Auf der Spur der Keime - Willi Dommer - E-Book

Auf der Spur der Keime E-Book

Willi Dommer

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Beschreibung

Seit Mitte 2016 verbringt der Willi Dommer fast ein ganzes Jahr in diversen Krankenhäusern Südbadens. Mit Verdacht auf Lungenentzündung – eventuell sogar TBC - geht es los. Darüber hinaus leidet er an Durchblutungsstörungen der Beine mit off enen, von Keimen belegten Wunden. Täglich müssen die durchnässten, stinkenden Verbände unter erheblichen Schmerzen gewechselt werden. Nach einiger Zeit plagen ihn Wahnvorstellungen und Existenzängste. Er fällt mehrmals aus dem Bett. Erst später wird ihm klar, dass er in den „kalten Entzug“ geraten ist. Von Ärzten und Pfl egekräften fühlt er sich in dieser Situation unverstanden. Bei einer CT mit Zangenbiopsie wird ihm versehentlich die Lunge perforiert und er handelt sich einen Pneumothorax ein. Luft gerät in den Rippenfellraum und muss mit einer Drainagepumpe abgesaugt werden. Kaum daheim, kollabiert die Lunge um 70 Prozent, er droht zu ersticken und wird mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus zurückgebracht, wo es ihm mit Müh‘ und Not gelingt, eine drohende Einweisung ins Pfl egeheim zu verhindern. Um die Durchblutung im rechten Bein zu gewährleisten, legt man ihm einen Bypass; die Keimbeläge auf den Wunden werden alle drei Tage operativ und schmerzfrei entfernt. Alles scheint sich bestens zu entwickeln, bis die entzündete Bypasswunde plötzlich extrem zu bluten beginnt. Mit einer Herzdruckmassage holt man den Patienten unsanft ins Leben zurück. Nach seiner Entlassung kann er sich endlich um einen Termin für die dringend gebotene Augen-Laser-OP (Grauer Star) kümmern, die wegen der ausgedehnten Krankenhausaufenthalte mehrfach verschoben werden musste. Auch sonst muss er sich zuhause Schritt für Schritt in ein selbstbestimmtes Leben zurückhangeln. Willi Dommer erhebt mit seiner Erzählung keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. „Vielmehr schildere ich meine Erlebnisse aus einer höchst persönlichen und demzufolge äußerst begrenzten Sicht“, sagt er. „Doch haben Menschen, die in einer Klinik arbeiten, wohl selten die Gelegenheit, so ausführlich dargelegt zu bekommen, wie ein Patient sich fühlt bei dem, was tagtäglich mit ihm gemacht, über ihn hinweg bestimmt wird oder auch um ihn herum geschieht.“ Die Pfl egekräfte – so Dommer – haben ihr Bestes gegeben. „Ihnen gilt meine uneingeschränkte Anerkennung.“

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Die Handlung ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.

Inhalt

Vorwort: Das moderne Hospital

Der approbierte Todesbote

Flaschensammeln mit Hans-Dieter

Wo immer der blanke Wahn zuschlägt

The Acid Queen

Gnadenlose Selbstüberschätzung

Im Raucherzentrum

Luft im Pleuraraum

Wohl dem, der sanft hinüber schläft

Mit Heckantrieb durch die Herzklinik

Eine falsche Schlange

Ja sind wir denn in Babylon?

Home again!

Erwachen in eigenem Blut

Aller guten Dinge sind drei

Zurück ins Leben

Der Autor

Mein besonderer Dank gilt den Krankenschwestern Manuela und Renate

Vorwort: Das moderne Hospital

Warum begeben wir uns vertrauensvoll in die Obhut eines Krankenhauses? Natürlich um gesund zu werden. Da sorgen Ärzte unterschiedlichster Fachrichtungen für die gezielte Behandlung meines Leidens und bestenfalls für mein körperliches, ja sogar geistiges Wohlergehen. Diverse Diagnoseverfahren wie Computertomographie, Röntgen, Magnet-Resonanz-Tomographie oder Laboranalyse stehen meistens vor Ort zur Verfügung. So können die medizinischen Fachkräfte umgehend entscheiden, welche Medikation, welcher chirurgische Eingriff und welche begleitenden therapeutischen Maßnahmen angesagt sind, um den geschädigten Organismus wieder auf Vordermann zu bringen.

So jedenfalls die Grundidee eines modernen Hospitals. Die Zeit der einstigen »Siechenhäuser« oder »Pest- und Leprosenheime« scheint Geschichte zu sein.

Wirklich?

Immer häufiger hören wir von »multiresistenten Keimen«, denen kaum noch mit Antibiotika beizukommen ist. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene setzt die Zahl der jährlichen Todesfälle durch Krankenhauskeime bei bis zu 30.000 an (s. auch FAZ vom 3.12.2012)

Ein weiteres Thema ist der »Pflegenotstand« mit seinen negativen Folgen für das Wohl der Patienten. Die Medien widmen sich derzeit mit Vorliebe der Neuerscheinung »Tatort Krankenhaus« von Karl H. Beine, Chefarzt am St. Marien-Hospital Hamm und Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke. Seine Schätzung nach einer großangelegten Umfrage: In Deutschland sterben in jedem Jahr bis zu 21.000 Patienten durch die Menschen, die sie wieder gesund machen oder wenigstens gut versorgen sollten – Opfer der Profitgier im Gesundheitssystem.

Während heute die Machtfrage im Gesundheitswesen fast durchweg zugunsten der Ökonomie entschieden wird, fällt die klinische Realität sogar hinter die überaus bescheidene Definition des Philosophen Friedrich Nietzsche zurück, der Gesundheit als »dasjenige Maß an Krankheit« betrachtete, »das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen«. Wenn es mal so wäre …

Ich habe seit Mitte letzten Jahres fast ein ganzes Jahr in verschiedenen Krankenhäusern Südbadens zugebracht. Die Pflegekräfte haben ihr bestes gegeben. Ihnen gilt meine uneingeschränkte Anerkennung. Dabei habe ich in der langen Zeit durchaus einiges mitgemacht: Wahnvorstellungen im kalten Entzug, Pneumothorax nach Zangenbiopsie, Kollaps der Lunge um 70 Prozent, Reanimation nach extremem Blutverlust – um nur einiges zu nennen.

Ich erhebe nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Vielmehr schildere ich meine Erlebnisse aus einer höchst persönlichen und demzufolge äußerst begrenzten Sicht. Doch haben Menschen, die in einer Klinik arbeiten, wohl selten die Gelegenheit, so ausführlich dargelegt zu bekommen, wie ein Patient sich fühlt bei dem, was tagtäglich mit ihm gemacht, über ihn hinweg bestimmt wird oder auch um ihn herum geschieht.

Der approbierte Todesbote

Sein Antlitz ist geprägt von jener hartnäckigen Behaarung, die selbst nach fleißiger Rasur die grauen Schatten auf Wangen und Kinn nie ganz verschwinden lässt. Eine düstere, betont schleppende Stimme tut das Ihre hinzu, um den dunklen Typen im weißen Arztkittel als Gesandten aus irgendeiner Anderswelt zu markieren, in der Vorhersagen und Vorausahnungen als etwas völlig Normales gelten.

»Wir sind uns doch auch schon mal begegnet«, sage ich mit vorsichtig fragendem Unterton. Immerhin kommt er mir nicht ganz unbekannt vor. »Da war Ihr Zustand aber ein gänzlich anderer«, raunt der Weißkittel und meint dies wohl alles andere als positiv, fügt er doch hinzu. »Es sieht weißgott nicht gut für Sie aus.«

»Oh-oh«. So deutlich hatte mir das bislang niemand gesagt. Allenfalls hieß es mal im grundsätzlich wohlmeinenden Freundeskreis: »Lang macht’s der Willi nicht mehr, wenn er’s so weitertreibt.« Nun, ich rauche immer noch, trinke Rotweinschorle – nicht zu knapp. Mein Hausarzt hat mir ja eine Flasche Bier pro Tag zugestanden. Die Umrechnung auf Schorle ist schließlich meine Sache.

Der Weißkittel geht eher ans Eingemachte: »Mal ehrlich, wenn Sie jetzt jemand fragen würde, ob Sie in diesem erbärmlichen Zustand wirklich weiterleben wollten, was wäre Ihre spontane Antwort?«

»Nicht wirklich, würde ich wohl sagen.«

Ausgerechnet ich, der ich zeitlebens damit geprahlt habe, nie auch nur einen Gedanken an Lebensmüdigkeit verschwendet zu haben! Hätte er mir einfach nur etwas Schlimmes prophezeit, wäre er, was man in meiner münsterländischen Heimat einen »Spökenkieker« nennen würde, einen Menschen mit dem »zweiten Gesicht«. Die aus der Nähe von Münster stammende Dichterin Annette von Droste-Hülshoff war überzeugt, selbst ein solch gesteigertes Ahnungsvermögen zu besitzen.

»Oh, sprich ein Gebet, inbrünstig, echt«, schrieb sie in ihrer Ballade ›Vorgeschichte‹, »für die Seher der Nacht, das gequälte Geschlecht.«

Der approbierte Todesbote hat seine ganz eigene Vorgehensweise und erzielt dabei eine viel tiefergreifende Wirkung. Psychologie spielt dabei eine entscheidende Rolle. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, welch’ Ungemach mir bevorsteht.

Vielleicht ist es ja gerade die Approbation, die den Unterschied ausmacht. …

Eine wohl platzierte ärztliche Frage, und schon stürzt das schöne Gebäude der Lebensfreude erbarmungslos in sich zusammen. Dabei habe ich doch längst nicht alles im Leben erreicht, was ich mir vorgenommen habe. Da liegt doch noch der absolute Bestseller »Jenseits der gläsernen Grenze« in der geistigen Schublade, den ich stets habe schreiben wollen – ganz zu schweigen von dem skurrilen Ölgemälde mit dem Titel »Stigma«, das mich in meiner desolaten finanziellen Situation ein für alle mal sanieren sollte. Nicht zu vergessen der Roman »Von einem, der auszog und unter die Esoteriker fiel« …

Illusionen habe ich immerhin noch.

Währenddessen werden mir Nasenstöpsel für eine bessere Sauerstoffzufuhr verpasst. Sie vermögen indes kaum das Rasseln der Bronchien zu übertönen. Der Ringfinger steckt in einer verkabelten Klammer, welche die Sättigung des Blutes mit Sauerstoff registriert. Von diversen Fingern und Elektroden auf der Haut meines Brustraums führen zahllose Kabel zu einem Monitor, der eine lückenlose Überwachung anhand ausgewählter Körperfunktionen gewährleisten soll.

Meinen abermals aufkeimenden Lebenswillen verdanke ich kurz darauf der Konfrontation mit einer dreisten Pflegekraft, die offenbar auf Krawall gebürstet ist. Ich gebe ihr sogleich zu verstehen, was ich von ihrer Unverschämtheit halte.

Sie sei halt in Berlin aufgewachsen, redet sie sich heraus; und in der Spree-Metropole, sage man frei heraus, was man denke, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Offenheit und Impertinenz sind aber für mich nach wie vor zweierlei. Und ich lasse keinen Zweifel darüber, was ich von ihrer Wesensart halte. … Und ihre landschaftliche Herkunft aus der »Hoppla-hier-komm-ick-City« Berlin lasse ich als Erklärung für Frechheit nicht gelten. Ich kenne viele von dort, die sind völlig anders drauf.

Oh-oh Willi, glimmt da etwa doch noch ein streitbarer Funke? Geradezu lebensgefährlich bei gleichzeitiger Zufuhr von explosivem Sauerstoff über die Nasenstöpsel. Weder Westfalen aus dem Ruhrgebiet noch Cops aus Rosenheim sind sonderlich berühmt dafür, allzu oft ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Aber sind sie nicht ohnehin Quatsch – jene Versuche, den Landschaften und ihren Bewohnern spezifische Eigenarten zuzuschreiben: der offene, aber oberflächliche Kölner, der Dich am Rosenmontag küsst, aber am Aschermittwoch nicht mal mehr mit dem Arsch anguckt oder der zurückhaltende, schwer zugängliche Münsterländer, mit dem man erst sprichwörtlich zwei Fass Salz gefressen haben muss, bevor man ihn wirklich kennt, der dich dann aber so schnell nicht mehr vergisst.

Flaschensammeln mit Hans-Dieter

Wie dem auch sei – meine Zeit auf der Auffangstation ist nach zwei Tagen abgelaufen. Im offiziellen Sprachgebrauch ist es zwar die »Überwachungsstation«, doch gefällt mir einfach die abenteuerliche Vorstellung, von der Straße aufgegriffen worden zu sein wie ein streunender Köter oder Kater. Biedere Tatsache ist es indes, dass mein Hausarzt eines Vormittags in mein Schlafzimmer spaziert kommt, seinen Blick über die Wände mit surrealen Zeichnungen wie »Frauen zwischen Leu und Greif«, »Neues vom Puppenmord« und »The Other Mother« gleiten lässt und mich nach kurzer Inaugenscheinnahme prompt ins Krankenhaus einweist.

Zeichnung »The Other Mother«

Dort werde ich schließlich auf die »Innere I« umgebettet – zwar nicht als Privatpatient, wenngleich dennoch im Einbettzimmer. Immerhin bin ich wohl hochgradig ansteckend – mit was auch immer. Der anfängliche Verdacht auf TBC ist vergleichsweise schnell vom Tisch. Bis es soweit ist, müssen Besucher am Eingang eine weiße Plastikschürze, Mundschutz und Handschuhe überziehen. Meiner Freundin Renate genügt diese Vorsichtmaßnahme längst nicht. Sie hält sich während der gesamten Dauer ihres jeweiligen Besuchs strikt in der äußersten Diagonale zu meinem Bett auf.

Die Infektionskrankheit Tuberkulose – einst unter der Bezeichnung »Schwindsucht« bekannt – ist gewiss kein Leiden vergangener Zeiten. Etwa ein Drittel aller Menschen sind heute mit Tuberkulose-Erregern infiziert. Fast alle Erkrankungen und Todesfälle treten in ärmeren Ländern (Asien, Afrika) auf. Tuberkulose gilt laut WHO als die Infektion, an der die meisten AIDS-Kranken sterben (320 000 im Jahre 2012).

Der Verdacht auf Lungenentzündung hält sich bei mir am längsten. Das Röcheln übrigens auch. Mein Hausarzt hat mich schon vor Jahren vor einer Infektion der Atemwege gewarnt. Das könne meine chronische Lungenkrankheit, die COPD, erheblich verschlimmern und die Kurzatmigkeit erhöhen.