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Wenn wir heute in unserer Kirche an einen Aufbruch im Glauben und im Leben denken können, so verdanken wir das jenem Aufbruch, der vor 60 Jahren im II. Vatikanischen Konzil (1962-65) begonnen hat. Die Erneuerung, um die es damals ging und die uns noch heute aufgegeben ist, können wir aber nur recht verstehen, wenn wir auf den Papst zurück blicken, der dieses Konzil einberufen hat und mit ihm die Kirche so in Bewegung bringen wollte, wie er es unter den Zeichen der Zeit für notwendig hielt. Aus den Berichten, die aus Gemeinden zu hören sind, die sich heute um einen Aufbruch bemühen, geht hervor, dass die Anläufe, die dazu gemacht werden, stets zu der Frage führen: Was will Gott heute von uns? Mitherausgeber: Hans-Jürgen Sträter, Adlerstein Verlag
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Seitenzahl: 92
Veröffentlichungsjahr: 2021
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„Ich bin Josef, euer Bruder“
Papst Johannes XXIII.
Auf den folgenden Seiten habe ich aufgeschrieben, wie ich die Bitte unserer Pfarrgemeinde St. Kunigunde zu Pirna erfüllen wollte, ihren Einkehrtag zur Vorbereitung auf das Osterfest am 24.2.2007 zu halten, für diejenigen, die das Gehörte noch einmal nachzulesen wünschten, und für andere, die gern an diesem Einkehrtag teilgenommen hätten.
Unsere Gemeinde gehört zu denen, die der Einladung unseres Bischofs Joachim Reinelt zu einem „Aufbruch der Gemeinden“ folgen wollen.
Wenn wir heute in unserer Kirche an einen Aufbruch im Glauben und im Leben denken können, so verdanken wir das jenem Aufbruch, der vor (inzwischen 60 Jahren) im II. Vatikanischen Konzil (1962-65) begonnen hat. Die Erneuerung, um die es damals ging und die uns noch heute aufgegeben ist, können wir aber nur recht verstehen, wenn wir auf den Papst zurück blicken, der dieses Konzil einberufen hat und mit ihm die Kirche so in Bewegung bringen wollte, wie er es unter den „Zeichen der Zeit“ für notwendig hielt. Aus den Berichten, die aus Gemeinden zu hören sind, die sich heute um einen „Aufbruch“ bemühen, geht hervor, dass die Anläufe, die dazu gemacht werden, stets zu der Frage führen: Was will Gott heute von uns?
Auf diese Frage wollte ich eingehen, und daraus haben sich die Themen der Vorträge ergeben: über Papst Johannes XXIII. als Initiator des Konzils, über einige Ergebnisse des Konzils und über unsere heute wohl wichtigste Aufgabe als Christen.
Zu einigen Abschnitten waren meine Notizen etwas ausführlicher, als ich sie mündlich vortragen konnte. Eine Reihe von Ergänzungen und die Nachweise für die zitierten Texte habe ich als „Anmerkungen“ den Vorträgen hinzugefügt.
Die Verweise auf Schriftstellen und Konzilstexte sind - wie es üblich ist - in den Text eingefügt.
Berggießhübel, am 27.6.2007, Siegfried Hübner
Die Vision des Papstes Johannes XXIII. zum Aufbruch der Kirche
Einige Einsichten und Impulse des Konzils
Von neuem das Antlitz des lebendigen Gottes suchen
Karl Rahner: Die schwere Seligkeit, ein Christ zu werden
Nachweise und Ergänzungen
Zum Autor
Im Oktober 1958 war Papst Pius XII. im Alter von 82 Jahren gestorben.
Er hatte fast 20 Jahre als ein „großer" Papst der Kirche vorgestanden. Wer sollte nun sein Nachfolger werden? In dem arg zusammengeschrumpften überalterten Wahlgremium war niemand, auf den man sich schnell einigen konnte. Es gab ein langes Tauziehen.
Im 11. Wahlgang wurde ein Kandidat gewählt, der fast so alt war wie der verstorbene Papst, fast 77 Jahre: der Patriarch von Venedig Angelo Roncalli. In der kirchlichen Öffentlichkeit war er wenig bekannt. Als päpstlicher Diplomat hatte er in Bulgarien, in der Türkei und in Griechenland, zuletzt in Frankreich gewirkt, bis er schließlich zum Bischof einer bedeutenden Ortskirche berufen wurde.
Warum er auf seine alten Tage noch das päpstliche Amt übernehmen sollte, war kein Geheimnis: Er sollte nur eine kurze Amtszeit haben, also ein „Übergangspapst“1 sein.
So war man schon früher in ähnlichen Fällen verfahren. Nach einem hervorragenden Pontifikat hielt man es für angebracht, im Leben der Kirche so etwas wie eine Atempause eintreten zu lassen, ehe wieder ein der Bedeutung des Verstorbenen entsprechender Nachfolger die Zügel ergreifen könnte.
Dazu kam, dass damals auch schon festzustehen schien, wer dieser „eigentliche“ Nachfolger sein würde: Giovanni Battista Montini, damals Erzbischof von Mailand2.
Er hatte Jahrzehnte lang in der vatikanischen Kirchenleitung mitgearbeitet und galt deshalb so wie kein anderer dafür als geeignet. Zur Zeit des Konklaves war er aber noch nicht Kardinal. Deshalb meinten die meisten Kardinäle, ihn noch nicht wählen zu können.
Angelo Roncalli war sich der ihm zugedachten Rolle bewusst. Er nahm den Namen „Johannes“3 an und begründete das unter anderem damit, dass dieser Name bisher von der längsten Reihe von Päpsten getragen worden sei - zweiundzwanzig trugen diesen Namen, nicht mitgezählt ein dreiundzwanzigster, dessen Rechtmäßigkeit umstritten war. Hinter denen wolle er seinen eigenen Namen verbergen. Viele von ihnen hätten ein kurzes Pontifikat gehabt. Unausgesprochen gab er aber mit dieser eigenwilligen Namenswahl zu erkennen, dass er nicht daran dachte, nur in die vorgezeichneten Bahnen seiner unmittelbaren Vorgänger einzutreten.
Die überraschende Ankündigung eines Konzils
Schon nach wenigen Wochen setzte der neue Papst die Kirche und die Welt in Erstaunen durch eine überraschende Ankündigung.
Er werde, so gab er vor einigen Kardinälen - „zitternd, aber zugleich mit demütiger Entschlossenheit“4 - bekannt, ein Ökumenisches Konzil einberufen.
Der Zeitpunkt, an dem das geschah, verriet schon etwas von seinen Beweggründen: Diese Ankündigung geschah nämlich nach einem Gottesdienst zum Abschluss der Weltgebetsoktav für die Wiedervereinigung der getrennten Christen am 25. Januar 1959 in der Kirche St. Paul vor den Mauern in Rom.
Wir können uns heute kaum noch vorstellen, wie sensationell diese Ankündigung damals wirkte. Die Kardinäle, die sie als erste hörten, waren wie gelähmt.
Der Papst selbst berichtet im Rückblick, wie enttäuscht er das wahrgenommen habe:
Menschlich habe er erwartet, sie würden sich um ihn scharen und Zustimmung und gute Wünsche zum Ausdruck bringen. Stattdessen hätte es „ein frommes und eindrucksvolles Schweigen“5 gegeben. Auch andere, die sich später als hervorragende Mitstreiter für seine Ziele bewährten, äußerten zunächst Unverständnis und Bestürzung. Kardinal Lercaro aus Bologna, später einer der Bahnbrecher für die im Konzil beschlossene Liturgiereform, hielt den Plan des Papstes für „vorschnell und impulsiv“ und führte ihn auf dessen „Unerfahrenheit und Mangel an Bildung“ zurück. Erzbischof Montini - als Papst Paul VI. später sein Nachfolger - rief noch am selben Abend einen Freund, den Oratorianer Giulio Bevilacqua in Brescia, an: „Dieser heilige alte Knabe scheint nicht zu merken, in was für ein Hornissennest er da sticht!“ Sein Freund beruhigte ihn:
„Keine Sorge, Don Battista, lassen Sie das nur gehen! Der Heilige Geist ist noch wach in der Kirche.“
Der „Osservatore Romano“, die offizielle Zeitung des Vatikans, sonst übereifrig in der täglichen Hofberichterstattung, blieb seinen Lesern den Text der Ansprache des Papstes schuldig. Dazu stellte später ein Berichterstatter fest:
„So begann der Prozess, das Konzil herunterzuspielen, noch am selben Tag, an dem es angekündigt wurde“.6.
Solche Reaktionen waren verständlich.
Denn was sich der Papst damit für seine kurze Amtszeit vornahm, war etwas ganz Außerordentliches im Ablauf des Lebens der Kirche, für das es zum damaligen Zeitpunkt nach weit verbreiteter Ansicht gar keinen Grund gab.
Ein Ökumenisches Konzil ist - nach dem Glauben und den rechtlichen Regelungen unserer katholischen Kirche - eine „Vollversammlung“ aller Bischöfe, die gemeinsam in ihren Beratungen und Beschlüssen die „höchste und volle Leitungsgewalt über die Gesamtkirche“ ausüben7.
Damals zählte man in der bisherigen Geschichte der Kirche zwanzig solcher Bischofsversammlungen.
Es waren also seltene „Jahrhundertereignisse“, meist durch drängende Probleme oder Gefährdungen des Glaubens veranlasst.
So sollte nach der Reformation das Konzil von Trient die strittigen Fragen klären und das Leben der Kirche wieder in geordnete und beruhigte Bahnen lenken.
Das letzte Konzil, auf das damals zurück-geblickt wurde, das 1. Vatikanische Konzil (1869/70), hatte die Vorrechte, die nach dem Glauben unserer Kirche dem Bischof von Rom zuzuerkennen sind, als Glaubenssätze („Dogmen“) „definiert“, seine Leitungsgewalt über die Kirche und die ihm zukommende Möglichkeit, Fragen des Glaubens letztverbindlich („unfehlbar“) zu entscheiden8.
Seitdem hatte sich in der Kirche die Auffassung durchgesetzt, ein so aufwändiges und umständliches Unternehmen wie ein Konzil sei nicht mehr notwendig und werde in Zukunft nicht mehr stattfinden9.
Zu einem „Sprung nach vorn“ in der Kirche
Was hat den Papst zu seinem überraschenden Entschluss bewegt? Darüber kann nach allem, was er selbst dazu geäußert hat, nicht der geringste Zweifel bestehen: Er war davon überzeugt, dass zwischen der Kirche und der heutigen Menschheit eine Kluft entstanden ist10.
Die Kirche sei hinter Entwicklungen zurückgeblieben, die in der Menschheit schon seit langem vor sich gehen. Sie sei in der Welt von heute eine Kirche „von gestern“. Deshalb stehe sie vor der Aufgabe, in einer großen Anstrengung, in einem „Sprung nach vorn“ - wie er sagte - wieder Anschluss an die Gegenwart zu gewinnen. Dies sei umso dringender, als sich die Menschheit im Übergang zu einer ganz neuen Epoche ihrer Geschichte befinde.
Der Papst bezeichnete diese Aufgabe mit dem italienischen Wort „Aggiornamento“11. Das heißt: „etwas auf den heutigen Tag“ bringen, für die Kirche also „sich verheutigen“.
Er sprach auch davon, die Kirche müsse sich der heutigen Welt „anpassen“, sich „modernisieren“, was sofort auch Missverständnissen ausgesetzt war.
Vielfach wurde unter „Aggiornamento“ dasselbe verstanden, was in der Kirche schon oft als „Reform“ oder „Erneuerung“ gefordert worden war. Der Papst dachte dabei aber an eine viel größere Aufgabe: an eine neue „Inkulturation“ des christlichen Glaubens in die heutige Menschheit.
Das verlange ein neues radikales Eintauchen in den überlieferten Glauben mit dem Ziel, das christliche Denken und Leben im Geist der Freundschaft mit den Menschen so zu erneuern, dass die Kirche befähigt würde, dem heutigen Menschen das Evangelium zu vermitteln.
Sie müsse sich deshalb befreien von Verkrustungen, die sich im Lauf der Jahrhunderte angelagert haben.
Dazu sei es notwendig, kritisch zu unterscheiden zwischen der „Substanz“, dem Wesentlichen christlichen Denkens und Lebens, und dem, was auf veränderliche Zeitbedingungen zurückzuführen ist.
Mit seiner Entscheidung, ein Konzil einzuberufen und ihm diese „Hauptaufgabe“ zu stellen, widersprach er der herrschenden Meinung, ein Papst allein könne die Kirche regieren.
Dafür brauche er nur seine eigene Verwaltungsbehörde, die Römische Kurie.
Die Aufgabe, die der Papst im Blick hatte, hielt er für so groß, dass dafür alle Energien der ganzen Kirche mobilisiert werden müssten. Deshalb erwartete er von den Bischöfen, die zum Konzil zusammenkämen, sie würden dort den ganzen „blühenden Lebensreichtum“ ihrer Ortskirchen einbringen12.
Papst Johannes bewegte dabei auch die Frage, wie die Spaltung in der Christenheit überwunden werden kann.
Die „Rückkehr der Einheit“, wie er gern formulierte, war ihm schon längst ein Herzensanliegen13. Bei der Ankündigung des Konzils hat er das so deutlich zum Ausdruck gebracht, dass daraus das Missverständnis entstehen konnte, es ginge ihm gar nicht nur um ein „katholisches“, sondern um ein „ökumenisches“ Konzil in dem Sinn, wie heute das Wort „ökumenisch“ in der Christenheit gebraucht wird, um ein gesamtchristliches „Unions-Konzil“.
In seiner Ansprache hatte er nämlich gesagt, das kommende Konzil solle eine „freundliche und erneute Einladung an die Gläubigen der getrennten Kirchen“ sein, „mit uns an diesem Gastmahl der Gnade und der Brüderlichkeit teilzunehmen“14. Und wenige Tage danach hatte er erklärt: „Wir wollen keinen historischen Prozess aufziehen15.
Wir wollen nicht aufzuzeigen suchen, wer recht und wer unrecht hatte. Die Verantwortung ist geteilt. Wir wollen nur sagen: Kommen wir zusammen, machen wir den Spaltungen ein Ende!“
Die Hoffnungen, die solche Worte auslösen konnten, wurden schnell - von den vatikanischen Behörden und auch vom Papst selbst - enttäuscht.
Das kommende Ökumenische Konzil werde nur ein Konzil der katholischen Kirche sein.
Das sei schon deshalb notwendig - so begründete das der Papst -‚ weil zuerst unsere eigene Kirche das „Aggiornamento“ leisten müsse, ehe sie sich mit Aussicht auf Erfolg „Anderen“ zuwenden könne.
Es ging ihm dabei um eine solche Veränderung des Erscheinungsbildes unserer Kirche, dass sie dann nur noch dazu auffordern brauche: „Seht, was die Kirche ist, was sie tut, wie sie aussieht“.
Von ökumenischen Beteuerungen und Bemühungen, die diese Aufgabe, die wir selbst zu leisten haben, vergessen, hielt er nichts.