Streitschriften - Georg Christoph Lichtenberg - E-Book

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Georg Christoph Lichtenberg

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Beschreibung

Dieser Band enthält die folgenden Schriften: An die Vergessenheit Epistel an Tobias Göbhard Anschlag-Zeddel im Namen von Philadelphia Über Physiognomik; wider die Physiognomen. Über die Pronunciation der Schöpse

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Streitschriften

Georg Christoph Lichtenberg

Inhalt:

Georg Christoph Lichtenberg – Biografie und Bibliografie

Streitschriften

An die Vergessenheit

Epistel an Tobias Göbhard

Anschlag-Zeddel im Namen von Philadelphia

Über Physiognomik; wider die Physiognomen.

Über die Pronunciation der Schöpse

Streitschriften, G. C. Lichtenberg

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

ISBN: 9783849624538

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Georg Christoph Lichtenberg – Biografie und Bibliografie

Satiriker und Physiker, geb. 1. Juli 1742 in Oberramstadt bei Darmstadt als Sohn eines Predigers, gest. 24. Febr. 1799 in Göttingen, wurde als Kind durch einen unglücklichen Fall bucklig, zeigte früh, als Schüler des Darmstädter Gymnasiums, hervorragendes Talent für mathematische Studien und bezog 1763 die Universität Göttingen, wo Kästner und Meister seine Lehrer und bald seine Freunde wurden. Er erhielt 1769 eine außerordentliche Professur daselbst und wurde 1774 Mitglied der Göttinger Sozietät der Wissenschaften. Zwei Reisen nach England (1769 und 1774) brachten ihn in Verkehr mit einer Reihe der wissenschaftlich bedeutendsten Persönlichkeiten und verschafften ihm gründliche Kenntnis englischer Verhältnisse; seine »Briefe aus England« erschienen 1776 und 1778 in Boies »Deutschem Museum«. Besonders zog ihn auch das englische Theater an, wo damals Garrick glänzte. Bald nach der Heimkehr (1775) zum ordentlichen Professor ernannt, redigierte er seit 1778 den »Göttingischen Taschenkalender«, der in einer Reihe von Jahrgängen zahlreiche wissenschaftliche und populär-philosophische Aufsätze von klassischer Klarheit und unübertrefflicher Laune aus seiner Feder brachte; 1780 gründete er mit Georg Forster das »Göttingische Magazin«. Die spätern Jahre seines Lebens verlebte er infolge von Körperleiden in hypochondrischer Abgeschlossenheit. Als Naturforscher ist er vorzüglich wegen seiner durch ausgezeichnete Apparate unterstützten Vorlesungen über Experimentalphysik sowie durch die Entdeckung der nach ihm benannten elektrischen Figuren berühmt geworden. Weitverbreiteten Ruf erwarben ihm aber besonders seine witzigen und satirischen Aufsätze populär-philosophischer Art, in denen er sich namentlich als schonungsloser Gegner der sentimentalen Phantastik der Sturm- und Drangperiode und alles wirklichen und vermeinten Mystizismus erwies. Als besonders charakteristisch sind unter Lichtenbergs satirischen Aufsätzen vor allen zu bezeichnen: die gegen den berüchtigten Nachdrucker Tobias Göbhard in Bamberg gerichteten Episteln, der Aufsatz »Über den deutschen Roman«, der sich wider Lavaters törichten Bekehrungseifer wendende »Timorus« und das köstliche »Fragment von Schwänzen«, in dem sich desselben Schwärmers dithyrambisch-hyperbolische Ausdrucksweise im Text seiner »Physiognomik« ergötzlich karikiert findet. Seit 1794 ließ L. fünf Lieferungen einer »Ausführlichen Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« mit Kopien derselben von Riepenhausen (der Text zu den spätern Lieferungen rührt von Bouterwerk her) erscheinen, in denen er die glänzendsten Proben seiner witzigen Beobachtungsgabe durch die Interpretation der Werke des großen englischen Humoristen gab (s. Hogarth). L. gehört zu den besten deutschen Stilisten. Ungemeine Klarheit und Natürlichkeit der Darstellung zeichnen seine Schriften aus. Sie erschienen als »Vermischte Schriften« (Göttingen 1800–05, 9 Bde.), vollständiger, mit Lichtenbergs »Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« und dem Briefwechsel, herausgegeben von seinen Söhnen (das. 1844–53, 8 Bde.); eine Auswahl veranstaltete Bobertag (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 141) und A. Wilbrandt (Stuttg. 1893); Lichtenbergs »Aphorismen« veröffentlichte nach den Handschriften Albert Leitzmann (Berl. 1902–04, 2 Bde.); derselbe gab Aufsätze, Gedichte, Tagebuchblätter und Briefe u. d. T.: »Aus Lichtenbergs Nach laß« (Weim. 1899) und mit Schüddekopf »Lichtenbergs Briefe« (Leipz. 1901–02, 2 Bde.) heraus, denen Grisebach »Lichtenbergs Briefe an Dieterich 1770–1798« (das. 1898) hatte vorangehen lassen. Vgl. Grisebach, Gedanken und Maximen aus Lichtenbergs Schriften (mit Biographie, Leipz. 1871) und Die deutsche Literatur seit 1770 (4. Ausg., Berl. 1886); R. M. Meyer, Jonathan Swift und L., zwei Satiriker (das. 1886); Lauchert, Lichtenbergs schriftstellerische Tätigkeit (Götting. 1893); F. Schäfer, Georg Christoph L. als Psychologe und Menschenkenner (Leipz. 1899); Focke, Chodowiecki und L. (das. 1901).

Streitschriften

Timorus, Das ist, Verteidigung zweier Israeliten,die durch die Kräftigkeit der Lavaterischen Beweisgründe und der Göttingischen Mettwürste bewogen den wahren Glauben angenommen haben, von Conrad Photorin der Theologie und Belles Lettres Kandidaten

An die Vergessenheit

Allerdurchlauchtigste, Großmächtigste Monarchin,

Der besondere Schutz, dessen Ew. Königl. Majestät jederzeit die bisherigen Produkte meines Geistes gewürdigt haben, und die Überzeugung, daß dieses Werkchen, wegen seines Inhalts, über kurz oder lang doch an Höchstdieselben gelangen werde, haben mich aufgemuntert, es lieber gleich selbst zu Höchstdero Füßen in tiefster Untertänigkeit zu legen. Ich darf um so weniger an einer gnädigsten Aufnahme desselben zweifeln, als es eine Religionsstreitigkeit betrifft, und Ew. Königl. Majestät bekanntlich dieser Art von Schriften Dero vorzügliche Protektion gönnen, wie sie es denn auch ihrer Wichtigkeit, und der Mäßigung, Gewißheit und Klarheit wegen, die in denselben zu herrschen pflegt, vorzüglich verdienen.

Da Ew. Königl. Majestät nunmehr in Dero unermeßlichen Staaten den allerneusten französischen Witz eingeführt haben, so habe ich Höchstdero weisen Absichten gemäß, denselben überall so viel als möglich zu erreichen gesucht, und mich durchaus eines rigoris gallici in demonstrando beflissen, hingegen alles vermieden, was nach der allerdings bejammernswerten Einfalt des blinden Heidentums schmeckt.

Ich ersterbe in tiefster Devotion,

Allerdurchlauchtigste, Großmächtigste Monarchin, Ew. Königl. Majestät untertänigstdevotester Knecht,Conrad Photorin

Vorrede des Herausgebers

Lieber Leser,

Ehe du an das Werkchen selbst kommst (und wenn du nicht so weit kommen solltest, so wollen wir kein Wort deswegen verlieren) nimmt sich der Türhüter im Namen seines Herrn die Freiheit, dich um eine Kleinigkeit anzusprechen. Du wirst beim Eingang so gut sein und ein paar Vorurteile ablegen, sie nützen dir inwendig auf meine Ehre so viel, als ein Degen in einer Bildergalerie oder in Vauxhall.

Für das erste mußt du nicht glauben, mein Herr habe nachstehendes Büchlein aus jener zügellosen Begierde, die sich um die Zeit des ersten Barts einzustellen pflegt, in die Welt gesetzt, ich meine aus dem Trieb, Bücher zu schreiben, und seinen Witz sehen zu lassen, sondern es ist vielmehr ganz aus reinem Triebe und über die Hälfte aus kalter Pflicht entsprossen. Er leugnet zwar nicht, wie er wohl sicher tun könnte, wenn er allein ein Mensch und du etwa ein Orang Outang wärest, daß ihn jene Begierde zwar öfters angewandelt, er hat ihr aber allezeit mit Mut widerstanden und den festen Vorsatz gefaßt, seine Feder nicht eher zu gebrauchen, bis ihn Pflicht und Gewissen dazu aufforderten, aber alsdenn auch nicht eher niederzulegen, bis ein Schandfleck auf- oder einer zugedeckt ist.

Für das zweite bittet er, ja nicht zu glauben, daß er es bös mit dem Publiko meine, mit dem er es hauptsächlich zu tun hat. Nichts weniger. Wenn er eifert, so ist es immer ein geistlicher Eifer, und wenn er flucht, so sind es immer Segensflüche. Ja er ist vielmehr bereit, für jeden Dürftigen sein Blut oder wenigstens seine Dinte zu versprützen, wie er es mit dem einen, der Dinte nämlich, schon für diese Wiedergeborne getan hat.

Dieses ist es, warum ich dich vorläufig ansprechen wollte, und wogegen ich dich von der Wahrheit des Gesagten, bei der Ehrlichkeit eines Türhüters versichern kann.

Es leuchtet zwar die gute Absicht meines Herrn überall aus dem Büchelchen selbst sattsam hervor, ich habe aber doch auch diese Versicherung gleichsam als einen Zoll entrichten sollen, den man der Würde der menschlichen Natur schuldig ist: denn tun können auch die Ochsen und die Esel, aber versichern kann noch zur Zeit der Mensch nur allein.

Geschrieben im August 1771

Man sollte sich zwar nicht wundern, wenn der Satan, der ohnehin sonst wenig oder nichts zu tun hat, sich Tag und Nacht bemühet, hier und da den Kindern der Kirche Netze und Schlingen zu legen, am allerwenigsten, wenn er diejenigen zu verfolgen sucht, die er schon einmal in seinen höllischen Pfoten hatte, die ihm aber durch Uns wieder abgejagt worden sind. Man sollte vielmehr den Fürsten der Finsternis toben lassen und mit jenem Liede gelassen sprechen oder singen:

Laßt den Teufel brummen, Er muß doch verstummen.

Allein, wenn seine satanischen Kniffe ein ganzes Publikum verblenden; wenn er nicht bloß ein paar Christen kränkt, sondern sich hierzu selbst tausend anderer bedienet, ja wenn dieses verblendete Publikum auf einer ansehnlichen Universität lebt: Welcher natürlichehrliche Mann, von den künstlichen will ich gar nicht einmal reden, wird da stille zu sitzen können?

Man bedenke nur selbst: Auf den meisten deutschen Universitäten sind, wie man sicher annehmen kann, gewiß täglich an die zweihundert Federkiele, die Bleistifte nicht einmal gerechnet, beschäftigt, das Wort so rein als möglich zu halten, ja man hat daselbst durch die sinnreichsten und tiefsinnigsten sowohl aus den Schätzen, als dem Kehricht des Morgenlandes hergeholten Erklärungen, schweren und feinen Rettungen, schweren und feinen Mutmaßungen und gleichsam durch eine Art von exegetischen Selbstschüssen, Palisaden, spanischen Reutern und Kartätschen, die Religion so verrammelt und verschanzt, daß man glauben sollte, dem Satan selbst müsse endlich einmal der Kützel vergehen, die Leute anzuzapfen, die innerhalb des Walles wohnen, und dennoch tut er es. Nun denke man einmal: Wenn es in der Festung so zugeht, was will aus dem platten Lande werden?

Doch ich wende mich so früh zur Sache als möglich. Es haben sich diesen Sommer in und bei G... zwei ehrliche Israeliten zum wahren Glauben bekehrt und die Taufe glücklich empfangen. Konnte das kleine Häuflein der lutherischen Kirche wohl eine größere Conquete machen, als dadurch, daß es über die Hartnäckigkeit zweier Beschnittenen gesiegt hat? Es hätte die Überläufer mit Sanftmut und Milde aufnehmen sollen, um ihnen recht zu zeigen, was sie für einen Dienst verlassen und was für einen sie angenommen haben, daß sie aus dem Nassen in das Trockene, aus der Tiefe in die Höhe, aus der Dämmerung in das Licht gekommen wären; bisher hätten sie mit den Falschen Gemeinschaft gehabt, jetzt aber mit den Guten und Ehrlichen. Aber pfui! was taten die Bürger? Kaum waren sie getauft, kaum waren ihnen, so zu reden, die Köpfe trocken geworden, so schrie man: Man hätte die Betrüger und Landstreicher nicht annehmen sollen; sie wären nicht durch Beweisgründe, sondern durch Mettwürste bekehrt worden; ein ehrlicher Mann ändere seine Religion niemals mit so großen Umständen, und was dergleichen zum Teil recht freigeisterische Reden mehr gewesen sind. Aber ist das christlich gesprochen, sagt? Wie muß das den beiden ehrlichen Männern durch die Seele gehn? Kein Wunder fürwahr, wenn sie gerade unsere Herde verließen, in ein anderes Land gingen und entweder wieder Juden würden, oder wenigstens durch ein zweites Bad der Wiedergeburt sich in andere Hürden eintreiben ließen, wie man denn dergleichen traurige Exempel leider mehr als zu viele hat. Aber wer will es ihnen verdenken! Ich will gar nicht einmal erwähnen, was die andern Juden von uns denken müssen? Werden sich die wohl bekehren lassen? Werden sich die Vögel fangen lassen, wenn ihr so mit Prügeln darunter werft? Ich höre zwar, daß sich dem ohngeachtet wieder einige gemeldet haben, die sich wollen annehmen lassen, allein glaubt mir nur auf mein Wort, das sind gewiß arme Tröpfe oder Betrüger, die bei diesen nassen Jahren nicht mehr wissen, wo sie hin sollen. Die rechten fetten kommen euch gewiß nicht, wenn ihr ihnen solche feine Titel gebt, so bald ihr sie drinnen habt. Stellt euch nur selbst einmal an ihre Stelle. Welcher ehrliche Jude, der sein gutes Auskommen hat, wird sich, seinem Handel und Wandel zum Nachteil, hinsetzen, unsere an sich heut zu Tage schwer zu prüfende Religion zu untersuchen – zu was Ende? um sich Betrüger und Landstreicher schelten zu lassen. Die Ehre haben sie ja so schon, wir halten ja die meisten schon für Galgenvögel, was haben sie nötig, deswegen erst Christen zu werden. Das wäre ja lächerlich. Also seht, ihr, ihr selbst mit euren losen Mäulern seid schuld daran, daß die meisten Juden, die wir zu taufen kriegen, hungrige Schlucker oder Betrüger sind. Wer Fasanen schießen will muß sich stille halten, der Sperlinge kommen ohnehin genung in allen Fällen.

Ich sage hiermit gar nicht, daß unsere beiden Neubekehrten Schelmen wären. Das sei ferne von mir. Gegenteils habe ich mir vorgenommen, sie mit Gründen, und wenn das nicht helfen will, mit Eifer gegen die ruchlosen Beschimpfungen unserer Mitbürger zu verteidigen. Überall, wo man nämlich hin kommt, sagen die Leute einmütig: der Jude, der in W... getauft worden wäre, sei einer der größten Spitzbuben, der nur lebendig gedacht werden könne, und doch, wenn man nach einem Beweis des Behaupteten fragt, so halten sie am Berge und wissen nichts vorzubringen. Es fehlt ihnen zwar nicht an Scheingründen, womit sie ihre boshaften Verleumdungen wahrscheinlich zu machen suchen, als z.E. sie sagen, er habe gestohlen, habe zu B... lange im Stockhause gesessen, sei des Landes verwiesen worden, und was dergleichen Sophismata mehr sind. Ich leugne zwar nicht, daß dieses alles wahr sei, denn es ist gerichtlich bestätiget, aber kann der Jude nicht deswegen ein ehrlicher Kerl sein? Hierauf allein kommt es an. Denn ob er gestohlen oder nicht gestohlen, im Stockhaus gesessen oder nicht gesessen habe, ob er verwiesen oder nicht verwiesen worden sei, mit einem Wort, das wollen wir nicht wissen. Die ganze Frage lauft darauf hinaus: ist der Kerl ehrlich, und konnte er zur Taufe gelassen werden? Können wir dieses beweisen, so gibt es sich mit dem einfältigen Stehlen, Stockhaussitzen und Landesverweisen von selbst.

Aber nun hört einmal, was ihr mit euren vermeintlichen Beweisen hiergegen ausrichtet. Nichts, gar nichts. Denn erstlich wollen wir einmal euer verwiesen worden und euer Landstreicher sein, beleuchten. Ich denke noch immer nicht, daß ihr dieses im Ernste anführt, den Mitbruder verdächtig zu machen; tut ihr es aber, so verratet ihr dadurch eure grobe Unwissenheit in der Gelehrten-, Kirchen- und politischen Geschichte. Denn wem ist unbekannt als euch, daß man die größten Gelehrten, die frömmsten Männer, und die erfahrensten Staatsleute öfters des Landes verwiesen? Ihr lest nicht einmal die Zeitung mit Aufmerksamkeit, sonst müßtet ihr wissen, daß vor kurzem der Duc de Choiseul und das ganze Parlement von Frankreich verwiesen worden ist, und zwar, wohl gemerkt, gerade deswegen, weil sie ehrliche und patriotische Leute waren. Ja einige heilige Leute des neuen Testaments haben sich dieses aus eben dem Grunde müssen gefallen lassen. Ihr müßt mir nicht mit dem schalen Einwurfe kommen, und sprechen: jene Leute seien nur auf ihre Güter gegangen, wo hatte der Jude Güter? Er hatte keine, und, fürwahr, wenn ich nirgends etwas habe, welches der Fall unsers Mitbruders ist, so will ich gewiß nicht in dem Lande bleiben, aus dem ich bin verwiesen worden. Mit einem Wort, die Historie ist so reich an Beispielen von ehrlichen Leuten, die verwiesen worden sind, hingegen so arm an welchen von verwiesenen Betrügern, daß wir Menschen, die wir in den wenigsten Dingen zu einer mathematischen Gewißheit kommen können, es recht als ein Kriterium von der Ehrlichkeit eines Mannes anzusehen haben, wenn er des Landes verwiesen worden ist. Was ich hier von dem Lande überhaupt sage, behauptet ein großer Gelehrter von den Palästen der Großen, die doch als der Sitz der Seele eines Landes angesehen werden müssen, ein Mann, dessen Buch die Ehre gehabt hat, die sonst nur allein der Bibel zu widerfahren pflegt, daß der Tod zwei der größten Männer, den Kardinal Richelieu und den Herrn von Leibniz darüber angetroffen. Barclajus sagt nämlich in seiner Argenide Lib. I. Cap. X. Nunc fortuna instituit, ut in multis gentibus prope fit egregii animi indicium arceri a regiis, aut in illis jacere, welches man im Deutschen so geben könnte: Nun ist es einmal nicht anders, wenn ihr seht, daß ein Mann entweder vom Hofe gejagt worden ist, oder es an demselben nicht über die Bratenwenderstelle zu bringen weiß, so denkt nur sicherlich, es ist ein ganzer Mann.

Ferner sagt ihr, er sei ein Landstreicher. Aber, ums Himmels willen, sagt, was ist Unehrliches in einem Landstreicher? Ich weiß es wohl (und es ist eine unmittelbare Folge unsers natürlichen Verderbens) daß die Erfinder der Sprachen gewöhnlich einen geringen Grad von einer sonst guten Eigenschaft mit einem besondern Worte bezeichnen, auf welches sie gleichsam den Akzent der Unehrlichkeit gelegt haben. So nennen wir einen kleinen Poeten einen Reimschmidt, einen Poetaster oder einen Schmierer, ein Name, der in meinen Ohren fast klingt wie Ketzer, Bastard oder Komödiant; einen geringen Grad von Reinlichkeit nennen sie Schweinerei, von Advokatie Zungendrescherei, von Malerkunst Weißbinderei. Ein Mensch, der nur eine geringe Courage besitzt, heißt gleich eine alte Hure, eine kleines Werkchen, ein Wisch usw. Ja in unsern Zeiten machen wir es nicht besser, ein kleiner Journalist wird gleich ein Ziegra, ein kleiner Grad von Süßigkeit Jacobismus genennt. Also wenn ein Armer seinem angebornen Trieb zu reisen zu Fuß ein Genüge tun will, so heißt er ein Landstreicher. Aber ist dieses philosophisch und christlich gedacht und gesprochen. Alle honetten deutschen Gesellschaften sollten alle ihre Macht, und wenn es nicht anders sein könnte, wenigstens ihre Ohnmacht anwenden, einem solchen Übel zu steuren, und entweder das Wort von dem Begriff durch Gelindigkeit scheiden, oder wenn die Scheidung nicht angehen sollte, den ganzen Plunder mit einem mal wegwerfen. Denn wenn dieses noch 200 Jahre so fort geht, so weiß ich nicht, was wir mittelmäßigen Köpfe endlich anfangen wollen. Die güldne Mittelstraße und alle, die darauf wandeln, werden mit solchen Wörtern belegt werden, daß man sich lieber auf dem Wege zum Galgen als auf demselben wird antreffen lassen. Alle können wir doch fürwahr nicht immer mit sechsen fahren, oder mit vieren im Meßcatalogus stehen. Die Manns- und Weibsstühle im Tempel der Ewigkeit sind heut zu Tage alle besetzt, was will man denn anfangen? Man muß sich nach der Decke strecken. Und am Ende, was hat denn ein Landstreicher Besonderes, ist denn unser zu Hause sitzen verdienstlicher? Ja die Seele des sogenannten Landstreichers hat gemeiniglich ein gewisses allgemeines, in alles passendes Wesen, das der beinahe tierischen, eingeschränkten Seele des Genies weit vorzuziehen ist. Den erstern kann man überall nutzen, hier zum Ausfüllen, dort zum Zuschmieren und überhaupt da, wo nichts anders dient, hingegen das letztere, wenn es nicht gerade dahin kommt, wo es Eckstein oder Schlußstein werden kann, das ist mit Quadratwurzeln und Reihen spielen, von Planeten fabeln, unter halbverfaulten Muskeln kramen, oder Gesetze geben kann, ist ein so sperrigtes, unbrauchbares, ärgerliches Ding, als ein Kachelofen im Sommer. Ich kann nicht leugnen, daß ich fast wünschte, es möchte einmal ein Landstreicher, der ein großer Mann wäre und die Gabe hätte, aufstehen und auf unser zu Hause sitzen einen ähnlichen Akzent legen, wie würden wir da schwärmen, und eben dadurch unsern Vätern, den alten Deutschen, ähnlicher werden, bei denen solche Stadthöcker, wie ihr und eures Gelichters, eben so unehrlich gewesen wären, als ihr die Landstreicher jetzt gehalten wissen wollt. Was ich oben von der Gemeinnützigkeit der Landstreicher gesagt habe, will ich noch mit dem Zeugnisse zweier der größten Kenner des menschlichen Herzens in diesem Jahrhundert, ich meine des Grafen von Zinzendorf und des General Fischers, belegen. Der letztere hat nämlich versichert, daß die tapfersten Leute in seinem Corps, jederzeit die sogenannten Landstreicher, Vagabunden und Verwiesenen gewesen wären, und der erstere soll ebenfalls gefunden haben, daß niemand der Fahne des Lammes treuer folge, als eben diese Leute, zumal wenn sie zu gesetzten Jahren gekommen sind, und sich unter derselben einmal recht eingedient haben. Wem ist ferner unbekannt, daß das weise England seinen Kolonien täglich solche Leute zuschickt, um jene immer mehr und mehr in den Flor zu bringen. Also seht ihr, drei Kardinaltugenden, Tapferkeit, Religion und Industrie findet sich nach dem Zeugnis der größten Männer und der weisesten Nation in dem Corpore der Vagabunden, und ihr wollt sie verdammen, ihr, die ihr vielleicht – seht zu solchen Eröffnungen bringt ihr mich – die ihr vielleicht keine von allen dreien besitzt. Euch zu Liebe breite ich mich über diesen Artikel nicht weiter aus, sondern lasse euch mit Fleiß diesen Dorn in eurem Gewissen und gehe weiter.

Er hat aber gestohlen, sagt ihr. Nun, gestohlen, gut – was ist denn? Seid ihr etwa gar noch Stoiker und leugnet die Grade der Moralität? Ich weiß es so gut als ihr, daß es Diebstähle gibt, auf denen der Strang steht, und die ihn verdienen, aber ich weiß auch, daß es Diebstähle gibt, wobei man der ehrlichste Mann von der Welt sein kann. Denkt nur selbst nach, was heißt stehlen? Wenn ich nicht sehr irre, so heißt es so viel, als seinem Nächsten das Seine wider seinen Willen, ohne Gewalt entwenden. Ohne Gewalt, merkt es wohl, da sitzt der Knoten, der euch Blöde so bedüstert hat. Aber macht das unehrlich? Nichts weniger. Denn sagt mir einmal, wie könnten so viele honette Leute bei Hofe und in der Stadt, die den reichen Kaufleuten ihren Überfluß abnehmen, borgen und nicht bezahlen, so viele ehrliche Vormünder, die ihren Pupillen das Ihrige entwenden, wie könnten das ehrliche Leute sein? Es wird sich niemand unterstehen, auch sich nur im mindesten merken zu lassen, daß er es nicht glaubte, und man tut wohl. Warum schimpft man denn bei diesem armen Teufel von einem Juden von Morgen bis in die Nacht, und dort regt sich niemand? Deswegen, weil diese Personen nicht allein Belesenheit genung besitzen, allenfalls einen Beweis zu führen, sondern auch Macht, einer solchen müßigen Verleumdung mit Nachdruck zu begegnen. Ich, der ich gottlob auch einen Beweis zu führen gelernet habe, trete also hiermit öffentlich für den Juden auf, und erkläre: Wer da sagt, daß der Jude ein Schelm sei, weil er gestohlen habe, der ist ein Lügner. Warum haben die Leute ihre