AUF EIGENE FAUST - Victor Gunn - E-Book

AUF EIGENE FAUST E-Book

Victor Gunn

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Karkoff, "der dämonische Kroate mit den tödlichen Messern", tritt in einem Wanderzirkus bei Edgware in der Umgebung von London auf. Zur gleichen Zeit wird die Haushälterin des Arztes Dr. Cameron in Edgware erstochen - mit einem kroatischen Messer. Chefinspektor Cromwell von Scotland Yard weiß: Auch Dr. Cameron selbst schwebt in höchster Gefahr! Der Roman AUF EIGENE FAUST von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Victor Gunn

 

 

Auf eigene Faust

 

Roman

 

 

 

 

Apex Crime, Band 118

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

AUF EIGENE FAUST 

1. Nächtlicher Besuch 

2. Ironsides greift ein 

3. Der Dolch 

4. Im Zirkus 

5. Ein großer Unterschied 

6. Offene Herausforderung 

7. Der verrückte Professor 

8. Tim, der Köhler 

9. Die tödliche Nadel 

10. Gefährliches Abenteuer 

11. Gewagtes Spiel 

12. Dr. Cameron operiert 

13. Das Geheimnis des Turmes 

14. Der stumme Zeuge 

15. Entscheidende Minuten 

16. Der silberne Bleistift 

17. Noch einmal der Professor 

18. Der teuflische Plan 

 

 

Das Buch

 

Karkoff, »der dämonische Kroate mit den tödlichen Messern«, tritt in einem Wanderzirkus bei Edgware in der Umgebung von London auf.

Zur gleichen Zeit wird die Haushälterin des Arztes Dr. Cameron in Edgware erstochen - mit einem kroatischen Messer.

Chefinspektor Cromwell von Scotland Yard weiß: Auch Dr. Cameron selbst schwebt in höchster Gefahr!

 

Der Roman Auf eigene Faust von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.  

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

   AUF EIGENE FAUST

 

 

 

 

 

 

 

  1. Nächtlicher Besuch

 

 

»Pech, Tante Susan!« Mit diesen Worten zwängte sich Peter Cameron hastig in seinen Mantel.

»Das gute Essen!«, seufzte Mrs. Smalley bekümmert und reichte ihm Hut und Schal. »Wirklich ein Jammer, dass du dieses verflixte Telefon anschaffen musstest.«

Peter lächelte amüsiert. »Dann hätte man mir eben ein Telegramm geschickt. Ein Arzt muss jederzeit erreichbar sein. Daran ist nichts zu ändern, Tante Susan. Selbst das beste Abendessen muss geopfert werden, wenn ein Menschenleben auf dem Spiel steht.«

Er nahm seinen Hut. Den Schal wies er zurück.

»Du verwöhnst mich viel zu sehr!« Er drohte ihr scherzhaft mit dem Finger. »Vom medizinischen Standpunkt aus richten diese wollenen Dinger nur Schaden an...«

»Aber das schreckliche Wetter, Peter!«

»Stimmt, die Nacht ist wirklich scheußlich«, musste Peter zugeben. Er knöpfte seine Handschuhe zu. »Aber was macht das schon? In England gewöhnt man sich daran. Trotzdem würde ich eher in der Badehose hinauslaufen, als mir mit so einem Schal die Luft abzuschnüren.«

Mrs. Smalley lächelte. Diese Predigten kannte sie zur Genüge. Sie liebte Peter von ganzem Herzen. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben, und seitdem vertrat sie Mutterstelle an ihm. Sie hatte ihn großgezogen wie ein eigenes Kind und versuchte noch heute, ihn auf jede nur mögliche Art zu verwöhnen. Aber zu ihrem großen Kummer wollte er sich nicht verwöhnen lassen.

Auch an seinen Vater konnte sich Peter nicht mehr erinnern. Er wusste, dass seine Mutter Mrs. Smalley - er hatte sie stets nur Tante Susan genannt - eine Rente hinterlassen hatte. Auch das Geld für seine Ausbildung war sichergestellt gewesen. Noch heute dankte er es seiner toten Mutter, dass er auf diese Weise eine ausgezeichnete Erziehung genossen hatte.

Während seines Studiums zählte er zu den Begabtesten, und nach dem Examen erlebte er einen geradezu ungewöhnlichen Aufstieg. Trotz seiner Jugend galt er als einer der bedeutendsten Gehirnspezialisten.

Er war im St.-Marcus-Krankenhaus in Westminster tätig, und obwohl sein Einkommen nicht hoch war, hatte er doch dieses Häuschen in Edgware kaufen können, in dem er und Mrs. Smalley sich sehr wohl fühlten. Dr. Cameron lebte äußerst bescheiden und zurückgezogen, sein ganzes Interesse galt seinem Beruf.

Nach einem arbeitsreichen Tag war er an diesem Abend erschöpft nach Hause gekommen. Doch kaum hatte er sich zu Tisch gesetzt, als ihn ein Telefonanruf nach St. Markus zurückrief, wo eine schwere Operation seiner wartete.

»Wirst du denn im Krankenhaus etwas zu essen bekommen?«, fragte Mrs. Smalley besorgt.

»Mehr als genug.«

»Das sagst du jedes Mal, um mich zu beruhigen«, fuhr sie bekümmert fort. »Ich werde jedenfalls auf dich warten, Peter.«

»Jetzt hören Sie mal gut zu, verehrte Dame. Sie werden schön vernünftig sein!« Peter legte den Arm um ihre Schulter und blickte lächelnd auf ihr gütiges, runzeliges Gesicht hinab. »Wahrscheinlich werde ich heute Nacht gar nicht zurückkommen. Diese Operation dürfte eine langwierige Sache werden. Ich kenne den Fall nur zu gut. Du gehst also genau wie immer schlafen, und morgen früh bin ich dann zurück.«

»Du wirst selber noch krank werden, Peter«, klagte die alte Dame. »Erst kürzlich bist du die ganze Nacht in der Klinik geblieben, und am nächsten Tag hast du deinen normalen Dienst getan.«

»Wann wirst du endlich aufhören, dir unnütze Sorgen zu machen?«, fragte Peter mit einem komischen Seufzer. »Was bedeutet für mich schon eine schlaflose Nacht? Du bist viel zu weichherzig, Tante Susan - aber gerade deshalb habe ich dich ja so gern«, fügte er lächelnd hinzu.

Er streichelte liebevoll ihr Gesicht, wandte sich dann um und öffnete die Tür. Mit gesenktem Kopf kämpfte er sich gegen den starken Wind zu der kleinen Garage neben dem Haus hin. Mrs. Smalley, die ihm soeben noch den Schal hatte aufdrängen wollen, stand selbst ganz ungeschützt in der offenen Tür und wartete, bis der kleine Sportwagen verschwunden war.

Mit einem tiefen Seufzer schloss sie endlich die Tür und ging in das gemütliche Wohnzimmer und zu dem unberührten Abendessen zurück. Glücklicherweise ließ ihr Appetit nichts zu wünschen übrig.

Während des einsamen Mahls hing sie ihren Gedanken nach. Als Doris, das Dienstmädchen, den Tisch abzuräumen begann, trug ihr die alte Dame auf: »Legen Sie bitte eine Wärmflasche ins Bett von Herrn Doktor, Doris.«

»Aber... jetzt?« Das Mädchen blieb überrascht stehen. »Der Herr Doktor will doch nie eine Wärmflasche!«

»Das ist schon möglich - aber sie soll ja auch für mich sein«, erwiderte Mrs. Smalley seelenruhig.

»Für Sie?«, fragte das Mädchen ungläubig. »Die Wärmflasche für Sie in das Bett von Herrn Doktor?«

»Er hat die ganze Nacht in der Klinik zu tun, und ich möchte nicht, dass sein Bett bei dem schlechten Wetter heute wieder so klamm wird wie neulich.« Tante Susans Stimme klang sehr entschieden. »Hatte er nicht prompt drei Tage später eine Erkältung?«

»Aber er sagte doch, die habe er aus dem Spital mitgebracht...«

»Ich will es jedenfalls nicht erst darauf ankommen lassen, und deshalb schlafe ich heute Nacht in seinem Bett«, beharrte die alte Dame. »Außerdem wird morgen sowieso die Bettwäsche gewechselt. - Ich wünschte nur, er würde nicht so viel arbeiten«, fuhr sie seufzend fort. »Je mehr Erfolg er hat, umso mehr Arbeit bürdet man ihm auf.«

»Der Herr Doktor lebt nur für seinen Beruf«, bestätigte Doris. »Er ist wirklich ein netter junger Herr - so tüchtig und auch so liebenswürdig. Ich finde es direkt lustig, wie er sich manchmal dagegen wehrt, von Ihnen verhätschelt zu werden.«

Mrs. Smalley warf dem Mädchen einen durchdringenden und zugleich abweisenden Blick zu. Doris war sehr hübsch, und sie hatte schon mehrmals Peters gute Eigenschaften ins rechte Licht zu rücken versucht. Außerdem - der Ausdruck verhätscheln missfiel der alten Dame sehr.

»Nun tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe, Doris«, sagte sie so schroff wie es ihr überhaupt möglich war. »Ich weiß am besten, was für den Herrn Doktor gut ist. Legen Sie die Wärmflasche in sein Bett.«

Das Mädchen nahm das Tablett auf und blieb zögernd stehen. »Wir werden also die ganze Nacht allein im Hause sein?«

»Dumme Frage! Natürlich! Was ist denn schon dabei?«

»Ich muss nur gerade an diesen Mann denken...«, erwiderte Doris nervös.

»Mann? Welcher Mann?« Mrs. Smalley zog erstaunt die Brauen hoch. »Wovon sprechen Sie eigentlich?«

»Ich habe ihn heute Abend wieder gesehen.« Doris’ Stimme sank zu einem Flüstern hinab. »Ich schaute zufällig aus dem Küchenfenster, und da sah ich jemanden an der Gartenmauer entlangschleichen. Ja, und er hat ein paarmal herübergeschaut!«

»So ein Unsinn!«, erwiderte Tante Susan barsch.

»Sie haben gut reden, aber Montagabend sah ich ihn auch schon«, beharrte das Mädchen. »Was hat ein Fremder um unseren Garten zu schleichen? - Hinter mir ist er bestimmt nicht her, das weiß ich genau!«, fügte sie hastig hinzu, als sie Mrs. Smalleys nachdenklichen Blick bemerkte. »Ich habe einen festen Freund.«

»Hm, vielleicht hat er es auf meine Hühner abgesehen«, murmelte Mrs. Smalley ergrimmt. »Gut, Doris, ich werde morgen noch mit dem Schutzmann sprechen.«

Sie ließ sich zwar nichts anmerken, aber innerlich fühlte sie sich beunruhigt. Doris war ein ordentliches Mädchen, das nicht irgendwelche Geschichten erfinden würde. Da interessierte sich also ein verdächtiges Individuum für ihr Häuschen; warum, konnte sich Mrs. Smalley absolut nicht erklären. Sie besaßen keine Reichtümer, auf die es jemand abgesehen haben konnte.

Nach einigem Nachdenken kam sie zu dem Schluss, dass ihre Vermutung doch richtig sein müsse. Wahrscheinlich handelte es sich um einen ganz gewöhnlichen Dieb, der sich von dem einzelnstehenden Häuschen angezogen fühlte. Außerdem befand sich der Hühnerstall ganz hinten im Garten.

Nun, Mrs. Smalley wollte nicht länger über diese mysteriöse Angelegenheit nachdenken. Sie griff zum Stopfkorb.

Doris ging wie üblich um zehn zu Bett. Die Hausdame saß um diese Zeit noch über ihr Stopfzeug gebeugt und lauschte der Musik im Radio. Für gewöhnlich hörte sie bis halb elf Uhr Rundfunk; bei der anschließenden Tanzmusik schaltete sie stets ab. Dafür hatte sie nichts übrig.

Doris wollte eben das Licht ausmachen, als sie die Haustür mit einem Knall ins Schloss fallen hörte. Ein solches Geräusch war so ungewöhnlich in diesem Hause, dass sich das Mädchen kerzengerade im Bett aufsetzte. Eine Weile lauschte sie angespannt. Dann siegte ihre Neugier, sie schlüpfte in den Morgenrock und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer. Sie nahm an, dass Dr. Cameron unerwartet zurückgekehrt sein müsse, aber so angestrengt sie auch in die Halle hinabspähte, sie hörte nichts und sah nichts.

In diesem Augenblick wurden draußen vor dem Haus Stimmen laut. Die Stimme Mrs. Smalleys - ärgerlich und erregt. Dann eine männliche Stimme - barsch, protestierend. Offensichtlich standen beide Personen auf dem Gartenweg.

Seltsam! Doris runzelte die Stirn.

Lautlos schlich sie zum Bad, dessen Fenster nach vorn hinausging, öffnen durfte sie es nicht, aber auch so konnte sie die Stimmen gut unterscheiden, obwohl noch immer kein Wort zu verstehen war. Ein leises Angstgefühl stieg in dem Mädchen hoch. Mit wem mochte Mrs. Smalley um diese Zeit streiten? Plötzlich musste sie an den mysteriösen Mann denken, und ihr Angstgefühl wurde stärker.

Und jetzt...

Die Stimmen verstummten abrupt, stattdessen hämmerte jemand gegen die Haustür. Doris nahm allen Mut zusammen und lief die Treppe hinunter. Sie war so geistesgegenwärtig, die Sicherheitskette vorzulegen, bevor sie die Tür öffnete.

»Wer ist da?«, fragte sie verstört und machte die Tür nur einen Spalt breit auf.

»Wer soll’s denn schon sein!«, ertönte Mrs. Smalleys ungeduldige Stimme. »Ich natürlich! Seien Sie doch nicht so albern, Doris!«

Erleichtert ließ Doris sie herein.

»Verflixte Tür!«, schimpfte die alte Dame. »Kaum war ich draußen, schlug sie hinter mir ins Schloss. Und ich wusste doch, dass Sie die Haustür verschlossen hatten. Tut mir leid, Doris, dass ich Sie aus dem Bett holen musste.«

»Wer war denn das?«, fragte das Mädchen ängstlich.

»Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf. Morgen werde ich es Ihnen erzählen«, erwiderte Mrs. Smalley missmutig. »Sie werden sich noch den Tod holen in diesem dünnen Fetzen. So was nennen die Leute nun einen Morgenrock!«

»War es der Mann... der Mann, den ich gesehen habe?«

»Der Mann, den Sie... Nein, natürlich nicht. So, mein Kind, und nun verschwinden Sie wieder ins Bett!«

Nachdenklich ging Doris in ihr Zimmer zurück. Vielleicht steckte gar nichts hinter der ganzen Geschichte, aber nachdem ihr der herumschleichende Mann aufgefallen war, schien dieser Zwischenfall doch reichlich seltsam. Wer mochte wohl um diese Zeit Mrs. Smalley besucht haben? Warum und mit wem hatte sie sich im Garten gestritten?

Die Dame des Hauses begab sich bald darauf ebenfalls zur Ruhe. Kurz nach elf Uhr lag das Haus in tiefer Dunkelheit. Die Nacht war finster und stürmisch, Wolkenfetzen verhüllten immer wieder den Mond.

So wurde es Mitternacht.

Da, etwa eine halbe Stunde später, zog sich eine dunkle Gestalt an der Mauer hoch und sprang in den Garten. Gebückt schlich der Unbekannte auf das Haus zu; etwas Unheimliches, Drohendes lag in jeder seiner Bewegungen. Es war ein stämmiger Mann. Er hatte einen Mantel an, und die untere Hälfte seines Gesichts verdeckte ein Schal. Seine Schirmmütze war tief über die Augen gezogen.

Das gespenstische, schemenhafte Wesen interessierte sich nicht im Geringsten für Mrs. Smalleys Hühnerstall. Die behandschuhte Rechte tastete nach dem Spalier an der Hauswand. Peter hatte es anbringen lassen, weil Tante Susan für Glyzinien schwärmte. Dieses Spalier bot dem Eindringling die Möglichkeit, mühelos an der Mauer hinaufzuklettern. Obwohl er untersetzt wirkte, klomm er gewandt und völlig lautlos immer höher.

Der Mann griff nach dem Fenstersims, das offensichtlich sein Ziel war, und zog sich dann vollends hinauf. Einen Augenblick verharrte er, um Atem zu schöpfen. Die Fenster waren zweiflügelig; dieses war einen Spalt breit geöffnet und nur mit einem einfachen Haken gesichert. Die behandschuhten Finger fuhren in den Spalt, und sofort öffnete sich das Fenster.

Katzenhaft schlüpfte der Fremde ins Zimmer. In diesem Augenblick, lugte der Mond kurz hinter den vorbeiziehenden Wolken hervor und enthüllte die Umrisse des Betts und der schlafenden Gestalt darin.

Gleich darauf verblasste das Mondlicht wieder, aber der Eindringling hatte sich bereits orientiert. Auf Zehenspitzen schlich er zum Bett. Dabei zog er etwas unter dem Mantel hervor - einen Gegenstand, der in der Dunkelheit schwach schimmerte.

Er zögerte keine Sekunde. Mit brutaler Gewalt stieß er zu.

Lautlos, wie er gekommen war, verschwand der Mörder wieder.

 

 

 

 

  2. Ironsides greift ein

 

 

Peter Cameron fuhr seinen kleinen Wagen in die Garage. Dann schloss er die Haustür auf. Es war gerade acht Uhr. Er fühlte sich nach der durchwachten Nacht zwar abgespannt, aber da die Operation erfolgreich verlaufen war, befand er sich in außerordentlich froher Stimmung.

»Morgen, Sklavin!«, rief er aufgeräumt, als Doris in der Diele erschien. »Wie steht es mit dem Frühstück? Ich hätte allerdings vorher anrufen sollen. Wo ist denn Mrs. Überängstlich? Am besten schlagen Sie mir ein paar Eier mit Schinken in die Pfanne...«

»Ich bin so froh, dass Sie wieder da sind, Sir«, unterbrach das Mädchen seinen Redestrom. »Ich kann es mir gar nicht erklären, Mrs. Smalley ist noch immer nicht aufgestanden.«

»Na und? Wir haben uns doch alle schon einmal verschlafen«, erwiderte der junge Arzt lächelnd.

»Aber nicht Mrs. Smalley, Sir«, widersprach Doris mit Nachdruck. »Sie ist stets auf die Minute pünktlich. Genau um halb sieben ist ihre Zeit. Ich habe schon an die Tür geklopft, bekam aber keine Antwort.«

»Na, überlassen Sie das nur mir«, meinte Peter schmunzelnd.

»Gestern aber ist etwas passiert, Sir«, fuhr das Mädchen fort. Peter ging indes schon die Treppe hinauf. »Ein Mann war hier!«

»Ein Mann? Wie schrecklich!« Peter heuchelte Entsetzen. »Ein Mann besucht also bei Nacht und Nebel zwei schutzlose weibliche Wesen! Ich bin direkt erschüttert, Doris! Und dass Sie das auch noch so offen zugeben...«

»Bitte, mir ist gar nicht zum Scherzen zumute, Sir«, murmelte das Mädchen verstört. »Ich weiß nicht, wer der Mann war. Mrs. Smalley verriet mir nichts. Sie hatte draußen im Vorgarten einen Streit mit ihm. Ich musste sie hereinlassen, weil die Haustür hinter ihr ins Schloss gefallen war.«

»In Ordnung, dann wollen wir gleich einmal hören, was es gegeben hat«, beschwichtigte Peter sie, immer noch amüsiert. »Seltsam, dass so aufregende Sachen immer dann passieren müssen, wenn ich nicht zu Hause bin. Vermutlich ist Mrs. Smalley vor Aufregung nicht gleich zur Ruhe gekommen und hat sich nun verschlafen.«

»Sie muss schreckliches Alpdrücken gehabt haben, Sir. Kurz vor ein Uhr fuhr Doris nervös fort.

»Alpdrücken? Woher wollen Sie das wissen?«

»Ich hörte, wie sie einmal aufschrie, Sir.«

»Was heißt das?«

»Nun, ich schlief nicht besonders gut nach dem Vorfall von gestern Abend, und kurz vor eins hörte ich Mrs. Smalley rufen oder husten - ich wusste nicht genau, was es war. Darum stand ich auf und öffnete meine Tür...«

»Und?«

»Und da hörte ich Mrs. Smalley deutlich rufen. Oh, ihre Stimme klang so unnatürlich, es ging mir durch und durch!« Ein Schauer schien Doris noch nachträglich zu überlaufen. »Sie rief: Geh' nach Streatham! Ich weiß nicht, was sie damit meinte.«

»Weiß ich auch nicht«, brummte Peter stirnrunzelnd. »Geh' nach Streatham. Und sonst nichts?«

»Dann hörte ich sie nur noch seufzen, Sir.«

»Ganz typisch für Alpdrücken.« Peter zuckte die Achseln. »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, Doris. Haben Sie nicht einmal in ihr Zimmer hineingeschaut?«

»Selbstverständlich, Sir. Ich fürchtete, sie sei krank geworden. Ich öffnete ganz leise die Zimmertür und sah hinein. Sie schlief ganz friedlich; da wollte ich sie natürlich nicht stören. Dann ging ich wieder ins Bett.«

»Sehr vernünftig.«

»Aber sie ist bis jetzt noch nicht aufgestanden, und das kommt mir so seltsam vor.«

»Unsinn!« Peter lachte. »Vermutlich hat sie gestern mein Abendbrot auch noch gegessen. Magendrücken, Doris. Davon kann man schon Alpträume bekommen.«

Nicht im Entferntesten dachte er an ein Unheil, als er weiter die Treppe hinaufging. Eben wollte er an die Tür von

Tante Susans Zimmer klopfen, da stellte er fest, dass sie nur angelehnt war. Ein kurzer Blick in das Zimmer belehrte ihn, dass es leer und das Bett unbenützt war.

»He, was sollen denn diese Scherze?« Fragend blickte er das Mädchen an, das ihm nachgekommen war. »Wenn Sie mich verulken wollen, Doris...«

»Entschuldigen Sie, Sir, ich vergaß Ihnen zu sagen, dass Mrs. Smalley in Ihrem Zimmer schläft. Damit Ihr Bett nicht klamm wird...«

»Mein Gott, sie verhätschelt mich also sogar in meiner Abwesenheit«, rief Peter leicht verzweifelt aus. »Ist das eine Frau! Kein Wunder, wenn sie noch schläft, mein Bett ist nämlich bedeutend bequemer als ihr eigenes.«

Er klopfte an die Tür seines Zimmers; als keine Antwort kam, klopfte er nochmals, jetzt energischer. Schließlich trat er ein. Er sah eine friedlich daliegende Gestalt im Bett.

»So, auf diese Weise komme ich also hinter ihre Schliche?«, murmelte er grinsend vor sich hin, als er auf Zehenspitzen näher schlich.

Plötzlich - auf halbem Weg - blieb er tödlich erschrocken stehen. Die Farbe wich aus seinem Gesicht, als er den seltsam verzierten Dolchgriff aus Tante Susans Brust herausragen sah. Mit einem langen Schritt trat er an das Bett und starrte auf das bleiche, wächserne Antlitz hinab. Ein kurzer Blick genügte.

»Tante Susan!«, stöhnte er mit erstickter Stimme.

»Oh, Sir! Was ist geschehen?« Doris stand verstört auf der Schwelle.

»Bleiben Sie draußen!«, befahl der junge Arzt mit rauer Stimme. »Gehen Sie nach unten, Doris. Ich komme sofort nach.«

Das Mädchen schluchzte hysterisch auf und lief wie eine Traumwandlerin die Treppe hinab. Peters erstickter Aufschrei hatte ihr genug gesagt, zumal sie schon seit über einer Stunde das unerklärliche Gefühl gehabt hatte, dass irgendetwas nicht stimmen konnte.

Peter hatte nur eine Sekunde gebraucht, um festzustellen, dass jede Hilfe zu spät kam. Er berührte weder den Dolch, noch bewegte er die Tote. Sein Gesicht zeigte tiefen Schmerz und zugleich rasende Wut, als er nach unten ging.

»Tante Susan ist tot, Doris. Gott allein weiß, wie das passiert ist. Sie wurde ermordet. Wenn ich diesen Hund erwische...«

Er schwieg betroffen. Doris, das sonst so robuste Mädchen, war lautlos zusammengesunken. Er bettete die Bewusstlose auf die Couch. Dann stürzte er zum Telefon und benachrichtigte die Polizei.

Er vergaß das ohnmächtige Mädchen, um das er sich als Arzt eigentlich hätte kümmern müssen. Sein ganzes Denken kreiste nur um den einen Punkt: Tante Susan, die liebe gute Seele, die seit seiner Kindheit wie eine Mutter für ihn gesorgt hatte, lag oben - tot! Mit großen Schritten lief er erregt im Zimmer auf und ab und bemühte sich, nicht gänzlich die Nerven zu verlieren.

»Der Teufel, der das verbrochen hat, muss an den Galgen«, schwor er sich mit verzweifeltem Ingrimm. »Wenn es der Polizei nicht gelingen sollte, werde ich ihn selbst zur Strecke bringen. Arme Tante Susan! Keiner Fliege konnte sie etwas zuleide tun. Welche Bestie mag diese entsetzliche Tat auf dem Gewissen haben?«

Vor dem Haus fuhr ein Auto vor. Der junge Arzt ging zur Haustür und öffnete.

 

Zehn Minuten später nahm Polizeisergeant Rudd das Protokoll auf.

»Üble Geschichte, Sir«, begann er. »Und es ist absolut kein Motiv zu erkennen. Es muss aber eins geben! Vielleicht kann uns das Mädchen weiterhelfen.«

»Doris wird Ihnen auch nicht mehr sagen können als ich.« Peter zuckte hilflos die Achseln. »Mrs. Smalley hat auf der ganzen Welt keinen Feind gehabt. Es muss ein Wahnsinniger gewesen sein, bestimmt - irgendein Verrückter.«

Sie befanden sich im Wohnzimmer. Der Polizeiarzt hatte seine Untersuchung bereits beendet. Den Dolch hatte der Sergeant an sich genommen. Vor der Haustür stand ein Polizist, und einige Neugierige starrten auf das Haus. Rudd hatte bereits das Revier angerufen und um weitere Unterstützung gebeten.

»Ein Wahnsinniger geht nicht so vorsichtig zu Werke. Ich habe bis jetzt nicht eine einzige Spur entdecken können. Keinen Fingerabdruck, nichts. Dieser Mord wurde mit aller Sorgfalt vorbereitet. Der Täter muss gewusst haben, dass die alte Dame in Ihrem Zimmer schlief, denn ganz offensichtlich ist er ja dort eingestiegen.«

»Kann Ihnen der Dolch denn keinen Hinweis geben?«

»Vielleicht. Vielleicht nützt er uns aber auch gar nichts.« Der Sergeant war offensichtlich bemüht, sich vorsichtig auszudrücken. »Wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich um einen orientalischen Dolch. Man kann diese Dinger in jedem Antiquitätenladen kaufen.« Er runzelte missmutig die Stirn. »Zu dumm, dass das Mädchen nicht zu der alten Dame hineingegangen ist, als sie sie rufen hörte: Geh' nach Streatham! Haben Sie eine Idee, was das bedeutet? Ich nehme an, die beiden Frauen haben sich gut verstanden?«

»Mrs. Smalley und Doris?« Peter fuhr auf. »Aber das ist doch Irrsinn, Sergeant, wenn Sie etwa andeuten wollen...«

»Nur keine Aufregung, Sir«, unterbrach Rudd ihn schnell. »Ich tue schließlich nur meine Pflicht. Zwei Frauen befinden sich allein in einem Haus, und am Morgen ist eine von ihnen tot! Das ist - nüchtern gesagt - die Sachlage. Ich persönlich glaube nicht einen Augenblick, dass Ihr Dienstmädchen etwas mit dem Mord zu tun hat, aber wir müssen jede Möglichkeit ins Auge fassen.«

»Sie sind ja verrückt!«, knurrte Peter nur.

Diese Behauptung war gewiss ungerechtfertigt, aber auf Grund seiner überreizten Nerven verständlich. Doris hatte sich immer noch nicht von ihrem Schock erholt. Als sie aus der Ohnmacht erwachte, war sie in hilfloses, hysterisches Weinen ausgebrochen. Vermutlich hatte diese Tatsache Rudds Verdacht erweckt. Im Augenblick kümmerte sich eine hilfsbereite Nachbarin um das Mädchen.

»Können Sie denn gar nichts unternehmen?«, fuhr Peter den Sergeant ungeduldig an. »Dieses Herumsitzen macht mich rasend! Wozu sollen wir warten, bis das Mädchen sich erholt hat? Sie wird Ihnen ohnehin nichts weiter sagen können.«

»Ich muss warten, Sir«, erwiderte der Beamte ungerührt. »Ich warte auf die Kollegen vom Yard. Und wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, dann legen Sie sich jetzt hin. Sie sind völlig fertig, und das ist schließlich kein Wunder. Sie haben die ganze Nacht nicht geschlafen, wenn ich richtig verstanden habe?«

»Was ist schon dabei«, knurrte Peter unwirsch. »Mir macht das nichts aus. Sie warten auf die Leute vom Yard, sagten Sie? Hoffentlich schickt man einen tüchtigen Beamten. Diesen Fall wird nur ein kluger Kopf lösen können.«

»Vielen Dank, Sir«, erwiderte der Sergeant scharf.

»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch - ich bezweifle Ihre Fähigkeiten durchaus nicht...«

»Soso! Es klang aber ganz danach«, brummte Rudd bissig und machte ein ärgerliches Gesicht.

Sie verstanden sich nicht besonders gut, der Polizeisergeant und der junge Arzt. Das war auch nicht verwunderlich. Der Sergeant handelte genau nach seinen Dienstvorschriften, und diese Methode behagte Peter keineswegs. Er verlangte, dass endlich etwas geschehen solle. Rudd hingegen konnte bis zum Eintreffen der Scotland-Yard-Beamten nichts weiter unternehmen.

Peter fühlte eine schreckliche Leere in sich. Er kannte die Tote seit seiner Kindheit, er hatte sie geliebt wie eine Mutter und sah sich plötzlich jäh und auf so grauenhafte Weise dieses liebsten Menschen beraubt. Der Zorn auf den unbekannten Mörder ließ ihn kaum noch normal denken und empfinden.

Er wurde aus seinen düsteren Betrachtungen gerissen, als die Nachbarin zusammen mit Doris das Wohnzimmer betrat. Mit Entsetzen sah Peter, wie sehr sich das hübsche Mädchen verändert hatte. Mit ihrem kalkweißen Gesicht wirkte sie wie eine Schwerkranke.

»Sie können das Mädchen jetzt nicht vernehmen, Sergeant«, wandte er sich sofort an Rudd. »Sie sehen ja wohl, was mit ihr los ist.«

»Schon gut, Sir«, lenkte Rudd ein, »Wahrscheinlich wird sie uns sowieso nichts weiter sagen können, wie Sie vorhin bereits bemerkten.«

»Oh, doch!«, begehrte Doris auf. »Ich fühle mich wieder besser. Ich möchte aussagen. Mrs. Smalley hatte gestern Abend mit jemand Streit, Sir...«

An dieser Stelle wurde sie unterbrochen. Vor dem Haus fuhren einige Autos vor, man hörte Schritte auf dem Gartenweg und gleich darauf Stimmen vor der Haustür. Dann trat ein großer, hagerer Mann ins Zimmer. Mit einem Blick erfasste er die Szene.

»Machen Sie ruhig weiter«, sagte er kurz, ohne sich vorzustellen.

Peter betrachtete ihn ungehalten. »Sie kommen gleich dran«, brummte er und wandte sich wieder dem Sergeant zu. »Ja, diesen Streit hatte ich ganz vergessen...«

»Vergessen!«, echote Rudd beißend. »Da hat es also vor dem Mord einen Streit gegeben, und Sie vergessen das ganz einfach!«

»Doris berichtete mir heute Morgen davon«, fuhr Peter fort. »Richtiger gesagt - sie wollte mir davon erzählen. Ich suchte zunächst Mrs. Smalley auf, um sie selbst danach zu fragen. Dabei machte ich die schreckliche Entdeckung und vergaß alles andere darüber.«

Rudd blickte unsicher zu dem Hageren hin, der ihm kurz und aufmunternd zunickte.

»Machen Sie nur weiter«, sagte er dabei mit müder Stimme. »Ich höre zu.«

»Sie behaupten also, Mrs. Smalley hätte sich mit jemand gestritten«, wandte sich der Sergeant an das Mädchen. . Schön, das bringt uns schon weiter. Das kann die Sachlage sogar grundlegend ändern. Mit wem hatte sie Streit? Mit einem Mann?«

»Ja.«

»Kennen Sie ihn?«

»Nein.«

»Hm. Wie sah er aus?«

»Ich habe ihn nicht gesehen.«

»Sie kennen ihn also nicht und haben ihn auch nicht gesehen. Woher wissen Sie dann von einem Streit?«

»Ich hörte zu...«

Das Mädchen schilderte kurz den Vorfall, während sich der Sergeant eifrig Notizen machte. Peter hörte erstaunt und verwirrt zu.

»Sind Sie wirklich ganz sicher, Doris?«, fragte er dann.

»Aber ja, Sir, natürlich!«

»Mir ist das rätselhaft«, brummte Peter und runzelte die Stirn. »Sie brauchen mich gar nicht erst zu fragen, wer dieser Mann gewesen sein könnte, Sergeant. Ich weiß es nicht. Soviel mir bekannt ist, hatte meine Tante keine Männerbekanntschaften. Sie ging völlig im Haushalt auf.«

»Nun, Sir, die Aussage der jungen Dame ist sehr wichtig.« Rudd klopfte mit dem Stift auf sein dickes Notizbuch. »Und wenn man berücksichtigt, was später geschah, ist sie sogar außerordentlich wichtig. Nachdem das Mädchen zu Bett gegangen war, tauchte ein Mann auf. Anscheinend muss Mrs. Smalley ihm nicht getraut haben, weil sie ihn nicht ins Haus ließ - sie sprach mit ihm im Vorgarten. Zum Schluss kam es zu einer Auseinandersetzung. Damit wäre auch der Punkt geklärt, der mir bis jetzt Kopfzerbrechen gemacht hat.«

»Und das wäre?«

»Wieso der Mörder wusste, durch welches Fenster er einsteigen musste«, antwortete der Sergeant. »Wie Ihnen ja bekannt ist, schlief Mrs. Smalley in Ihrem Zimmer, und das komplizierte eigentlich den Fall. Aber die Aussage der jungen Dame gibt uns dafür eine eindeutige Erklärung.«