Auf allen deinen Wegen, erkenne Ihn! - János Darvas - E-Book

Auf allen deinen Wegen, erkenne Ihn! E-Book

János Darvas

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

János Darvas unternimmt in seinem Buch eine Heranführung an Grundelemente der jüdischen Spiritualität. Wir lernen die Kabbala und die Lehre von den zerbrochenen Gefäßen kennen und erfahren von den Übungswegen des Chassidismus. Einen weiteren Schwerpunkt bildet eine Einführung in die zehn Sefirot und die Offenlegung ihrer dreigegliederten Struktur. Wir tauchen ein in die jüdische Interpretationskunst und lernen nebenbei sogar ein wenig Hebräisch. Das alles geschieht nicht nur auf Grundlage soliden Wissens, sondern auch mit persönlichem spirituellem Engagement. Immer wieder lässt uns der Autor unmittelbar an Wegen der Übung für unser bewusstes Denken, Fühlen und Wollen teilhaben. Den Vergleichsrahmen seiner Betrachtungen bildet dabei die Anthroposophie Rudolf Steiners. So entsteht ein überraschender „Trialog“ zwischen esoterischem Judentum, philosophischen Lebensfragen und anthroposophischen Ausblicken. Ein außergewöhnliches Buch.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 149

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



János Darvas Auf allen deinen Wegen, erkenne Ihn!

ISBN E-Book 978-3-95779-181-8

ISBN gedruckte Version 978-3-95779-180-1

Diesem E-Book liegt die erste Auflage 2023 der gedruckten Ausgabe zugrunde.

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage 2023

© Info3 Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG Frankfurt am Main, 2023

Lektorat: Jens Heisterkamp, Frankfurt am Main Typographie und Satz: de·te·pe, Ulrich Schmid, Aalen

Über dieses Buch

János Darvas unternimmt in seinem Buch eine Heranführung an Grundelemente der jüdischen Spiritualität. Wir lernen die Kabbala und die Lehre von den zerbrochenen Gefäßen kennen und erfahren von den Übungswegen des Chassidismus. Einen weiteren Schwerpunkt bildet eine Einführung in die zehn Sefirot und die Offenlegung ihrer dreigegliederten Struktur. Wir tauchen ein in die jüdische Interpretationskunst und lernen nebenbei sogar ein wenig Hebräisch.

Das alles geschieht nicht nur auf Grundlage soliden Wissens, sondern auch mit persönlichem spirituellen Engagement. Immer wieder lässt uns der Autor unmittelbar an Wegen der Übung für unser bewusstes Denken, Fühlen und Wollen teilhaben. Den Vergleichsrahmen seiner Betrachtungen bildet dabei die Anthroposophie Rudolf Steiners. So entsteht ein überraschender „Trialog“ zwischen esoterischem Judentum, philosophischen Lebensfragen und anthroposophischen Ausblicken.

Ein außergewöhnliches Buch.

Über den Autor

János Darvas geboren 1948 in Budapest, studierte Philosophie in Wien und Paris. Er unterrichtete über vier Jahrzehnte an Waldorfschulen und an Waldorflehrerseminaren in Frankreich, der Schweiz und Deutschland. Er war maßgeblich an der Entwicklung der Waldorfschulbewegung in Ungarn beteiligt, wo er bis heute als Berater und Dozent tätig ist. Er ist Autor zahlreicher Beiträge über kulturelle, zeitgeschichtliche, ethische und religiöse Themen. Seine Erkundungen an Schnittstellen von Religion, Philosophie und Esoterik zielen darauf, Fundamente einer alle Kulturen übergreifenden Spiritualität auszuloten. Im Info3-Verlag erschien von ihm das Buch Gotteserfahrungen. János Darvas lebt in Eckernförde, Schleswig-Holstein.

Inhalt

Vorwort

Kapitel IDae’hu – Alte Wege, neue Wege

Kapitel IISchiwiti – Vertrauen und Schauen

Kapitel IIINa’asseh we-nischma – Mysterium des Tuns

Kapitel IVBrit olam – Ein ewiger Bund?

Kapitel VSefirot – Lebensbaum und Jakobsleiter

Kapitel VIJichudim – Vereinigungen

Kapitel VIIMussar – Transformative Selbsterziehung

Kapitel VIIIEhje – Der Weg des „Ich bin“

Auswahl weiterführender Literatur zur jüdischen Mystik und Spiritualität

Vorwort

Wer einen jüdischen Freitagabend-Gottesdienst besucht – kabatat schabat, „Empfang des Schabats“ – wird an einer bestimmten Stelle an einem sonderbaren Brauch teilnehmen. Am Ende eines längeren Gesanges dreht sich die Gemeinde um, die Anwesenden verbeugen sich und singen: Bo’i we-schalom gam be-simcha …, bo’i kala, bo’i kala- „Zieh ein in Frieden und Freude, … zieh ein, meine Braut, meine Braut, zieh ein.“ Diese poetisch-mystische Vereinigungshymne gehört zu einem Fundus von Schabat-Gesängen, die von Kabbalisten im 16. Jahrhundert geschaffen worden sind. Sie sind in den meisten Synagogen im Gebrauch. Das heißt nicht, dass alle Juden, die in diesen Gesang einstimmen, Mystiker sind. Manche werden freundlich abwinken, wenn man ihnen mit Mystik kommt, und erklären, solche Bräuche seien einfach Tradition, und Traditionen gehören nun ein einmal zum jüdischen Leben dazu. Die Symbolik rege das Gemüt und die Fantasie an, mit etwas Realem hätten sie nichts zu tun.

Die Empfindung einer Vereinigung mit einer himmlischen Braut war in früheren Zeiten für die meisten Betenden sicherlich etwas, woran sie wirklich glaubten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts ist das verblasst. Man verstand das Judentum damals gern als bürgerlich aufgeklärte Vernunftreligion. Nun ist aber nach überlieferter Lehre die „Braut Schabat“ ein himmlisches Wesen. Es senkt sich an diesem wichtigsten Feiertag eine neschama jetera, eine „zusätzliche Geistseele“ auf die Gläubigen herab. Dass so etwas später nicht mehr empfunden wurde, hängt mit der Entwicklung einer neuzeitlichen Konfiguration der Seele zusammen. Sie ist stark auf äußere Objekte bezogen. Mystische Ambienten werden nicht mehr als Wesensbegegnungen erlebt. Sofern sie noch nachklingen, wird ihnen höchstens psychologische Bedeutung zugeschrieben. In früheren Zeiten war, was an Formeln, Gesängen, rituellen Handlungen geübt wurde, mit dem Glauben und der Empfindung einer unsichtbaren Präsenz verbunden. Im europäischen und amerikanischen Mainstream-Judentum verfiel Mystisches in einen längeren Dornröschenschlaf, aus dem es allmählich wiedererwacht. Spirituelle Dimensionen des Daseins oder der Seele werden heute wieder ernst genommen. Ein Beispiel sind die Engel. Serafim, Cherubim, Ofanim, waren aus Gebetbüchern des Reformjudentums verschwunden. In den letzten Jahren, wo Engel wieder „in“ sind, wurden Gebete, in denen sie aufgerufen werden, in die Liturgie da und dort wiederaufgenommen.

*

Als mich Jens Heisterkamp nach einem Vortrag von mir mit dem Titel „Heiliger Humanismus“ über Impulse des Religionsphilosophen Abraham Joshua Heschel fragte, ob ich nicht ein Buch über jüdische Mystik und Anthroposophie schreiben könnte, sagte ich spontan zu. Ich lebe seit Jahrzehnten mit Anregungen, die ich aus dem Judentum und aus der Anthroposophie Rudolf Steiners aufnehme. Ich bin ein Leben lang auch offen geblieben für Weisheitslehren aus anderen religiösen und philosophischen Quellen. Wer verschiedene Sprachen lernt, wird in der eigenen intimer zu Hause sein und umsichtiger mit ihr umzugehen lernen. Ohne die Konvergenzen oder Dissonanzen aus den Idiomen diverser Kulturen hätte ich es schwerer gehabt, meinen Weg so zu gehen, wie es meiner Neigung entspricht: in freier, individueller Gestaltung.

Ich bin im Judentum aufgewachsen. Von dort habe ich Prägungen erhalten – und behalten. Die waren durchaus religiös, aber nicht streng traditionell. An jüdischer Mystik habe ich schon am Ende meiner Schulzeit in Wien und zu Beginn meines Studiums in Paris Interesse gefunden. Ich las Werke Martin Bubers und Bücher, die in die Grundlagen der Kabbala einführten und die in Frankreich relativ leicht zu finden waren.

Gegen Ende meines Philosophiestudiums kam ich mit der anthroposophischen Heilpädagogik in Kontakt und wurde dort als Erzieher und Lehrer tätig. Die innere Orientierung, die ich mir aus Chassidismus und Kabbala holte, bildeten eine Brücke zum Ethos, das ich in dem neuen Milieu kennen lernte. Die chassidische Frömmigkeit, die sich auch den kleinen Dingen zuwendet um sie zu heiligen, schien mir aus derselben intimen Quelle zu stammen, wie die „Andacht im Kleinen“, die Rudolf Steiner den Heilpädagogen als Haltung anempfohlen hat. Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen – für Martin Buber menschenkundlich-ethische Grundlage einer wahren Pädagogik – stand hier, so empfand ich, im Mittelpunkt des pädagogischen Tuns. Kabbalistische Lehren von den Polaritäten in der menschlichen Seele, die es zu gestalten gilt, halfen mir, mit Schwierigkeiten meiner ersten Klassenführung fertig zu werden.

Es zeigte sich bald, dass die Anthroposophie einen soliden erkenntnistheoretischen Unterbau besitzt. Das war etwas, woran ich anknüpfen konnte. Mit Hegels Denken und der von Husserl angeregten Phänomenologie war ich durch mein Philosophiestudium vertraut. Seit mehreren Jahren hatte ich die Frage mit mir herumgetragen, ob es möglich sei, mystische Erfahrungen mit einer Phänomenologie der „normalen“ kognitiven Vorgänge so miteinander zu verbinden, dass daraus eine Art meditative Disziplin entstünde. Nun stieß ich auf Steiners Philosophie der Freiheit und andere Texte von ihm, die genau dies vorexerzierten. In der Folge sind die Schriften Rudolf Steiners für mich sehr fruchtbar geworden, vor allem seine Methodik, aber auch durch einzelne Anregungen.

Vor knapp einem Vierteljahrhundert habe ich, neben anderen Themen, damit begonnen, Essays über Jüdisches zu publizieren. Ich wollte versuchen, das durchaus mangelhafte Bild des Judentums, wie es im anthroposophischen Milieu kursierte, zu korrigieren. Ich begann mit einem Beitrag in der Zeitschrift info3, der unter dem Pseudonym Samuel Ichmann erschienen ist: „Was Gott ist – oder auch nicht. Anmerkungen eines jüdischen Waldorflehrers.“ Mit dem Buch Gotteserfahrungen habe ich mich dann unter meinem bürgerlichen Namen geoutet. Dort gehe ich der Frage nach einer spirituellen Ökumene der Weltreligionen nach – Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus – und welchen Beitrag die Anthroposophie dazu leisten könnte.

Verständnis für das Judentum zu wecken ist und bleibt dringlich, weil auch heute noch unreflektiert Jahrhunderte alte theologische Vor- und Fehlurteile weitertransportiert werden. Die Ansicht, dass das Judentum ein Überbleibsel sei, dessen Rolle durch das Christentum obsolet geworden ist, hat mittlerweile bei Katholiken und Protestanten keine offizielle Geltung mehr. Führende Theologen gestehen ein, dass der traditionelle Antijudaismus im Kirchenchristentum eine schwere Belastung ist, die sich letztlich als zerstörerisch für die wahre Substanz christlichen Lebens erweisen musste. In der Folge der Schoa werden seit Ende des Zweiten Weltkriegs die eigenen jüdischen Wurzeln und die heilsgeschichtliche Rolle des jüdischen Volkes radikal neu bewertet.

Im anthroposophischen Milieu ist diese Neubewertung noch in den Anfängen. Dabei bieten die Methoden der Anthroposophie fruchtbare Erkenntnismittel dafür. Damit meine ich nicht einzelne Aussagen Steiners über das Judentum. Sie sind sehr unterschiedlich, zum Teil zeit- und situationsbedingt. Ralf Sonnenberg hat in dem im Info3 Verlag erschienen Band Anthroposophie und Judentum einen Überblick und eine Bewertung dieser Aussagen vorgelegt. Ein ganz anderer Ansatz ist es, sich auf die Frage einzulassen, inwiefern die Erkenntnismittel der Anthroposophie in der Lage sind, die spirituellen Dimensionen des Judentums zu beleuchten und inwiefern umgekehrt das Judentum spirituelle Bestrebungen der Gegenwart, zu denen die Anthroposophie einen markanten Beitrag leistet, bereichern und vertiefen kann. Die Konvergenzen, die für mich so sichtbar werden, betreffen den intimsten Kern unseres Menschseins überhaupt.

So machte ich immer wieder publizistisch Versuche, ein treffenderes Bild des Judentums zu vermitteln, als es bislang gängig war. Es gab wenig Echo bisher. Debatten fanden kaum statt. Persönliche Rückmeldungen von qualifizierten Lesern ermutigen mich umso mehr, dieses Projekt weiter zu verfolgen.

Das Judentum ist nicht nur bei Anthroposophen etwas wenig Bekanntes – auch manche Juden und fast alle NichtJuden kennen es nur oberflächlich. Klischees über Klischees werden von Generation zu Generation weitergegeben. Das betrifft das exoterische Judentum ebenso wie das esoterische, seine materiellen, historischen, soziologischen Aspekte ebenso wie seine Spiritualität. Das Panorama ist riesig und divers. Mystik und Weltlichkeit, Liberalität und Fundamentalismus – die Kontraste sind groß. Auch Mystik und Kabbala sind nicht aus einem Guss, sind kein einheitliches System, sondern in einer Vielfalt von Varianten verstreut. Und doch gibt es eine spirituelle Lebensader, die das Ganze zu durchdringen scheint. Von dieser Lebensader her lässt sich vielleicht manches Fehlurteil gegenüber dem, was jüdisches Denken und Fühlen ist, korrigieren. Spirituell ist dabei nicht allein Mystik und Esoterik des Judentums, sondern dessen religiöse, ja dessen kulturelle Konfiguration insgesamt. Weil die mystischen Strömungen in diesem Gesamt eingebettet sind, wird im Folgenden nicht nur von Mystik im engeren Sinn die Rede sein können. Im Judentum sind, wie der Religionsphilosoph und Kabbala-Kenner der späten Goethezeit Franz Joseph Molitor bemerkt hat, exoterische und esoterische Aspekte nicht scharf voneinander getrennt.

*

Das Wort „Mystik“ ist freilich ein Stolperstein. „Mystisch“ scheint alles Mögliche zu sein, was sich dem rational Greifbaren entzieht. Oft sind ekstatische Einheitserlebnisse damit gemeint, weg von Erde, Welt und Leiblichkeit. War aber Hegel – dem Denken viel, Schwärmerei oder Ekstase wenig bedeutete – nicht ein Gedankenmystiker, wie es Rudolf Steiner oder Karl Jaspers andeuten? Rudolf Steiner und Martin Buber haben sich, obwohl sie mit Mystik viel zu tun hatten, gelegentlich von Mystik distanziert, wohl um ihre spirituellen Intentionen nicht dem Missverständnis auszusetzen, sie verwiesen auf ein weltflüchtiges, selbstbezogenes Wolkenkuckucksheim. Dass Gershom Scholem sein bahnbrechendes Buch Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen betitelt hat, wird jedoch seine Gründe gehabt haben. Genau besehen ist dort hauptsächlich von Kabbala die Rede, deren Haupttendenz er selbst als „Theosophie“ charakterisiert. Moshe Idel, der Scholems Forschungen fortgesetzt, ergänzt und zum Teil korrigiert hat, unterscheidet zwei Hauptvarianten der Kabbala: eine theosophische und eine ekstatische.

Der Ausdruck „Spiritualität“, den ich gerne gebrauche, ist für verschiedene Weisen geistiger Suche und Erfahrung offen. Vor allem verweist er auf Praxis und transformative Prozesse im Menschen. Der französische Philosoph Michel Foucault hat dafür eine konzise Formulierung gefunden. Spiritualität ist für ihn „das Suchen, das Praktizieren und die Erfahrung, durch die das Subjekt an sich selbst die notwendigen Transformationen vornimmt, um Zugang zur Wahrheit zu erlangen.“ In meinen Streifzügen durch Judentum, Philosophie und Anthroposophie steht dieser Aspekt im Vordergrund.

Religion ist nicht Philosophie. In ihren spirituellen, mystischen, esoterischen Bezirken wird sie es aber auf ihre Weise und leiht sich – ausgesprochen oder unausgesprochen – Hilfsmittel von ihr. Philosophie ist nicht Religion. Philosophie gerät aber in den Orbit von Religion, denn sie kommt, konsequent betrieben, an die Schwelle von Bereichen jenseits des Rationalen. Anthroposophie ist beides nicht, sondern ein eigenes spirituelles Lebens- und Forschungsprojekt. Sie steht aber der Philosophie nahe, denn ihre Methoden gehen aus Grundlagen hervor, die im philosophischen und wissenschaftlichen Erkennen erarbeitet werden, nicht in der Religion. Auf die geht sie zu, denn sie regt Fähigkeiten an, die mit solchen, die durch Religion gewonnen werden, verwandt sind und führt zu Ausblicken, von denen auch religiöse Schriften berichten. Mit den esoterischen Aspekten des Judentums hat sie selbstverständlich Vieles gemeinsam, weil sie selbst Esoterik ist – nicht im Sinne des heute oft abwertenden Gebrauchs des Wortes, sondern als eine seriöse Forschungsrichtung, die dem eigentlichen Wortsinn gemäß auf Innendimensionen der Wirklichkeit ausgerichtet ist.

Im „Trialog“ von spirituellem Judentum, philosophischen Fragen und anthroposophischen Ausblicken bewege ich mich auf den folgenden Seiten. Ich werde versuchen, Wissenswertes so sachgemäß wie möglich zu vermitteln. Das kann ich aber nicht „wertfrei“ machen. Wer sich auf solchen Wegen bewegt, tut das nicht als neutraler Beobachter. Deshalb haben meine Darstellungen einen persönlichen Zug, sowohl durch die Auswahl der Motive, als auch durch die Art, wie ich interpretiere. Um den Sinn dieser Lehren konkret in Betracht zu ziehen, kommt man nicht umhin, die überlieferten Texte und Hinweise in ein individuelles Erlebnisfeld einzubringen. Spirituelle Praxis muss erst in einem solchen seelischen Feld entfaltet werden, um dann thematisiert werden zu können: als seelische Bewegung, als existenzielles Tun. Das funktioniert nur, wenn man zumindest anfänglich weiß, was man tut. Kurz: Man kann es nicht tun, ohne schon etwas davon zu verstehen, man kann es nicht verstehen, ohne es zu tun. Logisch gesehen ist das ein Zirkel, in der Praxis aber der einzig gangbare Weg. Man tritt in einen autodynamischen, sich selbst tragenden Prozess ein, in dem Schritte der Selbsttranszendierung vollzogen werden. Jedes Lernen funktioniert im Grunde so. Es könnte sein, dass wir es hier mit der Quintessenz von „Lernen“ überhaupt zu tun haben. In einem solchen Lernen findet bei meiner Herangehensweise die Berührung zwischen Philosophie, Anthroposophie und jüdischer Esoterik statt.

*

Ich gehöre keiner Kabbala-Schule, keiner chassidischen oder neo-chassidischen Gruppierung an. Ich bin auch kein akademischer Spezialist für jüdische Mystik. Dieses Buch handelt von Erfahrungen und Einsichten, die ich als suchender Mensch an der jüdischen Spiritualität gewonnen habe. Historische, philologische, philosophisch gestützte Esoterikforschung – für mein Anliegen hier vor allem Kabbalaforschung – ist jedoch von großem Wert, weil sie, neben dem umfangreichen Material, das sie zugänglich macht, zur seelischen Distanz erzieht, die heute auch spirituell unverzichtbar ist. Das Subjektive ist naturgemäß jedem spirituellen Suchen eigen. Man ist ja als ganzer Mensch darin involviert. Man sucht dabei aber nach etwas, was Wahrheit, was Wirklichkeit ist. Ohne zureichenden Willen zur Objektivität, vor allem sich selbst gegenüber, kommt man auf Abwege. „Man muss sich der Idee erlebend gegenüberstellen, sonst gerät unter ihre Knechtschaft“, notiert Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit.

Dass sich Objektivität und Empathie nicht ausschließen, kann man an den Protagonisten der wissenschaftlichen Kabbalaforschung beobachten. Viele von ihnen sind oder waren spirituell Interessierte oder Suchende – was andere wiederum kritisch hinterfragen. Gershom Scholem, der Begründer der neueren Kabbalaforschung, charakterisierte Mystik als „eine Begegnung mit dem absoluten Sein in den Tiefen der eigenen Seele“, Arthur Green definierte sie als eine religiöse Anschauung, die nach einer inneren Erfahrung des Göttlichen sucht und zu diesem Zweck ein Leben der Innerlichkeit kultiviert. Rachel Elior sprach davon, dass Mystiker tief in die Psyche eindringen, um „eine Realität zu erreichen, die mit den Mitteln der gewöhnlichen menschlichen Erkenntnis nicht erfasst werden kann“. Aufschlussreich ist eine Mitteilung Scholems an seinen Verleger. In einem Brief an Zalman Schocken aus dem Jahr 1937 schrieb er: „Ich bin zu dem Entschluss gekommen, nicht die Geschichte, sondern die Metaphysik der Kabbala zu schreiben“. Im selben Brief ergänzt er das mit dem Statement, er wolle die Kabbala entschlüsseln, um „durch die symbolische Ebene und durch die Mauer der Geschichte zu dringen. Denn der Berg, der Tatsachenkorpus, bedarf keines Schlüssels; nur die neblige Wand der Geschichte, die ihn umgibt, muss durchdrungen werden. Sie zu durchdringen, war die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte.“ „Diese Pläne“, so Moshe Idel, sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl der Hebräischen Universität Jerusalem (der einen Auszug aus diesem Brief veröffentlicht hat), „waren mehr als nur akademische Bestrebungen; es ist schwer, die erfahrungsbezogenen Aspekte des Programms zu übersehen, das der reife Scholem für seine eigenen akademischen Forschungen vorgesehen hatte. Die Kabbala ist nach der obigen Erörterung mehr als eine Literatur, die für das Verständnis der jüdischen Religion, Kultur oder Geschichte wichtig ist; sie ist ein spiritueller Weg zur Erlangung der Wirklichkeit durch den Gelehrten.“

Gerschom Scholem, Moshe Idel, Shaul Maggid, Charles Mopsik – diesen und anderen geharnischten, aber spirituell offenen Gelehrten habe ich viel zu verdanken. Unentbehrlich ist mir freilich auch der Umgang mit Primärquellen. Wegbegleiter sind mir insbesondere Teile des Sefer Ha-Sohar, des Sohar oder Buch des Glanzes, Scha’are Orah, die Pforten des Lichts von Joseph Gikatilla, Tzava’at Ha-Riwasch Das Testament des Baal Schem Tow und auch Texte aus dem Talmud und Midrasch. Zum fortlaufenden Lesen sind mir Übersetzungen dienlich gewesen. Motive daraus haben in meine meditativen Bemühungen Eingang gefunden. Ohne den Umgang mit der jüdischen Liturgie und den Büchern der hebräischen Bibel, die mir in der Originalsprache zugänglich sind, hätte meiner Beschäftigung mit jüdischer Esoterik der Boden gefehlt, auf dem sie wächst, und dem sie zugleich Leben zuführt.

Als spirituell Suchender und als Zeitgenosse mache ich Grenzerfahrungen. Sie fordern mich heraus. Ich möchte vor ihnen weder einfach stehenbleiben noch zurückweichen. Ich muss sie beachten. Wenn Kabbala, Philosophie, Anthroposophie oder was immer auch an diesen Grenzen Klärung und Kraft vermitteln, weil sie selbst an diesen Grenzen gewonnen worden sind, dann nehme ich das, was ich von ihnen lernen kann, dankbar entgegen. In allen drei Bereichen habe ich es mit Traditionen – sehr alten, oder neueren – zu tun. Ohne Gespräch mit der Tradition geht es nicht, besonders, was das Judentum anbelangt. Überlieferung ist für mich eine unerlässliche Orientierungshilfe, aber keine heilige Kuh. Der große jüdische Theologe Mordechai Kaplan hat es im Geiste eines progressiven Judentums treffend so ausgedrückt: „Tradition has a vote, but no veto.“