Aufstieg der Toten - Z. A. Recht - E-Book

Aufstieg der Toten E-Book

Z. A. Recht

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Beschreibung

Die Apokalypse ist nicht aufzuhalten

In drei Monaten kann sich verdammt viel ändern: Kriege werden entschieden, Regierungen werden abgesetzt … oder die Menschheit wird ausgelöscht! Zumindest fast: Ein unberechenbares Supervirus hat die Weltbevölkerung in Rekordgeschwindigkeit dahingerafft, nur um sie kurz darauf als lebende Tote wiederauferstehen zu lassen. Die wenigen Überlebenden halten sich versteckt, und nur die Gerüchte über ein möglicherweise wirksames Medikament spenden den Menschen Hoffnung. Doch zwischen den letzten Menschen auf Erden und dem rettenden Wirkstoff stehen Milliarden seelenlose Kreaturen, die Jagd auf die Lebenden machen …

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Seitenzahl: 549

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Z.A.RECHT

AUFSTIEG

DERTOTEN

Roman

Deutsche Erstausgabe

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

DAS BUCH

In drei Monaten kann sich verdammt viel ändern: Kriege werden entschieden, Regierungen werden abgesetzt, die Menschheit wird ausgelöscht … oder zumindest fast ausgelöscht. Innerhalb kürzester Zeit ist das mysteriöse Morningstar-Virus über den Planeten hinweggefegt und hat Billionen von Menschen dahingerafft – nur um sie als lebende Tote wiederauferstehen zu lassen. Die wenigen Überlebenden halten sich versteckt, und nur die Gerüchte über ein möglicherweise wirksames Medikament spenden ihnen Hoffnung. General Francis Sherman und Militärärztin Anna Demilio machen sich auf die Suche nach dem Impfstoff. Doch zwischen ihnen und der Rettung der Menschheit liegt eine zerstörte Landschaft, in der es vor Infizierten nur so wimmelt. Und die Toten kennen nur ein Ziel: Die Jagd auf noch lebende Menschen …

Erster Band: Die Jahre der Toten

Zweiter Band: Aufstieg der Toten

DER AUTOR

Z. A. Recht ist Autor und Amateurhistoriker, und seine Romane um das Morgenstern-Virus und die Untoten haben bereits weltweit eine große Fangemeinde begeistert.

Titel der amerikanischen Originalausgabe

THUNDER AND ASHES

Deutsche Übersetzung von Ronald M. Hahn

Deutsche Erstausgabe 11/2012

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2008 by Z. A. Recht

Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-09406-5

www.heyne-magische-bestseller.de

PROLOG

Hyattsburg, Oregon

22. Januar 2007

22.13 Uhr

Die Stadt war so gut wie tot.

Verlassene Fahrzeuge standen in den stillen Straßen. Loser Abfall flog in der winterlich kalten Brise umher. Die Leitungen, die über den Straßen verliefen, führten noch Strom. Die meisten Straßenlaternen funktionierten noch und schnitten Schneisen durch die Finsternis. Eine einsame Gestalt humpelte in einen Lichtkreis, warf einen schnellen Blick zurück und stützte sich dann schwer auf ein Winchester-Repetiergewehr. Das Bein des Mannes war in eine enge Bandage gehüllt, die allmählich von dunkelrotem Blut durchtränkt wurde.

»Hierher! Kommt her, ihr halb verwesten rattenfressenden Scheißhaufen! Hierher! Los, humpelt zu mir! Dalli, dalli!«

Der Gefreite Mark Stiles atmete schwer und keuchend. Er war an mehreren Häuserblocks vorbeigerannt und hatte einen ziemlich großen Abstand zwischen sich und die Verfolger gebracht, doch allmählich ließen seine Kräfte nach, und das verletzte Bein trug auch nicht gerade zur Verbesserung seiner Lage bei.

Stiles schaute nach links und rechts, um einen Ausweg aus seiner prekären Lage zu finden. Er erspähte eine schmale, von der Straße fortführende Gasse und hinkte, die Zähne vor Schmerzen fest aufeinandergebissen, darauf zu. Die Wirkung der Morphiumspritze, die Rebecca ihm verabreicht hatte, ließ allmählich nach. Hinter Stiles war die Dunkelheit von rasselndem Gestöhn erfüllt, aber er vernahm auch einzelne Wutschreie. Er riskierte einen erneuten Blick in Richtung der Verfolger.

Im Dunkeln nahm er eine Reihe von Umrissen wahr. Sie erstreckten sich von einem Bordstein zum anderen. Alle waren ständig in Bewegung, doch einige waren deutlich schneller als die anderen. Stiles schätzte, dass vierzig bis fünfzig Infizierte an seinen Fersen klebten. Es war die drittgrößte Meute, die er bisher gesehen hatte. Die Meuten eins und zwei waren ihm in Suez und Scharm El-Scheich begegnet.

Der erste Infizierte trat in den Lichtkreis und schwang die Arme in einer bizarren Parodie der Gesten, die zuvor Stiles gemacht hatte. Er hob die Nase witternd in die Luft, verzog das Gesicht zu einer Grimasse, schaute in die Gasse und knurrte leise und kehlig.

Gleich darauf warf er den Kopf in den Nacken. Ein lauter Knall ertönte, den die Ziegelbauten zurückwarfen. Der Infizierte fiel zu Boden. Eine Blutlache bildete sich um seinen Schädel. In der Gasse ließ Stiles eine leere Patronenhülse zu Boden fallen und ersetzte sie durch eine volle. Pulverdampf stieg vom Lauf seiner Waffe auf.

»Kommt her, ihr Drecksäcke!«, schrie er. Mit der ausgestreckten freien Hand stieß er einige Mülleimer um, die am Anfang der Gasse aufgestellt waren. Sie fielen scheppernd um. Alter Müll verstreute sich auf dem Asphalt. Stiles zog sich tiefer in die Gasse zurück und rümpfte die Nase, da der Müll gehörig stank.

Drei weitere Sprinter tauchten an der Mündung der Gasse auf. Ihre Gesichter waren verschwitzt und fleckig vom Blut früherer Opfer.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, murmelte Stiles. Er schaute nach hinten und spähte nach Toreinfahrten oder Kanaldeckeln, durch die man entwischen konnte. Doch sein Blick traf auf nichts anderes als Ziegelmauern und festen Straßenbelag. Er verzog das Gesicht, hob die Winchester an die Schulter und ließ sein Gewicht auf dem verletzten Bein ruhen. Zwar fing es unter der Belastung an zu beben, knickte aber nicht ein. Stiles’ Blick fiel kurz nach unten. »Halt noch ’n bisschen durch, Alter«, murmelte er. »Bald liegt alles hinter uns.«

Er visierte den nächsten Sprinter an und schoss. Er erwischte die Gestalt etwas zu tief, im Brustkorb. Der Infizierte musterte das blutige Loch in seiner Brust, berührte es und ging in die Knie, wo er mit dem Gesicht voran tot aufs Straßenpflaster knallte– doch nicht für lange. Stiles wusste, dass das Ding sich in wenigen Minuten wieder erheben würde. Das in seiner Blutbahn kreisende Virus würde es als langsamen, tatterigen Überträger wiedererwecken, der nur von einem angetrieben wurde: der Gier nach weiteren Opfern. Der Morgenstern-Erreger gab seine Opfer nicht so leicht wieder frei.

Der Schuss hatte den restlichen Sprintern allerdings seine Position verraten. Nun wirbelten sie herum, schauten ihn an und stießen ein leises, provozierendes Knurren aus.

»Na los, ihr Wichser«, sagte Stiles. »Ich hau schon nicht ab.« Er wich einen Schritt zurück, feuerte erneut und machte sich davon, als sie die Verfolgung aufnahmen.

Ein Sprinter stieß mit einem Bein gegen die umgekippten Mülleimer. Er strauchelte, fiel zu Boden und stieß einen Grunzlaut aus, als er hätte er sich verletzt. Der andere sprang gewandt über die Tonnen hinweg und kam mit ausgestreckten Armen auf Stiles zu.

Stiles wartete, bis er nah genug heran war, dann drückte er ab. Die Kugel drang in den Mund des Infizierten ein, durchbohrte ihn und trat am Hinterkopf aus. Als der von seinem Gewicht nach vorn gerissene Leichnam Stiles entgegenfiel, trat dieser beiseite. Er spürte, dass sich sein Mund zu einem Grinsen verzog. Sein jüngstes Opfer würde nicht wieder aufstehen. Ein Kopfschuss beendete das Dasein jedes Untoten.

Der letzte Verfolger rappelte sich gerade auf. Stiles lud seine Waffe erneut durch, doch der Infizierte war schneller bei ihm, als er sie heben konnte.

Stiles fiel heftig auf den Rücken, als der Infizierte ihn ansprang. Das Gewehr wurde ihm aus den Händen gerissen und landete klappernd hinter ihm auf dem Asphalt.

Der Untote griff nach Stiles, der sich plötzlich in der bösen Situation wiederfand, sich knirschende Zähne und Fingernägel vom Leib halten zu müssen. Beide rangen eine Weile miteinander, doch keiner gewann die Oberhand. Von seinem widerborstigen Opfer in Rage versetzt, beugte sich der Infizierte vor und brüllte den Soldaten aus nächster Nähe an.

Stiles’ Hand zuckte zu seinem Pistolengurt hinab, dann grinste er und präsentierte seinem Gegner ein Bajonett.

»Fahr zur Hölle, Mistvieh!«

Stiles rammte die Klinge von unten durch das Kinn des Infizierten. Er nagelte Unter- und Oberkiefer zusammen und machte Gulasch aus seinem Hirn. Die Arme des Überträgers erschlafften. Er verdrehte die Augen. Stiles stieß den Leichnam grunzend von sich, stand zähneknirschend auf und belastete sein Bein. Dann nahm er seine Winchester und hinkte, das Bajonett noch in der Hand, zum Ende der Gasse.

Die Gasse mündete in eine Straße, die ebenso von Trümmern übersät war wie die vorherige, aber hier war zumindest keine Meute von Infizierten zu sehen.

Für Stiles erübrigte sich ein weiterer Blick zurück, um zu erfahren, wie nahe ihm die Verfolgerhorde inzwischen gekommen war: Der erste Watschler kam nämlich bereits grinsend um die ins Gässchen führende Ecke gehinkt. Auch hier gab es Geschäfte– die Innenstadt Hyattsburgs bestand nur aus wenigen Häuserblocks. Keiner der Läden erschien ihm jedoch so nützlich zu sein wie das Sportgeschäft, das er vor einigen Stunden geplündert hatte. Stiles sah einen Brautausstatter, einen ATV-Händler und einen Comicladen. Der Rest lag zu sehr im Dunkeln, um Genaueres erkennen zu können.

Stiles versuchte es an der ersten Haustür, an der er vorbeikam, doch sie war verschlossen. Sie schien in ein Wohnhaus zu führen. Stiles runzelte die Stirn und hinkte über den Gehsteig zum Brautausstatter. Er versuchte den Knauf zu drehen, doch auch diese Tür blieb ihm verschlossen. Die Fenster waren vergittert. Aus der Gasse herüber drang nun Gestöhn an seine Ohren.

Stiles verdoppelte seine Anstrengungen. Das nächste Geschäftslokal war der Comicshop. Stiles hielt an und kniff leicht die Augen zusammen. Die Eingangstür stand einen Spalt auf.

Er schaute sich ein weiteres Mal um. Er wollte sicher sein, dass kein Infizierter an ihm klebte. Dann hob er die Winchester. Sie sollte schussbereit sein. Er schob die Tür mit dem Lauf auf.

»Wer arm ist, darf nicht wählerisch sein«, murmelte er und trat ins Innere des Ladens. Die Tür schob er hinter sich mit dem verletzten Bein ins Schloss. Ohne den Blick vom dunklen Rauminneren abzuwenden, griff er hinter sich und tastete nach dem Riegel. Er fand ihn und drehte ihn, dann zog er noch mal an der Tür, um ganz sicher zu sein, dass sie wirklich verschlossen war. Sie war fest zu. Er war nun eingeschlossen. Wichtiger war allerdings, dass die Infizierten ausgeschlossen waren.

»Na schön, Stiles«, murmelte er. »Bleib trotzdem wachsam, denn noch bist du aus dieser Scheiße nicht raus.« Er tastete sein Ledergeschirr nach der Taschenlampe ab, die er kürzlich ein paar Straßen weiter im Sportartikelgeschäft hatte mitgehen lassen. Nachdem er sie eingeschaltet hatte, ließ er den schmalen Lichtstrahl durch den Laden wandern.

Am anderen Ende des Raumes befand sich eine Theke. Auf ihr lagen Sammlerkärtchen und Snacks. Zwischen Stiles und der Theke ragten mehrere doppelseitige Regale voller Comics und Rollenspielbücher auf. Der Lichtstrahl wanderte über den Boden: Stiles wollte sicher sein, dass hier keine ausgeknipsten Überträger herumlagen, die vor der Verwandlung gestorben waren. Der Boden war sauber. Er war sogar rein. Das Sportartikelgeschäft war völlig heruntergekommen gewesen, die Regale umgeworfen, die Behälter geplündert. Doch die Randale, die dort das Unterste zuoberst gekehrt hatte, hatte den Comicladen verschont.

»Wen überrascht das?«, murmelte Stiles leise. »Wer hat schon in dieser schönen neuen Welt Verwendung für Heftchen, die«– sein Blick huschte über die Titel– »SuperwaffeX heißen?«

Ein leises Stöhnen wehte durch die Luft heran. Stiles konzentrierte sich wieder auf die Lage und lugte durch das Schaufenster auf die Straße hinaus. Er hatte Glück gehabt: Die Scheiben waren zur Hälfte mit dicker schwarzer Farbe bemalt, um den Sonnenschein draußen zu halten. Stiles verließ den vorderen Teil des Shops und ging nach hinten, wo die Ladentheke war. Er beugte sich vor, um den schmalen Raum dahinter zu prüfen. Dann schwang er sich hinauf, schob die Beine mit einem seine Pein verdeutlichenden Zischen über den Tresen, ging dahinter in Deckung und verzog das Gesicht.

Stiles lehnte die Winchester an seine Schulter und seufzte. Dann streckte er das verletzte Bein aus und kramte in der Brusttasche seines Kampfanzugs nach der zerknitterten Zigarettenschachtel. Die letzte Kippe hatte er sich seit fast einer Woche aufgespart. Jetzt war wohl der richtige Zeitpunkt, sie anzustecken.

Er nahm das Feuerzeug aus der gleichen Tasche, öffnete es mit dem Daumen und schnippte. Er sah einen Funken, aber keine Flamme. Auch der zweite und dritte Versuch gingen schief. Stiles runzelte finster die Stirn, hob das Feuerzeug ans Ohr und schüttelte es.

»Verdammt«, murmelte er mit der Zigarette im Mund. »Tja, wenigstens werde ich nicht verhungern.«

Er spuckte die Zigarette auf den Boden, griff zur Ladentheke hinauf, nahm einen Schokoladenriegel aus dem Verkaufsständer und riss die Packung mit den Zähnen auf. Er biss ein Stück ab und kaute und schluckte, ohne den Geschmack der Schokolade richtig wahrzunehmen. Sein Blick war starr auf sein verletztes Bein gerichtet.

Er war vor mehreren Stunden von einem Watschler gebissen worden. Auf diese Weise abzutreten, fand Stiles, war nicht würdeloser als jeder andere Tod. Watschler waren langsam und unkoordiniert– sogar blöd. Sie waren kaum mehr als reanimierte Hülsen einstmals lebendiger Menschen; steif, verwesend und übel riechend. Schlimmer noch: Der Biss eines Watschlers garantierte, dass man sich seine Krankheit zuzog. Stiles war noch niemandem begegnet, der gebissen worden war und es überlebt hatte.

»Wie viel Zeit hab ich wohl noch?«, murmelte er vor sich hin. Er wusste, dass er erledigt war. Wenn der Morgenstern-Erreger einen einmal gepackt hatte, ließ er nicht mehr los. Stiles wusste, dass das Virus in seiner Blutbahn kreiste, sich replizierte und vervielfachte. Bald würde er sich zum Kreis der Infizierten auf der Straße gesellen und zu den Sprintern gehören, von denen er gerade ein paar erledigt hatte. Ein nichtsnutziges Ding; ein bewegliches Ziel für jeden beliebigen Überlebenden. Vielleicht aber auch dessen Untergang…

Stiles ging davon aus, dass ihm vielleicht noch vier Tage blieben. Die infizierten Soldaten an Bord der USSRamage hatten so lange gebraucht, um sich zu verwandeln, und sie waren dem Virus ebenfalls nur minimal ausgesetzt gewesen.

Was für ein Abgang, dachte Stiles. Dass man sich im Lauf einer Woche so langsam verwandelt. Zuerst werde ich Fieber kriegen. Dann fall ich ins Delirium. Anschließend krieg ich das große Zittern. Dann kann ich nichts mehr im Magen behalten. Und schließlich kommt der Knacks. Ich verliere den Verstand und werde einer von ihnen.

Er hörte plötzlich das Geräusch von über Bodendielen schlurfenden Füßen.

Stiles erstarrte. Der Schokoriegel klemmte zwischen seinen Zähnen. Er schob den Kopf langsam in den Nacken, um zur Decke hinaufzuschauen. Das Geräusch war von oben gekommen. Keine Frage.

Stiles zog sich mit einer Hand am Tresenrand hoch und nahm eine aufrechte Position ein. Im hinteren Teil des Ladens befand sich ein schmaler Durchgang. Stiles war bisher davon ausgegangen, dass er in einen Lagerraum führte und sonst nirgendwohin, doch nun zweifelte er daran.

»Wie heißt es doch so schön? Der Glaube ist die Mutter der Einfalt?«, murmelte er vor sich hin. »Na schön, Stiles, wenn du Gesellschaft hast, wollen wir sie mal ausquartieren.«

Er packte seine Winchester, hielt sie schussbereit und hinkte langsam hinter dem Tresen hervor. Der Durchgang im hinteren Teil des Geschäfts wurde halb von einer schäbigen alten Wolldecke verhüllt, die mit Heftzwecken am Türrahmen befestigt war. Stiles streckte eine Hand aus, riss sie einfach ab und verteilte den Staub der Jahrtausende, der sich dort seit etlichen Ewigkeiten angesammelt hatte, im ganzen Laden. Den in ihm aufquellenden Husten würgte er ab. Dann zog er sich das T-Shirt übers Gesicht. Es war nicht nur der Staub, der ihn dazu brachte, sich zu maskieren. Ein starker, fast überwältigender Gestank kam ihm aus dem Hinterzimmer entgegen. Obwohl er süßlich roch, wurde ihm übel. Stiles kannte diesen Geruch. Es roch nach Tod. Nach einer alten Leiche.

Stiles drang mit vorsichtigen kurzen Schritten in das kleine Hinterzimmer vor und erhellte es mit seiner Taschenlampe. Es war tatsächlich ein Lagerraum. Ungeöffnete Pappkartons füllten Regale. Eine vergessene Sackkarre lag zu seinen Füßen auf der Seite. Ein Sports-Illustrated-Kalender hing hinter einem winzigen Schreibtisch an der Wand. Der Ladenbesitzer hatte mit einem wischfesten Markierstift treu und brav sämtliche Tage bis zum 3. Januar markiert. Das war fast drei Wochen her. Was immer danach in Hyattsburg geschehen war, musste an diesem Tag seinen Anfang genommen haben.

Erneut war das schlurfende Geräusch zu hören. Stiles zuckte zusammen und schwang die Winchester herum. Er stellte fest, dass er auf eine hölzerne Tür zielte, die sich bisher in einer Ecke des Lagerraums versteckt hatte. Dann hörte er das Geräusch zum dritten Mal und konzentrierte sich darauf. Es kam eindeutig von oben, aber aus Richtung der Tür.

Stiles begab sich zur Tür, ging in die Knie und ignorierte den Schmerz in seinem Bein. Er drückte ein Auge an das altmodische Schlüsselloch und versuchte, hindurchzusehen, doch auf der anderen Seite war es stockdunkel. Stiles seufzte, warf einen Blick hinter sich und verzog das Gesicht. Er konnte nicht ruhig hier unten schlafen, wenn in der Etage über ihm ein Infizierter hauste. Zwar wusste er, dass er in weniger als einer Woche einer der ihren sein würde, aber die Zeit bis dahin wollte er sich keinesfalls nehmen lassen. Bis dahin wollte er unbedingt er selbst bleiben. Er wollte die Zeit, die ihm noch blieb, ums Verrecken nicht als schneller Imbiss für einen Sprinter vergeuden.

Stiles überprüfte seine Waffe, dann nahm er sich die Zeit, sie bis zur vollen Kapazität aufzuladen. Schließlich packte er vorsichtig den Türknauf und versuchte ihn zu drehen.

Die Tür war nicht verschlossen.

»Das gefällt mir schon besser«, murmelte er und drehte den Knauf bis zum Anschlag. Stiles öffnete die Tür langsam und zentimeterweise. Bei jedem Zentimeter knarrte der Boden oder quietschte ein Scharnier. Als er endlich fertig war, lag eine schmale Treppe vor ihm. Sie führte in den zweiten Stock des Gebäudes hinauf. Stiles schaltete die noch immer an seinem Brustnetz hängende Taschenlampe an und justierte sie so, dass sie geradeaus leuchtete. Er brauchte beide Hände für das Gewehr. Das Innere eines Hauses war nicht der beste Ort für großformatige Waffen, aber er besaß keine Pistole mehr. Sherman und seine Leute hatten alle Handfeuerwaffen mitgenommen.

Stiles arbeitete sich vorsichtig die Treppenstufen hinauf. Dabei lauschte er sorgfältig nach Hinweisen, die ihm den Aufenthaltsort des unwillkommenen Gasts beschrieben. Wer auch immer die Geräusche machte– im Moment ließ er nichts von sich hören. Stiles kam es vor, als seien Stunden vergangen, doch wenige Minuten später erreichte er das Ende der Treppe.

Ein Korridor verlief in zwei Richtungen. An den Wänden hingen gerahmte Fotografien. Mit massenhaft Klebestreifen befestigte Plakate zierten die Türen. Hier schien der Besitzer des Ladens gelebt zu haben.

Stiles betrat den Korridor– und erstarrte auf der Stelle. Sein Fuß war auf eine lose Diele getreten. Das daraus resultierende Knarren kam ihm in der nächtlichen Stille so laut wie ein Gewehrschuss vor. Er zuckte zusammen.

Wie erwartet folgte die Reaktion des ungebetenen Gasts auf dem Fuße, wenn auch unkoordiniert. Links von ihm, in einem Zimmer, grunzte jemand. Dann hörte Stiles Schritte, die die Dielen knarren ließen. Es waren schnelle Schritte, doch sie kamen nicht näher und entfernten sich auch nicht. Es klang fast so, als liefe der Infizierte im Kreis herum und suche nach der Ursache des Lärms. Da er nichts sehen konnte, beruhigte er sich allmählich wieder. Die Schritte wurden langsamer, bis sie schließlich verstummten. Das Grunzen verstummte jedoch nicht. Manchmal hörte Stiles auch ein Schnauben und Schnüffeln. Er schluckte, atmete tief durch und begab sich an die Tür, die der Geräuschquelle am nächsten war. Er spürte, dass sein Herz heftig pochte und wies es an, gefälligst in einem normalen Tempo zu schlagen. Das Herz spielte nicht mit.

Der Gestank im Korridor des ersten Stocks war fast unerträglich, auch dann noch, als Stiles sich sein Hemd über die Nase zog. Seine Augen begannen zu tränen. Sein Magen schlug Purzelbäume. Ihm war nach Übergeben zumute, doch er kämpfte gegen das Gefühl an. Ein Teil seines Ichs wollte seine Position schützen, ein anderer Teil sagte ihm einfach nur, dass er alles vermeiden sollte, was dazu führen konnte, den Gestank zu verstärken.

Als Stiles vor der Tür stand, erstarrte er zum zweiten Mal.

Was war hinter dieser Tür? Vielleicht war es nur ein Sprinter. Der Gestank sagte ihm aber, dass sich da drin auch ein Leichnam befand. War die Leiche ein Watschler oder ein echter Toter? Vielleicht hielt sich hinter der Tür auch mehr als ein Sprinter auf. Vielleicht hatte er nur einen gehört?

Stiles’ Hand schwebte eine Weile über dem Türknauf. Dann zog er sie zurück. Nein, es war zu riskant. Es war besser, zu seinen Bedingungen gegen den Feind zu kämpfen.

Stiles trat zurück. Er entfernte sich einige Schritte von der Tür. Dann kniete er sich hin. Er zielte auf die Tür, atmete erneut tief durch, um ruhig zu werden, und schlug dann mehrmals fest mit der flachen Hand gegen die Wand, sodass sie bebte. Er pfiff eine schrille Note, brach ab, als er nicht mehr konnte, und schrie dann die Zoten, derer er sich schon draußen auf der Straße befleißigt hatte.

»He, du Wichser! Ja, du da, hinter der Tür! Du hässlicher räudiger infizierter Schweinehund! Wie wär’s denn mit ’nem kleinen Imbiss, hm? Wie wär’s mit ’nem Stiles-Steak? Tja, dafür musst du dich ’n bisschen anstrengen, du verfluchter Scheißhau…«

Die Tür wurde aus den Angeln gerissen. Sie blieb schief hängen, und der Infizierte stürmte auf den Korridor hinaus. Er war groß, wog mindestens zwei Zentner und sah aus wie ein Preisboxer. Und dazu trug er das passende Trikot.

Der Kerl drehte sich in Stiles’ Richtung, durchbohrte ihn mit einem unheilvollen Blick und brüllte auf.

»Tach«, sagte Stiles.

Sein Gewehr war ausgerichtet.

Er brauchte nur noch den Abzug zu betätigen.

Die Kugel erwischte den Infizierten an der Schläfe, und sein Kopf flog nach hinten. Ein Ausdruck verwirrter Frustration spielte über seine Miene, dann knickten seine Beine ein, und er sank zu Boden. Als er aufschlug, bebte der gesamte Korridor.

Stiles schob eine neue Patrone in die Kammer, stand auf und hielt die Waffe auf den Toten gerichtet. Diese Position behielt er einige Sekunden bei, doch der Leichnam rührte sich nicht. Unter dem Schädel des Infizierten breitete sich eine im Zwielicht schwarz aussehende Blutlache aus.

Stiles ging an dem Leichnam vorbei zu dem Zimmer, das der Infizierte bewohnt hatte. Er lugte um die Ecke, leuchtete mit der Taschenlampe hinein und würgte.

Er wusste nicht, ob das, was er dort sah, die Frau, die Freundin oder eine Bekannte des Infizierten war, aber wer sie auch gewesen sein mochte: es spielte nun keine Rolle mehr. Der Infizierte hatte sie zerlegt. Der Raum war ein Schlafzimmer. Das Opfer hatte, vielleicht sogar schlafend, im Bett gelegen, als er über es hergefallen war. Die einst weißen Laken waren nun schwarz und von getrocknetem Blut verkrustet. Die Wände neben dem Bett sahen ähnlich aus. Das einzige Geräusch im Raum war das Summen zweier Fliegen, die den Leichnam in der Dunkelheit umschwirrten. Ein Arm der Leiche ragte in die Luft, die Finger in der Verwesung starr und klauenartig. Der Mund war offen, zwischen den aufgeplatzten Lippen war eine geschwollene Zunge zu sehen. Es sah aus, als bäte die Tote irgendwie um Erlösung.

Stiles wich zurück. Er drückte eine Hand auf seinen Mund, wandte sich um und eilte zu der Treppe, die nach unten in den Lagerraum führte. Es gelang ihm gerade noch, den Schreibtisch zu erreichen, dann musste er sich dem körperlichen Drängen ergeben. Er ging in die Knie und kotzte den Schokoriegel in einen Papierkorb aus. Er blieb mehrere Minuten lang dort stehen und würgte etliche Male. Schließlich wandte er sich ab und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand.

»Verdammt«, murmelte er und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.

In diesem Moment kapierte er, dass er ebenso enden würde wie der arme Hund, den er da oben erschossen hatte. Sein Ende war nur wenig besser als das der Frau im Bett. Stiles blickte erneut auf sein Bein hinab. Er hätte beinahe angefangen zu weinen, denn es sagte ihm, dass er schon in wenigen Tagen zu den Infizierten gehören würde.

Ob er die Willenskraft aufbringen würde, die Waffe gegen sich selbst zu richten?

Na ja, mal sehen, wie es so weiterging.

Der Gefreite Mark Stiles saß allein in der Finsternis von Hyattsburg und wartete.

ERSTER TEIL

VON WESTEN HER

3. März 2007

Östlich von Aspen, Colorado

14.56 Uhr

Ein seltsam anmutender Konvoi kam mit Motorengedröhn um die Biegung der schmalen Bergstraße. Angeführt wurde er von einem Werkstattwagen, dessen weiße Verkleidung mit matten Grün- und Brauntönen übermalt worden war, die wie ein Tarnanstrich aussahen. Seiten und Motorhaube des Lasters waren mit Stacheldraht bestückt, der ihm ein borstiges, welliges Äußeres verlieh.

Danach kam eine Limousine, ein verbeulter, zwanzig Jahre alter Mercury. Er war auf ähnliche Weise wie der Laster verschönert worden. Auf den Scheiben befanden sich Farbspritzer; das Fahrzeug selbst war prall mit Passagieren und Tornistern gefüllt. Auf dem Dach war ein Gepäckträger angebracht; auch er war bis an seine Grenzen mit Zeug wie Zelten und Benzinkanistern aus Kunststoff beladen. Hätte man die Kanister nicht festgebunden, hätte der Wind sie fortgeweht, denn sie schlugen hohl klingend aneinander, wenn er an ihnen entlangpfiff.

Das dritte Fahrzeug war ein Kleinlaster, ein Ford-Pick-up. An ihm hatte man in Sachen Tarnfarbe offenbar am wenigsten tun müssen: Er war lediglich mattgrün gestrichen. Seine Reifen hatte man gegen die eines Geländewagens ausgetauscht, und sein Bug war mit Betonstahl verstärkt. Auch seine Ladefläche hatte man bearbeitet. Betonstahl war hinzugekommen, sodass die Seitenwände nun einen vertikalen Zaun bildeten, der an der Außenseite entlang verlief. Zwischen den Stahlgittern war Stacheldraht gespannt, und zwar so dicht, dass man kaum hindurchschauen konnte. Schmale Schlitze, beidseitig in den Draht geschnitten, ermöglichten es den Insassen, im Fall eines Angriffs oder sich nähernder feindlicher Kräfte ins Freie zu schauen und zu schießen.

Der Konvoi kam gut voran. Man hatte in den letzten zwei Wochen gut fünfzehnhundert Kilometer zurückgelegt, was viel mehr war, als man zu schaffen geglaubt hatte. Allerdings würde man dieses Tempo nicht mehr lange beibehalten können.

Im Leitfahrzeug, dem Werkstattwagen, saß Sergeant Major Thomas hinter dem Steuer. Er passte seinen Kurs gewandt den heimtückischen Kurven und Senken der Bergstraßen an. Thomas war so glatt rasiert wie sein Beifahrer, denn er war fest entschlossen, bis zum Ende der Welt auf sein Äußeres zu achten. Alte Soldaten hatten Prinzipien. Sein ergrauendes Haar, das früher immer kurz geschoren gewesen war, fing wieder an zu wachsen. Thomas verbarg es deswegen unter einer rasch bleichenden Kappe.

Neben ihm saß Frank Sherman, ehemals Lieutenant General und Kommandeur der Koalitionsstreitkräfte im Quarantänegebiet des Suezkanals. Sherman hielt sich zwar nicht mehr für einen Offizier, doch einige Angehörige der abgerissenen Gruppe, die sich um ihn scharte, sprachen ihn und Thomas noch immer entsprechend ihres militärischen Rangs an. Im Moment trug Sherman zivile Jagdkleidung und ramponierte Kampfstiefel. Und er fluchte angesichts der Landkarte, die er sich bislang vors Gesicht gehalten hatte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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