Aus den Sudelbüchern - Georg Christoph Lichtenberg - E-Book

Aus den Sudelbüchern E-Book

Georg Christoph Lichtenberg

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Beschreibung

Über viele Jahre hat Lichtenberg ab 1764 in Schreibheften, von ihm selbstironisch "Sudelbücher" genannt, in aphoristischer Form unzählige Gedankensplitter (spontane Einfälle, Lesefrüchte und naturwissenschaftliche Feststellungen) notiert, die postum veröffentlicht wurden. Sie belegen in besonderer Weise seine Fähigkeit zur skeptischen Beobachtung und ironischen Formulierung. (aus wikipedia.de)

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Aus den Sudelbüchern

Georg Christoph Lichtenberg

Inhalt:

Georg Christoph Lichtenberg – Biografie und Bibliografie

Aus »Sudelbuch« A

Aus »Sudelbuch« B

Aus »Sudelbuch« C

Aus »Sudelbuch« D

Aus »Sudelbuch« E

Aus »Sudelbuch« F

Aus »Sudelbuch« G

Aus »Sudelbuch« H

Aus »Sudelbuch« J

Aus »Sudelbuch« K

Physikalische und Philosophische Bemerkungen

Aus »Sudelbuch« L

Verstreute Bemerkungen

Aus den Sudelbüchern, G. C. Lichtenberg

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849624545

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Georg Christoph Lichtenberg – Biografie und Bibliografie

Satiriker und Physiker, geb. 1. Juli 1742 in Oberramstadt bei Darmstadt als Sohn eines Predigers, gest. 24. Febr. 1799 in Göttingen, wurde als Kind durch einen unglücklichen Fall bucklig, zeigte früh, als Schüler des Darmstädter Gymnasiums, hervorragendes Talent für mathematische Studien und bezog 1763 die Universität Göttingen, wo Kästner und Meister seine Lehrer und bald seine Freunde wurden. Er erhielt 1769 eine außerordentliche Professur daselbst und wurde 1774 Mitglied der Göttinger Sozietät der Wissenschaften. Zwei Reisen nach England (1769 und 1774) brachten ihn in Verkehr mit einer Reihe der wissenschaftlich bedeutendsten Persönlichkeiten und verschafften ihm gründliche Kenntnis englischer Verhältnisse; seine »Briefe aus England« erschienen 1776 und 1778 in Boies »Deutschem Museum«. Besonders zog ihn auch das englische Theater an, wo damals Garrick glänzte. Bald nach der Heimkehr (1775) zum ordentlichen Professor ernannt, redigierte er seit 1778 den »Göttingischen Taschenkalender«, der in einer Reihe von Jahrgängen zahlreiche wissenschaftliche und populär-philosophische Aufsätze von klassischer Klarheit und unübertrefflicher Laune aus seiner Feder brachte; 1780 gründete er mit Georg Forster das »Göttingische Magazin«. Die spätern Jahre seines Lebens verlebte er infolge von Körperleiden in hypochondrischer Abgeschlossenheit. Als Naturforscher ist er vorzüglich wegen seiner durch ausgezeichnete Apparate unterstützten Vorlesungen über Experimentalphysik sowie durch die Entdeckung der nach ihm benannten elektrischen Figuren berühmt geworden. Weitverbreiteten Ruf erwarben ihm aber besonders seine witzigen und satirischen Aufsätze populär-philosophischer Art, in denen er sich namentlich als schonungsloser Gegner der sentimentalen Phantastik der Sturm- und Drangperiode und alles wirklichen und vermeinten Mystizismus erwies. Als besonders charakteristisch sind unter Lichtenbergs satirischen Aufsätzen vor allen zu bezeichnen: die gegen den berüchtigten Nachdrucker Tobias Göbhard in Bamberg gerichteten Episteln, der Aufsatz »Über den deutschen Roman«, der sich wider Lavaters törichten Bekehrungseifer wendende »Timorus« und das köstliche »Fragment von Schwänzen«, in dem sich desselben Schwärmers dithyrambisch-hyperbolische Ausdrucksweise im Text seiner »Physiognomik« ergötzlich karikiert findet. Seit 1794 ließ L. fünf Lieferungen einer »Ausführlichen Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« mit Kopien derselben von Riepenhausen (der Text zu den spätern Lieferungen rührt von Bouterwerk her) erscheinen, in denen er die glänzendsten Proben seiner witzigen Beobachtungsgabe durch die Interpretation der Werke des großen englischen Humoristen gab (s. Hogarth). L. gehört zu den besten deutschen Stilisten. Ungemeine Klarheit und Natürlichkeit der Darstellung zeichnen seine Schriften aus. Sie erschienen als »Vermischte Schriften« (Göttingen 1800–05, 9 Bde.), vollständiger, mit Lichtenbergs »Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« und dem Briefwechsel, herausgegeben von seinen Söhnen (das. 1844–53, 8 Bde.); eine Auswahl veranstaltete Bobertag (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 141) und A. Wilbrandt (Stuttg. 1893); Lichtenbergs »Aphorismen« veröffentlichte nach den Handschriften Albert Leitzmann (Berl. 1902–04, 2 Bde.); derselbe gab Aufsätze, Gedichte, Tagebuchblätter und Briefe u. d. T.: »Aus Lichtenbergs Nach laß« (Weim. 1899) und mit Schüddekopf »Lichtenbergs Briefe« (Leipz. 1901–02, 2 Bde.) heraus, denen Grisebach »Lichtenbergs Briefe an Dieterich 1770–1798« (das. 1898) hatte vorangehen lassen. Vgl. Grisebach, Gedanken und Maximen aus Lichtenbergs Schriften (mit Biographie, Leipz. 1871) und Die deutsche Literatur seit 1770 (4. Ausg., Berl. 1886); R. M. Meyer, Jonathan Swift und L., zwei Satiriker (das. 1886); Lauchert, Lichtenbergs schriftstellerische Tätigkeit (Götting. 1893); F. Schäfer, Georg Christoph L. als Psychologe und Menschenkenner (Leipz. 1899); Focke, Chodowiecki und L. (das. 1901).

Aus »Sudelbuch« A

Der große Kunstgriff kleine Abweichungen von der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu halten, worauf die ganze Differential-Rechnung gebaut ist, ist auch zugleich der Grund unsrer witzigen Gedanken, wo oft das Ganze hinfallen würde, wenn wir die Abweichungen in einer philosophischen Strenge nehmen würden.

A 1

Es ist eine Frage ob in den Wissenschaften und Künsten ein Bestes möglich sei, über welches unser Verstand nicht gehen kann. Vielleicht ist dieser Punkt unendlich weit entfernt, ohnerachtet bei jeder Näherung wir weniger vor uns haben.

A 2

Um eine allgemeine Charakteristik zu Stande zu bringen müssen wir erst von der Ordnung in der Sprache abstrahieren, die Ordnung ist eine gewisse Musik, die wir festgesetzt, und die in wenigen Fällen (z.E. femme sage, sage femme) einen sonderbaren Nutzen hat. Eine solche Sprache die den Begriffen folgt müssen wir erst haben, oder wenigstens für besondere Fälle suchen, wenn wir in der Charakteristik fortkommen wollen. Weil aber unsere wichtigsten Entschlüsse, wenn wir sie ohne Worte denken, oft nur Punkte sind, so wird eine solche Sprache eben so schwer sein zu entwerfen, als die andere, die daraus gefolgert werden soll.

A 3

Die Gesichter der Menschen sind oft bis zum Ekelhaften häßlich. Warum dieses? Vermutlich konnte die nötige Verschiedenheit der Gemüts-Arten nicht erhalten werden ohne eine solche Einrichtung; man kann dieses als eine Seelen-Charakteristik ansehen, welche zu lesen wir uns vielleicht mehr befleißigen sollten. Um einigen Grund in dieser schweren und weitläuftigen Wissenschaft zu legen müßte man, bei verschiednen Nationen, die größten Männer, die Gefängnisse und die Tollhäuser durchsehen, denn diese Fächer sind so zu reden die 3 Hauptfarben, durch deren Mischung gemeiniglich die übrigen entstehen.

A 4

Wenn man, wie die Metaphysiker oft verfahren, glaubt man verstehe etwas, das man nicht versteht, so kann man dieses nennen affirmative nescire.

A 5

Bei einem großen Genie gehet das in einem Augenblicke vor, was oft bei einem andern ganze Stunden dauert. Ein gewisser Mensch, der eben keine großen Gaben hatte, hielt einen zum Betrug mit der Feder nachgemachten Druck eine ganze Stunde würklich dafür, andere sahen es im ersten Augenblick.

A 7

Es ist schwer anzugeben, wie wir zu den Begriffen gekommen sind die wir jetzo besitzen, niemand, oder sehr wenige werden angeben können, wenn sie den Herrn v. Leibniz zum erstenmal haben nennen hören; weit schwerer aber wird es noch sein, anzugeben, wenn wir zum erstenmal zu dem Begriff gekommen, daß alle Menschen sterben müssen, wir erlangen ihn nicht so bald, als man wohl glauben sollte. So schwer ist es den Ursprung der Dinge anzugeben, die in uns selbst vorgehen, wie wird es erst alsdenn ergehen, wenn wir hierin etwas in Dingen außer uns zu Stande bringen wollen?

A 9

Die Erfindung der wichtigsten Wahrheiten hängt von einer feinen Abstraktion ab, und unser gemeines Leben ist eine beständige Bestrebung uns zu derselben unfähig zu machen, alle Fertigkeiten, Angewohnheiten, Routine, bei einem mehr, als bei dem andern, und die Beschäftigung der Philosophen ist es, diese kleinen blinden Fertigkeiten, die wir durch Beobachtungen von Kindheit an uns erworben haben, wieder zu verlernen. Ein Philosoph sollte also billig als ein Kind schon besonders erzogen werden.

A 11

Die Bemühung ein allgemeines Principium in manchen Wissenschaften. zu finden ist vielleicht öfters eben so fruchtlos, als die Bemühung derjenigen sein würde, die in der Mineralogie ein erstes Allgemeines finden wollten durch dessen Zusammensetzung alle Mineralien entstanden seien. Die Natur schafft keine genera und species, sie schafft individua und unsere Kurzsichtigkeit muß sich Ähnlichkeiten aufsuchen um vieles auf einmal behalten zu können. Diese Begriffe werden immer unrichtiger je größer die Geschlechter sind, die wir uns machen.

A 17

In Werken des Geschmacks ist es sehr schwer weiter zu kommen, wenn man schon einigermaßen weit ist, weil leicht hierin ein gewisser Grad von Vollkommenheit unser Vergnügen werden kann, so daß wir nur diesen Grad zum Endzweck unserer Bemühungen setzen weil dieser unsern ganzen Geschmack ausfüllt, in andern Stücken, die nicht bloß auf das Vergnügen ankommen, verhält es sich ganz anders, daher haben wir in den letzteren den Alten es weit zuvorgetan, in den ersten aber sind wir noch tief unter ihnen, ohnerachtet wir sogar Muster von ihnen vor uns haben. Dieses kommt daher, das Gefühl des neueren Künstlers ist nicht scharf genug, es geht nur bis auf die körperliche Schönheiten seines Musters, und nicht auf die moralischen wenn ich so reden darf. Man kann das Gesicht eines redlichen Menschen sehen, man kann es aber auch gewissermaßen fühlen, das letztere ist das erstere verbunden mit einer Rücksicht auf das moralische Gute, womit wir in ihm oft die Mienen begleitet sehen. Was ich hier sagen will wird wohl jeder verstehen für den ich eigentlich schreibe. So lange der Künstler nur bloß nach den Augen zeichnet, wird er nie einen Laokoon herausbringen, der etwas mehr als Zeichnung hat, der mit Gefühl verfertigt ist. Dieses Gefühl ist dem Künstler unumgänglich nötig, aber wo soll er es lernen und wie? Unsre Ästhetiken sind bei weitem noch nicht praktisch genug. Vid infra.

A 18

Die größten Dinge in der Welt werden durch andere zuwege gebracht, die wir nichts achten, kleine Ursachen, die wir übersehen, und die sich endlich häufen.

A 19

Rousseau nennt mit Recht den Akzent die Seele der Rede (Emile p. 96 T.I.) und Leute werden von uns oft für dumm angesehn und wenn wir es untersuchen, so ist es bloß der einfache Ton in ihren Reden. Weil nun dieses bei den Schriften wegfällt, so muß der Leser auf den Akzent geführt werden, dadurch daß man deutlicher durch die Wendung anzeigt, wo der Ton hingehört, und dieses ist es, was die Rede im gemeinen Leben vom Brief unterscheidet und was auch eine bloß gedruckte Rede von derjenigen unterscheiden sollte, die man würklich hält.

A 21

Der Einfluß des Stils auf unsere Gesinnungen und Gedanken, von dem ich an einem andern Ort geredet habe, zeigt sich sogar bei dem sonst gnauen Linnaeus, er sagt die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und leben, die Tiere wachsen leben und empfinden, das erste ist falsch, denn der Wachstum der Steine hat keine Ähnlichkeit mit dem Wachstum der Tiere und Pflanzen. Vermutlich hat ihn das Steigende des Ausdrucks, den er bei den letzten gespürt hat, auf den Gedanken gebracht, auch die erstern mit unter diese Klasse zu bringen.

A 22

Die Versart den Gedanken anzumessen ist eine sehr schwere Kunst, und eine Vernachlässigung derselben ist ein wichtiger Teil des Lächerlichen. Sie verhalten sich beide zusammen wie im gemeinen Leben Lebens-Art und Amt.

A 23

Die Esel haben die traurige Situation, worin sie jetzo in der Welt leben, vielleicht bloß dem witzigen Einfall eines losen Menschen zu danken, dieser ist Schuld, daß sie zum verächtlichsten Tier auf immer geworden sind und es auch bleiben werden, denn viele Eselstreiber gehen deswegen mit ihren Eleven so fürchterlich um, weil es Esel, nicht weil es träge und langsame Tiere sind.

A 26

Plato sagt das poetische Genie werde durch die Harmonie und die Versart rege gemacht, und dieses setze den Dichter in den Stand ohne Überlegung seine Gedichte zu verfertigen. Plato thou reason'st well, ein jeder wird dieses bei sich verspürt haben, wenn er mit Feuer Verse gemacht hat, vielleicht könnten wir durch ähnliche Kunstgriffe unsre übrige Fähigkeiten ebenso in Bewegung setzen, hauptsächlich auch die Ausübung der Tugend. Eine große Fertigkeit im Dividieren und zwar nach der Methode, die man über sich dividieren heißt, die ich bei jemand bemerkte, brachte mir zuerst den Lusten zur Rechenkunst bei; ich dividierte mehr der eiförmigen Gestalt der Auflösung willen, als aus einer andern Absicht. Ich habe junge Mathematicos gekannt (Herrn Klügel und Herrn von Hahn) die oft ein solches Vergnügen darin fanden die Worte Calcul und Vues in dem Calcul auszusprechen, daß ich nicht zweifle, daß kleine Neben-Ergötzlichkeiten, die sie in dergleichen Vorstellungen fanden, ihren Fleiß munter erhalten haben.

A 27

Wenn wir uns eine Philosophie entwerfen wollen die uns im Leben nützen soll, oder wenn wir allgemeine Regeln zu einem beständig vergnügten Leben geben wollen, so müssen wir freilich von dem abstrahieren, was eine gar zu große Verschiedenheit in die Betrachtungen bringt, ohngefähr wie wir in der Mechanik oft tun, wenn wir Friktion und andere dergleichen besondere Eigenschaften der Körper vergessen um uns die Berechnung nicht zu schwer zu machen, oder wenigstens nur einen Buchstaben an ihre Stelle setzen. Kleine Unglücksfälle bringen ohnstreitig eine große Ungewißheit in diese praktische Regeln hinein, daher müssen wir uns dieser entschlagen, und uns nur gegen die Bezwingung der größeren wenden. Dieses ist ohnstreitig der wahre Verstand verschiedner Sätze der Stoischen Philosophie.

A 28

Der Aberglauben gemeiner Leute rührt von ihrem frühen und allzu eifrigen Unterricht in der Religion her, sie hören von Geheimnissen, Wundern, Würkungen des Teufels, und halten es für sehr wahrscheinlich daß dergleichen Sachen überall in allen Dingen geschehen könnten. Hingegen wenn man ihnen erst die Natur selbst zeigte, so würden sie leichter das Übernatürliche und Geheimnisvolle der Religion mit Ehrfurcht betrachten, da sie hingegen jetzo dieses für etwas sehr Gemeines halten, so daß sie es für nichts Sonderliches halten, wenn ihnen jemand sagte, es wären heute 6 Engel über die Straße gegangen. Auch die Bilder in den Bibeln taugen nicht für Kinder.

A 29

Es gibt keine Synonyma, die Wörter die wir dafür halten haben ihren Erfindern gewiß nicht einerlei sondern vermutlich Species ausgedruckt. Büttner.

A 30

Die Schnecke baut ihr Haus nicht, sondern es wächst ihr aus dem Leib.

A 31

Man könnte die Gewohnheit eine moralische Friktion nennen, etwas das den Geist nicht leicht über die Dinge hinstreichen läßt sondern ihn damit verbindet, so daß es ihm schwer wird sich davon los zu machen.

A 32

Aus den Träumen der Menschen, wenn sie dieselben gnau anzeigten, ließe sich vielleicht vieles auf ihren Charakter schließen. Es gehörte aber dazu nicht etwa einer sondern eine ziemliche Menge.

A 33

Vom 1. Julii 1765 an.

Jeder Gedanke hat gewiß bei uns eine besondere relative Stellung der Teile unsers Körpers, die ihn allemal begleitet, allein Furcht oder überhaupt Zwang ersticken und hemmen sie oft, ohnerachtet sie freilich nicht allemal so heftig sind, daß sie andern in die Sinne fallen, so sind sie doch da und der Geist zeigt sich desto freier je weniger er diese äußere Bewegungen an sich halten darf, denn ein solches Zurückhalten schadet dem freieren Fortgang der Gedanken eben so sehr, als der Zorn, den man nicht darf ausbrechen lassen, daher sieht man warum in einer Versammlung von den vertrautesten Freunden die guten Gedanken sich selbst nach und nach herbeiführen.

A 34

Am 4. Julii 1765 lag ich an einem Tag, wo immer heller Himmel mit Wolken abwechselte, mit einem Buche auf dem Bette, so daß ich die Buchstaben ganz deutlich erkennen konnte, auf einmal drehte sich die Hand, worin ich das Buch hielt, unvermutet, ohne daß ich etwas verspürte, und weil dadurch mir einiges Licht entzogen wurde, so schloß ich es müßte eine dicke Wolke vor die Sonne getretten sein, und alles schien mir düster, da sich doch nichts von Licht in der Stube verloren hatte. So sind oft unsere Schlüsse beschaffen, wir suchen Gründe in der Ferne, die oft in uns selbst ganz nahe liegen.

A 35

In den Fragen im gemeinen Leben, wie man etwas am besten tun könnte, wird ein gewisses Maximum gesucht.

A 37

Man sollte in der Woche wenigstens einmal diätetische Predigten in der Kirche halten, und wenn diese Wissenschaft auch von unsern Geistlichen erlernt würde, so könnte man doch geistliche Betrachtungen einflechten, die sich gewiß hier sehr gut würden anbringen lassen, denn es ist nicht zu glauben wie geistliche Betrachtungen mit etwas Physik vermischt die Leute aufmerksam erhält, und ihnen Gott stärker darstellt, als die oft übel angebrachten Exempel seines Zorns.

A 38

Wir würden gewiß Menschen von sonderbarer Gemüts-Art kennen lernen, wenn die großen Striche, die jetzo Meer sind, bewohnt wären, und wenn vielleicht in einigen Jahrtausenden unser gegenwärtiges festes Land Meer und unsere Meere Länder sein werden, so werden ganz neue Sitten entstehen, über die wir uns jetzo sehr wundern sollten.

A 39

Die Furcht vor dem Tod, die den Menschen eingeprägt ist, ist zugleich ein großes Mittel, dessen sich der Himmel bedient, sie von vielen Untaten abzuhalten, vieles wird aus Furcht vor Lebensgefahr oder Krankheit unterlassen.

A 40

Daß der Mensch grob sündigen kann, daran ist mehr die Beschaffenheit der äußeren Dinge, als seine eigene schuld, könnte er nicht die Würkung gewisser Dinge hindern, andere zerstören, wie könnte er fehlen, wenn alles, was er gegen die Wesen außer ihm vornähme, denselben zum Vorteil gereichte?

A 41

Der Beweis der Philosophen, daß es ein künftiges Leben gebe, wenn sie sagen Gott könne sonst den letzten Augenblick nicht belohnen, gehöret mit unter die Beweise durch Exempel, wir belohnen immer nach der Tat, daher belohnt Gott auch so, wir tun es aus Mangel der Voraussehung, wo uns diese nicht hindert, so belohnen wir auch zum voraus, wir pränumerieren ja auf Universitäten. Kann Gott nicht auch pränumeriert haben? Wenn Plutarch sagt: Während dem Streit werden die Sieger nicht gekrönt, sondern nach demselben; ist mit dem vorhergehenden verdeckt einerlei, ein bloßes Gleichnis, eine Art zu beweisen, die so falsch und so gemein ist.

A 42

Die Speisen haben vermutlich einen sehr großen Einfluß auf den Zustand der Menschen, wie er jetzo ist, der Wein äußert seinen Einfluß mehr sichtbarlich, die Speisen tun es langsamer, aber vielleicht ebenso gewiß, wer weiß ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer schlechten den Krieg oft zu verdanken haben. Es verdiente dieses eine gnauere Untersuchung. Allein wer weiß ob nicht der Himmel damit große Endzwecke erreicht, Untertanen treu erhält, Regierungen ändert und freie Staaten macht, ›und ob nicht die Speisen das tun was wir den Einfluß des Klima nennen.‹

A 43

Wir müssen uns freilich unsre gegenwärtigen Augenblicke allemal zu Nutz zu machen suchen, und dieses wäre nicht sehr schwer, denn wir dürften nur jeden Augenblick tun, was uns am meisten gefällt, allein wer sieht nicht daß uns bald Stoff dazu fehlen würde. 2 Jahre so hingebracht würden uns alle künftige verderben; jeder gegenwärtige Augenblick ist ein Spiegel aller künftigen, und unser gegenwärtiges Vergnügen, verglichen mit dem daß er ein künftiger wird kann darin ein Größtes werden.

A 44

Heftigen Ehrgeiz und Mißtrauen habe ich noch allemal beisammen gesehen.

A 46

Wir arbeiten öfters daran einen lasterhaften Affekt zu dämpfen, und wollen dabei unsere übrige gute alle behalten, dieses kommt aus unserer Methode her, womit wir den Menschen schildern, wir sehen den Charakter desselben nicht als ein sehr richtig zusammengefügtes Ganzes an, das nur in seinen Teilen verschiedene relative Stellungen annehmen kann, sondern wir sehen die Affekte wie aufgeklebte Schönpflästergen an, die wir verlegen und wegwerfen könnten. Viele dergleichen Irrtümer beruhen auf den dabei so nötigen Sprachen, weil diese keine Verbindung notwendig unter sich haben, sondern sie erst durch die beigefügte Erinnerungen bekommen, so kommt die gewöhnlichste Bedeutung uns immer in den Sinn, sobald man die Erinnerung ein wenig nur aus der Acht läßt, daher wenn eine allgemeine Charakteristik erfunden werden soll, so muß notwendig erst eine solche Sprache hervorgesucht werden.

A 47

Leute, die nicht die feine Verstellungskunst völlig inne haben, und andere mit Fleiß hintergehen wollen, entdecken uns gemeiniglich das Generelle ihrer ganzen Denkungs-Art bei der ersten Zusammenkunft, wer also der Neigung eines andern schmeicheln will und sich in dieselbe schicken lernen will, der muß bei der ersten Zusammenkunft sehr acht geben, dort findet man gemeiniglich die bestimmende Punkte der ganzen Denkungs-Art vereinigt.

A 51

Der Tod ist eine unveränderliche Größe, allein der Schmerz ist eine veränderliche die unendlich wachsen kann. Dieses ist ein Satz, den die Verteidiger der Folter zugeben müssen, denn sonst foltern sie vergeblich, allein in vielen wird der Schmerz ein Größtes und < der Tod.

A 53

Die Vorurteile sind so zu reden die Kunsttriebe der Menschen, sie tun dadurch vieles, das ihnen zu schwer werden würde bis zum Entschluß durchzudenken, ohne alle Mühe.

A 58

Eine Sprache, die allemal die Verwandtschaft der Dinge zugleich ausdrückte, wäre für den Staat nützlicher als Leibnizens Charakteristik. Ich meine solche wie zum Ex. Seelsorger statt Prediger, Dummkopf statt Stutzer, Wassertrinker statt Anakreontischer Dichter.

A 59

Ich wünschte mir an jedem Abend die Sekunde des vergangenen Tags zu wissen, da mein Leben den geringsten Wert hatte, das ist, da wenn Reinigkeit der Absichten, und Sicherheit des Leben Geld wert sind, ich am allermeisten würde gegolten haben.

A 60

Debitum naturae reddere heißt auf lateinisch gemeiniglich sterben. O es könnte noch mehr heißen! Viele Schwachheiten die wir begehen sind Schulden, die wir der Natur bezahlen.

A 61

Man muß sich in acht nehmen, daß man um die Möglichkeit mancher Dinge zu erweisen nicht gar zu bald auf die Macht eines höchstvollkommenen Wesens appelliert, denn sobald man z.E. glaubt daß Gott die Materie denken mache, so kann man nicht mehr erweisen, daß ein Gott außer der Materie sei.

A 62

Eine Empfindung die mit Worten ausgedruckt wird, ist allzeit wie Musik die ich mit Worten beschreibe, die Ausdrücke sind der Sache nicht homogen genug. Der Dichter, der Mitleiden erregen will, verweist doch noch den Leser auf eine Malerei und durch diese auf die Sache. Eine gemalte schöne Gegend reißt augenblicklich hin, da eine besungene erst im Kopf des Lesers gemalt werden muß. Bei der ersten hat der Zuschauer nichts mehr mit der Einrichtung zu tun, sondern er schreitet gleichsam zum Besitz, wünscht sich die Gegend, das gemalte Mädgen, bringt sich in allerlei Situationen, vergleicht sich mit allerlei Umständen bei der Sache.

A 65

Es ist in der Tat ein sehr blindes und unsern aufgeklärten Zeiten sehr unanständiges Vorurteil, daß wir die Geographie und die Römische Historie eher lernen, als die Physiologie und Anatomie, ja die heidnische Fabellehre eher, als diese für Menschen beinah so unentbehrliche Wissenschaft daß sie nächst der Religion sollte getrieben werden. Ich glaube daß einem höheren Geschöpfe, als wir Menschen sind, dieses das reizendste Schauspiel sein muß, wenn er einen großen Teil des menschlichen Geschlechts starr ein paar tausend Jahre hinter sich gehen sähe, und aufs Ungewisse und unter dem Freibrief Regeln für die Welt aufzusuchen sich und der Welt unnütz sterben, die ihren Körper der doch ihr vornehmster Teil war nicht kannten, da ein Blick auf ihn sie, ihre Kinder, ihren Nächsten, ihre Nachkommen, hätte glücklich machen können.

A 66

Ein gewisses großes Genie fängt aus einem besondern Hang an eine Verrichtung vorzüglich zu treiben, weil es schwer war, so wird er bewundert, andere reizt dieses. Nun demonstriert man den Nutzen dieser Beschäftigungen. So entstehen Wissenschaften.

A 67

Um uns ein Glück, das uns gleichgültig scheint, recht fühlbar zu machen müssen wir immer denken, daß es verloren sei, und daß wir es diesen Augenblick wieder erhielten, es gehört aber etwas Erfahrung in allerlei Leiden dazu um diese Versuche glücklich anzustellen.

A 72

Die Kritiker lehren uns, uns an die Natur zu halten, und die Schriftsteller lesen es, sie halten es aber immer für sicherer sich an Schriftsteller zu halten, die sich an die Natur gehalten haben. Die meisten lesen die Regeln des Home und wenn sie schreiben wollen denken sie an eine Stelle des Shakespear. Es ist freilich gut ein so großes Original vor Augen zu haben, allein es ist klar, daß wenn man eine solche Kopie nicht erreicht, die Entfernung davon nach der Seite zu geschieht die von der Natur noch weiter abweicht, oder es muß ein großes Genie sein, daß es sich der Natur noch mehr nähert als die erste Kopie derselben. Geschieht aber dieses, so muß notwendig der Verfasser mehr die Natur als die Kopie zu erreichen gesucht haben, und man kann eigentlich alsdann nicht mehr sagen, daß er nach einer Malerei gezeichnet hat, sondern er bedient sich derselben nur so wie man sich in der praktischen Geometrie des Augenmaßes zuweilen bedient Messungen zu probieren, nicht um dadurch überhaupt zu sehen ob man gnau gemessen hat, sondern zu sehen ob man nicht durch einen Irrtum in der Rechnung einen Fehler begangen hat, der die Hälfte des Gesuchten beträgt.

A 74

Die Entschuldigungen, die man bei sich selbst sich macht wenn man etwas unternehmen will, ist ein vortrefflicher Stoff für Monologen, denn sie werden selten anders gemacht, als wenn man allein ist und sehr oft laut.

A 75

Wenn man einen guten Gedanken liest, so kann man probieren, ob sich etwas Ähnliches bei einer andern Materie denken und sagen lasse. Man nimmt hier gleichsam an, daß in der andern Materie etwas enthalten sei das diesem ähnlich sei. Dieses ist eine Art von Analysis der Gedanken, die vielleicht mancher Gelehrter braucht ohne es zu sagen.

A 76

Wenn wir so vollständig sprechen könnten als wir empfinden, die Redner würden wenige Widerspenstige, und die Verliebten wenig Grausame finden. Unser ganzer Körper wünschet bei der Abreise eines geliebten Mädgens, daß sie dableiben mögte, kein Teil drückt es aber so deutlich aus als der Mund: wie soll er sich aber ausdrucken, daß man auch etwas von den Wünschen der übrigen Teile empfindet, gewiß das ist sehr schwer zu raten, wenn man noch nicht in dem Fall würklich ist, und noch schwerer wenn man nie darin war.

A 83

Bei einem Verbrechen ist das was die Welt das Verbrechen nennt selten das was die Strafe verdient, sondern da ist es, wo unter der langen Reihe von Handlung womit es sich gleichsam als mit Wurzeln in unser Leben hinein erstreckt diejenige ist, die am meisten von unserm Willen dependierte, und die wir am allerleichtesten hätten nicht tun können.

A 84

Es ist ein Fehler in unsern Erziehungen, daß wir gewisse Wissenschaften so früh anfangen, sie verwachsen so zu sagen in unsern Verstand, und der Weg zum Neuen wird gehemmt. Es wäre die Frage ob sich die Seelenkräfte nicht stärken ließen ohne sie auf eine Wissenschaft anzuwenden.

A 85

Wenn die Substanzen Eigenschaften besitzen die sich andern vergegenwärtigen lassen, so können wir zugleich Glieder in verschiedenen Welten sein ohne uns jedoch in mehr als einer bewußt zu sein, denn Eigenschaften der Substanzen sind so zu reden durchdringlich. So können wir sterben und in einer andern Welt fortleben.

A 87

Es gibt eine gewisse Art Menschen, die mit jedem leicht Freundschaft machen, ihn eben so bald wieder hassen und wieder lieben, stellt man sich das menschliche Geschlecht als ein Ganzes vor, wo jeder Teil in seine Stelle paßt, so werden dergleichen Menschen zu solchen Ausfüll-Teilen die man überall hinwerfen kann. Man findet unter dieser Art von Leuten selten große Genies, ohneracht sie am leichtesten dafür gehalten werden.

A 90

Die wahre Bedeutung eines Wortes in unsrer Muttersprache zu verstehen bringen wir gewiß oft viele Jahre hin. Ich verstehe auch zugleich hiermit die Bedeutungen die ihm der Ton geben kann. Der Verstand eines Wortes wird uns um mich mathematisch auszudrücken durch eine Formul gegeben, worin der Ton die veränderliche und das Wort die beständige Größe ist. Hier eröffnet sich ein Weg die Sprachen unendlich zu bereichern ohne die Worte zu vermehren. Ich habe gefunden, daß die Redens-Art: Es ist gut auf fünferlei Art von uns ausgesprochen wird, und allemal mit einer andern Bedeutung, die freilich auch oft noch durch eine dritte veränderliche Größe nämlich: die Miene bestimmt wird.

A 93

›Wenn man die Charaktere der Menschen, oder besser, wenn man die Menschen nach den Charakteren ordnen könnte, welches leicht möglich wäre, wenn wir mehr Erfahrungen in diesem Stück sammelten, so würde man die Klassen für die Künstler und Gelehrten leicht merken, und würde sich alsdann nicht mehr bemühen einem aus dem Genere passerum sprechen zu lernen, da es ausgemacht ist, daß dieses nur den Picis zukommt.‹

A 96

Jedermann gesteht, daß schmutzige Historien, die man selbst aufsetzet, lange nicht die gefährliche Würkung auf uns tun, als die von Fremden.

A 108

Das Maß des Wunderbaren sind wir, wenn wir ein allgemeines Maß suchten, so würde das Wunderbare wegfallen und würden alle Dinge gleich groß sein.

A 110

Geister ohne eine Welt außer ihnen müssen seltsame Geschöpfe sein, denn da von jedem Gedanken der Grund in ihnen liegt, so sind die seltsamsten Verbindungen von Ideen allzeit recht. Leute nennen wir rasend, wenn sich die Ordnung ihrer Begriffe nicht mehr aus der Folge der Begebenheiten in unsrer ordentlichen Welt bestimmen läßt, deswegen ist gewiß eine sorgfältige Betrachtung der Natur, oder auch die Mathematik das sicherste Mittel wider Raserei, die Natur ist so zu sagen das Laufseil, woran unsere Gedanken geführt werden, daß sie nicht ausschweifen.

A 111

›Die Einrichtung unserer Natur ist so weise, daß uns so wohl vergangener Schmerz, als vergangene Wollust Vergnügen erweckt; da wir nun ferner eher eine zukünftige Wollust voraussehen als einen zukünftigen Schmerz, so sehen wir daß wirklich nicht einmal die traurige und angenehme Empfindung in der Welt gleich verteilt sind, sondern daß würklich auf Seiten des Vergnügens ein Größeres statt findet.‹

A 112

Der Streit über bedeuten und sein, der in der Religion so viel Unheil angestiftet hat, wäre vielleicht heilsamer gewesen, wenn man ihn über andere Materien geführt hätte, denn es ist eine allgemeine Quelle unsers Unglücks, daß wir glauben die Dinge seien das würklich, was sie doch nur bedeuten.

A 114

›Ein Narr, der sich einbildet, ein Fürst zu sein, ist von dem Fürsten der es in der Tat ist durch nichts unterschieden, als daß jener ein negativer Fürst, und dieser ein negativer Narr ist, ohne Zeichen betrachtet sind sie gleich.‹

A 117

Es ist ein ganz unvermeidlicher Fehler aller Sprachen daß sie nur genera von Begriffen ausdrücken, und selten das hinlänglich sagen was sie sagen wollen. Denn wenn wir unsere Wörter mit den Sachen vergleichen, so werden wir finden daß die letzteren in einer ganz andern Reihe fortgehen als die erstern. Die Eigenschaften die wir an unserer Seele bemerken hängen so zusammen, daß sich wohl nicht leicht eine Grenze wird angeben lassen, die zwischen zweien wäre, die Wörter, womit wir sie ausdrücken, sind nicht so beschaffen, und zwei auf einander folgende und verwandte Eigenschaften werden durch Zeichen ausgedrückt, die uns keine Verwandtschaft zu erkennen geben. Man sollte die Wörter philosophisch deklinieren können, das ist ihre Verwandtschaft von der Seite durch Veränderungen angeben können. In der Analysi nennt man einer Linie a unbestimmtes Stück x, das andere nicht y wie im gemeinen Leben, sondern a – x. Daher hat die mathematische Sprache so große Vorzüge für der gemeinen.

A 118

Kein Fürst wird jemals den Wert eines Mannes durch seine Gunst bestimmen, denn es ist ein Schluß, der nicht auf eine einzige Erfahrung etwa gegründet ist, daß ein Regent meistens ein schlechter Mann ist. Der in Frankreich backt Pasteten und betrügt ehrliche Mädgen, der König von Spanien haut unter Pauken und Trompeten Hasen in Stücken, der letzte König in Polen der Kurfürst von Sachsen war schoß seinem Hofnarren mit dem Blasrohr nach dem Arsch, der Fürst von Löwenstein beklagt bei einem großen Brand nichts als seinen Sattel, der Landgraf von Kassel fährt einer Tänzerin zu Gefallen in der Suite eines Fürsten der nicht viel mehr ist als er und wird durch die erbärmlichsten Leute betrogen, der Herzog von Württemberg ist ein Wahnsinniger, der König von Engelland macht .... ... Engelländerin P ...., der Fürst von Weilburg badet sich öffentlich in der Lahn; die meisten übrigen Beherrscher dieser Welt sind Tambours, Fouriers, Jäger. Und dieses sind die Obersten unter den Menschen; wie kann es denn in der Welt nur erträglich hergehen; was helfen die Einleitungen ins Kommerzien-Wesen, die arts de s'enrichir par l'agriculture, die Hausväter, wenn ein Narr der Herr von allen ist, der keine Oberen erkennt, als seine Dummheit, seine Caprice, seine Huren und seinen Kammer-Diener, o wenn doch die Welt einmal erwachte, und wenn auch drei Millionen am Galgen stürben, so würden doch vielleicht 50 bis 80 Millionen dadurch glücklich; so sprach einst ein Peruquenmacher in Landau auf der Herberge, man hielt ihn aber mit Recht für völlig verrückt, er wurde ergriffen, und von einem Unteroffizier noch ehe er in Verhaft gebracht wurde mit dem Stock todgeschlagen, der Unteroffizier verlor den Kopf.

A 119

Wenn Plato sagt die Leidenschaften und die natürlichen Triebe seien die Flügel der Seele, so drückt er sich sehr lehrreich aus, solche Vergleichungen erläutern die Sache und sind gleichsam Übersetzung der schweren Begriffe eines Mannes in eine jedermann bekannte Sprache, wahrhafte Definitionen.

A 120

Es kann ohnstreitig Kreaturen geben, deren Organe so fein sind, daß sie nicht im Stande sind durch einen Lichtstrahl durchzugreifen, so wie wir nicht durch einen Stein durchgreifen können, weil unsere Hände eher zerstört werden würden.

A 121

Es ist eine richtige Beobachtung wenn man sagt daß Leute die zu stark nachahmen ihre eigene Erfindungskraft schwächen. Dieses ist die Ursache des Verfalls der italienischen Baukunst, wer nachahmt und die Gründe der Nachahmung nicht einsieht fehlt gemeiniglich so bald ihn die Hand verläßt, die ihn führte.

A 122

Vielleicht ist ein Gedanke der Grund aller Bewegung in der Welt, und die Philosophen, welche gelehrt haben, daß die Welt ein Tier sei, sind vielleicht durch diesen Weg darauf gekommen, sie haben sich vielleicht nur nicht so eigentlich ausgedruckt wie sie vielleicht hätten tun sollen; unsere ganze Welt ist nichts als die Würkung eines Gedankens von Gott auf die Materie.

A 123

Den 5. Nov. 1769.

Die Welt ist ein allen Menschen gemeiner Körper, Veränderungen in ihr bringen Veränderung in der Seele aller Menschen vor die just diesem Teil zugekehrt sind.

A 124

Träume führen uns oft in Umstände, und Begebenheiten hinein, in die wir wachend nicht leicht hätten können verwickelt werden, oder lassen uns Unbequemlichkeiten fühlen welche wir vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, und eben dadurch mit der Zeit in dieselben verwickelt worden wären. Ein Traum ändert daher oft unsern Entschluß, sichert unsern moralischen Fond besser als alle Lehren, die durch einen Umweg ins Herz gehen.

A 125

Ich habe schon auf Schulen Gedanken vom Selbstmord gehegt, die den gemein angenommenen in der Welt schnurstracks entgegen liefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateinisch für den Selbstmord disputierte und ihn zu verteidigen suchte. Ich muß aber gestehen, daß die innere Überzeugung von der Billigkeit einer Sache (wie dieses aufmerksame Leser werden gefunden haben) oft ihren letzten Grund in etwas Dunklem hat, dessen Aufklärung äußerst schwer ist, oder wenigstens scheint, weil eben der Widerspruch, den wir zwischen dem klar ausgedruckten Satz und unserm undeutlichen Gefühl bemerken, uns glauben macht wir haben den rechten noch nicht gefunden. Im August 1769 und in den folgenden Monaten habe ich mehr an den Selbst-Mord gedacht als jemals vorher, und allezeit habe ich bei mir befunden, daß ein Mensch bei dem der Trieb zur Selbst-Erhaltung so geschwächt worden ist, daß er so leicht überwältigt werden kann, sich ohne Schuld ermorden könne. Ist ein Fehler begangen worden, so liegt er viel weiter zurück. Bei mir ist eine vielleicht zu lebhafte Vorstellung des Todes, seines Anfangs und wie leicht er an sich ist schuld daß ich vom Selbstmord so denke. Alle die mich nur aus etwas größeren Gesellschaften und nicht aus einem Umgang zu zweit kennen werden sich wundern, daß ich so etwas sagen kann. Allein Herr Ljungberg weiß es, daß es eine von meinen Lieblings-Vorstellungen ist mir den Tod zu gedenken, und daß mich dieser Gedanke zuweilen so einnehmen kann, daß ich mehr zu fühlen als zu denken scheine und halbe Stunden mir wie Minuten vorübergehn. Es ist dieses keine dickblütige Selbst-Kreuzigung, welcher ich wider meinen Willen nachhinge, sondern eine geistige Wollust für mich, die ich wider meinen Willen sparsam genieße, weil ich zuweilen fürchte, jene melancholische nachteulenmäßige Betrachtungsliebe möchte daraus entstehen.

A 126

Der Bauer, welcher glaubt, der Mond sei nicht größer als ein Pflug-Rad, denkt niemals daran daß in einer Entfernung von einigen Meilen eine ganze Kirche nur wie ein weißer Fleck aussieht, und daß der Mond hingegen immer gleich groß scheint, was hemmt bei ihm diese Verbindung von Ideen, die er einzeln alle hat? Er verbindet in seinem gemeinen Leben auch wirklich Ideen vielleicht durch künstlichere Bande, als diese. Diese Betrachtung sollte den Philosophen aufmerksam machen, der vielleicht noch immer der Bauer in gewissen Verbindungen ist. Wir denken früh genug aber wir wissen nicht daß wir denken, so wenig als wir wissen daß wir wachsen oder verdauen, viele Menschen unter den gemeinen erfahren es niemals. Eine gnaue Betrachtung der äußeren Dinge führt leicht auf den betrachtenden Punkt, uns selbst, zurück und umgekehrt wer sich selbst einmal erst recht gewahr wird gerät leicht auf die Betrachtung der Dinge um ihn. Sei aufmerksam, empfinde nichts umsonst, messe und vergleiche; dieses ist das ganze Gesetz der Philosophie.

A 130

Den 25. Febr. 1770.

Was ist es, das macht, daß wir uns zuweilen eines geheimen Kummers standhaft entschlagen können, da die Vorstellung, daß wir unter dem Schutz einer höchstgütigen Vorsicht stehen, die größte Würkung auf uns hat, und dennoch oft in der nächsten halben Stunde diesem nämlichen Kummer beinah unterliegen. Mit mir ist es wenigstens so, ohne daß ich sagen könnte, daß ich bei der 2. Vorstellung meinen Kummer von einer neuen Seite betrachte, andere Relationen einsehe, nichts weniger. Fände dieses statt, so würde ich diese Anmerkung nicht einmal niedergeschrieben haben. Ich glaube vielmehr, daß die moralische Empfindlichkeit im Menschen zu unterschiedenen Zeiten verschieden ist, des Morgens stärker als des Abends.

A 132

Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saust, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, prasselt, knallt, rasselt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röcheln, klingelt, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, schreien, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöken, wiehern, schnarren, scharren, sprudeln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht bloße Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr.

A 134

Menschliche Philosophie überhaupt ist die Philosophie eines einzelnen gewissen Menschen durch die Philosophie der andern selbst der Narren korrigiert und dieses nach den Regeln einer vernünftigen Schätzung der Grade der Wahrscheinlichkeit. Sätze worüber alle Menschen übereinkommen sind wahr, sind sie nicht wahr, so haben wir gar keine Wahrheit. Andere Sätze für wahr zu halten zwingt uns oft die Versicherung solcher Menschen, die in der Sache viel gelten, und jeder Mensch würde das glauben, der sich in eben den Umständen befände, so bald dieses nicht ist, so ist eine besondere Philosophie und nicht eine die in dem Rat der Menschen ausgemacht ist, Aberglaube selbst ist Lokal-Philosophie, er gibt seine Stimme auch.

A 136

Weiser werden heißt immer mehr und mehr die Fehler kennen lernen, denen dieses Instrument, womit wir empfinden und urteilen, unterworfen sein kann. Vorsichtigkeit im Urteilen ist was heutzutage allen und jeden zu empfehlen ist, gewönnen wir alle 10 Jahre nur eine unstreitige Wahrheit von jedem philosophischen Schriftsteller, so wäre unsere Ernde immer reich genug.

A 137

Es gibt Menschen, die sogar in ihren Worten und Ausdrücken etwas Eigenes haben, (die meisten haben wenigstens etwas, das ihnen eigner ist) da doch Redensarten durch eine lange Mode so und nicht anders sind, solche Menschen sind allzeit einer Aufmerksamkeit würdig, es gehört viel Selbstgefühl und Unabhängigkeit der Seele dazu bis man so weit kommt. Mancher fühlt neu und sein Ausdruck womit er dieses Gefühl andern deutlich machen will ist alt.

A 138

Den Männern in der Welt haben wir so viel seltsame Erfindungen in der Dichtkunst zu danken, die alle ihren Grund in dem Erzeugungstrieb haben, alle die Ideale von Mädchen und dergleichen. Es ist schade, daß die feurigen Mädchen nicht von den schönen Jünglingen schreiben dürfen wie sie wohl könnten, wenn es erlaubt wäre. So ist die männliche Schönheit noch nicht von denjenigen Händen gezeichnet, die sie allein recht mit Feuer zeichnen könnten. Es ist wahrscheinlich, daß das Geistiche, was ein paar bezauberte Augen in einem Körper erblicken, der sie bezaubert hat, ganz von einer andern Art sich den Mädchen in männlichen Körpern zeigt, als es sich dem Jüngling in weiblichen Körpern entdeckt.

A 139

Es ist zum Erstaunen, wie wenig dasjenige oft, was wir für nützlich halten, und was auch leicht zu tun wäre, doch von uns getan wird. Die Begierde, geschwind viel wissen zu wollen, hindert oft an gnauen Untersuchungen, allein es ist selbst dem Menschen, der dieses weiß, sehr schwer etwas gnau zu prüfen, da er doch weiß, er kommt auch nicht zu seinem Endzwecke viel zu lernen, wenn er nicht prüft.

A 140

Aus einer Menge von unordentlichen Strichen bildet man sich leicht eine Gegend, aber aus unordentlichen Tönen keine Musik.

A 141

Aus »Sudelbuch« B

Wenn er seinen Verstand gebrauchen sollte, so war es ihm als wenn jemand, der beständig seine rechte Hand gebraucht hat, etwas mit der linken tun soll.

B 1

Er hatte zu nichts Appetit und aß doch von allem.

B 3

Der Pöbel wünscht sich Gold und Chargen und würde sich betrogen finden wenn er sie hätte. Unter den Großen ist es nun auch Mode geworden, die Quelle und den Strohsack dem Bauern zu beneiden, mancher würde sich auch in diesem Zustand betrogen finden. Der Dichter versteht aber ein Ideal wird man sagen, wer weiß aber ob nicht der Bauer sich den Zustand des Großen auch idealisiert.

B 6

Mich dünkt immer die ganz schlechten Schriftsteller sollte man immer in den gelehrten Zeitungen ungeahndet lassen, die gelehrten Zeitungsschreiber verfallen in den Fehler der Indianer die den Orang Outang für ihres gleichen, und seine natürliche Stummheit für einen Eigensinn halten, von welchem sie ihn durch häufige Prügel vergeblich abzubringen suchen.

B 12

Es gibt eine gewisse Art von Büchern, und wir haben in Deutschland eine große Menge, die nicht vom Lesen abschrecken, nicht plötzlich einschläfern, oder mürrisch machen, aber in Zeit von einer Stunde den Geist in eine gewisse Mattigkeit versetzen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die man einige Stunden vor einem Gewitter verspürt. Legt man das Buch weg, so fühlt man sich zu nichts aufgelegt, fängt man an zu schreiben, so schreibt man eben so, selbst gute Schriften scheinen diese laue Geschmacklosigkeit anzunehmen, wenn man sie zu lesen anfängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß gegen diesen traurigen Zustand nichts geschwinder hilft als eine Tasse Kaffee mit einer Pfeife Varinas.

B 15

Beobachtungen zur Erläuterung der Geschichte des Geists dieses Jahrhunderts. Die Geschichte eines Jahrhunderts ist aus den Geschichten der einzelnen Jahre zusammengesetzt. Den Geist eines Jahrhunderts zu schildern kann man nicht die Geister der hundert einzelnen Jahre zusammenflicken, unterdessen ist es dem der ihn entwerfen will allemal nützlich auch die letzteren zu kennen, sie können ihm immer neue Punkte darbieten seine steten Linien dadurch zu ziehen.

B 18

Unsere neuen Kritiker preisen uns im Stil die edle und ungekünstelte Einfalt an, ohne uns durch ihr Beispiel auf diese edle Einfalt zu führen, alles was sie zu sagen wissen ist daß sie uns auf die Alten verweisen. In der Tat eine Art zu verfahren die nicht anders als gefährlich sein kann. Nicht jeder der edel einfältig schreiben soll kann die Alten lesen, dieses wäre in der Tat zu viel verlangt, von dem aber der eine solche Forderung tut kann man mit Recht mehr verlangen. Er muß sich erklären. Der meiste Teil der Menschen deren Stil getadelt worden ist, als nicht simpel genug, hat wenn er schrieb immer eine gewisse Spannung bei sich verspürt, eine gewisse Aufmerksamkeit nichts zudringen zu lassen, was schlecht wäre, nun wollen sie ganz edel und schlechtweg schreiben, lassen von dieser Spannung nach und nun dringt alles Gemeine zu. Simpel und edel simpel schreiben erfordert vielleicht die größte Spannung der Kräfte, weil in einer allgemeinen Bestrebung unserer Seelenkräfte, gefallen zu wollen, sich nichts so leicht einschleicht als das Gesuchte, es wird außerdem eine ganz eigene Art dazu erfordert die Dinge in der Welt zu betrachten, die eher das Werk eines nicht sehr belesenen schönen Geistes als eines Studiums des Altertums ist. Wenigstens glaube ich, soll man nie die Einfalt aus anderen Schriften zuerst kennen lernen wollen. Wer so viel Latein versteht, daß er den Horaz ohne Anstand lesen kann, und er gefällt ihm würklich nicht bloß in einigen Sentenzen, sondern auch weiter, und spürt, daß trotz einer oft überraschenden Schönheit dennoch sein Gefühl immer mit dem Horazischen gleich geht, der kann hernach den Horaz zu seinem Unterricht lesen, er wird was in ihm Schönes liegt alsdann noch mehr entwickeln. Wer aber gehört hat Horaz sei schön, liest ihn ohne ihn würklich seiner Empfindung harmonisch zu finden, merkt sich einige Züge und ahmt ihn nach, der muß entweder ein sehr feiner Betrüger sein, oder es wird allemal unglücklich ausfallen. Ein solcher Schriftsteller wird allemal glauben er habe ihn übertroffen, so oft er eine Zeile niederschreibt, und dieses zwar deswegen, weil er die Schönheiten des Horaz als absolut für sich bestehend ansieht und nicht bedenkt, daß sie in einer gewissen Verhältnis mit der menschlichen Natur stehen die er nicht kennt, also nicht weiß wo der Punkt ist, unter welchem keine Schönheit, und über welchem keine Simplizität mehr stattfindet.

B 20

Der Pöbel ruiniert sich durch das Fleisch das wider den Geist, und der Gelehrte durch den Geist dem zu sehr wider den Leib gelüstet.

B 21

Ich habe das Glück gehabt 6 Jahre in einer Stadt in Deutschland zu leben, wo vielleicht die meisten deutschen Original-Genies beisammen leben, wenigstens mit dem Raum verglichen auf dem sie sich beisammen befinden, ich habe die meisten gnau gekannt, oder wenigstens allezeit Gelegenheit genug gehabt was ich aus Mangel eines genugsamen Umgangs verlor durch andere Züge zu ersetzen, die außer der Stadt, worin der Gelehrte lebt, selten bekannt werden, und in derselben einer mäßigen Neugierde auch nicht entwischen. Ich habe auch unglückliche Schriftsteller gekannt, eingebildete junge Leute, die sehr fleißig waren. Ich will hieher setzen was ich bei beiden bemerkt habe. Das große Genie urteilt in Gesellschaften nicht allein oft in Dingen die nicht in sein Feld gehören, sondern auch in den seinigen nicht allzeit gut, es seien denn Dinge, die es sehr häufig überdacht hat, oder worüber eine bloße Belesenheit entscheidet. Sich selbst allein gelassen besitzt es eine gewisse Aufmerksamkeit auf alltägliche Dinge, in welchem ein Hauptunterscheidungszeichen des großen Geistes zu liegen scheint, sich nicht durch Lokal-Denkungsart hinreißen zu lassen, alle Begebenheiten als individua anzusehen und nicht durch einen dem schwachen Menschen sehr natürlichen Kunstgriff sie in dem Genere summo alltäglicher Dinge alle gleich unbemerkt vorbeistreichen zu lassen. So ist niemand der Welt, hauptsächlich der gelehrten, unnützer, als derjenige Fromme1 der alle Dinge nur in dem Genere summo des Irdisch-Vergänglichen, oder seine Empfindungen in unsern Worten ausgedrückt, des Nichtswürdigen übersieht und der Untersuchung unwürdig schätzt. Der Philosoph muß hierin einigermaßen seinem Schöpfer nachahmen, und, wenigstens in einem engen Bezirk, nur individua sehen. Diese Art die Dinge zu betrachten ist ein Hauptkennzeichen des Genies, es betrachtet freilich nicht alles so, es würde sonst Gott selbst sein müssen. Diese Art die Dinge anzusehen gibt dem Genie eine gewisse Kenntnis der Dinge um sich die nichts weniger als immer systematisch ist, die aber hinlänglich ist das Wahre vom Falschen wo nicht völlig gnau abzusondern, doch die erste grobe Trennung durchaus zu machen. Da wo man keine Bücher hat ist ohnstreitig diese Art von Erkenntnis häufiger, wo Bücher sind können Sprünge getan werden, und eine solche Kenntnis löst sich so zu reden nicht in der Seele auf, vereinigt sich nie völlig mit ihr, sondern wird nur im Fall der Not aus einem Ort hervorgeholt, wo sie noch getrennt von dem System der Gesinnungen liegt. Wie oft wird da falsch gegriffen. Die Alten waren häufig mit einer solchen Erkenntnis versehen. Alles was sie wußten machte ein Ganzes aus, und weil es der Lauf der Natur war was dieses Ganze nach und nach in ihnen zusammensetzte, so sprachen sie allemal natürlich wenn sie sprachen, ihre Ausdrücke waren simpel, denn es war die Natur die aus ihnen sprach. Man glaube nur nicht daß der fleißige Leser der Alten sich jetzt die Simplizität eigen machen werde; er kann sich gewöhnen sie in allen ähnlichen Werken wieder zu erkennen, sie wird aber nicht Fleisch und Blut bei ihm, sie kann sich bei ihm nicht unter neuen Gestalten zeigen. Alles was ich hier sage und was jeder Leser nun im Stande sein wird sich zu erläutern, habe ich an vielen Gelehrten bemerkt, ohngeachtet es zuweilen durch zu viel plötzlich durch Lesen aufgeschossene Gelehrsamkeit von einer andern Seite wieder vorstellt, weil sie so zu sagen den modernen Menschen mit ihrem übrigen großen Teil, dem Griechischen vermischten. Der unglückliche Schriftsteller, oder der modern Gelehrte liest ganz allein, seine gelehrte Gesinnungen sind nicht in seinem Selbst enthalten, sondern außer ihm, die kleine Seele geschmückt mit dem Apparatus einer größeren weiß sich nicht darein zu schicken, daher die unzähligen Gestalten unter denen der schlechte Schriftsteller erscheint, daher Schwulst, Ungleichheit mit sich selbst, (Hauptzug der schlechten Schriftsteller:) Affektation. (Siehe die Fortsetzung unter p B 25)

B 22

Wir haben heutzutage eine ganze Menge sogenannter feiner Köpfe (nicht großer Geister). Es sind aber dieses nicht sowohl Leute, die groß in der ganzen Anlage ihres Geistes und zwar ursprünglich sind, sondern bei den meisten ist die Feinheit eine Schwächlichkeit, Hypochondrie, eine kränkliche Empfindlichkeit. Ein solcher Gelehrter ist zu feinen Bemerkungen aufgelegter als andere Menschen, stiftet aber in dem Reich der Gelehrsamkeit selten so viel Nutzen, glaubt viel ausrichten zu können, wenn er nur erst wollte, will aber niemals. Diese Leute bilden sich leicht nach allem wenn sie lauter Gutes lesen, so schreiben sie ziemlich gut, sie sind aber allzeit weit entfernt von der sicheren Richtigkeit der Alten, deren Genie der gesunden und festen Reife einer Frucht und nicht der welken wurmstichigen, wiewohl oft schönfarbigen einiger Neueren gleicht.

B 25

In den Romanen gibt es tödliche Krankheiten, die im gemeinen Leben nichts weniger als tödlich sind, und umgekehrt im gemeinen Leben tödliche, die es in Romanen nicht sind.

B 29

Der Deutsche liegt im Charakter so zwischen dem Franzosen und Engelländer in der Mitte, daß unsere Romanen-Schreiber leicht einen von diesen beiden schildern, wenn sie einen Deutschen nur mit etwas starken Farben malen wollen.

B 30

Im Zuschauer wird gesagt: The whole man must move together, alles muß einen einzigen Endzweck im Menschen haben.

B 31

Er war was man in allen Ländern zwischen dem Rhein und der Donau eine gute Haut nennt.

B 32

In der Erinnerung an unser vergangenes Vergnügen lassen wir unsern sinnlichen Körper im gegenwärtigen und stellen uns ganz in abstracto, als ein gutes arkadische Ding ohne Schulden, ohne Sorgen, ohne notleidende Verwandten, zurück in die damalige Zeit, denn wir sind nicht im Stand uns die vereinte Würkung verschiedener Eindrücke so gut zu vergegenwärtigen als eines einzigen.

B 33

Der eigentliche Mensch sieht wie eine Zwiebel mit vielen tausend Wurzeln aus, die Nerven empfinden allein in ihm, das andere dient diese Wurzeln zu halten, und bequemer fortzuschaffen, was wir sehen ist also nur der Topf, in welchen der Mensch (die Nerven) gepflanzt ist.

B 35

Es sind sehr wenige Dinge von denen wir uns durch alle 5 Sinne Begriffe erwerben können.

B 37

Jedermann sollte wenigstens so viel Philosophie und schöne Wissenschaften studieren als nötig ist um sich die Wollust angenehmer zu machen. Merkten sich dieses unsere Landjunker, Hof-Kavalier, Grafen und andere, sie würden oft über die Würkung eines Buchs erstaunen. Sie würden kaum glauben wie sehr Wieland den Champagner erhöhet, seine häufige Rosenfarbe, sein Silberflor, seine leinenen Nebel würden ihnen selbst den Genuß eines guten elastischen Dorf-Mädgens mehr sublimieren.

B 41

Quittungen: so könnte man ein Buch nennen, worin man sowohl der Natur als seinen Freunden Scheine ausstellte über das was man von ihnen empfangen hätte. Wenn es im Namen anderer getan würde, so könnte es eine satyrische Wendung bekommen.

B 52

Es ist würklich möglich daß, wenn Teile im Gehirn, die symmetrisch sein sollen, es nicht sind, dieses zum Vorteil des Verstandes dienen könne, wir können mit einem Auge genug haben, so auch mit einer Seite des Gehirns, die andere kann durch zufällige Umstände eher verhärten oder sonst Veränderungen leiden, die denn das Resultat der ganzen Stellung des Gehirns bei einer Idee verändern. Ausgewachsene Personen sollen öfters sehr scharfsinnig sein, die verwachsene Seite verhärtet mehr und vielleicht folgt eine ähnliche einseitige Veränderung im Gehirne, die dem Genie, das ohnehin schon jemand für einen kränklichen Zustand erklärt hat, eher vorteilhaft als schädlich ist. Ich habe bemerkt, daß Personen, in deren Gesichtern ein gewisser Mangel von Symmetrie war, oft die feinsten Köpfe waren. Wenn einem gewissen Bildnis zu trauen war, das ich von Herrn von Voltaire gesehen habe, und von dem man mir versicherte, daß es ein Abguß wäre von einer Form die man in Mannheim über sein Gesicht gegossen habe, so ist die eine Seite des Gesichts viel kürzer als die andere, auch die Nase, wiewohl kaum merklich, schief. K ...r von der einen Seite betrachtet sieht viel jünger aus, als von der andern. Diesen beiden merkwürdigen Gesichtern gibt eben dieses wiewohl nicht anstößige Irreguläre einen gewissen Schwung, aus welchem alles das Salz und die Bitterkeit hervorblickt, die ihre Schriften so charakteristisch gemacht haben. Ein Mensch dessen eines Auge ein Perspektiv das andere ein Mikroskop wäre, wird unter gewöhnlichen Menschen eine sonderbare Figur spielen.

B 54

Er pflegte seine obern und untern Seelenkräfte das Ober- und Unterhaus zu nennen, und sehr oft ließ das erstere eine Bill passieren, die das letztere verwarf.

B 67

Ein schlechtes Mitglied der Deutschen und der menschlichen Gesellschaft – Herr M. (der menschlichen Gesellschaft außerordentliches Mitglied)

B 68

Wir können gar nichts von der Seele sehen wenn sie nicht in den Mienen sitzt, die Gesichter einer großen Versammlung von Menschen könnte man eine Geschichte der menschlichen Seele nennen mit einer Art von chinesischen Zeichen geschrieben. Die Seele legt, so wie der Magnet den Feilstaub, so das Gesicht um sich herum und die Verschiedenheit der Lage dieser Teile bestimmt die Verschiedenheit dessen, das sie ihnen gegeben hat. Je länger man Gesichter beobachtet, desto mehr wird man an den sogenannten nichtsbedeutenden Gesichtern Dinge wahrnehmen, die sie individuell machen.

B 69

Empedokles, Doktor Faust und Roger Baco sind wegen ihrer Geschicklichkeit teils für Wundertäter, teils für Hexenmeister ausgeschrien worden.

B 70

Wohin mich mein Schicksal und mein Wagen führt.

B 75

Ich beneide sehr wenige Menschen, etwa Wielanden, Sternen, den Horaz, Kästnern und wenn ich etwas Wein getrunken habe den Herrn Gleim. Ja wenn ich Wein getrunken habe, da sehe ich schon in der Zeit, da ich dem Bedienten das Geld für die Bouteille gab, wie der Seligen einer in dieses Jammertal zurück. Wenn uns Sterne doch die Naturgeschichte des Rausches, so wie ihn der Dichter, der Philosoph und der Liebhaber betrachtet, beschrieben hätte! Es sind wenig Dinge in der Welt, die eines Philosophen so würdig sind, als die Flasche, die cum spe divite durch die Gurgel eines Liebhabers oder eines Dichters fließt. Spes dives, der Theolog trinkt und ein Thema zur Predigt wird nun zur Pfründe, er umarmt das Mädgen, das nur noch eine Seele zu seiner künftigen Besoldung auf die Empfängnis des Körpers wartet, der Jurist zieht sein Burgunder ein und Hasser werden nun zu Brod, Fähigkeiten und Titular-Geschicklichkeiten zu würklichen Ambassaden. O jenseit der Bouteille wie viel ist nicht da. Gebraucht es, Menschen, als Philosophen und lernt erkennen was Wein ist. Wie sich verhält tierischer Genuß zum platonischen – – – Genuß, so der Rausch des Fuhrmanns und des Tambours zu einer Verfassung, die vor dem unplatonischen Rausch vorhergeht, als die feine Liebe vor dem noch zweifelhaften Genuß, und für welche ich nun kein Wort wagen will.

B 77

Jeder Mensch hat auch seine moralische backside, die er nicht ohne Not zeigt, und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt.

B 78

In dem Hause, wo ich wohnte, hatte ich den Klang und die Stimmung jeder Stufe einer alten hölzernen Treppe gelernt, und zugleich den Takt, in welchem sie jeder meiner Freunde, der zu mir wollte, schlug, und, ich muß gestehen, ich bebte allemal, wenn sie von einem Paar Füßen in einem mir unbekannten Ton heraufgespielt wurden.

B 79

Charakter einer mir bekannten Person.

Ihr Körper ist so beschaffen, daß ihn auch ein schlechter Zeichner im Dunkeln besser zeichnen würde, und stünde es in ihrem Vermögen, ihn zu ändern, so würde sie manchen Teilen weniger Relief geben. Mit seiner Gesundheit ist dieser Mensch, ohnerachtet sie nicht die beste ist, doch noch immer so ziemlich zufrieden gewesen, er hat die Gabe, sich gesunde Tage zu Nutze zu machen, in einem hohen Grade. Seine Einbildungskraft, seine treuste Gefährtin verläßt ihn alsdann nie, er steht hinter dem Fenster den Kopf zwischen die zwo Hände gestützt, und wenn der Vorbeigehende nichts als den melancholischen Kopfhenker sieht, so tut er sich oft das stille Bekenntnis, daß er im Vergnügen wieder ausgeschweift hat. Er hat nur wenige Freunde, eigentlich ist sein Herz nur immer für einen Gegenwärtigen, aber für mehrere Abwesende offen, seine Gefälligkeit macht daß viele glauben er sei ihr Freund, er dient ihnen auch aus Ehrgeiz, Menschenliebe, aber nicht aus dem Trieb der ihn zum Dienst seiner eigentlichen Freunde treibt. Geliebt hat er nur ein oder zweimal, das einemal nicht unglücklich, das anderemal aber glücklich, er gewann bloß durch Munterkeit und Leichtsinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergißt, wird aber Munterkeit und Leichtsinn beständig als Eigenschaften seiner Seele verehren, die ihm die vergnügtesten Stunden seines Lebens verschafft haben, und könnte er sich noch ein Leben und noch eine Seele wählen, so wüßte ich nicht ob er andere wählen würde, wenn er die seinigen noch einmal wieder haben könnte. Von der Religion hat er als Knabe schon sehr frei gedacht, nie aber eine Ehre darin gesucht ein Freigeist zu sein, aber auch keine darin, alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunst beten und hat nie den 90. Psalm ohne ein erhabenes, unbeschreibliches Gefühl lesen können. Ehe denn die Berge worden pp ist für ihn unendlich mehr als: Sing unsterbliche Seele pp. Er weiß nicht was er mehr haßt, junge Offiziers oder junge Prediger, mit keinen von beiden könnte er lange leben. Für Assembleen sind sein Körper und seine Kleider selten gut, und seine Gesinnungen selten .... genug gewesen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zwei des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartuffeln, Äpfel, Brod und auch etwas Wein, hofft er nie zu kommen, in beiden Fällen würde er unglücklich sein, er ist noch allzeit krank geworden, wenn er einige Tage außer diesen Grenzen gelebt hat. Lesen und Schreiben ist für ihn so nötig als Essen und Trinken, er hofft es wird ihm nie an Büchern fehlen. An den Tod denkt er sehr oft und nie mit Abscheu, er wünscht daß er an alles mit so vieler Gelassenheit denken könnte, und hofft sein Schöpfer wird dereinst sanft ein Leben von ihm abfordern, von dem er zwar kein allzu ökonomischer, aber doch kein ruchloser Besitzer war.

B 81

Der Mann zu sein, der so absolut in Deutschland herrschen könnte wie ich auf meinem Schreibtische, wünsche ich mir nie, ich würde gewiß nur Dintenfässer umwerfen, und durch Aufräumen die Sachen nur noch mehr verwirren.

B 85

Da wo einen die Leute nicht mehr können denken hören, da muß man sprechen, sobald man dahin kommt wo man nun wieder Gedanken voraussetzen kann, die mit unsern einerlei sind, da muß man aufhören zu sprechen. Ein solches Buch ist Sterne's Reise, aber die meisten Bücher enthalten zwischen zweien merkwürdigen Punkten nichts als den allergemeinsten Menschen-Verstand, eine stark ausgezogene Linie, wo eine punktierte zugereicht hätte. Alsdann ist es erlaubt das Gedachte auszudrücken, wenn es auf eine besondere Art ausgedrückt wird, doch dieses ist schon mit unter der ersten Anmerkung begriffen.

B 86

Die alten Schriftsteller sind nun durch so viele Jahrhunderte durchgesichtet worden, wie viele unserer großen Autoren wird schon 18.. mit dem Wirrstroh wegwerfen.

B 94

Es gibt etwas in uns, das beinah so schwer abzulegen ist als der alte Adam, das uns immer zum Künstlichen und dem dem Künstlichen so nahe verwandten Schlechten treibt, und was ist das? Antwort wir werden nicht angehalten individua im Denken zu werden. Wir lesen zu früh, gesetzt es seien auch die alten Schriftsteller, wie soll man ein Kind verhindern, daß es nicht bloß lernt, wie Herder sagt, denken was die Alten dachten, sondern so denken wie sie dachten. Liberty and property, darauf müssen wir halten. Der Mensch schreibt absolute immer gut wenn er sich schreibt, aber der Perüquenmacher der wie Gellert schreiben will, ..., der den Winckelmann im Stil affektiert, und in die Chrie zu gehen kommt, schreibt schlecht. Warum ergötzt der niedersächsische Bauer durch seine plattdeutschen Naivetäten so oft den Kenner des Schönen, und der junge Theolog nicht der uns mit wehmütiger Stimme durch lautre sichtbare Finsternis nach Golgatha hinleuchten, und uns den Gekreuzigten  anstaunen lassen will.

B 95

Ich verstehe von Musik wenig, spiele gar kein Instrument, außer daß ich gut pfeifen kann. Hiervon habe ich schon mehr Nutzen gezogen, als viele andere von ihren Arien auf der Flöte und auf dem Clavecin. Ich würde es vergeblich versuchen mit Worten auszudrücken, was ich empfinde wenn ich an einem stillen Abend In allen meinen Taten recht gut pfeife und mir den Text dazu denke, ich singe nicht gerne alleine. Wenn ich an die Zeile komme hast du es denn beschlossen