Atlan - Flammenstaub-Zyklus (Sammelband) - Bernhard Kempen - E-Book

Atlan - Flammenstaub-Zyklus (Sammelband) E-Book

Bernhard Kempen

4,8

Beschreibung

Das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht, ist angebrochen. Atlan verschlägt es mit der exotisch schönen Varganin Kythara in die Galaxis Dwingeloo, wo sie den Kampf gegen die mysteriösen Lordrichter aufnehmen. Diese haben zuletzt in der Milchstraße und in Dwingeloo finstere Pläne verfolgt. Nachdem der unsterbliche Arkonide und die Varganin den Dunkelstern in Dwingeloo zerstören konnten, gelingt ihnen in letzter Sekunde die Flucht aus dem Inferno. Kurz darauf erhalten die beiden Kontakt zu einer Widerstandsgruppe, die die Macht der Lordrichter brechen möchte. Atlan, der als einziger in der Lage ist, die ultimate Waffe gegen die Lordrichter - nämlich den Flammenstaub - zu bergen, verweigert die Herausgabe an die Widerständler, da sie zu schwach sind, um damit umzugehen. Atlan beschließt, die Wirkung des Flammenstaubs selbst zu ergründen und gerät dabei immer mehr zwischen die Dimensionen ... Folgende Romane sind enthalten Band 1: "Zwischen den Dimensionen" von Bernhard Kempen Band 2: "Hauch des Todes" von Michael Marcus Thurner Band 3: "Todeszone Schimayn" von Christian Montillon Band 4: "Die Versammlung" von Hans Kneifel Band 5: "Die Rache der Juclacs" von Uwe Anton Band 6: "Ein Zentralgehirn in Not" von Luc Bahl Band 7: "Entscheidung auf Extosch" von Wim Vandemaan Band 8: "Der Zorn der Lordrichter" von H. G. Ewers Band 9: "Eschens Welt" von Christian Schwarz Band 10: "Lordrichter Saryla" von Achim Mehnert Band 11: "Die verlorenen Rhoarxi" von Uwe Anton Band 12: "Das Schwert der Ordnung" von Michael Marcus Thurner

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Das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht, ist angebrochen. Atlan verschlägt es mit der exotisch schönen Varganin Kythara in die Galaxis Dwingeloo, wo sie den Kampf gegen die mysteriösen Lordrichter aufnehmen. Diese haben zuletzt in der Milchstraße und in Dwingeloo finstere Pläne verfolgt.

Nachdem der unsterbliche Arkonide und die Varganin den Dunkelstern in Dwingeloo zerstören konnten, gelingt ihnen in letzter Sekunde die Flucht aus dem Inferno. Kurz darauf erhalten die beiden Kontakt zu einer Widerstandsgruppe, die die Macht der Lordrichter brechen möchte. Atlan, der als einziger in der Lage ist, die ultimate Waffe gegen die Lordrichter – nämlich den Flammenstaub – zu bergen, verweigert die Herausgabe an die Widerständler, da sie zu schwach sind, um damit umzugehen.

Er beschließt, die Wirkung des Flammenstaubs selbst zu ergründen und gerät dabei immer mehr zwischen die Dimensionen ...

Nr. 1

Zwischen den Dimensionen

von Bernhard Kempen

Auf den von Menschen besiedelten Welten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Jahr 4812 alter Zeit entspricht. Den relativ unsterblichen Arkoniden Atlan, der seit Jahrtausenden im Auftrag der Menschheit wirkt, verschlägt es mit der exotisch schönen Varganin Kythara in die Galaxis Dwingeloo, wo sie den Kampf gegen die mysteriösen Lordrichter aufnehmen. Diese haben zuletzt in der Milchstraße und in Dwingeloo mit Hilfe ihrer Truppen finstere Pläne verfolgt.

Nachdem Atlan und Kythara den Dunkelstern in Dwingeloo zerstören konnten, gelingt ihnen in letzter Sekunde die Flucht aus dem Inferno an einen unbekannten Ort. Kurz darauf erhalten die beiden Kontakt zu einer Widerstandsgruppe, die Atlan um Hilfe bittet. Da er als einziges Wesen in der Lage ist, die ultimate Waffe gegen die Lordrichter, nämlich den Flammenstaub, zu bergen, tritt er seine Reise in die geheimnisvolle Intrawelt an.

Atlan, der nach zahlreichen Abenteuern in der gigantischen Hohlwelt den Flammenstaub nun in sich trägt, verweigert der Konterkraft die Herausgabe des Staubes. Der Arkonide ist davon überzeugt, dass die Anführer der Widerstandsgruppe zu schwach sind, um damit umzugehen.

Der Unsterbliche beschließt, die Wirkung des Flammenstaubs zunächst selbst zu ergründen, und gerät dabei ZWISCHEN DIE DIMENSIONEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Atlan – Der Arkonide entdeckt die Macht des Flammenstaubs.

Garshwyn

Die Chaostheorie beschreibt Vorgänge, bei denen winzigste Ursachen Folgen von enormer Tragweite haben können. Ich erinnere nur an den Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Hurrikan auslösen kann. Was bedeutet der chaotische Faktor in dieser Kausalitätskette? Verletzen die komplexen Bewegungen der Luftmoleküle, die sich schließlich zu einem Sturm aufschaukeln, die Gesetze einer mechanistischen Kausalität, oder sind sie nur zu komplex für unser Verständnis? Stellt die unbestimmte Kausalität des Chaos eine Grenze der Physik oder eine Grenze unserer Wahrnehmung dar?

Aus »Vorlesungen über die Grundlagen der physikalischen Realität«

Les Zeron (408 NGZ)

1.

Eine gewaltige Explosion blühte in dem lang gestreckten Hangar des Golfballraumschiffs auf.

Garshwyn sah durch die dicke Panzerglasscheibe zunächst nur mittelbare Anzeichen dafür, dass die TROD-AHAN von einer neuen Schockwellenfront getroffen wurde. Zunächst wirkte es sich nur wie eine Störung des Sichtfelds aus: Die gegenüberliegende Wand des röhrenförmigen Hangars wölbte und verzerrte sich, als würde sie von einer unsichtbaren Riesenhand wie eine plastische Masse geknetet. Dann konzentrierte sich der hyperdimensionale Effekt zu einer flirrenden Lichtwolke, die das mittlere der geparkten Beiboote einhüllte.

Nur wenige Sekunden später verging das kleine Raumschiff in einem blendenden Feuerball.

Der Zaqoor in der Hangar-Kontrollzentrale hatte bereits mit dem Leben abgeschlossen. Doch als er die Augen wieder öffnete, sah er, dass das Panzerglas gehalten hatte. War es eine zufällige Überlagerung der Druckwellen, die genau dort, wo die Kontrollzentrale in die Wand des Hangars eingelassen war, eine Interferenzzone der Sicherheit geschaffen hatte? Garshwyn konnte es nicht sagen. Außerdem hatte er jetzt ganz andere Sorgen. Es war nämlich noch keineswegs gewiss, dass das Glück auch in den nächsten Sekunden und Minuten auf seiner Seite stand. Die Verwüstung ging weiter.

Das explodierte Raumschiff wirkte wie der Treibsatz eines Projektilgeschützes: Der Feuerball dehnte sich aus und katapultierte das vordere Beiboot durch das offene Hangartor in den Weltraum. Dann sah Garshwyn nur noch einen grellen Lichtschein, der von rechts in den Hangar fiel. Das kleine Schiff, das sich in ein Geschoss verwandelt hatte, schien nicht weit vom Mutterschiff entfernt detoniert zu sein.

Das dritte Beiboot, das hinterste in der Reihe, wurde durch den Explosionsdruck gegen die Rückwand des Hangars geschleudert und bohrte sich in die Innereien der TROD-AHAN.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Mutterschiff vollständig in Stücke gerissen wurde. Die Ausmaße des Feuerballs würden das, was Garshwyn hier beobachtete, um ein Vielfaches übertreffen. Wenn dieser Fall eintrat, konnte er nicht mehr darauf hoffen, dem Tod durch eine Laune des Zufalls zu entkommen.

Er musste selbst etwas unternehmen, wenn er das drohende Inferno überleben wollte.

Garshwyn warf einen letzten Blick in den Hangar, der von Trümmerfetzen und verkohlten Gestalten in Schutzanzügen übersät war. Dann wandte er sich ab und hetzte zu den Rettungskapseln.

Mit einem Schutzanzug hätte er deutlich bessere Chancen gehabt, aber dieses Privileg stand nur dem Personal zu, das unmittelbar im Hangar arbeitete. Allerdings hatten die Anzüge, die nur über minimale Ausstattung verfügten, die meisten seiner Kollegen nicht vor der Vernichtung bewahrt.

Garshwyn erreichte den Korridor, an dem die Einstiegsluken zu den Rettungskapseln lagen. Mit einem Blick wurde ihm klar, dass die Explosion im Hangar den größten Teil der Kapseln zerstört hatte. Ein Notfallschott riegelte den Korridor ab, sodass von hier aus nur noch vier Rettungseinheiten erreichbar waren.

Die Lichtsymbole an den Einstiegsluken machten Garshwyn keine große Hoffnung. Zwei waren völlig ausgefallen, eins flackerte bedenklich, und nur noch ein einziges zeigte volle Bereitschaft an.

Der Zaqoor drückte die große Taste, mit der die Rettungskapsel aktiviert wurde. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis die einfachen Schaltkreise den Öffnungsmechanismus in Gang setzten. Als die Luke endlich mit einem leisen Klacken aufsprang, hörte Garshwyn Schritte, die sich durch den Zugangskorridor näherten. »Garshwyn!«, hörte er eine abgehetzte, aber vertraute Stimme, deren Klang ihn fassungslos erstarren ließ.

*

Es war Fatuqar, eine Kollegin aus der Hangar-Reparaturkolonne – und eine Frau, mit der Garshwyn schon viele aufregende Nächte verbracht hatte. Welche Laune des Schicksals hatte dafür gesorgt, das ausgerechnet sie beide sich hier in diesem Korridor trafen?

»Wie hast du die Explosion überlebt, Fatuqar?«

»Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich konnte mich rechtzeitig in einen Lagerraum flüchten. Als es etwas ruhiger wurde, habe ich mich wieder nach draußen gewagt. Aber jetzt sollten wir nicht lange diskutieren, sondern zusehen, dass wir die TROD-AHAN so schnell wie möglich verlassen!«

Garshwyn sah die Frau mit merkwürdigem Blick an. »In einer Rettungskapsel kann es zu zweit ziemlich eng werden«, sagte er.

»Willst du dich etwa mit mir duellieren und gewaltsam die Entscheidung erzwingen, wer von uns diese Kapsel besteigen darf?«

Als Garshwyn schwieg, schien Fatuqar klar zu werden, dass seine Bemerkung nicht nur so dahingesagt war.

In der folgenden Sekunde gingen dem Zaqoor tatsächlich die unterschiedlichsten Möglichkeiten durch den Kopf.

Der Atemluftvorrat einer Rettungskapsel reichte sechs Tage – wenn sie mit einer Person besetzt war. Mit zwei Insassen halbierte sich die Spanne auf drei Tage. Die Chance, dass die Kapsel von einem Raumschiff aufgelesen wurde, bevor der Sauerstoff verbraucht war, stieg und fiel entsprechend.

Zu zweit konnte es in der winzigen Kabine recht eng werden, aber in Gesellschaft ließ sich die Wartezeit bis zur Rettung sicherlich angenehmer verbringen. Schließlich gehörte Fatuqar zu den sexuell aktivsten und phantasievollsten Frauen, die Garshwyn jemals kennen gelernt hatte. Wenn er nur ihren schlanken, wunderbar knochigen Körper betrachtete, fielen ihm sofort ganz neue Spielarten ein, mit denen sie sich vergnügen konnten.

Außerdem mochte es sein, dass die Rettungskapsel nie geborgen wurde, ob sie nun mit einem oder mit zwei Passagieren besetzt war. In diesem Fall würde Garshwyn die Zeit bis zum Ende lieber mit Fatuqar als in Einsamkeit verbringen.

Doch was war, wenn die Kapsel nach vier oder fünf Tagen entdeckt wurde?

Bevor Garshwyn zu einer Entscheidung gelangen konnte, schüttelte eine neue Explosion das Mutterschiff durch. Beide Zaqoor wurden von den Beinen gerissen.

Zum Nachdenken blieb jetzt keine Zeit mehr. Garshwyn handelte. Er konnte sich am Rahmen der Einstiegsluke festhalten und zog sich ins Innere der Rettungskapsel. Er hatte sich nicht vergewissert, was aus Fatuqar geworden war. Im kleinen Ausschnitt des Korridors, den er durch die Luke überblicken konnte, war nichts von ihr zu sehen. Er zögerte noch einen Sekundenbruchteil, um ihr eine allerletzte Chance zu geben, vielleicht doch noch in die Kapsel zu springen, dann drückte er den Knopf, der die Luke verriegelte und den Startvorgang einleitete.

Die Treibsätze der Kapsel zündeten, und Garshwyn wurde gegen die Rückwand gepresst. Das primitive Rettungsgefährt war nur mit den allernotwendigsten Systemen ausgerüstet und besaß keine Schwerkraftgeneratoren oder Andruckabsorber.

Als die kurze Beschleunigungsphase vorbei war und die Kapsel in den freien Fall überging, zog sich Garshwyn zu einer kleinen Sichtluke hinüber.

Vor dem Hintergrund des Weltraums, der von einem unheimlichen Wetterleuchten erfüllt zu sein schien, war die TROD-AHAN zu erkennen. Während sich die Kapsel immer weiter entfernte, sah Garshwyn das Mutterschiff schließlich in ganzer Größe.

Fassungslos sah er, dass es brannte.

Obwohl es im luftleeren Raum eigentlich unmöglich war, schlugen gewaltige Flammen aus dem Rumpf des großen Raumschiffs. Vielleicht wurde brennbares Material zusammen mit Atemluft ins All geschleudert. Oder es war eine Auswirkung der Schockfronten, für die nur Hyperphysiker eine plausible Erklärung liefern konnten.

Garshwyn sah auch, dass weitere Rettungskapseln vom Schiff davontrieben. Eine davon folgte ungefähr seiner Bahn und driftete verhältnismäßig langsam zur Seite ab. Das konnte nur bedeuten, dass sie nicht weit von seiner eigenen gestartet war.

Hatte Fatuqar es geschafft, sich rechtzeitig in die andere, noch halbwegs funktionsfähige Rettungseinheit zu flüchten? War sie dem drohenden Inferno entkommen? Vielleicht würde Garshwyn es erfahren, wenn er das Funksystem aktivierte und versuchte, mit anderen Überlebenden oder Rettern Kontakt aufzunehmen.

Doch bevor er dazu kam, stach eine grelle Lichtflut durch die Sichtluke. Garshwyn glaubte zu erkennen, wie plötzlich ein dunkler Schatten hinter der TROD-AHAN auftauchte, bevor das Mutterschiff von einer gewaltigen, lautlosen Explosion zerrissen wurde. Als er die Augen wieder öffnete, sah er, wie sich die weiß glühende Energieballung zu einer rötlich leuchtenden Wolke ausbreitete.

Allmählich erlosch das Feuer, bis nur noch ein Schwarm aus materiellen Trümmern übrig blieb. Doch damit war die Gefahr für Garshwyn und alle anderen Zaqoor, die dem unmittelbaren Inferno entkommen waren, keineswegs vorbei.

Ein metallisch schimmernder Brocken, der vielleicht einmal ein Stück des Raumschiffsrumpfes gewesen war, trieb genau auf die kleine Rettungskapsel zu. Garshwyn starrte gebannt darauf, doch er konnte keine seitliche Bewegung erkennen. Das Trümmerstück wurde nur größer und schien ansonsten auf der Stelle zu verharren. Alles deutete auf einen exakten Kollisionskurs hin.

Garshwyn schloss erneut die Augen und sprach im Geist die Litanei von Trodar, während er auf das Ende wartete.

2.

Der Verfolger kam immer näher.

Wahllos tippte ich Zahlen in den Navigationscomputer, den ich zuvor so programmiert hatte, dass er darauf mit winzigen Kursänderungen reagierte. Dadurch raste die DYS-116 auf einem Schlingerkurs dahin und entkam den meisten Energiesalven, die das Keilraumschiff auf mich abfeuerte. Der Rest wurde vom Schutzschirm absorbiert. Gelegentliche Treffer konnte die Hülle aushalten, aber wenn es dem Verfolger gelang, mich unter Dauerbeschuss zu nehmen, wurde es kritisch.

Mir war immer noch nicht klar, warum mich das Schiff ins Visier genommen hatte. Vor ein paar Tagen hatte ich mich in die Nähe des explodierten Dunkelsterns gewagt und eine Szene der Verwüstung vorgefunden. Nichts war mehr feststellbar von der halborganischen Anaksa-Station, der Schwarzen Substanz oder dem Durchgang in den Mikrokosmos. Alles verschwunden, erloschen, davongewirbelt ins unendliche All, was mich so lange umgetrieben hatte.

Alles.

Auch Kythara, die um meinetwillen gestorben war, die dem Missbrauch der Hinterlassenschaften ihres Volkes hatte Einhalt gebieten wollen.

Ich spürte Tränen der Erregung in meine Augen schießen.

Überall trieben Trümmer der Flotte der Lordrichter von Garb, die einst aus 15.000 Einheiten bestanden hatte. Die wenigen Schiffe, die der unmittelbaren Vernichtung entkommen waren, kämpften darum, sich mit beschädigten Triebwerken vor den hyperdimensionalen Schockwellenfronten in Sicherheit zu bringen, die noch immer das Umfeld des Dunkelsterns heimsuchten wie Todeszuckungen der Unheil bringenden Schwarzen Substanz.

Nach Auskunft des Bordrechners war der Keilraumer mit Roschech bemannt, einem reptiloiden Garbyor-Volk, mit dem ich bisher noch keine nähere Bekanntschaft gemacht hatte. Da das kleine Zaqoor-Beiboot, mit dem ich unterwegs war, zumindest dem äußeren Anschein nach zu den Truppen der Lordrichter gehörte, hätte man eigentlich freundlicher auf mich reagieren müssen. Aber die Roschech hatten ohne Vorwarnung oder vorherigen Funkkontakt das Feuer auf die DYS-116 eröffnet.

Vielleicht hätte mein Extrasinn eine Vermutung beisteuern können, aber er hatte sich allem Anschein nach immer noch nicht von der Konfrontation mit dem Seelenhorter Peonu erholt.

Die nur 20 Meter durchmessende DYS-116 wurde durchgerüttelt, als ein weiterer Strahlschuss in den Schutzschirm schlug. Es wurde Zeit, dass ich den Keilraumer abschüttelte. Ich hatte gar nicht erst versucht, mit den Bordgeschützen des kleinen Zaqoor-Beiboots etwas gegen das dreieckige Schiff mit einer Spannweite von gut 1500 Metern auszurichten. Ich brauchte eine Taktik.

Mein Fluchtkurs führte mich gefährlich nahe an eine der Schockwellenfronten heran. Sie hing wie ein rötlich leuchtender Ringnebel im Weltraum. Dabei kam mir eine Idee.

Ich gab dem Bordrechner den Befehl, die Ereignisse der letzten fünf Minuten holografisch darzustellen. Es sah gar nicht so schlecht aus. Es gab zwar einen kleinen Unsicherheitsfaktor, aber die räumlichen Verhältnisse ließen meinen Plan aussichtsreich erscheinen.

Ich schaltete auf manuelle Steuerung um und ließ die DYS-116 langsam vom bisherigen Kurs abdriften. Für die Roschech musste es aussehen, als wolle ich der ringförmigen Schockwellenfront ausweichen, die inzwischen eine Ausdehnung von 20.000 Kilometern erreicht hatte.

Im Abstand von etwa 5000 Kilometern änderte ich abrupt den Kurs und flog mitten in den Ring hinein. Ich warf einen besorgten Blick auf die Energieortung, aber es sah tatsächlich danach aus, dass sich der Raum im Zentrum wieder stabilisierte. Sonst wäre mein Schiff von den entfesselten hyperdimensionalen Gewalten zerrissen worden.

Das Keilraumschiff benötigte wie erwartet nur eine knappe Sekunde, um mein Manöver zu durchschauen und die Verfolgung fortzusetzen. Es war mir wieder dicht auf den Fersen, als ich das Loch innerhalb des Rings aus unvorstellbaren Energien passierte.

Im nächsten Moment gab ich erneut Vollschub und drehte scharf ab. Ohne Andruckneutralisatoren wäre ich zu einem dünnen Schmierfilm an der Rückwand der DYS-116 zerquetscht worden. Aber ich wusste, dass ich mich auf die Technik verlassen konnte.

Direkt vor mir tauchte ein Golfballraumer der Zaqoor auf. Er befand sich genau dort, wo ich ihn vermutete. Ich hatte ihn kurz gesehen, als er hinter dem Schockwellenring verschwunden war. Meine Verfolger hatten ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bemerkt, weil sie sich aus einem leicht verschobenen Winkel genähert hatten. Auf diesen Faktoren beruhte mein Plan.

Ich raste knapp am Golfballraumer vorbei, der offensichtlich schwer unter den Schockwellen gelitten hatte. Knapp entkam ich einer Trümmerwolke, die langsam von einem Hangar wegdriftete, aus der glühende Funken strömten, als wäre sie zu einer Triebwerksdüse umfunktioniert worden.

Der zweifellos sehr fähige Pilot des Keilraumschiffs brauchte eine Schrecksekunde länger als ich, um auf die plötzlich aufgetauchte Gefahr zu reagieren. Und das war genau eine Sekunde zu viel.

Während ich mit Maximalbeschleunigung in den freien Weltraum flüchtete, bohrte sich der Keilraumer mit der Spitze des dreieckigen Bugs in das große Zaqoor-Schlachtschiff. Ich kniff die Augen zusammen, denn im nächsten Moment vergingen beide Einheiten in einer gigantischen Explosion.

*

Ich stieß den angehaltenen Atem aus und ließ mich in den Sitz zurückfallen. Für einen kurzen Moment dachte ich an die vielen Zaqoor und Roschech, die in diesem Moment gestorben waren.

Was hätte ich tun sollen? Wenn jemand alles daransetzte, mich ins Jenseits zu befördern, durfte er sich nicht beklagen, wenn er am Ende selber den Kürzeren zog. Und das Golfballraumschiff war bereits so schwer angeschlagen gewesen, dass die Besatzung ohnehin kaum eine Überlebenschance gehabt hatte.

Es gab Momente, in denen man zuerst an sich selbst denken musste.

Jetzt ging es für mich zunächst einmal darum, mich neu zu orientieren.

Die Truppen der Lordrichter rund um den Dunkelstern waren größtenteils vernichtet. Damit war bereits ein erheblicher Teil der Gefahr ausgeschaltet, die der Galaxis Dwingeloo und in letzter Konsequenz auch der Milchstraße drohte. Derzeit ließ sich jedoch nicht sagen, was die Lordrichter von Garb noch in der Hinterhand haben mochten.

Allerdings verfügte ich seit kurzem über ein Mittel, das die entscheidende Wende im Kampf bringen konnte.

Mit Unterstützung der Konterkraft, einer Widerstandsorganisation aus den Reihen der Garbyor, hatte ich in der Intrawelt den geheimnisvollen Flammenstaub in mich aufgenommen. Doch bevor ich mich am Treffpunkt blicken ließ, den ich mit dem Daorghor Reshgor-1 vereinbart hatte, wollte ich zunächst mehr über diesen Stoff erfahren. Immerhin war es denkbar, dass die Konterkraft nur eine List der Lordrichter war und sie den Flammenstaub für ihre eigenen Ziele einsetzen wollten.

Der Rhoarxi Tuxit, der mir bei der Beschaffung behilflich gewesen war, hatte ihn als ultimatives Mittel bezeichnet, mit dem der Träger die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses beeinflussen konnte. Ich hatte noch keine genaue Vorstellung davon, wie sich das in der Praxis auswirkte. Vielleicht hatte ich den Einfluss bereits bei der glücklich überstandenen Flucht vor dem Keilraumschiff zu spüren bekommen. Andererseits hatte ich mich während meines langen Lebens schon oft gegen jede Wahrscheinlichkeit aus brenzligen Lagen retten können.

Eines vermochte selbst der Flammenstaub nicht, wie ich aus schmerzhafter Erfahrung wusste: Er konnte die Toten nicht wieder auferstehen lassen. Obwohl ich es mir inständig gewünscht hatte, war es mir jedoch nicht gelungen, Kythara zu retten. Sie war während der Rückkehr aus der Intrawelt in meinen Armen gestorben, und das machte meinen vordergründigen Sieg schal.

Solche Szenen hatte ich im Verlauf meiner über zehntausendjährigen Lebenszeit schon viel zu oft miterleben müssen. Entgegen landläufigen Vorstellungen war es nur selten geschehen, dass Frauen an meiner Seite alt geworden und nach Ablauf der natürlichen Frist gestorben waren, während mein Zellaktivator mich scheinbar nicht altern ließ. In den meisten Fällen waren meine Gefährtinnen bereits viel früher aus meinem Leben verschwunden, und viel zu häufig hatte ich ihren vorzeitigen, gewaltsamen Tod mit ansehen müssen.

Jedes Mal war damit auch ein Teil von mir gestorben. Vielleicht war das die wahre Bedeutung der relativen Unsterblichkeit.

So viel zum Vorurteil, dass Unsterbliche nicht alterten.

So viel zur ultimaten Macht des Flammenstaubs.

3.

Bevor Garshwyn zu einer Entscheidung gelangen konnte, schüttelte eine neue Explosion das Mutterschiff durch.

Fatuqar wurde gegen den Zaqoor geworfen und klammerte sich an ihm fest. Garshwyn blickte in die Augen der Frau. Er überlegte für einen Sekundenbruchteil, ob er ihr eine Chance geben sollte. Doch dann entschied er sich für das Leben. Für sein Leben.

Er stieß Fatuqar von sich weg, sprang in die Kapsel und drückte den Knopf, der die Luke verriegelte und den Startvorgang einleitete.

Die Treibsätze der Rettungseinheit zündeten, und Garshwyn wurde gegen die Rückwand gepresst. Im nächsten Moment ging ein heftiger Ruck durch die Kapsel ...

... und Garshwyn kam wieder zu sich. Keuchend schnappte er nach Luft und hielt sich den schmerzenden Schädel, während sich sein Sichtfeld langsam klärte. Dann drang ihm immer deutlicher ein Geräusch ins Bewusstsein, das nicht hierher gehörte.

Es war ein beständiges Zischen. Ein Geräusch, das für jeden Raumfahrer die gleiche Bedeutung wie eine schrille Alarmsirene hatte.

Ein schneller Blick auf die Kontrollen bestätigte ihm, dass der Luftdruck in der Rettungskapsel besorgniserregend niedrig war. Er zwang sich, Ruhe zu wahren, schloss die Augen und breitete die Arme aus.

An der rechten Hand spürte er einen Luftzug.

Er öffnete den Schrank mit der Notverpflegung, zog einen Nahrungsriegel heraus, riss die Verpackungsfolie ab und warf sie ungefähr in die Richtung, in die sich der Luftzug bewegte. Die Folie schien einen Moment lang unschlüssig in der Schwerelosigkeit zu schweben, dann nahm sie plötzlich Fahrt auf und klatschte etwa einen halben Meter von der Einstiegsluke entfernt an die Wand.

Garshwyn klappte den Werkzeugschrank auf, suchte ein pistolenförmiges Gerät heraus, holte noch einmal so viel Luft wie möglich und hangelte sich zum Leck hinüber.

Die Hülle der Kapsel war genau hinter einer Verstrebung über eine Länge von mehreren Zentimetern aufgeplatzt. Der Zaqoor richtete die Pistole auf die undichte Stelle, drückte den Abzug und bestrich das Leck mit der Dichtungsmasse. Sie quoll schäumend auf und war nach drei Sekunden ausgehärtet.

Schlagartig hörte das Zischen auf.

Mit jedem Atemzug spürte Garshwyn, dass ihm das Luftholen leichter fiel.

Erschöpft wandte er sich den Kontrollen der Rettungskapsel zu. Der Atmosphärendruck hatte fast wieder den normalen Wert erreicht. Im nächsten Moment sah er, dass es ein weiteres Problem gab.

Die Funkanlage war ausgefallen. Wenn seine Rettungskapsel keinen Notruf aussandte, kam vielleicht kein Schiff der Zaqoor auf die Idee, ihn zu bergen, weil niemand sie von einem der zahllosen umherfliegenden Trümmerstücke unterscheiden konnte.

Garshwyn holte ein Diagnosewerkzeug aus dem Schrank und öffnete die Verkleidung, hinter der sich die technischen Systeme der Kapsel verbargen. Jetzt kam ihm zugute, dass sie so primitiv wie irgend möglich ausgelegt waren. Bereits nach kurzer Zeit hatte er den Fehler lokalisiert. Es war nicht mehr als ein Kontakt, der sich gelockert hatte und sich ohne besondere Schwierigkeiten reparieren ließ.

Mit dem Werkzeug schickte er einen Impuls in die Funkanlage, die normalerweise durch den Startvorgang der Kapsel automatisch aktiviert wurde. Garshwyn vergewisserte sich, dass sie tatsächlich den Sendebetrieb aufgenommen hatte, und atmete erleichtert aus.

Als unmittelbar darauf ein Warnsignal ertönte, glaubte der Zaqoor zunächst, dass der Notrufsender erneut ausgefallen war. Aber diesmal war es der Kollisionsalarm, wie er mit einem Blick auf die Anzeigen feststellte.

Was hatte die Ewige Horde für ihn vorgesehen? Sollte die Serie der Schwierigkeiten denn niemals aufhören?

Garshwyn schaltete die holografische Darstellung der Passivortung ein. Da das einfache System die Umgebung nicht aktiv abtasten konnte, war es schwierig, die matten Schemen zu deuten. Er musste die Anzeigen mit dem abgleichen, was er mit eigenen Augen durch die Sichtluken sehen konnte.

Als er schließlich erkannte, wovor der Kollisionsalarm ihn warnen wollte, erstarrte der Zaqoor vor Entsetzen.

Seine bisherigen Probleme waren nur der Auftakt zu dem gewesen, was jetzt auf ihn zukam.

*

Die DYS-116 hatte ein schwaches Notrufsignal empfangen. Der Bordcomputer ordnete es einer Rettungskapsel zu, die sich in gerader Linie von der Stelle fortbewegte, wo Golfball- und Keilraumschiff explodiert waren. Offenbar hatten mehrere Zaqoor versucht, der drohenden Vernichtung zu entkommen. Doch die anderen Rettungseinheiten waren energetisch tot, nachdem sie von der Explosionswolke überrollt worden waren.

Aus den Speichern des Zaqoor-Beiboots rief ich die Blaupausen einer solchen Kapsel ab. Meine Vermutung bestätigte sich. Normalerweise wurde der Notruf automatisch gesendet, sobald eine Rettungskapsel das Raumschiff verlassen hatte. Vielleicht war die Funkanlage beim rabiaten Start beschädigt worden und hatte sich erst jetzt eingeschaltet. Die Selbstreparatursysteme beherrschten jedoch nur sehr einfache Routinen. Damit bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass jemand aktiv nachgeholfen hatte. Jemand, der in dieser Kapsel überlebt hatte.

Doch wie es schien, würde diese Person sehr viel Glück benötigen, um auch die nächste Minute zu überleben.

Denn ein sehr massiv wirkender Trümmerbrocken von knapp hundert Metern Durchmesser trieb genau auf die winzige Kapsel zu. Er war sehr schnell und näherte sich aus einer ganz anderen Richtung, wodurch sich die relative Geschwindigkeit beider Objekte addierte. Ich wies den Bordcomputer an, die Bahnen holografisch zu extrapolieren, und wieder bestätigte sich etwas, das ich bereits intuitiv erkannt hatte.

Der große Brocken würde die Rettungseinheit in genau 26 Sekunden zerquetschen wie eine Fliege, die auf der Windschutzscheibe eines Hochgeschwindigkeitsgleiters landete.

Wobei der Vergleich nicht völlig zutreffend war. Eine Fliege hatte die Möglichkeit, sich mit eigener Kraft aus der Gefahrenzone zu bringen, doch diese Kapsel verfügte über keinerlei Antriebssystem. Nachdem sie das Mutterschiff verlassen hatte, konnte der bedauernswerte Insasse nur noch darauf hoffen, möglichst bald von gnädigen Rettern aufgelesen zu werden.

Allerdings gab es da noch einen zweiten Faktor. Ein anderes, wesentlich kleineres Trümmerteil trudelte hinter der Rettungskapsel her und würde sie voraussichtlich zwei bis drei Sekunden vorher treffen. Wenn der Aufprall in einem günstigen Winkel erfolgte, würde die Rettungskapsel ein Stück zur Seite geschubst werden und hatte eine gute Chance, dem Zusammenstoß mit dem großen Brocken zu entkommen.

Hektisch wies ich den Bordcomputer an, eine Prognose zu erstellen. Aber er sah sich nicht imstande, ein eindeutiges Ergebnis vorherzusagen. Der größte Unsicherheitsfaktor war die Rotation des kleinen Trümmerstücks, die keine zuverlässige Aussage über den Aufprallwinkel zuließ.

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kapsel heil davonkam, lag ziemlich genau bei fünfzig Prozent. Die Sache stand sprichwörtlich auf des Messers Schneide.

Ich machte mich bereit für das Experiment.

*

Garshwyn starrte gebannt durch die kleine Sichtluke auf den Trümmerbrocken, der sich wie ein Asteroid durch die Schwärze des Weltraums heranwälzte. Nur gelegentlich schimmerten schwache Reflexe auf der Oberfläche und ließen undeutlich erkennen, dass die Masse aus verbogenem und stellenweise geschmolzenem und wieder erstarrtem Metall bestand.

Der Zaqoor war ganz auf den unvermeidlichen Zusammenstoß konzentriert, der sein Ende bedeuten würde. Als der erste Schlag aus einer ganz anderen Richtung kam, war er völlig überrascht.

Er hatte sich nur locker mit den Händen an der Wand neben dem Fenster abgestützt und ließ den Rest des Körpers in der Schwerelosigkeit der Kapsel hängen. Plötzlich wich die Wand abrupt vor ihm zurück, und der Zaqoor prallte mit voller Wucht gegen die Wand hinter ihm.

Noch während er scheinbar durch die Kapsel geschleudert wurde, begriff er, was wirklich geschehen sein musste. Nicht er, sondern nur die Kapsel hatte einen Bewegungsimpuls erhalten, sodass ihm nun quasi der Boden unter den Füßen weggezogen wurde – auch wenn dieser Vergleich in der Schwerelosigkeit nicht ganz angebracht war.

Der Aufprall war schmerzhaft, aber das Schlimmste stand ihm noch bevor. Garshwyn konnte durch die Sichtluke erkennen, dass sich der Metallbrocken weiter näherte. Es war noch nicht vorbei.

Der Zaqoor schloss die Augen, machte sich auf den Tod gefasst und suchte Heil in der Litanei der Horden von Garb.

Es gibt keinen Tod, es gibt nur Trodar.

Garshwyn spürte kaum etwas, als die Rettungskapsel mit dem Metallbrocken zusammenstieß. Es ging viel zu schnell. Innerhalb von Sekundenbruchteilen zerschellte das winzige Gefährt mit dem einsamen Insassen an der massiven Oberfläche. Kurz blitzte es auf, dann blieb nur noch eine schwach nachglühende Scharte im Metall zurück ...

Es gibt kein Leben, es gibt nur Trodar.

Garshwyn und Fatuqar klammerten sich in der engen Kapsel aneinander. Er war froh, dass er die Frau im letzten Moment doch noch mitgenommen hatte. Nun würden sie wenigstens nicht allein sterben. Gegenseitig trieben sie sich ein letztes Mal einem orgiastischen Höhepunkt entgegen, um vereint in den Tod zu gehen ...

Es gibt keine Angst, es gibt nur Trodar.

Garshwyn geriet in Panik. Er konnte einfach nicht tatenlos abwarten, bis der Tod zu ihm kam. Er war ein Garbyor, ein Kämpfer! Er würde sich dem Schicksal nicht hingeben, sondern es selbst in die Hand nehmen. Entschlossen zerrte er den kleinen Energiestrahler aus dem Werkzeugschrank, setzte die Mündung an die Schläfe und drückte ab ...

Es gibt keine Freude, außer in Trodar.

Wenn sich die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses ermitteln lässt, sagt das nichts darüber aus, ob dieses Ereignis in einer konkreten Situation tatsächlich eintreten wird. Dass im Würfelspiel dreimal hintereinander die gleiche Zahl erscheint, ist genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie jede andere Kombination. Diese Tatsache widerspricht nur deshalb unserem intuitiven Verständnis, weil es im Gesamtspektrum der Möglichkeiten nur wenige Kombinationen aus gleichen Zahlen gibt. Oder um es anders zu formulieren: Es gibt keine Zufälle. Wir sind es, die in völlig normalen Ereignissen erstaunliche Muster erkennen.

Aus »Vorlesungen über die Grundlagen der physikalischen Realität«

Les Zeron (408 NGZ)

4.

Ich konzentrierte mich auf die kleine Rettungskapsel. Dann wünschte ich mir, dass das trudelnde Trümmerstück ihr genau den Bewegungsimpuls versetzte, den sie brauchte, um aus der Flugbahn des großen Brockens geworfen zu werden.

Noch zehn Sekunden ...

Gebannt verfolgte ich die Annäherung der beiden Objekte, während ich mich anstrengte, keinen Augenblick in meiner Konzentration nachzulassen. Für einen kurzen Moment verschwamm meine Sicht, aber ich zwang mich dazu, fest an ein kleines Wunder zu glauben.

Kontakt!

Die Rettungskapsel erhielt einen verhältnismäßig sanften Schubs und änderte leicht die Flugrichtung.

Dann rollte der dicke Brocken heran, und schon zwei Sekunden später war alles vorbei.

Unwillkürlich stöhnte ich auf. Auf meinen Befehl spielte der Bordrechner die Szene noch einmal in Zeitlupe und maximaler Vergrößerung ab. Tatsächlich. Die Kapsel war dem Zusammenstoß um Haaresbreite entgangen. Ein oder zwei Millimeter daneben, und die Rettungseinheit hätte zumindest eine böse Schramme davongetragen. Hätte sich die Geschichte nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Atmosphäre abgespielt, hätte die Kapsel jetzt große Probleme mit der Verwirbelung bekommen.

Erneut stieß ich seufzend den Atem aus. Die Angelegenheit hatte mich offenbar mehr mitgenommen, als ich für möglich gehalten hatte. Ich fühlte mich völlig ausgelaugt.

Mit einer kleinen Dagor-Übung sammelte ich neue Kraft, während der Zellaktivatorchip in meiner Schulter belebende Impulse durch meinen Körper sandte.

Hatte das Experiment funktioniert, oder war die Sache einfach nur so abgelaufen, wie es der Zufall gewollt hatte? Schwer zu sagen. Vielleicht sollte ich mich bei Gelegenheit um ein geeigneteres Versuchsobjekt kümmern.

Dann hielt ich inne und horchte in mich hinein. Zunächst war ich mir nicht sicher, was los war. Es war ein Gefühl, als hätte ich etwas vergessen, eine Überlegung, die ich nicht zu Ende geführt hatte.

Du hättest die Rettungskapsel ohne Schwierigkeiten mit dem Traktorstrahl aus der Gefahrenzone holen können!

Nein, es war nicht der Extrasinn, der diesen Einwurf vorbrachte. Dieser Teil meines Gehirns, der wahlweise die Rolle einer geschwätzigen Enzyklopädie, eines Kontracomputers oder eines mahnendes Gewissens spielte, schwieg weiterhin.

Aber es war ungefähr die Bemerkung, die ich jetzt vom Extrasinn erwartet hätte. Im Laufe der Jahrtausende hatte ich mich so sehr an seine Anwesenheit gewöhnt, dass mir seine lautlose Stimme regelrecht fehlte.

Natürlich konnte ich den Einwand mühelos entkräften. Wenn in der Rettungseinheit tatsächlich ein lebendes und atmendes Wesen steckte, durfte es sich glücklich schätzen, dass ich mich zumindest bemüht hatte, ihm eine Überlebenschance zu geben. Und das, obwohl es sich nur um einen Zaqoor handeln konnte, den Vertreter eines der vielen Völker, aus denen die Lordrichter ihre Truppen rekrutierten. Und die Garbyor hatten nie gezögert, im Auftrag der Lordrichter Tod und Verderben über ganze Galaxien zu verbreiten.

Ich hatte wirklich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, den Zaqoor zu retten. Das war es unter anderem, was mich von den Garbyor unterschied. Andererseits, so wurde mir nun bewusst, hatte ich mich während des Experiments völlig sicher gefühlt, dass die Sache gut ausgehen würde.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf und schloss diese Überlegungen ab. Ich wusste nicht, was sich in mir verändert hatte, ob es am Schweigen des Extrasinns lag oder ob der Flammenstaub irgendeinen Einfluss auf mich ausübte. Aber ich würde es herausfinden.

*

Vorsichtig dirigierte ich die DYS-116 an die kleine Rettungskapsel heran. Ein spürbarer Ruck ging durch das Beiboot, als die Luftschleusen miteinander verkoppelt wurden.

Ich musste mir eingestehen, dass es richtiggehend Spaß machte, die Arbeit nicht den Syntrons oder Positroniken zu überlassen, sondern das Manöver per Hand durchzuführen. Die ganze Situation besaß etwas Nostalgisches, geradezu Archaisches. Schließlich ging es darum, ein Rendezvous zwischen einem zwanzig Meter durchmessenden, tropfenförmigen Kleinstraumschiff und einer nur drei Meter großen, kugelförmigen Einheit durchzuführen.

Nachdem das Kopplungsmanöver abgeschlossen war, machte ich mich auf den Weg zur Schleuse. Lebte der Passagier noch, und war es tatsächlich ein Zaqoor? Ich hatte versucht, Funkkontakt aufzunehmen, aber nur den stur wiederholten Notruf empfangen. Die Werte der Energieortung deuteten darauf hin, dass die Systeme intakt waren. Ob in der Kapsel noch jemand am Leben war, hatte ich mit meinen Mitteln nicht feststellen können.

Warum hatte ich nun doch beschlossen, die Rettungskapsel zu bergen? Immerhin hätte ich kurz zuvor ihre Vernichtung in Kauf genommen, ohne mit der Wimper zu zucken. Schlechtes Gewissen? Der Versuch, es wenigstens im Nachhinein wieder gutzumachen?

Schließlich konnte sich die Sache als böser Fehler erweisen. Was war, wenn hinter der Luftschleuse ein Garbyor lauerte, der sich ohne Zögern auf den nächstbesten Feind stürzen würde? Auf mich?

Natürlich war es genauso möglich, dass die Kapsel leer war. Sie konnte während der Vernichtung des Golfballraumers abgesprengt worden sein, worauf sie unbeirrt ihrer automatischen Programmierung gefolgt war.

Das wäre allerdings eine ... wie sollte ich es ausdrücken? ... ziemlich blöde Sache gewesen. Dann hätte ich die Mühe der Bergung ganz umsonst auf mich genommen.

Ideal wäre es, wenn sich ein halbwegs friedlich gesinnter Zaqoor an Bord befand. Kaum zu hoffen wagte ich, dass er sich möglicherweise sogar zu einem Verbündeten im Kampf gegen die Lordrichter entwickelte.

Inzwischen hatte ich den kleinen Raum vor der Luftschleuse erreicht und die Hand nach dem großen Knopf ausgestreckt. Während mir noch einmal alle Möglichkeiten durch den Kopf gingen, flimmerte es wieder für einen kurzen Moment vor meinen Augen. Kurz darauf hatte ich mich wieder gefasst und aktivierte voller Zuversicht den Öffnungsmechanismus.

*

Als Garshwyn die Augen aufschlug, brauchte er einen Moment, um sich zu orientieren. Dann fügten sich die optischen Einzelinformationen zu einem Bild zusammen. Allem Anschein nach befand er sich in der medizinischen Versorgungsnische eines kleinen Zaqoor-Beiboots. Auf diese Erkenntnis folgte Verwirrung. Wie war er hierher gelangt? Er glaubte sich erinnern zu können, dass er eine Rettungskapsel bestiegen hatte, bevor die TROD-AHAN explodiert war. Oder hatte er das alles nur geträumt – die Trennung von Fatuqar, die Vernichtung des Mutterschiffs, die Beinahekollision mit dem riesigen Trümmerbrocken?

Zumindest der dumpfe Schmerz in seinem Hinterkopf passte zu seinen Erinnerungen. Und die Umgebung deutete darauf hin, dass seine Hoffnung Wirklichkeit geworden war. Offenbar war seine Kapsel von Zaqoor entdeckt und geborgen worden.

Er spürte einen Stich in der Herzgegend. Wenn er geahnt hätte, dass er schon nach so kurzer Zeit gerettet wurde, hätte er sich anders entschieden. Nun machte er sich bittere Vorwürfe, dass er Fatuqar im Stich gelassen hatte.

»Wie geht es dir?«, hörte er eine fremdartig klingende Stimme.

Garshwyn wollte sich aufrichten, musste jedoch feststellen, dass ein Fesselfeld ihn daran hinderte, die Medoliege zu verlassen.

»Damit möchte ich nur vermeiden, dass du dich zu unbedachten Reaktionen hinreißen lässt«, sagte der Fremde. »Wenn du mir glaubhaft versichern kannst, dass du zur friedlichen Zusammenarbeit bereit bist, lasse ich dich frei.«

In diesem Moment trat der Sprecher in Garshwyns Blickfeld.

»Der Arkonide!«, keuchte er verblüfft. Er hatte ihn sofort erkannt. Sein Bild war oft genug in den Informationssendungen für die Garbyor gezeigt worden.

»Du darfst mich Atlan nennen«, sagte der Fremde. »Und wie ist dein Name, Zaqoor?«

Garshwyn war fassungslos. Ausgerechnet der Feind der Lordrichter hatte ihn gerettet! Allerdings war ihm bewusst, dass es eine besondere Bewandtnis mit diesem Mann haben musste. In den Sendungen war die ausdrückliche Direktive ausgegeben worden, ihn zwar mit allen erlaubten Mitteln zu fassen, ihn aber auf keinen Fall zu töten oder ernsthaft zu verletzen. Aus welchen Gründen die Lordrichter so sehr am Arkoniden, an Atlan, interessiert waren, wurde natürlich nie erwähnt.

»Wenn du nicht mit mir reden möchtest, bringe ich dich gerne in deine Rettungskapsel zurück.«

»Nein!«, beeilte sich Garshwyn zu erwidern. »Ich ... Mein Name ist Garshwyn.«

»Gut«, sagte Atlan. »Kann ich dir vertrauen, oder sollte ich das Fesselfeld vorsichtshalber eingeschaltet lassen?«

Garshwyn riss sich zusammen. Wenn er überleben wollte, musste er mit diesem Mann reden. Auch wenn er ihm sehr fremd vorkam. Mehr als einen Kopf kleiner als ein Zaqoor, aber mit stärker ausgeprägten Muskel- oder Fettpaketen – und mit dem auffälligen langen weißen Haar.

»Warum sollte ich gegen dich kämpfen?«, fragte Garshwyn. »Mein Schiff ist vernichtet, die Flotte der Garbyor existiert praktisch nicht mehr. Du hast mich gerettet. Dafür danke ich dir.«

»Gern geschehen«, sagte Atlan und senkte den Blick.

Ohne ein weiteres Wort trat er ein Stück zur Seite und hantierte mit den Kontrollen der Medo-Nische. Das Fesselfeld erlosch.

Im ersten Moment war Garshwyn verwundert. Mehr war nicht nötig, um den Arkoniden von seiner Harmlosigkeit zu überzeugen? Aber er durfte sich keinen Illusionen hingeben. Es wäre ein Fehler, diesen Mann zu unterschätzen, auch wenn der Zaqoor ihm auf den ersten Blick körperlich überlegen schien. Der Humanoide hatte sogar die Bordschwerkraft auf etwa die Hälfte des Wertes heruntergeregelt, die Garshwyn gewohnt war. Wenn es nur eine Frage der Muskelkraft wäre, hätte der Zaqoor leichtes Spiel mit ihm gehabt.

Allerdings hatte Garshwyn gehört, dass sich Atlan mehr als einmal erfolgreich gegen die Garbyor zur Wehr gesetzt hatte. Er selbst war nur ein Hangartechniker, der im Ernstfall höchstens als einfacher Fußsoldat eingesetzt wurde. Ihm entging nicht, dass die rechte Hand des Arkoniden mit scheinbarer Lässigkeit neben dem kleinen Energiestrahler an seinem Gürtel hing. Wenn Garshwyn die vermeintliche Gelegenheit zum Angriff nutzte, würde er mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Überraschung erleben.

Mit bedächtigen Bewegungen schwang er sich von der Liege. Er wollte nicht nur jegliche Provokation vermeiden, sondern sich zunächst einen Eindruck von seinem körperlichen Zustand machen. Dann fiel ihm wieder etwas ein, worüber er im ersten Moment nicht genauer nachgedacht hatte.

»Was ist mit der Varganin? Ist sie auch an Bord?«

Atlans Kopf ruckte herum. »Woher kennst du Kythara?«, fragte er schroff zurück.

»Jeder Garbyor kennt dein Gesicht und das deiner Begleiterin.«

»Du meinst das Gesicht des Feindes.«

»Du bist der Feind der Lordrichter. Mir hast du das Leben gerettet.«

Atlan atmete einmal tief durch. »Die Varga... Kythara lebt nicht mehr.«

»Das tut mir Leid«, sagte Garshwyn, obwohl er dieses Empfinden eigentlich nicht verspürte; nicht einmal Fatuqars Tod berührte ihn sonderlich, dazu war er zu stark Zaqoor, zu sehr Garbyor.

Atlan sah ihn lange wortlos an. Dann sagte er ein einziges Wort: »Gut.«

Und, eine Ewigkeit später: »Vielleicht gibt es noch andere Überlebende.«

*

Warum ließ ich Garshwyn frei umherlaufen? War es Mitgefühl für jemanden, der gerade so dem Tod entronnen war? Oder für jemanden, der plötzlich alleine in einer fremden Galaxis war?

Mein Extrasinn hätte mich verspottet, wenn er bereits wiederhergestellt wäre, so viel war sicher.

Auf jeden Fall würde ich genau beobachten, was der Zaqoor tat, und nach Hinweisen Ausschau halten, ob ich ihm vertrauen konnte.

Ich hatte Garshwyn den Zugang zum Bordrechner gestattet, allerdings nur in begrenztem Umfang. Er konnte Navigationsdaten abrufen und Flugbahnen berechnen, aber das Schiff selbst um keinen Millimeter von der Stelle bewegen.

Nur mit halber Aufmerksamkeit verfolgte ich, wie er sich in der holografischen Projektion den Augenblick darstellen ließ, als sein Mutterschiff explodiert war. Dann stutzte ich, weil er eine ganze Weile nur auf das Bild starrte, ohne einen Finger zu rühren.

»Du hast die TROD-AHAN vernichtet«, sagte er schließlich.

Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht.

»Ja«, bestätigte ich. Es hätte keinen Sinn gehabt, etwas abzustreiten, was Garshwyn sich in allen Einzelheiten ansehen konnte. »Dadurch habe ich mein Leben gerettet.«

»Ich verstehe.« Wieder blickte er eine Zeit lang schweigend auf die Szene. »Ein bewundernswertes Manöver.«

»Ich hatte einfach nur Glück, dass sich dein Schiff genau dort befand, wo es sich befand.«

»Es gibt nichts, was ich dir zum Vorwurf machen könnte«, sagte er. »Jeder von uns muss zuerst an sich selbst denken.«

Ich wollte ihm widersprechen, aber dann sah ich ein, dass er meine moralische Rechtfertigung vermutlich gar nicht verstehen würde. Wenn ich mit ihm diskutierte, würde er mit seinem Standpunkt vielleicht sogar Recht behalten.

Garshwyn hatte sich wieder seiner Aufgabe zugewandt. Überlebende suchen.

Ich musste wahnsinnig sein, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, weitere Schergen der Lordrichter an Bord zu nehmen.

Und dennoch: Das Leben an sich war ein Wert, den zu bewahren zu den vornehmsten Aufgaben eines intelligenten Wesens zählte.

Nach einigen Minuten lehnte er sich zurück und zeigte auf die holografische Projektion. Ein Ausschnitt in Form eines abgesägten Kegels war farblich markiert. »Der letzte Sektor.«

»Gut«, sagte ich und setzte mich an die Kontrollen. »Dann werden mir mal nachschauen, ob wir dort etwas finden.«

Als wir uns langsam dem markierten Raumsektor näherten, wurden die Ortungsreflexe allmählich deutlicher.

»Da!«, rief Garshwyn plötzlich. »Das könnte eine Rettungskapsel sein!«

Fast genau im Zentrum des stumpfen Kegels wurde ein Objekt erkennbar, dessen Durchmesser mit umgerechnet drei Metern angegeben war. Kurz darauf hatte der Computer es zweifelsfrei als Rettungskapsel der Zaqoor identifiziert.

Ich ließ die DYS-116 weitertreiben und musste den Kurs nur auf den letzten paar Kilometern leicht korrigieren. Ich konzentrierte mich scheinbar ganz auf die Navigation, während ich meinen Passagier ständig aus dem Augenwinkel beobachtete.

Garshwyn wurde zwar zunehmend aufgeregter, je näher wir kamen, aber er ließ keine feindseligen Absichten erkennen.

Als die Rettungskapsel angedockt war, sah ich den Zaqoor an. »Nach dir!«, sagte ich.

Er richtete sich zu seiner vollen Körpergröße von gut zweieinhalb Metern auf und machte sich auf den Weg zum Schleusenraum.

*

Die Kapsel war leer. Kein Garbyor, der mit gezückter Waffe heraussprang – nicht einmal mal eine erstickte Leiche.

Garshwyn war die Enttäuschung deutlich anzumerken, falls er eine solche verspürte.

»Vielleicht gibt es noch andere Kapseln«, sagte ich.

»Nein«, entgegnete er ohne Zögern. »Es gibt keine anderen Überlebenden.«

Seine Miene wirkte versteinert.

»Was ist?«

Er grunzte unwillig. Schließlich rang er sich zu einem Geständnis durch, das ich so nicht erwartet hatte: »Es gab da eine ... weibliche Zaqoor. Sie war bei mir, als ...«

»Warum hast du sie nicht in deiner Kapsel mitgenommen?«

Garshwyn starrte eine ganze Weile reglos auf den Boden und schwieg. Ich wollte mich bereits erkundigen, was mit ihm los war, als er langsam den Kopf hob und mich mit einem merkwürdigen Blick ansah.

»Weil ich ...«, setzte er stockend an. »Weil ich nur an mich selbst gedacht habe.«

Jetzt war ich es, der schwieg. Es gab nichts, was ich darauf hätte erwidern können. Ich konnte ansatzweise nachempfinden, was in ihm vorging. Im Laufe meines langen Lebens hatte ich immer wieder den Tod anderer in Kauf nehmen müssen, um meine Ziele zu erreichen. Natürlich nie aus Eigennutz, sondern um höhere Ziele zu erreichen. Zumindest redete ich mir das ein. Oder bemühte mich, nicht allzu gründlich darüber nachzudenken.

Dann ging mir plötzlich etwas ganz anderes durch den Kopf.

»Vielleicht ist es meine Schuld«, sagte ich leise.

»Ich verstehe, worauf du hinauswillst«, erwiderte er. »Wenn du nicht dafür gesorgt hättest, dass die TROD-AHAN vom Roschech-Schiff gerammt wird, hätte die Zeit vielleicht gereicht. Aber ich kann es dir nicht zum Vorwurf ...«

»Das meine ich gar nicht«, unterbrach ich ihn. »Ich meine Schrödingers Katze.«

»Wie bitte? Dieser Begriff ist mir nicht bekannt.«

Natürlich nicht. Er konnte auch nicht wissen, dass es einen Planeten namens Terra gab, der in mehreren Millionen Lichtjahren Entfernung um eine unscheinbare gelbe Sonne kreiste.

»Schrödinger war ein Physiker, der vor langer Zeit in meiner Heimatgalaxis lebte«, erklärte ich. »Er suchte nach einem Beispiel, das anschaulich die Unbestimmtheit der Quantenwelt beschreibt. In diesem Gedankenexperiment geht es um einen Kasten, in dem man eine Vorrichtung installiert, die nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne mit genau fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ein tödliches Gift freisetzt. Dann sperrt man ein Tier in diesen Kasten, verschließt den Deckel und wartet, bis die Zeitspanne abgelaufen ist. Und wenn man den Deckel wieder öffnet, passiert etwas sehr Interessantes.«

»Wenn ich dich richtig verstanden habe«, sagte Garshwyn, »ist das Tier nach Ablauf der Zeitspanne entweder tot, oder es lebt. Was soll daran interessant sein?«

»Es geht darum, dass sich erst in dem Augenblick, wenn der Deckel geöffnet wird, entscheidet, ob die Katze überlebt hat oder nicht. Bis zu diesem Zeitpunkt existiert die Katze in einem unbestimmten Zwischenzustand. Sie ist erst dann eindeutig tot oder lebendig, wenn ein Beobachter die Unbestimmtheit zusammenbrechen und eine konkrete Wirklichkeit entstehen lässt.«

»Eine ähnliche Geschichte habe ich während meiner Ausbildung gehört, als es um Quantenphysik ging. Aber so verhalten sich doch nur winzig kleine Elementarteilchen und keine größeren Gegenstände oder Tiere.«

»Streng genommen gilt dasselbe für alles, was existiert. Etwas wird erst dann real, wenn es von jemandem beobachtet wird. Zumindest kann niemand beweisen, dass es davor existiert hat.«

»Es sei denn, jemand anders hat schon vorher heimlich in den Kasten geschaut und gesehen, dass das Tier tot ist.«

»Damit hätte er nur den Zeitpunkt der Beobachtung vorverlegt.«

»Stimmt«, sagte Garshwyn nachdenklich. »Du meinst also, dass es genauso war, als ich nicht wusste, ob Fatuqar sich mit der Kapsel retten konnte?«

»Für mich war es genauso, als ich deine Kapsel geborgen habe. Auch ich wusste nicht, was mich hinter der Luke erwartet.«

»Ich selbst war mir zeitweise nicht sicher, was wirklich mit mir geschehen war. Ich glaube, ich kann nachempfinden, wie es dem Tier des Physikers ergangen sein muss.«

War Garshwyn klar, was er da gerade gesagt hatte? Aber ich wollte nicht genauer darauf eingehen. Ich hatte schon mehr preisgegeben, als ich wollte.

»Glaubst du, dass der Beobachter einen Einfluss darauf hat, was in einer solchen unbestimmten Situation geschieht?«, fragte der Zaqoor.

»Wie kommst du darauf?«

»Weil du vorhin von Schuld gesprochen hast.«

»Ach ja ...« Ich überlegte, wie ich aus dieser Zwickmühle wieder herauskam. »Ich weiß nicht, ob Schrödingers Experiment jemals mit Katzenliebhabern und -hassern durchgeführt wurde. Aber wenn ich bedenke, wie oft ich in meinem Leben schon tödlichen Gefahren entronnen bin ... Manche Leute behaupten, ich hätte mehr Glück als Verstand gehabt, wie es in einer Redensart meiner Heimatgalaxis heißt.«

»Hast du dir gewünscht, dass Fatuqar sich nicht retten konnte?«

Verdammt, der Bursche war hartnäckiger, als ich ihm zugetraut hätte! Das mit der Schuld war mir einfach so rausgerutscht. Ich wollte ihn nicht mit der Nase darauf stoßen, dass ich möglicherweise im Besitz einer Superwaffe war, deren Wirkung sich kaum abschätzen ließ.

Wie konnte ich ihn davon abbringen, diese Gedanken weiterzuverfolgen?

In diesem Moment heulte die Alarmsirene in der Zentrale der DYS-116 los.

Das konnte nur Ärger bedeuten.

5.

Die Ortung hatte fünf Keilraumschiffe erfasst. Wenn sie den Kurs beibehielten, würden sie unserer derzeitigen Position ziemlich nahe kommen. Anscheinend hatten sie das kleine Beiboot noch nicht bemerkt, aber das konnte nur eine Frage der Zeit sein.

Garshwyn, der mir in die Zentrale der DYS-116 gefolgt war, keuchte entsetzt auf, als er die Einheiten in der holografischen Projektion erkannte.

Ich blickte mich kurz zu ihm um. »Gibt es vielleicht einen speziellen Grund, warum die Roschech das Feuer auf wehrlose kleine Zaqoor-Beiboote eröffnen?«

»Mein Volk ist bei ihnen nicht sehr beliebt«, erklärte Garshwyn. »Die Roschech sind starke und rücksichtslose Kämpfer, aber sie neigen dazu, im Eifer des Gefechts den Überblick zu verlieren. Deshalb werden sie nur selten und ausschließlich in untergeordneter Stellung in den Einsatz geschickt.«

»Und jetzt nutzen sie die willkommene Gelegenheit, sich an ihren Unterdrückern zu rächen.«

»Richtig.«

»Dann sollten wir zusehen, dass wir so schnell wie möglich von hier ...«

Ich sprach nicht weiter, weil in diesem Moment alle fünf Keilraumer gleichzeitig den Kurs änderten. Die Daten ließen keinen Zweifel, welchem neuen Ziel sie sich zugewandt hatten.

Der DYS-116.

»Verdammt, das hat uns gerade noch ...«

»Es gibt eine kleine Chance«, unterbrach Garshwyn meine einsetzende Schimpfkanonade. »Bist du ein guter Schütze?«

»Leidlich. Auch wenn ich mit den Waffen dieses Schiffs noch nicht allzu viel Erfahrung ...«

»Die Roschech-Schiffe besitzen eine Art Vernichtungsschalter für den Notfall. Wenn sie im Kampf keine Befehle mehr entgegennehmen, lassen sie sich verhältnismäßig einfach eliminieren. Ich habe es bei einem Einsatz miterlebt, als sie ...«

»Sag mir doch einfach, was ich tun soll!«

»Mit einem gut gezielten Schuss auf die kuppelförmige Erhebung rechts neben dem Bug feuern.«

»Was ist mit den Schutzschirmen?«

»Durch einen speziellen Interferenzeffekt sind sie genau an dieser Stelle durchlässig, unabhängig von der Richtung, aus der sie getroffen werden.«

»Und wie soll ich mit diesem winzigen Beiboot fünf riesige Schlachtschiffe auf einmal ausschalten?«

»Wie gesagt, es ist eine kleine Chance, mehr nicht.«

Mir blieb nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass Garshwyn die Wahrheit sagte. Die Alternative wäre eine panische Flucht, bei der ich nicht darauf hoffen konnte, meinen früheren Trick noch einmal durchzuziehen. Dummerweise war gerade keine ringförmige Turbulenz in der Nähe.

Also steuerte ich die DYS-116 mit hochgefahrenem Schutzschirm direkt auf die Keilraumer zu. Ich beschloss, auf die Unterstützung des Bordrechners zu verzichten, da es zu lange gedauert hätte, ihn mit einer so komplexen Schussfolge zu programmieren. Beziehungsweise hätte ich erst einmal überlegen müssen, wie ich ihm erklärte, was ich im Sinn hatte. Also entschied ich mich für die Variante, die im Augenblick die einfachere war. Ich schaltete die Waffenkontrollen auf manuelle Bedienung und konzentrierte mich.

Für einen Moment verschwamm wieder alles vor meinen Augen, bis ich nur noch durcheinander wirbelnde Keilraumschiffe sah. Aber ich ließ mich nicht beirren und feuerte in schneller Folge fünf Schüsse hintereinander ab.

Ich hätte genauso gut die Augen zukneifen und blind schießen können.

Und ohne den Flammenstaub hätte das Ergebnis schon vorher festgestanden.

Als sich mein Sichtfeld wieder klärte, sah ich fünf Roschech-Raumschiffe, die nacheinander explodierten.

Fassungslos starrte ich auf die Feuerbälle im Weltraum, die sich langsam in eine einzige langgezogene Trümmerwolke verwandelten.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte Garshwyn leise, als er endlich die Sprache wiedergefunden hatte. »Ich dachte, du würdest vielleicht ein Schiff vernichten und den anderen einen Schrecken einjagen, damit sie sich zurückziehen.«

»Ich bin eben ein Glückskind«, antwortete ich mit ungewohnt krächzender Stimme. »Aber jetzt sollten wir uns wirklich von diesem ungastlichen Ort entfernen und uns ein wenig Entspannung gönnen.«

Ich programmierte den Bordrechner mit einem neuen Kurs, sicherte die Kontrollen und zog mich in die kleine Kabine zurück.

*

Nach dieser Aktion fühlte ich mich völlig ausgelaugt, obwohl die Anstrengung eigentlich nicht der Rede wert gewesen war. Normalerweise neigte ich nicht dazu, in Stress- oder Gefahrensituationen zusammenzuklappen. So etwas steckte mein durchtrainierter Körper mit Unterstützung des Zellaktivatorchips locker weg.

Aber jetzt brauchte ich unbedingt etwas Ruhe. Erleichtert streckte ich mich auf der Liege in der Kabine aus.

Bekam ich nun die Auswirkungen des Flammenstaubs zu spüren, vor denen Tuxit mich gewarnt hatte?

Immerhin war ich mir nun einigermaßen sicher, dass ich über eine neue, mir bisher nicht bekannte Fähigkeit verfügte.

Ich war in der Lage, Wahrscheinlichkeiten zu beeinflussen.

Die Flucht vor dem Keilraumschiff, der knappe Vorbeiflug der Rettungskapsel, der erstaunlich umgängliche Zaqoor – all das ließ sich mit Zufall oder Glück erklären. Solche Situationen hatte ich schon tausendfach erlebt.

Aber dass ich mit getrübtem Blick fünf stecknadelgroße Ziele erwischte, indem ich einfach losballerte – das war etwas anderes!

Natürlich bestand immer eine – wenn auch verschwindend geringe – Möglichkeit, mit geschlossenen Augen ins Schwarze zu treffen. Doch in der Praxis sorgte die ausgleichende Gerechtigkeit der Statistik dafür, dass so etwas in den meisten Fällen danebenging.

Ich dachte an all die anderen seltsamen Fügungen. Die zweite Rettungskapsel, die leer war, weil ich nur ungern einen weiteren potenziellen Gegner an Bord genommen hätte. Die Roschech-Schiffe, die genau im richtigen Moment aufgetaucht waren, als das Gespräch mit Garshwyn in eine unangenehme Richtung abgedriftet war. Auch wenn sich daraus ein neues Problem entwickelt hatte. Das ich wiederum mit Bravour gemeistert hatte.

Für mich gab es keinen Zweifel mehr. Ich besaß die Fähigkeit, relativ unwahrscheinliche Ereignisse Wirklichkeit werden zu lassen.

Konnte ich vielleicht sogar Unmögliches leisten? Obwohl Tuxit dies kategorisch abgestritten hatte?

Ein verlockender Gedanke!

*

Garshwyn zog sich instinktiv in einen Winkel der kleinen Zentrale zurück und kauerte sich auf den Boden. Allmählich wurde der Fremde ihm unheimlich. Zu Anfang hatte er sich ein paarmal dabei ertappt, dass er sich in seiner Gegenwart wohl fühlte. Er hatte sogar begonnen, sich an den Gedanken zu gewöhnen, mit einem Feind der Lordrichter Freundschaft zu schließen.

Ihm war bewusst, dass eine derartige Verbrüderung ein gefährliches Unterfangen war. Alle Untertanen der Lordrichter waren mit einem Implantat ausgestattet, das ihnen bei Ungehorsam einen tödlichen Impuls versetzte. Hätte es nicht längst aktiviert werden müssen, als Garshwyn an Bord des Beiboots gegangen war? Und erst recht, als er mitgeholfen hatte, die Roschech-Schiffe zu vernichten?

Vielleicht hatte mit dem allgemeinen Zusammenbruch der Ordnung auch das Todesimplantat seine Wirkung verloren. Oder war es möglich, dass sein Lebensretter über Mittel verfügte, es zu neutralisieren?

Garshwyn verstand nicht, was in Atlan vor sich ging. Der Weißhaarige schien von einem unbegreiflichen Geheimnis umweht zu sein. Es waren nicht nur die Augen, die den Eindruck erweckten, dass sie mehr als ein Normalsterblicher gesehen hatten.

Als er mit einer lässigen Handbewegung die Roschech-Schiffe ausgelöscht hatte, schien er auf eine andere Ebene entrückt zu sein. Garshwyn glaubte sogar, in diesem Moment so etwas wie eine Aura des Bösen gesehen zu haben, eine Wolke aus grau flirrendem Staub, die Atlan umgeben hatte.

Der Zaqoor fühlte sich unendlich einsam wie nie zuvor in seinem Leben. Mit der TROD-AHAN hatte er auch ein Stück Heimat verloren – ganz zu schweigen von Fatuqar ...

Selbst die Auflösung der Machtstrukturen der Garbyor-Flotte hatte eine unausgefüllte Leere in ihm hinterlassen. Obwohl Garshwyn sicher nicht zu den fanatischsten Anhängern der Trodar-Philosophie gehörte. Er hätte sich gerne etwas mehr Freiheit für die Gestaltung seines Lebens gewünscht. Andererseits hatte die Macht der Lordrichter seinem Dasein ein klares Ziel gesetzt.

Und nun hatte er alles verloren. Und in dieser Situation musste er mit einem Wesen zurechtkommen, das ihm trotz der humanoiden, zaqoorähnlichen Gestalt fremdartiger als ein Roschech oder Daorghor vorkam.

6.

Nach dem letzten Abenteuer versteckte ich die DYS-116 wieder im Ortungsschutz eines ausgebrannten Raumschiffswracks. Es konnte nicht schaden, mein Glück nicht allzu sehr zu strapazieren. Außerdem kostete es mich in meinem besonderen Fall eine Menge Kraft, und etwas Ruhe würde mir jetzt gut tun. Mithin blieben wir in Deckung und verlegten uns aufs Beobachten.

Immer noch regierte das Chaos im einstmals mächtigen Flottenverband der Garbyor, auch wenn die hyperenergetischen Entladungen und Raumverzerrungen allmählich nachließen. Die mehreren tausend Schiffe hatten sich zu einem kugelförmigen Trümmerfeld verteilt, das inzwischen etwa zehn Lichtminuten weit vom Dunkelstern entfernt war – also etwas mehr als die Distanz, in der die Erde ihre Sonne umkreiste. Der Explosionsdruck trieb die Wolke aus Schrott, die auf gut dreißig Kilometer Dicke zusammengestaucht war, mit einer Geschwindigkeit von fast 3000 Stundenkilometern nach außen. Die wenigen Schiffe, die nach dem Inferno noch manövrierfähig waren, hatten längst den Schauplatz verlassen. Garshwyn vermutete, dass sie zu anderen Sammel- oder Stützpunkten geflogen waren, um sich neu zu formieren.

Eigentlich hätte langsam Ruhe auf dem Weltraumfriedhof einkehren müssen.

Wenn nicht die Roschech gewesen wären.

Sie schienen die Reste der Garbyor-Flotte als willkommenes Jagdrevier zu betrachten. Sie tauchten überall auf, wo sich noch Leben regte – und wenn es sich nur um ein Energieaggregat handelte, das mit einem letzten Aufblitzen den Geist aufgab. Sofort waren die Roschech zur Stelle und schossen alles kurz und klein.

»Was weißt du noch über die Roschech?«, fragte ich Garshwyn, der an meiner Seite die Szenen betrachtete, die sich um uns herum abspielten.

»Nicht sehr viel«, antwortete der Zaqoor. »Sie sind reptiloid und etwa so groß wie du. Sie haben einen sehr grazilen Körper, einen länglichen Schädel und einen langen Schweif. Ich selbst bin nie einem Vertreter dieses Volks begegnet. Ich habe gehört, dass man ihre Raumschiffe nur mit Atemmaske betreten sollte. Sie lieben ein feuchtwarmes Klima, in dem sich sehr schnell unangenehme Gerüche bilden.«

»Ich stelle mir gerade bildlich vor, wie sie durch die Dschungel und Sümpfe ihrer Heimatwelt stapfen und mit ihren langen Zungen Insekten im Flug fangen.«

»Zu ihrer Herkunft kann ich dir nichts sagen. Und wie sie sich ernähren, habe ich auch nie beobachtet. Sie haben nicht viel Kontakt zu den anderen Garbyor-Völkern gehabt.«

»Diese Abneigung scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen«, sagte ich.

»So scheint es.«

Ich wandte mich wieder der Holoprojektion zu, weil ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrgenommen hatte. »Da draußen scheint sich etwas zu tun. Was bezwecken deine Freunde mit diesem Manöver?«

»Ich vermute, sie sammeln sich, weil es hier nichts mehr zu holen gibt. Sie haben ihren Zorn an allen Zaqoor ausgelassen, die sich in der Nähe des Dunkelsterns aufgehalten haben.«

»Allen bis auf einen«, schränkte ich ein.

Er sah mich an. »Vergiss nicht, dass auch du in einem Zaqoor-Beiboot sitzt.«

Nach kurzer Zeit hatten sich in etwa einer Lichtminute Entfernung knapp zweihundert Keilraumer der Roschech versammelt. Es kamen noch ein paar Nachzügler dazu, dann schien die Flotte komplett zu sein.

Offenbar hatten sie jetzt tatsächlich genug, denn kurz darauf setzten sie sich in Bewegung und gingen in den Überlichtflug. Aber nicht etwa in einem koordinierten Manöver, sondern jedes Schiff einzeln. Jeder Keilraumer wählte einen eigenen Zeitpunkt für den Abflug und sein eigenes Tempo – wie es sich für eigensinnige Kämpfernaturen gehörte.

Nur die Richtung, in die sie aufbrachen, war in allen Fällen dieselbe.

»Was glaubst du, wohin sie fliegen?«, wollte ich von Garshwyn wissen.

»Keine Ahnung«, sagte er. »Ich kann mich nur erinnern, dass der Hauptteil ihrer Flotte bei Letrasch stationiert war.«

Ich beugte mich über die Konsole, um eine dreidimensionale Sternkarte abzurufen. Dann wies ich den Bordrechner an, den Kurs zu extrapolieren und alle Systeme in der Umgebung anzuzeigen. »Nun rate mal, welches System genau in dieser Richtung liegt.«

»Letrasch?«

»In einer Entfernung von nur siebenundneunzig Lichtjahren. Ein Katzensprung.«

Garshwyn sah mich mit verdutztem Ausdruck an. »Was hat das Tier in der Kiste damit zu tun?«

»Eigentlich gar nichts. Das ist nur eine Redensart, die ich von einem mir recht gut bekannten Barbarenvolk übernommen habe. Purer Zufall, dass darin dasselbe Tier eine Rolle spielt.«

Garshwyns Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass er immer noch nichts verstanden hatte.

»Ich würde mir die Sache gerne aus der Nähe ansehen«, wechselte ich das Thema und ließ das Beiboot Fahrt aufnehmen.

»Was hast du vor?«

»Ich beabsichtige, mich in die Höhle des Löwen zu wagen«, verkündete ich. »Das ist eine weitere Redensart mit einem anderen Tier, das zufällig ein naher Verwandter der Katze ist. Nur wesentlich größer und gefährlicher.«

Jetzt sagte Garshwyn vorläufig gar nichts mehr.

*

In gebührendem Abstand ging die DYS-116 auf Unterlicht und trieb im freien Fall auf den bläulichen Stern zu, der mich an die Sonne meines Heimatsystems erinnerte. Zwischen drei ausgeglühten Gesteinsbrocken und vier schon etwas verblassten Gasriesen zog ein etwa erd- oder arkongroßer Sauerstoffplanet seine Bahn.

Letrasch.

Den Ortungsdaten zufolge musste es sich um eine Welt handeln, auf der es sowohl Arkoniden als auch Zaqoor aushalten konnten. Genauere Werte bekam ich aus dieser Entfernung nicht herein. Auch in der Datenbank des Bordrechners fanden sich keine näheren Angaben über die Beschaffenheit dieses Planeten.

Also mussten wir uns überraschen lassen.

Ich steuerte den Schatten hinter dem innersten Gasriesen an, der zufällig gerade günstig stand, und nutzte den Ortungsschutz, um der Sache ein gutes Stück näher zu kommen. Dann ließ ich das Beiboot zwischen den zahlreichen Monden und Planetoiden treiben und richtete die technischen Sinnesorgane der DYS-116 auf Letrasch.

Jetzt erhielt ich etwas aussagekräftigere Daten. Hohe Anteile von Sauerstoff, Kohlendioxid und Wasserdampf in der Atmosphäre, eine Durchschnittstemperatur von etwa 25 Grad Celsius und ein Lichtabsorptionsspektrum, das auf jede Menge Photosynthese hinwies.

Also ein Treibhausklima, in dem es vor Leben strotzen musste.

Von den Roschech-Schiffen jedoch weit und breit keine Spur.

Ich fühlte mich ermutigt, mich noch etwas näher heranzuwagen.

An die mutmaßliche Höhle der Roschech.

Im Schatten eines Mondes ließ ich das Beiboot beschleunigen, dann trieben wir im freien Fall und mit heruntergefahrenen Systemen auf Letrasch zu. Da wir uns von »außen« näherten, sahen wir den Planeten nur als schmale Sichel neben dem blau strahlenden Sonnenball.

Plötzlich meldete die Ortung etwas Ungewöhnliches – eine hohe Konzentration exotischer Metalle an der Oberfläche. Die Stelle gelangte durch die Rotation erst jetzt in den Erfassungsbereich der Sensoren – genau dort, wo es auf der schmalen Sichel gerade Abend wurde.

Offenbar waren sämtliche Roschech-Schiffe auf Letrasch gelandet.

Wir konnten nur hoffen, dass sie Besseres zu tun hatten, als den Nachthimmel nach verdächtigen Bewegungen abzusuchen.

Vor allem nicht nach wehrlosen kleinen Zaqoor-Beibooten.

Die parabelförmige Bahn führte uns immer näher an den Planeten heran, und nun wurden auch erste Details auf der Oberfläche erkennbar.