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Hoffnung … Einst war Nick Berg der Vorsitzende eines der erfolgreichsten Schifffahrtsunternehmen der Welt. Doch eine Intrige nahm ihm alles – Familie, Job und Vermögen. Auf sich allein gestellt, findet er eine neue Berufung auf der »Warlock«, einem hochmodernen Bergungsschiff, mit dem er in Krisensituationen auf der ganzen Welt Hilfe leistet. Als ihn das SOS-Signal eines Kreuzfahrtschiffes erreicht, das in der eisigen Einöde der Antarktis gestrandet ist, beginnt für Berg ein Wettlauf gegen die Zeit – ein Jahrhundertsturm bedroht das Leben der sechshundert Menschen an Bord. Doch Berg ahnt nicht, dass sie nur Figuren in einem Spiel sind, dass den Ozean selbst in Gefahr bringt … Kann Berg sie alle retten, bevor es zu spät ist? »Ein meisterhafter Roman voller Action und Spannung« Publishers Weekly Der packende Action-Thriller »Die Antarktis-Mission« von Bestseller-Autor Wilbur Smith liefert fesselnde Unterhaltung für alle Fans von Clive Cussler und Daphne Niko!
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Seitenzahl: 559
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Einst war Nick Berg der Vorsitzende eines der erfolgreichsten Schifffahrtsunternehmen der Welt. Doch eine Intrige nahm ihm alles – Familie, Job und Vermögen. Auf sich allein gestellt, findet er eine neue Berufung auf der »Warlock«, einem hochmodernen Bergungsschiff, mit dem er in Krisensituationen auf der ganzen Welt Hilfe leistet. Als ihn das SOS-Signal eines Kreuzfahrtschiffes erreicht, das in der eisigen Einöde der Antarktis gestrandet ist, beginnt für Berg ein Wettlauf gegen die Zeit – ein Jahrhundertsturm bedroht das Leben der sechshundert Menschen an Bord. Doch Berg ahnt nicht, dass sie nur Figuren in einem Spiel sind, dass den Ozean selbst in Gefahr bringt … Kann Berg sie alle retten, bevor es zu spät ist?
eBook-Neuausgabe November 2025
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1978 unter dem Originaltitel »Hungry as the Sea« bei Heinemann, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1979 unter dem Titel »Wild wie das Meer« bei Paul Zsolnay Verlag GmbH, Wien
First published in 1978 by William Heinemann Ltd
Copyright © Wilbur Smith 1978
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1979 der deutschen Übersetzung by Paul Zsolnay Verlag GmbH, Wien
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/elmyra
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mk)
ISBN 978-3-69076-335-6
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Wilbur Smith
Thriller
Aus dem Englischen von Heinz von Sauter
Dieses Buch gehört Danielle, meiner Frau
Auf dem taghell erleuchteten Kai des Kapstädter Hafens stieg Nick Berg aus dem Taxi, blieb stehen und schaute zu seinem Bergungsschlepper Warlock hinaus.
Trotz der Erschöpfung, die seine Aufnahmefähigkeit schwächte und seine Muskeln verkrampfte, bis sie ihn schmerzten, regte sich in Nick Berg bei diesem Anblick der alte Stolz. Die Warlock tat ihrem Namen – »Magier« – Ehre. Sie wirkte wendig und drohend, fast wie ein Kriegsschiff, ihr hochaufragender Bug und die zurückgesetzten Nocks der Hauptkommandobrücke machten sie schlimmsten Unwettern und mörderischstem Seegang gewachsen.
Die aus Stahl und Panzerglas modellierten Aufbauten waren strahlend hell erleuchtet. Über dem Achterdeck erhob sich eine Kommandobrücke, von der aus die großen Winden und Seiltrommeln bedient, die Schleppkabel in hydraulisch betätigten Rollen geführt und ein schlingernder Bohrturm oder schwer havarierter Dampfer sowohl bei stürmischem Wellengang wie bei ruhiger See betreut werden konnten.
Hohe Zwillingstürme ragten in den nächtlichen Himmel und ersetzten den gedrungenen einzigen Schornstein altmodischer Schlepper – und die Illusion eines Kriegsschiffes wurde noch durch die Löschrohre auf dem Oberdeck verstärkt, aus denen die Warlock fünfzehnhundert Tonnen Seewasser in der Stunde auf ein brennendes Schiff schleudern konnte. Von den Türmen aus war es möglich, über Enterleitern an Bord von in Seenot befindlichen Schiffen zu gelangen, und zwischen ihnen kennzeichnete der runde aufgemalte Fleck den kleinen Landeplatz für Hubschrauber. Rumpf wie Aufbauten waren feuersicher, so daß die Warlock als wahrer ›Magier‹ ein Flammeninferno brennenden Rohöls, das aus einem lecken Öltanker ausfloß, oder entzündeter Chemikalien eines Schüttgutfrachters zu überstehen vermochte.
Nick fühlte ein wenig von seiner Mutlosigkeit und seinem geistigen Abgespanntsein schwinden, als er auf das Fallreep zuging. »Sollen mich doch alle ...«, dachte er. »Ich habe den Kahn gebaut, und er ist stark und zuverlässig.«
Obwohl es schon eine Stunde vor Mitternacht war, drängte sich die ganze Besatzung der Warlock an sämtlichen günstigen Stellen des Decks.
David Allen, der Erste Offizier, stand mit dem Chefingenieur im verglasten Teil der Hauptkommandobrücke, und gemeinsam sahen sie die einsame Gestalt mit einem Koffer in der Hand langsam auf der spärlich beleuchteten Mole näherkommen.
»Das ist er.« Allens Stimme klang heiser vor Ehrfurcht. Er sah mit seinem struppigen, sonnengebleichten Haarschopf wie ein Schuljunge aus.
»Ein verdammter Filmstar«, schnaubte Vinny Baker, der australische Chefingenieur, wobei ihm die Brille über die lange dünne Nase herabglitt, und zog seine rutschende Hose mit beiden Ellbogen hoch.
»Er war erster Offizier bei Jules Levoisin«, betonte Allen mit dem gleichen Anflug von Ehrfurcht, als er diesen Namen aussprach. »Und er ist ein Schleppermann seit eh und je.«
»Das ist fünfzehn Jahre her.« Baker ließ die Hose los und schob die Brille über den Nasenrücken hinauf. Sofort begann die Hose wieder ihren langsamen, aber unerbittlichen Weg nach unten. »Seitdem ist er ein verdammter Playboy – und ein Reeder geworden.«
»Ja«, gab Allen zu, und sein Kindergesicht verzog sich ein wenig bei dem Gedanken, daß diese beiden legendären Gestalten, Kapitän und Reeder, nun in einer überragenden Person vereinigt waren.
»Lauf doch hinunter und kriech ihm in den Hintern«, schnaubte Baker ungerührt und verzog sich.
Atemlos und rot vor Aufregung erreichte Allen die Fallreepspforte. Der neue Kapitän war bereits auf der Gangway. Als er an Bord trat, hob er den Kopf und musterte den Offizier.
Obwohl Nick Berg wenig mehr als durchschnittlich groß war, wirkte er mit seinen breiten, kräftigen Schultern unter dem blauen Kaschmirjackett wie ein Hüne. Er trug keinen Hut. Sein tiefdunkles Haar war sehr dicht und über der mächtigen, faltenlosen Stirn zurückgekämmt. In dem hageren Gesicht mit der prägnanten Nase und dem massigen, jetzt von Bartstoppeln dunklen Kinn lagen die Augen tief in ihren Höhlen.
Allen erschrak über dieses Gesicht. Es zeigte die Blässe schwerer Krankheit oder tödlicher Erschöpfung. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die pflaumenblauen Schatten unter den Augen. So hatte sich Allen den legendären Goldenen Prinzen von Christy Marine nicht vorgestellt. Dies war nicht das Gesicht, das er so oft in Zeitungen und Illustrierten der ganzen Welt gesehen hatte.
»Allen?« fragte Nick ruhig. Seine Stimme war tief und akzentfrei, aber mit einem überraschenden volltönenden Klang.
»Ja, Käpten. Willkommen an Bord, Käpten.«
Nick lächelte, und die Müdigkeitsfalten um seine Augen und Mundwinkel glätteten sich. Seine dargebotene Hand fühlte sich kalt an, aber ihr Griff war kräftig.
»Darf ich Ihnen Ihre Kajüte zeigen, Käpten?«
»Ich kenne den Weg«, erwiderte Nick, »ich habe das Schiff entworfen.«
Wenige Minuten später stand er mitten in der Kapitänskajüte und fühlte das Deck unter seinen Füßen schwanken, obwohl die Warlock am steinernen Kai vertäut war.
»Ist Macs Begräbnis ordnungsgemäß erledigt worden?« fragte er.
»Er wurde eingeäschert«, erwiderte Allen, »wie er es gewollt hatte. Ich habe dann veranlaßt, daß die Asche an Mary gesandt wurde. Mary ist seine Witwe, Käpten«, erklärte er rasch.
»Ich weiß«, sagte Nick, »ich habe sie vor meinem Abflug in London aufgesucht. Mac und ich waren einmal Bordkameraden.«
»Das hat er mir erzählt und gern damit geprahlt.«
»Haben Sie alle seine Sachen weggeschickt?« fragte Nick und sah sich um.
»Ja, Käpten, ich habe alles zusammengepackt. Hier ist nichts mehr, was ihm gehörte.«
»Er war ein guter Mann.« Nick ging zum Fenster und schaute auf den Kai hinaus. »Wie ist es passiert?«
»Mein Bericht –«
»Ich will es von Ihnen hören«, unterbrach ihn Nick mit schneidend scharfer Stimme.
»Das Hauptschleppkabel ist gerissen, Käpten. Er war auf dem Achterdeck, und als das Kabel wie eine Peitsche zurückschnellte, hat es ihm den Kopf vom Rumpf getrennt.«
Nick dachte daran, daß er schon einmal ein Schleppkabel hatte reißen sehen. Damals hatte es drei Männer getötet.
»Na schön«, sagte er zögernd. Die Erschöpfung hatte ihn weich gestimmt, und er war nahe daran zu erklären, warum er selbst das Kommando auf der Warlock übernommen hatte, statt für Mac einen andern anzuheuern.
Es wäre schön, mit jemandem sprechen zu können, dachte er, jetzt, da er völlig am Ende und zu Tode erschöpft war. Aber er besann sich noch rechtzeitig und unterdrückte den Impuls. Er hatte noch nie in seinem Leben um Anteilnahme gebettelt.
»Na schön«, wiederholte er. »Bitte entschuldigen Sie mich bei den Offizieren. Ich bin in den letzten zwei Wochen kaum zum Schlafen gekommen, und der Flug von Heathrow hierher war mörderisch wie immer. Ich werde die Herren morgen begrüßen. Sagen Sie dem Koch, er soll mir ein Abendessen bringen.«
Der Koch war ein riesiger Mann mit einer schneeweißen Schürze und einer theatralischen Küchenchefmütze. Er bewegte sich graziös wie ein Tänzer. Verblüfft starrte Nick ihn an, als er das Tablett auf den Tisch stellte. Das Haar hing ihm in einer glänzenden, kunstvoll gelegten Welle über die rechte Schulter herab, aber von der linken Wange war es zurückgekämmt und ließ den kleinen Brillantohrring im durchbohrten linken Ohrläppchen sehen.
Die Hand, mit der er das Tuch vom Tablett nahm, war behaart wie die Hand eines Gorillas, doch seine Stimme klang mädchenhaft lyrisch, und seine langen dunklen Wimpern krümmten sich fast bis zu den Wangen herab.
»Hier ist eine herrliche Suppe, ein Potaufeu, eine meiner kleinen Spezialitäten. Das wird Ihnen köstlich munden«, sagte er, trat zurück, stützte seine riesigen Hände in die Hüften und musterte Nick. »Aber als Sie an Bord kamen, habe ich auf den ersten Blick gesehen, was Sie wirklich brauchen.« Mit der Geschicklichkeit eines Zauberers brachte er aus der tiefen Tasche seiner Schürze eine halbe Flasche Pinch Haig zum Vorschein. »Nehmen Sie einen Schluck davon zum Essen, und dann ab ins Bett, mein Lieber.«
Niemand hatte Nick je zuvor »mein Lieber« genannt, aber die Zunge war ihm zu schwer und zu langsam für eine Zurechtweisung. Er sah dem Koch nach, wie er mit einem Rascheln seiner Schürze und einem Aufblitzen des Diamanten verschwand. Kopfschüttelnd wog er die Flasche in seiner Hand.
»Verdammt, das brauche ich wirklich«, murmelte er und holte ein Glas. Er goß es halb voll und nahm einen Schluck. Dann kehrte er zur Couch zurück und hob den Deckel der Terrine hoch. Der verlockende Geruch ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Das warme Essen und der Whisky verbrauchten seine letzten Kraftreserven. Er schleuderte die Schuhe von sich und wankte in seine Schlafkajüte.
Als er erwachte, war sofort der alte Groll wieder da. Beim Rasieren blickte ihm aus dem Spiegel ein fremdes Gesicht entgegen. Es war zu bleich, zu eingefallen und zu starr. Und als die Strahlen der Morgensonne auf seine Schläfen fielen, schienen sie ihm schneeig angehaucht. Er beugte sich vor. Zum ersten Mal entdeckt er silbrige Fäden in seinem Haar.
»Vierzig«, dachte er, »ich werde im Juni vierzig.«
Er war immer überzeugt gewesen, daß ein Mann, der nicht vor seinem vierzigsten Jahr die große Welle des Erfolgs reiten gelernt hatte, es nie mehr lernen könne. Aber welche Regeln galten für einen Mann, der sie schon mit dreißig erreicht und schnell, kühn und hoch geritten, dann aber wieder den Stand verloren hatte, bevor er vierzig wurde, und in den brodelnden Gischt des Wellentals abstürzte? Kam auch er nie wieder nach oben?
Nick trat unter die Dusche und ließ die heißen Wasserstrahlen auf seine Brust prasseln. Trotz der Übermüdung merkte er zum ersten Mal seit Monaten, daß ihn seine alte Zähigkeit, an der er schon gezweifelt hatte, nicht im Stich ließ. Er fühlte, wie sie wieder die Oberhand gewann – er hatte nur ein Deck unter sich und den Geruch der See gebraucht.
Er trat aus der Dusche und trocknete sich rasch ab. Hier war er am richtigen Platz, um das Verlorene wiederzugewinnen – und es war zweifellos eine gute Entscheidung gewesen, Mac nicht durch einen angeheuerten Kapitän zu ersetzen. Er mußte selbst da sein. Rasch zog er sich an und stieg seine private Kajütstreppe zum Oberdeck hinauf.
Sogleich fiel ihn der Wind an und trieb ihm die noch feuchten Haare ins Gesicht. Mit Stärke fünf kam der Wind aus Südosten über den Tafelberg gebraust, der mit eindrucksvoller Mächtigkeit über Stadt und Hafen kauerte. Nick schaute zu ihm hinauf. Eine dicke weiße Wolkendecke, das sogenannte Tischtuch, flatterte an den Kanten herab und wirbelte an den grauen Felsabbrüchen entlang.
Hier stieß die Spitze Afrikas in eines der gefährlichsten Meere des ganzen Erdballs vor. Hier mischten sich stürmisch die Fluten zweier Ozeane vor den Felsenklippen des Kaps. Hier lag der Wind in ewigem Kampf mit der Strömung. Dennoch führte hier eine der meistbefahrenen Seestraßen der Welt vorbei, auf der eine Prozession riesiger Öltanker in endlosem Pendelverkehr die Wellen durchfurchte. Trotz ihrer Größe waren diese Supertanker vielleicht die verwundbarsten Schiffe, die je von Menschenhand gebaut worden waren.
Deshalb hatte er die Warlock hier in Kapstadt stationiert. Nick fühlte Kraft und Schwung in sich wachsen.
Ja, er war von seiner Erfolgswelle abgerutscht und befand sich nun tief unten im Gischt des Wellentals. Aber er wußte, eine neue große Welle würde auf ihn zukommen. Sie begann sich gerade erst zu erheben, doch fühlte er immer noch Kraft genug, sich auf sie zu schwingen und sie hoch und rasch zu reiten.
»Ich habe es schon einmal geschafft und werde es wieder schaffen!« sagte er laut und ging frühstücken. Als er in den Speiseraum kam, blieb sein Erscheinen eine ganze Weile unbemerkt.
Der Chefingenieur hielt eine alte Nummer der Zeitschrift Lloyds List über seinen Rühreiern und las von der ersten Seite laut vor – die Brille auf der Nasenspitze, und mit australischem Akzent näselnd wie eine nachschwingende Gitarrensaite.
»... in einer gemeinsamen Erklärung würdigten der neue Präsident und die Mitglieder des Verwaltungsausschusses die fünfzehnjährige verdienstvolle Tätigkeit Mr. Nicholas Bergs bei Christy Marine...«
Die fünf Offiziere hörten gespannt zu und vergaßen darüber sogar ihr Frühstück – bis David Allen aufblickte und die Gestalt an der Türe bemerkte.
»Der Kapitän!« rief er, fuhr hoch, riß gleichzeitig Vinny Baker die Zeitung aus der Hand und ließ sie unter dem Tisch verschwinden. »Käpten, darf ich Ihnen die Offiziere der Warlock vorstellen.«
Verlegen aufspringend, schüttelten sie der Reihe nach die ihnen gereichte Hand und widmeten sich dann schweigend ihrem Frühstück. Nick nahm auf dem Kapitänsstuhl am Ende des langen Tisches Platz, und Allen setzte sich auf die zerknitterte Zeitung.
Der Steward reichte dem neuen Kapitän die Speisenkarte und brachte ihm gleich darauf ein Schälchen mit Kompott.
»Ich möchte ein weiches Ei«, sagte Nick ruhig. Da erschien der Koch mit schneeweißer Schürze und der Küchenchefmütze schief auf dem Kopf in der Kombüsentüre.
»Verstopfung ist des Seemanns Fluch, mein Lieber! Ich schaue auf meine Offiziere. Das Kompott ist köstlich und gut für Sie. Ich koche Ihnen gleich Ihr Ei, aber essen Sie erst das Kompott.« Der Diamant blitzte, als er verschwand.
In dem allgemeinen verlegenen Schweigen starrte Nick ihm nach.
»Ein phantastischer Koch, Angel heißt er«, versicherte Allen eilig, wobei sich seine helle Haut rötete und Lloyd’s List unter ihm raschelte. »Könnte auf jedem Überseedampfer eine Stellung kriegen, der Mann.«
»Wenn er je die Warlock verläßt, geht die halbe Mannschaft mit ihm«, brummte der Chefingenieur. »Ich auch!«
Nick blickte höflich von einem zum andern.
»Auch ist er fast ein Arzt«, fuhr Allen an den Chefingenieur gewandt fort.
»Er hat fünf Jahre in Edinburgh Medizin studiert«, ergänzte dieser feierlich. »Weißt du noch, wie er damals das gebrochene Bein geschient hat? Höchst zweckmäßig, einen Arzt an Bord zu haben.«
Nick griff nach dem Löffel und führte ihn mit etwas Kompott zum Mund. Alle Offiziere beobachteten ihn gespannt, wie er kaute. Er nahm noch einen Löffel davon.
»Sie müßten auch seine Marmeladen kosten, Käpten«, sagte Allen.
»Danke, meine Herren, für Ihre Ratschläge«, erwiderte Nick, ohne den Mund zu verziehen, mit vergnügtem Augenzwinkern. »Aber würde bitte jemand Angel ausrichten, daß ich ihm seine lächerliche Mütze platt schlage, wenn er mich noch einmal mein Lieber nennt.«
In dem befreiten Gelächter, das darauffolgte, wandte er sich an Allen und brachte dessen Wangen abermals mit der Frage zum Erröten: »Da Sie anscheinend diese alte Nummer von Lloyd’s List ausgelesen haben, macht es Ihnen wohl nichts aus, wenn ich einen Blick hineinwerfe?«
Abermals wurde es sehr still, als Nick die zerknitterten Blätter glättete und den ein Jahr alten Zeitungsartikel scheinbar ohne irgendwelche Erregung las.
DER GOLDENE PRINZ VON CHRISTY MARINE ENTTHRONT!
Nick haßte diesen Spitznamen. Es war eine Schrulle des alten Arthur Christy gewesen, den Namen aller seiner Schiffe das Wort »Golden« voranzusetzen, und vor zwölf Jahren, als Nick unwahrscheinlich rasch zum Betriebsdirektor von Christy Marine aufstieg, hatte ihm irgendein Spaßvogel diese Bezeichnung angehängt.
DUNCAN ALEXANDER WIRD PRÄSIDENT VON CHRISTY MARINE
Nick war überrascht, zu spüren, wie sehr er diesen Mann immer noch haßte. Sie hatten wie zwei Bullen um die Führung gekämpft, und Duncan war mit seiner Taktik Sieger geblieben. Arthur Christy hatte einmal gesagt: »Niemand schert sich heute den Teufel darum, ob etwas moralisch oder fair ist, entscheidend ist nur, ob es klappt und ob man damit durchkommt.« Für Duncan hatte es geklappt, und er war damit höchst elegant durchgekommen.
Als Betriebsdirektor hälfe Mr. Nicholas Berg mitgeholfen, die kleine Küstenschifffahrts- und Rettungsfirma Christy Marine zu einer der fünf größten Reedereien der Welt auszubauen.
Nach dem Tode von Mr. Arthur Christy im Jahre 1968 wurde Mr. Nicholas Berg sein Nachfolger als Präsident der Gesellschaft und führte von ihrem Sitz in London aus die sensationelle Expansion fort.
Zur Zeit baut Christy Marine elf Frachter mit je 250.000 BRT sowie den riesigen Ultratanker Golden Dawn, das größte Schiff, das je auf Helling gelegt wurde.
Das war in kurzen Worten sein Lebenswerk: Schiffe im Wert von über einer halben Milliarde Pfund, entworfen, finanziert und gebaut fast ausschließlich dank seiner Energie, seinem Schwung und seinem Pflichtbewußtsein.
Nicholas Berg heiratete Chantelle Christy, die einzige Tochter von Arthur Christy. Die Ehe wurde jedoch im September des vergangenen Jahres geschieden, und die frühere Mrs. Berg heiratete bald darauf Mr. Duncan Alexander, den neuen Präsidenten von Christy Marine.
Nick hatte wieder ein hohles Gefühl im Magen, und das Bild dieser Frau drängte sich ihm auf. Er wollte nicht daran denken, konnte es aber nicht loswerden. Sie war strahlend schön wie eine Flamme – und wie eine Flamme konnte man sie nicht halten. Als sie ging, nahm sie alles mit, die Gesellschaft, sein Lebenswerk und Peter. Wenn er an seinen Sohn dachte, konnte er auch diese Frau fast hassen.
Er wurde sich wieder bewußt, daß ihn fünf Männer beobachteten und stellte ohne Überraschung fest, daß er mit nichts in seinem Gesicht seine Erregung verraten hatte. Wenn man in einem der höchsten Glücksspiele der Welt mittun wollte, war Unergründlichkeit eine der elementarsten Voraussetzungen.
... würdigte der neue Präsident ...
Duncan Alexander hatte diese Würdigung aus bestimmten Gründen ausgesprochen, dachte Nick grimmig. Er wollte die 100.000 Anteile an Christy Marine, die Nick gehörten. Diese Anteile konnten zwar in keiner Weise Einfluß auf die Geschäfte nehmen. Chantelle besaß eine Million, und eine weitere war im Besitz des Christy Trusts, aber so unbedeutend seine Anteile auch waren, sie gaben ihm Sitz und Stimme im Aufsichtsrat. Nick hatte für jeden einzelnen dieser Anteile bezahlt. Niemals in seinem ganzen Leben hatte ihm jemand etwas geschenkt. Er hatte jede in seinem Vertrag vorgesehene Option zum Kauf von Anteilen ausgenützt und hatte sich Bonifikationen ebenfalls in Anteilen auszahlen lassen. Und nun waren diese 100.000 Anteile eineinhalb Millionen Pfund wert, ein bescheidenes Entgelt für die Arbeit, mit der er ein Vermögen von dreißig Millionen Pfund für Vater und Tochter Christy aufgebaut hatte.
Sie hatten einander vom ersten Tag an gehaßt, an dem Duncan das Gebäude von Christy Marine in der Leadenhall Street betreten hatte. Er war des alten Arthur Christy neuestes Wunderkind, das Finanzgenie, das erst kürzlich bei International Electronics Triumphe gefeiert hatte. Ihr gegenseitiger Haß war spontan und abgrundtief.
Am Ende hatte Duncan Alexander gewonnen, alles bis auf die Anteile, und hatte noch um diese mit zäher Kraft gekämpft. Seiner mit Ruhe und Geschick angewandten Zermürbungstaktik war schließlich der Sieg beschieden. Unter Ausnützung aller Möglichkeiten von Christy Marine hatte er Nicks Pläne behindert und durchkreuzt, bis dieser sich schließlich in das Unvermeidliche fügte und für seine Anteile einen gefährlichen Preis akzeptierte, die Tochterfirma von Christy Marine, den Schlepp- und Rettungsdienst, mit allen seinen Aktiven und Passiven. Nick hatte sich wie ein Boxer gefühlt, der nach fünfzehn Runden erbitterten Kampfes zu Tode erschöpft in den Seilen hängt und von Schweiß geblendet mit seinen verschwollenen Augen nicht mehr sehen kann, aus welcher Richtung der nächste Schlag kommt. Aber er hatte gerade lang genug durchgehalten, um den Christy Schlepp- und Rettungsdienst zu bekommen – der ihm nun voll und ganz gehörte.
Nick ließ die Zeitung sinken. »Ich vermisse einen Offizier«, sagte er.
»Das ist nur der Krebs, Käpten«, erwiderte Allen, »der Funkoffizier Speirs. Wir nennen ihn so, weil er wie ein Einsiedlerkrebs lebt.«
»Er kommt nämlich nie aus seinem Gehäuse heraus«, ergänzte Vinny Baker.
»Na schön.« Nick ließ es dabei bewenden. »Ich werde später mit ihm sprechen.«
Alle sahen ihn erwartungsvoll an, fünf auf Neuigkeiten erpichte Männer, und selbst Baker konnte sein Interesse nicht vollkommen hinter seinen verschmutzten Brillengläsern und der forschen Tünche des gebürtigen Australiers verbergen.
»Ich möchte Ihnen die neue Situation erklären. Der Chefingenieur hat Ihnen freundlicherweise diesen Artikel vorgelesen, vermutlich zum Nutzen jener, die ihn vor einem Jahr nicht selbst haben lesen können.«
Niemand sagte etwas, aber Baker beschäftigte sich angelegentlich mit seinem Haferbreilöffel.
»So wissen Sie also, daß ich keinerlei Verbindung mehr mit Christy Marine habe. Der Christy Schlepp- und Rettungsdienst gehört jetzt mir und ist ein vollkommen unabhängiges Unternehmen geworden. Sein Name ist geändert in Ozean Schlepp- und Rettungsdienst.«
Er hatte teuer dafür bezahlt, vielleicht zu teuer, eineinhalb Millionen Pfund für etwas, dessen Wert höchst fraglich war. Aber er war zu Tode erschöpft gewesen.
»Wir besitzen zwei Schiffe, die Golden Warlock und ihr Schwesterschiff mit dem vorgesehenen Namen Golden Witch, die demnächst zur Probefahrt bereit sein wird.«
Er wußte genau, wieviel das Unternehmen für diese beiden Schiffe noch schuldig war. Er hatte lange schlaflose Nächte hindurch über den Zahlen gebrütet. Auf dem Papier waren seine Aktiven an die zwei Millionen Pfund wert. Er hatte also bei seinem Handel mit Duncan einen Papiergewinn von einer halben Million erzielt. Aber dieser stand eben nur auf dem Papier. Die Schulden der Gesellschaft beliefen sich auf ebenfalls zwei Millionen. Wenn er auch nur einen Monat lang mit den Zinszahlungen für seine Kredite in Rückstand kam – er unterdrückte diesen Gedanken rasch.
»Die Namen dieser beiden Schiffe wurden ebenfalls geändert. Sie heißen jetzt einfach Warlock und Witch. Golden ist für den Ozean Schlepp- und Rettungsdienst ein Dreckswort.
Da lachten sie, und die Spannung ließ nach.
»Ich werde dieses Schiff fuhren, bis die Witch kommissioniert ist. Das wird nicht lange dauern, und dann wird es Beförderungen geben.«
Nick klopfte abergläubisch auf den Mahagonitisch. Schon seit einer ganzen Weile drohte ein Werftarbeiterstreik. Die Witch war immer noch nicht fertig, kostete aber Zinsen, und jede weitere Verzögerung konnte sich als verhängnisvoll erweisen.
»Ich habe einen Auftrag für einen langen Ölturmschlepp, von Bight in Australien nach Südamerika. Das läßt uns reichlich Zeit, uns auf dem Schiff einzuleben. Sie sind alle Schlepperleute, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß wir keinen Vorbescheid erhalten, wenn unsere große Chance kommt. Chef?« Nick sah ihn an, und der Ingenieur schnaubte, als wäre die Frage eine Beleidigung.
»In jeder Hinsicht startbereit«, sagte er und versuchte, Brille und Hose gleichzeitig hochzuhieven.
»Erster?« Nick sah Allen an. Er hatte sich noch nicht an dessen jungenhaftes Aussehen gewöhnt, wußte aber, daß der Offizier über dreißig und seit zehn Jahren im Besitz eines Kapitänspatents war, auch daß der frühere Kapitän ihn ausgesucht hatte – also mußte er wohl gut sein.
»Ich erwarte noch einige Lieferungen, Käpten«, sagte Allen rasch, »sie waren für heute versprochen, aber nichts davon ist lebenswichtig. Wenn nötig, könnte ich innerhalb einer Stunde in See stechen.«
»Na schön.« Nick stand auf. »Um 09.00 Uhr werde ich das Schiff inspizieren.«
Damit verließ er den Speiseraum, aber Bakers Stimme war laut genug, um ihn noch zu erreichen. Es war eine wirklich abscheuliche Imitation dessen, was der Ingenieur für den Jargon der Royal Navy hielt: »Null-neun-null-null, meine Herren, großartig, was?«
Nick ging gleichmäßig weiter und grinste innerlich. Er kannte die alte australische Sitte, zu sticheln und nochmals zu sticheln, bis etwas passierte. Das geschah nicht aus Bosheit. Es war nur die Methode, einen Menschen kennenzulernen. Wenn man einander dann einmal tüchtig geprügelt hatte, konnte man gut Freund oder ewig feind sein. Es war lange her, daß er in direktem Kontakt mit solchen aufrechten harten Männern gestanden war, die Ausflüchte und faulen Zauber verabscheuten. Vielleicht brauchte er im Augenblick gerade das, die See und die Gesellschaft wirklicher Männer.
Drei Stufen auf einmal nehmend, stieg er die Kajütstreppe zum Navigationsdeck hinauf. Da öffnete sich die Türe gegenüber seiner Kajüte. Aus ihr kam dicker grauer Qualm von billigen holländischen Zigarren und ein Kopf, der einem vorsintflutlichen Reptil zu gehören schien.
Es war die Funkraumtüre, die direkt zur Hauptkommandobrücke führte, und der Kopf war trotz seines Aussehens ein menschlicher. Nick erinnerte sich, wie der frühere Kapitän einst den Funkoffizier beschrieben hatte: »Er ist der ungeselligste Kumpan, mit dem ich je gefahren bin, ein ungefälliger, verbitterter, hartleibiger Giftzwerg – aber wahrscheinlich der beste Funker zur See, er kann sogar im Schlaf acht Frequenzen zugleich abhören, in Sprache und in Morse.«
»Kapitän«, sagte der Krebs mit einer rauhen, verdrossenen Stimme, »ich habe eine Meldeanforderung an alle Schiffe.«
Nick fühlte, wie es ihm heiß über den Rücken lief und im Nacken zu kribbeln begann. Es genügte ja nicht, startbereit zu sein, wenn die große Welle kam, man mußte sie auch unter den hundert anderen erkennen, die vorbeirauschten.
»Koordinaten?« fauchte er, während er auf den Funkraum zuging.
»72°16’S. 32°12’W.«
Sein Herz begann heftiger zu klopfen und die Hitze stieg Nick in den Kopf. Allein schon die Zahlen hatten etwas Seltsames, Bedrohliches an sich. Was für ein Schiff konnte in diesen hohen Breiten sein, diesen verlassenen Einöden weit südöstlich vom Kap der Guten Hoffnung – tief drunten, südlich der Insel Gough im Weddell-Meer?
Er folgte dem Krebs in den Funkraum, der auch an diesem hellen sonnigen Morgen stockdüster war wie eine Höhle. Dicke grüne Vorhänge verdunkelten die Fenster. Das einzige Licht kam von den beleuchteten Skalen der aufgereihten Fernmeldeapparaturen, der raffiniertesten, die überhaupt mit den reichlichen Mitteln von Christy Marine zu beschaffen gewesen waren, elektronisches Zauberwerk im Wert von fünfzigtausend Pfund. Aber der Gestank nach billigen Zigarren war überwältigend.
Der Krebs hocke sich auf seinen Drehstuhl wie ein verrunzelter Gnom und drehte an den Knöpfen. Von den wirren statischen und elektronischen Störgeräuschen hob sich das scharfe Stakkato einer Morsenachricht ab.
»Die Kopie«, verlangte Nick, und der Krebs schob ihm einen Zettel hin.
CTMZ. 0603 GMT. 72° 16’ S. 32° 12’ W. Alle Schiffe mit der Möglichkeit Hilfe zu leisten bitte melden. CTMZ.
Er brauchte das Funkhandbuch nicht zu Rate zu ziehen, um den Kode zu entschlüsseln. Hinter sich hörte er die Stimmen seiner Offiziere auf der Kommandobrücke, ruhige Stimmen – aber spannungsgeladen. Sie waren vom Speiseraum bereits heraufgekommen.
»Verdammt!« dachte er wütend, »wieso wissen sie das schon?«
Die Verbindungstüre zur Brücke glitt beiseite, und Allen erschien in der Öffnung mit einem Exemplar von Lloyd’s Register in der Hand. »CTMZ ist der Kode für die Golden Adventurer, Käpten. Zweiundzwanzigtausend Tonnen, registriert in Bermuda 1975, Eigentümer Christy Marine.«
»Besten Dank, Erster.« Nick kannte sie gut. Er hatte ihren Bau persönlich veranlaßt, bevor die großen Überseedampfer endgültig unrentabel wurden. Sie hätte zwischen Europa und Australien verkehren sollen, hatte einunddreißig Millionen Pfund gekostet und war mit allem Luxus ausgestattet, erwies sich aber als eine der wenigen Fehlspekulationen Nicks.
Er hatte dann für sie die Idee der Abenteurerkreuzfahrten geboren – und ihren Namen in Golden Adventurer geändert. Nun fuhr sie mit reichen Passagieren auf der Suche nach dem Ungewöhnlichen in die ausgefallensten Ecken des Globus, nach den Galapagosinseln, der Südsee und der Antarktis. Zur Betreuung der Teilnehmer hatte sie Fachleute für die Ökologie der besuchten Gegenden an Bord, auch waren Landausflüge vorgesehen, etwa auf die Falklandinseln zur Paarungszeit der Albatrosse.
Nick wandte sich wieder an den Krebs. »Hat sie bereits vor der Meldeaufforderung Nachrichten durchgegeben?«
»Zweimal seit Mitternacht – im Kode der Gesellschaft. Sie hat so viel gefunkt, daß ich sie überwacht habe.«
»Haben Sie die Nachrichten aufgenommen?« fragte Nick.
Der Krebs schaltete sein Bandgerät auf automatische Wiedergabe. Mit Geklapper wurden sofort zwei chiffrierte Botschaften auf den Streifen ausgedruckt.
Hatte Duncan Alexander den Kode von Christy Marine geändert? Das wäre die normale, für jeden Betriebsführer logische Vorgangs* weise. Man verliert einen Mann, der den Kode kennt, und ändert diesen dann sofort. So einfach war das. Aber Duncan war kein Betriebsführer, sondern ein Finanzmann, der in Zahlen dachte, nicht in Stahl und Salzwasser.
Wenn Duncan den Kode geändert hatte, würden sie ihn nie entschlüsseln können. Nick verließ mit dem Streifen in der Hand eilig die stinkende Düsternis des Funkraums.
Die Kommandobrücke der Warlock blitzte in Chrom und Glas. Das Hauptbefehlspult erstreckte sich unterhalb der riesigen Fenster aus Panzerglas über ihre volle Breite. Ein einfacher Stahlhebel ersetzte das altmodische Steuerrad. Mit Hilfe eines langen Griffseils konnte der Rudergänger das Schiff von jeder Stelle der Brücke, sogar von den Nocks aus steuern.
Beleuchtete Digitalanzeiger unterrichteten den Kapitän laufend über alle sein Schiff betreffenden Daten: Geschwindigkeit über Grund und im Wasser, Windrichtung und Stärke, und über alle technischen Funktionen und Störungen. Nick hatte das Schiff mit Christy-Geld gebaut und hatte nicht geknausert.
Auf der Rückseite der Brücke war der Navigationsraum mit dem Kartentisch. Das Regal darüber enthielt die 106 dicken Bände des Global Pilot und viele andere maritime Nachschlagewerke. Unterhalb lagen in zahlreichen Schubfächern die Admiralitätskarten für jeden Punkt schiffbaren Wassers auf dem Globus.
Nick schaltete das große Decca-Satellitenpeilungs-Hilfsgerät auf Entkodierung, und die Kontrolllampen leuchteten auf, verblaßten und wurden dann rot. Er gab das Sechs-Zahlen-Schema ein, das von den Mondphasen und dem Sendedatum bestimmt wurde, und anschließend die verschlüsselte Botschaft – und erwartete im Output ein Kauderwelsch. Duncan mußte doch den Kode geändert haben! Es kam aber:
Christy Marine von Kapitän Adventurer 2216 GMT 72° 15’ S. 52°05’ W. Unterwasserschaden durch Eis mittschiffs Steuerbordseite erlitten. Vorbeugend Hauptschotte geschlossen. Bleiben auf Empfing.
Duncan hatte also den Kode nicht geändert. Nick griff nach seiner krokodilledernen Zigarrentasche, und seine Hand war ruhig und fest, als er die Flamme an die Spitze des dünnen schwarzen Stumpens hielt.
»Ich habe die Position auf der Karte eingetragen«, sagte Allen hinter ihm.
Nick sah die punktierte Eisgrenze weit außerhalb der Position der Golden Adventurer, sah die bedrohlich nahe Küstenlinie des antarktischen Festlands, die mit grausamen Krallen aus Eis und Fels nach dem Dampfer zu greifen schien.
Der Computer druckte die Antwort aus:
Kapitän der Adventurer von Christy Marine 2222 GMT. Bleiben auf Empfang.
Die zweite Nachricht war fast zwei Stunden später aufgenommen, wurde aber unmittelbar darauf ausgedruckt.
Christy Marine von Kapitän der Adventurer 0005 GMT. 72°18’ S. 32°05’ W. Wassereinbruch beherrscht. Hauptmaschinen wieder in Betrieb. Neuer Kurs direkt Kapstadt. Geschwindigkeit acht Knoten. Bleiben auf Empfang.
»Solange sie ohne Antrieb war, ist sie 34 Seemeilen nach Südsüdost getriftet – dort herrschen offenbar ein höllischer Wind und eine gefährliche Strömung«, sagte Allen, und die anderen Offiziere lauschten schweigend und gespannt. Obwohl keiner von ihnen es gewagt hätte, den Kapitän am Peilungshilfsgerät zu stören, hatten sie doch auf der Brücke nach ihrer Rangordnung Beobachtungsposten bezogen, um das Drama eines großen Schiffes in Schwierigkeiten zu verfolgen.
Die nächsten Nachrichten kamen gleich anschließend aus dem Computer, obwohl sie erst etliche Stunden später aufgegeben worden waren.
Christy Marine von Kapitän der Adventurer 0546 GMT. 72°16’ S. 32° 12’ W. Explosion im überfluteten Bereich. Alle Notmaßnahmen getroffen. Wasser steigt. Erbitte Genehmigung zur Meldeaufforderung an alle Schiffe. Bleiben auf Empfang.
Kapitän der Adventurer von Christy Marine 0547 GMT. Meldeaufforderung genehmigt. Achtung, Achtung. Es wird Ihnen ausdrücklich untersagt, mit Schleppern oder Bergungsschiffen ohne Rückfrage bei Christy Marine abzuschließen. Erbitten Bestätigung.
Duncan hatte nicht einmal die alte Floskel »außer im Fall der Gefährdung von Menschleben« hinzugefügt. Der Grund hierfür war unschwer zu erraten. Christy Marine versicherte die meisten ihrer Schiffe bei einer ihrer Tochtergesellschaften, der London and European Insurance and Finance Company. Das Selbstversicherungssystem war Duncans Hirn entsprungen, als er zu Christy Marine kam. Nick hatte es erbittert bekämpft, und nun würde er vielleicht seine Einwände bestätigt sehen.
»Melden wir uns?« fragte Allen ruhig.
»Funkstille«, erwiderte Nick kurz angebunden und begann auf der Brücke hin und her zu gehen. Das Klappern seiner Absätze wurde durch den Korkbelag des Decks abgeschwächt.
Et das meine Chance? fragte sich Nick und wandte die alte Regel an, die er sich selbst vor langer Zeit vorgeschrieben hatte: erst denken und dann handeln.
Die Golden Adventurer trieb in einem Eisfeld mehr als zweitausend Meilen südwestlich von Kapstadt, und die Warlock würde fünf Tage und Nächte scharfer Fahrt brauchen, um sie zu erreichen. Wenn er sich dazu entschloß, konnte die Golden Adventurer bis dahin Reparaturen durchgeführt haben und wieder manövrierfähig sein. Oder aber, wenn sie noch hilflos war, konnte vielleicht ein anderes Bergungsschiff vor ihm dort sein. Ob das möglich war, mußte Nick in erster Linie wissen.
Nick unterbrach seine Wanderung vor der Funkraumtüre und sagte sehr beherrscht zum Krebs: »Stellen Sie Fernschreibverbindung her und geben Sie an Bernard Wackie in Bermuda durch: Benötige Standortliste aller Bergungsschiffe.
Nicks Idee, die Warlock über Satellit an das Fernschreibnetz anzuschließen, erwies sich nun als günstig. So konnte er mit seinem Agenten in Bermuda oder jedem beliebigen andern Fernschreibteilnehmer korrespondieren, ohne daß die Nachricht über offene Frequenzen gesendet und von Konkurrenten oder anderen interessierten Leuten abgehört wurde.
Während des Wartens überlegte Nick voll Sorge. Der Entschluß abzufahren bedeutete, den Ölturmschlepp für die Esso aufgeben. Die Heuer hierfür spielte eine wesentliche Rolle in seiner Finanzplanung – zweihundertzwanzigtausend Pfund, ohne die er die vierteljährlichen, in sechzig Tagen fälligen Zinsen nicht würde zahlen können, außer wenn .. .
»Bernard Wackie antwortet«, rief der Krebs durch das Klappern des Fernschreibers, und Nick drehte sich mit einem Ruck um.
Er hatte Wackie als Agenten für seine Firma gewählt, weil er von ihm stets rasch und klug bedient worden war. Mit einem Blick auf seine Rolex Oyster rechnete er sich aus, daß es in Bermuda jetzt zwei Uhr morgens war. Dennoch wurde sein Wunsch nach Information über die Verfügbarkeit aller wichtigen Konkurrenten von seinem Agenten binnen weniger Minuten erfüllt.
An Kapitän der Warlock von Bernard Wackie. Letztbekannte Positionen John Ross Trockendock Durban. Woltema Wolteraad Esso Schlepp Tortes Straße nach Alaska Schelf …
Das bezog sich auf die zwei riesigen Schlepper der Safmarine. Auch zwei Holländer waren aus dem Rennen. Die Namen und Positionen weiterer großer Bergungsschiffe – jedes von ihnen eine direkte und starke Bedrohung für das Vorhaben der Warlock – liefen eilig aus dem Fernschreiber. Während Nick zusah und an seinem zerfransten Stumpen kaute, fühlte er Erleichterung in sich aufsteigen, als mit jeder Meldung ein weiterer Mitbewerber durch zu große Entfernung vom havarierten Schiff ausschied.
La Mouette – Nicks Hand ballte sich zur Faust, als dieser Name auf dem weißen Papier erschien – beendete Brazgas Schlepp Golfo de San Jorge am 14. gemeldet auf Fahrt nach Buenos Aires.
Nick stöhnte. La Mouette, die Möwe, war der schrullige Name für einen schwarzen gedrungenen Schlepper mit altmodischen hohen Aufbauten und dem traditionellen einzelnen Schlot. Ohne Zweifel war Jules Levoisin mit ihr bereits auf Südkurs, eifrig wie ein Jagdhund mit einer frischen Fährte vor der Nase. Wenn er vor drei Tagen im südlichen Atlantik freigeworden war, hatte er sicher in Comodoro Kohle geladen, denn Levoisin war, wie Nick wußte, niemals glücklich, wenn er nicht seine Bunker voll hatte.
Auch war La Mouette vor achtzehn Monaten gründlich überholt und mit neuen Maschinen ausgestattet worden. Aber ihre neuntausend Pferdestärken konnten den plumpen Rumpf bestenfalls auf achtzehn Knoten bringen, so viel war sicher. Trotz der größeren Geschwindigkeit der Warlock war sein Konkurrent jedoch in einer um tausend Meilen günstigeren Position.
Jeden lieber als Jules Levoisin, warum muß es ausgerechnet er sein? fragte sich Nick. Warum gerade jetzt, da ich so ziemlich am Ende bin – seelisch, körperlich und finanziell.
Ich bin noch nicht bereit, dachte er. Und dann wurde er sich bewußt, daß er wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben so empfand. Er war immer zu allem bereit gewesen. Aber nicht gerade jetzt, nicht dieses Mal.
Plötzlich hatte Nick Angst, Angst wie nie zuvor. In ihm war eine große Leere, er besaß keine Kraft mehr, kein Vertrauen zu sich, keine Entschlossenheit. Die durch Duncan Alexander erlittene Niederlage und der Verlust der Frau, die er liebte, hatten ihn zerbrochen.
Tief im Innern sagte ihm der Instinkt, daß es seine letzte Chance war, eine weitere würde nicht kommen. Er hatte die Wahl zwischen jetzt oder nie. Und er wußte, er konnte das Rennen gegen Jules Levoisin, seinen alten Kapitän, nicht gewinnen. Er konnte den sicheren Auftrag der Esso nicht schwimmen lassen, konnte nicht alles, was ihm geblieben war, auf eine einzige Karte setzen. Das Risiko war zu groß, er hatte nicht die Kraft dazu.
Er wollte in seine Kabine gehen, sich auf sein Bett werfen und schlafen – nur schlafen. Er fühlte seine Knie unter der großen Last seiner Verzweiflung weich werden und sehnte sich nach traumlosem Vergessen.
Auf der Brücke beobachteten ihn die Offiziere in gespanntem Schweigen. Seine rechte Hand griff nach dem Maschinentelegrafen und schob ihn von »Aus« auf »Bereit«.
»Maschinenraum«, hörte er eine Stimme, die nicht seine eigene sein konnte, in ruhigem geschäftsmäßigem Ton sagen, »Hauptdiesel anlassen.«
Wie aus großer Ferne sah er die Gesichter der Offiziere wie die Gesichter Beute witternder Piraten in diebischer Freude aufleuchten.
Die fremde Stimme fuhr fort: »Erster, holen Sie beim Hafenkommandanten Erlaubnis zum sofortigen Auslaufen ein. Navigationsoffizier, ermitteln Sie bitte den Steuerkurs zur letztgemeldeten Position der Golden Adventurer«
Nick verspürte ein Würgen im Hals. Daher blieb er ganz ruhig und aufrecht am Kommandopult stehen, während seine Offiziere zu ihren Hochseestationen eilten.
»Brücke, hier Chefingenieur«, kam eine körperlose Stimme aus dem Lautsprecher über Nicks Kopf. »Hauptdiesel laufen.«
Der breitgeschwungene Bug der Warlock furchte die Wellen jenseits des vierzigsten Breitengrades. Wie ein großer Fischotter, glatt, naß und eilig, strebte sie Richtung Süden.
Von keiner Landmassc behindert, fegten die Randwinde großer atmosphärischer Tiefs unaufhörlich über diese kalten offenen Meere, und die Wellen türmten sich auf wie wandernde Bergketten.
Die Warlock nahm sie mit ihrer Steuerbordschulter, durchstieß jeden Wogenkamm in einem Schwall weißen Gischts, der von ihrem Bug aufspritzte wie bei einem Torpedotreffer. Das Wasser schoß grün und klar über ihr hohes Vorderdeck und brauste über sie hin nach achtern, wenn sie sich gierend aus der Welle herauswand und jäh in das Tal hinabglitt, das sich vor ihr auftat. Ihre zwei Stahlbronze-Schrauben hoben sich über die Wasseroberfläche, liefen leer, und der Drehzahlanstieg ließ sie dröhnend vibrieren, bis er vom automatischen Begrenzer gedrosselt wurde. Dann griffen die Schrauben wieder, und die Kraft der beiden Mirless-Diesel trieb das Schiff durch das Wellental auf die nächste, sich auftürmende Wasserwand zu.
Angeschnallt auf dem Segeltuchsitz des Kapitäns in einer Ecke der Brücke, folgte Nick wie ein Kamelreiter den Schwankungen und rauchte ruhig seinen Stumpen. Von Zeit zu Zeit wandte er den Kopf nach Westen, als erwarte er jeden Augenblick, den plumpen schwarzen Rumpf der Mouette auf dem Kamm der nächsten Woge erscheinen zu sehen. Aber er wußte, daß sie wohl noch an die tausend Meilen entfernt war und über den weitabliegenden anderen Schenkel des Dreiecks jagte, dessen Spitze der schiffbrüchige Passagierdampfer bildete.
»Wenn überhaupt ...«, dachte Nick, doch daran war wohl nicht zu zweifeln. Lu Mouette eilte so begierig wie die Warlock auf das Ziel zu und ebenso schweigend. Jules Levoisin hatte Nick den Trick der Funkstille gelehrt. Er würde sein Gerät nicht einschalten, bevor er den Dampfer auf seinem Radarschirm hatte. Dann würde er sich im Klartext melden: »Ich bin in ihrer Nähe und kann Sie binnen zwei Stunden in Schlepp nehmen. Sind Sie mit Lloyds Open Form einverstanden?«
Der Kapitän des havarierten Schiffes, der sich ohne Möglichkeit einer Hilfe geglaubt hatte, würde vorschnell auf die Aussicht auf Rettung reagieren – und wenn La Mouette geschäftig und so theatralisch, wie Levoisin sie aufputzen konnte, voll beflaggt und hell erleuchtet über dem Horizont auftauchte, nahm er bereitwillig das Angebot von Lloyd’s Open Form an, eine Entscheidung, die der Schiffseigner in der nüchternen Atmosphäre eines Londoner Verhandlungssaales dann oft bereute, wenn ein Schiedsgericht die Vergütung für die Rettung in Prozenten vom Wert des geretteten Objekts festsetzte.
Als Nick darangegangen war, die Entwürfe zur Warlock zu überwachen, hatte er darauf gedrungen, daß das Schiff nicht nur leistungsfähig sei, sondern auch eindrucksvoll aussehe. Der Kapitän eines Schiffes in Seenot neigte in der Regel zu affektbetonten Entschlüssen. Allein die äußere Erscheinung konnte ihn bei der Wahl zwischen zwei Bergungsschleppern beeinflussen. Die Warlock sah sogar in diesen kalten und unfreundlichen Meeren prächtig wie ein Kriegsschiff aus. Es kam darauf an, daß der Kapitän der Golden Adventurer sie sehen konnte, bevor er mit La Mouette abschloß.
Nick hielt es nicht länger untätig in seinem Segeltuchstuhl. Er schätzte den nächsten sich auftürmenden Wellenberg ab, überquerte mit einem Dutzend rascher Schritte die Brücke und faßte den verchromten Haltegriff über dem Decca-Computer.
Er gab die Schiffsposition ein, und der Computer verglich sie mit der vor vier Stunden bestimmten. Im Output erschien sogleich die zurückgelegte Entfernung und die vom Schiff erreichte Geschwindigkeit. Ärgerlich runzelte Nick die Stirn und sah nach dem Steuermann, der bei diesem hohen Seegang die Warlock besser auf Kurs halten konnte als eine automatische Steuerung.
Nach zehn Minuten war Nick überzeugt, daß die Warlock so schnell fuhr, wie es unter diesen Bedingungen nur möglich war. Dennoch erreichte die Warlock nicht die Extraknoten, mit denen er gerechnet hatte, als er den gewagten Entschluß faßte, die Konkurrenz mit La Mouette aufzunehmen.
Nick hatte achtundzwanzig Knoten gegen die achtzehn des Franzosen veranschlagt, erreichte sie aber nicht. Hastig ging er zur Sprechanlage: »Maschinenraum, bestätigen Sie, daß wir am roten Strich fahren.«
»Am roten Strich, jawohl, Käpten«, kam die gleichgültige Antwort des Chefingenieurs zurück, gerade als die nächste See mit Getöse über das Schiff hereinbrach.
Der »rote Strich« bezeichnete die maximale Drehzahl, die vom Hersteller der gigantischen Dieselmotoren als zulässige Dauerleistung empfohlen war. Nick fuhr sie so hoch, wie er konnte, ohne in die Gefahrenzone oberhalb von achtzig Prozent der Höchstleistung zu kommen, die bei längerer Inanspruchnahme zu Dauerschäden an den Maschinen führen konnte.
Er kehrte zu seinem Stuhl zurück und griff nach seiner Zigarrentasche, stockte aber, als er das Feuerzeug bereits in der Hand hielt. Er hatte seit Kapstadt unablässig geraucht und weiß Gott zu wenig geschlafen. Voll Abscheu fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, schob den Stumpen zurück in die Tasche und versuchte zu ergründen, warum die Warlock langsamer lief.
Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf, der einen harten, ärgerlichen Glanz in Nicks Augen brachte.
Er stand auf, nickte dem Dritten Offizier zu, der Deckwache hatte, und verschwand durch den Ausgang an der Rückseite der Brücke in seinen Tagesraum. Das war Absicht. Er wollte nicht, daß unter Deck sein Kommen angekündigt werde. Vom Tagesraum hastete er die Kajütstreppe hinunter.
Die Maschinenzentrale war ebenso modern und hell erleuchtet wie die Kommandobrücke der Warlock. Isolierglas umschloß sie, dämpfte das Dröhnen der riesigen Diesel und bot einen eindrucksvollen Blick in den Hauptmaschinenraum, sogar für Nick, der jede Einzelheit selbst geplant und überwacht hatte.
Die beiden Mirless-Diesel füllten, mit nur einem schmalen Durchgang zwischen ihnen, die weißgestrichene Höhlung – jeder von ihnen so lang wie vier große Mercedes, Stoßstange an Stoßstange geparkt, und so hoch wie vier übereinandergetürmte Autos. Jeder hatte sechsunddreißig Zylinder und eine Normalleistung von elftausend Pferdestärken.
Es war nur ein Gewohnheitsrecht, das jeden Besucher einschließlich des Kapitäns nötigte, sein Kommen in der Zentrale vorher dem Chefingenieur anzukündigen. Dieses Recht mißachtend, schlüpfte Nick leise durch die Glasschiebetüre aus der Hitze und dem Ölgestank in die kühlere und angenehmere Luft des Kontrollraums.
Vinny Baker war in ein Gespräch mit dem Elektriker vertieft. Nick erreichte das Steuerpult, bevor der Chefingenieur seinen schlaksigen Körper umgewandt hatte.
»Sie setzen sich über meinen Befehl hinweg«, warf Nick dem Chefingenieur in gedämpftem leidenschaftslosem Ton vor, der keinerlei Wut verriet. »Sie fahren die Maschinen nur mit siebzig Prozent.«
»Das ist nach meiner Betriebsanweisung am roten Strich«, widersprach ihm Baker. »Ich fahre meine Maschinen bei diesem Seegang nicht mit achtzig Prozent, da hätten wir bald einen Kolbensalat ...« Er machte eine Pause, als der nächste Wellenkamm das Heck der Warlock auf seinen Rücken hob. Die Maschinenzentrale erzitterte und klirrte, als die Schrauben außerhalb des Wassers leerliefen, bevor sie wieder griffen.
»Hören Sie sich das an, Mann!«
»Dafür sind sie gebaut. Ich will die Höchstleistung«, verlangte Nick entschieden und wies auf den verchromten Hebel, mittels dessen der Ingenieur die von der Brücke verlangte Leistung einstellen konnte. »Es ist mir gleich, wann Sie es tun, solange es innerhalb der nächsten fünf Sekunden geschieht.«
»Verschwinden Sie aus meinem Maschinenraum – und kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram.«
»Na schön«, erwiderte Nick, »dann mache ich es selbst.« Und er griff nach dem Hebel.
»Lassen Sie die Finger von meinen Maschinen«, brüllte Baker und hob einen schweren Schraubenschlüssel vom Boden auf. »Fassen Sie nichts an, sonst haue ich Ihnen die Zähne ein – Sie eiskalter hergelaufener Fatzke.«
Trotz seiner Wut hätte Nick beinahe laut gelacht. »Eiskalt«, dachte er, »so sieht er mich also.«
»Sie dämlicher Bundaberg-saufender Galah«, erwiderte er ruhig, während er nach dem Hebel griff. »Es kommt mir wirklich nicht darauf an, ob ich Sie vorher umlegen muß, aber wir fahren mit achtzig Prozent.«
Vinny Baker blieb die Sprache weg, er hatte nicht erwartet, in australischem Slang beschimpft zu werden. Er ließ den Schlüssel krachend zu Boden fallen.
»Das Ding brauche ich nicht«, verkündete er, steckte seine Brille in die Hüfttasche und zog mit beiden Ellbogen die Hose hoch. »Es macht mehr Spaß, Sie mit bloßer Hand in Einzelteile zu zerlegen.«
Erst jetzt kam Nick zu Bewußtsein, wie groß der Ingenieur war. In Boxerstellung geduckt glich er die Schwankungen des Decks mit leichten Bewegungen seiner langen kräftigen Beine aus.
Nick hatte den verchromten Hebel kaum angefaßt, da kam der erste rechte Haken von unten, und zwar so schnell, daß Nick gerade noch Zeit hatte, auszuweichen. Der Hieb pfiff an seinem Kinnbacken vorbei und schürfte ihm die Haut von der Außenkante der Augenhöhle – instinktiv schlug er zurück und schmetterte seine Faust Baker in die Achselhöhle. Das trieb diesem die Luft zischend aus den Lungen, aber mit einem linken Schwinger landete seine knochige Faust auf Nicks Schulter, glitt ab und traf ihn hoch an der Schläfe. Nick sank nach vorne in einen Clinch und umklammerte den harten mageren Körper, während er versuchte, der dröhnenden Finsternis in seinem Kopf Herr zu werden.
Jetzt beugte sich Baker zurück wie eine Kobra, die zum Stoß ausholt, und dann schwang er seinen Kopf vorwärts. Es war der klassische Kopfstoß nach Nicks Gesicht, und hätte er voll getroffen, hätte er ihm das Nasenbein zerschmettert und die Zähne aus den Kiefern gebrochen – aber Nick war darauf gefaßt und drückte sein eigenes Kinn, soweit er konnte, hinunter, daß sich ihre Stirnen mit einem Krachen trafen, das wie das Brechen eines Eichenasts klang.
Bei dem Anprall löste sich Nicks Umklammerung, und alle beide taumelten über das schwankende Deck auseinander. Baker heulte wie ein mondsüchtiger Hund: »Kämpfen Sie ehrlich, Sie hergelaufener Fatzke!« Erst kurz vor der stählernen Wand der Zentrale fand er sein Gleichgewicht und brachte seine hagere Gestalt wieder in Kampfstellung.
Als sich dann die Warlock heftig gierend nach der anderen Seite überneigte, stürzte er sich, den Schwung ausnützend, über das abschüssige Deck hinab, den Kopf wie einen Rammbock vorgestemmt, um Nicks Rippen zu zerschmettern.
Nick wich zur Seite wie ein Viehzüchter, der einen wilden Stier bändigt. Er schlang einen Arm um Bakers Nacken, hielt dessen Kopf tief und rannte so mit ihm immer schneller durch die ganze Länge der Maschinenzentrale. Sie erreichten die Wand aus Panzerglas am Ende des Raumes, und Bakers Schädeldecke war der Punkt, der die Wucht ihrer beiden Körper aufzufangen hatte.
Der Chefingenieur kam zu sich, als Angel ihm die Nadel durch die Ränder der klaffenden Wunde am Kopf stach. Er wollte gleich wieder um sich schlagen, aber der Koch hielt ihn mit seinen großen behaarten Händen nieder.
»Schön ruhig, mein Schatz.« Angel zog den Faden durch die blutende Kopfschwarte und machte einen Knoten.
»Wo ist er, der Fatzke?« nuschelte Baker.
»Das ist alles vorbei, Kleiner«, erwiderte Angel ruhig. »Und du hast noch Glück gehabt, daß er dir nur eins auf den Kopf gehauen hat – sonst hätte er dir vielleicht noch weh getan.« Er setzte die Nadel wieder an.
Baker zuckte zusammen, als Angel abermals einen Faden durchzog und verknotete. »Er hat an meinen Maschinen herumgewerkt. Ich hab’s ihm gegeben.«
»Du hast ihn eingeschüchtert«, pflichtete ihm Angel zuckersüß bei. »Und jetzt nimm einen kräftigen Schluck von dem da und bleib hübsch liegen. Ich will dich zwölf Stunden in dieser Koje sehen – sonst komme ich und stopf dich hinein.«
»Ich gehe zu meinen Maschinen zurück«, verkündete der Chefingenieur und leerte das Glas mit der bräunlichen Medizin, deren scharfer Geruch ihm fast den Atem nahm.
Angel verließ ihn und ging zum Telefon. Als Baker aus der Koje kroch, betrat Nick die Kajüte. »Danke, Angel«, sagte er.
Angel stahl sich hinaus und ließ die beiden allein. Der Chefingenieur öffnete den Mund und wollte Nick bissig anfahren.
Nick kam ihm zuvor: »Levoisin ist uns mit La Mouette vermutlich um fünfhundert Meilen vorausgekommen, während Sie Primadonna gespielt haben.« Baker blieb der Mund offenstehen, aber er brachte keinen Ton heraus. »Ich habe das Schiff gebaut«, fuhr Nick fort, »damit es rasch und erfolgreich in einem Wettstreit dieser Art sein kann, und nun versuchen Sie, uns alle um die Bergungsprämie zu bringen.«
Damit drehte er sich um, stieg zur Kommandobrücke hinauf und setzte sich in seinen Segeltuchstuhl. Vorsichtig betastete er die dicke Schwellung an der Stirn. Sein Kopf war wie mit einem eisernen Reifen zusammengepreßt. Nick wäre gerne in seine Kajüte gegangen, um ein schmerzstillendes Mittel zu nehmen, wollte aber die Meldung nicht versäumen, wenn sie endlich kam.
Er zündete sich einen Stumpen an, aber der schmeckte nach geteertem Seilende. Als er ihn in den Sandkasten warf, klingelte das Telefon.
»Brücke, hier Maschinenraum.«
»Was gibt’s, Chef?«
»Wir fahren jetzt mit achtzig Prozent.«
Nick antwortete nicht, aber er spürte den Unterschied in der Vibration der Maschinen und die raschere Fahrt des Schiffes.
»Niemand hat mir gesagt, daß wir es mit La Mouette zu tun haben. Keinesfalls darf dieser fröschefressende Mistkerl vor uns dort sein«, verkündete Baker erbittert.
Allens Stimme klang entschuldigend. »Tut mir leid, daß ich Sie wecken muß, Käpten, aber die Golden Adventurer meldet sich.«
»Ich komme sofort«, murmelte Nick und schwang die Beine aus der Koje. Er hatte den abgrundtiefen Schlaf der Erschöpfung geschlafen, aber er brauchte nur Sekunden, um die dunklen Schleier vor seinem Bewußtsein zu zerteilen. Das verdankte er einem jahrelangen Training als Wachoffizier.
Als er auf die Brücke kam, merkte er sofort, daß der Wind stärker geworden war. Er schätzte ihn auf Stärke sechs, und die Warlock schwankte noch heftiger. Außerhalb der warmen, matt erleuchteten Geborgenheit der Brücke machten die entfesselten Elemente, das eiskalte Wasser und der rasende Sturm die pechschwarze Nacht zu einem tobenden Inferno.
Der Krebs saß grau, zusammengesunken und übernächtig über seine Apparate gebeugt und wandte kaum den Kopf, als er Nick die Nachricht gab.
Kapitän der Adventurer an Christy Marine ...
Der Computer dechiffrierte rasch, und Nick knurrte, als er die neueste Positionsangabe sah – etwas an der Situation des Dampfers hatte sich drastisch geändert.
... Hauptmaschinen immer noch unverwendbar. Strömung treibt uns ostwärts und erreicht acht Knoten. Windstärke sechs von Nordwest. Bedrohliche Eisgefahr für das Schiff. Von wo kann ich Hilfe erwarten?
»Strömung und Wind gemeinsam treiben sie auf das Land zu«, murmelte Allen, während er rasch auf der Karte die Daten eintrug. Er wies mit dem Finger auf die gefährlich zerklüftete Küstenlinie von Coatsland. »Sie ist jetzt achtzig Meilen davon entfernt. Wenn sie weiter so rasch treibt, wird sie in weniger als zehn Stunden stranden.«
»Wenn sie nicht vorher auf einen Eisberg stößt«, erwiderte Nick. »Wie lange brauchen wir noch, um sie zu erreichen?«
»Noch vierzig Stunden, Käpten.« Allen zögerte und strich sich die dichte hellblonde Locke aus der Stirn. »Wenn wir bei dieser Geschwindigkeit bleiben können – aber wir werden sie wohl vermindern müssen, sobald wir das Eis erreichen.«
Nick dachte an die fürchterliche Lage des Dampferkapitäns, dessen Schiff in höchster Gefahr war, und mit ihm das Leben von Besatzung und Passagieren.
Wie viele Menschenleben? Nick rief sich das Schiff in Erinnerung. Die Besatzung der Golden Adventurer, Offiziere und Mannschaften, betrug 235 Mann, dazu konnte sie 375 Passagiere aufnehmen, hatte also insgesamt wahrscheinlich über 600 Menschen an Bord. Wenn das Schiff nicht zu retten war, würde es für die Warlock schwer werden, so viele Menschen zu übernehmen.
»Aber die Leute waren auf Abenteuer aus, und nun bekommen sie etwas für ihr Geld«, unterbrach Allen seine Gedanken, als hätte er sie gehört.
Nick schaute ihn an und widersprach nicht: »Ein Platz auf diesem Schiff kostet ein Vermögen, und normalerweise haben nur alte Herren so viel Geld. Wenn es strandet, wird es Verluste geben.«
»Verzeihung, Käpten«, sagte Allen und errötete zum ersten Mal, seit sie von Kapstadt abgefahren waren, »wenn der Kapitän weiß, daß Hilfe unterwegs ist, könnte ihn das von einer Verzweiflungstat abhalten«.
Nick blieb stumm. Allen hatte natürlich recht. Es war grausam, alle diese Menschen in dem Glauben zu lassen, sie wären allein in der furchtbaren Eiswüste.
»Die Außentemperatur beträgt fünf Grad unter Null, und bei einer Windstärke von dreißig Meilen pro Stunde kommt es zu lebensgefährdenden Unterkühlungen. Wenn die Leute bei dieser Kälte in die Rettungsboote gehen ...« Hier wurde Allen vom Krebs unterbrochen, der aus dem Funkraum rief: »Christy Marine antwortet.«.
Es war eine lange Botschaft voll derselben leeren Versicherungen, die ein Arzt einem Krebspatienten gibt, aber ein Absatz hatte für Nick Bedeutung:
Wir versuchen alles, um mit sämtlichen Bergungsschleppern im südlichen Atlantik Verbindung aufzunehmen.
Allen schaute Nick erwartungsvoll an. Die Menschlichkeit gebot, der Golden Adventurer mitzuteilen, daß die Warlock nur 800 Meilen entfernt war und rasch näherkam.
Nervös sprang Nick von seinem Stuhl auf, öffnete die Türe und trat ins Freie. Der Schock des eiskalten Windes nahm ihm den Atem, er schnappte gleich einem Ertrinkenden nach Luft.
Behutsam füllte er seine Lungen, und seine Nasenlöcher weiteten sich, als er das Eis roch. Es war der unverkennbare naßkalte Geruch, den er so gut von den nördlichen Eismeeren kannte. Er hielt es nur wenige Augenblicke im Freien aus, aber als er in die angenehme, grünlich erleuchtete Wärme der Brücke zurückkehrte, war sein Entschluß gefaßt.
»Mr. Allen, vor uns ist Eis.«
»Ich habe eine Wache an das Radar gestellt, Käpten.«
»Sehr gut«, erwiderte Nick. »Aber wir wollen jetzt auf halbe Fahrt gehen«, er zögerte und fuhr dann fort, »und Funkstille bewahren.«
Das war eine harte Entscheidung, und Nick sah die Anklage in Allens Augen, bevor dieser sich umwandte, um das Kommando für die Verringerung der Geschwindigkeit zu geben.
Der Entschluß zur Funkstille war zweifellos richtig. Nick hatte es mit zwei harten Männern zu tun und wußte, daß er es sich nicht leisten konnte, Jules Levoisin auch nur einen Fingerbreit Vorsprung zu lassen. Er mußte ihn zwingen, als erster die Funkstille zu brechen. Er brauchte diesen Vorteil. Und sein anderer Gegner war Duncan Alexander, ein gefährlicher Mann voller Haß und Rachsucht.
Der Kapitän der Gülden Adventurer würde noch ein wenig länger die Ängste der Ungewißheit ertragen müssen, aber Nick tröstete sich mit dem Gedanken, daß jede weitere dramatische Entwicklung in der Situation des Dampfers, wie etwa der Entschluß, das Schiff zu verlassen und in die Rettungsboote zu gehen, unkodiert durch Funk angekündigt werden und ihm so die Möglichkeit geben würde, einzugreifen.
Soweit das Auge reichte, war das Meer vor der Warlock mit Eisschollen übersät. Manche hatten die Größe eines Billardtisches und scharrten an den Schiffsflanken, dann schaukelten und tanzten sie im Kielwasser. Andere hatten die Größe von Häuserblocks und waren unheimliche, seltsam geformte Gebilde wie löchrige weiße Waben, so hoch wie die Aufbauten der Warlock.
Sie fuhren zu rasch, Nick wußte das, aber er verließ sich auf die Wachsamkeit seiner Offiziere, das Schiff sicher durch das Eis hindurchzusteuern. Doch war ihm sogar diese Geschwindigkeit zu langsam für seine quälende Ungeduld.
Über dem Horizont türmte sich eine große ununterbrochene Linie hochragender Klippen auf, die im Licht der tiefstehenden Sonne in Samaragd- und Amethystfarben erglühte, ein treibendes Tafelland von solidem hartem Eis, siebzig Kilometer breit und zwanzig Meter hoch.
»Mein Gott, ist das schön«, sagte Allen mit der Ehrfurcht eines Gläubigen in einer Kathedrale.
Die Spitzen des Tafellandes leuchteten in hellem Rubinrot. Windseitig lief schwere See an und brandete unter wildem Aufschäumen weißen Gischts dagegen. Dennoch rührte sich die Eismasse nicht, schwankte nicht einmal, trotz dieses mörderischen Seegangs.
Auf der Leeseite war das Wasser durch die enorme Masse blanken Eises vor dem Wind geschützt. Leise plätscherte das grünliche Wasser gegen die bläulich schimmernden Wände. Innerhalb einer Schiffslänge gelangte die Warlock, die sich eben noch wie ein stampfender, sich aufbäumender wilder Hengst gebärdet hatte, in die windfreie und unnatürliche Ruhe eines Bergsees.
Die Stille nützend, brachte Angel Tabletts, gehäuft voll mit knusprig braun gebackenen walisischen Pastetchen, und dampfende Becher mit dickem, schaumigem Kakao – und während sie um drei Uhr morgens im Licht der blassen Sonne frühstückten, bestaunten sie die traumhafte Schönheit der Eistürme. Die jüngeren Offiziere riefen und lachten, als eine Schule von fünf schwarzen Mörderwalen so dicht vorbeikam, daß sie die weißen Wangenflecken und die großen grinsenden Mäuler durch das klare eisige Wasser erkennen konnten.
Nick stimmte in die spontane Heiterkeit nicht ein. Er kaute an einem der köstlichen, mit saftigem Fleisch gefüllten Pastetchen, konnte es aber nicht aufessen. Sein Magen war zu verkrampft. Er fand die Heiterkeit seiner Offiziere fehl am Platz, das sorglose Lachen verletzte sein Empfinden, da doch seine ganze Zukunft in Frage gestellt war.
Er hörte ihrem sorglosen Geschwätz zu und fühlte sich, trotz der wenigen Jahre Unterschied, alt genug, um ihr Vater zu sein. Es ärgerte und irritierte ihn, daß sie lachen konnten, wenn so viel auf dem Spiel stand – sechshundert Menschenleben, ein großes Schiff, weit über zehn Millionen Pfund, seine eigene Zukunft. Sie würden wahrscheinlich nie am eigenen Leib erfahren, was es hieß, sein Lebenswerk auf einen einzigen Wurf zu setzen – und dann, ganz plötzlich, beneidete er sie.
Er konnte sich nicht erklären, warum er jetzt am liebsten mitgelacht, das Zusammengehörigkeitsgefühl des Augenblicks mit ihnen geteilt und wenigstens für kurze Zeit seine Last abgeschüttelt hätte. Fünfzehn Jahre lang hatte er sich das nie gewünscht.
Unvermittelt stand er auf, und sofort wurde es still auf der Brücke. Jeder Offizier konzentrierte sich auf seine Aufgabe, nicht ein einziger schaute ihm nach, als Nick langsam die Brücke überquerte.
Plötzlich empfand er Schuldgefühle. Er nahm sich zusammen, bekämpfte die Schwächeanwandlung und gewann sein Selbstvertrauen und seine Entschlossenheit zurück. Nichts sollte ihn von der schwierigen Aufgabe, die ihn erwartete, ablenken. Er blieb vor der Funkraumtüre stehen. Der Krebs schaute von seinen Apparaten auf, und sie tauschten einen Blick des schweigenden Einverständnisses, zwei vollkommen in ihren Pflichten aufgehende Männer ohne Zeit für Leichtfertigkeiten.
