Auf den Punkt gebracht - Lotte Tobisch - E-Book

Auf den Punkt gebracht E-Book

Lotte Tobisch

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Beschreibung

Gedanken einer Frau von Welt Was hat US-Präsident Donald Trump mit einer Katze gemeinsam? Gefährdet Milchtrinken wirklich unser Leben? Wieso gründete die britische Premierministerin Theresa May ein Ministerium der Einsamkeit? Und inwiefern hält uns Datenschutz vom Spenden ab? Pointierte Kommentare zu nationalen wie internationalen Ereignissen und zum gesellschaftlichen Miteinander – nicht jeder schafft es, seine Ansichten so auf den Punkt zu bringen wie Lotte Tobisch. Stets up to date beobachtet sie auch in ihrer zehnten Lebensdekade mit unvermindertem Interesse das aktuelle Weltgeschehen. In ihrem neuen Buch bringt sie ihre Beobachtungen, Erkenntnisse und Gedanken mit Witz und Charme auf den Punkt, in bester Tradition einer geistreichen Lady. Mit einem Vorwort von Heinz Sichrovsky

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Seitenzahl: 195

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Im Alter fühle ich mich jung,wenn ich zu schreiben beginn;das Denken in der Dämmerungverleiht dem Tag noch Sinn.

Lotte Tobisch

Auf den Punktgebracht

Ansichteneiner Lady

Aufgezeichnetvon Michael Fritthum

BildnachweisMichael Fritthum (17, 78, 79, 121, 137, 149, 171, 205), Anneliese Fritthum (33), NLK Pfeiffer (54), Archiv Lotte Tobisch (55), Osgith Benning (103)

Der Verlag hat alle Rechte abgeklärt. Konnten in einzelnen Fällen die Rechteinhaber der reproduzierten Bilder nicht ausfindig gemacht werden, bitten wir, dem Verlag bestehende Ansprüche zu melden.

Die in diesem Buch gesammelten Kolumnen erschienen zwischen 2015 und 2018 im Magazin NEWS. Sie wurden thematisch sortiert und überwiegend unbearbeitet übernommen. Somit sind die vorliegenden Texte speziell hinsichtlich politischer Ereignisse, der Besetzung von Ministerposten und Ämtern und Ähnlichem nicht als tagesaktuell zu verstehen, sondern als Zeitdokument der vergangenen drei Jahre.

Besuchen Sie uns im Internet unter: amalthea.at

© 2019 by Amalthea Signum Verlag, Wien

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

Umschlagfoto: © Ian Ehm/VGN/picturedesk.com

Herstellung und Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH,

Heimstetten

Gesetzt aus der 11,75/14,75 Minion Pro

Designed in Austria, printed in the EU

ISBN 978-3-99050-147-4

eISBN 978-3-903217-34-8

Inhalt

Vorwort

Heinz Sichrovsky

Zum Geleit

IDas gehört zu den aussterbenden Möpsen

Der Mops ist auferstanden

Schlag nach bei Elmayer!

Nachlese zum Wahlkampf

So werden wir entmündigt

Wir hetzen der Freizeit hinterher

Geschichten vom hohen Ross

Zu Kaisers 187. Geburtstag

IIAm Anfang war das Wort …

Eins zu null für den IS

Weniger reden, mehr sagen

Denken sollte Pflichtfach werden

Lenin-Kappel im Schrebergarten

Ein Kind als Möbelstück

Weihnachtsmann und Christkindl

Eins, zwei, drei im Sauseschritt …

Selbst denken empfohlen

Die Milch der frommen Denkart

Schluss mit dem Doku-Irrsinn

IIIÖsterreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält

Neues aus der Versuchsstation

Gibt’s keinen Genierer mehr?

Dank dem Onkel aus Amerika

Rot-schwarze Erbmonarchie

Ein Haus der Verantwortung

Eine Lanze für Mikl-Leitner

Schämt sich hier keiner mehr?

Dokumentiertes Bürgerquälen

Papa Kreisky, schau oba!

Österreich, ein Pizza-Land?

Max und Moritz als Vorbilder?

IVWer ist stärker, i oder i?

Die Republik der Lemminge

Letzte Chance für die Regierung

Toleranz? Bitte auf Gegenseitigkeit!

Mehr Herz für Fußgänger!

Kulturerbe, wos brauch ma des?

Sind Menschen für Gesetze da?

Die Zitterpartie und die Folgen

Datenschutz oder was?

Raschester Reparaturbedarf

Nicht Österreich, zuerst ich

Vergiftetes Pilzgericht

VLeck mich am Auspuff!

Pflichtstunden bei Elmayer, bitte!

Was ich unter Freiheit verstehe

Die Kundenfreunde von der Bank

Klimaschock durch Werteverlust

Und wo bleibt der Respekt?

Monarchische Spätfolgen

Verteidiger des Abendlandes

Rezept für Wutbürger

VIDie Eitelkeit der Frauen ist fast so groß wie die der Männer

Enfant terrible und Botox-Teens

Plädoyer für die Lust ohne Pille

Strategien gegen unpassende Kerle

Genderterror und Machogewalt

Wenn der Mann fremdgeht

Anmerkungen einer Emanze

Vorsicht beim Handkuss

VIIJede gute Tat rächt sich

Der Skandal von Traiskirchen

Es wurde nur eine Existenz zerstört

Unheilige Mutter Teresa?

Fritz Heer zum 101. Geburtstag

Die Heiligen und die Steinwerfer

VIIIWas du tust, tu es klug und bedenke das Ende

Unmenschliche, falsche Rechnung

Unbelehrbarkeit durch Wahldebakel

Lebensgefahr durch Milchtrinken

Das Elend mit Minimundus

Die moralische Registrierkassa

Fressen nur, um zu fressen

Hacklerpension für Funktionäre?

Schrankenlos, gedankenlos

Schlamperte Verhältnisse

Die Post bringt allen was

IXIch weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin?

Kehraus für Pestgruben

Da kann man nur noch weinen

Als der Nachbar verschwand

Die hohe Kunst des Fremdschämens

Die Schande von Hiroshima

So reißen wir unsere Wurzeln aus

Endlich Erholung von der Seligkeit

Es geht nichts über Freundschaft

Hölderlin für Husslein

Gesetze sind für den Bürger da!

Diesmal in eigener Sache

Eine Katze namens Trump

Muss es erst zum Himmel stinken?

Salut für die Rathaus-Maria

Modern Times und retour

Europa − Zeit zum Aufwachen!

XWo Gefahr ist, wächst das Rettende auch!

2017 kann nur besser werden

Bewunderung für Angela Merkel

»Aber spielen tan s’ es net«

Ein Zuhause im Kabelwerk

Mit Dank an die Wiener Rettung

Fußballer helfen »Künstler helfen Künstlern«

So kann Literatur im Alter trösten

Schutz vor Verblödung

Aufforderung zum letzten Walzer

EPILOG

Weihnachten ohne Rabatt

Vorwort

Heinz Sichrovsky

Der Telefonanruf am Sonntag um neun ist eines der Rituale, ohne die mir etwas fehlen würde. »Tobisch«, klingt es da im distinguiertesten Burgtheater-Österreichisch. »Also, ich hätt wieder was verbrochen. Aber ich glaub nicht, dass Sie es nehmen werden.« Dann folgen per Diktat zwölfeinhalb lange Zeilen von einer makellosen Geschliffenheit, einer Eleganz im Durchblick, wie sie heute kaum noch ein professioneller Journalist zusammenbringt.

Anfang 2015 hatte ich ihr den Vorschlag zur wöchentlichen Kolumne im Wochenmagazin NEWS unterbreitet. Ratschläge einer älteren Dame von Welt sollten das sein, tunlichst an jüngere Damen mit Orientierungsproblemen in besagter Welt. Sie sei für das Artikelschreiben nicht gerüstet, versicherte Lotte Tobisch in ihrer Dachwohnung über dem Opernring. Ich müsse ihr die Arbeit schon abnehmen, zumindest die der Feinformulierung und der Endfertigung. Ich habe dieses Verfahren schon erfolgreich mit ungeduldigen Literaturnobelpreisanwärtern gepflogen. Lotte Tobisch hielt es keine zwei Wochen aus. Von den Damenthemen war gleich keine Rede mehr. Die Kolumne wurde hochpolitisch, ein Leuchtsignal der Herzensbildung und die Stimme des Menschenverstandes gegen krawall- wie korrektheitspopulistische Kundgebungen.

Und dieses Wissen! Betörend ist das, mit einem Menschen Umgang zu pflegen, der »Teddy« sagt und keinen vergessenen ORF-General, sondern Adorno meint. Oft schließt die Kolumne mit einem klassischen Zitat, das ich – in Erinnerung an Schulzeiten, zu denen man sich im Literaturunterricht noch an Goethe statt an Leserbriefen erprobt hat – erst selbst wieder aufrufen muss. Als sie nach einem halben Jahr überlastungshalber die Umstellung auf den Vierzehntagerhythmus erbat, tat es ihr schon beim Erscheinen der ersten Konkurrenzkolumne leid. Umso mehr, als die Gage an das von ihr präsidierte Künstlerheim in Baden geht. Alles andere wäre nicht comme il faut für eine Frau von Welt.

Zwei Mal ist die Kolumne ausgefallen. Da kämpfte Lotte Tobisch, die ihre Manuskripte mittels beherztem Zweifingereinsatz einer historischen Olympia-Schreibmaschine abtrotzt, gegen lebensbedrohende Komplikationen nach einem Bruch des rechten Handgelenks. Es war ein qualvoller Genesungsprozess, aber einer ohne Alternative: Dem Künstlerheim die ordnende, beschützende Hand entziehen? Den NEWS-Menschen auf seinen zwölfeinhalb langen – oder 37 kurzen – Zeilen sitzen lassen? Kein Thema für die Wundergeneration der 90-Jährigen, der auch Hugo Portisch und Arik Brauer angehören.

Und, klar, den Opernball hat sie geleitet, 16 außerordentlich erfolgreiche Jahre lang. Selbst kein Ballbesucher, kann ich ihr meine diesbezügliche Bewunderung nur vom Hörensagen übermitteln. Wenn ich mir allerdings den Mythos dieser 16 Jahre vergegenwärtige, in denen der Ball dermaßen bedeutend war, dass es gegen ihn sogar etwas zu demonstrieren gab, dann frage ich mich, ob ich nicht doch etwas versäumt habe. Ob drinnen oder draußen, kann ich mir ja überlegen, wenn das Ehrenamt verrichtet und der Freundschaftspflicht Genüge getan ist: dem Buch der großartigen Lotte Tobisch einen ebensolchen Weg ins Leben zu wünschen.

Zum Geleit

Im Laufe meines langen Lebens habe ich immer gerne geschrieben. In der Jugend romantische Poesie, später Leserbeiträge und Geschichten für diverse Zeitungen zu verschiedenen Gelegenheiten über Allerlei. Das Tippen auf der Schreibmaschine machte mir in jedem Lebensabschnitt großen Spaß.

Als der Amalthea Verlag anlässlich meines 90. Geburtstages im Jahr 2016 ein zweites Buch von mir herausbringen wollte, dachte ich, dass der Moment gekommen sei, um mit dem Schreiben aufzuhören. Hat doch alles, wie ich bei jeder passenden (und zuweilen auch weniger passenden) Gelegenheit gerne betone, seine Zeit. Aber das Schicksal meinte es wieder einmal gut mit mir und brachte Heinz Sichrovsky, Gründungschefredakteur und Kulturchef des Wochenmagazins NEWS, auf die Idee, aus mir, der 90-Jährigen, eine Nachwuchs-Kolumnistin zu machen. Und da ich zu dem Anfangen-zum-Aufhören ohnehin keine wirkliche Lust verspürte, ließ ich mich auf dieses Abenteuer ein.

Seither schreibe ich im Zweiwochenrhythmus Gedanken und Kommentare über Aktuelles und erfahre mit jeder Kolumne, wie das Gestern auf der medialen Schnellstraße vom Heute überholt wird. Soeben gelesene Zeitungen sind heute bedeutend älter als sie es noch in meiner Jugend waren. Und so kam ich auf die Idee, meine »alten« Kolumnen meinen heutigen Überlegungen gegenüberzustellen, um ihre Aktualität wiederzuentdecken. Ich wünsche meinen Lesern vergnügliche Stunden bei der Lektüre dessen, was mir am Herzen liegt und lag.

Ihre

Lotte Tobisch

Wien, im Februar 2019

IDas gehört zu den aussterbenden Möpsen

Ein Mops aus der Stofftiermenagerie, Flohmarkt im Künstlerheim 2018

Der Mops ist auferstanden

Es ist schon wunderbar: Die Möpse feiern endlich wieder fröhliche Urständ. Über Jahrzehnte waren sie aus dem Straßenbild verschwunden, die köstlichen Möpse, ohne die, wie der große Loriot behauptete, das Leben ziemlich sinnlos ist; und die der berühmte Tierleben-Brehm wiederum nicht leiden konnte, weshalb er den Mops als »Altjungfernhund« und als »treues Spiegelbildnis solcher Frauenzimmer« bezeichnete. Es gab sie nur noch als Metapher für Unzeitgemäßes in der Redensart »das gehört zu den aussterbenden Möpsen«. Jeder, der nicht a priori für neue Errungenschaften zu begeistern war − egal, ob es sich dabei um Kleider, Umgangsformen oder Neusprech handelte –, gehörte zu den aussterbenden Möpsen.

Aber wie Figura zeigt, heißt aussterben noch lange nicht gestorben sein. Die witzigen, liebevollen Hundemöpse wie ihre als Menschenmöpse abgestempelten Freunde erfreuen sich bester Gesundheit. Es ist zu hoffen, dass die Mops-Wiederentdeckung auch manch andere Wiederentdeckung anregt.

Das Alter, welches wir zu erreichen wünschen, bedrückt uns, wenn wir es erreicht haben. Spätestens dann verstehen wir die konfuzianische Weisheit, dass es der Weg und nicht das Ziel ist, worauf es ankommt.

Doch wenn ich ein Mops wäre, wäre das aus meiner zugegebenermaßen menschlichen Sicht ganz und gar nicht so, denn Möpse, wie alle Hunde, bleiben nicht nur auf ihrem Weg, sondern auch am erreichten Ziel glücklich und froh. Beneidenswert, aber mir zu wenig, obwohl meine Personenbeschreibung an die eines Mopses erinnert. Auch meine Vorfahren finden sich in den Annalen längst vergangener Zeiten, waren vornehmlich, wenn schon nicht immer vornehm, in »besseren« Kreisen zu Hause und genossen zuweilen den despektierlichen Ruf, Selbstdarsteller zu sein. Da ich, wie der Mops, nicht den üblichen Normen entsprach, galt ich für manche Spießer aus meinen Kreisen als komisches Wesen, wodurch ich wiederum, wie Möpse im 18. Jahrhundert, Verwendung im Theater fand.

Nun lebe ich bereits in meiner zehnten Lebensdekade und bin gespannt, wo und wie die noch unvollendete Reise enden wird. Dass ich zu guter Letzt eine Straße ohne Wiederkehr gehen muss, ist gewiss. Aber weniger gewiss ist, was mich bis dahin erwartet.

Man verzeihe mir, wenn die mit Neugier gestellte Frage nach dem Wohin in meinem Alter unangemessen erscheint, aber ich kann nicht anders. Und wenn ich, wie ein Mops, trotz Älterwerdens, an Ausdruck gewinne, dann soll mir diese Ähnlichkeit mit den Möpsen willkommen sein.

Schlag nach bei Elmayer!

Nun also ist er endlich erschienen, der Große Elmayer, längst fällig zur Wiederentdeckung des im Laufe der Zeit abhandengekommenen zivilisierten Umgangs der Menschen miteinander. Durch die miserablen verbalen und sonstigen Verhaltensweisen von Protagonisten unserer Gesellschaft bei jeder Gelegenheit und auf allen Gebieten steht längst nicht mehr das bessere Argument im Mittelpunkt eines Disputs. Sondern er dient immer mehr und um jeden Preis egomanisch der persönlichen Karriere des Redners. Dass dieser Missbrauch demokratischer Möglichkeiten bereits – deutlich sichtbar bei Wahlergebnissen und Umfragen – die verunsicherten und orientierungslosen Wähler mobilisiert, die dann am Ende das errungene demokratische System infrage stellen können, und dass die hysterischen Selbstverwirklicher sich dabei noch selbst abschaffen, ist ihnen wohl entgangen.

Schlechtes Benehmen verdirbt gute Sitten, sagt das Sprichwort. Der Große Elmayer lehrt uns, dass auch gute Sitten beispielhaft sein können und ein sinnvolles Miteinander oder Nebeneinander von Freund und Feind ermöglichen, ohne ein Schlachtfeld mit erniedrigten und beleidigten Rächern zurückzulassen.

Hochbegabte Menschen fallen anhand ihrer Kreativität und Originalität auf. Dadurch kommt es mitunter zu unkonventionellem Fehlverhalten, mit dem sie die Gesellschaft brüskieren. Das Ventil, um den dadurch entstehenden Druck auszugleichen, ist der schöpferische Akt.

Ein solches Ventil im Vorfeld der Französischen Revolution war die literarische Strömung des Sturm und Drang. Getragen von jungen Autoren in der Zeit zwischen 1765 und 1785, ist sie nicht nur jahreszahlmäßig, sondern auch inhaltlich mit der zweihundert Jahre später stattfindenden 68er-Bewegung in Verbindung zu bringen. Es war ein Versuch, den von Kant formulierten »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« zu finden.

Und was ist in unserem gesellschaftlichen Alltag von alldem damals genial Erstrebten geblieben? Nicht viel mehr als ein Zitat des jungen Goethe. »Er kann mich im Arsche lecken« machte sowohl den fränkischen Reichsritter Götz von Berlichingen als auch den jungen Dichter im deutschen Sprachraum unsterblich. Das gibt zu denken, hat doch der historische Götz laut seinen Aufzeichnungen dem mainzischen Amtmann auf Burg Krautheim die weniger drastische Formulierung »er soldt mich hinden leckhenn« zugerufen. Aber, ob das die Wirkung erzielt hätte, die Goethe bei uns Benimm-dich-Bürgern erzielen wollte? Nein, natürlich nicht! Er wusste, dass er ohne den »Arsch«, in dem ihn der Hauptmann lecken kann, in der hohen Literatur und in der guten Gesellschaft keinen Stich machen würde.

Was wäre aus Goethe wohl geworden, wenn er in seiner Jugend Benimmstunden bei Elmayer genommen hätte?

Nachlese zum Wahlkampf

Merkt wirklich niemand, dass die viel beschworene westlich-abendländische Kultur viel mehr von innen als von außen bedroht ist? Glaubt wirklich noch jemand, dass sie mit Zäunen gerettet werden kann? Es braucht wahrlich keine gelehrten Betrachtungen, sondern nur ein bewusstes Zuhören und Hinschauen, um zu sehen, wie die einfachsten Regeln für ein leidliches Funktionieren des Zusammenlebens während der letzten Jahre total zerbröselt sind.

So ist die Gedanken- und Redefreiheit des Andersdenkenden zu einem Mörderangriff mutiert, der im politischen Alltag mit Hass, Wut und Niedertracht in Trump-Höhe bekämpft werden darf. Ein Vorbild für den neuen Common Sense im Umgang miteinander. Und die EU? Was macht sie? Sie wackelt hin und her wie ein Schlafwandler auf dem Dachfirst zwischen Brexit und Exit-Drohungen, zwischen Ölkartellen und Gurkenkrümmung und dem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. »Nicht Skythen und Chazaren bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker: Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar, der ohne Zügel alles Große herabstürzt von der Höhe, die es schützt, zur Oberfläche eigener Gemeinheit.« (Grillparzer, gekürzt)

Dass ausgerechnet die seit 1951 13. [!] Direktwahl eines österreichischen Staatsoberhauptes durch das Bundesvolk derart in die Hosen gehen konnte, wie sie 2016 im In- und Ausland wahrgenommen wurde, könnte einen wirklich abergläubisch machen. Über sieben Monate Wahlkampf waren vonnöten, bis Alexander Van der Bellen diesen Spießrutenlauf für das höchste Amt im Staat für sich entscheiden konnte. Das hatte so manches Erfreuliche, aber auch Unerfreuliches zur Folge. Da fiel es mir schwer, nicht an den von Oswald Spengler vorhergesagten Untergang des Abendlandes zu denken.

Mit dem Denken fällt mir immer wieder sogar etwas »Denkwürdiges« ein. Zum Beispiel jene prophetischen Worte Grillparzers in seinem Historiendrama Ein Bruderzwist in Habsburg, die darauf hinweisen, dass Gesellschaftsordnungen eher durch innere Schwächen als durch äußere Bedrohungen gefährdet sind.

Warum das immer so war und immer so sein wird, ist schwer zu sagen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass der Mensch von außen kommende Schicksalsschläge leichter erträgt als selbst verschuldetes Leid, da er den Gedanken der Mitverantwortlichkeit für das, was um ihn geschieht, wie der Teufel das Weihwasser scheut. Und das ist in einer Demokratie, in der alle Mitverantwortung tragen sollten, ein ernst zu nehmendes Problem, führt doch die Angst, Verantwortung tragen zu dürfen, im Handumdrehen zu einem politisch folgenschweren Freiheitsverlust.

Denken wir daran, wenn wir das nächste Mal mit einem gesellschaftlichen Problem konfrontiert werden.

So werden wir entmündigt

Nun endlich wissen wir es: Es ist wissenschaftlich belegt, dass weder die Pommes noch die Gummibärli noch die für die ganze Familie nachgewiesenermaßen gesunde Kindermilchschnitte als Zwischendurchgenuss beim Fernsehfußballmatch dran schuld sind, dass viele Jugendliche und ihre Eltern immer fetter werden. Auch die gewohnten Biohühnerriesenburger für die Hauptmahlzeit haben nichts mit dem Übergewicht der ebenfalls wissenschaftlich nachgewiesenen 44 Prozent übergewichtiger Mitbürger in unseren Breitengraden zu tun. Denn nun ist endlich auch wissenschaftlich belegt, dass die Gewichtsentwicklung eines Menschen mehr oder weniger von der Qualität seiner Gene bestimmt wird.

Also wird dem Problem wohl nur mit einer neuen Antifettsuchtpille beizukommen sein, zumal der Erfolg der veralteten, mühsamen Abspeckmethode »Friss die Hälfte« nicht mehr eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt, kann man in der Entschlüsselung des Fett-Gens wieder einmal eine effiziente Methode zur totalen Entmündigung der Menschen sehen. Cui bono? (Wem zum Vorteil?)

Es gilt selbstverständlich wie immer die Unschuldsvermutung.

»Da steh ich nun, ich armer Tor!/Und bin so klug als wie zuvor«. Diese geflügelten Worte am Beginn von Goethes Faust gewinnen im Alter an Bedeutung, zieht doch jede neue Erkenntnis eine Schleppe an Fragen nach sich, die nicht zu beantworten sind. Auch nicht, wenn man, wie ich, 90 und mehr Jahre geschenkt bekommt. Spätestens dann wird einem klar, dass die in der Kindheit hoffnungsvoll begonnene Suche nach dem Wie und Warum kein Ende nimmt. Wir müssen vorliebnehmen mit dem, was uns das Leben zukommen lässt: jene Gesamtheit aller Eindrücke, die das Alter von der Jugend trennt.

Aber während Lebenserfahrung auf subjektivem Wissen beruht, schaut ja das aufgeklärte Objektive zumeist verachtungsvoll auf das aufklärungsunwürdige Subjektive herab. Vor allem, wenn eine neu veröffentlichte Studie das bisher Geglaubte widerlegt.

Nun möchte ich keinen Zweifel daran lassen, dass die Wissenschaft der Menschheit viel Glück und Segen beschert hat. Doch dort, wo sich eine Weltanschauung selbst zu feiern beginnt, ist es mit der Objektivität schnell vorbei, und noch schneller, wenn Geld und Macht mitbestimmende Faktoren sind. Wissenschaft als Geschäft verstärkt die Neigung, eigene »Ergebnisse« schönzureden.

Daher plädiere ich für einen wohlüberlegten Umgang mit neuen wissenschaftlichen Studien. Doch Vorsicht scheint mir auch hier geboten, sind ja diese Studien nichts anderes als Grundlagen für weitere Studien. Wissenschaftlich haltbare Beweise habe ich dafür keine, doch rät mir meine über 90-jährige Lebenserfahrung dazu − und mit der bin ich bisher recht gut gefahren.

Wir hetzen der Freizeit hinterher

Es ist so weit: Demnächst wird unser liebstes Spielzeug, das Automobil, das Versprechen seines Namens, auto-mobil, endlich einlösen. Wie uns schon jetzt die Waschmaschine, der Geschirrspüler, der Rechner und die gesamte Internetpalette das Selbstarbeiten und -denken ersparen, so wird demnächst das Lenken beim Autofahren ebenfalls obsolet sein − und dem Lenker damit zusätzliche Freizeit beschert werden.

»Die Zeit, die ist ein sonderbar’ Ding«, stellt die Marschallin im Rosenkavalier fest. »Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann, auf einmal, da spürt man nichts als sie.« Und so ist es auch. Denn je mehr Zeit die Menschen für sich zur Verfügung haben, desto mehr geht sie ihnen ab, hetzen sie ihr hinterher, bis zur Erschöpfung. Und falls sie dann doch einmal einen Zipfel der davongelaufenen Zeit zu fassen bekommen, müssen sie erkennen, dass es nicht ihre Freizeit ist, der sie nachgehetzt sind, sondern dass diese längst vom professionellen Freizeitnutzungswirtschaftssystem geschluckt wurde, dessen Daseinszweck und Zauberwort »Shoppengehen« heißt. Wie sagt die Marschallin am Schluss des Monologs? »Und man ist dazu da, dass man sie erträgt.« Doch in dem Wie liegt der ganze Unterschied.

Wäre es nicht paradox, wenn man die in Gang gesetzte Automatisierung aller Lebensbereiche nach Lust und Laune entautomatisieren könnte? Lassen sich selbstständig handelnde Systeme und Maschinen so mir nichts dir nichts vom Menschen ins Handwerk pfuschen, hat doch dieser ihnen die Lösung seiner Aufgaben und Probleme auf Gedeih und Verderb überantwortet? Was ist dagegen zu sagen, wenn sich die mittlerweile sich vertausendfachenden Windräder über den Feldern und Gewässern unermüdlich und vor allem selbstständig in den Wind drehen?

Eigentlich nichts, außer dass einem beim Stellen dieser Fragen ein wenig mulmig wird. Es könnte sein, dass die selbst denkenden Automaten in einer unmittelbaren Zukunft nicht so freiwillig wie wir auf die Freiheit ihrer Selbstbestimmung verzichten werden. Oder hat der von Automatismen umgebene Mensch vergessen, was uns die Kunst bereits zu Beginn der Automatisierung gelehrt hat? Man denke an Goethes Zauberlehrling, der den harmlos dienlichen Besen zum nicht mehr gehorchenden Automaten verfremdet.

Ein Vierteljahrhundert nach Entstehung dieses epochalen Werkes über Segen und Fluch der für den Menschen arbeitenden Automaten schuf der Pädagoge Friedrich Fröbel die Wortkomposition »Freizeit«. Sie bezeichnete jene selbst zu gestaltende Zeit, die er den ihm anvertrauten Zöglingen aus pädagogischer Einsicht »zur Anwendung nach ihren persönlichen und individuellen Bedürfnissen« freigab − eine Befreiung von Auferlegtem zum Zwecke autonomer Entfaltung. Jene Voraussetzung, um den von uns geschaffenen Automaten der Zukunft die Stirn bieten zu können.

Geschichten vom hohen Ross

Es ist immer wieder erstaunlich, was unseren Politikern, egal, ob von rechts oder links, alles einfällt, um in ihrer jeweiligen Funktion von ihren Wählern wahrgenommen zu werden. So konnte man zum Beispiel lesen, dass dem zuständigen Minister anlässlich der beabsichtigten Neugestaltung des Heldenplatzes auf die Frage nach der Möglichkeit einer Entfernung der beiden Denkmäler keine bessere Antwort einfiel als: »Da würde wohl das Denkmalamt Einspruch erheben.«

In Anbetracht dieses Ministerworts sollte man das Denkmalamt um Aufstellung eines dritten Pferdes ersuchen: ein reiterloses Pferd, reserviert für die Ideenvorreiter aller politischen Couleurs zwecks der jeweiligen Heilsverkündigung mittels Selbstdarstellung. Vom hohen Ross verkündet, wäre ja auch die Öffentlichkeit besser informiert und uns vielleicht erspart geblieben, dass Dominique Meyer und Agnes Husslein, zwei der erfolgreichsten Leiter unserer Kulturtempel, in die Wüste geschickt werden. Und auch, dass das als Haus der Geschichte Österreich konzipierte Museum nun zur Darstellung eigener Bedeutung von 1000 auf 100 Jahre heruntergeschrumpft wird. »Ein Pferd, ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd«, sagt Richard III.

Um es vorweg klarzustellen: Nicht wir Österreicher, sondern die Franzosen tragen die Schuld für den ewigen Zores mit unserem heiß geliebten, viel geschmähten Heldenplatz. Denn wenn deren Besatzungstruppen 1809 nicht einen Teil der Burgbastei mutwillig in die Luft gesprengt hätten, wären die genügsamen Wiener vermutlich nie auf die Idee gekommen, den Bereich vor der Hofburg einzuebnen und als Erholungsraum zu gestalten. Damit begann die Misere nicht enden wollender Debatten darüber, wer hier wie verewigt werden soll.

So feiert das Getue um den Platz seit einigen Jahren wieder fröhliche Urständ. Politiker, deren Amtszeit so kurz ist, dass nicht einmal Denkmäler ihre Namen in Erinnerung rufen könnten, verkünden die Neugestaltung und Neubenennung des denkmalgeschützten Ortes, als ob es sich um ihre private Spielwiese mit daraufstehendem Sandkasten handle.

Dabei gehört der Heldenplatz, wie ihn mittlerweile Millionen im In- und Ausland kennen, zum kulturell Sehenswertesten, was die Stadt zu bieten hat. Zeitlebens habe ich diesen einzigartigen Ort auf meinem Weg zum Burgtheater genossen und versucht, meinen von auswärts kommenden Gästen die Einmaligkeit des Gesamtkunstwerkes Wien mit der Passion des Einheimischen näherzubringen. Heute frage ich mich, ob die Wienerinnen und Wiener diese Passion für den historisch-kulturellen Wert ihrer Stadt noch teilen.

Aber wird nicht zu guter Letzt jeder, der sich auf Wien einlässt, unweigerlich mit den drei von Arthur Schnitzler überlieferten Floskeln »Wie komm denn i dazu? Es zahlt sich ja net aus! Tun S’ Ihnen nix an!« konfrontiert?

Zu Kaisers 187. Geburtstag

Für den österreichischen Monarchiebürger war der 18. August in doppelter Hinsicht ein bemerkenswertes Datum. Es war der Geburtstag des Kaisers und gleichzeitig der Stichtag, den man als Anfang vom Ende des Feriensommers bezeichnete. Jener Jahreszeit, die vor allem die Bürger der Städte, wenn irgend möglich, in der ersehnten frischen Luft verbrachten. So war es seit Menschengedenken, und der franzisko-josephinische erratische Block von drei Generationen war der Garant für unerschütterliches Weiterbestehen. Die nahe Katastrophe war unvorstellbar, war undenkbar.