen Seite, wo er für einen Moment wie gelähmt liegen blieb und hörte, wie die Balken und die riesigen Steinpfeiler des Raums barsten und einstürzten. Er schaute auf und sah, dass sein Weg zurück in den Tempel blockiert war.

Von der anderen Seite vernahm er Rufe, und de Sable schrie: „Männer, zu den Waffen! Tötet die Assassinen!“ Altaïr stürzte zu den Trümmern und versuchte, einen Weg hindurch zu finden. Scham und Hilflosigkeit brannten in ihm, als er Malik und Kadar schreien hörte, während sie niedergestreckt wurden, und schließlich drehte er sich mit gesenktem Kopf um und machte sich auf den Weg aus dem Tempel, um die Reise nach Masyaf anzutreten und seinem Meister die Nachricht zu überbringen.

Die Nachricht, dass er versagt hatte. Dass er, der große Altaïr, Schande über sich und über den Orden gebracht hatte.

Als er schließlich aus den verschlungenen Tiefen des Tempelbergs herausfand, trat er in strahlenden Sonnenschein und erblickte ein Jerusalem, das von Leben wimmelte. Dennoch hatte Altaïr sich noch nie so allein gefühlt.

5

Altaïr erreichte Masyaf nach einem anstrengenden Fünftagesritt, auf dem er mehr als genug Zeit hatte, um über sein Versagen nachzugrübeln. Und so kam er zutiefst niedergeschlagen vor den Toren an, wurde von der Wache eingelassen und steuerte die Ställe an.

Als er absaß, spürte er, wie sich seine verkrampften Muskeln endlich entspannten. Sein Pferd übergab er dem Stalljungen, dann machte er am Brunnen halt, um seinen Durst zu stillen, erst mit kleinen, dann mit gierigen, langen Schlucken, und schließlich wusch er sich auch den Staub der Reise aus dem Gesicht. Auf seinem Körper spürte er ihn trotzdem noch. Seine Kleidung hing schwer und verdreckt an ihm, und er freute sich auf ein Bad in den schimmernden Wassern von Masyaf, verborgen in einer Nische der Felswand. Im Moment, das wurde ihm jetzt bewusst, sehnte er sich nur nach einem – Einsamkeit.

Auf dem Weg zum Dorfrand wanderte sein Blick wie von selbst in die Höhe, vorbei an den Stallungen und dem geschäftigen­ Markttreiben und hin zu den gewundenen Pfaden, die hinaufführten zu den zinnenbewehrten Mauern der Assassinen-Festung. Dies war der Ort, an dem der Orden trainierte und lebte unter dem Befehl von Al Mualim, der in den byzantinischen Türmen im Zentrum der Zitadelle Quartier bezogen hatte. Oft sah man ihn am Fenster seines Turms stehen, wo er in Gedanken versunken den Blick schweifen ließ, und Altaïr stellte ihn sich auch jetzt dort vor, wie er aufs Dorf herabschaute. Auf das Dorf, das von Leben wimmelnd und lärmend in der Sonne lag. Das Dorf, das Altaïr vor zehn Tagen zusammen mit Malik und Kadar verlassen hatte, um nach Jerusalem zu reisen, von wo er als siegreicher Held hatte zurückkehren wollen.

Nicht einmal in seinen finstersten Ahnungen hatte er sein Versagen vorausgesehen, und doch …

Ein Assassine grüßte ihn, als er den von der Sonne mit Licht und Schatten gesprenkelten Marktplatz überquerte, und er riss sich zusammen, straffte die Schultern und hielt den Kopf hoch erhoben in dem Versuch, den großen Assassinen, als der er Masyaf verlassen hatte, aus seinem Innersten heraufzubeschwören, anstatt der Narr zu sein, als der er mit leeren Händen zurückgekommen war.

Es war Rauf, und Altaïr fühlte sich sogleich noch niedergeschlagener, wenn das überhaupt möglich war, was er ernstlich bezweifelte. Ausgerechnet Rauf, der Altaïr wie einen Gott verehrte, musste es sein, der ihn bei seiner Rückkehr begrüßte. Es sah aus, als habe der jüngere Mann auf ihn gewartet und sich die Zeit an einem ummauerten Brunnen vertrieben. Jetzt sprang er auf, die Augen groß und voller Eifer und doch blind für die Aura des Versagens, von der Altaïr sich umhüllt fühlte.

„Altaïr, du bist wieder da!“ Rauf strahlte. Er freute sich wie ein treues Hündchen, ihn zu sehen.

Altaïr nickte träge. Hinter Rauf erfrischte sich ein älterer Händler am Brunnen, dann begrüßte er eine jüngere Frau, die eine mit Gazellen verzierte Vase trug. Sie setzte das Gefäß auf der niedrigen Brunnenumrandung ab, und sie begannen ein Gespräch, in dem die Frau aufgeregt gestikulierte. Altaïr beneidete die beiden.

„Es freut mich, dich unverletzt wiederzusehen“, fuhr Rauf fort. „Ich nehme an, deine Mission war ein Erfolg?“

Altaïr überging diese Frage. Sein Blick ruhte nach wie vor auf dem Brunnen. Es fiel ihm schwer, Rauf in die Augen zu schauen.

„Ist der Meister in seinem Turm?“, fragte er schließlich und löste den Blick nun doch von der Frau und dem Mann am Brunnen.

„Ja, ja.“ Rauf zwinkerte ihm zu. „Er hat sich hinter seinen Büchern vergraben, wie immer. Gewiss wartet er schon auf dich.“

„Ich danke dir, Bruder.“

Damit ließ er Rauf und die plaudernden Dörfler am Brunnen hinter sich, passierte die Buden, die Heuwagen und Bänke und schritt über das Pflaster, bis der trockene, staubige Boden steil nach oben führte. Unter seinen Füßen knisterte von der Sonne ausgedörrtes Gras. Alle Wege schlängelten sich zur Burg hinauf.

Noch nie hatte er sich von ihrem Schatten so erdrückt gefühlt. Als er das Plateau überquerte, hatte er die Fäuste geballt. Die Wachen grüßten ihn mit aufmerksamem Blick, als er sich der Festung näherte, die Hände auf dem Griff ihrer Schwerter.

Jetzt erreichte er den großen Torbogen, der zur Barbakane führte, und wieder wurde ihm das Herz in der Brust schwer, als er dort eine Gestalt erkannte: Abbas.

Abbas stand neben einer Fackel, deren Licht das bisschen Dunkelheit verscheuchte, das sich unter dem Bogen ballen wollte. Barhäuptig lehnte er am rauen, dunklen Stein, mit verschränkten Armen, das Schwert an der Hüfte. Altaïr blieb stehen, und einen Moment lang sahen sich die beiden Männer an, während Dorfbewohner um sie herumgingen, die nichts mitbekamen von der alten Feindschaft, die zwischen den zwei Assassinen von Neuem erstand. Einst hatten sie einander Bruder genannt. Aber das war lange her.

Abbas verzog die Lippen langsam zu einem höhnischen Lächeln. „Ah. Endlich ist er wieder da.“ Er blickte anzüglich über Altaïrs Schulter. „Wo sind die anderen? Bist du vorausgeritten in der Hoffnung, als Erster zurückzukehren? Ich weiß, dass du den Ruhm nur ungern teilst.“

Altaïr ging nicht darauf ein.

„Schweigen ist nur eine andere Form der Zustimmung“, ergänzte Abbas. Er versuchte immer noch, ihn wütend zu machen, und er tat es mit der Tücke der Jugend.

„Hast du nichts Besseres zu tun?“ Altaïr seufzte.

„Ich bin hier, um dir eine Nachricht des Meisters zu überbringen. Er erwartet dich in der Bibliothek“, sagte Abbas. Er winkte Altaïr an sich vorbei. „Beeil dich lieber. Du kannst es doch sicher kaum erwarten, ihm die Stiefel zu lecken.“

„Noch ein Wort“, entgegnete Altaïr, „und ich lasse meine Klinge über deine Kehle lecken.“

Als läse er seine Gedanken, erwiderte Abbas: „Dazu wird später noch genug Zeit sein, Bruder.“

Altaïr schob sich an ihm vorbei und überquerte den Hof und den Übungsplatz, dann ging er auf die Tür zu Al Mualims Turm zu. Die Wachen neigten den Kopf und zollten ihm den Respekt, der einem Meister-Assassinen gebührte, und er erwiderte den Gruß, wohlwissend, dass ihr Respekt schon bald – nachdem die Neuigkeit sich verbreitet hatte – nur noch eine flüchtige Erinnerung sein würde.

Aber zuerst musste er Al Mualim die furchtbare Neuigkeit überbringen, und so stieg er die Stufen des Turms zum Gemach des Meisters empor. Der Raum war warm, die Luft erfüllt von dem gewohnten süßen Duft. Staub tanzte in den Lichtbalken, die durch das Fenster auf der anderen Seite hereinfielen, wo auch der Meister mit hinter dem Rücken verschränkten Händen stand. Sein Meister. Sein Mentor. Ein Mann, den er mehr als jeden anderen verehrte.

Den er enttäuscht hatte.

In einer Ecke gurrten die Brieftauben des Meisters leise in ihrem Käfig, und ihn umgaben seine Bücher und Manuskripte, Literatur und Lehren der Assassinen aus Tausenden von Jahren, die teils in Regalen standen oder zu staubigen Türmen gestapelt waren. Sein kostbares Gewand umfloss ihn, das lange Haar lag ihm auf den Schultern, und wie stets machte er einen nachdenklichen Eindruck.

„Meister“, sagte Altaïr und brach die lastende Stille. Er senkte den Kopf.

Wortlos drehte sich Al Mualim um und ging zu seinem Schreibtisch, unter dem Schriftrollen den Boden bedeckten. Er musterte Altaïr mit scharfem, unbezwingbarem Auge. Sein Mund, der sich in seinem grauweißen Bart verbarg, verriet keinerlei Gefühl, bis er schließlich sprach und seinem Schüler bedeutete, zu ihm zu kommen. „Tritt vor. Erzähl mir von eurer Mission. Ich nehme an, ihr habt den Schatz der Templer gefunden …“

Altaïr spürte, wie ihm ein Schweißtropfen von der Stirn über das Gesicht rann. „Es gab Schwierigkeiten, Meister. Robert de Sable war nicht allein.“

Al Mualim winkte ab. „Wann laufen die Dinge je so, wie wir es erwarten? Es ist unsere Anpassungsfähigkeit, die uns zu jenen macht, die wir sind.“

„Diesmal hat sie nicht genügt.“

Al Mualim brauchte einen Moment, um Altaïrs Worte zu begrei­fen. Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor, und als er dann weitersprach, tat er es in scharfem Ton. „Was willst du damit sagen?“

Altaïr senkte den Kopf. Er spürte, wie er die Worte förmlich hervorpressen musste.

„Ich habe versagt, Meister.“

„Der Schatz?“

„Er ist für uns verloren.“

Die Atmosphäre im Raum schlug um. Sie war plötzlich angespannt und schien zu knistern, als wäre die Luft selbst brüchig geworden, und es entstand eine Pause, bevor Al Mualim fragte: „Und Robert?“

„Entkommen.“

Das Wort fiel wie ein Stein in den scheinbar dunkler werdenden Raum.

Jetzt trat Al Mualim näher auf Altaïr zu. Sein gesundes Auge loderte vor Wut, er hatte seine Stimme kaum noch unter Kontrolle, sein Zorn füllte den Raum aus.

„Ich schicke dich, meinen besten Mann, auf eine Mission, die wichtiger ist als je eine andere zuvor es war, und du kommst mit nichts als Entschuldigungen und Ausreden zu mir zurück?“

„Ich …“

„Schweig.“ Al Mualims Stimme klang wie ein Peitschenhieb. „Kein Wort mehr. Das habe ich nicht erwartet. Wir müssen eine weitere Streitmacht zusammenstellen, um …“

„Ich schwöre Euch, ich werde ihn finden …“, begann Altaïr, der bereits darauf brannte, de Sable erneut gegenüberzutreten. Und dieses Aufeinandertreffen würde ganz anders ausgehen.

Jetzt schaute Al Mualim sich um, als fiele ihm gerade erst ein, dass Altaïr ja mit zwei Begleitern aus Masyaf aufgebrochen war. „Wo sind Malik und Kadar?“, fragte er.

Ein zweiter Schweißtropfen lief Altaïr die Schläfe hinab, als er antwortete: „Tot.“

„Nein“, ertönte jetzt hinter ihnen eine Stimme. „Nicht tot.“

Al Mualim und Altaïr drehten sich um und erblickten ein Gespenst.

6

Malik stand in der Tür zum Gemach des Meisters – eine wankende, verwundete, erschöpfte, blutige Gestalt. Seine ehedem weiße Kleidung war mit Dreck und Blut verschmiert, vor allem um seinen linken Arm herum, der schlimm verletzt aussah, nutzlos an seiner Seite baumelte und mit getrocknetem, schwarzem Blut verkrustet war.

Als er den Raum betrat, sackte seine verwundete Schulter nach unten, und er hinkte leicht. Aber mochte sein Leib auch Schaden genommen haben, sein Geist war unversehrt, denn in seinen Augen brannten Wut und Hass, und Letzterer richtete sich in einem dermaßen durchdringenden Blick gegen Altaïr, dass der an sich halten musste, um nicht zurückzuweichen.

„Ich lebe jedenfalls noch“, knurrte Malik, den Blick weiterhin starr auf Altaïr gerichtet, und seine blutunterlaufenen Augen quollen schier über vor Vorwurf und Rage. Er atmete in kurzen, rauen Zügen. Seine gefletschten Zähne waren blutig.

„Und dein Bruder?“, fragte Al Mualim.

Malik schüttelte den Kopf. „Tot.“

Einen Herzschlag lang senkte er den Blick zum steinernen Boden. Dann riss er den Kopf in neu aufflammender Wut wieder hoch, kniff die Augen zusammen und hob einen zitternden Finger, mit dem er auf Altaïr zeigte. „Deinetwegen“, zischte er.

„Robert hat mich aus dem Raum hinausgeschleudert.“ Altaïrs Ausrede klang selbst in seinen eigenen Ohren kläglich –vor allem in seinen eigenen Ohren. „Es gab keinen Weg, der wieder hineinführte. Ich konnte nichts tun …“

„Weil du meine Warnung nicht beherzigen wolltest“, schrie Malik mit heiserer Stimme. „Das alles hätte sich vermeiden lassen. Und mein Bruder … mein Bruder wäre noch am Leben. Deine Hochmütigkeit hätte uns heute beinah den Sieg gekostet.“

„Beinah?“, hakte Al Mualim vorsichtig nach.

Malik beruhigte sich und nickte, und um seine Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns. Ein Lächeln, das Altaïr galt, denn jetzt winkte er einem anderen Assassinen, der mit einem Kästchen auf einem goldenen Tablett vortrat.

„Ich habe, was Euer Liebling nicht finden konnte“, sagte Malik. Seine Stimme klang angestrengt, und er war entkräftet, aber diesen Augenblick des Triumphes über Altaïr ließ er sich nicht verderben.

Altaïr hatte den Eindruck, die Welt um ihn herum würde einstürzen, als er zusah, wie der Assassine das Tablett auf Al Mualims Schreibtisch abstellte. Das Kästchen war mit alten Schriftzeichen übersät, und es ging irgendetwas davon aus. Eine Aura. Darin befand sich zweifellos der Schatz. Es konnte nicht anders sein. Der Schatz, den Altaïr nicht hatte bergen können.

Al Mualims Auge war groß und rund, und es strahlte förmlich. Seine Lippen waren leicht geöffnet, und seine Zunge strich darüber. Er war wie gebannt vom Anblick des Kästchens und der Vorstel­lung dessen, was sich darin befand, als draußen plötzlich ein Tumult losbrach. Schreie wurden laut. Man hörte Menschen rennen und das unverkennbare Klirren aufeinanderprallenden Stahls.

„Scheint, als sei ich mit mehr als nur dem Schatz zurückgekehrt“, meinte Malik, als auch schon ein Bote, ohne irgendein Protokoll zu beachten, hereinstürmte. Atemlos brachte er hervor: „Meister, wir werden angegriffen. Robert de Sable belagert das Dorf.“