Aufstieg und Fall der Dinosaurier - Steve Brusatte - E-Book
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Aufstieg und Fall der Dinosaurier E-Book

Steve Brusatte

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Beschreibung

»Die ultimative Dinosaurier Biographie« SCIENTIFIC AMERICAN Noch immer haftet den Dinosauriern das Image der schwerfälligen, primitiven Monster an, die zu groß waren, um zu überleben. Doch bevor sie von der Erdoberfläche verschwanden, beherrschten die faszinierenden Giganten über 150 Millionen Jahre lang unseren Planeten. Modernste Technologien und spektakuläre Funde erlauben nun neue Einblicke in ihre Erfolgsgeschichte. Steve Brusatte, einer der führenden Paläontologen der Welt, führt uns anschaulich durch das untergegangene Reich der Dinosaurier. Lebendig erzählt er ihre Geschichte von den ersten Rieseneidechsen bis zum Aussterben. Dabei gibt er spannende Einblicke in seine Forschung und berichtet von spektakulären Ausgrabungen, etwa von Fleischfressern, die sogar größer waren als der Tyrannosaurus rex. - neue Erkenntnisse über eine verlorene Welt - von einem der renommiertesten Paläontologen der Welt - reich bebildert und illustriert

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Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

Für Mr. Jakupcak, meinen ersten und besten Paläontologielehrer, für meine Frau Anne sowie alle anderen, die die nächste Generation unterrichten.

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus de Palézieux

ISBN 978-3-492-99220-6

© Stephen (Steve) Brusatte, 2018

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Rise and Fall of the Dinosaurs. A new history of a lost world« bei William Morrow, New York 2018

Deutschsprachige Ausgabe: © Piper Verlag GmbH, München 2018

Fachlektorat: Armin Schmitt

Redaktion: Fabian Bergmann

Covergestaltung: Cornelia Niere nach einem Entwurf von Mumtaz Mustafa

Covermotiv: Todd Marshall

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Inhalt

Übersicht über das Dinosaurierzeitalter

Dinosaurierstammbaum

Weltkarten

 

Prolog: Das Goldene Zeitalter der Entdeckungen

1 Der Anbruch des Dinosaurier-Zeitalters

2 Dinosaurier erheben sich

3 Dinosaurier werden zu den Herrschern der Welt

4 Dinosaurier und die Kontinental-verschiebung

5 Tyrannische Dinosaurier

6 Der König der Dinosaurier

7 Dinosaurier in ihrer Blütezeit

8 Dinosaurier heben ab

9 Dinosaurier sterben aus

Epilog: Nach den Dinosauriern

 

Dank

Quellenangaben

Bildnachweis

Übersicht über das Dinosaurierzeitalter

Dinosaurierstammbaum

Weltkarten

Trias (vor etwa 220 Millionen Jahren)

Oberjura (vor etwa 150 Millionen Jahren)

Oberkreide (vor etwa 80 Millionen Jahren)

Prolog

Das Goldene Zeitalter der Entdeckungen

Zhenyuanlong

Wenige Stunden vor Tagesanbruch stieg ich an einem kalten Morgen im November 2014 aus einem Taxi und bahnte mir den Weg durch den Hauptbahnhof von Peking. Ich hielt meine Fahrkarte fest umklammert, während ich mich durch einen Schwarm Tausender frühmorgendlicher Pendler kämpfte; meine Nerven waren angespannt, weil die Abfahrtszeit meines Zugs immer näher rückte. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich wenden sollte. Allein und nur weniger Worte Chinesisch mächtig, blieb mir nichts anderes übrig, als die Schriftzeichen auf meiner Fahrkarte mit den Symbolen auf den Bahnsteigen zu vergleichen. Mit einem Tunnelblick fuhr ich hektisch die Rolltreppen rauf und runter, hastete an Zeitungskiosken und Nudelständen vorbei und fühlte mich dabei wie ein Raubtier auf der Jagd. Mein mit Kameras, einem Stativ und weiteren wissenschaftlichen Geräten vollgepackter Koffer schleuderte hinter mir her, fuhr anderen Leuten über die Füße und knallte gegen ihre Schienbeine. Von allen Seiten prasselten wütende Rufe auf mich ein. Aber ich ließ mich nicht aufhalten.

Längst drang der Schweiß aus meiner Winterdaunenjacke, und ich keuchte in der von den Dieselabgasen der Züge geschwängerten Luft. Irgendwo weiter vorne erwachte ein Motor brüllend zum Leben, und ein Pfiff war zu hören. Ein abfahrbereiter Zug. Ich stolperte die Betonstufen hinab, die zum Bahnsteig führten, und zu meiner großen Erleichterung konnte ich nun auch die Schriftzeichen lesen. Endlich. Dies war mein Zug, der mich und meinen guten Freund und Kollegen Junchang Lü, einen der bekanntesten Dinosaurier-Jäger Chinas, nordostwärts nach Jinzhou bringen sollte – eine Stadt, die so groß wie Chicago ist und einige Hundert Kilometer von der Grenze zu Nordkorea in der alten Mandschurei liegt.

In den folgenden Stunden versuchte ich, es mir bequem zu machen, während wir langsam an Betonfabriken und dunstigen Kornfeldern vorbeirollten. Manchmal nickte ich ein, konnte aber nicht viel Schlaf finden. Ich war viel zu aufgeregt. Am Ende der Reise wartete ein Geheimnis auf mich – ein Fossil, über das ein Bauer gestolpert war, als er seine Ernte eingefahren hatte. Ich kannte ein paar körnige Fotos davon, die Junchang mir geschickt hatte. Wir stimmten beide in der Bewertung überein, dass der Fund bedeutend aussehe. Vielleicht war es ja sogar eines der wegweisenden Fossilien, die dem Fund des Heiligen Grals gleichkommen – eine neue Art und so makellos erhalten, dass wir spüren könnten, wie es vor zig Millionen Jahren als lebendes, atmendes Geschöpf gewesen war. Doch wir mussten es selbst in Augenschein nehmen, um ganz sicher zu sein.

Als Junchang und ich in Jinzhou den Zug verließen, wurden wir von einer Handvoll örtlicher Würdenträger begrüßt, die uns die Koffer abnahmen und uns zu zwei schwarzen SUVs führten. Schnell ging es zum städtischen Museum, einem überraschend gesichtslosen Gebäude am Rande der Stadt. Als handele es sich um ein hochrangiges politisches Gipfeltreffen, führte man uns im flackernden Neonlicht eines langen Flurs ernst und förmlich in einen seitlich gelegenen Raum, in dem ein paar Tische und Stühle standen. Auf einem kleinen Arbeitstisch lag eine Gesteinsplatte, die so schwer war, dass die Tischbeine einzuknicken schienen. Einer der örtlichen Honoratioren sprach auf Chinesisch mit Junchang, der sich danach zu mir wandte und mir kurz zunickte.

»Fangen wir an«, meinte er in seinem so eigenartig betonten Englisch, das eine Mischung aus der chinesischen Sprachmelodie ist, mit der er aufwuchs, und der gedehnten Sprechweise der Texaner, die er als Doktorand in Amerika angenommen hat.

Gemeinsam gingen wir zu dem Tisch. Ich spürte, wie alle Blicke auf uns ruhten, und eine unheimliche Stille herrschte im Raum, als wir uns dem Schatz näherten.

Vor mir lag eines der schönsten Fossilien, die ich je gesehen hatte. Es war ein Skelett, ungefähr von der Größe eines Maultiers; seine schokoladenbraunen Knochen ragten aus dem sie umgebenden trüb-grauen Kalkstein. Mit Sicherheit war es ein Dinosaurier; seine Steakmesserzähne, die spitzen Klauen und der lange Schwanz ließen keinen Zweifel aufkommen, dass dies ein naher Verwandter des räuberischen Velociraptor war, wie man ihn aus Jurassic Park kennt.

Doch es war kein gewöhnlicher Dinosaurier. Seine Knochen waren leicht und hohl, die Beine lang und dünn wie die eines Fischreihers, sein schlankes Skelett trug alle Anzeichen eines aktiven, dynamischen, sich schnell bewegenden Tiers. Und da waren nicht nur die Knochen; es gab auch Federn, die den gesamten Körper bedeckten. Buschige Federn an Kopf und Nacken, die wie Haare aussahen, am Schwanz dagegen lange, verzweigte Federn und an den Armen große Federkiele, die – nebeneinander aufgereiht und übereinander geschichtet – die Form von Flügeln hatten.

Dieser Dinosaurier sah aus wie ein Vogel.

Ungefähr ein Jahr darauf beschrieben Junchang und ich dieses Skelett als eine neue Art, die wir Zhenyuanlong suni nannten. Sie ist eine von ungefähr 15 neuen Dinosauriern, die ich innerhalb der letzten zehn Jahre bestimmt habe, während ich als Paläontologe Karriere machte. Sie führte mich von meinen Wurzeln im amerikanischen Mittelwesten zu einem Universitätsjob nach Schottland, dazu kamen viele Aufenthalte an Orten auf der ganzen Welt, wo ich Dinosaurier fand und sie erforschte.

Der Zhenyuanlong ist anders als die Dinosaurier, von denen ich noch in der Grundschule gehört hatte, ehe ich Wissenschaftler wurde. Man brachte mir bei, dass Dinosaurier große, schuppige, dumme Tiere und für ihre Umgebung so schlecht geeignet gewesen seien, dass sie einfach nur herumtrampelten, die Zeit verstreichen ließen und auf ihren Untergang warteten. Gleichsam ein Fehler der Evolution. Eine Sackgasse in der Geschichte des Lebens. Primitive Tiere, die kamen und gingen, lange bevor der Mensch die Szene betrat. Und ihr Lebensraum war eine urzeitliche Welt, die derart anders war als unsere heutige, dass es auch ein fremder Planet hätte sein können. Dinosaurier waren Kuriositäten, die man im Museum betrachten konnte, Filmungeheuer, die uns in unseren Albträumen heimsuchten, Objekte kindlicher Faszination, für uns moderne Menschen doch eher irrelevant und kaum einer ernsthaften Erforschung würdig.

Zhenyuanlong.

Doch diese Stereotypen sind unsinnig und vollkommen falsch. In den letzten Jahrzehnten ist man davon abgekommen, als eine neue Paläontologengeneration in nie dagewesenem Ausmaß Dinosaurierfossilien entdeckte. Überall auf der Welt – von den Wüsten Argentiniens bis zu den gefrorenen Einöden Alaskas – wird gegenwärtig im Durchschnitt einmal pro Woche eine neue Dinosaurierart entdeckt. Man lasse sich das auf der Zunge zergehen: einmal pro Woche eine neue Dinosaurierart. Das bedeutet ungefähr 50 neue Entdeckungen pro Jahr – darunter auch der Zhenyuanlong. Aber es geht nicht nur um diese neuen Entdeckungen, sondern es gibt auch neue Wege, sie zu erforschen – neue Technologien kamen auf, die den Paläontologen dabei halfen, die Biologie und Evolution der Dinosaurier auf eine Weise zu verstehen, die unseren Vorgängern noch unvorstellbar war. Computertomografien werden genutzt, um die Gehirne und Sinnesorgane der Dinosaurier zu erforschen, Computermodelle zeigen uns heute, wie sie sich bewegten, Hochleistungsmikroskope enthüllen sogar, welche Farbe sie hatten. Und noch vieles mehr.

Ich hatte das große Glück, an dieser aufregenden Entwicklung teilzuhaben – als einer von vielen jungen Paläontologen aus aller Welt, Männer und Frauen verschiedenster Herkunft, die zur Zeit von Jurassic Park erwachsen wurden. Sehr viele von uns Forschern, die wir zwischen Mitte 20 und Mitte 30 sind, arbeiten zusammen, aber auch mit unseren Mentoren aus der früheren Generation. Mit jeder neuen Entdeckung, die wir machen, jeder neuen Studie lernen wir ein wenig mehr über die Dinosaurier und ihre Evolutionsgeschichte.

Junchang Lü und ich studieren das prachtvolle Fossil des Zhenyuanlong.

In diesem Buch möchte ich die folgende gewaltige und abenteuerliche Geschichte erzählen – woher die Dinosaurier kamen, wie sie zu den dominierenden Tieren wurden, wie manche von ihnen zu Riesen, andere dagegen zu Vögeln wurden, weil sie Federn und Flügel entwickelten, und schließlich, wie der Rest von ihnen verschwand, was letzten Endes den Weg für die moderne Welt bahnte und damit für uns. Dabei möchte ich auch darstellen, wie wir diese Geschichte aus den uns vorliegenden fossilen Anhaltspunkten zusammensetzten, und ein Gespür dafür vermitteln, was es heißt, Paläontologe zu sein, dessen Aufgabe es ist, Dinos zu jagen.

Doch vor allem möchte ich zeigen, dass Dinosaurier keine Aliens und keine Fehlschläge der Natur waren und ganz sicher auch nicht irrelevant. Sie waren außergewöhnlich erfolgreich, gediehen mehr als 150 Millionen Jahre lang und brachten ein paar der erstaunlichsten Tiere hervor, die je gelebt haben – einschließlich der Vögel, den rund 10 000 lebenden Dinosaurierarten der Gegenwart. Ihre Heimat war unsere Heimat – dieselbe Erde, die den gleichen Launen des Klimas und der Umweltveränderungen unterworfen war, denen auch wir ausgesetzt sind oder vielleicht zukünftig ausgesetzt sein werden. Sie entwickelten sich gemeinsam mit einer sich stets verändernden Welt, die von gewaltigen vulkanischen Eruptionen und Asteroideneinschlägen erschüttert wurde, in der sich die Kontinente bewegten, der Meeresspiegel ständig schwankte und die Temperaturen höchst unberechenbar stiegen und fielen. Die Dinosaurier passten sich außerordentlich gut an ihre jeweilige Umgebung an, doch am Ende wurden die meisten von ihnen ausgelöscht, als sie mit einer plötzlichen Krise nicht zurechtkamen. Ohne jeden Zweifel birgt das für uns eine Lehre.

Mehr als alles andere aber ist der Aufstieg und Fall der Dinosaurier eine unglaubliche Geschichte über eine Zeit, als riesige Tiere und andere fantastische Geschöpfe sich die Welt zu eigen machten. Sie schritten auf demselben Boden voran wie wir, heute sind ihre Fossilien im Gestein begraben – es sind jene Spuren, die von ihnen berichten. Für mich ist es eine der größten Erzählungen in der Geschichte unseres Planeten.

Steve Brusatte,

Edinburgh, Schottland

18. Mai 2017

1

Der Anbruch des Dinosaurier-Zeitalters

Prorotodactylus

»Bingo!«, rief mein Freund Grzegorz Niedżwiedzki und wies auf eine hauchdünne Trennschicht zwischen einem schmalen Streifen Tonstein und einer dickeren Schicht groben Gesteins direkt darüber. Der Steinbruch, den wir in der Nähe des polnischen Dorfes Zachełmie untersuchten, war früher einmal Fundort und Abbaustätte des begehrten Kalksteins gewesen, aber schon seit Langem aufgegeben worden. Die Umgebung war mit verfallenen Schornsteinen und anderen Überresten der industriellen Vergangenheit Zentralpolens übersät. Die Karten wiesen uns darauf hin, dass wir im Heiligkreuzgebirge seien, aber das ist ein trügerischer Name für die traurige Ansammlung von Hügeln, die früher einmal sehr hoch waren, doch heute nach Hunderten Millionen Jahren der Erosion nahezu abgeflacht sind. Der Himmel war grau, die Mücken stachen, die Hitze strahlte vom Boden der Grube zurück, und die einzigen anderen Menschen, die wir sahen, waren zwei Wanderer, die sich ziemlich schlimm verfranst haben mussten.

»Hier kann man das Aussterben sehen«, sagte Grzegorz, und ein breites Lächeln durchzog seine während vieler Tage der Feldforschung unrasierten Bartstoppeln. »Zahlreiche Fußspuren großer Reptilien und Säugetierverwandter unten, aber dann verschwinden sie. Und darüber sehen wir eine ganze Weile gar nichts, dann die Dinosaurier.«

Wir mochten da zwar auf einige Felsen in einer überwachsenen Grube schauen, worauf wir aber tatsächlich blickten, entsprach einer Revolution. Gesteine zeichnen die Erdgeschichte auf; sie erzählen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, lange bevor die Menschen die Erde bevölkerten. Und die Geschichte, die da vor uns in den Stein geschrieben war, erzählte von einem schockierenden Ereignis. Dieser vielleicht nur für das hochtrainierte Auge des Wissenschaftlers sichtbare Übergang im Gestein dokumentierte einen der dramatischsten Momente der Erdgeschichte. Einen kurzen Augenblick, als sich die Welt veränderte, einen Wendepunkt, der sich vor rund 252 Millionen Jahren zutrug – lange vor unserer Zeit, vor den Wollhaarmammuts, vor den Dinosauriern –, der aber noch heute nachhallt. Hätten sich die Dinge damals nur ein wenig anders abgespielt – wer weiß, wie die heutige Welt aussähe? Es ist ein wenig mit der Frage vergleichbar, was passiert wäre, wenn Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau damals im Juni 1914 in Sarajevo nicht erschossen worden wären.

Hätten wir vor 252 Millionen Jahren an eben diesem Fleckchen Erde gestanden, in einer Zeit, die die Geologen als Perm (oder Permzeit) bezeichnen, hätten wir unsere Umgebung kaum wiedererkannt. Es hätte keine Fabrikruinen oder andere menschliche Spuren gegeben. Keine Vögel am Himmel oder Mäuse, die um unsere Füße huschten, keine Blütensträucher, die uns zerkratzten, keine Mücken, die sich hungrig auf die dadurch entstandenen Wunden stürzten. All das entwickelte sich erst später. Dennoch hätten wir geschwitzt, weil es heiß und unerträglich feucht gewesen wäre, wahrscheinlich noch unerträglicher als Miami im Hochsommer. Wild dahinfließende Flüsse entwässerten das Heiligkreuzgebirge, das damals tatsächlich ein richtiges Gebirge war, mit schneebedeckten, scharf konturierten Bergen, die Tausende Meter in die Wolken ragten. Die Flüsse wanden sich durch riesige Koniferenwälder – frühe Verwandte der heutigen Kiefern und des Wacholders – und mündeten in einem großen Becken, das sich am Rand der Berge erstreckte; es war voller Seen, deren Pegel in der Regenzeit stark anstiegen, die nach dem Monsun aber wieder austrockneten.

Diese Seen waren die Lebensquelle des örtlichen Ökosystems, Wasserstellen, die in der grellen Hitze und dem rauen Wind Oasen bildeten. Allerlei Tiere kamen hier zusammen, doch waren es keine, wie wir sie heute kennen. Es gab schleimige Salamander, größer als Hunde, die in der Nähe des Ufers herumlungerten und gelegentlich nach einem vorüberziehenden Fisch schnappten. Untersetzte Tiere, die sogenannten Pareiasaurier, watschelten auf allen vieren herum, sie hatten eine knorrige Haut und einen schweren Vorbau; ihr insgesamt massives, brutales Aussehen ließ sie wie eine verrückte reptilienartige Version der Offensive Linemen wirken, jener Spieler im American Football, die in gebückter Haltung die vorderste Front der angreifenden Mannschaft bilden. Kleine dicke Wesen, die Dicynodontier, wühlten wie Schweine im Dreck, wobei sie ihre scharfen Stoßzähne benutzten, um wohlschmeckende Wurzeln zutage zu fördern. Über diese Tiere herrschten die Gorgonopsier, Fleischfresser von der Größe von Bären, die an der Spitze der Nahrungskette standen und ihre säbelzahnartigen Eckzähne in die Eingeweide der Pareiasaurier und das Fleisch der Dicynodontier schlugen. Dieser Haufen von Sonderlingen beherrschte die Welt direkt vor den Dinosauriern.

Dann fing die Erde tief in ihrem Innern an zu rumoren. Doch hätte man das vor rund 252 Millionen Jahren, zumindest als es anfing, an der Oberfläche kaum spüren können. Es trug sich in etwa 80, vielleicht sogar 160 Kilometern Tiefe zu, im Erdmantel, der mittleren Lage des aus Kruste, Mantel und Kern bestehenden Sandwichs, das die Erdstruktur ausmacht. Der Mantel besteht aus solidem Gestein, das so heiß ist und unter einem so hohen Druck steht, dass es über lange geologische Zeiträume hinweg wie besonders zähflüssige Knetmasse fließen kann. In der Tat weist der Erdmantel Strömungen auf wie ein Fluss. Diese Strömungen treiben das förderbandähnliche System der Plattentektonik an, sie sind jene Kräfte, welche die dünne äußere Kruste in Platten zerbrechen lassen, die sich im Lauf der Zeit gegeneinander bewegen. Ohne diese Strömungen im Erdmantel hätten wir weder Berge noch Meere noch eine bewohnbare Erdoberfläche. Doch ab und zu büchst einer dieser Ströme aus. Heiße Strömungen aus flüssigem Felsgestein, die sogenannten Mantelplumes, steigen auf und winden sich an die Oberfläche, wo sie schließlich als Vulkane an sogenannten Hotspots ausbrechen. Sie sind selten, doch Yellowstone ist ein Beispiel eines noch heute aktiven Hotspots. Die ständige Hitzezufuhr aus der Tiefe der Erde ist genau die Kraft, die den Geysir Old Faithful im Yellowstone-Nationalpark im US-Bundesstaat Wyoming sowie andere Geysire antreibt.

Genau das Gleiche passierte am Ende des Perm, jedoch in einem kontinentalen Ausmaß. Unter Sibirien bildete sich ein gewaltiger Hotspot. Ströme flüssigen Gesteins drangen durch den Mantel in die Erdkruste und flossen von dort als Vulkane aus. Es waren aber keine gewöhnlichen Vulkane, wie wir sie heute kennen, keine kegelförmigen Aufschüttungen, die jahrzehntelang schlafen und dann bei Gelegenheit mit einem Regen aus Asche und Lava explodieren, wie etwa der Mount Saint Helens im US-Bundesstaat Washington oder der Pinatubo auf den Philippinen. Sie brachen auch nicht mit der Wucht jener aus Essig und Backpulver angesetzten Mischungen aus, die viele von uns als naturwissenschaftliche Experimente kennen. Nein, diese Vulkane waren nicht mehr als große Risse im Erdboden, oft mehrere Kilometer lang, die ständig Lava ausspuckten, Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt, Jahrhundert für Jahrhundert. Die Eruptionen gegen Ende des Perms dauerten einige Hunderttausend Jahre, vielleicht sogar ein paar Millionen Jahre. Dabei kam es zu wenigen größeren Eruptionen und ruhigeren Phasen langsameren Fließens. Insgesamt stießen sie genug Lava aus, um damit in Nord- und Zentralasien mehrere Millionen Quadratkilometer zu überschwemmen. Noch heute, 252 Millionen Jahre später, bedecken schwarze Basaltfelsen, die aus dieser Lava ausgehärtet sind, in Sibirien mehr als eine Million Quadratkilometer, ein Gebiet, das etwa so groß ist wie Westeuropa.

Man stelle sich einen Kontinent vor, der von Lava versengt ist: die apokalyptische Katastrophe aus einem schlechten B-Movie. Sämtliche Pareiasaurier, Dicynodontier und Gorgonopsier, die auch nur im Dunstkreis Sibiriens lebten, gingen damals zugrunde. Und schlimmer noch: Wenn Vulkane ausbrechen, speien sie nicht nur Lava aus, sondern auch Hitze, Staub und giftige Gase. Anders als eine Lavaeruption kann das den gesamten Planeten beeinflussen. Am Ende des Perms waren dies die wahre Ursache des Untergangs, und mit ihr begann eine regelrechte Kaskade der Zerstörung, die Millionen Jahre andauerte und dabei die Welt unwiderruflich veränderte.

Staub stieg in die Atmosphäre auf, kontaminierte die Luftströme in großer Höhe und verteilte sich so auf der ganzen Welt, was wiederum die Sonnenstrahlen abhielt und die Pflanzen an der Fotosynthese hinderte. Die früher üppigen Koniferenwälder starben ab; dadurch hatten die Pareiasaurier und die Dicynodontier keine Pflanzen mehr als Nahrung, und den Gorgonopsiern wiederum stand deshalb kein Fleisch mehr zur Verfügung. Die Nahrungskette begann zusammenzubrechen. Ein Teil des Staubs fiel durch die Atmosphäre zurück und verband sich mit Wassertropfen zu saurem Regen, der die ohnehin schlimme Situation auf der Erde noch verschärfte. Weil immer mehr Pflanzen starben, wurde die Landschaft öde und instabil, was zu massiver Erosion führte, als gewaltige Schlammlawinen ganze Abschnitte der verfaulenden Wälder auslöschten. Es war auch der Grund, warum die feinen Tonsteine im Steinbruch von Zachełmie, eine Gesteinsart, die auf eine ruhige und friedliche Umgebung schließen lässt, unvermittelt den gröberen, mit Geröll durchsetzten Gesteinen wichen, die für schnell fließende Strömungen und zersetzende Stürme charakteristisch sind. Verheerende großflächige Brände fegten durch das vernarbte Gelände, was das Überleben für Pflanzen und Tiere noch schwieriger machte.

Doch das waren nur kurzfristige Auswirkungen, etwas, das sich innerhalb von Tagen, Wochen und Monaten zutrug, nachdem sich ein besonders starker Lavaausbruch aus den Erdrissen in Sibirien ergossen hatte. Die längerfristigen Auswirkungen waren noch tödlicher. Mit der Lava waren stickige Wolken von Kohlendioxid freigesetzt worden. Wie wir heute alle sehr wohl wissen, ist Kohlendioxid ein mächtiges Treibhausgas, das die Strahlung in der Atmosphäre aufnimmt und sie auf die Erde zurückstrahlt, wodurch diese erwärmt wird. Das durch die Eruptionen in Sibirien ausgestoßene Kohlendioxid hob die Temperatur nicht bloß um einige Grade an, es verursachte vielmehr einen unkontrollierten Treibhauseffekt, der den Planeten regelrecht aufkochte. Und es gab noch weitere Konsequenzen. Obwohl sehr viel Kohlendioxid in die Atmosphäre aufstieg, löste sich der Großteil davon in den Meeren. Das wiederum verursachte eine Kette chemischer Reaktionen, die das Meerwasser noch saurer machte, was vor allem für die Meereslebewesen mit leicht löslichen Schalen sehr schlecht war. Deshalb baden wir ja auch nicht in Essig. Die Übersäuerung entzieht den Meeren zudem einen großen Teil des Sauerstoffs, ein weiteres ernsthaftes Problem für alles, was im oder am Wasser lebt.

Die Beschreibungen dieses Untergangsszenarios könnten noch seitenlang weitergehen, wichtig aber ist die Feststellung, dass es schwierig war, am Ende des Perms zu überleben. Es war das größte Massensterben in der Geschichte unseres Planeten. Ungefähr 90 Prozent aller Arten verschwanden damals. Die Paläontologen haben einen besonderen Ausdruck für ein solches Ereignis gefunden, bei dem eine gewaltige Anzahl an Pflanzen und Tieren in kurzer Zeit weltweit eingeht und vom Antlitz der Erde verschwindet: Massenaussterben. In den letzten 500 Millionen Jahren gab es fünf besonders schwere Massenaussterben. Das vor 66 Millionen Jahren am Ende der Kreidezeit, das die Dinosaurier auslöschte, ist sicher das bekannteste. Wir werden noch darauf zurückkommen. So schrecklich dieses Aussterben am Ende der Kreidezeit auch war, es war nicht annähernd mit dem am Ende des Perms zu vergleichen. In diesem Augenblick vor 252 Millionen Jahren, der in dem raschen Wechsel von Tonstein zu einem Gestein mit Geröll in der polnischen Grube festgehalten wurde, war das Leben so kurz davor, vollständig ausgelöscht zu werden, wie zu keinem anderen Zeitpunkt der Geschichte.

Danach wurde es allerdings besser. Das wird es immer. Das Leben ist harnäckig, und einige Arten sind stets in der Lage, selbst die schlimmsten Katastrophen zu überstehen. Die Vulkane waren während Jahrmillionen aktiv, und dann erloschen sie, nachdem der Hotspot an Dampf verloren hatte. Da die Ökosysteme nicht länger durch Lava, Staub und Kohlendioxid vernichtet wurden, konnten sie sich allmählich stabilisieren. Pflanzen begannen wieder zu wachsen, und sie diversifizierten sich. Sie boten neues Futter für Pflanzenfresser, die ihrerseits wieder Fleisch für Fleischfresser lieferten. Die Nahrungsketten schufen sich neu. Diese Erholungsphase dauerte mindestens fünf Millionen Jahre, und danach standen die Dinge besser – auch wenn es nun ganz anders war. Die vorher dominanten Gorgonopsier, Pareiasaurier und dergleichen sollten nie wieder an den Seen Polens oder sonst wo auftauchen; die tapferen Überlebenden hatten nun die ganze Erde für sich. Es war eine großteils leere Welt, eine unbesiedelte, unendliche Weite. Das Perm war in ein nächstes Intervall der geologischen Zeit übergegangen, in die Trias, und nichts sollte mehr wie früher sein. Das Erscheinen der Dinosaurier stand kurz bevor.

Als junger Paläontologe wollte ich genau verstehen, wie sich die Welt nach dem Massenaussterben am Ende des Perms verändert hatte. Was starb, was überlebte, und warum? Wie schnell erholten sich die Ökosysteme? Welche neuen Arten von zuvor unvorstellbaren Geschöpfen traten aus der postapokalyptischen Dunkelheit hervor? Welche Aspekte unserer modernen Welt wurden aus in der Lava am Ende des Perms geschmiedet?

Es gibt nur einen Weg, um diese Fragen zu beantworten. Man muss sich aufmachen und entsprechende Fossilien finden. Wenn ein Mord geschehen ist, beginnen Kriminalbeamte die Ermittlung damit, dass sie die Leiche und den Ort des Verbrechens nach Fingerabdrücken, Haaren, Gewebefäden oder anderen Hinweisen untersuchen, die erzählen können, was vorgefallen ist, und zum Täter führen. Für uns Paläontologen sind Fossilien vergleichbare Hinweise. Sie sind die Währung in unserem Gebiet, die einzigen Belege dafür, wie längst ausgestorbene Organismen lebten und sich entwickelten.

Als Fossilien gelten jegliche Hinweise vergangenen Lebens, und sie tauchen in vielfacher Gestalt auf. Die bekanntesten sind Knochen, Zähne und Schalen – harte Teile, die das Skelett eines Tieres bilden. Nachdem sie unter Sand oder Schlamm vergraben worden waren, wurden diese harten Teile allmählich durch Mineralien ersetzt und zu Stein umgewandelt, was ein Fossil erzeugte. Zuweilen kann auch weiches Gewebe wie Blätter und Bakterien versteinern, indem es im Gestein Abdrücke hinterlässt. Das Gleiche gilt manchmal auch für die Weichteile von Tieren, wie Haut, Federn, ja selbst Muskeln und innere Organe. Damit so etwas aber als Fossil endete, brauchen wir schon sehr viel Glück: Die Tiere müssen so schnell verschüttet worden sein, dass dieses fragile Gewebe nicht vorher zerfallen oder von Raubtieren gefressen werden konnte.

Alles, was ich oben beschrieben habe, gehört zu dem, was wir als Körperfossil bezeichnen: ein Teil einer Pflanze oder eines Tiers, der zu Stein geworden ist. Doch es gibt noch eine weitere Form: ein Spurenfossil, das von der Anwesenheit oder dem Verhalten eines Organismus berichtet oder etwas bewahrt, das ein Organismus verursacht oder hinterlassen hat. Bestes Beispiel hierfür ist eine Fußspur; weitere Beispiele sind Erdhöhlen und Bauten, Bissspuren, Koprolithen (fossilierte Exkremente) sowie Eier und Nester. Spurenfossilien können besonders wertvoll sein, weil sie uns möglicherweise erzählen, wie ausgestorbene Tiere miteinander und mit ihrer Umwelt interagierten – wie sie sich bewegten, was sie fraßen, wo sie lebten, wie sie sich vermehrten.

Die Fossilien, an denen ich besonders interessiert bin, gehören zu den Dinosauriern und den Tieren, die direkt vor ihnen kamen. Dinosaurier lebten während drei Perioden der geologischen Geschichte: in der Trias, im Jura und in der Kreidezeit (die zusammen das Mesozoikum bilden). Die Permzeit – als die seltsamen und zugleich wundervollen Geschöpfe an den polnischen Seen herumtollten – kam direkt vor der Trias. Oft meinen wir, die Dinosaurier seien uralt, tatsächlich aber sind sie relative Neuankömmlinge in der Geschichte des Lebens.

Die Erde entstand vor ungefähr 4,6 Milliarden Jahren, und die ersten mikroskopischen Bakterien entstanden einige Hundert Millionen Jahre später. Für etwa zwei Milliarden Jahre war diese Welt eine bakterielle Welt. Es gab keine Pflanzen oder Tiere, nichts, was wir mit bloßem Auge hätten gut erkennen können; vorausgesetzt, es hätte uns überhaupt gegeben. Dann, irgendwann vor ca. 1,8 Milliarden Jahren, entwickelten diese einfachen Zellen die Fähigkeit, sich zu größeren, komplexeren Organismen zusammenzuschließen. Eine globale Eiszeit – die beinahe den gesamten Planeten mit Gletschern bedeckte, bis hinunter in die Tropen – kam und ging, und erst danach kamen die ersten Tiere auf. Sie waren zunächst einfach gebaut – weiche Beutel aus einer klebrigen Masse, wie etwa Schwämme und Quallen, bis sie Schalen und Skelette entwickelten. Vor ca. 540 Millionen Jahren, während des Kambriums, explodierten diese mit kalkigen Skelettelementen versehenen Tiere geradezu in eine Vielfalt, sie traten in Hülle und Fülle auf, begannen, einander aufzufressen und komplexe Ökosysteme in den Meeren auszubilden. Einige entwickelten Skelette aus Knochen – es waren die ersten Wirbeltiere, und sie sahen aus wie kleine, hauchdünne Fische. Doch auch sie hörten nicht auf, sich weiterzuentwickeln. Einige von ihnen verwandelten ihre Flossen in Arme, bildeten Finger und Zehen, und vor ungefähr 390 Millionen Jahren gingen diese Tiere an Land. Dies waren die ersten Tetrapoden, die Vierfüßer, und zu ihren Nachfolgern gehören alle Landwirbeltiere: Frösche und Salamander, Krokodile und Schlangen, später dann die Dinosaurier und der Mensch.

Wir kennen diese Geschichte wegen der Fossilien – Tausende Skelette und Zähne und Fußspuren und Eier, die von ganzen Paläontologengenerationen in aller Welt gefunden wurden. Wir sind besessen davon, Fossilien zu finden, und berüchtigt dafür, große Anstrengungen zu unternehmen (manchmal sind wir geradezu leichtsinnig), um noch mehr aufzuspüren. Es kann eine Kalkgrube in Polen oder vielleicht auch ein Steilhang hinter einem Supermarkt sein, ein abgekippter Haufen Findlinge an einer Baustelle oder die Felswände einer aufgegebenen Mülldeponie. Sollten dort Fossilien zu finden sein, dann wird sich zumindest ein verwegener (oder leichtsinniger) Paläontologe tapfer den Widrigkeiten stellen, seien es Hitze, Kälte, Regen, Schnee, Feuchtigkeit, Staub, Wind, Insekten, Gestank oder Kriegsgebiete.

Daher bin ich nach Polen gegangen. Das erste Mal besuchte ich dieses Land mit 24 Jahren im Sommer 2008; ich hatte meine Masterarbeit geschrieben, meine Dissertation noch nicht angefangen und wollte in Polen einige neue und faszinierende Reptilienfossilien studieren, die ein paar Jahre zuvor in Schlesien gefunden worden waren, jener geschichtsträchtigen, in der Vergangenheit häufig umkämpften Region mitten in Europa, die heute großteils im Südwesten Polens liegt. Die Fossilien wurden in einem Museum in Warschau aufbewahrt, es waren Schätze des polnischen Staats. Ich erinnere mich noch an meine Aufregung, als ich mich dem Hauptbahnhof in einem verspäteten Zug aus Berlin näherte, wobei die Schatten der Nacht die hässliche Architektur der Stalinära der Hauptstadt verhüllten, die nach dem Krieg aus Ruinen wiederaufgebaut worden war.

Als ich aus dem Zug stieg, ließ ich meinen Blick über die wartende Menge schweifen. Jemand musste doch hier sein und ein Schild mit meinem Namen hochhalten. Ich hatte meinen Besuch durch eine Reihe offizieller E-Mails mit einem sehr bedeutenden polnischen Professor vorbereitet, der einen seiner Doktoranden dazu verdonnert hatte, mich am Bahnhof abzuholen und zu dem kleinen Gästezimmer zu bringen, in dem ich am Institut für Paläobiologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften wohnen sollte, nur ein paar Stockwerke über dem Ort, an dem die Fossilien aufbewahrt wurden. Ich hatte keine Ahnung, nach wem ich Ausschau hielt, und weil der Zug sich um mehr als eine Stunde verspätet hatte, dachte ich, der Doktorand sei wieder ins Institut zurückgegangen und habe mich mir selbst überlassen, weshalb ich mich nun mit den paar Brocken Polnisch, die auf einer Seite meines Reiseführers standen, ganz allein in der Dämmerung durch die fremde Stadt schlagen müsse.

Als ich gerade in Panik ausbrechen wollte, sah ich, wie ein weißes Stück Papier im Wind flatterte, auf das hastig mein Name gekritzelt war. Der Mann, der das Papier hielt, war jung, hatte kurz geschnittenes Haar wie beim Militär, einen Bartschatten und schien eine etwas dunklere Hautfarbe zu haben als die meisten Polen, die ich kannte. Er wirkte fast schon gebräunt. Er hatte eine etwas unheimliche Ausstrahlung, was sich aber in dem Moment änderte, als er bemerkte, dass ich auf ihn zuging. Er setzte ein breites Lächeln auf, packte meine Tasche und drückte mir fest die Hand. »Willkommen in Polen. Ich heiße Grzegorz. Wie wäre es mit einem Abendessen?«

Wir waren beide müde, ich von der langen Zugfahrt, Grzegorz, weil er den ganzen Tag gearbeitet und einen neuen Stapel fossiler Knochen beschrieben hatte, den er und sein Team aus studentischen Hilfskräften erst wenige Wochen zuvor in Südostpolen gefunden hatten; daher auch die Sonnenbräune, die er zur Schau stellte. Doch wir saßen dann noch bei mehreren Gläsern Bier zusammen und sprachen stundenlang über Fossilien. Dieser Mann legte die gleiche ungebremste Begeisterung für Dinosaurier an den Tag wie ich und war voller unkonventioneller Ideen darüber, was sich nach dem Massenaussterben am Ende des Perms abgespielt haben könnte.

Grzegorz und ich wurden schnell Freunde. Für den Rest jener Woche untersuchten wir gemeinsam polnische Fossilien, und während der folgenden vier Sommer kam ich erneut nach Polen, um mit Grzegorz Geländearbeit zu betreiben, oft mit einem dritten Musketier, dem jungen britischen Paläontologen Richard Butler. In jener Zeit fanden wir viele Fossilien und entwickelten neue Ideen, wie die Dinosaurier in den aufregenden Tagen des Massenaussterbens gegen Ende des Perms ihre Evolution begonnen hatten. Im Lauf dieser Jahre erlebte ich Grzegorzs Entwicklung von einem engagierten und dennoch zurückhaltenden Doktoranden zu einem der führenden polnischen Paläontologen. Einige Jahre vor seinem dreißigsten Geburtstag entdeckte er in einer anderen Ecke des Steinbruchs von Zachełmie eine Spur, die von einem der ersten fischartigen Geschöpfe hinterlassen worden war, das vor rund 390 Millionen Jahren aus dem Wasser an Land gegangen war. Seine Entdeckung wurde auf dem Titelbild von Nature veröffentlicht, einer der führenden wissenschaftlichen Zeitschriften. Grzegorz wurde zu einem besonderen Empfang beim polnischen Ministerpräsidenten eingeladen und hielt einen TED-Talk. Sein markantes Gesicht – nicht seine fossilen Entdeckungen, sondern er selbst – zierte das Titelbild der polnischen Ausgabe von National Geographic.

Er war zu so etwas wie einer wissenschaftlichen Berühmtheit geworden, aber mehr als alles andere genoss Grzegorz, hinaus in die Natur zu gehen und nach Fossilien Ausschau zu halten. Er nannte sich selbst ein »Geländetier« und meinte, er campe gerne und schlage sich viel lieber durchs Dickicht, als auf den eleganten Straßen Warschaus zu promenieren. Er konnte einfach nicht anders. Aufgewachsen ist er in der Nähe von Kielce, der Hauptstadt des Verwaltungsbezirks Heiligkreuz, und schon als Kind fing er an, Fossilien zu sammeln. Er entwickelte ein besonderes Talent dafür, genau jene Sorte Fossilien zu finden, die viele Paläontologen vernachlässigen: Spurenfossilien. Fußabdrücke, Handabdrücke, Schwanzschleifspuren: die Spuren, die Dinosaurier und andere Tiere hinterließen, wenn sie sich durch Schlamm oder Sand bewegten, während sie ihren täglichen Geschäften des Jagens, Versteckens, der Paarung, des Geselligseins, der Nahrungsaufnahme und des Herumlungerns nachgingen. Grzegorz war in Spuren regelrecht verliebt. Ein Tier hat nur ein Skelett, kann aber Millionen von Fußabdrücken hinterlassen, daran erinnerte er mich oft. Wie ein Geheimagent kannte er die besten Plätze, um sie zu finden. In dieser Gegend hatte er schließlich ein Heimspiel. Und es war für ihn auch genau die richtige Umgebung gewesen, um aufzuwachsen, weil sich nämlich herausstellte, dass die vielfach von Tieren bevölkerten jahreszeitlich bedingten Seen, die diese Gegend im Perm und in der Trias bedeckt hatten, ausgezeichnete Orte gewesen waren, um Spuren zu bewahren.

Während vier Sommern frönten wir gemeinsam Grzegorz’ Liebe zu den Spuren. Richard und ich folgten ihm, als er uns zu vielen seiner geheimen Stellen führte, meist verlassene Steinbrüche, aber auch kleine Felsen, die aus einem Fluss oder Bach herausragten, oder Abraumhalden entlang der Gräben an den vielen neuen Straßen, die in der Gegend gebaut wurden, wo die Arbeiter die Steinplatten abluden, die sie beim Verlegen des Asphalts entzweigeschnitten hatten. Wir fanden eine Menge Spuren, oder besser: Grzegorz fand sie. Richard und ich entwickelten wohl einen Blick für die oft sehr kleinen Hand- und Fußabdrücke, die von Echsen, Amphibien und frühen Verwandten der Dinosaurier und Krokodile hinterlassen worden waren, aber wir konnten uns nie mit dem Meister selbst messen.

Die Tausende Spuren, die Grzegorz in den zwei Jahrzehnten seiner Sammeltätigkeit fand, und dazu die magere Ausbeute neuer Spuren, über die Richard und ich stolperten, erzählten am Ende eine unglaubliche Geschichte. Es gab viele Arten von Spuren, die zu einer ganzen Menge verschiedener Geschöpfe gehörten. Und sie stammten nicht nur von einem einzigen Augenblick der Erdgeschichte, sondern aus einer Abfolge von zig Millionen Jahren, beginnend im Perm, über das große Massenaussterben bis hinein in die Trias, ja selbst noch in die nächste geologische Zeitstufe, den Jura, der vor ca. 200 Millionen Jahren begann. Als die saisonalen Seen austrockneten, hinterließen sie riesige Schlickflächen, über die die Tiere hinwegzogen und dabei ihre Spuren hinterließen. Die Flüsse führten ständig neue Sedimente herbei, die den Schlick bedeckten, ihn verbargen und so in Stein verwandelten. Dieser Zyklus wiederholte sich jedes Jahr, weshalb es heute im Heiligkreuzgebirge Spurenschicht über Spurenschicht zu finden gibt. Für Paläontologen ist das eine wahre Goldgrube: eine ausgezeichnete Gelegenheit, festzustellen, wie Tiere und Ökosysteme sich im Lauf der Zeit veränderten, vor allem nach dem verhängnisvollen Massenaussterben gegen Ende des Perms.

Die Identifikation, welche Tiere welche jeweiligen Spuren hinterließen, ist relativ einfach. Man vergleicht die Form der Spur mit der von Händen und Füßen. Wie viele Finger oder Zehen sieht man? Welche sind am längsten? Wohin zeigen sie? Hinterließen nur die Finger und Zehen einen Abdruck, oder auch die Handfläche oder das Fußgewölbe? Sind linke und rechte Spur nahe beisammen, weil das Lebewesen, das die Spuren hinterließ, sich mit direkt unter dem Körper befindlichen Extremitäten bewegte? Oder sind sie weiter auseinander, weil sie von einem Geschöpf stammen, das die Beine seitwärts gespreizt hatte? Wenn man diese Checkliste abarbeitet, kann man meist herausfinden, welche allgemeine Gruppe von Tieren die jeweilige Spur hinterlassen hat. Eine Art genau zu bestimmen ist eigentlich unmöglich, aber die Unterscheidung von Reptilien- und Amphibienspuren oder auch die von Dinosauriern im Gegensatz zu Krokodilspuren ist ziemlich leicht.

Die Fährten aus dem Perm aus dem Heiligkreuzgebirge sind vielgestaltig, und die meisten stammen von Amphibien, kleinen Reptilien und den frühen Synapsiden, Vorläufern der Säugetiere, die in Kinderbüchern und Museumsausstellungen oft ärgerlicher- und fälschlicherweise als säugetierähnliche Reptilien beschrieben werden (obwohl sie tatsächlich keine Reptilien sind). Gorgonopsier und Dicynodontier sind zwei Gruppen innerhalb dieser primitiven Synapsiden. Allen Hinweisen zufolge waren diese Lebensräume des spätesten Perms intakt – es gab viele Tierarten, manche waren klein, andere mehr als drei Meter lang und über eine Tonne schwer, sie lebten gemeinsam und streiften in dem trockenen Klima an den saisonalen Seen umher. Es gibt aber keine Anzeichen von Dinosaurier- oder Krokodilspuren in den Ablagerungen aus dem Perm, nicht einmal Spuren, die aussehen, als stammten sie von Vorläufern dieser Tiere.

Alles verändert sich am Übergang vom Perm zur Trias. Die Spuren über das Massenaussterben hinaus zu verfolgen ist mit der Lektüre eines obskuren Buchs zu vergleichen, in dem ein auf Englisch geschriebenes Kapitel einem auf Sanskrit folgt. Das späteste Perm und die früheste Trias scheinen zwei verschiedene Welten gewesen zu sein, was bemerkenswert ist, weil die Spuren allesamt am selben Ort hinterlassen wurden, in genau derselben Umgebung und im selben Klima. Südpolen blieb weiterhin ein feuchtes Seengebiet, das durch wilde Gebirgsströme gespeist wurde, als das Perm in die Trias überging. Nein, es waren die Tiere selbst, die sich veränderten.

Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich die frühesten Fährten aus der Trias betrachte. Ich kann dann den weit entfernten Hauch des Todes spüren. Es gibt kaum Spuren, bloß ein paar kleine Abdrücke hier und da, doch ist der Fels voller Grabbauten. Es scheint, dass die Welt an der Oberfläche ausgelöscht wurde und alle Kreaturen, die diese gespenstische Landschaft bevölkerten, sich unter der Erde versteckten. Fast alle Spuren gehören zu kleinen Echsen und Säugetierverwandten, die vermutlich nicht größer als ein Murmeltier waren. Viele der unterschiedlichen Spuren aus dem Perm sind verschwunden, vor allem die von größeren Synapsiden, der Protosäugetiere, und sie tauchen auch nie wieder auf.

Die Situation bessert sich aber allmählich, wenn man die Spuren durch den Verlauf der Zeit weiter nach oben verfolgt. Es tauchen wieder mehr unterschiedliche Spuren auf, manche Abdrücke werden größer, Grabbauten werden seltener. Die Welt erholte sich ganz klar von dem durch die endpermischen Vulkane ausgelösten Schock. Dann, ungefähr vor 250 Millionen Jahren, nur wenige Millionen Jahre nach dem Massenaussterben, tauchen völlig neue Arten von Spuren auf. Sie sind klein, nur wenige Zentimeter lang, ungefähr von der Größe einer Katzenpfote. Sie sind in schmalen Fährten angeordnet; die fünffingrigen Handabdrücke liegen vor den etwas größeren Fußabdrücken, die drei lange, mittlere Zehen zeigen, die von je einem winzigen Zeh auf jeder Seite flankiert werden. Der beste Ort, um sie zu finden, ist das winzige polnische Dorf Stryczowice, wo man den Wagen an einer Brücke abstellt und sich danach durch Dornen und Brombeersträucher schlägt, um endlich an den Ufern eines kleinen Flusses herumzuwühlen, an denen mit Spuren übersähte Gesteinsplatten liegen. Grzegorz entdeckte diesen Ort, als er jung war, und stolz nahm er mich einmal an einem unglaublich schwülen und tristen Tag im Juli, an dem es regnete und donnerte und es vor Ungeziefer nur so wimmelte, dorthin mit. Nach den wenigen Minuten, die wir uns durch das Unkraut kämpften, waren wir durchnässt; mein Feldnotizbuch verzog sich, als die Tinte aus den Seiten herablief.

Die Spuren, die dort gefunden wurden, tragen den wissenschaftlichen Namen Prorotodactylus. Grzegorz wusste nicht genau, was er mit ihnen machen sollte. Sie waren anders als die Spuren, die er neben ihnen gefunden hatte, anders auch als alle weiteren Spuren aus dem Perm. Doch welches Tier hatte sie hinterlassen? Grzegorz ahnte, dass sie etwas mit Dinosauriern zu tun haben könnten, weil ein älterer Paläontologe namens Hartmut Haubold in den 1960ern von ähnlichen, durch ihn in Deutschland gefundenen Spuren berichtet und behauptet hatte, sie stammten von frühen Dinosauriern oder nahen Verwandten. Doch Grzegorz war von dieser Idee nicht sehr überzeugt. Den Großteil seiner jungen Karriere hatte er mit dem Studium von Spuren verbracht und dabei nur wenig Zeit für tatsächliche Dinosaurierskelette aufgewendet, weshalb es für ihn schwierig war, die Spuren einem bestimmten Tier zuzuordnen. An dieser Stelle kam ich ins Spiel. Für meinen Masterabschluss hatte ich einen Stammbaum von Reptilien aus der Trias erstellt, eine Genealogie, die zeigte, wie die ersten Dinosaurier von den anderen Tieren jener Zeit abstammten. Ich hatte damals Monate in Museumssammlungen verbracht, wo ich fossile Knochen studiert hatte, weshalb ich die Anatomie der ersten Dinosaurier recht gut kannte. Was auch für Richard galt, der seine Doktorarbeit über die Entwicklung früher Dinosaurier schrieb. Wir drei steckten unsere Köpfe zusammen, um herauszufinden, welches Tier für die Spuren des Prorotodactylus verantwortlich sein könnte, und wir kamen zu dem Schluss, dass es ein den Dinosauriern sehr ähnliches Tier sei. Unsere Interpretation veröffentlichten wir 2010 in einem wissenschaftlichen Artikel.

Die Anhaltspunkte liegen natürlich in den Details der Spuren. Wenn ich mir die Fährte des Prorotodactylus anschaue, ist das Erste, was mir ins Auge springt, dass sie sehr schmal ist. Es gibt nur sehr wenig Abstand zwischen linker und rechter Spur im Ablauf, bloß wenige Zentimeter. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie ein Tier solche Spuren hinterlassen kann: indem es aufrecht geht, Arme und Beine direkt unter dem Körper. Wir gehen aufrecht; wenn wir also am Strand Fußspuren hinterlassen, sind der rechte und linke Fuß eng beisammen. Das Gleiche gilt für ein Pferd – schauen Sie sich die Abdrücke von Hufeisen an, die ein galoppierendes Pferd hinterlässt, wenn Sie das nächste Mal auf einem Bauernhof sind (oder ein paar Euro beim Pferderennen verwetten), und Sie werden sehen, was ich meine. Doch diese Art der Fortbewegung ist im Reich der Tiere eigentlich sehr selten. Salamander, Frösche und Echsen bewegen sich anders. Ihre Arme und Beine stehen seitlich vom Körper ab; sie sind im Spreizgang unterwegs. Das bedeutet, dass ihre Spuren weiter auseinanderliegen, mit mehr Abstand zwischen den linken und den rechten Abdrücken, die ihre gespreizten Gliedmaßen hinterlassen.

Grzegorz Niedżwiedzki untersucht ein lebensgroßes Modell des Prorotodactylus, der seine Spuren an einem polnischen Bachufer hinterließ: ein Protodinosaurier, der dem Vorgänger, aus dem die Dinosaurier entstanden, sehr ähnlich ist. [1]

Ein Handabdruck, der den Fußabdruck eines Prorotodactylus überlappt, aus Polen. Der Handabdruck ist etwa 2,5 cm lang.

Die Welt des Perms wurde von Spreizgängern beherrscht. Nach dem Massenaussterben entwickelte sich jedoch eine neue Gruppe von Reptilien daraus und entwickelte dabei eine aufrechte Haltung an – die Archosaurier. Diese Entwicklung markiert einen Meilenstein in der Evolution. Der Spreizgang ist gut für wechselwarme Kleintiere, die sich nicht sehr schnell bewegen müssen. Doch die Anordnung der Gliedmaßen unter dem eigenen Körper, die zum Stemmgang führt, eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Man kann schneller laufen, größere Distanzen bewältigen, Beute leichter verfolgen, und all das auch noch effizienter und mit weniger Energieaufwand, da sich die säulenartigen Extremitäten geordnet vor und zurück bewegen, anstatt sich wie bei einem Spreizgänger zu verdrehen.

Wir werden wohl nie genau erfahren, warum einige dieser Tiere, die eigentlich Spreizgänger waren, anfingen, aufrecht zu gehen, es war aber vermutlich eine Folge des Massenaussterbens am Ende des Perms. Man kann sich leicht vorstellen, wie diese neue aufrechte Haltung den Archosauriern einen Vorteil im Chaos nach dem Massenaussterben verlieh: Die Ökosysteme erholten sich mühsam von den Vulkanausbrüchen, und die Temperaturen waren unerträglich heiß, leere Nischen waren jedoch im Überfluss vorhanden – sie warteten nur darauf, von Einzelgängern besetzt zu werden, die Möglichkeiten entwickelten, um diese höllische Landschaft auszuhalten. Der aufrechte Gang war, wie es scheint, eine Möglichkeit für die Tiere, sich zu erholen – und sogar zu verbessern –, nachdem der Planet durch die Vulkanausbrüche erschüttert worden war.

Die neuen, aufrecht gehenden Archosaurier ertrugen das alles nicht nur, sie gediehen sogar. Von ihren bescheidenen Ursprüngen in der traumatischen Welt der Untertrias diversifizierten sie sich später zu einer atemberaubenden Artenvielfalt. Sehr früh trennten sie sich in zwei Hauptlinien, die für den Rest der Trias in einem evolutionären Wettrüsten miteinander konkurrierten. Bemerkenswerterweise haben beide Linien bis heute überlebt. Die erste Gruppe, die Pseudosuchier, brachte später die Krokodile hervor. Sie gelten meist als die Krokodillinien-Archosaurier. Die zweite Linie, die Avemetatarsalier, entwickelten sich zu Pterosauriern (zu Flugsauriern, fliegende Reptilien, die oft Pterodactylen, Flügelfinger, genannt werden), zu Dinosauriern und im weiteren Sinne dann zu Vögeln, die ihrerseits, wie wir noch sehen werden, von den Dinosauriern abstammen. Diese Gruppe nennt man die Vogellinien-Archosaurier. Die Prorotodactylus-Spuren aus Stryczowice gehören zu den ersten Hinweisen auf Archosaurier im sogenannten Fossilbericht; es sind Spuren der Urururgroßmutter dieser ganzen Menagerie.

Aber welche Sorte von Archosaurier war der Prorotodactylusdenn genau? Einige Besonderheiten der Fußabdrücke geben wichtige Hinweise. Nur die Zehen hinterlassen Abdrücke, nicht die Mittelfußknochen, die die Fußflächen bilden. Die drei zentralen Zehen sind sehr nahe zusammen angelegt, die anderen beiden Zehen sind zu Stummeln reduziert, das hintere Ende des Abdrucks ist gerade und rasiermesserscharf. Das mag vielleicht nur nach anatomischen Spitzfindigkeiten klingen, und in mancher Hinsicht ist das auch der Fall. Aber genau wie ein Arzt eine Krankheit aus den Symptomen diagnostizieren kann, kann ich diese Merkmale als Hinweise auf Dinosaurier und ihre nächsten Verwandten erkennen. Sie weisen auf die einzigartigen Merkmale des Dinosaurierfußskeletts hin: die Anlage zum Zehengänger, bei dem während der Fortbewegung nur die Zehen Kontakt zum Boden haben; der sehr schmale Fuß, bei dem die Mittelfußknochen und Zehen eng verbunden sind; die extrem verkümmerten äußeren Zehen; die drehgelenkartige Verbindung zwischen Zehen und Mittelfußknochen, die das charakteristische Fußgelenk von Dinosauriern und Vögeln widerspiegelt, das sich nur vor und zurück bewegen kann, ohne die leiseste Möglichkeit einer Drehbewegung.

Die Prorotodactylus-Fährten stammten von einem Archosaurier aus der Vogellinie, der sehr nahe mit den Dinosauriern verwandt ist. Wissenschaftlich ausgedrückt, macht das Prorotodactylus zu einem Dinosauromorphen, einem Mitglied der Gruppe, zu der die Dinosaurier und die Handvoll ihrer allernächsten Verwandten gehören; jene wenigen Verzweigungen im Stammbaum des Lebens direkt unter dem reich wachsenden Ast der Dinosaurier. Nach der Entwicklung der aufrecht gehenden Archosaurier, die aus den Spreizgängern hervorgegangen waren, war das Aufkommen der Dinosauromorphen das nächste große Ereignis der Evolution. Nicht nur standen diese Dinosauromorphen stolz auf ihren aufgerichteten Gliedmaßen, sie hatten zudem lange Schwänze, große Beinmuskeln und Hüften mit zusätzlichen Knochen, die die Beine mit dem Rumpf verbanden, was es diesen Tieren insgesamt ermöglichte, sich noch schneller und effizienter als jeder andere aufrecht gehende Archosaurier zu bewegen.

Als einer der ersten Dinosauromorphen ist der Prorotodactylus so etwas wie die Dinosaurierversion von Lucy, dem berühmten Fossil aus Afrika, das zu einem sehr menschenähnlichen Geschöpf gehörte, aber noch nicht wirklich Mensch und damit noch kein Mitglied unserer Art war, dem Homo sapiens. So, wie Lucy uns ähnlich sieht, sah der Prorotodactylus sehr wie ein Dinosaurier aus und verhielt sich auch so; er gilt aber noch nicht als wirklicher Dinosaurier. Das kommt daher, dass Wissenschaftler vor langer Zeit entschieden haben, wie ein Dinosaurier definiert werden sollte. Dinosaurier umfassen alle Mitglieder, die zu der Gruppe gehören, zu der auch der pflanzenfressende Iguanodon und der fleischfressende Megalosaurus zählen (zwei der ersten Dinosaurier, die von Wissenschaftlern in den 1820ern gefunden wurden), sowie allen Nachkommen ihres letzten gemeinsamen Vorfahren. Weil der Prorotodactylus sich nicht aus diesem gemeinsamen Vorfahren entwickelt hat, sondern kurz davor entstand, gilt er per Definition nicht als echter Dinosaurier. Aber das sind nur Spitzfindigkeiten.

Mit Prorotodactylus schauen wir auf Spuren, die von einem derjenigen Tiere hinterlassen wurden, aus denen sich die Dinosaurier entwickelten. Es hatte ungefähr die Größe einer Hauskatze und wäre froh gewesen, zehn Pfund auf die Waage zu bringen. Es ging auf allen vieren und hinterließ somit Hand- und Fußabdrücke. Seine Gliedmaßen müssen recht lang gewesen sein, was man aus den großen Abständen zwischen den einzelnen aufeinanderfolgenden Abdrücken derselben Hand oder desselben Fußes schließen kann. Die Beine müssen besonders lang und dünn gewesen sein, denn die Fußabdrücke sind oft vor den Handabdrücken positioniert; Beleg dafür, dass die Füße die Hände überschritten. Die Hände waren klein und gut geeignet, um Dinge zu greifen, während die langen, kompakten Füße perfekt zum Laufen waren. Der Fährtenverursacher der Prorotodactylus-Spuren wirkte schlaksig, hatte wohl die Geschwindigkeit eines Geparden, dabei aber die seltsamen Proportionen eines Faultiers, vielleicht nicht gerade die Tierart, von der man erwarten könnte, dass sich daraus schließlich der große Tyrannosaurus und der Brontosaurus entwickeln würden. Und er kam auch nicht sehr häufig vor: Weniger als fünf Prozent aller in Stryczowice gefundenen Spuren gehören zum Prorotodactylus; ein Hinweis darauf, dass diese Protodinosaurier noch nicht besonders zahlreich oder besonders erfolgreich waren, als sie zuerst auftraten. Stattdessen wurden sie von kleinen Reptilien, Amphibien und anderen Arten primitiver Archosaurier zahlenmäßig noch weit übertroffen.

Diese seltenen, merkwürdigen Noch-nicht-ganz-echten-Dinosaurier, die Dinosauromorphen, entwickelten sich weiter, als die Welt sich in der Unter- und Mitteltrias erholte. Die polnischen Fährten, ordentlich nach der zeitlichen Abfolge übereinandergeschichtet wie die Seiten eines Romans, belegen all dies. Orte wie Wióry, Pałęgi und Baranów bergen ein ebenfalls ungewöhnliches Aufgebot an Dinosauromorphenspuren – Rotodactylus, Sphingopus, Parachirotherium, Atreipus –, die sich im Lauf der Zeit diversifizieren. Nach und nach tauchen immer mehr Fährtentypen auf; sie werden größer; sie entwickeln eine größere Formenvielfalt; manche verlieren sogar ihre äußeren Zehen vollständig, sodass nur die mittleren Zehen übrig bleiben. Manche der Spuren zeigen keine Handabdrücke mehr – diese Dinosauromorphen gingen nur auf ihren Hinterbeinen. Vor ungefähr 246 Millionen Jahren liefen Dinosauromorphen von der Größe eines Wolfs auf zwei Beinen herum, packten ihre Beute mit ihren krallenbewehrten Händen und verhielten sich zum großen Teil wie eine winzige Ausgabe des T. rex. Sie lebten nicht nur in Polen; ihre Fußabdrücke wurden auch in Frankreich, Deutschland und im Südwesten der USA gefunden. Ihre Knochen tauchten ferner in Ostafrika, später dann in Argentinien und Brasilien auf. Die meisten dieser Tiere fraßen Fleisch, aber einige von ihnen wurden zu Vegetariern. Sie bewegten sich schnell, wuchsen schnell, hatten einen hohen Stoffwechsel und waren aktive, dynamische Tiere im Vergleich zu den lethargischen Amphibien und Reptilien, mit denen sie zusammenlebten.

Ab einem gewissen Zeitpunkt entwickelte sich einer dieser primitiven Dinosauromorphen zu einem echten Dinosaurier. Es war allerdings nur ein radikaler Wechsel der Benennung. Die Grenze zwischen Nichtdinosauriern und Dinosauriern ist verschwommen, sogar künstlich, ein Nebenprodukt wissenschaftlicher Konvention. So, wie sich nichts wirklich ändert, wenn man die Grenze von Illinois nach Indiana überschreitet, gab es keinen tief greifenden evolutionären Sprung, als sich einer dieser hundegroßen Dinosauromorphen in einen anderen hundegroßen Dinosauromorphen verwandelte, der es gerade über die Trennlinie auf dem Stammbaum geschafft hatte, welche die Dinosaurier kennzeichnet. Dieser Übergang umfasste lediglich die Entwicklung einiger neuer Merkmale des Skeletts: eine lange Kerbe im Oberarm, an der Muskeln befestigt waren, mit denen die Arme nach innen und außen bewegt werden konnten; einige schlaufenförmige Fortsätze an den Nackenwirbeln, die stärkere Muskeln und Sehnen unterstützten; sowie eine Beckengelenkspfanne mit einer Öffnung in der Mitte, wo der Oberschenkelknochen in das Becken ragt. Dies waren nur geringe Veränderungen, und um ehrlich zu sein, wissen wir eigentlich nicht, wodurch sie bewirkt wurden; wir wissen aber, wie gesagt, dass der Übergang von Dinosauromorphen zu Dinosauriern kein entscheidender evolutionärer Sprung war. Ein weit größeres Ereignis der Evolution war die Entstehung der schnell laufenden, mit kräftigen Beinen versehenen und rasch wachsenden Dinosauromorphen selbst.

Die ersten echten Dinosaurier kamen irgendwann vor 240 bis 230 Millionen Jahren auf. Diese Ungewissheit spiegelt zwei Probleme wider, die mir weiterhin Kopfschmerzen bereiten und geradezu überfällig sind, von der nächsten Paläontologengeneration gelöst zu werden. Zunächst sind die frühesten Dinosaurier ihren Dinosauromorphenverwandten so ähnlich, dass man ihre Skelette kaum unterscheiden kann, ganz zu schweigen von den Fußabdrücken. So ist vielleicht der rätselhafte Nyasasaurus, von dem ein Teil eines Arms und einige wenige Wirbel bekannt sind, die von ca. 240 Millionen Jahre alten Gesteinen in Tansania stammen, der älteste Dinosaurier der Welt. Oder er ist vielleicht nur ein weiterer Dinosauromorph auf der falschen Seite der genealogischen Trennlinie. Das Gleiche gilt für einige der Fußabdrücke aus Polen, vor allem für die größeren, die von Tieren stammen, die auf ihren Hinterbeinen gingen. Eventuell rühren einige dieser Fährten von wirklichen, wahren, echten Dinosauriern her. Doch wir können die Spuren der frühesten Dinosaurier und ihrer nächsten Nichtdinosaurierverwandten einfach nicht voneinander unterscheiden, weil ihre Fußskelette sich so ähneln. Vielleicht ist das aber auch nicht allzu wichtig, da der Ursprung der eigentlichen Dinosaurier weit weniger interessant ist als derjenige der Dinosauromorphen.

Das andere, viel eklatantere Problem besteht darin, dass viele fossilführenden Gesteine sehr schlecht datiert sind, vor allem die aus der frühen bis mittleren Zeit dieser Periode. Die beste Methode, das Alter von Gesteinen herauszufinden, ist die sogenannte radiometrische Datierung. Dabei wird der Prozentsatz zweier unterschiedlicher Elemente im Gestein verglichen, z. B. Kalium und Argon. Dieses Verfahren funktioniert so: Wenn ein Gestein im Übergang vom flüssigen zum festen Zustand abkühlt, bilden sich Minerale. Diese Minerale bestehen aus bestimmten Elementen, in unserem Fall auch aus Kalium. Eines der Isotope (eine Atomart oder eine Atomsorte) von Kalium (40K) ist nicht stabil, sondern einem langsam ablaufenden Zerfallsprozess unterworfen, dem sogenannten radioaktiven Zerfall; hierbei wandelt es sich zu Argon (40Ar) um und stößt eine kleine Strahlenmenge ab, was das Piepen verursacht, das man bei einem Geigerzähler hört. Von dem Moment an, da sich das Gestein verfestigt, beginnt das in ihm enthaltene instabile Kalium, sich in Argon umzuwandeln. Während dieser Prozess anhält, wird das sich anhäufende Argongas im Gestein eingeschlossen, wo man es messen kann. Aus Laborexperimenten kennen wir die Rate, mit der sich 40K in 40Ar umwandelt. Wenn wir diese Rate kennen, können wir uns ein Gestein vornehmen, den Prozentsatz der beiden Isotopen messen und berechnen, wie alt das Gestein ist.