Aus kontrolliertem Raubbau - Kathrin Hartmann - E-Book

Aus kontrolliertem Raubbau E-Book

Kathrin Hartmann

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Beschreibung

Die große Nachhaltigkeitslüge

Angesichts der Klimakatastrophe ruhen alle Hoffnungen auf der Green Economy, die das Wirtschaften nachhaltig und sozial machen soll. Elektro-Autos statt CO2-Schleudern, Biosprit statt Benzin, Aquakultur statt Überfischung. Subventioniert von der Politik, unterstützt von Umweltorganisationen, ausgezeichnet mit Nachhaltigkeitspreisen. Wirtschaftswachstum und überbordender Konsum, so die frohe Botschaft der sogenannten dritten industriellen Revolution, sind gut für die Welt, solange sie innovativ und intelligent gemacht sind. Die technikbegeisterte Mittelschicht hört das gern.

Doch auch der Rohstoffhunger des grünen Kapitalismus ist riesig: Selbst für nachhaltiges Palmöl, das in Biodiesel und Fertigprodukten steckt, werden Regenwälder gerodet und Menschen vertrieben, wie Kathrin Hartmann in aufrüttelnden Reportagen aus Indonesien zeigt. Ebenfalls schockierend sind ihre Recherchen in Bangladesch: Garnelen aus Zuchtbecken werden mit Öko-Siegeln exportiert, dabei wurden dafür gegen den Willen der Bevölkerung Reisfelder und Mangrovenwälder zerstört. Um den eigenen Hunger zu bekämpfen, zwingt man den Bauern dort Gentechnik-Saatgut auf.

Eine schonungslose Abrechnung mit der Illusion des grünen Wachstums, dem Zynismus von Wirtschaft , Politik und NGO und unserem verschwenderischen Lebensstil.

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Das Buch

Unter dem Eindruck des Klimaschocks ruhen jetzt alle Hoffnungen auf der sogenannten dritten industriellen Revolution, die das Wirtschaften nachhaltig machen soll: Elektroautos statt CO2-Schleudern und Aquakultur statt Überfischung: geliefert von der Industrie, subventioniert von der Politik und abgesegnet von großen Umweltschutzorganisationen wie dem WWF. Für das Palmöl, das mittlerweile in jedem zweiten Supermarktprodukt steckt, werden in Südostasien Regenwälder gerodet und Menschen vetrieben, wie Kathrin Hartmann in einer aufrüttelnden Reportage vor Ort zeigt, und für ökologisch unbedenkliche Garnelen werden in Bangladesch gegen den Willen der Bevölkerung Aquaplantagen implementiert und mit Polizeigewalt durchgesetzt.

Eine schonungslose, in jeder Zeile glaubwürdige Abrechnung mit unseren auf Wachstum zielenden Wirtschaftsmodellen, unserer Technikgläubigkeit und unserem verschwenderischen Lebensstil.

Die Autorin

Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, studierte in Frankfurt/Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Nach einem Volontariat bei der »Frankfurter Rundschau« war sie dort Redakteurin für Nachrichten und Politik. Von 2006 bis 2009 arbeitete sie als Redakteurin bei »Neon«. 2009 erschien bei Blessing »Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt.« 2012 erregte ihr Buch über die neue Armut – »Wir müssen leider draußen bleiben« – großes Aufsehen. Kathrin Hartmann lebt und arbeitet in München.

KATHRIN HARTMANN

AUS

KONTROLLIERTEM

RAUBBAU

WIE POLITIK UND WIRTSCHAFT DAS KLIMA

ANHEIZEN, NATUR VERNICHTEN UND

ARMUT PRODUZIEREN

BLESSING

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. 1. Auflage 2015

Copyright © 2015 by Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: Geviert Grafik & Typografie, München

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-15611-4V003

www.blessing-verlag.de

Für Oliver und meine Eltern

INHALT

VORWORT

GRÜNES WACHSTUM:WELTRETTUNG ODER »AMOKLAUF GEGEN DIE NATUR«?

I.  ORANG-UTAN IM TANK

Wie im Namen der Nachhaltigkeit die letzten Regenwälder der Erde abgeholzt werden

1.  Die Grüne Hölle: Palmölanbau in Borneo

2.  Richtlinie 2009/28/EG – die Vernichtungsverordnung aus Brüssel

3.  Sembuluh, der sterbende See

4.  Zertifizierte Zerstörung am Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl

5.  Greengrabbing

6.  Abholzen im Nationalpark

7.  Grüne Wunder: Wie die Politik Klimakiller in Klimaretter verwandelt

8.  Öko-Touristen im Affenzirkus

9.  Im letzten Märchenwald

II.  SKLAVEN DER WELTRETTUNG

Wie Erntearbeiterinnen und -arbeiter im grünen Kapitalismus ausgebeutet werden

1.  Das koloniale Erbe des Runden Tischs für nachhaltiges Palmöl

2.  Gefälligkeitsgutachten vom TÜV?

3.  Nachwachsende Ressource Armut

4.  Streik – der unsichtbare Elefant im Raum

III.  KOLONIALISMUS MIT HERZ

Wie die Politik und NGOs die Lebensmittelindustrie grünwaschen

1.  Terror in Sumatra

2.  Der Held von Jambi

3.  Wilmar, Weltbank, Unilever: die Troika am Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl

4.  Das Unilever-Imperium

5.  Die Wunder des Tütensuppenheilands

6.  Aufforsten im Siegelwald

7.  Tödliches Spiel auf Zeit

8.  Greenpeace im Wandel

9.  Die Tragödie von Bungku

IV.  KLIMASCHUTZ GEGEN MENSCHENRECHTE

Wie Industrienationen die Wälder der Welt per Emissionshandel unter sich aufteilen

1.  REDD+: Hoffnung für den Wald?

2.  Natur als Rechnungsposten

3.  Vertreibung für den Klimaschutz

4.  CO2-Sklaven und vogelfreie Kleinbauern

5.  Waldschutz als Privatisierungsprogramm

V.  PINKES GOLD, BLAUE REVOLUTION UND GRÜNER KATASTROPHENKAPITALISMUS

Warum die Shrimps-Aquakultur in Bangladesch die Menschen verarmt

1.  Das nasse Verderben

2.  Sterben für die Mainstream-Gourmets

3.  Landraub als Entwicklungshilfe

4.  Shrimps fressen Mangroven auf

5.  Bioshrimps: Inwertsetzung der Zerstörung?

6.  ASC: Zertifizierung als Herrschaftsinstrument

VI.  NACHHALTIGER HUNGER

Klimaanpassung und Grüne Revolution

1.  Smarte Entwicklungshelfer

2.  Anpassung statt CO2-Reduzierung

3.  Die Entpolitisierung des Klimawandels

4.  Landwirtschaft als Elitenprojekt

5.  Entwicklungshilfe für Agrarkonzerne

6.  Hungerbekämpfung mit grüner Gewalt

7.  Bill Gates als Bauernfreund

VII.  GATED COMMUNITY

Oligarch der Weltrettung: Bill Gates und die Macht seiner Milliardenstiftung

1.  Das Märchen vom netten Milliardär von nebenan

2.  Die Privatisierung der Gesundheit

3.  Kuscheln mit Coca-Cola

4.  Helfen mit Blutgeld

5. Gates’ Frankenstein-Club zur Klimarettung

6. Mit Gates und Genen

VIII.  DAS MÄRCHEN VON DEN WUNDERPFLANZEN

Gentechnik zur Hungerbekämpfung als trojanisches Pferd der Saatgutkonzerne

1.  Bt Brinjal: Labor-Auberginen für Bangladesch

2.  Monsantos Todesacker

3.  Giftiges Nichtwissen

4.  Die Ignoranz der Wissenschaft und der Behörden

5.  Golden Lies

6.  Widerstand gegen die Alchimisten

7.  Vom Paulus zum Saulus: Öko-Renegaten und Öko-Modernisten

8.  Propaganda-Gemüse

SCHLUSS

ALTERNATIVEN STATT LÖSUNGEN!

Warum wir das System ändern müssen, nicht die Wirtschaft

Danksagung

Anmerkungen

Namensregister

Man kann den Regenwald auch mit solarbetriebenen Kettensägen abholzen.

Hans-Peter Dürr,  Physiker, Umwelt- und Friedensaktivist

VORWORT

GRÜNES WACHSTUM – WELTRETTUNG ODER »AMOKLAUF GEGEN DIE NATUR«?

Die nebelnassen Bäume werfen ihre letzten Blätter von den schwarzen Ästen, ihre Kronen sind im dichten grauen Dunst verborgen. Auch der riesige, düstere Klotz hinter den Bäumen verschwindet fast im Nebel: Die Glasfassade des Maritim-Hotels am Düsseldorfer Flughafen wirkt stumpf und bleiern. Es ist unwirtlich und kalt an diesem tristen Novembermorgen. Doch drinnen, im Saal Düsseldorf, wo sich mehr als tausend Gäste versammelt haben, da wird es gleich leuchten und strahlen.

Ram-tam-tam-ta-ram-tam-ta-ram-tam … Eben saßen noch einige zusammengesunken auf ihren Stühlen und versuchten, das Muster auf dem Teppichboden zu entwirren. Doch als das beschwingte Dreizehn-Sekunden-Intro von Coldplays Superhit Viva La Vida durch den Raum schallt, sind die Gäste wie auf Kommando gut gelaunt und hellwach, sie strahlen und klatschen, als würden sie dafür bezahlt.

Es ist der Deutsche Nachhaltigkeitstag. Und der ist für die Industrie wie ein vorgezogenes Weihnachtsfest. An diesem 22. November 2013 wird in Düsseldorf zum sechsten Mal der Deutsche Nachhaltigkeitspreis verliehen. Deutsche Unternehmen, ihre Verbände, Forschungseinrichtungen, der Rat für nachhaltige Entwicklung und die deutsche Bundesregierung vergeben diesen Nachhaltigkeitspreis für, wenig überraschend, »Spitzenleistungen der Nachhaltigkeit« an, noch weniger überraschend, deutsche Unternehmen, »die vorbildlich wirtschaftlichen Erfolg mit sozialer Verantwortung und Schonung der Umwelt verbinden«, sowie an Kommunen, Forschung und internationale Popstars.

Stefan Schulze-Hausmann tritt ins Rampenlicht. Der Rechtsanwalt und ehemalige TV-Moderator (»neues«, »nano«, 3Sat) hat den Preis 2008 initiiert. »Nachhaltigkeit ist ein Mega-Thema«, ruft Schulze-Hausmann, »die Zahl der Unternehmen, die krass ignorant sind, sinkt beständig.« Die Gäste applaudieren begeistert. Kein Wunder, sie applaudieren sich schließlich selbst, und sich selbst finden sie gut. Denn da in Düsseldorf im Saal Düsseldorf sitzen keine Ökos mit langen, ungewaschenen Haaren, sondern Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen. Viele sind Unternehmensvertreter, und sie repräsentieren die deutsche Industrie von A bis Z: von Allianz, Bayer, BMW, Coca-Cola, Danone, Frosta, Henkel, Lufthansa, Rewe, Siemens und Unilever bis zur Zehnder Group, dazu Vertreter von Verbänden wie dem Deutschen Markenverband, dem Handelsverband, dem Gesamtverband der Kunststoff verarbeitenden Industrie und dem Deutschen Tourismusverband.

Schulze-Hausmann schwärmt von einem »Familientreffen der Nachhaltigkeit«. Auch für mich ist es ein Wiedersehen mit – guten? – na ja, jedenfalls mit alten Bekannten: Einige von ihnen habe ich schon interviewt, nämlich die Vertreter von Unternehmen, zwischen deren proklamiertem »grünem Engagement« und den tatsächlichen Auswirkungen ihres Kerngeschäfts eine Lücke so groß wie der Marianengraben klafft.

»Die Industrie versucht, sich zu engagieren, da lernen alle. Das ist ein Prozess, den müssen wir gestalten.«1 Das hat mir, obwohl solche Formulierungen zum Standardrepertoire der Industrie gehören, ein Nachhaltigkeitsmanager von Henkel erklärt. Der deutsche Chemiekonzern hat als einer der ersten 2008 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis bekommen und ist, wie Coca Cola, Rewe, Siemens und der Deutsche Markenverband, einer der Sponsoren des Events. Man würde nicht sofort draufkommen, dass Henkel ein Ökounternehmen ist. Drum braucht es auch die Teilnahme am Nachhaltigkeitspreis. Was man dem Chemiekonzern lassen muss, der mit 2,2 Millionen Megawattstunden so viel Energie verbraucht wie eine mittlere Großstadt: Er kämpft wirklich engagiert. Zum Beispiel gegen den Ausstieg aus der Atomenergie und für die Kohlekraft, Seit’ an Seit’ mit den großen Stromkonzernen.2 Aber nun, man kann nicht alles haben, und Henkel stellt ja gleichzeitig einen Kleber her, der beim Zusammenkleben von Windturbinen eingesetzt wird, und das hält der Konzern für einen »wichtigen Beitrag zu erneuerbaren Energien«.3 Für Henkel, so erklärt Nachhaltigkeitsmanger Uwe Bergmann später auf dem Podium, »hat Nachhaltigkeit mit Business zu tun«. Und da hat Henkel beste Gesellschaft: auch BASF, Bayer, C&A, General Electrics, Otto, Puma, Siemens, die Axel Springer AG und Volkswagen sind Träger des Weltrettungspreises. Der deutsche Supermarkt-Gigant Rewe hat ihn gleich vier Mal bekommen.

Aber derartige Widersprüche werden auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag nicht kritisiert. Im Gegenteil: Sie werden zelebriert. »Verantwortliches Handeln«, lautet die Parole, helfe nicht nur dabei, »soziale und ökologische Probleme im globalen oder lokalen Maßstab zu lösen«, sondern könne auch »Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit erhöhen«.

Jetzt zeigt Günther Bachmann, der Generalsekretär des Rats für nachhaltige Entwicklung, ein Filmchen über das gut gelaunte Öko-Deutschland: Windräder im Sonnenuntergang, Elektroautos und Menschen im Supermarkt. Ein Unternehmer sagt, »Nachhaltigkeit bedeutet, die Schere zu schließen zwischen Ökonomie und Ökologie«. Lauter tolle Ideen werden präsentiert: Stofffasern aus Milch, Fahrräder aus Holz, Tomaten in einem urbanen Gewächshaus, gedüngt mit dem Abwasser aus Fischtanks, und »Wurst mit Gesicht«, für die sich der Konsument per Mausklick im Internet selbst ein »glückliches Schwein« aussuchen kann, das dafür abgestochen wird. Menschen halten Schilder mit Buchstaben in die Luft, die den Satz »Jeder entscheidet« ergeben.

»Mal ehrlich, jeder von uns könnte mehr für die nachhaltige Entwicklung tun, beim Einkaufen, beim Reisen, auch beim Geldanlegen«, sagt Bachmann in eine Kamera. Alle, die hierhergekommen sind, wollen etwas tun, und sei es nur, sich selbst und allen, die es hören wollen, zu versichern, wie »›Sustainability made in Germany‹ erfolgreich den Herausforderungen der Nachhaltigkeit begegnen und gleichzeitig Wettbewerbschancen eröffnen kann«. Na freilich: Wenn Klima- und Umweltschutz »Wachstumsförderer« sind, dann sind dementsprechend klarerweise die Unternehmen selbst die »Problemlöser«. Das sogenannte »Drei-Säulen-Modell« der Nachhaltigkeit, in dem wirtschaftliche, ökologische und soziale Ansprüche gleichrangig berücksichtigt werden müssten und einander bedingen, findet breiten Zuspruch und wird auch von der Politik beglaubigt – obwohl es schlicht eine Erfindung der Wirtschaft ist, genauer des Verbands der Chemischen Industrie, der diese »Theorie« in die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages »Schutz des Menschen und der Umwelt« eingebracht hat.

Ram-tam-tam-ta-ram-tam-ta-ram-tam … Nach jedem Auftritt fegt das Intro der Stadionhymne von Coldplay über die Bühne, als wäre wieder ein Tor für Umwelt und Klima gefallen. Deutschland – ein Spätherbstmärchen der Nachhaltigkeit. Ich warte nur darauf, dass der freundliche grüne Riese aus der RWE-Werbung kommt, den Unternehmern Windrädchen auf den Kopf steckt und ihnen ein grünes Mäntelchen aus Rollrasen umhängt.

»I used to rule the world. Seas would rise when I gave the word«: sehr im Kontrast zur freundlich beschwingten Melodie handelt der Coldplay-Song von einem paranoiden Herrscher, der seine Macht verloren hat. Genauso verbirgt sich hinter dem dick aufgetragenen Optimismus, dem dröhnenden Hurra-Patriotismus, der »Macher«-Inszenierung samt ihrer abgeschmackten Hauruck-Parolen, wie sich »Deutschland im globalen grünen Wettrennen bewähren« soll, eigentlich nur die tiefe Sorge der deutschen Wirtschaft, dass ihre Profite und ihr grenzenloser Wachstumsdrang durch so etwas unangenehmes wie Klimaschutz gebremst werden könnten. Lieber eignet man sich die Kritik an, schreibt sich selbst dick »Umweltschutz« auf die Fahnen und produziert ordentlich Wind, damit diese Fahnen auch schön flattern. Es passt, dass ausgerechnet die »Klimakanzlerin« Angela Merkel gleich drei Mal Schirmherrin dieser Veranstaltung war.

»Once you’re gone you’re gone, there was never, never an honest word. And that was when I ruled the world.« Tatsächlich sieht die Bilanz des »Vorreiters« in Sachen »Nachhaltigkeitsexzellenz« so aus: Zwischen 2004 und 2012 hat Deutschland den Transport von Waren mit dem Flugzeug, dem mit Abstand klimaschädlichsten Fortbewegungsmittel, um mehr als 50 Prozent gesteigert. Der Export der deutschen Industrie ist zwischen 2007 und 2013 von 35 auf 43 Prozent gestiegen, parallel dazu natürlich auch der CO2-Ausstoß.4 Zugleich importiert Deutschland Agrarprodukte und andere Verbrauchsgüter, deren Herstellung mit knapp 80 Millionen Hektar mehr als das Doppelte der gesamten Fläche Deutschlands benötigen.5 Die Deutschen essen mit 60 Kilo pro Kopf und Jahr überdurchschnittlich viel Fleisch. Trotz Energiewende werden weitere Kohlekraftwerke gebaut, die die CO2-Einsparung durch erneuerbare Energie zunichte machen. Niemand in Europa hat so viele Autos wie wir Deutschen: Auf 1 000 Einwohner kommen 530 PKW, jeder fünfte neu angemeldete ist ein SUV. Kein Land trennt so besessen seinen Abfall wie wir – was nichts daran ändert, dass wir auch mit am meisten Müll in Europa produzieren, nämlich 453 Kilo pro Kopf und Jahr.6Außerdem steigen immer mehr Deutsche ins Flugzeug, und die meisten Vielflieger finden sich, welche Ironie: ausgerechnet unter den Wählern der Grünen.7

Doch mit der hässlichen Realität hält sich der Deutsche Nachhaltigkeitstag nicht auf. Er schaut in eine grüne Zukunft, in der der brummende Motor der Konjunktur auch noch gut sein soll für Umwelt und Klima. Die Zauberformel heißt: Green Economy.

Hinter dem Schlagwort verbirgt sich die Idee, Wachstum und Naturverbrauch mit Hilfe neuer Technologien zu »entkoppeln« – und die Theorie, dass dieses Entkoppeln so funktioniert, als wären die guten und die schlechten Effekte des Kapitalismus wie Lokomotive undWaggon, die man mit den richtigen Handgriffen einfach voneinander trennen könnte. Diese »dritte industrielle Revolution« soll Schäden aber nicht nur vermeiden, sondern sogar beheben – mit Elektroautos, Solar- und Windkraftanlagen, Pflanzentreibstoffen, effizienten Kraftwerken, CO2-Speicherung, Landwirtschaft auf Hochhausdächern, Nachhaltigkeitszertifikaten für Problemrohstoffe, Aufforstung von Schutzgebieten, Emissionshandel, Biotechnologie und Grüner Gentechnik.

2008, im selben Jahr, als der Deutsche Nachhaltigkeitspreis gegründet wurde, veröffentlichte das Umweltprogramm der Vereinten Nation (UNEP) den »Green Economy Report«. Demgemäß soll durch eine grüne Wirtschaft »das menschliche Wohlergehen gesteigert und soziale Gleichheit sichergestellt« werden, »während gleichzeitig Umweltrisiken und die Knappheit ökologischer Ressourcen berücksichtigt werden«. Dieser Gedanke wurde 2012 auch auf der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung in Rio verhandelt, nachdem schon alle Strategien nachhaltiger Entwicklung gescheitert waren. Schließlich griff die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) das neue Wirtschaftsparadigma auf und propagierte ein grünes Wachstum mit neuen »grünen« Märkten und Sektoren«. Die Europäische Union entsann 2010 einen Plan für nachhaltiges Wachstum, und auch die Bundesregierung hat das »Leitbild der Green Economy als international wettbewerbsfähige, umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaft« übernommen.

Glaubt man den Aposteln der Ökotechnik, so dauert es nicht mehr lange, bis man ohne schlechtes Gewissen zumWochenendeinkauf nach New York jetten kann, um dort recycelte Designerturnschuhe zu kaufen. Das Geld dafür könnte aus Investitionen in »Klimawälder« in armen Ländern stammen, das Flugzeug mit nachwachsender Energie aus Algen fliegen, und die Bezüge der Flugzeugsitze könnten essbar sein. Man wird sie nicht mehr wegwerfen müssen, sondern kann sie zu Industrieessen recyceln und, mit Vitaminen angereichert, zum Beispiel den Armen servieren – samt gentechnisch verändertem Beilagensalat, der einen Impfstoff gegen Tropenkrankheiten enthält. Der Armut glücklich entronnen, werden auch die qua Geburt Unterprivilegierten endlich in der Lage sein, mit Elektroautos aus ihren Hüttendörfern hinauszubrummen, die eh bloß Plantagen für nachwachsende Rohstoffe den Platz wegnehmen, hinein in die nachhaltige Wohnanlage aus Passivhäusern mit Solarstrom.

Diese schöne grüne Sciencefiction stammt nicht etwa aus Daniel Düsentriebs Geheimnotizen. Es sind Visionen Grüner-Technik-Apologeten wie sie etwa der Popstar des grünen Wachstums, Michael Braungart, hat. Letzterer, Verfahrenstechniker und Leiter des Hamburger Umweltinstituts, hat mit dem US-amerikanischen Designer William McDonough das »Cradle-to-Cradle«-Prinzip erfunden, demzufolge alle Produkte wieder vollständig in den Stoffkreislauf zurückkehren sollen. 600 Produkte hat Braungart entwickelt – darunter auch die oben genannten essbaren Flugzeugsitzbezüge.

Braungart ist ein gern gesehener Interviepartner und Veranstaltungsgast, denn er verbreitet die ersehnte frohe Botschaft unter den westlichen Mittel- und Oberschichten: Wirtschaftliches Wachstum, überbordender Konsum und Verschwendung sind nicht nur völlig unproblematisch, sondern sogar gut für die Welt – solange sie mittels technischer Innovationen nur »intelligent« gemacht sind. Intelligente Verschwendung. Auf dem Weg in eine neue Überflussgesellschaft heißt Braungarts jüngstes Buch.8 Allerdings ist die Green Economy kein alternatives Wirtschaftssystem, sondern lediglich ein grün schimmernder Kapitalismus, der weiterhin bestimmt ist von Wachstum und Wettbewerb und den Profitinteressen der Industrie – also das ökonomische Wunderding der eierlegenden Wollmilchsau. Aber auch ein grünes Wachstum braucht Energie und Ressourcen. Eine »Entkopplung von Wachstum und Naturverbrauch« wird es in einer Welt die ja immer noch nach thermodynamischen Gesetzen funktioniert, genauso wenig geben wie das Perpetuum mobile: Zerstörung der Natur, Plünderung von Ressourcen, Ausbeutung und Armut sind unvermeidbar auch die Grundlagen des grünen Wachstums.9

Alle Versuche, destruktive Techniken und Rohstoffe durch »nachhaltigere« zu ersetzen, sind aber, wie ich in diesem Buch an mehreren Beispielen zeigen werde, krachend gescheitert oder haben die Probleme sogar noch verschärft: Die Herstellung von Elektroautos, von Windrädern und Solarzellen benötigt riesige Mengen Seltener Erden und Konfliktrohstoffe, die aus Kriegsgebieten beschafft werden oder Indigenen das Land rauben, weil sie sich unter ihrer regenbewaldeten Erde befinden. Die fatale Idee, Lebensmittel zur Energiegewinnung zu verbrennen, hat den Hunger noch verschärft. Für die nächste Idee, »Energiepflanzen« wie beispielsweise Ölpalmen zu kultivieren, ist in Südostasien der Regenwald gigantischen Palmölplantagen gewichen. Die »zweite Generation« nachhaltiger Kraftstoffe, zum Beispiel aus künstlicher Photosynthese, auf der jetzt die große neue Hoffnung liegt, befindet sich im Laborstadium. Welche Folgen ihr Einsatz haben wird, wird man ebenfalls erst feststellen, wenn Schäden bereits entstanden sind. Aber dann wird den Menschen wieder etwas Neues, noch Tolleres einfallen. Davon jedenfalls sind die grünen Technikoptimisten fest überzeugt.

Berlin, das Büro von Ralf Fücks. Der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung war einer der ersten »Realos« der Grünen und gilt als Vordenker einer rot-grünen Regierung. Und er ist, im Gegensatz zu anderen Vertretern der Heinrich-Böll-Stiftung, ein glühender Anhänger der Green Economy. Intelligent wachsen. Die Grüne Revolution heißt sein Werk, in dem er der »autoritären Tugendherrschaft« der Umweltschützer etwas entgegensetzen will: nämlich die positive »ökologische Transformation des Kapitalismus« mittels Technologie und Effizienz.10 Fücks vertritt dieTheorie des Anthropozäns, jenes Zeitabschnitts also, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor der biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde wurde, weswegen er auch fähig sei, die daraus resultierenden Probleme mit neuer Technik in den Griff bekommen. »Das hat die Zivilisation trotz aller Katastrophen getragen«, schwärmt Fücks. Auf meinen Einwand, dass dies aber immer wieder zu neuen Problem führt, sagt er leicht gereizt: »Niemand kann garantieren, dass Innovationen auch funktionieren. Man muss Fehlentwicklungen möglichst rasch korrigieren und aus Erfahrungen lernen.« Aber sollte man nicht viel eher aus der Erfahrung lernen, dass Wachstum selbst das Problem ist, und dazu Alternativen finden? Zack, fährt der »Öko-Optimist« aus der Haut: »Wie wollen Sie denn einen globalen Wachstumsstopp implementieren? Das halte ich für so was von menschenfeindlich! Die Menschen würden Ihnen den Vogel zeigen und sagen, ihr habt die Party hundert Jahre gefeiert, und wir sollen jetzt auf die Segnungen des Fortschritts verzichten?«

Dieses Argument habe ich auf meiner Reise durch die Green Economy in den Ländern des Südens nie gehört, jedenfalls nicht von den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Merkwürdig, dass auf einmal Konsumexzesse nach westlichem Vorbild in sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern als Menschenrecht verteidigt werden, während es weiter hingenommen wird, dass verbriefte Menschenrechte dort zu jeder Sekunde mit Füßen getreten werden: Der Zugang zu überlebenswichtigen Ressourcen wird den Menschen im Süden genauso vorenthalten wie die Realisierung ihrer Vorstellung von einem guten und gerechten Leben. Denn in Wahrheit ist es ja genau andersherum: Mit unserem westlichen Wachstums- und Wohlstandsmodell schreiben wir ihnen exakt vor, wie sie zu leben haben, weil sie nämlich die Folgen unseres Handelns ausbaden müssen. Ethik und Verantwortung werden mit der Utopie des grünen Wachstums in ihr Gegenteil verkehrt. Denn es gibt eben kein Recht auf einen Lebensstil, der anderen schadet.

»Grünen Kapitalismus hat es immer schon gegeben«, sagt der Politikwissenschaftler und Globalisierungskritiker Elmar Altvater. Und zwar dann, wenn die Einsparung von Ressourcen oder Energie die Kosten gesenkt habe und man so in weiteres Wachstum investieren konnte. Trägt aber Umwelt- oder Klimaschutz nicht mehr zu Wachstum und Profit bei, ist damit schnell Schluss. Dann sorgt zum Beispiel die »Klimakanzlerin« dafür, dass die energieintensivsten Industrien kaum mehr etwas für ihre riesigen Mengen Kohlestrom bezahlen müssen, oder die Verschrottung von Autos zum Zwecke einer Neuanschaffung wird mit einer »Umweltprämie« subventioniert. Bei der Green Economy, sagt Altvater, ginge es nicht darum, die ökologischen Grenzen des Planeten einzuhalten, sondern diese mittels technischer Innovation zu erweitern. »Was daran grün ist und was nicht, ist eine Ermessenssache, bei der das Ausmaß des Zynismus zum Maßstab auf der Messlatte wird.«

Auch im grünen Kapitalismus bleiben die altbekannten Macht-, Besitz- und Produktionsverhältnisse bestehen. Lange Zeit hat der reiche Westen diese Grenzen in die Länder des Südens ausgedehnt, um dort seinen zerstörerischen Rohstoffhunger zu stillen und die schmutzige Produktion seiner Konsumgüter mit all ihren Folgen dorthin zu verlagern. Jetzt bürdet er den Menschen dort auch noch die Lösung seiner Energie- und Klimaprobleme auf.

»Hey, Dieter, pssst!« – Klickklickklick. – »Hier, Dieter, ho!« – Klickklickklick. – »Diiieeter, zu mir, huuuhuuuu!« – Klickklickklick. – »Jetzt mit der Anastacia, jaaa, suuuupi!« – Klickklickklick. Dieter Thomas Heck steht im Smoking auf dem roten Teppich und hat den Arm um die amerikanische Sängerin Anastacia gelegt. Hinter ihm steht eine graue Wand, auf der die Namen der Sponsoren des Deutschen Nachhaltigkeitspreises prangen. Gegenüber ist eine Treppe aufgebaut, auf der sich die Fotografen drängeln und um die Aufmerksamkeit der Promis buhlen. Durch das Foyer staksen Frauen auf High Heels, angetan mit glitzernden Abendkleidern und Pelzmänteln, Sektgläser in der Hand. Bald beginnen die Preisverleihung und das Gala-Dinner, das Holger Stromberg zubereitet hat, der Küchenchef der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Das Festessen besteht ausschließlich aus Fisch und Fleisch, wie nachhaltig, denke ich, eine vegetarische Alternative muss man sich extra zubereiten lassen. Auf dem Deutschen Nachhaltigkeitstag scheinen sie mit Vegetariern und Veganern nicht zu rechnen. Selbst der »Mitternachtsimbiss« ist aus Fleisch, nämlich Curry-Wurst, allerdings »ohne Reue«. Muss man wahrscheinlich erst extra verlangen. Man will die Leute halt nicht überfordern, sondern dort »abholen, wo sie stehen«. Dafür gibt es auch einen Shuttle-Service vom Sponsor Citroën. »Sustainability made in Germany« darf alles sein – bloß keine Zumutung oder gar Einschränkung. Der imperiale Lebensstil – oder, wie Harald Welzer in seinem Buch Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand11 schreibt, die entgrenzte »Kultur des alles immer« – ist im grünen Kapitalismus nicht verhandelbar.

Nach der Preisverleihung12 treten auf der »Bühne der Besten« Dionne Warwick und Anastacia auf. Sie haben ihrerseits einen Ehrenpreis für nachhaltiges Engagement bekommen. Das Ganze hat die Anmutung antiquierter öffentlich-rechtlicher Samstagabendunterhaltung – »Wetten, dass…?« meets Vorstandssitzung. Dazu gehören eben auch aus den USA eingeflogene Superstars. Dass das jegliche Nachhaltigkeitsbestrebung mit einem Schlag zunichte macht, scheint niemandem aufzufallen. Nach eigenen Angaben haben die zwei Tage Weltrettungsevent mehr als 220 Tonnen CO2 verursacht13 – das ist so viel wie 600 Menschen in Bangladesch zusammen in einem Jahr ausstoßen. Was nicht passt, wird passend gemacht, nämlich »klimaneutral«: Der absurde CO2-Ausstoß wird kompensiert – und zwar in der »Dritten Welt«. In einem Aufforstungsprojekt in Äthiopien pflanzen arme Afrikaner Bäume, damit die Reichen im Norden sich für ihre scheinheiligen Öko-Versprechen gegenseitig angemessen auf die Schulter klopfen können. Ansonsten haben Vertreter aus den Ländern des Südens auf diesem »Green Event« nichts zu suchen. Womöglich weil sie ganz andere Vorstellungen von ökologischer und sozialer Gerechtigkeit haben, als sie sich die netten Kolonialherren für sie ausgedacht haben. Das würde nur für schlechte Laune sorgen, und das kann ja nun keiner wollen, wo doch alle in so euphorischer grüner Aufbruchstimmung sind.

Vor der Bühne hopsen die Gäste ausgelassen, zwischen den Männern, die schon ihre Krawatten lockern, tanzt Christoph Harrach. Auch er ist für mich ein alter Bekannter, ich hatte den Yogalehrer, Marketingexperten und Gründer des Blogs »Karmakonsum« bereits für mein Buch Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die LOHAS und Lifestyle-Ökos vereinnahmt porträtiert. Inzwischen hat der Unternehmer und CSR-Berater selbst den Deutschen Nachhaltigkeitspreis bekommen und ist von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis in die »N100« berufen worden. In dieser »Community der Besten« sitzen Öko-Granaten wie Coca Cola, Bayer, BASF, C&A, Procter&Gamble, Axel Springer, Rewe, Unilever, VW und der WWF. Auch die Unternehmensberatung A. T. Kearney, deren Kunden aus der Auto-, Chemie-, Öl- und Rüstungsindustrie stammen,14 gehört zu den »Kennern, Trendsettern und Vordenkern der Nachhaltigkeit«, genauso der Verband der Chemischen Industrie und der Verband der Automobilindustrie.15 All diese Firmen, die eine gesetzliche Regulierung fürchten wie den Gottseibeiuns und mit ihren Lobbyisten genau diese immer wieder vereiteln, die wollen jetzt also die Welt retten. Und vorher noch ein bisschen tanzen.

»Die Nachhaltigkeitsdebatte hat in erster Linie Symbole produziert. Und die helfen, moralische Kompensation zu betreiben. Im Kontext des grünen Wachstums hat diese reine Symbolproduktion dazu geführt, dass die Schäden zunehmen konnten, ohne dass sich jemand aufregt«, sagt Niko Paech. Er ist Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg und gehört zu den wichtigsten Wachstumskritikern in Deutschland.16 Sein Gegenkonzept heißt Postwachstum: weniger Konsum, weniger Produktion, verkürzte Wertstoffketten, regionale Produktion, teilen statt kaufen, Selbst- statt Fremdversorgung, Zeitwohlstand statt Hamsterrad, soziale Beziehungen und Sesshaftigkeit statt dauernd durch die Welt zu hetzen. Wir sitzen in Weilheim in Oberbayern, und er erzählt mir lachend, dass ausgerechnet in seinem Hotelzimmer das Telefon kaputt ist – was offenbar lange niemand gemerkt hat, da inzwischen jeder ein Handy hat. Außer Niko Paech: Er fliegt nicht, isst kein Fleisch, besitzt kein Auto, keinen Fernseher und kein Handy. Er lebt das, was er propagiert. Paech bezeichnet das grüne Wachstum als »Amoklauf gegen die Natur«, bei dem in noch größerer Geschwindigkeit noch größere Schäden angerichtet werden – und zwar in Naturgegenden, die bislang vom materiellen Raubbau verschont geblieben waren. Nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch in Deutschland.

Für Windparks werden, wie in Oldenburg, wo Paech wohnt, selbst Naturschutzgebiete dem Klimaschutz geopfert. Auf den Feldern wogt weniger Weizen, stattdessen wächst dort Energiemais oder -raps. Im letzten Stadium der industriellen landwirtschaftlichen Transformation konkurriert die Lebensmittelproduktion mit der hoch subventionierten Energieerzeugung. Paech ist kein Gegner der Energiewende: »Es gibt keine Alternative zu regenerativen Energieträgern. Aber der erste Schritt muss sein, radikal Energie zu sparen. Die beste Energie ist die, die wir nicht verbrauchen.« Wenn die Wende wirken soll, müssten gleichzeitig alte Kapazitäten, insbesondere Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Auf stillgelegten Industrieflächen, Flughäfen oder Autobahnen, die nicht mehr zu regenerieren sind, könntenetwa Solaranlagen gebaut werden.

Paechs Konzept ist radikal. Technikoptimisten wie Ralf Fücks ist er deshalb ein Dorn im Auge. »Postwachstumskritik ist leider nicht modern, sondern eine Zumutung«, sagt Paech. »Letztlich liegt die Attraktivität der grünen Fortschrittsreligion darin, ein auf Plünderung beruhendes Wohlstandsmodell von der eigenen Verantwortung zu entkoppeln. Grüne Technologien funktionieren als moralischer Blitzableiter in ihrer Mischung aus Hoffnungsträger und geduldigem Prügelknaben. Nicht maßloser Konsum oder Mobilitätsansprüche sind dann schuld am Desaster, sondern der noch nicht eingeleitete Entkopplungsfortschritt.«

Nicht nur, dass Wachstum grundsätzlich Rohstoffe und Energie verbraucht. Der Einsparung durch effiziente Technologie folgt der sogenannte Rebound-Effekt auf dem Fuß: Die erreichte Effizienz wird genutzt, um weiter zu wachsen. Wachstum erzeugt wiederum wachsende Kaufkraft, die sich in materiellem Konsum niederschlägt. »Unter den Bedingungen eines beständigen Wirtschaftswachstums ist es unmöglich, die Ökosphäre absolut zu entlasten. Unter den Bedingungen einer absoluten Entlastung der Ökosphäre ist es unmöglich, ein beständiges Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten«, sagt Paech. Die Alternative könne deshalb nur Reduktion heißen.

Aber gegen eine Reduktion der Rohstoffe, die ihren Profit begründen, wehrt sich die Industrie mit Händen und Füßen. Im Jahr zuvor hatte der Deutsche Nachhaltigkeitpreis deshalb seinen ersten und einzigen Skandal: Er wurde, trotz heftiger Kritik von NGOs, und Medien, ausgerechnet dem Konsumgüterkonzern Unilever verliehen. Und der ist vor allem dafür bekannt, am meisten Palmöl für seine Produkte zu benötigen, für das in Südostasien der Regenwald abgeholzt wird.

»Die Verleihung des Nachhaltigkeitspreises an Unilever war ein Reizthema«, sagt Günther Bachmann beim Nachhaltigkeitstag 2013. »Wir haben das ernst genommen und versprochen, dass wir da dran bleiben.« Abrakadabra, schon hat die Industrie eine neue grüne »Lösung« wie ein Bio-Kaninchen aus dem Hut gezaubert: das Forum für nachhaltiges Palmöl. Es ist eine von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) geleitete Intiative, deren Mitglieder und »Initiativpartner« Henkel, Rewe, Unilever und WWF versprochen haben, nur noch Palmöl mit Nachhaltigkeitssiegel zu beziehen. Merlin Koene, Unilever-Sprecher und Mitglied im »N100-Club der Besten« sagt: »Man kann die Kritik an Palmöl absolut verstehen. Aber um etwas zu ändern, brauchen wir eine Koalition der Willigen.«

Eine »Koalition der Willigen«? Dass Koene für den konzertierten kontrollierten Raubbau ausgerechnet den Begriff benutzt, der die Allianz der Staaten beschreibt, die den Irak-Angriffskrieg der USA 2003 politisch und militärisch unterstützten, hat seine ganz eigene Sinnfälligkeit. Jenny Walther-Thoß vom WWF springt dem Unternehmer zur Seite: »Ich finde einen Palmölboykott kontraproduktiv. Wir müssen den Leuten in Indonesien eine Entwicklungsmöglichkeit geben, das geht nur mit nachhaltigem Palmölanbau.« Natürlich, »wir«. Wer sonst. Mit »nachhaltigem Palmöl«, dem Schmierstoff des grünen Kapitalismus, dieser weithin gefeierten »Lösung«. Und um nichts anderes als solche »Lösungen« soll es in diesem Buch gehen.

Die Eroberung der Welt, was ja im Grunde nichts anderes ist, als dass wir sie denen fortnehmen, die eine andere Hautfarbe oder eine etwas breitere Nase haben als wir, ist keine schöne Sache, wenn man zu genau hinsieht. Was sie erträglich macht, ist allein die Idee. Die Idee, die dahintersteckt – kein sentimentales Gerede, sondern eine Idee; und ein selbstloser Glaube an diese Idee, etwas wie ein Götterbild, vor dem man sich verneigen kann, dem man Opfer darbringen kann …

Joseph Conrad,  Das Herz der Finsternis

I. ORANG-UTAN IM TANK

Wie im Namen der Nachhaltigkeit die letzten Regenwälder der Erde abgeholzt werden

1. Die Grüne Hölle: Palmölanbau in Borneo

»Die Palmölplantagen sind wie gefräßige Tiere. Sie fressen Bambus, Rattan, Reis, Kautschuk, Wälder, Fische – einfach alles.« »Mit dem Palmöl kommen eine Menge helle Leute hierher, aber für uns wird es immer dunkler.« »Die Reichen füttern jetzt die Orang-Utans mit Milch wie die Babys. Aber wer füttert uns?« Der Taxifahrer, der hinter dem Steuer tief in seinem weichen Sitz versinkt, lacht hart und heiser, und mit jedem düsteren Aphorismus, den er zum Besten gibt, wird sein Lachen lauter und kratziger. Er klingt wütend, nicht lustig, schaurig fast, wie ein Touristen-Guide der Hölle. Dabei soll doch hier eigentlich das Paradies sein – hier in Zentralkalimantan, im indonesischen Teil von Borneo.

»Welcome to Central Kalimantan. The Land of Biocultural Diversity.« Wer den kleinen Flughafen von Palangkaraya, der Provinzhauptstadt, verlässt, wird von dampfendem Regenwald, exotischen Vögeln, Orang-Utans und tanzenden Eingeborenen mit bunten Federn auf dem Kopf begrüßt. Dieses gigantische Plakat direkt vor dem Eingang zeigt das Klischee-Tropenparadies, das Touristen hier suchen. Links oben prangt das Panda-Logo des WWF, der das Urwaldidyll vermarktet, als wäre es sein Produkt, auf das er ein Copyright besitzt.

»Save Indonesian Rainforest! Moratorium now!« Das Plakat, das wiederum im Büro von Nordin hängt, zeigt Baumstümpfe von abgeholzten Regenwäldern und endlose Palmölplantagen. Ein verstümmeltes, entstelltes Borneo. Die traurige Realität. Der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift »Save our Borneo – People, Forest, Future«. So heißt die NGO, die der 43-Jährige 2006 gegründet hat. Nordin kämpft schon sein halbes Leben für den Erhalt der letzten Wälder und die Rechte der Indigenen in Kalimantan. Er ist selbst ein Dayak17, ein Ureinwohner Borneos. Und für viele ist Nordin, der Furchtlose, der sich immer wieder mit der mächtigen Palmölindustrie anlegt, ein Held.

Der Palmölanbau hat viel Leid über Nordins Heimat gebracht. Als sein jüngster Sohn Mirza geboren wurde, wüteten monatelang Feuer in Zentralkalimantan und schafften Platz für die Palmölplantagen, die heute weite Teile der Provinz bedecken. Mirza tat seine ersten Atemzüge in der rauchgeschwängerten Luft und hat Asthma bekommen, noch heute muss er immer wieder ins Krankenhaus. Auch deshalb ist es für Nordin eine Lebensaufgabe, gegen die Palmölmafia zu kämpfen. Er nennt seine Arbeit einen »Aktionsplan für ein besseres Leben«.

Zusammen mit den indigenen Gemeinden organisiert Nordin Kampagnen und Proteste, sie sammeln Informationen und Daten, um den Verursachern Umweltverschmutzung, illegale Abholzung und Brandrodungen nachzuweisen, diese zu veröffentlichen und damit vor Gericht ziehen zu können. Sie erstellen Karten, mit denen sie Landrechte belegen und sich gegen Landraub wehren können. »Das ist unsere stärkste Waffe, um unseren Regenwald zu bewahren«, sagt Nordin.

Auf diese Weise haben sie es bereits geschafft, 30 Palmölfirmen zu stoppen und 1 410 Quadratkilometer Wald zu retten.18

Doch es bleibt ein ungleicher Kampf. Nordin hockt vor einer großen Karte von Kalimantan. Viele Gebiete sind rot umrandet. »Das sind alles Konzessionen für Palmölplantagen, für die Holzindustrie und für Bergbaukonzerne«, sagt er. Er klappt sein Laptop auf und zeigt eine animierte Grafik: eine Karte von Kalimantan auf schwarzem Grund. Felder in unterschiedlichen Farben poppen auf, so lange, bis fast kein Schwarz mehr zu sehen ist. Dort wurde bereits oder wird noch Wald abgeholzt, mit Genehmigung der Regierung. In den vergangenen 40 Jahren ist mehr als ein Drittel des Regenwaldes auf Borneo19 vernichtet worden. In Kalimantan wurden seit 1973 bereits 123 941 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt.20 Das ist mehr als ein Drittel der Fläche Deutschlands. Die Situation in Nordins Heimat Zentralkalimantan ist dramatisch: Dort haben Holz-, Bergbau- und Palmölunternehmen Konzessionen für mehr als drei Viertel der Landesfläche.21 Auf 25 000 Quadratkilometern wachsen bereits Öpalmen: die grüne Hölle von Borneo.

Palmöl ist mit rund 60 Millionen Tonnen pro Jahr das meistproduzierte Pflanzenfett der Welt.22 Der Verbrauch des Öls, das aus der Frucht und den Kernen der tropischen Pflanze gewonnen wird, hat sich in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt. Es ist das billigste Pflanzenöl der Welt – auch deshalb, weil Ölpalmen ertragreicher sind als andere Ölpflanzen.23

Besonders begehrt ist dieses Fett in der Lebensmittelindustrie. Nicht nur, weil es billig genug für Massenware zu Schnäppchenpreisen ist, sondern auch, weil sich Palmöl so gut für die industrielle Herstellung von Fertigprodukten eignet: Der hohe Schmelzpunkt macht es bei Raumtemperatur fest und hält es gleichzeitig geschmeidig. Palmöl steckt deshalb in jedem zweiten Supermarktprodukt,24 vor allem in Fertigessen: in Schokoriegeln, Nuss-Nougat-Creme, Schokoguss, abgepackterWurst, Margarine, Tütensuppen, Würzmischungen, Tiefkühlpizza, Fertigteig, Keksen, Salatdressings, Soßenpulver, Pralinen, Eis, Aufbackbrötchen und so weiter und so weiter. Darüber hinaus wird es für Babynahrung, Duschgel und Seifen verwendet, für Bodylotion, Sonnenmilch, Shampoo, Make-Up, Wimperntusche, Lippenstifte, Putz- undWaschmittel, Medikamente, Kerzen, Farben und Lacke. Es wird in Agrartreibstoffen wie Biodiesel eingesetzt und in der Massentierhaltung verfüttert. Seit die Biobranche sich immer mehr dem Mainstream anpasst, wächst auch die Zahl der Industrieprodukte in Bio-Supermärkten, die Palmöl enthalten: Bereits 2010 fand Rettet den Regenwald in mehr als 500 verschiedenen Bio-Produkten Palmöl.25

Palmölplantagen sind die am schnellsten sich ausbreitenden Monokulturen der Welt. Fast 90 Prozent des Palmöls stammen aus Indonesien und Malaysia, doch die Plantagen wachsen auch in Papua26, Thailand, auf den Philippinen, in Lateinamerika. Auch in West- und Zentralafrika weisen die Regierungen bereits riesige Gebiete für Plantagen aus.27 Der größte Palmölproduzent derWelt ist Indonesien – etwa die Hälfte des weltweit produzierten Palmöls stammt von diesem Inselstaat. Hier wachsen die Ölpalmen auf 135 000 Quadratkilometern: eine Fläche, dreieinhalb Mal so groß wie die Schweiz, die zuvor von Regenwaldbewachsen war. Genau das ist das Problem: Die tropischen Pflanzen werden dort angebaut, wo vorher wertvoller Wald gestanden hat. Laut Greenpeace ist in Indonesien keine Branche stärker an der Regenwaldrodung beteiligt als die Palmölindustrie.28

Eine nationale wie globale ökologische Tragödie: Der indonesische Regenwald beherbergt 15 Prozent aller bekannten Arten an Pflanzen, Säugetieren und Vögeln der Erde. Die internationale Artenschutzorganisation IUCN bezeichnet die wachsenden Palmöl-Monokulturen als größte Bedrohung für das Überleben seltener Tierarten.29 180 davon, Waldelefanten, Tiger und Orang-Utans, sind dort bereits vom Aussterben bedroht. Trotzdem plant Indonesien, die Produktion von Palmöl bis 2020 auf 40 Millionen Tonnen zu steigern und die Anbauflächen dafür zu verdoppeln.30 Für das Schwellenland ist Palmöl nach Kohle und Erdgas das drittwichtigste Exportprodukt. Doch der Palmölboom hat dem südostasiatischen Land eine zweifelhafte globale Spitzenposition eingebracht: Indonesien hat Brasilien als Waldvernichter Nummer eins weltweit abgelöst.31

Eigentlich gehört Nordin ins Bett, er hustet schrecklich und glüht vor Fieber. Trotz Grippe hat er sich ins Büro geschleppt. Wenn es um seinen Kampf für den Regenwald geht, lässt er sich von nichts aufhalten. Weil aber auch seine Frau und seine drei Kinder krank zuhause im Bett liegen, überlässt er seinem Partner Udin für die nächsten Tage den blauen Pick-up. Und so fahren Udin und ich nach Sembuluh, in das Dorf am gleichnamigen See. Fast sieben Stunden Autofahrt für etwas mehr als 300 Kilometer. Die Straßen sind kurvig, führen über unzählige Hügel und sind in schlechtem Zustand. »Besser, du hältst dich gut fest«, sagt Udin und lacht, »sonst gibt es blaue Flecken.« Jedes Mal, wenn wir über ein Schlagloch holpern oder Hühnern auf der Straße ausweichen, hopst die Plüschfigur von Patrick Star, dem tollpatschigen, gutgläubigen Seestern aus der Cartoonserie Sponge-Bob Schwammkopf, der am Rückspiegel hängt, auf und ab. Von Udins USB-Stick laufen Peter Cetera, Chicago, Brian Adams und die Scorpions.

Dass wir uns den Palmölplantagen nähern, kündigen bald die schweren Lkws an, die uns entgegenkommen: orangefarbene Tankwagen mit der Aufschrift »CPO«, Crude Palm Oil, rohes Palmöl, und gelbe Lastwagen, auf denen sich die riesigen rotbraunen Palmfrüchte stapeln. Sie sehen aus wie gigantische überreife Ananas. Sie müssen schnell verarbeitet werden, denn 24 Stunden nach der Ernte zersetzt sich das Fett und die Früchte verrotten. Deshalb der pausenlose Schwerverkehr, der die ganzen Schlaglöcher verursacht.

Die Ölpalme, die so banal aussieht, als hätte sie ein Kind gemalt, stammt aus Afrika und gedeiht auch im feuchtheißen Klima Südostasiens sehr gut. Europäische Kolonialherren brachten sie nach Indonesien und Malaysia. Der Inselstaat hieß damals »Niederländisch-Indien« und war eine der ersten holländischen Kolonien. Bereits 1848 wurden Samen der Ölpalme in den botanischen Garten nach Bogor südlich der indonesischen Hauptstadt Jakarta gebracht, 1911 ließen die niederländischen Herrscher die ersten kommerziellen Plantagen auf Sumatra errichten.32 Viele Jahre war Malaysia Hauptproduzent von Palmöl, bis der indonesische Diktator Haji Mohamed Suharto den industriellen Anbau von Ölpalmen in seinem Land vorantrieb – unterstützt von ausländischen Investoren, Weltbank33 und etlichen Konzernen. Die Militärregierung, die 1965 durch einen Putsch an die Macht kam, vergab umfassende Konzessionen an staatlich kontrollierte Holz- und Palmölkonzerne – in der Hoffnung auf ausländische Direktinvestitionen und Devisen. Erst wurde dort der Regenwald gerodet und tropisches Edelholz in alle Welt verkauft. Die restliche Urwaldvegetation, die nicht zu Geld zu machen war, wurde niedergebrannt, um Platz für Monokulturen zu schaffen, die mit dem Geld aus dem Edelholzhandel finanziert wurden.

Udin hält auf der Kuppe eines Hügels an, wir steigen aus und schauen ins Tal. Eine monotone grüne Fläche zieht sich in alle Richtungen bis zum Horizont: Palmölplantagen. Ich habe gerodeten Regenwald und Ölpalmen-Monokulturen schon auf vielen Bildern von NGOs und in Dokumentarfilmen gesehen. Doch als wir jetzt auf das dunkelgrüne Dach schauen, das die Hügel und Senken bedeckt, wird mir mulmig. Die sture Gleichförmigkeit der Plantagen hat etwas Einschüchterndes. Wir sagen beide kein Wort.

Der Distrikt, durch den wir seit Stunden Richtung Sembuluh fahren, heißt Kotawaringa. Hier ist bereits die Hälfte des Landes mit Ölpalmen bepflanzt. Von der Hauptstraße biegen wir ab auf eine rote Sandpiste in die Plantagen hinein. Wir fahren vorbei an aufgerissenen Böden, zerfurcht von Baggerraupen, übersät von Erdklumpen, zwischen denen nur noch Baumstümpfe, dünne Stämme und Gestrüpp ragen. Palmenwald wechselt sich ab mit zerstörten Landflächen, auf denen zwischen Farn und Gras neu gepflanzte Mini-Palmen wachsen. Dazwischen immer wieder Gräben, in denen brackig graugrünes Wasser steht. Eine menschenleere Monotonie zieht vor den Fenstern vorbei, kein Vogel fliegt in den Himmel; so geht es weiter, bis es dämmert. Das einzige Lebenszeichen sind Tanklaster und die gelben Lkws voller Früchte. Schwerfällig und schwankend kriechen sie auf der holprigen Piste aneinander vorbei. Auf den Palmwedeln am Rand der Plantagen sammelt sich in dicken Schichten der rote Staub, den sie aufwirbeln, während sie auf dem Grab des Regenwaldes herumtrampeln: Denn nachdem die Palmölfirmen die Regenwaldbäume umgelegt hatten, haben sie die wertlosen hier verscharrt und rote Erde darüber aufgeschüttet.

Die Stämme sollten den morastigen Regenwaldboden stabilisieren, denn die Palmölplantagen wachsen auf gerodeten Torfmoorwäldern und Torfböden. Udin zeigt auf eine Reihe großer, alter Ölpalmen, deren Stämme sich zu Boden neigen, so, als würden sie sich erschöpft schlafen legen. »Daran kann man erkennen, dass das hier Torfböden waren. Sie sinken ein.« Laut der NGO Sawit Watch! sind 110 000 der 135 000 Quadratkilometer Palmölplantagen in Indonesien auf Torfböden angelegt. Allein in Zentralkalimantan, wo sich mehr als drei Viertel aller Torfböden Südostasiens befinden, hat die Regierung ein Viertel davon für Plantagen-Konzessionen freigegeben.34

Ein ökologisches Desaster, denn Torfböden sind wichtige Kohlenstoffspeicher. Torfmoorwälder speichern bis zu 50-mal so viel Kohlenstoff wie Regenwald auf gewöhnlichem Boden: 3 000 bis 6 000 Tonnen pro Hektar. Wird Regenwald auf Torfboden abgeholzt – oder, schlimmer noch: verbrannt – entweicht nicht nur eine gewaltige Menge CO2 in die Atmosphäre, sondern auch Methan, 25 Mal klimaschädlicher als CO2. Die Zerstörung von Torfmoorwäldern weltweit trägt mit mehr als drei Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr zum Klimawandel bei: das ist die Hälfte des CO2-Ausstoßes der USA. Wegen der rasanten Vernichtung von Regenwald ist Indonesien für acht Prozent der weltweiten Kohlenstoff-Emissionen verantwortlich. Das macht Indonesien mit 150 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr zum drittgrößten CO2-Emittenten der Welt.35

Daran schuld ist auch, man glaubt es kaum: der Klimaschutz. Denn diese fatale Entwicklung ist nicht zuletzt der europäischen Agrartreibstoffpolitik zum Zweck der CO2-Reduktion zuzuschreiben.

2. Richtlinie 2009/28/EG – die Vernichtungsverordnung aus Brüssel

Nicht an den Ursachen des Klimawandels zu rühren – also am Energie und Rohstoffe verschlingenden westlichen Lebensstil –, sondern den »schlechten« fossilen Treibstoff einfach durch »guten« pflanzlichen auszutauschen, ist geradezu paradigmatisch für die Ideologie des grünen Kapitalismus, in dessen Logik Umweltpolitik industriellen und geopolitischen Interessen folgen muss: Unter dem Deckmantel des Klimaschutzes werden neue Rohstoffquellen gesichert, denn Biodiesel, der Palmöl enthält, soll vor allem die Abhängigkeit vom Erdöl verringern und die wachsende Mobilität gewährleisten.

Pflanzenöl wurde schlicht deshalb als nachhaltig deklariert, weil der Rohstoff nachwächst. Und Energie aus Pflanzen wie Mais, Raps, Zucker, Soja und Palmöl, so die schöne Theorie, sei »klimaneutral«, weil bei der Verbrennung nicht mehr Kohlendioxid freigesetzt würde, als die Pflanze vorher gebunden habe. Die Bezeichnung »Bio« aber ist dabei vollkommen irreführend: Ein ökologischer Anbau von Ölpalmen ist nicht möglich für den riesigen und stetig steigenden Bedarf. Diesen können ausschließlich jene gigantischen und intensiv bewirtschafteten Monokulturen stillen, durch die Udin und ich ernüchternde Stunden und Tage in Zentralkalimantan fahren.36

Die Geschichte des grünen Wahnsinns begann im Jahr 2000. Damals diskutierte die Europäische Kommission die Förderung von Agrarsprit,37 die schließlich 2003 in die entsprechende EU-Richtlinie mündete. Darin verpflichteten sich die Mitgliedstaaten dazu, rechtliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, dem in der EU verkauften Kraftstoff einen Mindestanteil Biokraftstoff beizufügen – das war die Grundlage für die heftig umstrittene Beimischungsquote,38 mit der auch die Vorgaben des Kyoto-Protokolls zur Treibhausgasreduktion eingehalten werden sollten. Das Klimaschutzprotokoll der Vereinten Nationen, das im Dezember 1997 beschlossen wurde und im Februar 2005 in Kraft trat, war das erste Abkommen, das völkerrechtlich verbindliche Ziele zur Treibhausgasreduktion der Industrieländer vorschrieb.39

Festhalten am Wohlstandsmodell: Diese Priorität ist bereits am Anfang des 119-seitigen Diskussionspapiers festgeschrieben, das als Vorlage für die entsprechende Verordnung und Richtlinie diente: »Die langfristige EU-Strategie für die Energieversorgungssicherheit muss im Hinblick auf das Wohl der Bürger und der Wirtschaft sicherstellen, dass Energieträger fortlaufend und zu für alle Verbraucher (Privathaushalte und Industrie) verkraftbaren Preisen auf dem Markt zur Verfügung stehen.«40 So steht es im Grünbuch »Hin zu einer europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit« der EU-Kommission. Ach ja: »Umwelterwägungen und das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung, das im Vertrag über die Europäische Union festgeschrieben ist, (sind) zu berücksichtigen.« »Erwägungen« sind »zu berücksichtigen«. Vielleicht. Mal sehen. Schaumermal.

Das Papier schlug sogar vor, den Anteil der Biokraftstoffe in Europa bis zum Jahr 2020 auf mehr als 20 Prozent anzuheben. Das Motiv für diesen Ehrgeiz war jedoch nicht der Klimaschutz, sondern die Annahme, der Verkehrssektor in Europa würde bis 2010 jedes Jahr um zwei Prozent wachsen.41

Autofahren ist – direkt nach dem Fliegen – die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Der globale Transportsektor ist für mindestens 14 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dringender denn je wäre es nötig, Verkehr und Energieverbrauch zu reduzieren. Das aber stand und steht bis heute nicht ernsthaft zur Debatte.

Vor dem Import tropischer Öle ging es zunächst um den verstärkten Anbau sogenannter Energiepflanzen wie Mais, Raps oder Rüben in Europa. Die Beimischungsquote von Pflanzenrohstoffen zu Benzin und Diesel sollte – hoch subventioniert – die europäische Landwirtschaft ankurbeln.42 2006 beschloss die Regierung mit dem Biokraftstoffquotengesetz eine Beimischung von fünf Prozent. »Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts, der Landwirt zu Energiewirt«, triumphierte Trittin in einer Ruckrede bei einer Lobbyveranstaltung der Agrartreibstoffindustrie,43 die sich auf glänzende Geschäfte in den folgenden Jahren freuen durfte: Wer nichts wird, wird Energiewirt.

Bald stellte sich heraus, dass der Plan, sich selbst mit Agrartreibstoffen zu versorgen, weder für Deutschland noch für die EU aufging: Selbst für die Beimischungspflicht von fünf Prozent wäre in Europa nicht genug Fläche für Mais, Raps und Rüben für den Tank vorhanden. Würde man den bis 2020 angestrebten Anteil von zehn Prozent Biosprit nur im deutschen Verkehr und nur mit Biosprit made in Germany decken, benötigte man mehr als ein Viertel der Ackerflächen hierzulande.44

Man muss keine Mathe-Granate sein, um sich auszurechnen, dass es womöglich keinen Platz mehr für den Anbau von Essen gäbe, wenn auf den Äckern zunehmend Treibstoff und Lebensmittel wüchsen, die verfeuert würden. Schon gar nicht in den sogenannten Schwellen- und Entwicklungsländern: Dass also für den Anbau von Soja und Zuckerrohr in Brasilien oder Palmöl in Indonesien, Malaysia und Kolumbien Wälder und landwirtschaftliche Flächen geopfert werden, die dringend für den Anbau von Nahrungsmitteln benötigt würden, dass der Anbau der neuen Cash Crops wiederum zu Exportabhängigkeit, Ausbeutung, Landraub, Vertreibung, Lebensmittelknappheit, also zu Armut und Hunger auf der einen und zu Erosion und Degradierung von Böden, Wasserknappheit und -verschmutzung infolge von Dünger und Pestiziden auf der anderen Seite führe, wiesen zahlreiche Studien nach.45 Entwicklungsorganisationen wie Oxfam, Misereor und Brot für die Welt, NGOs und Umweltschutzgruppen liefen im Verbund mit lokalen Bewegungen des Südens Sturm gegen die EU-Agrarrohstoffpolitik: Im Juli 2007 forderten ca. 150 internationale Organisationen ein sofortiges Moratorium der EU für Biokraftstoffe und Bioenergie.46

Und die Kritik kam nicht nur aus dem Öko-Lager: Die Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) belegte 2007, dass trotz Rekordernten im selben Jahr die Preise für Getreideimporte in armen Ländern angestiegen waren.47 Beinahe zeitgleich legte die internationale Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) eine Untersuchung vor, die ebenfalls zeigte, dass die Subventionen für Biosprit die Lebensmittelpreise in die Höhe trieben.48 Als die Hungerkrise infolge gestiegener Nahrungsmittelpreise 2008 in 30 Ländern zu Hungerrevolten führte, sprach sich selbst der damalige Präsident des Internationalen Währungsfonds IWF, Dominique Strauss-Kahn, für einen Anbaustopp von Energiepflanzen aus. Biosprit sei angesichts der Hungerkrisen »ein echtes moralisches Problem«.49

Laut Oxfam hätte die in der EU 2008 genutzte Anbaufläche für Biokraftstoffe ausgereicht, um 127 Millionen Menschen das gesamte Jahr hindurch zu ernähren.50 Schließlich sorgte eine Studie der Weltbank für Aufsehen, die die US-Regierung unter Georg W. Bush offenbar unter Verschluss gehalten hatte. Danach habe die Biosprit-Förderung in den USA und der EU weltweit maßgeblich die Preise für Getreide in die Höhe getrieben.51 Dabei hatten gerade die Weltbank und ihre Tochter, die International Finance Corporation, etliche Millionen Dollar in gigantische Palmölprojekte in Indonesien und Honduras sowie in Kredite für den Sojaanbau oder für Zuckermühlen in Brasilien gesteckt.

Doch allen Warnungen und Widerständen auch aus den Ländern des Südens zum Trotz hielt die EU an der verpflichtenden Beimischungsquote fest. Weder der Energie- noch der Umweltausschuss des Europaparlaments konnten sich mit ihren Anträgen auf Streichung der Beimischungspflicht durchsetzen.52 2009 wurde die EU-Richtlinie 2009/28/EG zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen – kurz: RED (Renewable Energy Directive) – verabschiedet. Damit wurde sowohl eine Beimischungsquote von zehn Prozent bis 2020 als auch – völlig konträr zum ursprünglichen Plan der Energiesouveränität – die Importabhängigkeit von Agrarroh- und Biokraftstoffen aus den Ländern des Südens festgeschrieben: Bereits 2008 musste fast die Hälfte des verwendeten Biosprits und der Agrarrohstoffe zu deren Herstellung importiert werden.53

Heute ist die EU der drittgrößte Importeur von Palmöl, der größte Teil des nach Europa gelieferten Rohstoffs geht nach Deutschland, das sich in seiner angeblichen »Vorreiterrolle im Klimaschutz« gut gefällt. Zwischen 2006 und 2013 ist der Palmölverbrauch für Agrarsprit in der EU um 365 Prozent von 0,4 Millionen auf 1,9 Millionen Tonnen pro Jahr gestiegen. Die dafür benötigten Plantagen nehmen eine Fläche doppelt so groß wie Mallorca ein.

Weil der »Acker zum Bohrloch des 21. Jahrhunderts« werden sollte, ist Indonesien zum Saudi-Arabien des Palmöls geworden. »Allein die Ankündigung der gesetzlichen Beimischungsquote hat dort für einen Expansionsboom der Palmölplantagen gesorgt«, sagt Indonesien-Expertin Marianne Klute vom Denkhaus Bremen, die viele Jahre für die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! gearbeitet und in Indonesien gelebt hat. Zum Vergleich: Mitte der Achtzigerjahre wurden in Indonesien auf einer Fläche von 5 000 Quadratkilometern Palmöl angebaut. Heute ist die Fläche mit 135 000 Quadratkilometern 27 Mal so groß.54

3. Sembuluh, der sterbende See

Man verliert jedes Zeitgefühl, wenn man durch die nicht enden wollende grüne Ödnis fährt. Gelegentlich nicke ich ein und wache regelmäßig davon auf, dass mein Kopf gegen die Autodecke schlägt, weil wir über ein Schlagloch rumpeln. »It’s hard for me to say I’m sorry«, singt, schon wieder, Peter Cetera, und irgendwie passt das Lied immer. »Gleich sind wir in Sembuluh«, sagt Udin. »Woran siehst du das?«, frage ich, denn die Landschaft hat sich seit Stunden nicht verändert. Nur dass die Palmwedel jetzt wie schwarze Keile in den roten Abendhimmel ragen. Statt einer Antwort tritt Udin aufs Gas, und plötzlich taucht zwischen den Palmen ein Gebäude auf, »PT Mustika Sembuluh« steht auf einem Schild. Das Unternehmen hat im südlichen Teil Zentralkalimantans Konzessionen für 220 Quadratkilometer Palmölplantagen. Der Großteil ist bereits bepflanzt wie die Plantage, die wir gerade durchqueren.55 »Besser, die sehen uns hier nicht«, sagt Udin, während wir durch die aufgewirbelte Staubwolke brausen. Nordins blauer Geländewagen ist rund um den Sembuluh-See gut bekannt, vor allem bei den Palmölfirmen, denen der Aktivist und seine Leute ein Dorn im Auge sind. Denn zusammen haben sie es geschafft, dass die Provinzpolizei von Zentralkalimantan wegen Landkonflikten, illegaler Abholzung und Brandrodung Untersuchungen gegen zehn Palmölkonzerne eingeleitet hat – darunter auch gegen Wilmar International, den größten Palmölkonzern der Welt.56 Außerdem haben sie mit lokalen wie internationalen Kampagnen und organisiertem Widerstand Wilmar daran gehindert, auf acht Konzessionen abzuholzen. Kein Wunder also, dass das blaue Auto von Save our Borneo hier nicht gern gesehen ist: Denn PT Mustika Sembuluh ist eine der 18 Tochterfirmen von Wilmar, die in Zentralkalimantan aktiv sind.57 Nordin habe sogar schon Morddrohungen bekommen, als er hier gesichtet wurde, sagt Udin.

Der Palmölgigant Wilmar mit Hauptsitz in Singapur und geschätzten 50 Tochterfirmen58 ist mit einem Umsatz von 44 Milliarden US-Dollar und 90 000 Mitarbeitern einer der größten und reichsten Konzerne in Südostasien und der größte Händler von Palmöl weltweit – fast die Hälfte des global gehandelten Palmöls stammt von Wilmar. Er besitzt die meisten Palmölplantagen in Indonesien und im malaysischen Teil von Borneo. Allein in Zentralkalimantan hat Wilmar Konzessionen für Palmölplantagen auf einer Fläche fünfeinhalb mal so groß wie der Bodensee,59 in ganz Kalimantan sollen es doppelt so viele sein. Etwa die Hälfte davon ist bereits bepflanzt.60 Außerdem ist der Konzern der größte Biodiesel-Hersteller Indonesiens und der weltgrößte Hersteller und Exporteur von Biodiesel aus Palmöl. Laut Biofuels Watch ist der Biosprit-Primus Europa auch der größte Handelspartner von Wilmar.61 Internationale Financiers und Shareholder sichern die Marktmacht von Wilmar ab. Dazu gehören US-amerikanische und europäische Großbanken wie ABN Amro, Bank of America, Barclays, Black Rock, Citigroup, Deutsche Bank, Goldman Sachs, HSBC und J. P. Morgan.62 Jahrelang unterstützte auch die Weltbank Wilmar mit Krediten in Höhe von insgesamt 146 Millionen US-Dollar. Obwohl der Konzern auch eine Filiale im niedersächsischen Brake besitzt, ist Wilmar in Deutschland recht unbekannt.

Die Namen der Produkte, für die das Palmöl des Konzerns verwendet wird, sind dafür umso geläufiger: Es steckt in Rama, Bifi, Knorr-Suppen, Magnum-Eis und Dove Duschgel63, Choco Crossies, Original Wagner Pizza, Fünf-Minuten-Terrine und Maggi Meisterklasse,64 in Ariel, Meister Propper, Lenor65 und in Teelichtern von Ikea, 48 Stück für 1,99 Euro.66 Wilmar ist Hauptlieferant von Unilever und versorgt auch Nestlé, Procter&Gamble, Cargill und Ikea mit Palmöl.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die ökonomischen Erfolge von Wilmar eine dunkle Seite haben. Denn der Anbau von Ölpalmen ist nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Katastrophe. Zwischen 45 und 70 Millionen Indigene leben in Indonesien, drei Viertel von ihnen sind von den Wäldern abhängig, die den Palmölplantagen weichen müssen. Geschätzte 5 000 bis 7 000 ungelöste Landkonflikte gibt es deshalb in Indonesien. Einen großen Teil davon hat die Palmölindustrie verursacht. Von den oft illegalen Rodungen sind vor allem Indigene betroffen, die von Land vertrieben werden, das ihnen nach Indigenenrecht gehört. Allein dem Konzern Wilmar werden mindestens 100 solcher Landkonflikte zugeschrieben, die bis heute ungelöst sind.67 All das hat sich in der Welt herumgesprochen: Im Umwelt-Ranking der US-amerikanischen Newsweek schaffte es Wilmar 2011 und 2012 auf den letzten Platz und ist damit der am wenigsten umweltfreundliche der bewerteten 500 größten Konzerne der Welt.68

Als wir das Holzhaus von Pak Wardian erreichen, ist es schon dunkel. Die Ölpalmen wachsen fast bis an die Veranda, auf der uns der 60-Jährige schon mit süßem heißen Tee erwartet. Er trägt ein orangefarbenes T-Shirt, auf dem in blauer Schrift steht »Sumber Daya Alam Untuk Rakyat«, das bedeutet »Natürliche Ressourcen für die Menschen«. Pak Wardian ist ein Freund von Nordin und Udin, seit Jahren unterstützt deren Initiative Save our Borneo die Gemeinden rund um den See in ihrem Kampf gegen die Palmölunternehmen. Im District Seruyan, wo Sembuluh liegt, ist Wilmar mit zwölf Tochterfirmen vertreten.69 Drei davon, PT Mustika Sembuluh, PT Rimba Harapan Sakti und PTKerry Sawit, machen den Gemeinden besonders zu schaffen. Die werfen den Firmen Landraub und Umweltverschmutzung vor.

Die meisten der 7 000 Menschen, die um den See herum leben, sind Dayak, Ureinwohner Indonesiens, so auch Pak Wardian. Seit 150 Jahren leben sie schon hier, die längste Zeit davon im Einklang mit der Natur. Pak Wardian wurde in Desa Sembuluh geboren. »Der Wald, den man uns genommen hat, ernährte uns und unsere Ahnen«, sagt Pak Wardian. Sie bauten Gummibäume an und verkauften Kautschuk, flochten Körbe und Möbel aus Bambus und Rattan, pflanzten Reis, Bananen und Gemüse und ernteten Kokos und Mango. Aus dem festen, roten Holz der Eisenholzbäume bauten sie große Schiffe, die Holz und Waren über das Meer nach Java brachten. Diese Möglichkeiten der Selbstversorgung sind zusammen mit den Wäldern vernichtet worden. Selbst Friedhöfe der Indigenen hätten die Bagger zerstört. Bis ans Ufer wachsen nun die Monokulturen rund um den See. Es gibt kaum mehr Holz für die Boote, und im See leben nur noch wenige Fische. Denn über die Wasserläufe sind Pestizide und das ungefilterte Abwasser der fünf Ölmühlen in den See geflossen, der inzwischen verseucht ist. Die Uferbewohner haben nun Hautkrankheiten und Probleme mit den Nieren, mit Magen und Darm. Viele sind gezwungen, sich mit dem Wasser aus dem See zu versorgen, denn durch die Trockenlegung der Torfböden sind die Brunnen versiegt. Das ganze Land leidet unter Wassermangel, den es in Indonesien so noch nie gab. Denn die Böden, auf denen die Ölplantagen wachsen, speichern kein Wasser mehr.

»Wir haben unser Land immer geliebt«, sagt Pak Wardian, »aber wir können es nicht mehr lieben. Es ist vergiftet wie unser Wasser. Es macht uns krank.«

Es ist mehr als zwanzig Jahre her, dass Pak Wardian zum ersten Mal hörte, dass das Palmöl in seine Heimat komme. »Da habe ich erst einmal Bäume auf mein Land gepflanzt.« Jahrelang wehrten sich die Menschen in Sembuluh gegen die Landnahme. Sie zerstörten die fast 50 Meter lange Holzbrücke, die die Palmölfirma PT Agro Indomas baute, die als Erstes hier eindrang. Sie besetzten wochenlang ihr Land, errichteten Straßenblockaden und brachten Traktoren, Bagger und schweres Gerät in ihre Gewalt. Sie wurden ihrerseits von der Polizei belagert und gewalttätig unter Druck gesetzt. Einige Familien standen buchstäblich auf einmal vor dem Nichts, als sie sehen mussten, dass die Firmen über Nacht ihren Wald komplett abgeholzt oder abgebrannt hatten. Zu den Verantwortlichen der Zerstörung gehörten auch die Wilmar-Töchter PT Mustika Sembuluh und PT Rimba Harapan Sakti. Heute sind laut Save our Borneo 80 Prozent des Landes rund um den See in der Hand von Konzernen.

»Es ist genauso wie in der Kolonialzeit«, sagt Pak Wardian, zieht an seiner knisternden Kretek, der indonesischen Nelkenzigarette, und bläst den Rauch, der süß und würzig nach Lebkuchen riecht, in die schwarze Tropennacht. »Nur dass die neuen Kolonialherren jetzt unsere eigenen Brüder sind. Kannst du dir das vorstellen?« Er lacht laut und düster, fast so wie der Taxifahrer am Morgen.

»Sie haben uns große Dinge versprochen, sie haben gesagt, das Palmöl bringe Jobs und Wohlstand. Aber in Wahrheit hat es uns Arbeitslosigkeit und Armut gebracht.«

Immer wieder behaupten Regierung und Palmölindustrie, die Menschen auf dem Land würden vom Palmöl profitieren. Tatsächlich wird beinahe ein Drittel der indonesischen Palmölplantagen von Kleinbauern bewirtschaftet. Sie arbeiten allerdings meist als Vertragsbauern im sogenannten Nukleus-Plasma-System. Dahinter verbirgt sich nichts weiter als legalisiertes Landgrabbing, das schließlich in einer Form von Sklavenarbeit mündet: Kleinbauern werden dazu überredet, ihre Gewohnheitsrechte an ihrem Land an die Palmölfirma abzutreten, die ihnen im Gegenzug das Landrecht für zwei Hektar mit Ölpalmen am Rand (Plasma) der Plantage (Nukleus) plus einen halben Hektar für Haus und Garten abgibt. So sollen sie sich selbst versorgen können und mit der Bewirtschaftung der Mini-Plantage Geld verdienen. Das mag in der Theorie gut klingen. Doch die Realität sieht anders aus: In den drei bis vier Jahren, die die Palmen wachsen müssen, bis sie Früchte tragen, sind die Kleinbauern auf einen Kredit von umgerechnet 1 500 Dollar angewiesen, den ihnen die Firma gewährt – mit einem Zinssatz von 15,5 Prozent. Außerdem müssen sie Dünger und Herbizide selbst bezahlen, manchmal sogar die Ölpalmensetzlinge. Die meisten von ihnen landen deshalb in der Schuldenfalle und bleiben ihr Leben lang abhängig von der Palmölfirma, an die sie per Vertrag und zu miserablen Preisen liefern müssen. Von ihrer harten Arbeit können sie freilich nicht leben: Sie verdienen nur geschätzte 500 Dollar im Jahr.70

Aber oft genug wird den Menschen unter dem Vorwand, sie würden Plasma bekommen, ihr Land abgeluchst, sagt Pak Wardian. So auch in Desa Sembuluh. Nicht einmal ein Viertel der Menschen in Sembuluh habe Arbeit in den Plantagen bekommen, sagt Pak Wardian. »Und selbst wenn, dann bist du Knecht auf deinem eigenen Land.« Oder Dieb im eigenen Haus: Pak Wardian hat aus Wut und Protest Ölfrüchte von dem Land geerntet, das ihm genommen wurde. Dafür saß er ein halbes Jahr im Knast – obwohl ihm die Ölfrüchte eigentlich gehören, sie wachsen schließlich auf seinem Land. In Indonesien sitzen Hunderte widerständiger Bauern im Gefängnis, denen man vorwirft, Palmölfrüchte gestohlen zu haben oder die Gemeinden aufzuwiegeln.

Die Kriminalisierung der Palmölopfer ist ein gängiger Versuch, ihren Widerstand zu brechen. Dabei erhalten die Palmölherren Unterstützung von Polizei und Militär und auch von lokalen Politikern. Wer dabei nun wessen Scherge ist, das ist im mafiösen und korrupten Milliardengeschäft Palmöl kaum auszumachen.

Als die ersten Bagger ihr Zerstörungswerk begannen, hatte Pak Wardian etwas, das man als spirituelles Erlebnis beschreiben kann: »Ich wusste plötzlich, dass ich Menschen heilen muss.« Er macht denen, die zu ihm kommen, Heilmassagen und legt ihnen Verbände mit Heilkräutern aus seinem Wald an. Die Menschen hier schätzen Pak Wardian wie einen Vater. Er hat selbst fünf Kinder großgezogen und ihnen beigebracht, von ihrem Land zu leben. Jetzt schärft er ihnen ein, für ihr Land zu kämpfen, damit jahrhundertealtes Wissen, wie man sich selbst versorgt, nicht verloren geht. Vor fünf Jahren hat er mit 40 anderen Dorfbewohner 14 Quadratkilometer Land besetzt und den Palmölfirmen abgetrotzt. Das ist wenig im Vergleich zu früher, als jeder Haushalt Land von der Größe eines Fußballfeldes hatte. Das besetzte Land kann die 2 000 Familien nicht ernähren. Trotzdem ist es für sie ein Erfolg, ein wirkmächtiges Symbol im Kampf gegen die Palmölindustrie.

Pak Wardians Handy klingelt. Am anderen Ende der Leitung ist eine aufgeregte Stimme zu hören. Ein Mann aus dem Dorf hat ein grelles Licht aus einem vorbeifahrenden fremden Auto gesehen, so, als hätte ihn jemand fotografiert. Sofort springen Udin und zwei von Pak Wardians Söhnen auf und fahren ins Dorf. Als sie eine Stunde später zurückkommen, geben sie Entwarnung. Es war nur ein Missverständnis. Aber eines, das deutlich zeigt, wie nervös die Menschen hier sind. Wie eine ätzende Flüssigkeit frisst sich das Palmöl tief in ihre Seelen, es greift ihren Stolz an, erstickt ihre Gemeinschaft und zersetzt ihre Freiheit. Es zwingt sie zu einem Leben, das sie nicht führen wollen, und