Grüner wird's nicht - Kathrin Hartmann - E-Book
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Grüner wird's nicht E-Book

Kathrin Hartmann

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Beschreibung

»Die Gewalt, die dem Klimawandel eingeschrieben ist, war nie nur ein Verbrechen gegen die Natur, sondern immer auch gegen Menschen. Daher ist es wichtig, den Klimaschutz nicht isoliert zu betrachten, nicht als ›Generationenfrage‹ und erst recht nicht als drohende ›Auslöschung der Menschheit‹. Sondern als Frage der globalen Gerechtigkeit, heute, hier und jetzt. Dafür müssen wir die ökologische, soziale und Machtfragen miteinander verbinden.«

Kathrin Hartmann, die unbestechliche Kritikerin aller Greenwashing-Methoden, legt mit ihrem Essay die neuralgischen Punkte der Klimaschutz- und Artensterben-Debatte frei und entwirft eine Perspektive, was nun zu tun ist.

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Das Buch

»Klimabesorgte Klimasünder« nennt das Umweltbundesamt Bürgerinnen und Bürger, die vermögend und gebildet sind, Bio-Lebensmittel und stromsparende Geräte kaufen, ansonsten aber einen konsumprallen Lebensstil pflegen, häufige Fernreisen inklusive. Während sie den Schülerinnen und Schülern auf den Fridays for Future-Demos anerkennend auf die Schulter klopfen, unternehmen sie wenig, jene Machtstrukturen zu verändern, von denen sie selbst profitieren. Aber ist das nicht die Haltung beinahe von uns allen? Besorgt nehmen wir die immer düsterer klingenden Prognosen der Wissenschaftler zur Kenntnis, halten aber weitgehend an unserem ressourcenverbrauchenden Lebensstil fest.

Mit ihrem Essay trifft Kathrin Hartmann einen  neuralgischen Punkt der Klimaschutz- und Artensterben-Debatte: Wie aufrichtig und entschlossen sind wir alle eigentlich, wenn es um das Retten der Welt geht? Die meisten von uns wollen etwas ändern, das aber möglichst komfortabel – eine Formel, die nicht aufgehen wird.

Kathrin Hartmann belässt es nicht bei der mehr als notwendigen Kritik, sondern zeigt auch auf, was es wirklich bedeutet, den Planeten zu bewahren und damit die Zukunft zu sichern: nämlich eine tiefgehende wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung. Umweltpolitik muss in einem größeren Zusammenhang gedacht werden. Vor allem darf sie nicht von den sozialen Fragen abgekoppelt oder gegen diese ausgespielt werden.

Die Autorin

Kathrin Hartmann, geboren 1972 in Ulm, studierte in Frankfurt am Main Kunstgeschichte, Philosophie und Skandinavistik. Nach einem Volontariat bei der Frankfurter Rundschau war sie dort Redakteurin für Nachrichten und Politik. Von 2006 bis 2009 arbeitete sie als Redakteurin bei Neon. 2009 erschien bei Blessing Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt., 2012 erregte ihr Buch über die neue Armut – Wir müssen leider draußen bleiben – großes Aufsehen, 2015 folgte Aus kontrolliertem Raubbau.Die grüne Lüge (2018) wurde sowohl als Film (zusammen mit Regisseur Werner Boote) wie auch als Buchveröffentlichung ein großer Erfolg. Kathrin Hartmann lebt und arbeitet in München. Sie schreibt regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung, den Freitag und die Frankfurter Rundschau.

KATHRIN

HARTMANN

GRÜNER

WIRD’S

NICHT

WARUM WIR MIT DER

ÖKOLOGISCHEN KRISE

VÖLLIG FALSCH UMGEHEN

BLESSING

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright © 2020 by Kathrin Hartmann

Copyright © 2020 dieser Ausgabe by Karl Blessing Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Herstellung: Ursula Maenner

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-26207-5V003

www.blessing-verlag.de

INHALT

VORWORT

I.  DIE GROSSE ERNÜCHTERUNG

Warum die Regierung den Klimawandel nicht aufhalten wird

II.  ÖKO-MORALISMUS

Warum die Trennung der ökologischen und der sozialen Frage die Gesellschaft spaltet

III.  WELTRETTUNG, HAUSGEMACHT

Warum uns persönlicher Verzicht allein nicht helfen wird – und auch kaum stattfindet

IV.  KLIMASCHUTZ MIT DEM RECHENSCHIEBER

Warum die Konzentration auf die CO2-Reduktion die Krise befeuert

V.  DAS PARADOX DER APOKALYPSE

Warum wir nicht das Klima retten, sondern den Kapitalismus

VI.  IM PANZER DEM UNTERGANG ENTGEGEN

Wie der SUV zum Symbol für Abschottung und Klimazerstörung wurde

VII.  SCHRECKGESPENST ÖKODIKTATUR

Warum die vermeintlichen Demokratieverteidiger die Privilegien der Zerstörer schützen

VIII.  GEFAHR ÖKOFASCHISMUS

Wie die Rechten den Klimaschutz als Abschottungsargument etablieren

UND JETZT?

Dank

Anmerkungen

»Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.«

Antonio Gramsci, Gefängnishefte1

VORWORT

Gerade waren Werner Boote und ich von anstrengenden Dreharbeiten für »Die grüne Lüge«2 in Brasilien und den USA zurückgekehrt, wo wir Zerstörung in gigantischem Ausmaß gesehen hatten. Die Bilder der trostlosen Ödnis im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul, wo sich Soja-, Mais- und Eukalyptus-Monokulturen und Viehweiden schier endlos abwechseln, die Geschichten der indigenen Männer und Frauen, die unter diesem Desaster leiden, die ökologischen und sozialen Verheerungen in Louisiana, verursacht durch die Ölpest infolge der Explosion der Plattform Deepwater Horizon – all das war vor meinem inneren Auge noch lebendig. Und nun standen wir, mitten in Deutschland, schon wieder an einem Abgrund: Vor uns tat sich der Tagebau Garzweiler auf. In der Ferne sahen wir die Kohlekraftwerke Frimmersdorf, Neurath und Niederaußem, die, wie die Kohlegrube selbst, dem Energiekonzern RWE gehören. Die Windräder, die sich auf dem Feld drehten, wirkten in dieser Kulisse nur wie ein zaghaftes Alibi.

Es war das erste Mal, dass ich einen offenen Kohletagebau sah. Natürlich hatte ich gewusst, welche Verwüstungen der Kohleabbau überall auf der Welt anrichtet. Trotzdem war ich schockiert. Diese Dimensionen! 66 Quadratkilometer groß ist das Loch in der Erde; der Berliner Bezirk Mitte, in dem fast 400 000 Menschen leben, würde mehr als eineinhalbmal hineinpassen. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs mussten dem Tagebau Garzweiler mehr als fünfzig Dörfer weichen, weitere sollen abgerissen werden. Mehr als 35 000 Menschen sind schon gezwungen worden, ihr Zuhause zu verlassen. Manche haben ihre Existenz darüber verloren. Landwirtschaftliche Flächen wurden vernichtet, Bauern mussten Betriebe aufgeben, Kirchen und Baudenkmäler wurden und werden geopfert. Trotz des geplanten Kohleausstiegs darf RWE Garzweiler weiter ausbauen, weitere fünf Dörfer sollen noch abgerissen werden.

Die Müdigkeit der vergangenen Wochen steckte mir noch in den Knochen, der Jetlag hatte mich fest im Griff, aber das allein erklärte nicht, warum mich dieser Anblick so hart traf. Orte der Zerstörung, die ich in den Ländern des Südens besucht habe, haben mich immer umgehauen. Seien es die Aschefelder von Borneo oder Sumatra, auf denen zuvor Regenwald gewachsen war, der Palmöl-Monokulturen weichen musste. Sei es die Apokalypse aus Matsch in Bangladesch, die der Betrieb von Garnelen-Aquakulturen hinterlassen hat. Oder in Honduras, wo die Menschen weinend an einem Zaun standen, dahinter ihr Land, dessen Bäume gerade für die Errichtung eines Solarparks gefällt worden waren.

Aber hier, im rheinischen Braunkohlerevier, verdichteten sich die schwarzbraunen Schichten der Kohlegrube, die sich endlos bis zum Horizont zogen, wo Kohlekraftwerke ihre Dampfwolken in den Himmel bliesen, und unwirklich riesige Schaufelradbagger, die so stoisch wie brachial die Erde aufrissen, zu einem Sinnbild für das, was gründlich schiefläuft. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Achtzigerjahre, erinnerte mich plötzlich an sauren Regen, verseuchte Flüsse, Smog und Waldsterben und an die aufflammenden Umweltkämpfe, mit denen ich groß geworden bin. Diese ganze Szenerie hatte etwas zutiefst rückwärtsgewandtes, als wären wir in der Vergangenheit stecken geblieben. Sie spiegelte das überkommene Wohlstandsverständnis der alten Bundesrepublik wider, den festen Glauben auch der Bundesregierung, dass diese Ausnahme-Epoche ewig währen könnte. Namentlich die wenigen Wirtschaftschaftswunderjahre der Nachkriegszeit, die Wohlstand für alle, Wohlstand durch Wachstum versprachen, befeuert von der Kohle. Von dieser schmutzigsten und klimaschädlichsten Form der Energiegewinnung kann sich die deutsche Politik (und nicht nur diese) immer noch nur halbherzig lösen, allen möglichen bereits erprobten Alternativen zum Trotz und vorgeblich, um die Arbeitsplätze der Menschen zu schützen, die in dieser Region leben.

Von einem allgemeinen Wohlstand konnte da, wo wir nun hinkamen, allerdings kaum die Rede sein. Die nahe gelegenen Ortschaften mit ihren teils heruntergekommenen Gebäuden, die traurigen Häuser, die an ihren Gartenzäunen per Aushang für eine Handvoll Euro zum Verkauf angeboten wurden, die Dampfwolken der Kohlekraftwerke, die den Himmel beim Blick aus dem Pensionsfenster verdeckten, all das sprach eine andere Sprache.

Eine Begegnung, die ich am Rande der Dreharbeiten dort hatte, blieb mir besonders in Erinnerung. Wir machten Mittagspause in einem Imbiss, unweit der Abbruchkante des Tagebaus. Ich fragte die Frau hinter der Theke, ob ich die Toilette benutzen dürfe.

Das gehe leider nicht. Meine Frage war ihr sichtlich unangenehm. »Diese Toilette hier kann man nicht benutzen, ich gehe da selber nie drauf.« – »Aber was machen Sie denn dann, Sie arbeiten doch hier den ganzen Tag?«, fragte ich verdutzt. – »Ich warte, bis ich wieder zu Hause bin.«

War es nicht die Pflicht des Arbeitsgebers, ihr eine vernünftige Toilette zur Verfügung zu stellen? Warum forderte sie dieses Recht nicht ein? Womöglich weil sie Angst hatte, den Job zu verlieren, die Arbeitslosenquote ist im Ruhrgebiet teilweise überdurchschnittlich hoch. Anders ließ es sich kaum erklären, dass sie Tag für Tag Unwohlsein aushält und damit auch noch ihre Gesundheit gefährdet. Ökologische Fragen haben eben immer auch eine soziale Dimension, und umgekehrt.

Wachsende Proteste

Aber nach und nach überschreiben andere Bilder diese Dystopie: Die Proteste von Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die mit der Bewegung Ende Gelände in weißen Schutzanzügen den Tagebau besetzten. Und die Klimaschutzbewegung Fridays for Future, deren wachsender Protest die Politik vor sich her treibt. Diese brodelnde Veränderung spürte ich auch während meiner Lesereise: Ich erlebte fruchtbare, auch radikale Diskussionen und ein kämpferisches Publikum; je jünger, desto mutiger und leidenschaftlicher. Ich spürte Hoffnung und den dringenden Wunsch nach einem ökologisch und sozial gerechten System und einen regelrechten Hunger nach Ideen und Information, wie das zu erreichen wäre. Ich war überwältigt von dem großen Wissen um ökologische und soziale Zerstörungen (und den Zusammenhang von beidem), das sich viele Menschen angeeignet haben und in den Bewegungen teilen und wachsen lassen. All das macht mir Hoffnung. Denn auch ich werde mich nie mit dem Gedanken abfinden, dass die Welt, wie sie ist, die einzig denkbare wäre.

Als ich im Herbst 2019 begann, dieses Buch zu schreiben, war die Klimadebatte auf einem Höhepunkt. Wie zum Beweis überschlugen sich die Wetterereignisse: Der heißeste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnungen lag gerade hinter uns, da sorgten schwere Unwetter für Hochwasser an der Adria-Küste und in Venedig, in Südfrankreich, Barcelona und Mallorca und für Erdrutsche in Österreich und Ligurien. Es gab Tote und Verletzte. Brücken stürzten ein, Straßen und Häuser wurden zerstört. Die deutsche Bundesregierung legte einen Bericht vor, der zeigte, in welch erschreckendem Ausmaß der Klimawandel bereits in Deutschland angekommen ist: Niedrige Grundwasserstände infolge lang anhaltender Trockenheit haben die Trinkwasserversorgung in einigen Gemeinden erschwert. Niedrige Wasserstände in den Flüssen haben Ökosysteme belastet, die Schifffahrt und die Versorgung von Kraftwerken mit Kühlwasser beeinträchtigt. Nord- und Ostsee haben sich erwärmt, die Gefahr von Sturmfluten hat zugenommen, Strände erodieren. Die Anzahl der Hitzetage über dreißig Grad ist von drei (im Jahr 1951) auf zwanzig gestiegen, ebenso hitzebedingte Todesfälle.3 In Australien, wo Klimawandelleugner regieren, sind bei den verheerenden Waldbränden zu Beginn dieses Jahres 25 Menschen und mehr als eine Milliarde Wildtiere gestorben.

Wenn dieses Buch erscheint, wird sich womöglich einiges verändert haben. Womöglich wird noch am Klimapaket herumgedoktert und nachgebessert worden sein. Nicht annähernd genug, wage ich vorherzusagen. Vielleicht hat der Protest schon an Kraft verloren, weil die Rezession die Angst vor dem Klimawandel durch die Angst vor der Arbeitslosigkeit ersetzt hat. Nicht zuletzt die SPD hat in der Vergangenheit diese Angst immer wieder geschürt, indem sie Klima- und Umweltschutz gegen Arbeitsplätze ausgespielt hat.

Tatsächlich hängen soziale Fragen und Klimaschutz eng miteinander zusammen. Aber auf eine andere Weise, als von den gegenwärtigen Repräsentanten suggeriert wird.

Falsche Debatten

Auf der anderen Seite verging 2019 kaum ein Tag, an dem der Klimawandel nicht Thema in den Medien gewesen wäre. Den Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten standen diese Medien meist wohlwollend gegenüber, viele bestärkten sie sogar in ihrem ihren Protest, der mehr und mehr Aufmerksamkeit bekam, zumal die Weigerung der Politik, die richtigen Schritte einzuleiten, immer offensichtlicher wurde. Die Abwehr des Klimaschutzes beschränkt sich aber nicht allein auf die Politik, sondern findet vor allem dort statt, wo Menschen (und Konzerne) um Privilegien fürchten. So hat sich Gift in die Debatte geschlichen, das nicht weniger toxisch wirkt als die Leugnung des Klimawandels: Klimaschützerinnen und -schützer als antidemokratisch, antisozial und gar als totalitär zu verunglimpfen. Das Schreckgespenst der »Ökodiktatur« wird nicht nur von den »klimaskeptischen« Schreihälsen der AfD bemüht oder von Anwälten der Reichen bei FDP und Union, sondern auch von normalisierten Intellektuellen, die Demokratie mit Kapitalismus verwechseln und die wollen, dass alles bleiben kann, wie es ist. Große Konzerne, deren Kerngeschäft untrennbar mit Klimazerstörung verbunden ist, geben sich als Klimaschützer aus, um an ihrem Modell festhalten zu können. Und statt politische Fragen, ja: die Machtfrage zu stellen, verheddern wir uns nicht selten in moralischen Scheindebatten, in individuellen Verzichtsforderungen und Schuldzuweisungen.

Zwar scheint es so, als wären mittlerweile so gut wie alle fürs Klimaretten. »Alle fürs Klima« lautete auch das Motto des Klimastreiks vor Beginn der UN-Klimakonferenz in Madrid. Weil niemand mehr ernsthaft den Klimawandel leugnen kann, reden eben auch alle mit. Das heißt aber noch lange nicht, dass die diskutierten Wege tatsächlich zu einer ökologischen und sozialen Transformation führen werden und damit auch zu Klimagerechtigkeit.

Denn es ist ein Unterschied, ob mit marktwirtschaftlichen Instrumenten wie der CO2-Steuer die Privilegien der Verschmutzer geschützt und damit zerstörerische Machtstrukturen erhalten bleiben. Ob mit Technikfantasien, wie sie die Green Economy bereithält, weitere und zusätzliche Schäden angerichtet werden, wie es bereits beim Irrweg Biosprit der Fall war. Ob Dringlichkeit und Handlungsunfähigkeit zu einer Renaissance der Atomkraft führen oder ob sie gefährliche Großtechnologien wie Geoengineering auf den Plan rufen, die schlimmere (und womöglich irreversible) Folgen haben werden als der Klimawandel selbst. Ob sich ein »mit allen Mitteln weiter so« durchsetzen wird, das die globalen sozialen und ökologischen Verheerungen vorantreibt. Ob dann die Folgen des Klimawandels zu einer noch gewalttätigeren Abschottung des Nordens gegen die Länder des Südens führen und sich die Rechten durchsetzen werden, die einerseits den Klimawandel leugnen und ihn andererseits zum Argument für den »Heimatschutz« umdeuten, um Geflüchtete fernzuhalten.

Oder ob wir es schaffen, eine Transformation auf den Weg zu bringen, die eine so schöne Utopie zum Ziel hat wie ökologische und soziale Gerechtigkeit auf der ganzen Welt. Ob wir also glauben, wir könnten Klimaschutz innerhalb des Kapitalismus erreichen, innerhalb des Systems, das die Klimakatastrophe erst hervorgebracht hat. Oder ob wir an einem Systemwechsel arbeiten, indem wir zuerst einmal die ökologische und die soziale Frage als ein und dieselbe begreifen. Das aber wäre keine pragmatische oder technologische Aufgabe – sondern eine politische.

Denn es gibt ja Alternativen, die sogar zügig umgesetzt werden könnten. In der Landwirtschaft, im Verkehr, in der Energieversorgung, bei der Regulierung von Konzernen. Deswegen lautet die wichtigste Frage: Wer profitiert noch immer von den Verhältnissen, wie sie sind? Wer verhindert diese Alternativen? Das sind die wesentlichen Fragen, nach denen wir den Diskurs immer wieder abklopfen müssen. Darum habe ich dieses Buch geschrieben.

Damit wir wissen, wofür wir kämpfen müssen.

Und gegen wen.

»Politik ist das, was möglich ist. Die Möglichkeiten beim Klimaschutz haben wir ausgelotet.«

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

I.  DIE GROSSE ERNÜCHTERUNG

Warum die Regierung den Klimawandel nicht aufhalten wird

Als die Bundesregierung am 20. September 2019 das lange erwartete Klimapaket endlich öffnete, war die Begeisterung groß.Nicht die der kritischen Öffentlichkeit, sondern die der Konzerne. Der Aktienkurs des Energiekonzerns RWE stieg um gleich zwei Prozentpunkte: der beste Dax-Wert dieses hochsommerlichen Freitags im Herbst. Das war vor allem deshalb verblüffend, weil ein knappes Jahr zuvor das genaue Gegenteil passiert war: Die Aktie von RWE, dem größten CO2-Emittenten Europas, war auf einen historischen Tiefstand gesunken. Eine Folge des Protests zum Erhalt des Hambacher Forsts. Der Kohle-Riese wollte auch noch den Rest des Waldes abholzen, um die darunterliegende Braunkohle in seinen beiden Kraftwerken Neurath und Niederaußem zu verfeuern. An dem Tag, als das Oberverwaltungsgericht Münster schließlich einen Rodungsstopp verfügte, verlor der 120 Jahre alte Konzern im Handumdrehen eine Milliarde Euro an Wert.

Das Klimapaket der Bundesregierung jedoch ließ RWE-Anleger offenbar Morgenluft wittern. Nicht nur sie atmeten auf, auch der Verband der Deutschen Automobilindustrie und der Mineralölwirtschaftsverband fanden in ihren Pressemitteilungen lobende Worte für die Arbeit der Regierung.

Für die Bundesregierung war das Klimapaket also ein Erfolg. Sie betrachtet es ohnehin als großen Wurf; vermutlich schon allein aus dem Grund, weil die Große Koalition nach zwei Jahren Dauerlähmung und Verfallserscheinungen, nach ermüdenden Streitereien und Personaldebatten, Machtkämpfen und gegenseitigen Blockaden überhaupt zu einer Einigung gekommen ist. Das war einen Applaus wert – jedenfalls denen, die keine Einschnitte fürchten mussten.

Fünf Tage später rettete die Bundesregierung die Fluglinie Condor nach der Insolvenz der Mutterfirma Thomas Cook vor der Pleite, mit einem sechsmonatigen Überbrückungskredit von 380 Millionen Euro. Begründet wurde dies vor allem mit dem Versuch, Arbeitsplätze zu retten. Das nutzte der Anbieter dazu, die Flugtickets zu Dumpingpreisen zu verkaufen: ab 29 Euro nach Antalya, ab 229 Euro in die Karibik. Billigflüge auf Staatskosten also, obwohl im »Eckpunktepapier für das Klimaschutzprogramm 2030« stand, man wolle Flüge teurer machen. Na ja, jedenfalls ein bisschen.

Die Regierung spielte wieder einmal die soziale Frage – Arbeitsplätze – gegen die Klimaschutzfrage aus und entschied rigoros zugunsten der ersten. Auf diese Weise wurde der Bevölkerung Alternativlosigkeit suggeriert: Wer Arbeitsplätze schützen will, darf bei ökologischen Schäden nicht zu zimperlich sein.

Nicht allen aber machte das Klimapäckchen der Bundesregierung so gute Laune wie den größten Treibhausgasemittenten. Sogar sonst eher nüchterne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verloren die Fassung. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimaforschung und einer der wichtigsten Berater des Klimakabinetts, nannte es »ein Dokument politischer Mutlosigkeit«, mit dem die Regierung nie und nimmer ihre Ziele erreichen würde.

Fast eineinhalb Millionen Menschen gingen an jenem 20. September 2019 in mehr als 450 Orten in Deutschland auf die Straße. Es war der größte Protesttag seit dem Generalstreik vom 20. Juni 1948, der sich gegen die Währungsreform richtete, die zu einer immensen Entwertung von Sparguthaben führte. Zu diesem Klimastreik hatte die Schülerinnen- und Schülerbewegung Fridays for Future schon Monate zuvor aufgerufen, in der korrekten Annahme, dass die Klimaschutzstrategie, mit der sich die Regierung eineinhalb Jahre Zeit gelassen hatte, wenig geeignet sein würde, die 2015 im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarten Klimaziele einzuhalten. Das maternalistische Kopftätscheln, mit dem die einst als Klimakanzlerin bezeichnete Bundeskanzlerin den protestierenden Schülerinnen und Schülern begegnet war, hatte nichts genutzt.

Klaffende Handlungslücken

Inhaltlich nämlich hatten Union und SPD, über weite Strecken ihrer Amtszeit mit sich selbst beschäftigt, ja fast schon resigniert. Bereits im Koalitionsvertrag hatte sich die GroKo vom deutschen Klimaziel verabschiedet. Das wollte die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent (gegenüber 1990) senken. Mit den bisherigen, nun ja, Klimaschutzplänen seien nur 32 Prozent erreichbar, hieß es zwischenzeitlich. Und das, obwohl die Wiedervereinigung den Deutschen entgegengekommen war: Ein Drittel der bereits eingesparten Treibhausgase war dem schlichten Umstand zu verdanken, dass nach ’89 viel Industrie im Osten geschlossen worden war. Seit diesem Zeitpunkt sind die Emissionen insgesamt gesunken, aber doch auch immer wieder angestiegen. Vor allem in den alten Bundesländern, und ganz besonders im Verkehr.

Nach heftiger Kritik von Umweltverbänden und Wissenschaftlern und nach zähen Verhandlungen rangen sich SPD und Union zu dem wolkigen Versprechen durch, »Ergänzungen vornehmen« zu wollen, um »die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaziels 2020« so schnell wie möglich zu schließen. Doch es wurde nichts geschlossen. Die »Handlungslücke« – eine so euphemistische wie dreiste Umschreibung der gescheiterten deutschen Klimapolitik – klafft. Deutschland liegt schon jetzt mit hundert Millionen Tonnen CO2 pro Jahr weit über dem Limit. Allein diese Menge über der Grenze ist mehr, als ganz Bangladesch, das schon jetzt vom Klimawandel besonders betroffen ist, in einem Jahr ausstößt.

Zwar will die Regierung laut Klimaschutzprogramm bis 2030 die Emissionen um 55 Prozent (gegenüber 1990) reduzieren. Kein besonders ehrgeiziges Ziel, schließlich ist Deutschland der sechstgrößte CO2-Emittent der Welt und der größte in Europa.

Allein um dieses Ziel zu erreichen, müsste das Land binnen zehn Jahren mehr Treibhausgase reduzieren als in den vergangenen dreißig Jahren, nämlich 300 Millionen Tonnen CO2 bis 2030. Das ist in etwa so viel, wie allein die Energiewirtschaft ausstößt, die mit 38 Prozent den größten Anteil an Deutschlands Gesamtemission hat. Schließlich wird rund ein Viertel des Stroms hier aus Kohle produziert, und vier der fünf Kohlekraftwerke, die in ganz Europa am meisten CO2 ausstoßen, stehen in Deutschland. Drei davon gehören der RWEAG, die für ein Viertel der deutschen Emissionen zuständig ist.4

In welcher parallelen Realität lebt nun aber die Große Koalition, die offenbar glaubt, mit zaghaften Vorschlägen und kleinen Schrittchen – ein bisschen CO2-Steuer hier, ein bisschen mehr Geld für die Bahn da, Verbot von Ölheizungen, Unterstützung für die E-Mobilität – das ohnehin zu niedrige Ziel erreichen und schließlich bis 2050 »CO2-neutral« sein zu können? Will sie das überhaupt? Oder will sie etwas anderes retten, nämlich vorzugsweise sich selbst – beziehungsweise, wie eh und je, die Privilegien der Industrie und der Reichen?

Ohne den immensen Druck der Klimaschutzbewegung hätte die Große Koalition womöglich gar nichts vorgelegt, sondern das ihr offenbar lästige Thema weiter verdrängt und als Zukunftsmusik behandelt. Ein vielsagendes Beispiel dafür, dass in dieser Phase der Demokratie Nichtregierungsorganisationen sowie Bürgerinnen und Bürger mit Protest über ihre bloße Stimmabgabe bei Wahlen hinaus großen öffentlichen Druck auf die gewählten Repräsentanten ausüben müssen, damit diese für die Gesellschaft existenzielle Themen überhaupt bearbeiten. Allenfalls »unsere Kinder und Enkel«, meinte die Regierung, seien da zu schützen. Ohne solches Pathos geht es wohl nicht, wenn das Verschleppen der »Menschheitsaufgabe« (Merkel) kaschiert werden soll.

Fast ein Vierteljahrhundert nach der ersten UN-Klimakonferenz und mehr als vierzig Jahre, nachdem der Treibhausgaseffekt und seine Folgen erforscht waren, bezeichnet Umweltministerin Svenja Schulze die Fridays-for-Future-Proteste als »Weckruf«. Und selbst verlorene 24 Jahre später, in denen die Klimakatastrophe sogar fast komplett hätte abgewendet werden können,5 hat es keine noch so beunruhigende Nachricht geschafft, die Bundesregierung aus ihrem Wachkoma zu holen. Auch nicht der Sonderbericht des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC), der 2018 darlegte, dass die Klimawandel-Folgen weniger katastrophal ausfallen würden, gelänge es, die Erderwärmung statt auf zwei Grad (wie 2015 in Paris vereinbart) auf nur 1,5 Grad zu begrenzen.6

Dieses Ziel aber wäre nur mit »schnellen und weitreichenden« Veränderungen bei der Energieerzeugung, der Landnutzung, im Städtebau, im Verkehr und in der Industrie zur erreichen. Statt diese in Angriff zu nehmen, verschob die Bundesregierung ein halbes Jahr später den endgültigen Kohleausstieg auf 2038. Zur selben Zeit kämpfte Verkehrsminister Andreas Scheuer mit Händen und Füßen gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Mit Erfolg, wie bekannt. Und in den Talkshows lamentierten Politiker von Union und SPD darüber, dass es ihnen nicht gelungen sei, ein anderes, eigenes Thema als den Klimawandel zu finden, um dem Erfolg der Grünen etwas entgegenzusetzen.

Da hatten diese bei der Bürgerschaftswahl in Bremen wieder einen erheblichen Stimmenzuwachs erhalten – zum dritten Mal nach zwei Landtagswahlen, die den Grünen einen Höhenflug bescherten. Auch deshalb, weil die Partei insbesondere für junge Wählerinnen und Wähler aus dem Fridays-for-Future-Umfeld die einzige war, die sich ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen schien.

Unterschätzte Zivilgesellschaft