Auf der Suche nach dem verlorenen Lachen - Bodo Pipping - E-Book

Auf der Suche nach dem verlorenen Lachen E-Book

Bodo Pipping

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wer nicht lachen kann über das, was dem Ich hier widerfährt, ist für diese Sache verloren. Für die Idee, einer sei zum Mann ohne Lachen geworden, wie einer ohne Schatten. Weil er sich den Puls der pandemischen Zeit fühlt. Mit der Schlüsselfrage: Wohin entschwanden Lachen? Freude? Gewissheiten? Die Gelassenheit?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 72

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorab für Feiglinge

Verlustanzeige

Spurensuche bei Robert

Der 4. Mann im Boot

Das innere Refugium

Todesstrafe für Plum

Anatomie eines Mordes

Kalenderspruch

Das größte Schlitzohr

Keine Mail zum Löschen

Am Tatort ohne FFP2

Ein Stadion als Trauma

Am Elbe-Seiten-Kanal

Die Spinne der Angst

Kommissare ohne Masken

Allergie-Schock bei Tagesschau

Tom und kein Happyend

Von R2D2 zu Tom

Kassandra und neue Töne

Das Kind und die Wissenden

Alles aus und vorbei

Weg zum Paradies

Das Sansibar meines Lebens

Drehung 1

Drehung 2

Gelotologie

Des Freundes Begeisterung

Zeit für einen Drink

Auch von diesem Planeten?

Das Gebet unserer Zeit

Vorab gesagt: Vorworte sind was für Feiglinge. Und Lügner (weil sie immer hinterher geschrieben werden). Ich schrieb dies, als die Pandemie im 3. Jahr aufloderte im hoffentlich letzten Aufbäumen der Flammen. Als es noch 16 Millionen Nicht-Geimpfter gab. Als ich einmal eine kleine Auszeit hatte von der Gemeinsamkeit. Oder ganz schlicht: als ich mal für kurze Zeit Strohwitwer war. Und schon begann das Unheil.

Wie konnte das passieren? Was hat mich zu einem Typen wie Peter Schlehmil gemacht? Das war der Mann ohne Schatten. Ich bin der ohne Lachen.

Weg ist es. Die Frage stellt sich: wer hat Schuld? Das ist nicht so einfach wie bei Adalbert Chamisso. Wer seinen Schatten verkauft an den Teufel gegen das Versprechen eines stets gut gefüllten Goldsäckels hat die Folgen auszubaden. Im Kunstmärchen lebt er dann dennoch glücklich bis ans Ende seiner Tage.

Mein Fall war komplizierter. Was macht man, wenn man so etwas verloren hat? Eine Anzeige.

Wann hatten Sie es denn zuletzt? Wann ging es denn, Ihrer Meinung nach, verlustig? So So. Sie meinen, es sei Ihr lebenslanger Begleiter gewesen und ohne die verlustige Sache, das Lachen, sei alles nichts mehr wert? Kommen Sie wieder, wenn Sie eine genaue Beschreibung machen können. Sonst sehen wir schwarz für Ihren Fall, für den es noch nicht einmal eine Rubrik gibt. Oder besser: Kommen Sie nicht wieder. Denn die Zeiten sind so hart, dass wir uns nur sehr schweren und konkreten Fällen zuwenden können.

Das machte mich wütend. Die Unterstellung, ich sei ein Querulant, der mit einer Klage belästigt, deren Sinn nicht einsichtig sei.

Was macht man in einer solchen Lage mit dem Etikett: hoffnungslos, aber nicht ernst? Man geht im Netz auf Spurensuche.

Wenn die Sache einen Namen hat, ein eingängiges Etikett, ist man der geforderten Rubrik schon ein Stück näher. Offensichtlich litt ich unter einem neuerdings weit verbreiteten Zusammenbruch der „Resilienz“. Teufel auch. Es war jedenfalls ein Leiden an und mit den Zeitläuften, die sich gegen die Gesundheit im engeren und weiteren Sinn kehrten.

Das Wort ist ein feminines Substantiv. Man muss sie haben, die R., die Kraft zum Widerstand gegen alles, was niederdrückt. Man muss innere Türhüter haben. Die dürfen keineswegs wie bei Franz Kafka sein, wo eine Art KuK- Beamter für immer den Weg versperrt, in dieser Legende „Vor dem Gesetz“.

Da ich nun das Etikett für meinen Fall hatte, konnte ich mich nun an die Beschreibung machen: was ging verlustig?

Da konnte ich mich an die Spuren eines lebenslangen Praktikers des Lachens heften: an Robert Gernhardt. Als guter Deutscher hat er nach den vielen Jahren praktischer Ausübung des Humor-Gewerbes eine 600 Seiten starke Abhandlung geschrieben mit den wuchtigen Titeln „Kritik der Komiker“, „Kritik der Kritiker“ und „Kritik der Komik“. Kant lässt grüßen. Es ist nicht verbürgt, dass Immanuel jemals in seinem Leben gelacht hat.

Nichts hielt Robert Gernhardt davon ab, mit der Gabe der Lesbarkeit die Tiefen dessen auszuloten, was uns lachen macht. Wobei auf der einen Wippe das Anarchische ist, auf der anderen so etwas Wunderbares wie das Lachen als Lösung von aller Erdenschwere. Konnte man ja auch erwarten von einem Mann, der sich so an seinen Schöpfer wandte:

Lieber Gott, nimm es hin,

daß ich was Besond'res bin.

Und gib ruhig einmal zu,

daß ich klüger bin als du.

Preise künftig meinen Namen,

denn sonst setzt es was, Amen.

Komik, lese ich da, spielt mit den Möglichkeiten des Lebens. Ist grundsätzlich anarchisch, im Widerspruch zu Normen und Regeln. Als ich dann bei Robert las, wie er die Ursprünge erklärt, spürte ich eine erste Linderung. Ein Schmunzeln. Fast schon ein Lächeln.

Denn bei der anarchischen Komik steht ihm ein Urahn vor Augen, den er „Bobo den Buckligen“ oder auch „Bobo den Puper“ nennt. Das geht so:

Es ist alles gerichtet. Die Urhorde ist versammelt zur Anbetung der Wildkuh. Die Triebe gilt es zu sublimieren. Der Schamane hebt den Taktstock zum Anstimmen des großen Lobgesangs auf die Gottheit Kuh. Mitten in dieser heiligen Handlung entlässt einer einen Furz von kolossalen Ausmaßen. Wer war das? Bobo der Bucklige. Bobo der Puper.

Erste Verwarnung durch den Häuptling. Noch einmal, und Bobo wird von einem Feuerstein erschlagen. Solche Geschichten folgen einem zeitgeheiligten Ablauf. Ein zweites Mal: der Furz. Bobo sieht sich auch noch scheinheilig um und kalauert: „Wer fahr das?“. Das Weitere ist vorhersehbar. Bobo wird erschlagen. Aber seine Saat der anarchischen Komik ist für alle Zeiten ausgebracht. Da hilft kein Drohen des Schamanen: die Menge lacht, verstohlen, aber alles untergrabend.

Am Anfang ist nicht das niveauvolle Lachen. Es ist lustbetonte, anarchische Komik, mit unserer Verfassung von allen Zeiten an unauflösbar verbunden. Eines Tages greift ein Sigmund-Freud-Epigone zu seinem Notebook und schreibt „Letzte Anmerkungen zu einer untergegangenen Spezies namens Homo Sapiens“. Darin das Kapitel: „Lachen als Widerspruch zur Logik der Künstlichen Intelligenz“.

Als ich so weit räsoniert hatte, fiel mir ein, dass es für Bobo den Puper aus uralten Zeiten ein Pendant in der neuen Welt gibt. Sein Name: Edgar Marsala. Sein Furz deckt fast das Dach des „Ossenburg Memorial Wings“ ab.

Das wird unnachahmlich beschrieben von J.D. Salinger in dem Klassiker „Der Fänger im Roggen“. Unentwegt deckt Holden Caulfield, ein 16jähriger Junge, die Verlogenheit der erwachsenen Welt auf. Ein Kerl ist mit der Erfindung von Beerdigungen im Discount-Stil zu fünf Dollar pro Leiche zum Millionär aufgestiegen und hält nun eine gefühlt zehn Stunden lange Rede vor den Schülern. Er rät, Jesus zum ständigen Begleiter zu machen, auch beim Wechseln der Gänge.

Als diese Suada gänzlich unerträglich wird, kommt das einzig Gute an diesem Tag: ein Furz, der donnernd in das Gewölbe des gestifteten „Ossenburg Memorial Wings“ steigt. Ein „terrific fart“, über den alle lachen, obwohl sie ahnen: die Rache des Direktors wird furchtbar. Sie wollen sogar, dass „old Edgar“ die Sache wiederholt. Doch der ist nicht so in der richtigen Stimmung.

Soweit bisher die Suche nach meinem verschollenen Lachen. Das Komische als Widerspiel zu drückenden Normen und Lasten, als derber Reflex, als Entladung (ein treffendes Wort).

Wie steht es aber um das Lachen, das alle Erdenschwere hinter sich lässt? Sich gleichsam neben Gott stellt und einen archimedischen Hebel hat, die Welt aus den Angeln zu heben – zumindest für den befreienden Moment?

War es nicht das, was mir abhanden gekommen war? Weshalb ich der Mann ohne Lachen wurde? Es galt, mit kriminalistischen Methoden der Sache auf den Grund zu gehen. Dabei musste ich autobiografisch vorgehen. Wie hat mich das Reich des Lachens begleitet? Wie war ich früher gehalten durch ein Netzwerk des Lachens, aus dem ich nun gefallen war?

Was mich mein ganzes Leben lang begleitete war Jerome Klapka Jeromes Büchlein „Drei Mann in einem Boot (vom Hunde ganz zu schweigen)“. Da verbinden sich meine Erinnerungen mit der Forderung, darüber nachzudenken, wann mir das Lachen abhanden kam. Spurensuche:

Es ist ein heißer Sommer. Unser Vater begleitet uns zum Müggelsee, damit wir baden konnten. Der Vater hat schwere Sorgen. Seine Zahnarztpraxis am Alexanderplatz muss sozialistischer Umgestaltung weichen. Da war die ewige Frage: fliehen aus der DDR und am Nullpunkt des Lebens im Westen beginnen?

An diesem Bade-Tag sagte unser Vater: Geht Ihr nur ins Wasser. Ich habe hier ein Buch, für das ich ein kleines Lexikon „Englisch/Deutsch“ brauche. Das reicht mir.

Als wir zurück kamen, vom Baden, fanden wir unseren Vater in Tränen aufgelöst. Wir sahen ihn erschrocken an. Aber dann sahen wir: Er wischte sich die Tränen des Lachens aus dem Gesicht. Wir wollten Anteil haben. Aber er japste nur: Diese Episode mit den Käsen, die mit 200 PS gegen den Wind stinken, das sei so unnachahmlich, das müsse man im Original genießen (Vater war ein Käse-Hasser).

Später habe ich dieses 1889 erschienene Buch immer wieder gelesen. Meine Penguin-Ausgabe hat diesen charakteristischen Gilb und die Gebrauchsspuren nie erkalteter Zuneigung.