Auf der anderen Seite des Flusses - Pedro Mairal - E-Book

Auf der anderen Seite des Flusses E-Book

Pedro Mairal

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Beschreibung

Als der argentinische Schriftsteller Lucas an einem frühen Dienstagmorgen die Fähre besteigt, die ihn über den Río de la Plata nach Uruguay bringen wird, glaubt er, die Lösung all seiner Probleme sei ganz nahe. Als Vater eines vierjährigen Sohnes, der "wie ein betrunkener Zwerg" seine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangt, befindet er sich in einer Schaffenskrise, angewiesen auf das Einkommen seiner Frau Catalina, von der er sich als selbst nicht immer treuer Ehemann zudem betrogen fühlt. In Montevideo will Lucas seine Honorare für zwei neue Buchverträge einlösen, die ihm endlich wieder mehr Selbstvertrauen, die Achtung Catalinas und die so bitter benötigte Zeit zum Schreiben erkaufen sollen. Doch in der pulsierenden Stadt jenseits des silbernen Flusses wartet nicht nur das Geld, sondern auch eine große Versuchung auf ihn.

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Pedro Mairal

Auf der anderen Seite des Flusses

Roman

Aus demargentinischenSpanisch vonCarola S. Fischer

Die Originalausgabe erschien 2016 unter demTitel La uruguaya bei Emecé Editores, Buenos Aires.

Copyright © Pedro Mairal, 2016c/o Indent Literary Agency, www.indentagency.com

© 2020 by mareverlag, Hamburg

Covergestaltung Nadja Zobel, Petra Koßmann, mareverlagAbbildung DEEPOL by plainpicture

Typografie (Hardcover) mareverlag, HamburgDatenkonvertierung E-Book Bookwire

ISBN E-Book: 978-3-86648-380-4ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-603-4

www.mare.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Quellen

1

Du hast mir gesagt, dass ich im Schlaf gesprochen habe. Das ist das Erste, was ich von diesem Morgen noch erinnere. Der Wecker klingelte um sechs. Maiko war in der Nacht in unser Bett gekommen. Du hast mich umarmt, und wir flüsterten uns ins Ohr, murmelten, um ihn nicht zu wecken, aber ich glaube auch, um uns nicht den nächtlichen Atem ins Gesicht zu hauchen.

»Soll ich dir einen Kaffee machen?«

»Nein, Liebling. Schlaft ihr nur weiter.«

»Du hast im Schlaf gesprochen. Du hast mich erschreckt.«

»Was habe ich denn gesagt?«

»Das Gleiche wie letztes Mal: guerra, Krieg.«

»Seltsam.«

Ich duschte und zog mich an. Dann gab ich dir und Maiko meinen Judaskuss.

»Gute Reise«, sagtest du.

»Wir sehen uns heute Abend.«

»Pass auf dich auf.«

Ich nahm den Fahrstuhl bis zur Tiefgarage im Untergeschoss und fuhr hinaus, ohne Musik anzumachen. Es war noch dunkel. Ich fuhr die Calle Billinghurst hinunter und bog dann in die Avenida del Libertador ab. Es herrschte schon Verkehr, vor allem in der Nähe des Hafens waren viele Lastwagen unterwegs. Auf dem Parkplatz der Fährgesellschaft Buquebús teilte mir ein Wächter mit, dass schon alles belegt sei. Ich musste umkehren und das Auto an einem Strand auf der anderen Straßenseite stehen lassen. Der Gedanke gefiel mir nicht, denn spätabends, wenn ich mit den Dollars in den Taschen zurückkäme, würde ich diese zwei dunklen Häuserblocks an der ausgestorbenen Straße entlanglaufen müssen.

Keine Warteschlange vor dem Check-in-Schalter. Ich legte meinen Reisepass vor.

»Die Schnellfähre nach Colonia?«, fragte mich der Angestellte.

»Ja, und den Bus nach Montevideo.«

»Nehmen Sie heute noch die direkte Verbindung zurück?«

»Ja.«

»Gut …« Der Mann blickte mich ungewöhnlich lange an.

Er druckte den Fahrschein aus und überreichte ihn mir mit einem eisigen Lächeln. Ich wich seinem Blick aus. Der Mann war mir unangenehm. Warum sah er mich so an? Konnte es sein, dass alle Passagiere, die am selben Tag hin- und zurückfuhren, auf eine Liste gesetzt wurden?

Ich nahm die Rolltreppe hinauf zur Zollkontrolle, legte den Rucksack in den Gepäckscanner und lief durch das Labyrinth aus leeren Absperrbändern. »Treten Sie vor«, forderte man mich auf. Ein Beamter der Einwanderungsbehörde überprüfte meinen Pass, meine Fahrkarte. »Kommen Sie, Lucas, stellen Sie sich bitte vor die Kamera. Gut so. Drücken Sie den rechten Daumen … Danke.« Ich nahm die Fahrkarte, den Pass und ging in die Wartehalle.

Alle Fahrgäste hatten sich in eine lange Schlange eingereiht. Durch das Fenster sah ich die Fähre, die gerade am Anleger manövrierte. Ich kaufte mir den teuersten Kaffee und das teuerste Croissant der Welt (ein klebriges Croissant, ein radioaktiver Kaffee) und stürzte beides innerhalb einer Minute hinunter. Dann stellte ich mich am Ende der Schlange an und lauschte einigen brasilianischen Pärchen in meiner Nähe, einigen Franzosen, einem Provinzakzent aus dem Norden, vielleicht aus Salta. Ein paar Männer waren allein, wie ich; vielleicht fuhren auch sie für einen Tag nach Uruguay, um zu arbeiten oder Geld zu holen.

Die Schlange rückte vor, ich lief durch die mit Teppich ausgelegten Gänge und erreichte die Fähre. Der große Raum mit den vielen Sesseln hatte etwas von einem Kinosaal. Ich entdeckte einen Platz am Fenster, setzte mich und schickte dir eine Nachricht: »An Bord. Ich liebe dich.« Ich schaute aus dem Fenster. Es wurde bereits hell. Die Hafenmole verlor sich in gelblichem Nebeldunst.

Dann schrieb ich die Mail, die du später entdeckt hast:

»Guerra, ich bin auf dem Weg. Kannst du um zwei?«

Ich ließ mein E-Mail-Postfach niemals offen. Nie. In dem Punkt war ich sehr, sehr vorsichtig. Mich beruhigte das Gefühl, dass ich einen Teil meines Gehirns nicht mit dir teilte. Ich brauchte meinen Schattenkegel, meinen Türstopper, meine Intimsphäre, und sei es nur, um zu schweigen. Diese Siamesische-Zwillings-Nummer einiger Paare erschreckt mich immer wieder: Sie haben die gleiche Meinung, sie essen das Gleiche, sie betrinken sich gleichzeitig, als ob sie einen Blutkreislauf teilten. Es muss einen chemischen Befund von Nivellierung geben, wenn man viele Jahre lang ständig diese Choreografie beibehalten hat. Derselbe Ort, die gleiche Routine, die gleiche Ernährung, simultanes Sexleben, identische Stimuli, Übereinstimmung von Körpertemperatur, finanziellen Verhältnissen, Ängsten, Anreizen, Wanderungen, Plänen … Welches zweiköpfige Monster wird auf diese Art erschaffen? Du wirst mit dem anderen symmetrisch, die Stoffwechsel synchronisieren sich, du funktionierst spiegelbildlich; ein zweiteiliges Wesen mit einem einzigen Wunsch. Und das Kind wird diese Umarmung mit einem ewigen Band umschlingen und es für immer verknoten. Allein die Vorstellung schnürt mir die Kehle zu.

Ich sage »die Vorstellung«, denn ich denke, dass wir beide dagegen ankämpften, auch wenn die Trägheit uns schon gepackt hatte. Mein Körper endete nicht mehr an meinen Fingerspitzen; er setzte sich in deinem fort. Ein einziger Körper. Es gab keine Catalina mehr, keinen Lucas. Unsere Abgeschlossenheit bekam Löcher, Risse: Ich sprach im Schlaf, du hast meine Mails gelesen …

In einigen Gegenden der Karibik geben die Eltern dem Kind einen Namen, der sich aus dem des Vaters und dem der Mutter zusammensetzt. Hätten wir ein Mädchen bekommen, hätten wir sie Lucalina nennen und Maiko hätte Catalucas heißen können. Das ist der Name des Monsters, das du und ich waren, als wir uns einer in den anderen ergossen. Diese Vorstellung von der Liebe gefällt mir nicht. Ich brauche einen Winkel nur für mich. Warum hast du meine Mails angeschaut? Ich habe mir deine nie angesehen. Ich weiß schon, du hast dein Postfach immer offen gelassen, das hat meine Neugier erstickt, aber ich wäre auch nie auf die Idee gekommen, deine Nachrichten zu lesen.

Die Fähre lief aus. Das Hafenbecken blieb in der Ferne zurück. Ein Stück Küste war zu sehen, schwach erahnte man die Silhouetten der Häuser. Ich verspürte enorme Erleichterung. Weggehen. Und sei es nur für kurze Zeit. Das Land verlassen. Aus dem Lautsprecher tönten die Sicherheitsvorschriften, auf Spanisch, auf Portugiesisch, auf Englisch. Eine Rettungsweste unter jedem Sitz. Kurz darauf: »Wir möchten die Passagiere darauf aufmerksam machen, dass der Freeshop geöffnet hat.« Welches argentinische Genie hat sich dieses Wort einfallen lassen, Freeshop? Je mehr Handelsbeschränkungen erlassen werden, desto besser gefällt uns Argentiniern dieses Wort. Eine seltsame Vorstellung von Freiheit.

Ich unternahm diese Reise, um mein eigenes Geld zu schmuggeln. Die Vorschüsse auf meine Autorenhonorare. Die Kohle, die alle Probleme lösen würde. Bis hin zu meiner Depression und Zurückgezogenheit und dem ständigen »Nein« des Mangels. Nein, ich kann nicht, weil ich kein Geld habe, nein, ich gehe nicht aus, nein, ich verschicke den Brief nicht, nein, ich drucke das Formular nicht aus, nein, ich frage nicht bei der Agentur nach, ich lege den Streit nicht bei, ich streiche die Stühle nicht an, ich kümmere mich nicht um die feuchten Wände, ich schicke den Lebenslauf nicht ab. Warum? Weil ich kein Geld habe.

Im April hatte ich das Konto in Montevideo eröffnet. Vor Kurzem, im September, waren die Vorschüsse aus Spanien und aus Kolumbien für zwei Buchverträge eingetroffen, die ich vor Monaten unterschrieben hatte. Wenn man mir das Geld nach Argentinien überwiesen hätte, wäre es von der Bank zum offiziellen Wechselkurs in Pesos umgetauscht und die Einkommensteuer wäre auch noch abgezogen worden. Wenn ich das Geld aber in Uruguay am Bankschalter abholte und in bar nach Hause brachte, konnte ich es in Buenos Aires zum inoffiziellen Kurs wechseln und hatte mehr als das Doppelte übrig. Die Reise lohnte sich, auch wenn die Gefahr bestand, dass die Zollbeamten die Geldscheine bei meiner Rückkehr fanden. Denn ich würde mit mehr Dollars die Kontrolle passieren, als erlaubt war.

Der Río de la Plata: Silberner Fluss – oder Fluss des Geldes? Nie war ein Name so gut gewählt. Das Wasser begann zu glitzern. Ich würde dir das Geld zurückzahlen können, das ich dir für die Monate schuldete, in denen ich keine Arbeit gehabt hatte und wir von deinem Gehalt allein gelebt hatten. Ich würde mich etwa zehn Monate lang ausschließlich dem Schreiben widmen können, wenn ich auf die Ausgaben achtete. Die Sonne ging auf. Die Pechsträhne wäre vorüber. Ich erinnere mich an den Tag, als wir die Autobahnmaut mit Stapeln von Fünfzig-Centavo-Münzen bezahlten. Wir wollten meinen Bruder in Pilar besuchen. Die Frau im Kassenhäuschen konnte es nicht glauben. Sie zählte das Hartgeld, fünfzehn Pesos in Münzen. Es fehlen fünfzig Centavos, sagte sie. Hinter uns wurde gehupt. Das muss stimmen, zählen Sie es noch einmal, sagte ich. In Ordnung, fahren Sie, sagte sie, und lachend preschten wir los, du und ich, aber vielleicht mit einem leicht bitteren Nachgeschmack, ohne es uns einzugestehen. Denn du sagtest: Wir haben finanzielle Probleme, keine wirtschaftlichen. Und das schien zuzutreffen. Doch ich arbeitete keine Projekte aus, ich hatte mit niemandem einen Vertrag geschlossen, ich wollte keine Kurse leiten und keinen Unterricht geben, und es entstand ein Schweigen, das mit den Monaten wuchs, in dem Maße, wie sich die Küchenspüle löste und ich sie mit ein paar Blechdosen abstützte, die Teflonschicht der Töpfe bekam Kratzer, eine Wandleuchte im Wohnzimmer brannte durch, und wir saßen im Halbdunkel, die Waschmaschine ging kaputt, der alte Ofen begann, einen seltsamen Geruch zu verströmen, die Lenkung des Autos zitterte wie eine Raumfähre beim Durchqueren der Atmosphäre … Und meine Zahnbehandlung wurde nicht beendet, weil die Krone sehr teuer war, die Spirale für dich schoben wir bis auf Weiteres auf, Maikos Kindergarten schuldeten wir zwei Monatsbeiträge, wir waren mit dem Wohngeld im Rückstand, mit der Krankenversicherung, und eines Nachmittags wurde im Walmart keine unserer Kreditkarten mehr akzeptiert. Maiko stampfte wütend zwischen den Kassen auf den Boden, während wir alles zurücklegen mussten, was wir in den Einkaufswagen getan hatten. Wir waren wütend, und wir schämten uns. Nicht genug Guthaben.

Einmal stritten wir auf dem Balkon, ein anderes Mal in der Küche, du saßt mit übergeschlagenen Beinen auf der Marmorarbeitsplatte, hast geweint und dir Eis auf die Augen gelegt. Morgen muss ich mit diesen Augen zur Arbeit, so ’ne Scheiße, sagtest du. Du hattest es satt, mich, meine Giftwolke, meinen sauren Regen. Ich habe das Gefühl, du bist am Boden, erledigt, sagtest du. Ich verstehe nicht, was du willst. Und ich, mit dem Rücken gegen den Kühlschrank, anästhesiert, wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich suchte nach einem Ausweg, egal welchem, ich fühlte mich in die Enge getrieben, und mir fiel nichts Besseres ein, als dir meinen Frust aufzutischen. Ich provozierte dich, um zu sehen, wie du reagieren würdest. Wenn du dein Sexleben auf zwei Mal im Monat reduzieren möchtest, mach das, ich kann so nicht leben, sagte ich zu dir. Wenn ich ausging und nach einer Lesung oder einer Gesprächsrunde in einem Kulturzentrum noch etwas trank, sprachen mich oft Frauen an, eine vorwitzige Fünfundzwanzigjährige oder eine attraktive Fünfzigjährige. Sie fragten mich etwas, lächelten mich an, sie wollten, sie wollten unbedingt, und ich dachte, warum eigentlich nicht, zwei Bier und dann ab ins Hotel, etwas Abenteuer, mir wuchsen Reißzähne, ein Löwe an einer Leine aus Wurstgarn. Ich muss gehen, sagte ich dann zu der jeweiligen Frau, ein Küsschen auf die Wange, wie schade, meinte sie, ja, ich habe einen kleinen Sohn, die eiskalte Dusche, morgen weckt er mich früh auf, das war’s, basta. Und ich trat hinaus in die Nacht, stieg in einen Bus, kam nach Hause, wo du schon schliefst, ich schmiegte mich an dich, in Löffelstellung, aber nichts, du warst erschöpft, im Tiefschlaf. Am frühen Morgen kam Maiko in unser Bett. Wir standen auf. Wir rührten ihm seinen Nesquik an, ich brachte ihn zum Kindergarten, du machtest dich auf ins Zentrum. Ciao, wir sehen uns heute Abend, und wenn du zurückkamst, warst du müde und wolltest ohne Abendessen ins Bett gehen, und ich schaute mir eine Serie an, Wut staute sich in mir auf, giftiges Testosteron. Monate ging das so.

Soll ich dich dazu beglückwünschen, dass du dir keine Freundin suchst?, sagtest du. Muss ich dir etwa dankbar sein? Du warst wütend, auf Streit aus. Und du hast dir nichts anmerken lassen. Du kannst gut diskutieren. Sag mir, was du willst, hast du mich provoziert. Und ich entgegnete nichts mehr. Ich wollte nicht weiter streiten. Ab welchem Moment war es paralysiert, das Monster, das aus dir und mir bestand? Es gab Zeiten, da haben wir im Stehen gevögelt. Erinnerst du dich? Auf dem Balkon deiner Wohnung in Agüero, gegen den Wandschrank gelehnt, den wir zusammen gestrichen hatten, in der Dusche und einmal auch auf dem Esstisch. Wir waren schön, wenn wir uns auf diese Weise suchten. Wir waren gierig nacheinander. Von vorn, ich hob dein Bein an und drückte es gegen die Wand, auf allen vieren im Sessel, sodass die Deko umfiel, du auf mir, plötzlich gekrümmt, als ob ein außerirdisches Schiff dich in die Lüfte entführen würde. Wir hatten Ideen, wechselnde Stellungen, wie in Rotation, kraftvoll, entflammt. Kurz darauf war unsere Bestie mit den zwei Rücken gelähmt, sie stürzte und stand nicht wieder auf. Sie tauchte nur noch in der Nähe des Betts auf, durch Berührung, in der Horizontalen, die faule Bestie, schnelle Nummern in einer einzigen Stellung, die vorhersehbare Missionarspose, oder du auf dem Bauch, beinahe abwesend. Allein und zusammen. Oder diese Nächte, in denen du so müde warst, dass du dich nicht richtig ins Bett, sondern zwischen Überdecke und Laken gelegt hast, und wenn ich später unter das Laken schlüpfte, konnte ich mich weder an dich schmiegen noch meinen Arm um deine Taille schlingen, ich konnte weder deine Brüste berühren noch dir einen Kuss in den Nacken geben, getrennt durch straff gespannten Stoff waren wir Seite an Seite, aber unerreichbar füreinander, wie auf zwei verschiedenen Ebenen der Realität.

In vielen Nächten passierte Folgendes: Ich blieb wach auf dem Rücken liegen, spürte deinen Atem und hörte den Wassertropfen, der gegen zwei Uhr morgens erklang und von dem wir nie wussten, wo er hinunterfiel, das zuverlässige Geräusch der Schlaflosigkeit, der Tropfen des Unbewussten. Am meisten störte mich, dass es kein regelmäßiges Tropfen war, nicht vorauszusagen, es sammelte sich in irgendeiner Ecke, sicher war es schon eine Pfütze, Feuchtigkeit, die den Gips, den Zement zerfraß und das Mauerwerk brüchig werden ließ. Ich musste mich in den Sessel im Wohnzimmer setzen, noch eine Weile im Internet surfen, bis ich dort einschlief, um später vollkommen zerschlagen ins Bett zurückzukehren. Ich denke, du hattest recht: Ich war erledigt. Ich weiß nicht, wer oder was daran schuld war, aber ich genoss diesen Zustand. »Ich lag eine Zeit lang am Boden, den Wahnsinn liebte ich sehr …«, so ging ein Lied, das ich an diesem Abend betrunken sang.

Ich habe mich selbst kaputtgemacht, nehme ich an. Mein innerer Monolog, meine Gegenrede. Wenn ich weder schreibe noch arbeite, schwillt die Wörtermenge in meinem Kopf an und überflutet mich. Zweifel überwucherten mich wie Kletterpflanzen. Ich fragte mich, mit wem du dich trafst. Du kamst spät, schick zurechtgemacht und müde nach langen Konferenzen und Empfängen der Stiftung … Und diese subtilen Unterschiede: Früher hast du dich nur sehr selten rasiert, jetzt fühlte ich jedes Mal deine glatten Beine, wenn ich dich im Bett berührte. Mein Kopf füllte sich mit Fragen. Hast du dein Äußeres für jemand anderen gepflegt? Und wo traft ihr euch, Cata? In Stundenhotels? Das war nie dein Ding gewesen, aber vielleicht turnte es dich genau deshalb an. Ich fragte mich, wer es sein mochte, ich hatte keine Ahnung, vielleicht ein Mitglied des Verwaltungsrats. Dein Venushügel, sonst immer buschig im Stil der Sechziger, war plötzlich beschnitten, kleiner, ein wenig spitzer. Für den Bikini, sagtest du zu mir, und richtig, es war Dezember, und ein Sommer voller Einladungen in Gärten mit Swimmingpools stand bevor. Du bist zum Gynäkologen gegangen und hast die Pilzinfektion behandeln lassen, deretwegen dir ein starker Geruch anhaftete, und ich musste das Medikament ebenfalls nehmen, für den Fall, dass ich auch erkrankt war. Ließen wir uns beide für deinen Liebhaber behandeln? Du kamst immer öfter spät nach Hause, nach einem Essen, um ein oder zwei Uhr nachts, und vom Bett aus hörte ich, wie du das Wasser lange aus dem Hahn laufen ließt, intensives Einseifen, Abschminken, Bidet, Zahnbürste. Ich bin fast sicher, dass du wieder zu rauchen anfingst. Mit wem? Ich sah dich vor mir, auf der Terrasse einer Bar mit einem Glas Champagner und einer Zigarette in der Hand, deine Art zu rauchen, dein Lächeln. Das hast du bei deinem Zwischenstopp im Bad fortgewischt. Einmal hast du sogar geduscht, bevor du ins Bett gekommen bist. Eines Nachts bemerkte ich ein aufdringliches Eau de Cologne an dir, aber ich bin sehr eigen mit Gerüchen, hypersensibel, und es könnte auch von einem Abschiedsküsschen beim Essen mit den Kollegen gestammt haben. Wo war dein Herz zwischen all diesen Kardiologen? Du wurdest immer verschlossener, du hast dich in dir selbst versteckt, und du hast meine Sachen durchsucht, um etwas zu finden. Wenn die Eifersucht mir den Verstand vernebelte, hatte ich Lust, dir einen Leitfaden für Geliebte zu mailen: Du musst nicht nur rasiert und umsichtig sein, du musst ein sauberes Ersatzhöschen in der Handtasche haben, jedes Mal vor und nach dem Sex das Bidet benutzen, deine Leidenschaft kontrollieren, das Treffen verschieben, wenn du deine Periode hast, seine Nummer im Handy blockieren. Geliebte menstruieren nicht. Sie rufen den Geliebten auch nicht an, machen keine Geschenke, sie beißen nicht im Bett, benutzen weder Rouge noch Parfum. Sie hinterlassen keine Spuren auf dem Körper. Sie entfachen nur das Feuer der Leidenschaft. Sie aktivieren das zentrale Nervensystem, entzünden es von innen.

Was für Fantastereien. Ich hatte keine Ahnung und führte mich auf, als sei ich der Überlegene, der alte Hase. Glücklicherweise habe ich dir diese Mail nie geschrieben. Ich grübelte über meine Zweifel, meine Unsicherheit nach. So sah mein Verhalten als Arbeitsloser aus, die Ohnmacht des jagenden Männchens, des Typs, der seine Familie nicht versorgt, der dich bittet, ihm Geld zu überweisen, der seinen Bruder beim Grillen hinter vorgehaltener Hand nach zehntausend Pesos fragt, und diese Excel-Tabellen, die du so gern anlegtest, meine Zahlen in Rot, meine wachsenden Schulden. Das alles war nicht besonders erotisch, das gebe ich zu. Und es stimmt auch, dass Mr. Lucas schon etwas älter, weniger attraktiv war. Zumindest habe ich mich so gefühlt. Das Rückgrat schief, großer Auftritt als der Hagere mit Bauch, ein paar graue Kopf- und Schamhaare, der Schwanz, der sich praktisch über Nacht krümmte und leicht nach rechts bog, als ob mein Kompass verrücktspielte und statt nach Norden ein wenig nach Osten, in Richtung Uruguay zeigte. Das war es wohl vor allem, was mit mir los war, ich war mit den Gedanken woanders. Manchmal, wenn du nach Hause kamst, beobachtete ich vom Balkon aus den Sonnenuntergang. Wie ein Gefangener klammerte ich mich an das Gitter, das wir angebracht hatten, als Maiko zu laufen anfing.

Die Vibrationen der Fähre hatten mich eingeschläfert. Jetzt öffnete ich die Augen: Die Sonne war über dem Fluss aufgegangen. Wir waren schon in der Nähe von Colonia. Mein Handy hatte wieder Empfang, und ich bekam eine Mail von Guerra:

»Okay. Um zwei. Am selben Ort wie letztes Mal.«

Ich sagte ihren Namen, nur zu mir selbst, in Richtung des Fensters, mit Blick auf das Wasser, das wie flüssiges Silber glitzerte:

»Magalí Guerra Zabala.«

Zweimal wiederholte ich ihn.

2

Per Lautsprecher erklang die Durchsage, dass wir bald ankommen würden und dass die mit Auto reisenden Passagiere gebeten wurden, »sich ins untere Deck zu ihren bis auf Weiteres nicht zu startenden Fahrzeugen zu begeben«. Umständliches, unverständliches Gerundivum. Ich stellte mich in die Nähe der Tür, um als einer der Ersten hinauszukommen und im Bus einen guten Sitzplatz zu ergattern. Sofort sammelte sich eine Menschenmenge. Augenblicke wie Vieh auf dem Schlachthof. Alle starrten auf die geschlossene Tür. Gleich würden wir losbrüllen. Da wurde die Tür geöffnet.

Jetzt bin ich schon in Uruguay, dachte ich, während ich diesen blechernen Gang mit den Plastikfensterchen entlanglief. Ich passierte den Zoll und ging nach draußen zu den Omnibussen. Der Typ, der vor mir ging, blieb stehen, um zu rauchen, sodass ich als Erster ankam. Zumindest glaubte ich das. Als ich einstieg, war der Bus bereits voll. Vielleicht waren es Passagiere einer anderen Fähre.

»Nach Montevideo?«

»Ja«, antwortete der Fahrer.

»Soll ich auf den nächsten warten?«, fragte ich, in der Hoffnung, ich könnte in einen leeren Bus einsteigen.

»Nein. Hinten ist noch was frei.«

Resigniert kletterte ich die Stufen hinauf. Die Gesichter. Ich sah keinen einzigen freien Sitz. Hinten entdeckte ich einen, genau dort, wo es mir gefiel: auf der rechten Seite am Fenster. Ich sprach den Mann an, der auf dem Gangplatz saß. Er stand auf und ließ mich vorbei. Als ich mich hinsetzte, wurde mir klar, warum der Platz noch frei gewesen war: Es war der Sitz, bei dem das Hinterrad des Busses einen Großteil des Fußraums einnahm. Die Reise würde unbequem werden, aber ich hatte den Ausblick, der mir gefiel, denn auch wenn man es noch nicht sehen konnte, merkte man der Landschaft auf dieser Seite bereits die Nähe zum Meer an.

Der Bus fuhr los, hinaus aus dem Hafen auf eine mit Palmen gesäumte Fernstraße. Was nur gefiel mir so sehr an diesen riesigen Palmen, die in einer endlosen Reihe an mir vorüberzogen, unerschöpflich, immer weiter, wie ein Tor zu einer anderen Welt, ein Durchgang zu den Tropen, eine Spur Afrika? Welche Kombination verschiedener Umstände löste diesen Glücksanfall aus? Das weißere Licht, der schlingernde Bus, die Reise über Wasser und Land, die einladende, abwechslungsreiche Hügellandschaft, fernab der verdammten metaphysischen Pampa, der Morgen, ein grasendes Pferd, dieses »Nicht sein«, dem man sich beim Reisen überlässt, die Wolken …

Oben auf dem Fenster stand der Schriftzug »Notausgang«, nur dieses eine Wort vor dem Hintergrund des Himmels. Es schien eine Metapher für etwas zu sein. Die Möglichkeit, sich ins himmlische Nichts zu flüchten.