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Dieses praxisorientierte Buch macht Mut, auf dem Weg in den Ruhestand Ängste zu überwinden, den eigenen Wert neu zu entdecken und so den Ruhestand aktiv und erfüllend zu gestalten. Der Eintritt in den Ruhestand wird von vielen als ein extremer Bruch in der eigenen Biografie erlebt. Da werden Pläne geschmiedet und Hoffnungen formuliert. Aber der Ausstieg aus dem Berufsleben ist auch mit Ängsten verbunden, denen die Autorin begegnet mit Themen wie: - Aufbruch in die "späte Freiheit" - Raum für Abschiedsschmerz - Die 7 Phasen des Übergangs - Ein persönliches Ritual finden - Ruhestandtypen - welcher bin ich denn? Das Buch will ein Reisebegleiter sein aus dem aktiven Arbeitsleben in einen erfüllenden Ruhestand. Ein Buch aus der Praxis für die Praxis. Von der Autorin erfolgreich erprobt in Seminaren zum Thema Ruhestand.
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2025
Britta Laubvogel
Ein praktischer Begleiter
Britta Laubvogel, geb. 1957, ist Diplom-Sozialpädagogin, war zuletzt tätig als Bildungsreferentin im Evangelischen Dekanat Wetterau. Sie ist Geistliche Begleiterin, Pilger-Begleiterin und Autorin. Seit 2006 ist sie verwitwet, hat drei erwachsene Töchter und einen erwachsenen Sohn.
Die zitierten Bibelverse sind folgenden Übersetzungen entnommen: Hoffnung für alle®, © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis. Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart Die 5 Bücher der Weisung; Buber/Rosenzweig, © 1976, Verlag Lambert Schneider GmbH, Gerlingen
Weitere Zitate mit freundlicher Genehmigung: S. 33 Stufen. Aus: Hermann Hesse, Stufen. © Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2023 (6. Auflage), S. 187. S. 56 Abschied nehmen. Spilling-Nöker, Christa. Aus: Schmeiser, Martin; Pfeffer, Monika und Andreas (Hrsg.); Lass meine Seele aufatmen. © 1998. 2 Auflage, Verlag am Eschbach in der Verlagsgruppe Patmos der Schwabenverlag AG, www.verlag-am-eschbach.de. S. 144 An der Schwelle ein Engel. Aus: Thies Gundlach: Lass dich finden von meiner Sehnsucht – Gebete für alle Lebenslagen © Gütersloher Verlagshaus GmbH, Gütersloh 2004
© 2025 Brunnen Verlag GmbH
Gottlieb-Daimler-Straße 206, 35398 Gießen
www.brunnen-verlag.de
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Lektorat: Stefan Loß
Umschlagfoto: Adobe Stock
Umschlaggestaltung: Jonathan Maul
ISBN-Buch 978-3-7655-3368-6
ISBN-E-Book 978-3-7655-7775-8
Vorwort
Prolog
Babyboomer gehen in den Ruhestand
Bilder vom Übergang
Loslassen
Rückblick
Übergangszeit – Schwellenzeit
Zeit der Wandlung
Vom Chronos zum Kairos
Wesentlich werden
Ankommen – Aufbruch zur späten Freiheit
Sinn-erfüllt weitergehen
Im Aufwind guter Ideen
Innere Stärke finden
Die sieben Phasen des Übergangs
Ruhestandstypen – und wer bin ich?
Geistliche Impulse I
Geistliche Impulse II
Geistliche Impulse III
Literaturnachweis
Endnoten
„Können Sie sich vorstellen, zu meinem Buch ein Vorwort zu schreiben?“ Als mich die Anfrage von Britta Laubvogel erreichte, war ich zusammen mit meiner Frau gerade mitten im Umzug. Während meines Dienstes als Pfarrer und in den letzten 16 Jahren als Kirchenpräsident in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau haben wir immer in Dienstwohnungen gewohnt. Im Februar sind wir erstmals in ein eigenes Haus gezogen. Mein Ruhestand hat am 1. Januar 2025 begonnen. Mit dem regulären Ablauf meiner zweiten Amtszeit als Kirchenpräsident wurde ich zum Ende des vergangenen Jahres in den Ruhestand versetzt. Ich hatte das so beantragt. Der Januar fühlte sich aber noch so gar nicht nach Ruhestand an. Wir bereiteten den Umzug vor. Das bedeutete: aussortieren, wegschmeißen, Kisten packen. Nebenbei erfolgte die Amtsübergabe an meine Nachfolgerin. Gemeinsam bereiteten wir mit anderen den Gottesdienst zur Verabschiedung und zur Einführung vor. Es war ein Gottesdienst im Übergang vom Alten zum Neuen, der mich persönlich sehr bewegt hat. Nach dem Gottesdienst, der Ende Januar gefeiert wurde, rollten dann die Umzugswagen.
Britta Laubvogel fragte mich als ehemaligen Kirchenpräsidenten an und damit als Repräsentanten der Kirche, für die sie gearbeitet hat. Vieles, was sie in dem Buch schreibt, ist aus der Bildungsarbeit unserer Kirche heraus entstanden. Sie hat in den letzten Jahren ihrer Berufstätigkeit begonnen, Seminare zum Ruhestand anzubieten. Seminare, in denen Menschen sich auf den Ruhestand vorbereiten oder in denen sie sich im Ruhestand orientieren konnten. Das hat mich beeindruckt. Und nach der Lektüre des Manuskriptes kann ich sagen: Es beeindruckt mich noch mehr, was sie dazu zusammengetragen hat: eigene und fremde Reflexionen, Erfahrungsberichte, literarische und geistliche Impulse. Und das alles in der Grundhaltung der erfahrenen Erwachsenenbildnerin. Sie belehrt nicht, sondern begibt sich selbst mit anderen auf die Suche und eröffnet so viele Möglichkeiten, den jeweils eigenen Weg zu finden.
Ich selbst habe dieses Buch sehr gern und mit großem Gewinn gelesen. Als Britta Laubvogels Anfrage zu diesem Vorwort kam, habe ich schon einen Moment gezögert. Mein erster Gedanke: Ich bin doch noch gar nicht im Ruhestand angekommen. Da kann ich doch nicht viel sagen. Ich musste in der Tat auch an Loriot denken, mit dem Britta Laubvogel ihr Buch beginnt. Loriot hat es in seiner unnachahmlichen Art auf den Punkt gebracht: „Entschuldigung, das ist mein erster Ruhestand. Ich übe noch.“ Ja, da finde ich mich sehr wieder.
In den letzten Wochen war ich gemeinsam mit meiner Frau sehr damit beschäftigt, unser neues Haus einzurichten. Meine Frau hat mit dem Ruhestand schon etwas mehr Übung. Sie ist seit anderthalb Jahren in der Passivphase der Altersteilzeit und das ist ja ein De-facto-Ruhestand. Für uns ist es eine neue Erfahrung, jetzt viel mehr Zeit miteinander zu verbringen. Auch das will eingeübt werden. Und noch manches mehr. Ich hatte für mich entschieden, mit dem Eintritt in den Ruhestand alle Ämter abzugeben. Einzelne Vorträge und Gottesdienste habe ich zugesagt. Ich will mir Zeit gönnen, mich in die neue Lebensphase hineinzufinden. Mich beschäftigt zurzeit vieles: Ich habe mehr Zeit, meine hochaltrige Mutter im Seniorenheim zu besuchen. Mein hochaltriger Schwiegervater lebt ebenfalls in unserer Nähe. Ende Februar ist unser drittes Enkelkind geboren. Es ist schön, mehr Zeit für die Enkelkinder zu haben, auch wenn die räumliche Distanz etwas größer ist. Da wir in unsere Heimatregion zurückgezogen sind, beginnen wir, alte Freundschaften und Kontakte wieder aufleben zu lassen. Ich spüre in mir das starke Bedürfnis, vor allem die Jahre als Kirchenpräsident noch einmal zu reflektieren: Wie war unser Weg als Kirche in dieser Zeit? Was habe ich mit auf den Weg gebracht? Wo bin ich an Grenzen gestoßen? Was habe ich vielleicht versäumt? Gibt es Erfahrungen und Einsichten, die ich weitergeben möchte? Dann geht mein Blick auch nach vorne: Wie viel Zeit habe ich wohl noch? Was möchte ich gerne erleben? Welche Bücher möchte ich lesen? Wo möchte ich mich weiter engagieren? In all dem begleitet mich der Gedanke, dass die Lebenszeit ein großes Gottesgeschenk ist – die vergangene, die gegenwärtige und die zukünftige Zeit. Dem möchte ich Raum geben in der Art, wie ich mein Leben gestalte.
Bei der Lektüre des Buches von Britta Laubvogel habe ich gemerkt, dass sie mich eben nicht nur als ehemaligen Kirchenpräsidenten gefragt hat, sondern vor allem wohl deshalb, weil ich zu der Zielgruppe ihres Buches gehöre. Und als ein solcher begebe ich mich selbst mit diesem Buch gerne weiter auf die Suche nach meinem Weg im Ruhestand und empfehle es mit Freude allen mit mir in der Boomer-Generation Verbundenen und allen, die sich für den Ruhestand interessieren, weiter.
Pfarrer i. R. und Kirchenpräsident a.D. Dr. Dr. h.c. Volker Jung
„Entschuldigung, das ist mein erster Ruhestand. Ich übe noch.“
Loriot
Dieses humorvolle und zugleich tiefsinnige Zitat von Loriot leihe ich mir gerne aus, wenn ich gefragt werde: „Wie geht es dir im Ruhestand?“
Für mich ist Ruhestand kein Ende, sondern der Anfang einer neuen Lebensphase. Es ist die Zeit, neue Wege zu gehen, Möglichkeiten zu entdecken, das Leben in einem neuen Tempo zu gestalten und zu genießen. Vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis eines gelingenden Ruhestands, wenn wir ihn als Lernprozess verstehen.
Macht Übung den Meister in der Kunst des Übergangs?
2019 rückte mein Übergang in den Ruhestand in sichtbare Nähe. Zuletzt war ich als Bildungsreferentin im Evangelischen Dekanat Wetterau beschäftigt. Meine Arbeit hat mir viel Freude gemacht. Ich konnte im Rahmen der Erwachsenenbildung Seminare zu unterschiedlichen Lebensthemen entwickeln, gestalten und durchführen. Es waren oft kreative Prozesse, die mir eine innere Zufriedenheit gegeben haben. Das sollte nun zu Ende gehen.
Einen abrupten Ausstieg aus der Bildungsarbeit konnte ich mir nicht vorstellen. Warum nicht weitermachen? Wenn nicht mehr unter dem Dach des Evangelischen Dekanats, dann anders. Aber wie? Mein Pilgerherz wollte auch nicht aufhören zu schlagen. Ich fühlte mich noch fit genug, um weiterhin Pilgertouren begleiten zu können. Außerdem habe ich im Hinblick auf die Zeit nach der Berufstätigkeit eine Ausbildung zur Geistlichen Begleiterin begonnen. Reiseziele hatte ich auch im Kopf. Zu der Zeit lebten meine hochbetagten Eltern noch in Lübeck und brauchten zunehmend Unterstützung. Für meine vier erwachsenen Kinder und sechs Enkelkinder wollte ich weiterhin da sein. Wie werde ich da eine gute Balance zwischen allen Zielen, Wünschen und Ansprüchen hinbekommen? In dieser Ambivalenz zwischen Abschied und Aufbruch, zwischen Loslassen und Ankommen bin ich hin und her geschwankt.
Die letzten Übergänge in meinem Leben waren mit dem frühen Tod meines Mannes und einer schweren Krankheit über mich hereingebrochen. Ich war darauf nicht vorbereitet gewesen und die unerwarteten und tiefgreifenden Veränderungen haben mein Leben aus dem Takt gebracht. Der Übergang in den Ruhestand sollte für mich anders werden und vor allem gut; selbstbestimmt und frei gewählt. Ich wollte in diese neue Lebensphase nicht hineinschlittern, sondern mich gut vorbereiten. Neben allen Formalitäten, die zu erledigen waren, habe ich mich gefragt: Was erwartet mich auf dem Weg in diese neue Lebensphase überhaupt? Wie wird dieser Prozess sein? Wie kann ich mir ein Leben ohne meinen Beruf vorstellen? Was muss ich loslassen und was gewinne ich unter Umständen?
Ich habe nach einem unterstützenden Seminar gesucht. Zu der Zeit gab es noch nicht wirklich viele Angebote. Gelandet bin ich bei einem Workshop, in dem es allgemein um Lebensübergänge ging. Vieles Wertvolle habe ich dabei mitgenommen.
Schon bald habe ich gemerkt, dass das Thema „Übergang in den Ruhestand“ viele betrifft. Auch ich gehöre zu der Generation der Babyboomer. Und wir sind viele. So bin ich mit meinem Thema in guter Gesellschaft.
Als Bildungsreferentin bin ich es gewohnt, Seminare zu bestimmten Themen zu entwickeln. So habe ich es auch in diesem Fall gemacht. Meine ersten Seminare zum Thema Ruhestand sind auf große Resonanz gestoßen. Das hat mich motiviert, an dem Thema dranzubleiben.
Die Coronazeit war ein starker Einschnitt. Seminare in Präsenz waren nicht mehr möglich. Im Kollegenkreis der Bildungsbeauftragten der EKHN haben wir im Team das bisherige analoge Konzept auf ein digitales umgearbeitet, erweitert und weiterentwickelt und daraus den Kurs „Ruhestand – ein unbekanntes Land“ zusammengestellt. Diese Onlinekurse wurden der „Renner“ und laufen heute noch. Der Bedarf ist groß und hält offensichtlich an. Die Babyboomer sind auf dem Weg in den Ruhestand. Sie wollen sich auf diese neue Lebensphase vorbereiten, sie suchen Begleitung, Austausch, Inspiration. Inzwischen bin ich auch wieder mit Seminaren in Präsenz unterwegs, u. a. im Evangelischen Kloster Schwanberg.
Was Sie erwarten dürfen
Ich möchte Ihnen mit diesem Buch Impulse geben für Ihren eigenen Weg in den Ruhestand und Sie sensibilisieren für das, was in diesem biografischen Übergang geschehen kann. Dabei wird uns das Bild der Brücke begleiten. Sie ist ein treffendes Bild für das, was bei einem Übergang in drei Phasen geschieht. Wir lassen das eine Ufer – den Beruf – los, gehen in einer „Schwellenzeit“ über die Brücke und kommen am anderen Ufer – dem Ruhestand – an.
So werden wir uns mit dem Thema „Loslassen“ beschäftigen und uns fragen: Was muss ich mit dem Ende meiner Berufstätigkeit loslassen und wie geht es mir damit? Wie kann ich meinen Abschied gestalten? Wie will ich mich verabschieden und wie will ich verabschiedet werden? Ganz spannend wird die Frage sein: Finde ich ein persönliches Ritual für meinen Übergang?
Es sind nicht nur die Lebensumstände, die sich ändern, wir werden in der „Schwellenzeit“ ein Gespür dafür bekommen, dass der Übergang in den Ruhestand auch ein tiefgreifender Wandlungsprozess ist, der ganz existenzielle Fragen auslösen kann: Wer bin ich ohne meinen Beruf? Wie komme ich vom Tun ins Sein? Diese Fragen berühren unser Menschsein in dieser Welt.
Der dritte Schritt, das „Ankommen“, ist nicht das Ende, sondern der Beginn. „Späte Freiheit“ nennt der Coach und Autor Wolfgang Schiele den Ruhestand. Das klingt nach Aufbruch, Neubeginn, nach Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Mir gefällt das. Ich möchte die Verbundenheit an die Seite der Freiheit stellen. Beide Aspekte des Ruhestands ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch. Kleine spirituelle Impulse werden Sie ebenfalls in diesem Buch finden. Sie sollen Sie auf Ihrem persönlichen Weg unterstützen.
Außerdem gibt es unter einigen Kapiteln Impulsfragen zum Weiterdenken, kleine Übungen und Texte.
Ich möchte einen Funken Aufbruchstimmung entfachen, Sie ein wenig neugierig machen auf das „Neue Land Ruhestand“ und Ihre Entdeckerfreude wecken. Neues wird sich zeigen und wachsen. Sollten Sie bereits im Ruhestand sein, dann kann das Buch eine Hilfe sein, erste Erfahrungen im Neuland Ruhestand zu reflektieren und weitere Ideen zur Gestaltung der neuen Lebenszeit zu entwickeln.
Ich freue mich sehr, dass ich in diesem Buch meine Erfahrungen beim Übergang in den Ruhestand mit Ihnen teilen kann. Freunde und Teilnehmende aus den Seminaren haben mir von sich erzählt, wie sie „die Kunst des Übergangs in den Ruhestand“ gemeistert und erlebt haben. Auch sie kommen in diesem Buch zu Wort. Dafür bin ich sehr dankbar.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.
Babyboomer – was hat sie geprägt?
Ich gehöre auch zu ihnen. Zu den Babyboomern. Das sind die Menschen, die zu den geburtenstarken Jahrgängen der Nachkriegszeit – etwa 1955–1969 – zählen. Sie gehen jetzt in den Ruhestand. Wir sind viele. Das waren wir schon immer. Wenn meine Mutter sagte: „Geh raus zum Spielen“, waren immer Kinder aus der Nachbarschaft da. Und wir hatten Platz für Völkerball auf der Straße und Versteckspiel im Park.
1957 kam ich als erstes Kind meiner Eltern und als erstes Enkelkind meiner Großeltern auf die Welt. Sie hatten im Osten ihre Heimat verloren. Mein Vater wurde noch als 18-jähriger Soldat in die Endoffensive des 2. Weltkriegs eingezogen. Er hat grausamen Bombenhagel und Kriegsgefangenschaft durchlitten. Meine Mutter musste mit ihrer Mutter und Schwester in eiskalter Januarnacht als 13-Jährige aus Pommern fliehen. Sie haben Furchtbares erlebt.
Wir haben die Folgen des Krieges noch direkt gesehen. Ich hatte einen beinamputierten Lehrer, der durch die Klasse gehumpelt ist. Mein Onkel hat sich im Kriegsversehrtensport engagiert. Die Petrikirche in Lübeck war in den 60er-Jahren noch von den Verwüstungen des Krieges stark gezeichnet. Doch nach den Schrecken des Krieges wurde das verwüstete Land wieder aufgebaut. Es gab Arbeit, Aussicht auf eine bessere Lebensqualität und finanzielle Sicherheit und damit Hoffnung auf Zukunft. Das gab sicher bei vielen jungen Paaren den Ausschlag für einen gesteigerten Kinderwunsch. So wurde nicht nur ich, sondern eine ganze Generation zu Hoffnungsträgern auf eine neue Welt mit neuen Perspektiven.
Wenn wir an diese Zeit denken, dann sprechen wir vom Wirtschaftswunder und dem Aufstieg der Konsumgesellschaft. Die in der Hitlerjugend und beim nationalsozialistischen Bund Deutscher Mädchen im Dritten Reich erlernte Leistungsbereitschaft wurde nun in den Wiederaufbau gesteckt. Arbeit und Beruf bekamen einen hohen Stellenwert. Leistung und Leistungsbereitschaft wurden in Familien, in der Schule und im Beruf von Arbeitgebern erwartet und auch abgeliefert. In diesem Wertemilieu sind wir Babyboomer aufgewachsen und haben diese Werte tief verinnerlicht. Es wurde rangeklotzt. Ich erinnere mich, dass meine Eltern ihre letzten Pfennige zusammengekratzt haben, um die Finanzierung ihres Eigenheims sicherzustellen. Wir hatten zuerst keine Tapeten an der Wand, lediglich den Putz, die Einbauküche hat mein Vater selbst gebaut, die Garage wurde vermietet. Es wurde gespart, wo es ging. So ist eine ganze Generation auch zu Leistungsträgern geworden.
Aber es gab ein Problem: Wir waren viele.
In der Schule waren die Klassen mit bis zu 40 Kindern übervoll. Nach dem Abitur gab es nicht ausreichend Studienplätze für alle. Numerus clausus, Auswahlverfahren nach strengen Kriterien, alles das waren große Hürden. Viele Bewerbungsschreiben waren nötig. Das große Zittern: Bekomme ich einen Platz?
Was mir auffällt: Babyboomer waren Hoffnungsträger und Leistungsträger und gleichzeitig ein Problem. Sie waren zu viele. Die äußeren Rahmenbedingungen passten damals nicht. Und so wurden sie auch noch Problemträger. Eine ganze Generation im Zwiespalt.
Babyboomer – Super-Ager?
Und heute? Die Babyboomer gehen in den Ruhestand. Holt uns dieser Zwiespalt wieder ein?
Wir sind wieder oder immer noch viele. In den nächsten Jahren gehen ca. 20 Millionen Babyboomer in den Ruhestand. Die erste Problemanzeige: Der Arbeitsmarkt wird sich drastisch ändern. Es fehlen jetzt schon Fachkräfte im öffentlichen Dienst, in Verwaltung, Pflege, Schule usw. Das wird sich in Zukunft noch zuspitzen.
Die Babyboomer reißen nicht nur eine große Lücke auf dem Arbeitsmarkt, sondern die vielen neuen Ruheständler machen der Gesellschaft auch finanziell zu schaffen. „Woher kommt das Geld für die Rente? Wer soll das bezahlen?“, so der allgemeine Aufschrei. Eine Frau sagte mir kürzlich: „Ich empfinde den Begriff Babyboomer manchmal als ein Schimpfwort. Wir machen offensichtlich Probleme, dabei läuft so manches im Ehrenamt gar nicht ohne uns.“
Nach dem Babyboom kam der Pillenknick und das bedeutet heute: Immer weniger aktive Arbeitnehmer müssen immer mehr Rentner finanzieren. Es wird heiß und kontrovers über Reformen des Rentensystems und das Eintrittsalter in den Ruhestand debattiert und gestritten. Viele Menschen machen sich große Sorgen, ob ihre Rente bei steigenden Kosten für Lebenshaltung und Miete in Zukunft reichen wird. Sie sehen sich gezwungen, nach einem langen und manchmal auch sehr anstrengenden Berufsleben weiterarbeiten zu müssen, damit sie ihr Leben noch finanzieren können.
Früher mussten wir um Arbeits- und Studienplätze kämpfen, weil wir so viele waren. Sind es bald die Plätze im Pflegeheim, die knapp werden? Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Die Babyboomer – die ewigen Problembären.
Wir sind viele und wir werden älter. Der demografische Wandel zeigt das deutlich. 1960 lag das durchschnittliche Sterbealter der Männer bei 67, bei Frauen bei 72 Jahren.
2020 waren es bei Männern 78,6, bei Frauen 83,4 Jahre.
Runde 12 Jahre bekommen wir als „Extra“, 12 Jahre geschenkte Lebenszeit, die gestaltet werden will. Ganz offensichtlich stimmt das traditionelle Bild vom kurzen Ruhestand nach einem langen Arbeitsleben nicht mehr. Gesunde 70-Jährige können sich heute in ihrer Leistungsfähigkeit mit 55-Jährigen messen. Aus einer Studie ist bekannt, dass drei Viertel der befragten 60-Jährigen sich deutlich jünger fühlen, als sie es tatsächlich sind, nämlich um 5,5 Jahre. Da hat sich gesellschaftlich etwas grundsätzlich geändert. Eine Gesellschaft ist im Wandel.
Vorausgesetzt Ruheständler freuen sich über eine stabile Gesundheit, dann wollen sie sich nicht aufs „Altenteil“ zurückziehen, sondern teilhaben, mitgestalten, sich einbringen in die Gesellschaft. Nur noch Freizeit im Ruhestand – das kann es nicht sein. „Früher war klar: Kinder lernen, Erwachsene arbeiten, und die Alten ruhen sich aus“, sagt Ursula Staudinger, Altersforscherin in New York. Das war einmal.
Die Rolling Stones gehören zu den 68ern, die auch gerne „Super-Ager“ genannt werden. Sie füllen heute noch ganze Stadien und begeistern ihr Publikum mit ihrer Musik. Die „Super-Ager“ haben Energie, innovative Ideen, knüpfen neue Netzwerke, engagieren sich in Politik, Gesellschaft und Kirche. Da geht noch was.
Hier lauert aber auch eine Falle. Babyboomer sind noch fit und bringen Berufserfahrungen mit. Das weckt Begehrlichkeiten. Erwartungen werden an sie gestellt. Man setzt auf sie. „Hoffentlich bleibt ihr noch! Wir brauchen euch.“ Eine Lehrerin, die gerade ihren Abschied gefeiert hat, erzählt mir davon. „Kannst du nicht noch ein paar Unterrichtsstunden übernehmen? Es fehlen Lehrkräfte an allen Ecken und Enden“, wird sie gebeten. Wieder sind die Babyboomer Hoffnungsträger – damals wie heute.
Vorsicht: Falle. Weil Babyboomer Verbindlichkeit und Verantwortungsbewusstsein verinnerlicht haben, Berufserfahrungen gesammelt haben und einen starken, ungebrochenen Leistungswillen mitbringen, lockt hier eine Falle. Etwas überspitzt formuliert: „Wenn wir doch gebraucht werden, uns noch fit fühlen, warum also nicht dem Ruf folgen und weitermachen?“ Leistungsträger sind und bleiben wir eben. Ich meine damit nicht: Setzt euch zur Ruhe, zieht euch zurück. Nein. Eher: Bleibt in Bewegung, engagiert euch, aber nicht als Lückenfüller und Notlösungen.
Drei Aspekte, die ähnlich klingen, wie vor 60 Jahren: Hoffnungsträger – Leistungsträger und Problemträger!
Ich halte es für unbedingt wichtig, dieses Spannungsfeld wahrzunehmen und darin den eigenen Weg zu finden. Die Babyboomer, die jetzt in den Ruhestand gehen, sind Pioniere ihrer Zeit, sie sind Trendsetter!