Attika. Die Verteidiger Athens - Conn Iggulden - E-Book
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Attika. Die Verteidiger Athens E-Book

Conn Iggulden

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Beschreibung

Aus der tiefsten Verzweiflung werden die größten Helden geboren: »Attika. Die Verteidiger Athens« ist der 2. historische Abenteuerroman von Conn Iggulden um den Freiheitskampf des antiken Athen gegen die Perser. Nur um Haaresbreite ist Athen 480 vor Christus einer Katastrophe entgangen – dank der todesmutigen Krieger aus Sparta, die den Pass bei den Thermophylen lange genug gehalten hatten, um die Stadt zu evakuieren. Doch die persische Übermacht unter dem Großkönig Xerxes I. ist nach wie vor entschlossen, Griechenland endgültig in die Knie zu zwingen. Und der griechische Feldherr Themistokles wird zwar vom Volk verehrt – der Adel begegnet ihm jedoch immer wieder mit Misstrauen und Ablehnung. Mit nur 300 griechischen Schiffen stellt Themistokles sich schließlich in der Meerenge von Salamis den 1.200 Kriegsschiffen der Perser entgegen … Episch, actionreich und tragisch zugleich lässt der große Erzähler Conn Iggulden in seiner Attika-Reihe das antike Griechenland lebendig werden. Der 1. historische Abenteuerroman der Reihe – »Attika. Die Schlacht von Marathon« –, erzählt, wie der griechische Feldherr Xanthippus und seine Männer bei Marathon auf ein übermächtiges persisches Heer treffen. »Conn Iggulden ist ein großartiger Erzähler.« USA Today

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Conn Iggulden

Attika

Die Verteidiger Athens

Historischer Roman

Aus dem Englischen von Urban Hofstetter

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Athen 480 vor Christus. Als kampferprobter Anführer wird Themistokles zwar vom Volk verehrt, doch der Adel begegnet ihm immer wieder mit Misstrauen und Ablehnung. Zwei Dinge können seine Gegner jedoch nicht bestreiten: Themistokles’ Erfolge auf dem Schlachtfeld – und die gigantische persische Flotte, die bereits den Hellespont überquert. Dem Feldherrn bleibt nichts anderes übrig, als an zwei Fronten zu kämpfen: gegen die Invasoren und gegen die eigenen Verbündeten, die ihn verachten. Mit 300 griechischen Schiffen stellt er sich schließlich in der Meerenge von Salamis den 1200 Kriegsschiffen der Perser entgegen …

Inhaltsübersicht

Widmung

Glossar

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Teil 2

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Teil 3

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Teil 4

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Historische Anmerkungen

 

 

 

 

Für Sr. Andrea MacEachen und Sr. Mauraid Moran – Führern in der Wildnis.

Glossar

Die Unterstreichungen markieren die betonten Silben.

Militärbegriffe

Archon (ἄρχων) Herrscher, Anführer

Epistatai (ἐπιστάται) Zweite Reihe in der Phalanx, hinter den Protostatai

Epistates (ἐπιστάτης) Vorsitzender der athenischen Volksversammlung

Keleustes (κελευστής) Offizier auf einer Trireme

Lochagos (λσχαγός) Hauptmann

Phalanx (Φάλαγξ) Eine schwer bewaffnete Militäreinheit

Strategos (στρατηγός) General, Kommandeur

Trierarch (τριήραρχος) Kommandeur einer Trireme

Orte

Agora (Ἀγορά) Offener Platz, Markt

Areopagus (Ἄρειοςπάγος) Areshügel, Athener Gerichtsort

Platäa (Πλάταια) Griechische Stadt in Böotien

Pnyx (Πνύξ) »Gerammelt voll« – Hügel, auf dem die Athener Volksversammlung stattfindet

Salamis (Σαλαμίς) Insel vor Athen

Protagonisten

Agariste (Ἀγαρίστη) Ehefrau des Xanthippos

Ariphron (Ἀρίφρων) Ältester Sohn von Xanthippos und Agariste

Aristides (Ἀριστείδης) Strategos, Archon eponymos 489 v.Chr.

Eleni (Helen) (Ἑλένη) Tochter von Xanthippos und Agariste

Epikleos (Ἔπικλέος) Freund des Xanthippos

Kimon (Κίμων) Sohn des Miltiades

Kleisthenes (Κλεισθένης) Athener Abgeordneter

Leotychides (Λεωτυχιδης) Spartanischer König

Perikles (Περικλῆς) Sohn von Xanthippos und Agariste

Themistokles (Θεμιστοκλῆς) Archon eponymos 493 v.Chr.

Tisamenos (Τυςαμϛ) Wahrsager

Xanthippos(Ξάνθιππος) Strategos, Anführer

Xerxes (Ξέρξης) König von Persien

Die zehn attischen Stämme

Erektheis

Aegeis

Pandionis

Leontis

Akamantis

Oeneis

Kekropis

Hippothontis

Aeantis

Antiochis

Teil 1

»Wie kein Bund die Löwen und Menschenkinder befreundet, auch nicht Wölf’ und Lämmer je in Eintracht sich gesellen.«

Homer, Ilias

Kapitel 1

Der persische Großkönig ließ den Blick über das Herz Athens schweifen.

Die Sonne brannte ihm heiß auf den Nacken, doch vom Meer wehte ein sanfter Wind heran, der einen süßlichen Verwesungsgeruch mit sich trug. Xerxes schloss die Augen, atmete tief ein und genoss die Stille. Der große Markt, die Tempel, die Straßen mit den Wohnhäusern, Werkstätten und Tavernen waren menschenleer. In gewisser Weise war es ein sehr intimer Moment. Es war, als säße er am Schminktisch einer Frau und würde all seine kleinen Schubladen öffnen, um ihre Geheimnisse in Erfahrung zu bringen.

Die Soldaten in der Stadt waren ausnahmslos seine eigenen. Sie hatten Athen von einem Ende zum anderen durchkämmt und waren in jedes Lagerhaus, jedes Geschäft und jeden Haushalt eingedrungen. Die einzigen Griechen innerhalb der Stadtmauern waren ein halbes Dutzend zahnloser und blinder Alter gewesen, die von ihren Familien zurückgelassen worden waren. Als sie die unvertrauten Stimmen der persischen Soldaten hörten, hatten sie geistlos gelacht. Xerxes hatte keine Verwendung für sie gehabt und sie wie streunende Hunde töten lassen. Es war fast ein Gnadenakt gewesen.

General Mardonius, der drei Schritte hinter dem Großkönig ging, schien ebenfalls tief in Gedanken versunken. Nachdem sie Hunderte von alten Berichten über Athen gelesen hatten, kamen ihnen viele Orte in der Stadt eigenartig vertraut vor. Zum Beispiel die Akropolis, der steile Kalksteinfels, der zu ihrer Linken wie ein Wachturm über der Stadt aufragte. Oder der aus hellem Gestein bestehende Areopag, auf dem jahrhundertelang ein Rat aus athenischen Adligen getagt hatte.

Vor sich sah Xerxes den Pnyx, einen Hügel mit breiten Stufen an den Hängen und Bäumen, die wie Klingen aufragten. Normalerweise debattierte dort die berühmte Versammlung, deren Mitglieder weder Könige noch Tyrannen anerkannten. Er hätte sie gerne gesehen, diese Männer, die sich so intensiv mit ihren kleinen Gesetzen beschäftigten. Doch an diesem Tag war der Pnyx verlassen. Die Bewohner Athens waren zum Hafen hinuntergegangen und hatten sich von Schiffen über das tiefe Meer fahren lassen. Sie waren lieber vor ihm geflohen, als sich den Raubzügen seiner Armee aussetzen und die Konsequenzen ihrer Arroganz tragen zu müssen.

Xerxes ging durch hallende Straßen, in denen sämtliche Türen weit aufstanden. Abgesehen von ein paar Katzen, die sich auf den Dächern wärmten, waren seine Unsterblichen die einzigen Lebewesen weit und breit. Mit ihren langen, getäfelten Umhängen und den eingeölten Ringelbärten sahen sie wie Statuen aus. Der Großkönig schätzte sie genauso sehr, wie sein Vater es getan hatte, wie bevorzugte Kinder oder geliebte Jagdhunde. Sie waren zugleich der Schild und die größte Zierde seiner Herrschaft. Die Hälfte von ihnen war an den Thermopylen von den rot gewandeten Schlächtern aus Sparta niedergemetzelt worden. Von diesem Schlag hatten sie sich noch immer nicht erholt. Doch letzten Endes hatten seine Unsterblichen den Pass freigeräumt! Wegen dieses Sieges hatte Xerxes beschlossen, sie als seine Leibwache zu behalten und mit seinem Segen zu ehren. Die verbliebenen fünftausend waren Überlebende, geschunden und gezeichnet, aber auch stärker, weil sie die letzten Spartaner sterben sahen. Die Unsterblichen hatten in dem Pass zwar nicht aufgegeben, doch seither hielten sie sich nicht mehr für unschlagbar und weltweit einzigartig. Xerxes hatte ihr ungläubiges Entsetzen gesehen. Im Angesicht der Spartaner hatten sie sich hilflos gefühlt.

Er hatte überlegt, das Regiment ausruhen zu lassen und aus der Vorhut herauszunehmen. Ihr Kommandant, Hydarnes, war ein Stier von einem Mann. Mit dem Gesicht im Staub hatte er eine Lanze für die Unsterblichen gebrochen und gesagt, dass sie sich unbedingt betätigen müssten, weil sie wie eine üble Wunde schwären würden, wenn sie zu viel Zeit zum Nachdenken hätten. Xerxes hatte ihm zugestimmt. Ehre konnte nicht gewährt, sie musste mit Aufopferungsbereitschaft und harter Arbeit verdient werden.

Am Ende einer Gasse, in der unbeaufsichtigte Töpferscheiben standen, war es heller und luftiger als in den umliegenden Straßen. Xerxes betrat die berühmte Agora. Auf diesem Marktplatz befanden sich die Statuen der zehn Stämme und die Steintafeln mit den öffentlichen Bekanntmachungen. Er sah sie sich nicht an, ging aber davon aus, dass ein paar von ihnen vor seiner bevorstehenden Ankunft warnten. Diese Vorstellung machte ihn stolz.

Xerxes blickte zu einem Falken auf, der über ihm kreischte. Sein Schrei war in der Stille klar und deutlich zu vernehmen. Xerxes sah, dass der Vogel weite Kreise über der Stadt zog und auf der Suche nach Beute den Kopf hin und her wendete. An jedem anderen Tag wäre dieses Geräusch im allgemeinen Lärm untergegangen. Doch im Moment war es, als befände er sich auf einem Berggipfel und um ihn herum wären sämtliche Arbeiten zum Stillstand gekommen. Das war eines der Wunder des Krieges, merkte er, etwas, das einfache Männer und Frauen niemals begreifen würden.

»Ich habe geschworen, dass ich hier stehen würde, Mardonius«, murmelte Xerxes. Sein General nickte. Er schien zu spüren, dass sein König keine Antwort erwartete. »Ich habe meinem Vater gesagt, dass ich sein Werk vollenden und die Armee an diesen Ort führen würde. Ich habe geschworen, sie für die Schmähung unserer Gesandten zu bestrafen, für ihre Weigerung, uns Erde und Wasser darzubringen. Mein Vater hat ihnen ein Dutzend Mal die Chance gegeben, das Knie vor ihm zu beugen, doch sie haben ihn immer wieder zurückgewiesen. Sie haben sich gegen uns und für das hier entschieden. Wie dem auch sei. Heute hier zu sein …« Er schüttelte vergnügt den Kopf. Mardonius lächelte. An Tagen wie diesen schien wahrhaft alles möglich.

Vor ihnen ragte sichtfüllend die Akropolis auf. Xerxes machte auf dem hohen Felsen Tempel aus. Ein paar von ihnen mit Holzgerüsten an den Außenmauern und unvollendeten Säulen. Seine Spione hatten ihm beschrieben, wie es dort oben aussah, unter anderem die Monumente, die an die Schlacht von Marathon vor zehn Jahren erinnerten. Xerxes wusste, dass dieser Sieg der Griechen über die Perser seinem Vater wehgetan und vielleicht sogar zu der Krankheit geführt hatte, der er schließlich ausgemergelt und kraftlos erlegen war. Xerxes wurde wütend, als er daran dachte. Er würde diese Bauten niederreißen!

Er bemerkte auf dem Felsen eine Bewegung und verharrte. »Sind da oben … noch immer Leute, General?«

Mardonius beschattete mit einer Hand die Augen und sah ebenfalls nach oben. »Ein paar Dutzend, Majestät. Ausschließlich Priester, soweit ich es sagen kann. Wir werden sie aus ihren Löchern holen.«

Er sagte dem König nicht, dass die dürren Männer den Weg zur Spitze der Akropolis blockierten. Und dass sie uralte Waffen und Rüstungen trugen, die sie offenbar von den Tempelwänden genommen hatten. Sie stellten keine echte Bedrohung dar, aber es war ärgerlich, dass sie noch nicht vertrieben gewesen waren, als der junge König darauf bestanden hatte, die Stadt zu betreten. Mardonius beschloss, Xerxes’ irritierten Blick in eine andere Richtung zu lenken.

Doch der sah ohnehin bereits zum Areopag, der sich keine hundert Schritt von ihnen entfernt erhob. Aus einer plötzlichen Laune heraus rannte Xerxes zu diesem Felsen und eilte voll jugendlichem Elan die Stufen hinauf. Oben auf dem großen flachen Plateau angekommen, atmete er noch immer ruhig und gleichmäßig.

An diesem Ort hatten jahrhundertelang Athener Adlige gestanden. Der König stellte einen Fuß auf den höchsten Punkt und blickte zur Akropolis. Im Vergleich zu ihr wirkte selbst der Areopag klein.

Mardonius war nach dem monatelangen Marsch in Hochform und atmete ebenfalls nicht schneller, als er sich zu Xerxes gesellte. Der nickte ihm gut gelaunt zu. Es machte ihm offenkundig Spaß, nach Belieben alle heiligen Stätten seiner Feinde besuchen zu können.

Mardonius spähte mit zusammengekniffenen Augen zur Akropolis, um die aktuelle Lage dort zu sondieren, und erkannte weiterhin keinen Grund zur Sorge.

»Ich habe ein ganzes Hazarabam angewiesen, an der Rückseite des großen Felsens hinaufzuklettern. Unten an der Treppe stehen Männer und lenken die Griechen mit Pfeilen ab. Seht ihr sie? Sobald die anderen oben sind, werden sie die Verteidiger überwältigen.«

»Und dann ein Exempel an ihnen statuieren«, sagte Xerxes. »Das gefällt mir, General. Kümmere dich darum. Und drapiert ihre Leichen so, dass ihre Götter sie sehen können.«

»Wie du wünschst, Majestät.«

Mardonius sah zu, wie der junge König sich langsam im Kreis drehte und den Ausblick genoss. Im Südwesten erstreckte sich das dunkle Meer.

Xerxes spähte mit der Akropolis im Rücken in die Ferne. »Ich werde nicht hier warten, Mardonius«, sagte er. »Ich will zum Meer und zusehen, wie meine Flotte die letzte Hoffnung der Griechen zunichtemacht. Lass uns die Stadt brandschatzen. Sie scheint sehr trocken zu sein. Ich gehe davon aus, dass Flammen hier schnell um sich greifen.« Er betrachtete die aus Stoff und Holz bestehenden Markisen auf dem nicht weit entfernten Marktplatz. Die Stadt war viel kleiner, als er erwartet hatte. Wegen der ungeheuerlichen Verbrechen ihrer Bewohner hatte sie in seiner Fantasie unverhältnismäßig viel Raum eingenommen.

Der Markt würde auf jeden Fall gut brennen, genau wie die Straßen und die mit Ziegeln und uraltem Holz gedeckten Dächer. Lächelnd malte Xerxes sich aus, wie Funken aufsteigen und sich ausbreiten würden. Er wollte, dass die Stadt von einer riesigen Feuersbrunst verschlungen wurde. Wenn die Griechen die Rauchwolken sahen, würden sie wissen, dass ihre kostbare Athena nicht mehr zu retten war. Dass er sie geplündert, überwältigt und geschändet hatte.

»Besorge mir eine Fackel, Mardonius«, sagte Xerxes.

Mit leuchtenden Augen wartete er ab, während der General nach ein paar Dienern pfiff, die sich nie weit von ihrem Meister entfernten, um umgehend jeden seiner Wünsche erfüllen zu können. Als sie begriffen, was von ihnen erwartet wurde, stieg einer von ihnen auf den Felsen und hantierte unterwegs nervös mit einem Feuerstein. Geschickt kratzte er mit einem Metallstück Funken auf ein trockenes Grasbüschel in seiner hohlen Hand und hielt die aufkeimende Flamme an einen Knüppel. Das mit Öl und zähem Teer getränkte Tuch, mit dem er umwickelt war, fing sofort Feuer. Oben angekommen, legte sich der Diener flach auf den Boden. An seiner Haut klebte Staub.

Mardonius folgte dem König nach unten. Es sah aus, als würde Xerxes eine Prozession anführen. Von der stetig wachsenden Flamme stieg rußiger Rauch auf, während der junge Mann die Treppe hinuntereilte. Auf der Straße blieb er stehen.

Der Sommer war lang gewesen, und die Stadt war trocken. Xerxes hielt die Fackel an ein Dach. Die Flamme fraß sich in die Holzlatten unter den Ziegeln. Weiße Rauchfäden quollen hervor, während das Feuer sich rasch in der Konstruktion ausbreitete. Die Geräusche, mit denen die heißen Ziegel barsten, waren beinahe melodiös. Lachend ging Xerxes weiter und drückte die Fackel an jedes Haus, das er passierte. Als er das letzte erreicht hatte, begab er sich in die Mitte der Straße und stellte befriedigt fest, dass das Feuer bereits ein Eigenleben entwickelt hatte und nicht mehr zu löschen sein würde.

Mardonius war dem König gefolgt. Sein Lächeln und die Begeisterung über ihren Triumph waren ansteckend. Xerxes warf ihm die Fackel zu, und er fing sie auf.

»Bringe zu Ende, was ich begonnen habe, General«, sagte Xerxes. »Ich wünsche, dass von dieser Stadt nichts übrig bleibt. Das haben sie davon, dass sie sich meinem Vater widersetzt haben. Brenne alles nieder! Ich gehe derweil zu den Schiffen und schaue mir an, wie die Flotte Athens vernichtet wird. Sei dankbar für diesen Moment! Du wirst den heutigen Tag niemals vergessen.«

Mardonius neigte den Kopf und sah zu, wie der König in Richtung Küste aufbrach. Als ihm bewusst wurde, dass Xerxes nicht stehen bleiben würde, kniff er den Mund zu einem dünnen Strich zusammen und bedeutete rasch der königlichen Leibwache und sechzig Bogenschützen, ihm zu folgen. Als sie losrannten, pfiff er nach zusätzlicher Unterstützung und hörte, wie das Signal nach hinten zur Hauptstreitmacht weitergeleitet wurde. Seine Männer hatten die Stadt zwar für ungefährlich erklärt, aber er wusste nicht, was jenseits der Mauern los war. Die Straße zum Meer war möglicherweise noch nicht sicher. Vielleicht waren ein paar Fanatiker geblieben, um Perser in einen Hinterhalt zu locken und sie zu töten. Auf keinen Fall durfte Xerxes im Moment seines größten Triumphs von irgendeinem alten Mann erstochen werden.

Als die Fackel nach ihm zu züngeln begann, nahm er sie in die andere Hand. An diesem Tag bestand kein Zweifel, dass der große Gott Ahura Mazda die Königsfamilie gesegnet hatte. Xerxes und er waren monatelang marschiert und gesegelt und hatten ein Heer und eine Flotte zu diesem Ort geführt, die so groß waren, dass es nichts gab, was sie nicht schaffen konnten.

Stirnrunzelnd dachte er an den langen Marsch über die Brücke aus Schiffen und an der griechischen Küste. Er und seine Männer hatten viel auf sich genommen, um an diesem Tag in Athen stehen zu können. Viele würden nicht heimkehren. An den Thermopylen hatten sie es mit außergewöhnlich geschickten und tapferen Gegnern zu tun bekommen. Doch selbst die Spartaner hatten ihrer Übermacht letzten Endes nicht standhalten können. Xerxes hatte befohlen, ihren König zu enthaupten, die Leiche in Stücke zu schneiden und ins Meer zu werfen – fast als hätte er befürchtet, dass dieser große Krieger andernfalls wiederauferstehen und zurückkehren würde. Mardonius lief ein Schauder über den Rücken. Mit Schwertern und Schilden hatten sie die Spartaner nicht bezwingen können. Am Ende hatte Xerxes seinen Männern befohlen, sich von den Spartanern abzurücken und so lange Speere auf sie zu schleudern, bis der Letzte von ihnen fiel.

Auf See hatten sie die Flotte der Athener unterdessen immer weiter zurückgedrängt, rief Mardonius sich ins Gedächtnis, um einen Anflug von abergläubischer Furcht zu vertreiben. Trotz all ihrer Geschicklichkeit und Tapferkeit hatten die Griechen Athen, das Zentrum und die Quelle ihrer Macht, nicht retten können. Gott war eindeutig mit den Persern, dachte Mardonius und schickte mit geneigtem Kopf ein stummes Gebet zu König Dareios, dem Vater vieler Nationen und Gefährten aus seiner Jugend, als die Welt noch süß und sauber gewesen war wie ein frischer Pfirsich. Sicher beobachtete der alte Mann sie und war zufrieden mit ihnen.

Wieder drehte der Wind. Die Flamme leckte erneut über Mardonius’ Arm und riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste sich auf seine bevorstehenden Aufgaben konzentrieren. Auch wenn er ausgelaugt war und eigentlich eine lange Ruhepause benötigte. Schließlich war er nicht mehr jung! Er seufzte. Sein Atem und seine schmerzenden Knie gehörten dem König. Xerxes sah keine Schwäche und gestattete auch keine. Mardonius würde durchhalten müssen.

Aus ein paar Türen spähten Katzen und strichen miauend um die Beine seiner Soldaten. Sie würden alle verbrennen. Vielleicht würden die Männer Fackeln an ihre Schwänze binden, sodass sie kreischend davonrannten und das Feuer noch weiter verbreiteten. In anderen Städten hatten sie es getan. Mardonius konnte dem nichts abgewinnen. Er bevorzugte schlichtere Methoden.

Er dachte an die Mauern, die Athen umgaben. Die großen Tore und hohen Türme, die nicht nur der Verteidigung, sondern auch als Symbole dienten. Doch was auch immer sie darstellen sollten, sie konnten mit Hämmern und Hakenstangen eingerissen werden. Er hatte eine Armee aus mehr als einer Viertelmillion kräftigen Männern. Sie würden diese Mauern brechen.

Auf der Akropolis ertönten dünne Schreie und Waffengeklirr, wegen der Rauchwolken konnte er jedoch nicht sehen, was dort oben geschah. Er biss sich auf die Lippe. Es war keine gute Idee, seine eigenen Männer in brennenden Straßen einzuschließen. Nein, er würde taktisch denken und die Aufgabe mit klarem Verstand angehen müssen. Sollte der König ruhig seinen Sieg genießen! Er hatte es sich verdient.

Ein weiteres tausendköpfiges Hazarabam tauchte aus dem immer dichter werdenden Nebel auf. Zwei von ihnen sandte Mardonius mit seinen Befehlen wieder zurück, den Rest schickte er hinter Xerxes her. Der König machte sich über seine Sicherheit keine Gedanken und vertraute blind darauf, dass sein General sich darum kümmern würde.

Er diente seinem König gut, dachte Mardonius. Sein Herz schien ebenso lichterloh zu brennen wie die Dächer um ihn herum.

Kapitel 2

Gischt peitschte Themistokles ins Gesicht, als seine Galeere schneller wurde. In der Meerenge zwischen der Insel Salamis und Piräus, dem großen Hafen von Athen, war die See normalerweise ruhig. Doch ihr Rammsporn pflügte durch Wellen, die von Hunderten Schiffen und Tausenden Rudern aufgewühlt wurden.

Einen Moment lang war Themistokles verwirrt, was vermutlich an seiner bleiernen Erschöpfung lag. Er beschattete mit einer Hand die Augen und verließ sich darauf, dass er dank seines Gleichgewichtssinns und seiner kräftigen Beine den Halt auf Deck nicht verlieren würde. Anstelle des strukturierten Flottenverbandes sah er nur Chaos um sich herum. Er wusste, dass die Formationen in Wahrheit nach wie vor intakt waren, und hoffte, sie möglichst schnell wieder erfassen zu können. Mit der anderen Hand wischte er sich Salzwasser aus den Augen und spürte die steife Salzkruste auf seiner Haut. Er hatte keine Rüstung angelegt. Außer seinen Hopliten waren nur die Steuermänner gepanzert, da sie ein bevorzugtes Ziel der feindlichen Bogenschützen waren.

Themistokles packte einen Hoplon-Schild und beobachtete die gegnerischen Schiffe. Unter Deck sorgten auf beiden Seiten des Schiffs jeweils drei Reihen Ruderer für den Vortrieb, insgesamt hundertachtzig freie Männer aus Athen. Sie waren alle frei, dachte er. Soweit er wusste, war selbst den Haussklaven die Freiheit in Aussicht gestellt worden, sofern sie zu rudern bereit waren. Er schüttelte den Kopf. Wenn sie den Krieg überlebten, würde sich das sicher noch rächen.

Diese Ruderer gingen zu seinen Füßen mit fest geschlossenen Augen zu Werke. Jeder ihrer Atemzüge musste sich wie geschmolzenes Eisen anfühlen, doch sie hielten durch. Seitlich konnten sie durch Lücken im Leder und die Ruderdollen Schiffe passieren sehen, doch der Rammsporn und der Bug waren vor ihren Blicken verborgen, und sie mussten sich darauf verlassen, dass die Offiziere und die Steuermänner die richtigen Ziele anfuhren. Ihre Kraft und ihr Wille waren eine kostbare Ressource, die nicht verschwendet werden durfte.

Während der vergangenen Stunde war Themistokles gezwungen gewesen, zwei Männer, die vor Erschöpfung gestorben waren, durch Hopliten zu ersetzen. Die verbliebenen Ruderer hatten entsetzt zugesehen, wie ihre Leichen über Bord geworfen wurden. Doch sie waren allesamt noch jung, und jeder von ihnen war überzeugt, dass er auf keinen Fall der Nächste sein würde.

Themistokles hatte nur noch zwölf Hopliten bei sich an Deck, die bereit waren, auf ein gegnerisches Schiff zu springen, sobald der Befehl zum Entern erging. Diese jungen Männer, die aussahen, als wären sie seine in goldene Bronze gewandeten Kinder, warteten auf seine Kommandos. Er hob unter ihren Blicken den Kopf und bemühte sich um eine möglichst zuversichtliche Miene. Zwei von ihnen grinsten ihn an, bevor sie wieder aufs Meer hinausschauten. Themistokles der Unbesiegbare. Themistokles der Haudrauf, der Arrogante, der keine Angst kannte! Themistokles der Glückliche.

Ihm war es egal, wie sie ihn nannten. Es spielte keine Rolle, ob sie glaubten, er wäre von den Göttern gesegnet. Keiner seiner bisherigen Erfolge hatte irgendetwas mit Glück oder dem Schicksal zu tun gehabt. Erschrocken über diesen törichten Gedanken, berührte er rasch mit der Zungenspitze das Medaillon, das er in der Wange aufbewahrte. Seine Mutter hatte es ihm gegeben. Es zeigte die Eule der Athena. Obwohl das Halsband gerissen war, trug er es noch immer bei sich. Nein, während er in einer zerbrechlichen Hülle inmitten der gegnerischen Flotte auf den Wellen ritt, sollte er die Götter lieber nicht dazu anstacheln, ihn wegen seines Stolzes zu bestrafen.

Ein Dutzend Galeeren mit Xanthippos’ Bannern an den Masten kreuzte ihren Kurs. Dank ihnen konnte Themistokles die Formation wieder erkennen. Er befahl seinen Ruderern halbe Geschwindigkeit, um dem angreifenden Verband nicht in die Quere zu kommen, auch wenn er sich ihm am liebsten angeschlossen hätte. Wer hatte Xanthippos aus dem Exil zurückgeholt, als Athen ihn brauchte? Er. Der edle Themistokles hatte seine eigenen Ambitionen und Bedenken hintangestellt, damit Athen nicht auf seine größten Talente verzichten musste! Es stimmte zwar, dass Xanthippos ein kaltherziger Mistkerl sein konnte, der andere von oben herab behandelte und sich wie ein strenger Spartaner gebärdete. Doch er hatte die Flotte wie ein Schwert auf dem Wetzstein geschärft, sodass in dieser brenzligen Lage nun dreihundert Schiffe mit fähigen Besatzungen zusammenarbeiteten. Themistokles fiel es nicht schwer, Xanthippos’ herausragende Fähigkeiten anzuerkennen. Schließlich waren sie der Grund gewesen, warum er ihn hatte verbannen lassen. In Kriegszeiten waren Strategoi wie er jedoch unverzichtbar.

Themistokles ballte die Faust um den Lederriemen an der Innenseite seines Schildes, ein wilder Reflex, wie der Jubel über das erste Blut in einem Boxkampf. Xanthippos und sein Geschwader rasten auf die gegnerischen Schiffe zu. Kein persischer Kapitän konnte es gleichzeitig mit zwei oder drei aus unterschiedlichen Richtungen herannahenden Galeeren aufnehmen. Themistokles sah, dass sich ihnen ein Gegner mit Höchstgeschwindigkeit näherte. Von den Ruderblättern spritzte weiße Gischt auf. Sofort änderten drei Schiffe aus Xanthippos’ Geschwader den Kurs, wie Wölfe, die sich aus ihrem Rudel lösten.

Der Perser erkannte seinen Irrtum und warf das Steuer herum, doch ohne einen entsprechend veränderten Ruderrhythmus ging die Wende zu langsam vonstatten. Und so bot er seine Flanke ungeschützt den Angreifern dar – ein Jäger, der zur Beute geworden war. Zwei griechische Kriegsschiffe rammten ihn mit einem ohrenbetäubenden Knall.

Während Themistokles vorüberfuhr, ruderten sie bereits wieder zurück und hielten nach neuen Zielen Ausschau. Das persische Schiff, durch dessen Leck kaltes Meerwasser hereinströmte, begann derweil zu kentern. Themistokles war nahe genug, um die Schreckensschreie der Ruderer im Rumpf zu hören. Im Gegensatz zu den griechischen Besatzungen waren ein paar von diesen armen Seelen an ihre Plätze gekettet. Das untergehende Schiff würde sie in die Tiefe reißen. Themistokles schauderte bei diesem Gedanken, doch er redete sich ein, dass es nur an der kalten Gischt läge, und bleckte die Zähne zu einem verwegenen Grinsen.

»Sollen wir sie entern, Kurios?«, ertönte hinter ihm die Stimme seines Kapitäns.

Themistokles drehte sich um und schüttelte den Kopf. Der Mann bemerkte es jedoch nicht, da er entsetzt beobachtete, wie die sinkende Galeere in diesem Moment umkippte. Anstelle des Geschreis drangen nur noch Luftblasen aus dem Rumpf.

»Dafür ist es ein bisschen zu spät«, sagte Themistokles.

Die Galeeren waren furchterregend, aber auch instabil. Da durch ihre niedrigen, offenen Seiten schnell Wasser einströmte, überlebten sie selten einen Aufprall.

Themistokles ließ seine Ruderer ausruhen und hielt nach Bedrohungen und Angriffsmöglichkeiten Ausschau. Soweit das Auge reichte, war die Meerenge mit Schiffen gefüllt. Dahinter lauerte nach wie vor der Großteil der persischen Flotte auf eine Lücke im Kampfgetümmel. Sie lagen am Eingang der schmalen Wasserstraße dicht gedrängt nebeneinander und sahen aus, als hingen sie in der Öffnung eines Trichters fest.

Themistokles wusste nicht, in wie viele Kämpfe er und seine Besatzung bereits verwickelt gewesen waren. Nur das mit Wasser verdünnte Blut, das über die Planken floss, gab einen Hinweis darauf, was sie durchgemacht hatten. In der Nähe eines der Steuermänner steckten mehrere abgebrochene Pfeile im Deck, und ein paar seiner Männer hatten Wunden erlitten, die sie unter den gegebenen Umständen nicht ordentlich versorgen konnten. Zumeist musste eine hastig verknotete Bandage genügen. Kurz bevor er Xanthippos gesichtet hatte, war ein weiterer seiner Männer gestorben, ein Hoplit aus seinem Heimat-Deme in Athen. Sein Lebenssaft war durch eine tiefe Schnittwunde aus ihm herausgeflossen, die keiner von ihnen bemerkt hatte. Ohne einen Mucks war er in das Kielwasser des Schiffes gefallen und vom Gewicht seiner Rüstung in die Tiefe gezogen worden.

Inzwischen waren sämtliche Besatzungsmitglieder kampferprobte Veteranen. Sie hatten Kopf und Kragen riskiert und würden es wieder tun. Themistokles merkte, dass er sich nach dem Festland zurücksehnte, wo die Toten nicht einfach verschwanden, als hätten sie nie existiert.

Er blickte zu dem merkwürdigen Publikum hinüber, das sich an der Küste von Salamis eingefunden hatte. Bei der Evakuierung Athens war die gesamte Bevölkerung über das Meer verfrachtet worden. Dazu waren Hunderte von Galeeren die ganze Nacht lang hin und her gefahren. Als im Morgengrauen die persische Flotte die Spitze der Küste umrundete, hatten die Männer schnarchend auf ihren Plätzen gekauert und nach dem Aufwachen mit Heißhunger den Eintopf aus ihren Schüsseln geleckt.

Die Frauen und Kinder aus mehr als zehntausend Haushalten waren nahe genug, dass Themistokles sie winken sehen konnte. Sie drängten sich wie Meeresvögel auf den Klippen und sahen zu, wie sich ihr Schicksal entschied. Themistokles beneidete sie nicht. Zwar blickte er jedes Mal dem Tod ins Auge, wenn ein Perser den Bogen spannte oder eine feindliche Galeere ihre Ruder zu zerschmettern versuchte, damit die zähnefletschenden, mit Schwertern und Schilden bewaffneten Krieger an Bord sie entern konnten. Doch wenigstens hatte er dieses Schicksal selbst gewählt und würde mit der Waffe in der Hand sterben. Für die Menschen auf der Insel gab es diesen Trost nicht. Die Perser waren mit achthundert Schiffen angerückt. Wenn sie triumphierten, würde es für die Frauen und Kinder von Athen keine weitere Zuflucht geben. Sie würden auf dieser Insel in der Falle sitzen und darauf warten müssen, dass die Perser sie einfingen und versklavten.

Themistokles drehte sich um und sah eine große Rauchwolke über der Stadt aufsteigen. In hilfloser Wut umklammerte er den Schildriemen so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er sah die Akropolis und sandte ein gemurmeltes Gebet an Ares, den Gott des Krieges. Schuldbewusst schickte er gleich auch noch ein Gebet an Athena hinterher. Immerhin trug diese Göttin eine Rüstung. Die Athener waren ihr Volk. Solange sie auf ihn herablächelte, war nicht alles verloren.

Als er den Blick über die Stadt gleiten ließ, erspähte er am Hafen marschierende Soldaten. An ihren getäfelten Mänteln und den Umrissen ihrer Schilde erkannte er, dass es keine griechischen Hopliten waren … Er beschattete erneut die Augen, dankbar, dass er in die Ferne besser sah als in der Nähe.

Themistokles malte sich aus, wie persische Soldaten lachend durch Athen schlenderten und ungehindert heilige Tempel betraten, und biss sich auf die Lippe. Die Vorstellung widerte ihn an, doch wenn ein Mann seinen Besitz nicht schützen konnte, würde er ihm immer weggenommen werden. Die Götter verlangten Stärke. Wer sie nicht aufbrachte, den unterwarfen und versklavten sie. Das war die fundamentale Wahrheit, auf der all die Gärten und Gymnasien Athens fußten: Wehre dich, oder werde zu einem Sklaven.

»Dieses da!«, rief sein Kapitän. »Oder die beiden dort. Sie sehen beschädigt aus.«

Die Bemerkung war eindeutig als Frage gemeint. Themistokles konzentrierte sich wieder auf die Schiffe in der näheren Umgebung. Xanthippos hatte sie mittlerweile passiert. Kimons Geschwader war noch ein ganzes Stück entfernt. Themistokles betrachtete die möglichen Ziele und bemerkte die zerbrochenen Ruder und die leichte Schieflage der beiden nächstgelegenen persischen Schiffe. Irgendjemand hatte ihnen ganz schön zugesetzt. Er nickte.

»Wir rammen einen von den beiden. Auf dem da ist fast keiner an Deck. Das andere sieht aus, als könnte es nicht einmal ein schwimmendes Kind überholen. Das schnappen wir uns als Zweites. Und wenn Poseidon und Athena es gut mit uns meinen, holen wir uns zum Schluss auch noch das dritte.«

Der Trierarch klopfte ihm auf die Schulter. Er hörte, wie seine Befehle an den Keleustes weitergegeben wurden, von dem nur der Kopf unter Deck herausragte. Der duckte sich, als er alles gehört hatte, um die Ruderer ins Bild zu setzen und sie zu einer höheren Schlagzahl anzutreiben. Die Steuermänner packten die Ruder, und der Trierarch ging zum Bug und begann, sie mit Handzeichen zu lotsen. Die Minuten, in denen Themistokles halbes Tempo befohlen hatte, waren ein Segen gewesen, denn nun konnte sich ihre Galeere regelrecht auf ihren ersten Feind stürzen.

Die Hopliten an Deck bereiteten sich darauf vor, zu entern oder selbst geentert zu werden. Themistokles fasste sich an die Hüfte, um sicherzugehen, dass sein Kurzschwert noch immer in der Scheide steckte. Als er die Hand ausstreckte, reichte ihm jemand einen langen Dory-Speer. Er hatte ein gutes Gewicht. Athen stand in Flammen. Um sein Volk zu retten, hatte Themistokles den offiziellen Navarchen, den Spartaner Eurybiades abgesetzt, und sich selbst den Titel verliehen. Auch der hatte ein gutes Gewicht. Im Näherkommen brüllte er gemeinsam mit seinen Männern den Persern eine Herausforderung zu und beobachtete, wie sie panisch versuchten, ihrem Schicksal zu entgehen.

Kurz vor dem Zusammenprall blickte er noch einmal zu den feindlichen Truppen, die sich im Hafen versammelten. Am Strand wurde gerade ein riesiges Zelt errichtet. Ein paar Soldaten brachten eilends einen großen weißen Vogel daran an. Er schien zum Greifen nahe. Themistokles spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Es gab ganz sicher nur einen, für den mitten in einer Schlacht so ein Brimborium veranstaltet wurde.

Themistokles stockte der Atem. Die Welt schien mit den Bewegungen des Schiffes auf und ab zu wogen. Schließlich entdeckte er Xerxes am Strand, eine weit entfernte Gestalt, die nicht gemeinsam mit den anderen schuftete. Der König von Persien stand in seinem langen getäfelten Mantel da und beschattete mit einer Hand die Augen.

Von den Geschehnissen am Ufer abgelenkt, ging Themistokles beinahe über Bord, als der Zusammenstoß erfolgte und ein lautes Ächzen durch den gesamten Schiffskörper ging. Wegen dieser Wucht befestigten sie die bronzenen Schiffskiller an einem Balken, der den Kiel der gesamten Länge nach durchlief. Er war das einzige Bauteil einer Galeere, die einen derart wuchtigen Aufprall verkraftete.

Der persische Kapitän sprang herüber, gefolgt von einem halben Dutzend Männer. Themistokles sah seinen verzweifelten Blick, als die Hopliten ihn mit ihren Schilden aufhielten und mit den Schwertern durchbohrten. Die Klingen klirrten in seiner Brust gegeneinander. Anschließend wurden die Leichen ins Wasser getreten, und es blieb auch von ihnen nur eine weitere große dunkelrote Lache auf dem Holz zurück.

Der Befehl ertönte, rückwärts zu rudern und sich von dem havarierten gegnerischen Schiff zu entfernen. Hätten die Männer mehr Zeit gehabt, hätten sie es sicher liebend gern durchsucht. Die Perser schienen jede Menge Gold zu tragen, und Themistokles hatte beschlossen, die vielen Schmuckstücke zu ignorieren, die mittlerweile seine Hopliten zierten. Wenn es nach ihm ginge, dürften diese Männer die ganze Welt haben, wenn sie sie wollten.

Die zweite persische Besatzung versuchte, im Getümmel der Schiffe unterzutauchen. Sie hatten eine Wende geschafft – obwohl sie die Hälfte ihrer Ruder eingebüßt hatten, wie Themistokles nun sah. Das erklärte ihr geringes Tempo. Offensichtlich hatte ein griechischer Rammsporn ihre Backbordseite in einem flachen Winkel getroffen und vom Heck bis zum Bug aufgeschlitzt, wobei alle dort platzierten Ruderer ums Leben gekommen waren. Danach hatten sie die verbliebenen Ruderer und Riemen auf beide Seiten verteilen müssen. Sie waren zu langsam, um ihnen entkommen zu können. Themistokles merkte, dass er grinste, während der Trierarch wendete, um ihnen nachzusetzen. Normalerweise dauerte eine Verfolgungsjagd auf dem Meer ziemlich lange, nicht jedoch, wenn in einem Schiff jede Menge Leichen und zerbrochene Ruder herumlagen.

Er nutzte die Ruhepause, um das Schlachtfeld zu überblicken, wie er es auch an Land getan hätte. Als Strategos hatte er immer versucht, sich ein möglichst umfassendes Bild der Gesamtsituation zu verschaffen und im Kopf zu behalten. Manche Soldaten sahen in einer Schlachtreihe nur sich selbst, ihre unmittelbaren Nachbarn und die Gegner, denen sie gegenüberstanden. Ein Anführer musste den Blick jedoch weiten – und das galt auch auf hoher See.

Die Perser waren mit einer riesigen Flotte gekommen. Themistokles sah, dass Griechenland nur standhielt, weil die Gegner ihren Vorteil in der Meerenge bislang nicht ausspielen konnten. Die Evakuierung nach Salamis hatte den Athenern eine kurze Verschnaufpause verschafft, doch die Feinde waren noch immer zu zahlreich! Die Perser würden die Bündnisflotte Schiff für Schiff aufreiben. So viel zur Gesamtsituation.

Von den vierzig tapferen Besatzungen aus Korinth war nur noch die Hälfte übrig. Dutzende Athener Galeeren waren versenkt, geentert oder abgefackelt worden. Sie hatten schlimme Verluste erlitten und unter den Blicken ihrer Frauen und Kinder wie Wahnsinnige gekämpft. Er fragte sich, ob die Bewohner von Troja mit der gleichen Angst und Hilflosigkeit von den Stadtmauern herabgeblickt hatten. Die Verwüstungen, die sich vor Salamis abspielten, waren nicht weniger schrecklich als die von Homer geschilderten. An manchen Stellen war das Meer mit einem dichten Teppich aus Holzsplittern und Leichen bedeckt, den die Galeeren bei ihren Manövern durchpflügen mussten.

In einem Moment besonderer Klarheit wurde Themistokles bewusst, dass sie nicht gewinnen konnten, und geriet erneut kurz in Panik. Doch dann besann er sich auf seinen brillanten Verstand, der ihn zum wichtigsten Athener seiner goldenen Generation gemacht hatte. Beschwerten sich die Spartaner nicht ständig über die Verschlagenheit der Athener? Und war er nicht der größte aller Athener? Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, das Blatt zu wenden. Während sie sich dem glücklosen persischen Schiff näherten, sah Themistokles noch einmal zur Küste, wo Xerxes höchstpersönlich zusah, wie die beiden Flotten einander in Grund und Boden rammten. Die Hälfte der persischen Schiffe war noch gar nicht in die Kampfhandlungen verwickelt gewesen und lauerte wie Haie darauf, in die Meerenge zu gleiten und sich ebenfalls in die Schlacht zu stürzen. Unterdessen stieg von seiner geliebten Stadt Rauch auf. Themistokles sah das Ende seiner Welt wie einen Hammerschlag kommen, den er nicht mehr aufhalten konnte.

Kapitel 3

Stell dich nicht so nah an den Rand, Perikles!«, rief Agariste. »Was soll ich denn deinem Vater sagen, wenn du dich auf den Felsen zu Tode stürzt?«

Ihr jüngster Sohn sah sie unter seinem dichten schwarzen Haarschopf hervor an, den er am liebsten halb über den Augen trug. Sein Blick wirkte immer umschattet, seine Verdrossenheit war mit den Händen zu greifen. Agariste starrte zurück, bis er endlich die Achseln zuckte und einen halben Schritt zurücktrat. In Wahrheit machte sie sich keine großen Sorgen um Perikles und hatte ihn vor allem ermahnt, um ihrer Anspannung Luft zu machen. Mit seinen sechzehn Jahren war er kompakt und muskulös wie ein Aal. Sie wusste, dass er ein guter Schwimmer war, und hatte daher keine Angst, dass er ins tiefe Wasser fallen könnte. Doch die Felsen waren wie Messer. Normalerweise war Agariste nicht abergläubisch, doch in der Meerenge vor Salamis entschied sich gerade das Schicksal Athens. Während ihr Gemahl sein Leben gegen einen übermächtigen Feind riskierte, wollte sie auf keinen Fall Blut sehen müssen. Sie konnten nur hoffen, dass die Götter ihnen Kraft und den Sieg schenken würden. Was sie brauchten, war ein Sturm, der die persische Flotte in alle Winde verstreute.

Xanthippos war dort draußen und vielleicht bereits tot. Sie wusste es natürlich nicht, doch die Vorstellung nagte an ihr. Würde sie es mitbekommen, wenn er starb, es spüren, wenn er seinen letzten Atemzug machte oder in der lichtlosen Finsternis versank? Xanthippos war streng und stur, doch bei allen Göttern, er hatte sich tatsächlich zu dem Mann entwickelt, den sie einst in ihm gesehen hatte. Ihr Vater hatte geglaubt, er wäre einer Tochter aus der Familie Alkmaeonidae nicht würdig, doch Agariste hatte etwas in ihm gesehen – Disziplin, gepaart mit Ehrgeiz. Sie hatte sich einen Mann genommen, der ein bisschen zu nett gewesen war, und ihn langsam über den Kohlen ihrer Ehe gedreht, bis er härter geworden war. Mittlerweile war er zu dem Gemahl geworden, den sie brauchte. Er war ihre größte Errungenschaft.

Dann hatte Themistokles sich eingemischt und eine Abstimmung in der Versammlung erzwungen, an deren Ende Xanthippos seine Heimat und seine Familie verlassen musste. Sie presste die Lippen aufeinander, während sie daran zurückdachte. Diese Jahre konnte ihr niemand zurückgeben. Solange sie lebte, würde Themistokles in ihrem Haus nicht willkommen sein.

Perikles war erneut zur Kante vorgegangen und beobachtete mit einer Hand über den Augen die Schlacht. Sie verstand seine Unruhe, konnte aber nichts dagegen tun. Er wünschte sich gewiss, er könnte bei der Flotte sein. Er hatte versucht, an Bord zu bleiben, als Xanthippos sie am Landesteg abgesetzt hatte. Sein Vater hatte sich mit ihm und seinem Bruder Ariphron hingekniet und ihnen aufgetragen, Agariste und ihre Schwester Eleni zu beschützen. Agariste hatte auch die Messer gesehen, die er den beiden gegeben hatte. Hatten sie sich gefragt, ob sie wirklich in der Lage wären, damit ihre Mutter und ihre Schwester zu töten, um ihnen die Sklaverei zu ersparen? Agariste biss die Zähne zusammen. Sie sah durchaus die Risiken für sich und Eleni. Dennoch würde sie ihnen im Ernstfall die Messer abnehmen. Frauen überlebten. Es gab immer einen Ausweg. Immer. Sie sah, wie Perikles halb ausrutschte, und hob rasch die Hand. Doch es gelang ihm gerade noch rechtzeitig, mit ausgebreiteten Armen und leicht über den Abgrund gebeugt das Gleichgewicht wiederzufinden.

»Komm sofort hierher, Peri!«, fuhr sie ihn wütend an.

Sie sah, dass er selbst erschrocken war. Er trat mit rotem Kopf ein paar Schritte zurück und ließ sich auf den Sand plumpsen. Sein Bruder Ariphron sah genervt zur Seite. Er hatte keine Zeit für den Unfug, den sein kleiner Bruder und seine Schwester veranstalteten. Die Verantwortung für die beiden lastete schwer auf ihm. Agariste sah, wie bedrückt er war. Er hatte seinen Vater ebenfalls begleiten wollen. Mit siebzehn war Ariphron beinahe erwachsen und würde bald in der Versammlung abstimmen dürfen. Doch Xanthippos hatte ihm befohlen zu bleiben. Auch ein paar andere Gleichaltrige waren zurückgelassen worden und standen nun mürrisch zwischen den Tausenden anderen herum. Alle Hausgardisten und männlichen Sklaven waren zur Flotte geschickt worden. Agariste hatte gehört, wie Xanthippos jedem die Freiheit versprach, der bereit war zu rudern oder gegen die Invasoren zu kämpfen. Als sie und die Kinder vom Schiff ins flache Wasser hinuntergeklettert waren, hatte sie den sehnsüchtigen Blick des alten Manias bemerkt, ihres obersten Haussklaven. Sie zweifelte nicht daran, dass er sie, die Frau, die er als Kind auf den Knien geschaukelt hatte, liebte. Agariste wusste, dass er, ohne zu murren, geblieben wäre, doch in all dem Durcheinander hatte sie ihn zurückschauen sehen.

Ihr Gemahl war zu diesem Zeitpunkt vollauf mit dem Schiff beschäftigt gewesen. Ehe Agariste es sich anders überlegen konnte, hatte sie die Hand ausgestreckt und auf die braune vernarbte Faust des Sklaven gelegt. Als sie noch mit bloßen Knien herumgelaufen war, hatte Manias sie auf den Schultern getragen und wie ein Minotaur geschnaubt. Er hatte ihr Geschichten von Homer erzählt und beigebracht, wie man Knoten bindet. Er hatte ihr von ihrer Geburt an gehört.

»Geh«, hatte sie gesagt. »Schnell. Verdiene dir deine Freiheit.«

Als er sich wortlos verbeugt und ihre Hand geküsst hatte, war ihr klar gewesen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Der alte Mann hatte sich Tränen aus den Augen gewischt und war unter Deck gegangen, um sich an ein Ruder zu setzen.

Ihr wurde klar, dass ihre zurückgelassenen Söhne ebenso sehnsüchtig dreinblickten. Es war eine Zumutung für Ariphron und Perikles, doch Xanthippos hatte sich nichts dabei gedacht, ihren Gehorsam einzufordern. Schließlich waren sie seine Jungs! Daher hatte er überdurchschnittlich hohe Erwartungen an sie. Erst mit achtzehn würden sie der Volksversammlung angehören und konnten vorher auch nicht in der Armee kämpfen, höchstens einen alten Krieger begleiten und seinen Schild tragen.

Agariste streckte den Arm aus. Ihr Ältester saß, die Hände vor den Knien verschränkt, auf dem Boden. An seinen nackten Beinen klebten Sandkrusten. Als sie ihm eine Locke aus den Augen strich, erschrak er. Perikles, dieser kleine Rührmichnichtan, wäre sofort vor ihr zurückgewichen. Ariphron dagegen verstand die Geste, wie er es immer tat.

»Dein Vater wollte, dass ich in Sicherheit …«

»Ich weiß«, schnitt er ihr frustriert das Wort ab. »Er ließ mich schwören, einen richtigen Eid ablegen, dass ich diesen Ort bis zu seiner Rückkehr nicht verlassen werde. Oder bis ich weiß, dass er nicht zurückkehren wird. Als ob ich das ohne Schiff oder wenigstens ein Boot überhaupt könnte.«

»Er vertraut dir«, sagte sie und hielt seinen Blick fest.

Ariphron nickte. Sie sah, wie gekränkt er war.

Agariste merkte, dass Perikles sie beobachtete und wieder zur Felskante ging, als er sie für hinreichend abgelenkt hielt. Als ob ihr das nicht auffiele! Dieser Junge hatte nie gelernt, wie man mit Eltern umging. Zumindest noch nicht. Er war immer nur entweder störrisch und schlecht gelaunt oder zuckersüß. Selbst wenn er erkannte, was das Richtige wäre, machte er stets zielsicher das Falsche.

Ihre Tochter Eleni trat Perikles in den Hintern, sodass er fluchend herumfuhr.

»Setz dich hin, Perikles«, wiederholte Agariste. »Muss ich mir, während dein Vater dort draußen ist, nicht schon genug Sorgen machen? Wieso bist du nur so schwierig?« Er begann zu protestieren. »Setz dich hin, habe ich gesagt!« Seine Schwester verfolgte ihren Wortwechsel mit unschuldigem Lächeln.

Leichen wurden an die Küste gespült. Sie spürte, dass Perikles hinunterklettern und sie inspizieren wollte. Es drohte also ein weiterer Konflikt, auf den sie gerne verzichtet hätte. Die Angst hatte sie ausgelaugt. Ihre Angst um Xanthippos, um die Kinder, um sich selbst und um die Heimat ihrer Familie. Athen war ihr Zuhause. Sie konnte sich nicht vorstellen, woanders noch mal ganz von vorne anzufangen.

»Es wird lange dauern, bis wir etwas erfahren«, sagte sie und blickte zum Großteil der persischen Flotte, der noch nicht an den Kämpfen teilnahm. Aus Platzmangel verharrten sie ausgeruht und angriffslustig in Lauerstellung, während die Griechen immer erschöpfter wurden und aus unzähligen Wunden bluteten. Natürlich hatte sie Angst, gestand Agariste sich ein. Ein Sieg der Griechen war undenkbar. Leise betete sie zu Athena um Unterstützung. Ihre eigene Stadt stand in Flammen! Es war obszön.

»Ariphron kann hier Wache halten«, sagte Perikles. »Ich werde zum Strand runtergehen. Ich sehe da unten schon ein paar Jungs. Mal sehen, was die wissen.« Er stand auf und beschattete die Augen. Seine Mutter atmete tief durch und versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren. Es war nicht sein Fehler, sagte sie sich. Er war nicht dazu geschaffen, still zu sitzen.

»Nein. Bleib bei mir und deiner Schwester.«

Natürlich begann er zu widersprechen. Er hörte einfach nicht! Ariphron konnte auswendig tausend Verse von Homer aufschreiben, doch Perikles nahm sich nicht mal die Zeit, einen einzigen zu lernen. Obwohl er so gut sprechen konnte, hasste er es zu schreiben. Hinter seinen dunklen Augen verbarg sich unverkennbar ein wacher Verstand, doch er war wie ein Wildpferd, das sich ständig aufbäumte und um sich trat.

»Setz dich hin!«, sagte sie und sah ihm erneut in die Augen. Wie satt sie seine Sturheit doch hatte. »Glaubst du etwa, es wäre das erste Mal, dass unsere Familie in Gefahr ist? Wir haben Schlimmeres als das hier überlebt, Perikles. Weil wir wissen, wann wir Befehle befolgen müssen.«

Die Wut, die er verströmte, war heiß wie die Mittagshitze. Noch war er es gewohnt, sich ihrer Autorität zu fügen, doch sie fragte sich, wie lange es noch so weitergehen würde. Mit ihren fünfunddreißig Jahren war sie zwar noch nicht alt, doch er war bereits stärker als sie. Sie deutete auf den Küstenstreifen und all die Bewohner von Athen, die aufs Meer hinausstarrten und ihr weiteres Schicksal zu erkennen versuchten. »Ist euch schon aufgefallen, dass wir allein hier sitzen? Glaubt ihr, die anderen halten nur aus Respekt zu uns Abstand?«

Eleni und die beiden Jungs zuckten die Achseln und sahen sich verwirrt um.

Agariste schüttelte vehement den Kopf.

»Wir sind Alkmaeonidae – ein altes Geschlecht.« Sie senkte den Kopf ein wenig und winkte ihre Kinder näher. »Euer Vater hat auf dem Fenchelfeld gekämpft, in Marathon – zusammen mit Themistokles, Aristides und Miltiades, Kimons Vater. Mein Onkel hat die Hälfte der Athener Gesetze überarbeitet. Er hat die Versammlung vergrößert, die zehn Stämme eingeteilt und hundert andere wichtige Dinge geleistet. Sie wissen, dass sie ihm – und damit uns – ihr Stimmrecht zu verdanken haben. Euer Blut ist ein goldener Faden, Kinder. Es gibt vielleicht noch ein, zwei andere Familien, die ähnlich hochgestellt sind wie wir. Mehr aber nicht. Und keine, die über uns stehen.«

Perikles sah die Menschentrauben um sie herum stirnrunzelnd an. Soweit er es beurteilen konnte, wirkten sie nicht sonderlich respektvoll. Doch sie waren tatsächlich von Agariste und ihren Kindern abgerückt. Manchmal glaubte er, dass seine Mutter zu sehr auf den Einfluss ihrer Familie und den Schutz, der damit einherging, vertraute. Sie kannte nicht die dunklen Gassen abseits der belebten Plätze, die Perikles allein erkundete. Manchmal lagen darin Leichen und brieten in der Sonne oder wurden von Hunden angeknabbert. Tief in seinem Herzen wusste er, dass der Tod jederzeit jeden ereilen konnte, egal wie bequem man sein Haupt bettete. In diesem Moment beobachtete er sie von den Schiffen aus. Doch das sagte er nicht. Er wollte seine Mutter nicht verletzen.

Agariste setzte sich aufrechter hin und betrachtete die ertrunkenen Männer in der schaumigen Brandung. Ein paar von ihnen wurden von den Wellen herumgewälzt. Es sah aus, als wäre das Meer mit einer Haut aus Splittern, zerbrochenen Rudern und Toten überzogen. Sie sah, wie zwei weitere Schiffe zusammenstießen. Eines der beiden wurde vom gegnerischen Rammsporn seitlich aufgeschlitzt, der zweifellos die Ruderer im Inneren zerquetschte und zermalmte. Agariste schluckte.

»Schaut mal!«, sagte Perikles und deutete nach unten. »Schaut mal da!«

Er hatte die Toten auch angestarrt, natürlich fasziniert. Agariste wusste, dass er keine Menschen in ihnen sah. Jungs mussten erst lernen, Mitgefühl zu empfinden, dachte sie. Männer waren langfristige Entwicklungsprojekte, wie die Türme in den Stadtmauern. Sie liebte ihn deswegen nicht weniger, sondern eher umso mehr, weil er sie so sehr brauchte. Plötzlich fiel ihr wieder ein, wie Perikles eine tote Krähe gefunden und sie auf dem Küchentisch seziert hatte. Agariste war hinzugekommen, als er gerade ehrfürchtig die Knochen eines Flügels auseinandergespreizt hatte.

Sie schüttelte die Erinnerung ab und folgte mit dem Blick seinem ausgestreckten Finger zu einer Stelle, wo zwischen allem anderen ein dunkler Fleck in der Brandung schaukelte.

»Ich glaube, das ist Konis!«, sagte er. »Nein, ich bin mir sicher, dass er es ist.«

Der Hund ihres Gemahls. Agariste war nicht sicher, was sie bei seinem Anblick empfand. Während seines Exils in Korinth hatte Xanthippos sich mit einer Einheimischen eingelassen. Sein Hund, der mit ihm zurückgekehrt war, hatte Agariste immer an diese Phase seines Lebens erinnert. Als er ins Meer gesprungen war, um hinter seinem Herrchen herzuschwimmen, war Agariste nicht allzu traurig gewesen. Ihr Mann hatte ausgesehen, als wäre er den Tränen nahe, doch er hatte angesichts der Perser, die um die Landspitze herumkamen, mit seinem Schiff voller Frauen und Kinder nicht anhalten und wenden können. Agariste war davon ausgegangen, dass der Mastiff an diesem Tag ertrunken war.

Perikles nutzte die kurze Unachtsamkeit seiner Mutter dazu, an Felsen hinunterzuklettern. Als er weg war, drehte sie sich zu Eleni und Ariphron um, die sie mit großen Augen flehend ansahen.

»Von mir aus«, sagte sie und wedelte die beiden weg. »Geht nachsehen. Kommt aber gleich wieder zurück!«

Während all ihre Kinder davoneilten, stand Agariste auf und strich sich den Sand von der Kleidung. Sie fühlte zahlreiche mehr oder weniger verhohlene Blicke auf sich ruhen. Agariste gehörte zur Familie Alkmaeonidae. Ohne die Insignien ihres Reichtums und ihrer Macht – ohne Gardisten, Sklaven oder hohe Mauern – fühlte sie sich vor den Leuten fast nackt. Als das Geflüster losging, biss sie die Zähne zusammen. Ihre Kinder rannten unten über den Strand zu einem braunen Fleck zwischen lauter toten Männern. Sie nickte und ging zu einem Pfad, der sie ebenfalls nach unten führen würde. Vielleicht lebte der Hund ja noch. Die Kinder brauchten etwas, worüber sie sich freuen konnten. Sie alle brauchten so etwas.

 

Themistokles ließ ihn nicht aus den Augen. Er hatte sein Leben und das seiner gesamten Besatzung riskiert, um einen einzigen Jungen an Land zu bringen, den Lehrling des Zimmermanns, der voller Tatendrang und sehr stolz auf seine Aufgabe war. Da sie kein kleines Boot besaßen, hatten sie erwogen, die Galeere auf den Strand zu rudern. Mittlerweile umschwirrten die persischen Soldaten ihren König jedoch wie Hornissen – und wie diese würden sie jeden angreifen, den sie als Bedrohung betrachteten. Eine Weile hatte es geschienen, als gäbe es für dieses simple Problem keine Lösung, doch dann hatte der Zimmermann Themistokles eine schmale Kiste aus Zedernholz gebracht und sie mit heißem Wachs versiegelt. Der Junge konnte schwimmen, und bei Poseidon, sie alle kannten diese Küste und die besten Stellen, um an Land zu gehen. Themistokles hatte den Jungen ins Wasser hinabgelassen. Die Kiste war an seinem Arm festgebunden gewesen und hatte hinter ihm auf den Wellen getanzt.

Sie waren in die Meerenge zurückgekehrt. Seine Ruderer hatten nach all den Strapazen noch immer schwer geatmet. Themistokles ließ den Trierarchen nach Bedrohungen Ausschau halten. Er selbst konzentrierte sich derweil voll und ganz auf die kleine Gestalt, die zu Xerxes unterwegs war, dem mächtigsten Mann der Welt, der in seinem Pavillon saß, während Athen hinter ihm brannte.

Kapitel 4

Xerxes blickte auf das schmuddelige Kind hinunter. Seine Wachen hatten den Jungen bei der Suche nach Waffen grausam verprügelt. Eingedenk der Schlacht, die sich vor ihren Augen abspielte, hatten sie befürchtet, dass irgendein Grieche dem Jungen Gift oder eine versteckte Klinge mitgegeben haben könnte. Die Wachsschicht um die Kiste hatten sie entfernt, die Kiste selbst geöffnet und entsorgt. Selbst das mehrlagige, nach Art der Ägypter aus getrockneten Binsen gefertigte Papier würde niemals mit der Hand des Königs in Kontakt kommen.

Der Junge lag mit einem Fuß auf dem Rücken und dem Gesicht nach unten zitternd auf dem Sand. Der Herold des Königs stand auf der Seite und wartete darauf, dass Xerxes ihm zunickte. Er war wegen seiner Fremdsprachenkenntnisse herbeizitiert worden und hielt sich mit neugierig funkelnden Augen bereit, die Worte eines Atheners zu übersetzen.

Xerxes nahm auf einem Thron aus Holz und Stoff Platz. Sein Pavillon flatterte über ihm. Die Vorderseite war komplett offen, damit er die vorbeifahrenden Triremen im Auge behalten konnte. Mardonius hatte ihm versichert, dass sie in seiner Gegenwart besser kämpfen würden. Angeblich spürten sie seinen Blick auf sich.

»Lies es mir vor«, sagte Xerxes.

Der Herold nahm sich einen Moment Zeit, um sich bäuchlings neben den Jungen zu legen, der ihn verwirrt ansah. Als der Mann sich erhob, machte der Bengel ebenfalls Anstalten aufzustehen. Der Soldat musste mehr Gewicht auf den Fuß verlagern, mit dem er ihn festhielt, um ihn auf dem Boden zu fixieren.

»Großkönig von Persien, Majestät …«, begann der Herold. Er sprach langsam, um die am besten geeigneten Worte zu wählen. Xerxes blickte interessiert auf. »Ich, Themistokles, schreibe als Freund … nein, Verbündeter muss es heißen. Es ist mir … eine Ehre, die Flotte für Athen und Griechenland zu befehligen. Ich will nicht, dass mein Volk vernichtet wird … nicht, wenn ich es verhindern kann.«

Xerxes beugte sich einen Moment lang vor. Dann erhob er sich von seinem Platz und ging beim Zuhören auf und ab. Der Junge wand sich. Er wusste nicht, was die in gehobenem Persisch vorgelesenen Worte bedeuteten.

»Mein Einfluss ist beschränkt, hochverehrte Majestät. Würde ich unsere Kapitulation erklären, würde man mich einfach austauschen, und die Schlacht ginge weiter. Dann würden zusammen mit meinem Volk auch viele zusätzliche Perser sterben. Stattdessen … flehe ich dich an. Ich ersuche dich als … Bittsteller. Deine Familie hat immer mit all jenen Nachsicht gezeigt, die um Gnade baten. Jetzt wäre dafür ein guter Zeitpunkt. Ich sehe Rauch von der Stadt aufsteigen, und ich weine.«

Xerxes unterbrach den Herold mit erhobener Hand und blickte auf die Meerenge. Er fragte sich, ob Themistokles ihn in diesem Moment von einem der Schiffe aus beobachtete, die wie Stechmücken auf dem Wasser hin und her flitzten. Er sah auch die Rümpfe und Ruder, die im tieferen Gewässer dahinter auf den Wellen schaukelten und wie frische Reservetruppen auf ihren Einsatz warteten. Xerxes verstand, wieso ein Grieche bei ihrem Anblick nervös werden könnte. Bisher war nur knapp ein Drittel seiner Kriegsschiffe in den Sund eingefahren. Noch mal doppelt so viele hielten davor die Stellung. Unversehrt, ausgeruht, vor Schwertern starrend. Ihre Kapitäne würden keine Gefahr für Leib und Leben scheuen, weil sie wussten, dass er von seinem Zelt am Strand aus zusah, wie sie für ihn kämpften. Und dass ihre Karrieren und das Schicksal ihrer Familien von dem Eindruck abhingen, den sie auf den König machten. Noch während er darüber nachdachte, sah er, wie die Ruderer auf zwei seiner Schiffe hektisch die Schlagzahl erhöhten, um im allerletzten Moment eine Kollision zu vermeiden.

Xerxes gab seinem Herold einen Wink. »Steht da noch mehr? Lies weiter.«

»Es sind noch ein paar Sätze, Majestät … Das Land dir gegenüber, das die Meerenge begrenzt, ist eine kleine Insel namens Salamis. Wenn du deine halbe Flotte außenrum schickst, kann sie auf der anderen Seite in die Meerenge einfahren. Sobald wir von deinen Schiffen eingekesselt sind, ist es mir möglich, in Würde zu kapitulieren. Ich bitte dich um Gnade. Und ich bete darum, dass wir beide uns in Ehren wiederbegegnen werden. Die Unterschrift lautet Themistokles, Majestät.« Der Herold drehte den Papyrus um und suchte nach weiteren Worten oder geheimen Symbolen, doch die Rückseite war leer.

»Holt General Mardonius. Und auch ein paar meiner griechischen Verbündeten. Sie sollen mir sagen, ob Salamis wirklich eine Insel ist. Irgendjemand muss es wissen.«

Einer seiner Wächter rannte los, um den Willen des Königs zu erfüllen. Der Herold wartete mit geneigtem Kopf auf neue Befehle. Der Schiffsjunge hatte seinen Widerstand inzwischen aufgegeben und zeichnete mit den Fingern Muster in den Sand.

Xerxes lächelte bei diesem Anblick. Er war auch einmal so jung gewesen. Natürlich hätte sein Vater ihn für so eine Unaufmerksamkeit verprügelt. Doch Xerxes sagte dem Wächter, dass er den Jungen zur nächstgelegenen Lagerküche bringen und ihm etwas zu essen geben solle. Der Brief hatte ihn mit Wohlwollen erfüllt. Sein Vater hatte die Griechen also doch durchschaut! Es war tatsächlich möglich, ihre Anführer zu brechen. Gold und die Aussicht auf Gnade waren genauso viel wert wie eine ganze Armee.

Mardonius erschien erst am Nachmittag. Seinem geröteten Gesicht nach zu urteilen, war er gerannt. Xerxes fiel auf, dass die Thebaner, die ihn begleiteten, entwaffnet worden waren. Seine Wächter waren klug genug, um nicht einmal seine vertrauenswürdigsten Verbündeten mit Schwertern und Speeren zu ihm vorzulassen.

Den Herold hatte er nicht wegtreten lassen. Er stand noch immer an derselben Stelle. Seine Beine zitterten vor Erschöpfung. Xerxes ließ ihn den Brief mit krächzender Stimme auf Griechisch vorlesen, da er die Reaktion der Thebaner darauf sehen wollte. Als der Herold fertig war, bat einer von ihnen, selbst einen Blick darauf werfen zu dürfen. Xerxes hob die Brauen. Männer, die lesen konnten, hatten Seltenheitswert. Er gestattete es und sah zu, wie der Thebaner die Worte eines nach dem anderen leise vor sich hin murmelte, als wollte er ihren Geschmack prüfen.

Schließlich zuckte der Mann die Achseln und gab dem Herold den Papyrus zurück. »Ich habe von Themistokles gehört, kenne ihn aber nicht persönlich, Majestät.« Der Thebaner wartete ab, während der Herold für den König übersetzte. »Es stimmt, dass Salamis eine Insel ist. So viel kann ich bestätigen, da ich in meiner Jugend mal diesen Hafen besucht habe.«

»Und hältst du sein Kapitulationsangebot für vertrauenswürdig?«

Während Xerxes’ Frage auf Griechisch wiederholt wurde, hatte er erneut Gelegenheit, die Reaktionen der Thebaner zu beobachten. Sie sahen einander fragend an. Sie waren Griechen, die beschlossen hatten, lieber persisches Gold anzunehmen, als die Speere gegen seine Armee zu erheben, und somit in seinen Augen keine vollwertigen Menschen. Er fragte sich, ob derartige Kreaturen wirklich die Beweggründe von stolzen Männern beurteilen konnten, die zur See fuhren und über Land marschierten, um einem Feind entgegenzutreten, den sie unmöglich besiegen konnten.

»Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, Majestät, aber ich glaube schon. Der Plan, den er vorschlägt, würde die Schlacht sicher beenden. Keine Armee kann an zwei Fronten kämpfen.«

Xerxes nickte langsam, während der Herold alles wiederholte, was der Thebaner gehört hatte. Anschließend gestattete der junge König seinen Verbündeten mit einem Wink, ihm zu huldigen, und wartete geduldig ab, während sie sich flach auf den Boden legten und um ein langes Leben für ihn beteten. Er fragte sich, ob ihnen klar war, dass er ihnen damit eine Ehre erwies und sie für ihre Dienste belohnte. Mit derartigen Feinheiten schienen die Hellenen nichts anfangen zu können. Zumindest nicht diejenigen, die er befehligte. Nachdem seine Wachen sie hinausgeführt hatten, wandte er sich zu Mardonius um. »Er verspricht sehr wenig, dieser Themistokles. Er führt den Befehl, behauptet jedoch, dass er sich nicht ergeben kann. Andererseits schlägt er mir eine Möglichkeit vor, diese Schlacht vorzeitig zu beenden. Was rätst du mir?«

»Wir sind stark genug, um es zu versuchen«, erwiderte Mardonius. »Im Erfolgsfall würden wir damit sicher Tausenden das Leben retten. Vielleicht ist es das wert. Ich weiß es nicht. Wir müssten uns überlegen, wie wir mit den griechischen Gefangenen umgehen. Würdest du ihnen erlauben, in ihre Stadt zurückzukehren? Meine Männer reißen gerade ihre Mauern ein.«

»Und sie werden als Symbol für ihre Kapitulation eingerissen bleiben«, sagte Xerxes. »Ich muss das Meer nicht unbedingt rot färben, Mardonius. Ja, ich bin gekommen, um Vergeltung zu üben, aber was will ich am Ende dieses Feldzugs hinterlassen? Nur Asche und Knochen? Was würde mein Vater dazu sagen?«

Mardonius dachte einen Moment lang nach. Ihm war bewusst, dass von seinen nächsten Worten möglicherweise das Überleben ganzer Völker abhing. »Ich glaube … Seine Majestät König Dareios hätte ein eindrucksvolles Exempel an ihnen statuieren wollen, um nie wieder in den Westen zurückkehren zu müssen. Danach hätte er sich wahrscheinlich nicht mehr viele Gedanken über sie gemacht. Ich nehme an, Seine Majestät hätte sich mit persischen Gouverneuren und Garnisonen und Steuern für die königliche Schatzkammer zufriedengegeben. Dein Vater hat viele Nationen erobert. Mit der Zeit wurden sie zu den loyalsten Provinzen des Großreichs. Sie entsenden Soldaten, die in deiner Armee kämpfen, und hissen die Farben und Symbole deines Hauses stolz über ihren eigenen Bannern. Doch die Entscheidung liegt bei dir, Majestät. Sein Urteilsvermögen lebt in dir fort. Ich weiß, dass du ihn mit jedem Atemzug ehrst.«

Xerxes lächelte und fasste seinen General an der Schulter. »Also gut. Signalisiere meinem Flaggschiff, dass sie ein Boot zu Wasser lassen sollen, um die neuen Befehle abzuholen. Kapitän Isvant soll … dreihundert Kriegsschiffe um die Insel Salamis herumführen. Nach einem ganzen Vormittag voller Müßiggang wird ihnen ein bisschen rudern guttun! Sie sollen vom westlichen Ende aus in die Meerenge einfahren, den Feind aber nicht angreifen. Wir warten ab, ob dieser Themistokles Wort hält und tatsächlich kapituliert. Vielleicht werde ich ihn sogar treffen.«

Mardonius ließ sich auf den Sandboden fallen. »Und was ist mit den Frauen und Kindern auf der Insel? Wirst du sie gnädig behandeln?«