Adam 2084 - Bodo Pipping - E-Book

Adam 2084 E-Book

Bodo Pipping

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Beschreibung

Wenn man sich traut, eine Geschichte am Neujahrsmorgen des Jahres 2084 zu beginnen ... Schon einmal gab es einen Abgesang auf Adam mit dem heute so rückblickend anmutenden Titel "1984". Diese Klippe scheint umschifft. Aber nun? Wie geht es Adam in Zeiten, da er sich selbst abschafft als zu kleine Einheit bei "ich rechne also bin ich". Eine spielerische Hochrechnung auf alles, was uns so bevorsteht. Wie gesagt: wenn man sich darauf einlässt, etwas am 1.1. in (heute) 66 Jahren zu beginnen. Ohne per Anhalter durch die Galaxis, ohne Krieg der Sterne. Nur mit Wette auf das, was sich schon abzeichnet.

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Rausgeworfen aus dem Paradies blieb uns, den Vorhof des Garten Eden zu bestellen.

Da konnten wir es uns ja so gemütlich einrichten wie in “1984“.

Eine Jahrhundert nach dieser Chiffre: wie steht es um Sapiens? Wie weit ist er auf dem Weg, sich selbst abzuschaffen?

Wie geht es Adam 2084?

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

1

Adam war am Neujahrsmorgen des Jahres 2084 in der sonderbarsten Stimmung seines Lebens.

Er war, nur leicht verkatert, noch immer erfüllt davon, es um Mitternacht gewagt zu haben, Amarylla zu küssen. Sie war seine Vorgesetzte, die Leiterin der Riesenabteilung „Dokumentation“. Und er wusste: er war nur ein unerhebliches Rädchen in der riesigen Maschinerie des heutigen Lebens.

Der Kuss besiegelte eine Verehrung, die hoffnungslos schien. Zugleich hatte Adam einen sofort vor sich selbst verurteilten Verdacht: und wenn Amarylla, seine Amarylla, auch zu ihnen gehörte? Zu denen, die dabei waren, die Welt zu übernehmen, weil die Zeit von Sapiens ablief?

Adam haderte mit seinen längst verblichenen Eltern. Wie hatten sie ihn nennen können nach dem ersten Menschen, der noch am dichtesten war an der Idee, die Gott von seinen Geschöpfen hatte?

Sicher waren seine Eltern bei der Taufe beschwörend gewesen. Doch was hatten sie gemeint? Sollte er wie sein biblisches Vorbild 930 Jahre alt werden? Wenn das übrigens Mondjahre waren, ergab die Umrechnung ernüchternde 78 Jahre. Adams Zeitgenossen erachteten das für eine lächerlich kurze Spanne. Sollten seine Eltern mit „Adam“ gemeint haben, er möge nahe an der Idee des ersten beseelten Menschen sein und bleiben, hatten sie ihm auch eine Bürde auferlegt. Ihn in dem Glauben bestärkt, er sei der ziemlich letzte seiner Art und geheißen, das Licht auszumachen.

Grau wie seine Stimmung war der Morgen. Ein Samstag (das norddeutsche Sonnabend war wegen der Gefahr missbräuchlicher Abkürzung „So“ gestrichen). Vor den Fenstern sah die atmosphärische Erdhülle wie beleidigt aus: was habt ihr mit mir gemacht? Tief unten in der Straßenschlucht war nur geringer Verkehr. Adam wandte sich vom trostlosen Anblick ab und schaute auf die drei fantastisch analogen Gegenstände, die er wie ein Partisan an Security vorbeigeschleust hatte. Als da waren: Ein Hammer. Ein Nagel. Als Höhepunkt: ein Kalender. So ein richtig altmodisch gedruckter Kalender.

Adam hatte einen Plan: er wollte in seinem kleinen Zimmer diesen Kalender aufhängen. In einem Homo- Faber -Akt verschüttete Energien aufbringen. Dazu gehörte Musik. Er wandte sich an das personalisierte Raumsystem für Unterhaltungs-Elektronik.

„Spiel mir einen vor 100 Jahren populären Song!“

„Suchmodus aktiv.“

Es dauerte ungewöhnlich lange. Anzeigen wie „Digital Remastering“ flitzten vorbei. Dann eine eigenartig apologetische Stimme.

„Nur Annäherungswert möglich. Differenz zu 100 Jahre tolerieren? 1988 statt 1984?“

„Mach schon, Du blöder Datendödler!“

„Emotionalen Ausbruch als 'ja' interpretieren?“

„JA!“

Wenig später flutete die klare Stimme einer Sängerin namens Whitney Houston in den Raum. Verzaubert lauschte Adam der Verklärung des olympischen Gedankens:

I want one moment in time

When I'm more than I thought I could be.

When all of my dreams are a heart beat away

And the anwers are all up to me

When I'm racing with destiny.

Then in that moment of time

I will feel

I will feel eternity

War jemals das einstige „höher, weiter, schneller“ schöner besungen worden? Der Gedanke, mit dem Schicksal zu ringen für den einen Augenblick, da man alle Grenzen überschritt?

Sport war in Adams Zeiten sinnleer geworden. Wenn jeder, um es biblisch auszudrücken, seiner Länge eine Elle hinzufügen konnte, durch APPs, genetische Veränderung, technologische Krücken gegen die schwache Grundausstattung, die man von der Natur mitbekommen hatte – was gab es da noch für Träume? Alle konnten gleich sein. Bis sich dann wieder der alte Adam durchsetzte: einige sind gleicher. Noch war Sapiens im Rückzugskampf.

Adam machte eine Geste. Die Musik klang weich aus.

Eine zweite Geste baute die Verbindung zu Amarylla auf. Sie hatte die Holo-Ereichbarkeit abgewählt. Aber ihre Stimme klang fröhlich.

„Adam! Woher weißt Du, dass ich heute auch im Büro bin?“

„Gute alte Intuition, abgeschafft, weil nicht APP-fähig. Amarylla! Ich habe einen anarchischen Plan, wie ich mit Dir zusammen das Jahr beginnen möchte.“

Amraylla klang besorgt.

„Sei vorsichtig. Du bist nur ein geduldeter Anachronismus. Wehe, wenn sie sagen, Dein Posten sei entbehrlich.“

„Mein Posten als Verwalter von 'Serendipity'?“

„Ja doch. Ich habe ihn Dir verschafft, weil ich die Verletzlichkeit hinter Deiner Fassade spürte.“

„Ach was! Sie wissen, dass sie mich brauchen. Für die vielen Alten. Die allerletzten Nachfahren jenes grüblerischen Affen, der, statt einfach sein Leben zu genießen, diese unnützen Fragen stellte nach dem Leben, dem Universum, den ganzen Rest...“

„Kommt raus '42'. 'Aber vergiss' Dein Handtuch nicht, denn es ist so ziemlich das Nützlichste, was man auf Reisen durch die Galaxis braucht'.“

„Amarylla! Von der Leiterin der Doku-Abteilung kann ich verlangen, dass sie ihren Douglas Adams noch parat hat.“

„Ich kann Dir sogar sagen, dass Dein Fast-Namensvetter Adams vor 100 Jahren betrunken auf einem Feld bei Innsbruck lag, als ihm die Idee kam für diesen wunderbaren Quatsch mit 'per Anhalter durch die Galaxis '.“

Adam klang eindringlich, als er die Bitte zum Besuch erneuerte.

„Ich will gedanklich mit Dir zusammen noch weiter zurück. Ziemlich genau 150 Jahre.“

„Ich mache mich auf den Weg. Es wird ein wenig dauern, weil die Aufzüge seit gestern datenüberfrachtet sind. Von Betrunkenen zu oft mit Befehlen angebrüllt.“

2

W arum glaubte Amarylla ihn warnen zu müssen? Adam griff rebellisch zu seinen drei Fetischen Hammer, Nagel, Kalender und rückte sie sich zurecht. Es galt sich zu behaupten. Schließlich war er der Mann für Serendipity.

Obwohl Adam fest davon überzeugt war, eigenes Denken sei krasser als Suchmaschinenzu nutzen, war er damals, als man ihm den Job vorschlug, gezwungen, die Sache zu „wikipedieren“. Und allmählich wurde ihm „S“ zu einem Schlüsselbegriff.

Wunderbar verknüpften sich darin die englischen Begriffe „serene“ - heiter – und „pity“ - mitleiderregendes Pech. Dazu noch der Märchen-Urgrund. „Serendib“ war der alte Name für das frühere Ceylon (heute Sri Lanka). Drei Märchen-Prinzen hatten dort die Gabe, zufällige und unerwartete Entdeckungen zu machen, von mehr Glück als Verstand begünstigt.So etwas wünschen wir uns ja alle. Nur muss das Prinzip bitte unauffällig bleiben und nicht die Intelligenz kränken.

Der berühmteste Serendipity-Trottel aller Zeiten war Christoph Columbus. Trotz Wiederholung seiner Entdeckerfahrt blieb er bis zum Ende seines Lebens davon überzeugt, er habe den Seeweg nach Indien gefunden. Seiner Verehrung hat diese Dummheit nicht geschadet. Und Alexander Fleming, der vergaß, das Laborfenster zu schließen, entdeckte auf Schimmelkulturen das Penicillin und bekam den Nobelpreis statt eines Tadels wegen Verstoß gegen die Hausordnung.

Zu Adams Zeiten war das Serendipity-Syndrom längst eingepreist in die rastlose Entwicklung neuer Technologien. Die künstliche Intelligenz arbeitete nicht nur mit „fuzzy logic“, sondern nutzte Serendipity-Effekte als Teil der Gegenstrategie zur grundlegenden Dummheit der Menschen.

Wenn man alles transhumanisiert, kann es geschehen, dass ein Elefant im Raum bleibt. Die Perle im riesigen Abfallhaufen der Muscheln übersehen wird. Dafür war innerhalb der Super-Abteilung Doku der Leiter von „Serendipity“ verantwortlich. In der Ausschreibung stand: „ein gefestigter Typ der Nach-Sapiens-Ära“.

Sie ahnten nicht, dass Adam alles war. Nur: auf keinen Fall „gefestigt“.

Er war ein letzter Rebell wie Winston Smith in George Orwells „1984“. Der wurde mit der Nummer 6079 im Zwei-Wege-Fernseher angebrüllt, er solle sich bei der rituellen gemeinsamen Gymnastik tiefer beugen.

Adam wusste seine ellenlange Ident-Nummer nicht auswendig. Irgendwie, spürte er, bin ich auch eine Maus wie Smith,W, im Verhältnis zu Big Brother.

3

A n der Tür ein eher zartes Pochen. Adam wusste nicht genau, ob er Amarylla in die Arme nehmen durfte, beließ es bei einem doppelten Kuss auf beide Wangen.

Amarylla war leicht errötet. Sie sah in Adams Augen hübsch aus, eine eher zierliche Frau mit einem wunderbaren Lächeln. Gewiss mit den Spuren nicht mehr ganz jugendlicher Jahre, aber einer Heiterkeit, zu der er nicht fähig war. Sie grinste sogar ein wenig lausbübisch, als sie die Werkzeuge zur bevorstehenden Tat überblickte.

„Was geschieht mit diesen...äh...Dingen?“

Adam nahm den Nagel quer in den Mund, ergriff den Hammer mit der einen und den Kalender mit der anderen Hand und stieg drei Stufen auf einem Hocker. Vorbereitet an der Betonwand war ein Kreuz. Er holte aus und schlug mit konzentrierter Gewalt auf den Nagelkopf.

Dies reichte aus, um den Nagel für immer unbrauchbar zu machen, sowie für eine knapp unterhalb des Notfallrufs verbleibende Verletzung am Daumen.

Adam fluchte gotteslästerlich. Eine herrische Raumstimme ertönte:

„Housekeeping. Erforderliche manuelle Arbeit anmelden und Bescheid abwarten.“

„Halt das Maul, Du blöder Möchte-gern-Hauswart mit der Blockwart-Masche!“

„Verstehen als Nicht-Auftrag?“

„JA!“

Adam stieg von der Leiter. Amarylla sah ihn an wie wohl seit Adams Zeiten noch jede Eva mitleidig einen gescheiterten Helden angesehen hat und suchte Verbandsmaterial. Dann verlangte sie, nicht fordernd, sondern eine Tragödie witternd, Aufklärung über die gescheiterte Aktion: wie hänge ich einen Kalender auf? Wobei dies selbst skurril anmutete in einer von Digitalanzeigen strotzenden Umwelt. Ein gedruckter Kalender? So richtig mit Ordnungsgruppen für die zwölf Monate und die 365 Tage eines Jahres, mit Sinnbildchen für die wechselnden Jahreszeiten?

Adam sah betrübt auf seinen anschwellenden Daumen und sagte feierlich:

„Und doch bereue ich nicht, dies versucht zu haben. Amarylla! Vor uns steht das Jahr, in dem dieser Kalender mich täglich an der Wand daran erinnert hätte, wie es 100 Jahre nach der schrecklichsten Negativ-Utopie der Menschheit um uns alle steht.“

Amarylla runzelte die Stirn. Während sie zur Samaritertat des Daumenverbindens ansetzte und dies mit einem großen Pflaster krönte, hatte sie nachgedacht.

„Genau genommen ist es schon 136 Jahre her. George Orwell hat das Jahr, in dem er diese düstere Dystopie schrieb, einfach umgedreht: statt 1948 orakelte er „1984“.“

Amarylla zauberte sich die Daten des alten Horrorbuches auf einen Bildschirm und schmökerte darin. Adam blies auf seinen Daumen. Dann sagte sie:

„Wenn Du noch genauer sein willst: Winston Smith schrieb den ersten Eintrag in sein Tabu-Tagebuch am 4. April 1984. Es war der Gruß eines verlorenen Geistes aus den Zeiten der Gedankenpolizei und eines unfehlbaren Diktators, den er den 'Großen Bruder' nannte. Es war der Gruß an eine Zukunft oder Vergangenheit, in der Gedanken frei sind oder waren. In der Menschen sich unterscheiden. In der es Wahrheit gibt, die nicht angepasst wird...Warte mal. Ich blättere einmal zum Schluss...Ich weiß noch, wie ich geweint habe am Ende, als der durch grausamste Folter entkernte Winston Smith auf das riesige Bild schaut und weiss: der Kampf ist für immer vorbei. Er liebt den Großen Bruder. Damals habe ich ganz laut geschluchzt und in der Einsamkeit meines Zimmers gebrüllt: Nein! So kann! So darf es nicht sein! Das darf so nicht sein, die Menschheit als beherrschbare Masse zu denken durch die Selbstermächtigung einer Partei und unfehlbarer Diktatoren. Und so ist es ja auch geschichtlich nicht gelaufen.“

Da war er wieder: Adams nagender Verdacht, seine Angebetete könnte doch zu ihnen gehören.

„Aber Amarylla! Sind wir wirklich so weit entfernt von einem Ende aller Menschen, von einer Selbstabdankung, die nur weit subtiler daherkommt als in diesem 136 Jahre alten Schinken?“

Sie blies trotzig die Backen auf.

„Alle utopischen Ideologien sind ähnlich entartet. Du musst diesen George Orwell im Kontext seiner Zeit sehen. Übrigens war er so richtig britisch-elitär. Winston gehörte zu einer Minderheit von zwei Prozent der so genannten Inneren Partei. Alles Ringen geht um seine widerspenstige Seele. Und die britischen Inseln waren angeblich Teil des riesigen Ozeanien mit Nord- und Südamerika. Dabei sind sie doch nur ein geografischer Wurmfortsatz von Europa.“

„Schön. Wir sind seitdem weite Wege gegangen, die Welt hat sich verdammt viel gedreht. Aber könntest Du mal eben mit Deinem Zauberkasten die Präambel der amerikanischen Verfassung vorlesen.“

Amarylla blies eine Locke aus dem Gesicht. Adam verliebte sich aufs Neue in dieses zauberhafte Wesen, als er zusah, wie sie konzentriert Daten abrief.

„Originaltext oder übersetzt?“

„Lieber übersetzt. Auf deutsch klingt sowieso alles viel grundsätzlicher.“

Amarylla lächelte und zitierte dann: