Fragmente und Entwürfe - Georg Christoph Lichtenberg - E-Book

Fragmente und Entwürfe E-Book

Georg Christoph Lichtenberg

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Beschreibung

Dieser Band enthält die folgenden Schriften des deutschen Mathematikers: Zur Biographie Kunkels Gehöriges Vorrede zu der Rede Kunkeliana Der Oberförster Christoph Seng Lorenz Eschenheimers empfindsame Reise nach Laputa Beiträge zur Geschichte des*** Der doppelte Prinz Von den Charakteren in der Geschichte Beiträge zu Rabeners Wörterbuche Dienbare Betrachtungen für junge Gelehrte in Deutschland, hauptsächlich auf Universitäten Über die Macht der Liebe Zum Parakletor Fragment von Schwänzen Dritte Epistel an Tobias Göbhard An die Leser des Deutschen Museums Wider Physiognostik Bericht von den über die Abhandlung wider die Physiognomen entstandenen Streitigkeiten Für das Göttingische Museum Verschiedene Arten von Gemütsfarben Hupazoli und Cornaro, oder: Tue es ihnen nach wer kann Ein Wort über das Alter der Guillotine Etwas Stoff zu Montags-Andachten

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Fragmente und Entwürfe

Georg Christoph Lichtenberg

Inhalt:

Georg Christoph Lichtenberg – Biografie und Bibliografie

Fragmente von Erzählungen

Zur Biographie Kunkels Gehöriges

Vorrede zu der Rede

Kunkeliana

Der Oberförster

Christoph Seng

Lorenz Eschenheimers empfindsame Reise nach Laputa

Beiträge zur Geschichte des***

Der doppelte Prinz

Entwürfe

Von den Charakteren in der Geschichte

Beiträge zu Rabeners Wörterbuche

Dienbare Betrachtungen für junge Gelehrte in Deutschland, hauptsächlich auf Universitäten

Über die Macht der Liebe

Zum Parakletor

Fragment von Schwänzen

Dritte Epistel an Tobias Göbhard

An die Leser des Deutschen Museums

Wider Physiognostik

Bericht von den über die Abhandlung wider die Physiognomen entstandenen Streitigkeiten

Für das Göttingische Museum

Verschiedene Arten von Gemütsfarben

Hupazoli und Cornaro, oder: Tue es ihnen nach wer kann

Ein Wort über das Alter der Guillotine

Etwas Stoff zu Montags-Andachten

Fragmente und Entwürfe, G. C. Lichtenberg

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849624521

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Georg Christoph Lichtenberg – Biografie und Bibliografie

Satiriker und Physiker, geb. 1. Juli 1742 in Oberramstadt bei Darmstadt als Sohn eines Predigers, gest. 24. Febr. 1799 in Göttingen, wurde als Kind durch einen unglücklichen Fall bucklig, zeigte früh, als Schüler des Darmstädter Gymnasiums, hervorragendes Talent für mathematische Studien und bezog 1763 die Universität Göttingen, wo Kästner und Meister seine Lehrer und bald seine Freunde wurden. Er erhielt 1769 eine außerordentliche Professur daselbst und wurde 1774 Mitglied der Göttinger Sozietät der Wissenschaften. Zwei Reisen nach England (1769 und 1774) brachten ihn in Verkehr mit einer Reihe der wissenschaftlich bedeutendsten Persönlichkeiten und verschafften ihm gründliche Kenntnis englischer Verhältnisse; seine »Briefe aus England« erschienen 1776 und 1778 in Boies »Deutschem Museum«. Besonders zog ihn auch das englische Theater an, wo damals Garrick glänzte. Bald nach der Heimkehr (1775) zum ordentlichen Professor ernannt, redigierte er seit 1778 den »Göttingischen Taschenkalender«, der in einer Reihe von Jahrgängen zahlreiche wissenschaftliche und populär-philosophische Aufsätze von klassischer Klarheit und unübertrefflicher Laune aus seiner Feder brachte; 1780 gründete er mit Georg Forster das »Göttingische Magazin«. Die spätern Jahre seines Lebens verlebte er infolge von Körperleiden in hypochondrischer Abgeschlossenheit. Als Naturforscher ist er vorzüglich wegen seiner durch ausgezeichnete Apparate unterstützten Vorlesungen über Experimentalphysik sowie durch die Entdeckung der nach ihm benannten elektrischen Figuren berühmt geworden. Weitverbreiteten Ruf erwarben ihm aber besonders seine witzigen und satirischen Aufsätze populär-philosophischer Art, in denen er sich namentlich als schonungsloser Gegner der sentimentalen Phantastik der Sturm- und Drangperiode und alles wirklichen und vermeinten Mystizismus erwies. Als besonders charakteristisch sind unter Lichtenbergs satirischen Aufsätzen vor allen zu bezeichnen: die gegen den berüchtigten Nachdrucker Tobias Göbhard in Bamberg gerichteten Episteln, der Aufsatz »Über den deutschen Roman«, der sich wider Lavaters törichten Bekehrungseifer wendende »Timorus« und das köstliche »Fragment von Schwänzen«, in dem sich desselben Schwärmers dithyrambisch-hyperbolische Ausdrucksweise im Text seiner »Physiognomik« ergötzlich karikiert findet. Seit 1794 ließ L. fünf Lieferungen einer »Ausführlichen Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« mit Kopien derselben von Riepenhausen (der Text zu den spätern Lieferungen rührt von Bouterwerk her) erscheinen, in denen er die glänzendsten Proben seiner witzigen Beobachtungsgabe durch die Interpretation der Werke des großen englischen Humoristen gab (s. Hogarth). L. gehört zu den besten deutschen Stilisten. Ungemeine Klarheit und Natürlichkeit der Darstellung zeichnen seine Schriften aus. Sie erschienen als »Vermischte Schriften« (Göttingen 1800–05, 9 Bde.), vollständiger, mit Lichtenbergs »Erklärung der Hogarthschen Kupferstiche« und dem Briefwechsel, herausgegeben von seinen Söhnen (das. 1844–53, 8 Bde.); eine Auswahl veranstaltete Bobertag (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 141) und A. Wilbrandt (Stuttg. 1893); Lichtenbergs »Aphorismen« veröffentlichte nach den Handschriften Albert Leitzmann (Berl. 1902–04, 2 Bde.); derselbe gab Aufsätze, Gedichte, Tagebuchblätter und Briefe u. d. T.: »Aus Lichtenbergs Nach laß« (Weim. 1899) und mit Schüddekopf »Lichtenbergs Briefe« (Leipz. 1901–02, 2 Bde.) heraus, denen Grisebach »Lichtenbergs Briefe an Dieterich 1770–1798« (das. 1898) hatte vorangehen lassen. Vgl. Grisebach, Gedanken und Maximen aus Lichtenbergs Schriften (mit Biographie, Leipz. 1871) und Die deutsche Literatur seit 1770 (4. Ausg., Berl. 1886); R. M. Meyer, Jonathan Swift und L., zwei Satiriker (das. 1886); Lauchert, Lichtenbergs schriftstellerische Tätigkeit (Götting. 1893); F. Schäfer, Georg Christoph L. als Psychologe und Menschenkenner (Leipz. 1899); Focke, Chodowiecki und L. (das. 1901).

Fragmente von Erzählungen

Zur Biographie Kunkels Gehöriges

Wir haben den Antiquarius Jonas Kunkel verloren. Unter dem boshaften Gezische und Gepfiffe eines parteiischen Publikums, in welchem sich der Beifall von 3 bis 4 Paar hohlen Händen, die die Sache besser verstanden, notwendig verlieren mußte, schlich er sich im Dezember des vorigen Jahrs hinter die Coulissen dieser Welt. Bis auf heut gerechnet, also schon vier völlige Monate, und niemand hat nur im mindesten sich gegen jenen Machtspruch öffentlich geregt. Also wird er nun ohne weitere Appellation in alle Ewigkeit fort gelten, dachte ich; diesem Gedanken folgte bei mir eine Bewegung in der Gegend, wo der point d'honneur sitzt, dieser Bewegung ein gerechter Unwille, und diesem gerechten Unwillen endlich der Entschluß, dem der Leser dieses Büchelchen zu danken hat. Sollte, dachte ich, (dieses war der Schritt von der ersten Bewegung zum gerechten Unwillen) sollte unter den paartausend Federn, welche, die Bleistifte nicht mitgerechnet, täglich zum Dienst der Wahrheit in unserer Stadt geschäftig sind, nicht eine einzige sein, die unserm Jonas Kunkel einen kleinen Dienst erweisen wollte? Nur so viel Nachruhm, als man gewöhnlich demjenigen erteilt, von dem man sagt: Er war doch eine gute Haut; wenn auch dieser Nachruhm nicht länger dauerte, als eine Studentengeneration. Ewigkeit verlangte Jonas Kunkel nicht einmal jemals im Scherz; wie viele Federn unter 3tausenden würden sie ihm auch gewähren können? Er hatte in dieser Zeitlichkeit eine solche Stellung genommen, daß sein verwegenster Wunsch selten ein halbes Jahr voraus ging, und seine entfernteste Erinnerung nicht viel länger hinter drein. Also ich bin sein Freund gewesen, und er war der meinige, wenn er sonst nichts zu tun hatte; könnte ich diese kleine Kollekte nicht selbst für ihn heben? Kein Geld, meine Herren, nicht einmal eine Träne, jenes braucht er nicht mehr, und auf diese hat er in seinem ganzen Leben nicht viel gehalten. Ich meine nur etwas leidlichere Gesinnungen von seinem Charakter, und wenn ich nur so viel heraus kriege, als guter Narr und ehrliche Haut ohngefähr zusammen beträgt, so will ich es an seinen Aschenkrug hinlegen und kein Wort mehr sagen. So ging ich vom Unwillen zum Entschluß über.

Der Mann, lieber Leser, mit dessen Charakter ich dich etwas genauer bekannt machen will, war kein Gelehrter, wenigstens hat er keine von den 9 Musen jemals mit Wissen erkannt; auch nicht vom Adel, physice gewiß nicht, Beförderer der Wissenschaften im eigentlichen Verstande war er auch nicht, ohnerachtet er es als Büchertrödler doch noch mehr war, als der Buchhändler, er brachte nicht allein Bücher wohlfeil an die Hungrigen, sondern nahm sie auch denen auf eine billige Art wieder ab, die deren zu viel hatten. Weswegen war er denn also merkwürdig? Dadurch daß er alles dieses hätte werden können, wenn er vor ohngefähr 36 Jahren gewollt, und seit 20 Jahren her gekonnt hätte, durch die sonderbare Lage seines Standpunktes in der Welt, dadurch war er mir merkwürdig, den meisten Menschen war er es durch Eigenschaften, die in jenen ihren Grund hatten, durch seinen Hang, in dem bekannten Zustand zu sein, in welchen wir Christen uns durch den Wein und die Türken durch Opium sich zu versetzen pflegen, und überhaupt durch eine Lebensart, die bis auf den sechsten Nachbar zur Rechten und zur Linken und gegenüber mit gerechnet sehr rauschend war. Dafür war er aber, vermöge einer gewissen Gleichgültigkeit, in seinem Leben so billig, gegen ein leichtzugewährendes Stillschweigen, das die Nachwelt bei seinen Fehlern beobachten sollte, auf alles Lob seiner Tugenden Verzicht zu tun. Es ist aber, wie es scheint, nie zu diesem Vergleich gekommen, die Nachwelt straft ihn nicht mit öffentlicher Satyre, sondern mit einer kleinstädtischen schleichenden Famosität, die bei dem Ärgerlichen der kaltblütigsten Vergessung so bitter ist als die gedruckte Satyre. Hätte er jemals bekannt zu werden verlangt, so hätte er mit gleichem Verlust an Kredit und einem minderen an Kraft durch eben so viel Quadratmeilen bekannt werden können, als er es jetzt durch Quadratfuße ist, wenn er hätte nur die Blöße von Seiten des Genies geben wollen, die er von einer andern gegeben hat. Also die Nachkommenschaft hat von ihrer Seite den Vergleich gebrochen, dieses ist eine schöne Gelegenheit für einen Schriftsteller wie ich, um den sich die Welt wenig bekümmert, es im Namen eines andern mit ihr aufzunehmen.

Ich habe es wohl zwanzig mal auf der Wiese vor dem Grönder Tor versucht, wenn ich mit einem Radius von 80 Fußen einen Zirkel um mich als den Mittelpunkt beschreibe, so kann mich kein Mensch mehr verstehen, der außer diesem Zirkel steht, ich mag so laut sprechen, als ich immer kann und will. Dem größten Prinzen der Erde, wenn er just nach der Tangente vorbei ritte, getraute ich mir jede Wahrheit ins Gesicht zu sagen ohne daß es für diesen Prinzen im geringsten mehr sein sollte, als wenn ich es einmal, hinten in meinem Bette, des Nachts, gegen die Wand zu, gedacht hätte. Also einmal für allemal eine Rede daraus zu machen, dieses ging nicht an; ich kann schon der Druckerpresse nicht mehr entbehren, wo andere gesündere Leute noch mit ihrer Lunge auskommen, aber sie sei mir auch nur, ganz bescheiden, ein Sprachrohr und nicht ein Instrument virtuelle Allgegenwart meiner in meinem Vaterland zu bewirken, dieses ist die Ursache warum ich dieses Werkgen habe drucken lassen. Eine Befriedigung irgend einer eiteln Begierde ist nicht dahinter. Denjenigen Trieb, der mit einem gewissen andern sich in den Zeiten des ersten Barts zu regen pflegt, habe ich zwar sehr früh bei mir verspürt, ich meine den Trieb Bücher zu zeugen, aber allezeit demselben mit einer Standhaftigkeit widerstanden, die ich halb meinem Blut und halb der fleißigen Lesung von Philippis Märtyrer Geschichte zuschreiben muß. Alsdann nachdem der Hubertsburger Friede unserm Vaterland die Ruhe wieder geschenkt hatte, und nun in den Gemütern die Liebe sich gedruckt zu sehen wieder aufwachte, die Posten nach Leipzig und Frankfurt wieder sicherer und die Verleger wieder zahlbarer wurden, kurz in diesem Frühling für die deutsche Literatur, wo so viele Dinge keimten, die jetzo groß und stark sind, da keimten auch auf meinem Schreib-Pult allerlei Gedanken, Plane zu Entwürfen und Projekte zu Projekten, aber ich habe sie nie aufgestellt, sie sind alle verdorrt. Wenn keine Inquisition gewesen wäre, sagte Cervantes, dann hättet ihr erst meinen Don Quixote sehn sollen. Wenn mir jemand die Prozeß-Kosten bezahlen wollte – dann, Hochzuehrender Herr, wollte ich einmal eine Satyre schreiben. Schleichhandel mit der Wahrheit zu treiben, dazu ist meine Stirne zu offen und zu deutsch – Aber ist denn die Wahrheit Contrebande? Behüte der Himmel wo denken Sie hin! Ich glaube, wir verstehen einander nicht, ich meine der Satz aus nichts wird nichts praktisch für dieses oder jenes Individuum, Stadt, Hof oder Land behandelt, das 2 mal 2 pp in diesem oder jenem Fall für das Herz bearbeitet, darauf haften Abgaben, mein Herr, die unerleglich sind, so lang man sie mit der Würde eines freigebornen Menschen sagen will. Dort mögen sie liegen in meinem Pult, libri unici auf meine Lebens-Zeit; und dann mögen sie in ihrer natürlichen Gestalt erscheinen, wenn ihr Verfasser da ist, wo Brod und etwas dazu nicht mehr gespeiset wird, und wo Bayle vor dem Jurieu ehmals so sicher stund, daß dieser allen Mut verloren haben soll jemals etwas wider jenen zu unternehmen. Daß ich hier einem kränklichen Kredit eines Freundes einen Almosen zuwerfe, mit einigen Lehren für den ...

Vorrede zu der Rede

Nachstehende Rede war nicht eigentlich zum Druck bestimmt; so wie es aber mit vielen Dingen geht, sie erreichen oft ihre eigentliche Bestimmung nicht, so ging es auch dieser Deklamation, sie ward gedruckt und wird nun immer gedruckt bleiben, wenn man auch noch so oft wünschen sollte, daß sie es nicht sein möchte. Unterdessen verdiente dieser Mann wirklich mehr bekannt zu sein, er hatte in der Tat viel Eigenes; wäre er eine Pflanze gewesen, so würde man ihn als eine seltsame Spielart vielleicht in Kupfer gestochen haben; nun er aber Mensch und zwar Antiquarius war, und weil sich das Sonderbare in ihm eben nicht immer zeigte, so will man ihn vergessen. Die Gelehrten sollten sich schämen, daß sie nur sich oder andere Gelehrte, und höchstens Prinzen und Helden, und diese oft nur gegen Bezahlung, bekannt machen. Es ist nur gut, daß der gemeine Mann sich nicht viel um Ruhm bekümmert, sonst könnte er wirklich bei dem Ruhme manches Gelehrten sagen, was er gewöhnlich sagt, wenn er dem Taschenspieler unter den Tisch geguckt hat: Ja, so ist's keine Kunst.

Was die meisten Menschen an Kunkeln vermissen, war Bescheidenheit, und ich als aufrichtiger Redner muß bekennen, daß ich sie auch an ihm vermisse. Und wenn es immer die Pflicht eines Lobredners ist, zu entschuldigen, so muß ich bekennen, daß ich hier nur zwei Wege vor mir sehe, es mit meinem Kunkel zu tun. Die eine Art ist die allgemeine Entschuldigung der menschlichen Schwachheiten, daß wir schwache Werkzeuge sind, daß wir unsere Gebrechen haben müssen, weil wir Menschen sind, und dann noch mit dem Satz eines großen praktischen Philosophen (le philosophe bienfaisant), der im vierten Teile seiner vortrefflichen Werke sagt: La modestie devroit être la vertu de ceux à qui les autres manquent. Aber Kunkel hatte genug andere.

Rede dem Andenken des sel. Kunkels gewidmet. In einer Versammlung von Studenten gehalten. Worin vieles zur gelehrten Geschichte der letzten Monate Gehöriges vorkommt

(Rede heißt es, weil es nur auf 500 Schritte um meinen Armsessel herum gilt.)

Liebste Mitbrüder

Im Dezember starb er. – – Nun schon April und noch ist alles stille. Ostermesse – – und noch kein Wort! O Deutschland, Deutschland! ist dieses der Dank für ein ganzes kümmerliches Leben, das wir dir aufopfern? Und Du, Göttingen, so sorgfältig erzogen, trittst schon in die Fußstapfen deiner undankbaren Mutter, auch du hast schon gelernt, Verdienste zu fordern und dann zu vergessen, auch Du hast es gelernt, Unwissenheit und Faulheit mit allezeit wacher Lästerzunge zu rügen, Emsigkeit hingegen, Patriotismus und Treue halbgähnend einmal zu nennen, und dann auf ewig zu vergessen. Mayer, Heilmann etc. ich will nicht weiter gehen, meine Herren, ich sehe schon, die meisten unter Ihnen kennen diese Namen nicht, allein Grau, Butschany (hier hält der Redner etwas ein, bis das Lachen der Zuhörer vorüber ist) –- ja ich sehe schon, diese kennen Sie alle. Nun gut. Aber unter uns gesprochen, meine lieben Deutschen, sind denn unsere Narren so vorzüglich possierlich, daß wir ihre Portraite überall aushängen, und durch das hundertzüngige Journal ihre Schulübungen bis an die Seine und Themse verkündigen, wo man uns schon ohne unser Wort nur allzugerne glaubt, daß wir auch unser Landkreuz mit Narren und schlechten Schriftstellern haben. Man hat es allezeit als eines der deutlichsten Zeichen von Boerhaavens Größe angesehen, daß ein Brief aus China unter der Adresse an Herrn Boerhaave Medicus in Europa richtig sei bestellt worden, bald, bald wird dieses Maß von Verdienst trügen. Glauben Sie wohl, daß ein Brief aus Ungarn unter der Aufschrift an Herrn Butschany, Algebraisten in Deutschland, retour laufen müßte? Und welcher Knabe, glauben Sie, würde nicht einen Boten von Voltaire an Herrn Schmid weisen können, wenn auch der verkappte Bazin das en l'illustre Université vergessen haben sollte; Werden nicht Wilke und Wichmann jetzo öfter genannt als die ersten Stifter ihres immer wachsenden Namens? Der Verdruß, meine Herren, den ich zugleich mit der Verzeihung meiner Ausschweifung auf Ihren Augen lese, ist gerecht, ich merke, Sie fühlen die nämliche patriotische Bewegung über die gänzliche Vergessenheit, womit man unseres verklärten Kunkels Verdienst auf gut Göttingisch zu belohnen sucht. Sein Sie aber ruhig, ich will Sie und meinen Kunkel wo nicht an einem strafbaren Publikum rächen, doch gewiß durch eine genauere Erörterung der Verdienste dieses Mannes demselben zeigen, wie ihrem mindern Wert schon gleiche Vergessenheit droht, die schon den feuchten Schwamm in ihrer Rechten schüttelt, um mit einem Zug die vermeintlich ewigen Annalen, die ihre Taten enthalten, wegzuwischen.

Ich weiß es allzuwohl, meine Herren, daß viele auch sogar unter Ihnen meine ganze Rede für Satyre halten werden; ein sicheres Zeichen, wie wenig man den werten Mann gekannt hat. Ohnstreitig ist dieses der traurigste Zustand, in den der Charakter eines Sterblichen kommen kann, wenn man Tadel desselben für wahr und Lob für Satyre hält, ein solcher Zustand ist mit dem des bekannten Epaminondas in der letzten Schlacht einerlei, von welchem die damaligen Feldscherer behaupteten, daß er allemal endlich hätte sterben müssen, man hätte nun den Speer herausziehen oder stecken lassen mögen. Auch dem Redner, der zur Verteidigung einer solchen Person auftritt, ist es schwer, der Person recht beizukommen. Denn was helfen ihm alle seine Bemühungen, wenn der Zuhörer noch immer freie Hand behält, sie zu erklären wie er will, und was helfen alle Versicherungen, seitdem Liscow auf sein Wort versichert hat, Philippi sei ein großer Mann gewesen. Es bleibt mir nur ein Weg übrig, mich meinem Kunkel mit Anstand zu nähern, und das ist, zu zeigen, daß dasjenige, was er tat, und was jedermann weiß, daß er getan hat, auch einer andern Erklärung fähig sei, und daß mehr die einmal durch ein Ohngefähr in den Strom gebrachte Laune eines flatterhaften Publikums, als eine absolute Possierlichkeit des Mannes, allen seinen Handlungen dieses zweifelhafte Licht erteilt habe. Daß es oft in der Welt so gehe, sehen wir, (deuten Sie, meine Herren, dieses Gleichnis nicht eher, bis Sie es ganz gehört haben) an dem Esel; eine etwas burleske Figur, wozu er nichts kann, und dabei das unschuldige Ansehen haben vermutlich einen mutwilligen Possenreißer einmal verleitet, seinen Witz an diesem guten Tiere zu kühlen, und da nun einmal das Loch gebohrt war, so zog sich alles darnach, und der Esel ist nun das Gespötte der Gassenjungen und das Gelächter von ganz Europa geworden. Wer will es dem Esel übelnehmen, wenn er uns von seiner Seite wiederum hinter seinem harten Fell mit einer verstellten Faulheit neckt, und den Stock, den einzigen Dolmetscher zwischen Menschen und ihm, nicht erkennen will. In Arabien, wo die Leute sich mehr auf Mathematik legten, mehr Griechisch verstanden und überhaupt vernünftiger dachten als in Deutschland, denken sie auch hierin ganz anders, der Esel heißt bei ihnen "der Aufgeweckte, der Pfiffige" und ist unser völliger Fuchs. Wer weiß, ob Kunkel in Arabien nicht der Niedliche, der Herzhafte, der Patriot geheißen hätte, da ihn unsere Stadt (mit Unwillen nenne ich die Worte) den Trunkenbold, den Taugenichts, den elenden Kerl und dergleichen, unaufhörlich nannte, was Wunder denn, wenn er zuweilen wie der Esel ausschlug, und gegen alle Verweise taub, und selbst gegen den Stock der Obrigkeit fühllos, statt aller gehofften Besserung einmal den Schwanz wedelte, und seines alten Ganges fort ging?

Tun Sie dieses nicht, meine Herren, es ist immer gefährlich, in einer gar zu tiefen Gleise zu fahren, fahren Sie einmal eine neue Spur, betrachten Sie Kunkeln wieder einmal selbst und nicht das lächerliche Bild, welches eine spöttische Stadt von ihm gemacht hat, und welches desto betrüglicher ist, weil es Wahrheit mit Karikatur verflochten enthält, die man von Anfang als eine Strafe für die erstere für billig und zuletzt gar auch für wahr ansieht. Betrachten Sie erst die Verdienste des Antiquarius, des Bücherkenners, des standhaften Bürgers; ja, Kunkel, du warst standhaft; betrachten Sie den mesalliierten Ehemann, halten Sie dieses mit seinen Lastern, die außer den beiden Nachbarn nie andere beleidigten, zusammen, so werden Sie das gemeine Gemisch finden, das man menschliche Natur heißt und das des großen Lärmens, das man davon machte, gar nicht wert ist.

Soviel ich habe erfahren können, so hat unser Kunkel, als er noch grade Glieder hatte, mit Gläsern gehandelt, nicht mit optischen, denn seine schon damaligen Kenntnisse des Zustandes der Gelehrsamkeit seines Vaterlandes hielten ihn ab, einen Handel zu treiben, der in Deutschland, wo sich die Reichsten wenigstens mit der Natur in so fern sie mit den bloßen Augen erkannt wird, schon behelfen, grad zum Bettelstab führt. Nein! Er hat sich zu seinem Fach die weniger abstrakten und mehr gebräuchlichen Trinkgläser gewählt, anfangs in dem einträglichen Verstand, da sie eine Ware bedeuten, und bei veränderter Lebensart behielt er sie noch, aber auch in einem veränderten Verstande bei. Es ist merkwürdig, daß sich schon ein Kunkel in dieser Materie hervorgetan hat und zwar ein Verwandter unseres erblaßten Glashändlers, nämlich der berühmte Verfasser der Glasmacherkunst. Der Unterschied zwischen beiden besteht eigentlich nur darin, daß jener Glas und Gläser verfertigen lehrt, dieser aber sie in seiner Jugend gerne verkaufte und im männlichen Alter gerne austrank. Freilich ein beträchtlicher Unterschied, den aber der Selige in der Tat einigermaßen wieder dadurch aufhob, daß er ihn völlig fühlte. Eine nicht ganz launlose Vergleichung seiner mit seinem großen Vetter war sein Lieblingsartikel, und beinah sein Steckenpferd. "Dieses Buch, Herr, hat mein Vetter geschrieben," sagte er, und zeigte die Glasmacherkunst, "das war ein anderer Mann als ich," so klang ohngefähr die Einleitung zu der Vergleichung, in der er sich aber doch nie dasjenige von der Ehre vergab, was ihm aus einer solchen Verwandtschaft von Gott und Rechts wegen gehörte und das ihm jeder Zuhörer als eine Vergütung für die größere Demütigung von der andern Seite auch gerne zugestand. Nun sagen Sie selbst, meine Herren, wer ist der größte Mann, der Junker, der auf eine Kette von Wildschützen stolz ist, davon keiner mit jenem Kunkel, vielleicht nicht allemal mit diesem in Vergleichung kommt, oder der Buchtrödler, der nach einer offenherzigen Abrechnung mit seinem Vorfahren, Ursache hat auf ihn stolz zu sein? Er hat es erkannt, daß sein Vetter groß war, und hat es erkannt, daß er selbst nichts war, das letztere hat man schon öfters Adel der Seele geheißen, um durch diese Benennung sehr sorgfältig die beiden Arten von Adel von einander zu unterscheiden. Wer, meinen Sie wohl, ist der Größte! Ohne Ihre Antwort abzuwarten, kann ich bei dem Denkmal unseres Erblaßten ausrufen: Hier war mehr als Junker. Vielleicht wäre unser Freund vom Gläserhandel noch auf das Gläsermachen und von da auf das Silbermachen, so wie sein Vetter gestiegen, wenn nicht ein trauriger Zufall, der seinem Körper begegnete, seinen Seelenkräften eine ganz andere Richtung gegeben hätte. Diesen Zufall kann ich Ihnen unmöglich verschweigen, denn was kann wichtiger sein als ein Umstand, der Leib und Seele zugleich ändert? Unser Kunkel war einer von den Glashändlern, die ihre Ware in einem Korbe an einem Riemen vor sich hertragen. Ich muß gestehen, daß mir diese Art mit Glas zu handeln allzeit seltsam vorgekommen ist. Einen großen Teil seiner zeitlichen Güter an einem Riemen, der an den Korb, in welchem sie sind, nur allzeit schwach befestigt werden kann, so zu tragen, daß sie dasjenige, was zu ihrer Erhaltung billig doch zu sehen sehr nötig ist, die Füße, dem Auge ganz verdecken, ist in der Tat etwas, das der Betrachtung eines aufmerksamen Menschen unmöglich gleichgültig sein kann, wenn er es auch nur so ganz schlechtweg ansieht. Aber wenn er zugleich typischen Witz liebt, so findet er hier reichen Stoff zu Betrachtungen über Glück und Leben, Vorsicht und Vergänglichkeit. Etwas, das leicht zerbrechen kann, an einem schwachen Riemen hängt, das auch noch fallen kann, ohne daß der Riemen bricht, an den man nur allein gedacht hat, Augen, die allzeit in die Ferne sehen und das Nahe nicht sehen können und wollen etc., wie reiche Materie! die ich aber nun nicht verarbeiten will und in einer solchen Versammlung auch nicht zu verarbeiten nötig habe. Kunkel war also ein solches wandelndes Sinnbild der menschlichen Hinfälligkeit, er fiel auch wirklich und zerbrach wohl über drei Viertel seiner zeitlichen Güter, wenn ich auch das Bein, das er zugleich brach, noch so geringe anschlagen wollte. Ob er schon damals seine Gläser zu etwas Mehrerem als zum Verkaufe brauchte, oder ob, wie es nun vielen feinen Männern geht, das gute Pflaster in einigen Straßen ihm seine Füße für das schlechte in den andern unbrauchbar gemacht hatte, so wie Leute, die das Klavier zu spielen gewohnt sind, gewöhnlich auf der Orgel ins Stocken geraten, will ich hier nicht untersuchen, weil ich es schon ehedem einmal vergeblich untersucht habe. Genug für unseren Schmerz, wir wissen, er brach sein Bein auf eine solche Art, daß nach langer Überlegung, ob man ein beständiges Hinken oder den Tod erwählen sollte, die Barbiere beinah das letztere gewählt hätten, hätte der Selige nicht allezeit hartnäckig auf dem ersteren bestanden. Er ward also lahm, und das mit genauer Not, weil wirklich die Barbiere ihre unbeschworenen Pflichten nicht gerne der Caprice eines Glashändlers aufopfern wollten, und sie würden obgesiegt haben, hätte nicht der Zufall sich ins Mittel geschlagen und endlich über die Feldscherer triumphiert. Das eine Bein ward um einen halben Fuß kürzer, und weil ein Gestell mit einem Fuß oder, welches nicht viel besser ist, mit zwei ungleichen, nicht mehr für Gläser taugt, so ward dieses Feld von unserm Freund verlassen und dafür ein anderes gewählt, für welches wir den zweiten Teil unserer Gedächtnisrede aufbehalten.

Zweiter Teil