Wir müssen leider draußen bleiben - Kathrin Hartmann - E-Book

Wir müssen leider draußen bleiben E-Book

Kathrin Hartmann

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Beschreibung

Solidarität war gestern – Leben in einem gespaltenen Land

Immer mehr Bürger in Deutschland sind vom wirtschaftlichen Reichtum des Landes ausgeschlossen. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigjobs und Zeitarbeit befinden. Früher konnten sie sich nicht nur der sozialstaatlichen Unterstützung, sondern auch einer gewissen Solidarität sicher sein. Doch damit ist es nun vorbei. Wer nicht mehr mitkommt in unserer Wirtschaft, ist selber schuld. Reflexhaft werden ihm Bildung, soziale Kompetenz oder gar der Arbeitswille abgesprochen. Die Intellektuellen gewöhnen sich an, die Verlierer der entfesselten Konkurrenz nach ästhetischen Kriterien („Billigkonsum“ und „Unterschichten-TV“) abzuurteilen. Die abstiegsbedrohte Mittelschicht übernimmt diese Sicht. Dabei ist die Armut – die heute natürlich ein anderes Gesicht hat als früher – längst in dieser Mitte unserer Gesellschaft angekommen.

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KATHRIN HARTMANN

WIR

MÜSSEN

LEIDER

DRAUSSEN

BLEIBEN

Die neue Armut in der

Konsumgesellschaft

BLESSING VERLAG

1. Auflage 2012

Copyright by Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN: 978-3-641-07308-4

www.blessing-verlag.de

Für Oliver und meine Eltern

Inhalt

1. Kultivierter Hass

Warum die Konsumgesellschaft ihren Bestand durch Ausgrenzung sichert und die Mittelschicht sich nach oben orientiert, während sie nach unten tritt

Am Stammtisch der Mittelschicht – Armut in der Konsumgesellschaft – Das Missverständnis der »relativen Armut« – Der Mythos vom Sozialschmarotzer – Die Konstruktion der Nutzlosen und die Kriminalisierung der Armen – Die Verrohung des Bürgertums – Soziales Stockholmsyndrom und die Folgen

2. »…dann sollen sie doch Kuchen essen!«

Überschuss für die Überflüssigen: Wie die Tafeln arbeiten und was sie bewirken

Almosen statt Umverteilung – Überschuss für die Überflüssigen – Vom Müll in den Magen – Kunden ohne Rechte – Freiwillige und unfreiwillige Entsorger des Wohlstandsmülls – Supermärkte als Profiteure der Lebensmittelverschwendung – Die Zerstörung des Essens und der globale Hunger – Moralische Strategien der Handelskonzerne – Hungerarmut auch in Deutschland – Wie das »Wirtschaftswunder Tafel« die Armut verdeckt – Die Tafeln und die Politik – Kritik unerwünscht – Letzter Ausweg Suppenküche – Warum die Wirtschaftselite die Tafelidee propagiert – Ausschluss der Ausgeschlossenen – Die Disziplinierung der Armen – Dankbarkeit als Währung

3. Von der Gentrifizierung zur Gated Community

Wie in den Städten Arme durch Wohlhabende verdrängt werden und warum die Politik dies befördert

Aufstand der Spießerpunks – Krieg der Lebensstile – Letzte Stufe der Verdrängung: Supergentrifizierung – Gute Adressen gegen den sozialen Abstieg – Arkadien hinter Mauern – Schöner wohnen im Krisengebiet – Wenn die Kulisse lebendig wird – Die Stadt als Unternehmen – Frankfurt: die Vertreibung aus dem Einkaufsparadies

4. Die Macht der Eliten

Warum sich die Reichen aus der Gesellschaft verabschiedet haben und wie sie um ihren Vorteil kämpfen

Der skrupellose Kampf der Reichen für »ihr« Gymnasium – Besitzstandswahrung gegen sozial Schwache – Die Angst der Mittelschicht als Waffe – »Eliteförderung« statt Bildungsgerechtigkeit – Der Mythos der Leistungsgerechtigkeit – Elitisierung der Politik – Wie die Politik die Reichen bevorteilt – Reich durch sanktionierten Steuerbetrug – »The Giving Pledge«: Philantropisierung des Reichtums

5. Endlich sagt’s mal einer!

Wie das Feuilleton die Rechte der Etablierten verteidigt

Bürgerkinder in den Redaktionen – Dominik Brunner, der Held von Solln: ein Mediencoup – Der Prozess und das Urteil – Gymnasiasten und Unterschichtmonster – Null-Toleranz-Strategie

6. Das Ende der Solidarität

Wie die Politik zugunsten der Wirtschaft Arbeit zerstört und Menschen bricht

Arbeiter zweiter Klasse – Das Sozialkaufhaus, ein »Paradies für Arme«? – Die Gewinner des »Jobwunders« – Leiharbeit: der moderne Sklavenhandel – Früher sterben für das Wirtschaftswachstum – Knechten für Millionäre

7. Die Privatisierung der Weltrettung

Social Business oder Profite mit den Ärmsten

Muhammad Yunus Superstar: der Messias der Marktwirtschaft – Betriebswirte mit Gewissen – Danone, der liebe Weltkonzern – Ja, wo laufen sie denn? Auf der Suche nach den Danone-Ladies – Gib den Armen Zucker: Plastiknahrung zur Armutsbekämpfung – Konsumstatus statt Menschenrechte – Markterschließung unter dem Deckmäntelchen des Sozialen – Weitere Business-Samariter: Adidas, BASF und Otto – Kritik unerwünscht – Social Business und Mikrokredite in Deutschland: Neuauflage der Ich-AG – Die »soziale Elite« von morgen

8. Mikrokredite: Wahnsinn mit Methode

Eine Reportage aus Bangladesch

Sozialer Ausschluss statt Frauenpower – Ökonomie der Beschämung – Enteignung im Namen der Armutsbekämpfung – Jobra und »Hillary Village«: die Märchendörfer – NGOs als Handlanger des Kapitals – Privatschulden als Entwicklungshilfe – Hunger und Kinderarbeit durch Mikrokredite – Mit leerem Magen in die Schuldenfalle – Blinde Wirtschaftswissenschaft – Der Fall des Superstars – Das System der »Bank für die Armen« – Mikrokredite und Klimawandel – Nothilfe als Kreditrate – Von der Wall Street zur Blechhütte – Selbstmorde in Indien und Bangladesch – Sklaven für den Arbeitsmarkt

9. Her mit dem schönen Leben!

Warum nur wir als Gesellschaft für gerechten Wohlstand kämpfen können

Es geht nicht um die eine Lösung – Verzweifelte Wut

Danksagung

Anmerkungen

»Wenn sich niemand zu uns umdrehte, wenn wir den Raum betreten; wenn niemand antwortete, wenn wir sprechen; wenn niemand wahrnähme, was wir tun; wenn wir von allen geschnitten und als nicht existierend behandelt würden, dann würde eine derartige Wut und ohnmächtige Verzweiflung in uns aufsteigen, dass im Vergleich dazu die grausamste körperliche Qual eine Erlösung wäre.«

William James, US-amerikanischer Psychologe, 18901

1. Kultivierter Hass

Warum die Konsumgesellschaft ihren Bestand durch Ausgrenzung sichert und die Mittelschicht sich nach oben orientiert, während sie nach unten tritt

Der großzügige Flur der Chefetage sieht aus wie eines dieser kreativ eingerichteten Lofts, die man aus Lifestyle-Magazinen kennt. Auf einem schicken Sideboard steht eine Espressomaschine, vor einer Wand mit Mustertapete ein helles Sofa, dazu weiß glänzende Möbel. Eine Mischung aus Lounge und Design-Wohnzimmer. Die Fotografen bauen ihr Equipment auf, in Kürze beginnt mein Interview mit der deutschen Sprecherin eines multinationalen Konzerns mit Milliardenumsatz. Zuvor plaudern wir in entspannter Wohnzimmeratmosphäre. Ich erzähle von der Arbeit an diesem Buch und darüber, dass ich bei den Tafeln recherchiere, die sich zum Ziel gesetzt haben, überschüssige Lebensmittel aus Supermärkten an Bedürftige zu verteilen. »Interessant«, findet die Pressesprecherin, darüber mache sie sich auch Gedanken: »Ich überlege ja oft, was man machen könnte, damit die Leute lernen, Essen zu schätzen.« Ja, sage ich und denke an Supermarktrampen, auf denen kistenweise Lebensmittel stehen, die aussortiert wurden, weil sie nicht gut genug scheinen. 20 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jedes Jahr weggeworfen; ein Skandal in der Tat. Doch sie meint etwas anderes: »Ich finde, die Leute, die bei der Tafel Essen holen, sollte man dazu verpflichten, gemeinnützige Arbeit zu leisten.« Hoppla. Disziplinierungsmaßnahmen, die ansonsten für straffällig gewordene Jugendliche angewendet werden? Für Menschen, die so ausweglos arm sind, dass sie ohne Lebensmittelspenden nicht über die Runden kommen? Abgesehen davon, dass die meisten Tafelnutzer den Wert von Lebensmitteln schon deshalb kennen, weil sie diese im Supermarkt kaum bezahlen können: Warum sollen Alleinerziehende, Rentner und Niedrigstlöhner auch noch Straßen fegen und Hundescheiße aufsammeln, damit sie was in den Magen kriegen? »Weil die sonst das Essen bloß in den Müll schmeißen«, sagt die Pressesprecherin.

Ich habe bereits mit vielen Tafelnutzern gesprochen und sie nach Hause begleitet, habe Ehrenamtlichen beim Verteilen zugesehen und bin die Abholtouren zu den Supermärkten mitgefahren. Dabei hatte ich eine erschütternde Welt der Scham und des persönlichen Leids kennengelernt. Und Menschen, die trotz täglicher Demütigungen mit aller Kraft versuchen, ein Leben in Würde zu führen, obwohl sie von der Gesellschaft weder Anerkennung noch Respekt erfahren. Der Gedanke, dass jemand sich dazu überwindet, für übrig gebliebenes Essen Schlange zu stehen, nur um es anschließend wegzuschmeißen, ist nachgerade absurd. Wie kommt eine Frau, die der gehobenen Mittelschicht angehört und sich sicher nicht in der Tafelwelt bewegt, auf diese Idee? Sie habe, sagt sie, von einem Lehrer gehört, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien eine Pizza lieber in den Müll schmeißen würden, als ihren Mitschülern ein Stückchen davon abzugeben. Aha.

Ein Freundesbesuch am Stadtrand, auf dem neu gebauten Ökohaus glänzen Solarzellen. Es ist ein warmer Frühsommertag, wir sitzen auf der Terrasse, trinken Kaffee mit Biomilch. Die Frau ist Referendarin an der Hauptschule in der nächstgelegenen Stadt; es ist eine sogenannte »Problemschule«. Die angehende Lehrerin echauffiert sich über ihre Schüler. Sie könne das nicht verstehen, dass die jungen Leute keine Arbeit bekämen. In der Gastronomie, in den Hotels würden seit Jahren »händeringend« Auszubildende gesucht. »Die sind selber schuld, die wollen einfach nicht«, sagt sie. Ja, wirklich? Sowohl der viel zitierte Fachkräftemangel als auch das angebliche Überangebot an Lehrstellen sind schlicht Mythen: 2010 bekam jeder dritte Jugendliche, der eine Ausbildung beginnen wollte, keine Stelle. Das Angebot an Ausbildungsplätzen ist auf den drittniedrigsten Stand seit zehn Jahren gesunken, klagt die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten.2 Darüber hinaus ist mittlerweile jeder zweite Arbeitsplatz in der Gastronomie ein Minijob.3

Die junge Hausbesitzerin reagiert trotzig: »Die sagen mir selber, dass sie lieber Hartz IV wollen und gar keinen Bock haben zu arbeiten.« Ja, was man als Schüler halt so zu seinen Lehrern sagt: Provokation, wie sie für Schüler üblich ist, zumal für solche, die vom System nichts mehr erwarten und nichts zu erwarten haben. Lehrer als Angehörige der Mittelschicht sind meistens denkbar weit entfernt vom Alltag der sogenannten Unterschicht: obwohl, vielleicht weil sie tagtäglich mit den Folgen einer diskriminierenden Sozialpolitik umgehen müssen, begegnen sie den Opfern nicht immer ohne Vorurteile. Einer Studie der Universität Oldenburg von 2009 zufolge glauben Lehrer sogar, dass sie verhaltensauffällige und leistungsschwache Kinder bereits an ihren Vornamen erkennen können: »Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose«, sagte eine Lehrerin in der Untersuchung, die Lehrer zu ihren Namensvorlieben und den zugehörigen Assoziationen befragte.

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