Aus Liebe verzettelt - Angelika Hesse - E-Book

Aus Liebe verzettelt E-Book

Angelika Hesse

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Beschreibung

Stunk im Hause Heiermann! Für den einen ist die beste Erfindung der Welt der Tampon oder das Internet. Für Heidi sind es die kleinen, selbstklebenden gelben Zettel, mit denen sie ihren Alltag organisiert. Haftzettel kleben schließlich hervorragend auf Windschutzscheiben, Webcams, Mikrowellen und auf der Stirn des unpünktlichen Ehemannes. Und unpünktlich ist Bernd in der letzten Zeit ständig. Kann es wirklich sein, dass Heidi bereits auf der Abschussliste steht und Bernd sie mit seiner neuen Kollegin betrügt? Bald häufen sich die Indizien, die für seine Affäre sprechen. Als dann noch die gesamte Familie mit besagter Kollegin ein verlängertes Skiwochenende verbringen soll, ist sie sicher: Bernd will sie eiskalt gegen das rothaarige Biest austauschen. Doch so leicht lässt man sich nach zehn Jahren Beziehung, zwei Kindern und ruinierter Figur nicht abservieren …

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Die Autorin Angelika Hesse, geboren 1971, lebt mit ihrer Familie am Niederrhein. Seit sie denken kann, schreibt sie Geschichten. Diese waren anfänglich noch bebildert, wurden dann im Laufe der Jahre immer länger und länger und füllten schließlich ganze Schnellhefter. Nach der Schule absolvierte sie eine solide kaufmännische Ausbildung, arbeitete in der Buchhaltung, im Einkauf und viele Jahre als Personalberaterin. Dann kam die Lust am Schreiben mit voller Wucht zurück, und sie tat, was sie tun muss … schreiben. Ihr erster Jugendroman Grüne Schnüre mit Apfelgeschmack erschien 2011 als E-Book, 2012 folgte Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich, ein humorvoller Frauenroman im Kolumnenstil. Und da ihr die Protagonistin Heidi und die Personen um sie herum solchen Spaß machten, schrieb sie weiter über sie.

Das Buch Für den einen ist die beste Erfindung der Welt der Tampon oder das Internet. Für Heidi sind es die kleinen, selbstklebenden gelben Zettel, mit denen sie ihren Alltag organisiert. Haftzettel kleben schließlich hervorragend auf Autowindscheiben, Webcams, Mikrowellen und auf der Stirn des unpünktlichen Ehemannes. Und unpünktlich ist Bernd in der letzten Zeit ständig. Kann es wirklich sein, dass Heidi bereits auf der Abschussliste steht und Bernd sie mit seiner neuen Kollegin betrügt? Immerhin wird jede dritte Ehe geschieden und in der letzten Zeit gleicht die Nachbarschaft einem Swingerclub. Heidi mag das erst nicht glauben, doch bald häufen sich die Indizien, die für seine Affäre sprechen. Als dann noch die gesamte Familie mit besagter Kollegin ein verlängertes Skiwochenende verbringen soll, ist sie sicher, Bernd will sie eiskalt gegen das rothaarige Biest austauschen. Doch so leicht lässt man sich nach zehn Jahren Beziehung, zwei Kindern und ruinierter Figur nicht abservieren …

Angelika Hesse

Aus Liebe verzettelt

Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

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Die Autorin dankt Andreas Gabalier für die Erlaubnis, sein Foto zu verwenden. Das Copyright © liegt bei Andreas Gabalier/Adlman Promotion GmbH.

Copyright © der Abbildungen: fotolia.com Im Detail: Klebezettel © kharlamova_lv, fotolia.com; Schild für Rautenbock © mapoli-photo, fotolia.com; Postkarte aus USA © Avantgarde, fotolia.com; Zettel für Beipackzettel © eyeQ, fotolia.com; Briefumschlag © mstanley13, fotolia.com; Flyerhintergrund © svariophoto, fotolia.com

Originalausgabe bei Forever. Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Dezember 2014 (3) © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014 Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © FinePic®; Frau mit Brille © Lara Nachtigall, fotolia.com Autorenfoto: © Marsha Glauch, Krefeld

ISBN 978-3-95818-023-9

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

1. Kapitel

Ich sprinte aus der Dusche und schlüpfe in die einzig saubere Jeans. Scheiße, das darf nicht wahr sein! Das ist die dritte Hose innerhalb von zwei Monaten, an der die Knie durch sind. Laut der Instyle sind used Jeans mit Löchern und Rissen wieder stark im Kommen – und natürlich existiert von mir das obligatorische Cala-Ratjada-Foto aus den frühen 90ern, was mich in einer Levis 501 mit Acht-Zentimeter-Loch am Knie zeigt – aber bin ich aus dem Alter nicht langsam raus? Heute stammen die durchgescheuerten Stellen von der ständigen Rumrutscherei auf dem Kinderzimmerboden und nicht von vorsätzlicher Bearbeitung mit der Nagelfeile am Badewannenrand. Da der kürzlich geäußerte Vorschlag meiner Mutter »Kind, da gibt es doch so Bügelflicken« nicht infrage kommt, stopfe ich das Teil in den kleinen Kosmetikeimer. Wenn meine Kinder nicht mit Bärchen-Emblemen auf den Hosen rumlaufen müssen, dann sei mir der Luxus eines einwandfreien Beinkleides ebenfalls gegönnt.

Also doch der Rock und noch schnell mit Bernds Nassrasierer über die unweiblichen Stoppeln an den Beinen fahren, das Blut von den Schürfwunden abtupfen, Sprühpflaster drauf und den Rasierer gesäubert unauffällig an seine gewohnte Stelle legen, damit Bernd es nicht merkt. Er kann es nicht leiden, wenn ich mit seinem Eigentum meine Beine oder diverse andere Stellen bearbeite. Mit ein wenig Bronzepuder zaubere ich künstliche Frische in mein müdes Gesicht und beäuge kritisch die zwei kleinen, senkrechten Falten zwischen den Augenbrauen, die sich in der letzten Zeit tief in meine Haut eingebrannt zu haben scheinen.

schreibe ich auf meinen gelben Haftzettel-Block, den ich immer griffbereit mit mir rumschleppe.

Wo bleibt Bernd denn nur? Er hätte längst hier sein sollen. Es ist kurz vor acht. Ich schaue aus dem Fenster, kein Auto weit und breit. Ich versuche es auf dem Handy, erreiche aber wieder mal nur die Mailbox. Er kann doch nicht vergessen haben, dass ich um acht Uhr mit Steffi, Ines und Claudia zum Weiberabend verabredet bin. Jetzt stehe ich hier, aufgebrezelt und ratlos. Ich hätte ihn doch heute Morgen daran erinnern sollen.

Eine knappere und nicht ganz so freundliche Variante verfasse ich per SMS. Vielleicht sollte ich während des Wartens noch ein paar Zettel anfertigen? Das wäre wenigstens sinnvoll.

Nummer eins am Kühlschrank: »Lieber Schatz. Dein Essen steht in der Mikrowelle.«

Nummer zwei an der Mikro: »Drei Minuten bei 600 Watt, ist bereits voreingestellt. Drücke auf Start.«

Nummer drei im Kinderzimmer: »Sara muss vor dem Schlafengehen aufs Klo, sonst pinkelt sie wieder ins Bett. Seid bitte LEISE, Lena schläft schon.«

Nummer vier am TV-Gerät: »Chips und Bier für deinen einsamen Männerabend stehen bereit. Lass die Krümel liegen, ich saug das nachher noch schnell weg. Neue Batterien in der Fernbedienung sind eingelegt. Küsschen, Küsschen, deine Putz-, Haus-, Kinder- und geliebte Ehefrau.«

Ich dampfe vor Wut und merke, wie ich mit den Zähnen knirsche, und reiße ein neues Blatt vom Block:

Dann wird der gelbe Gedankenträger ans Telefon geklebt. Meine Armbanduhr zeigt drei Minuten nach acht. Ich rufe Steffi an, dass ich später komme. Dann wähle ich erneut seine Nummer. Die Mailbox verhöhnt mich, ich kann den Text nicht mehr hören.

»Guten Tag, das ist die Mailbox von Bernd Heiermann. Ich bin im Moment nicht zu erreichen, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.«

Zum ersten Mal fällt mir auf, wie spießig seine Ansage und wie monoton seine Stimme ist. »Hier auch Heiermann, und ich wünschte, ich hätte deinen beschissenen Namen niemals angenommen. Wenn du deinen Arsch nicht binnen einer Minute nach Hause beförderst, damit ich endlich das Haus verlassen kann, kannst du deine Koffer nehmen und zu Frau Meyer gegenüber ziehen. Ich weiß sowieso, dass du auf sie und ihren ausladenden Vorbau stehst. Oder warum entsorgst du in letzter Zeit ihren Grünabfall und gaffst ihr ständig auf die Titten?«

Natürlich bin ich viel zu diszipliniert um Derartiges von mir zu geben. Stattdessen hinterlasse ich nur die leicht gereizte Nachricht: »Ich bin´s. Wo bist du denn? Ich habe doch meinen Frauenabend. Ruf bitte wenigstens zurück!«

»Mama. Bist du noch da?«, ertönt die Stimme meiner Großen aus dem Kinderzimmer.

»Ja, Liebes. Papi ist noch unterwegs. Schlaf mal schön.«

»Wo ist Papi denn?«

»Vielleicht bei Frau Meyer«, murmle ich, natürlich so leise, dass sie mich nicht versteht. »Sicher dauert es bei einem Kunden etwas länger«, antworte ich stattdessen laut.

Ob ihn jemand aufgehalten hat? Vielleicht liegt er gerade mit einer flachbauchigen, langmähnigen Endzwanzigerin in einem billigen Hotelzimmer und beklagt sich darüber, dass seine Ehefrau zwar eine liebevolle Mutter, der Sex aber genauso fad wie ihr Kartoffelgratin ist? Ich schaue an mir herunter und streiche über meine dezente Ich-habe-schließlich-zwei-Kinder-gekriegt-Wampe. Ich müsste wirklich mehr Sport treiben. Wo ist überhaupt die elektronische Chipkarte für das »Super Gym«? Es ist immer das Gleiche mit meinen Fitnessvorsätzen. Nachdem ich bei einem gut gebauten Jüngling mit gebleachten Zähnen und dunklem Sonnenbankteint das Probetraining absolviert habe, stellt dieser mit ernster Miene meinen Trainingsplan auf.

»Dein BMI ist eigentlich im Normbereich, aber dein Körperfettanteil ist eindeutig zu hoch. Du musst deine Ernährung umstellen, Muskelmasse aufbauen und die Kondition steigern.«

Ich gelobe feierlich Fleiß und Schweiß, gehe hochmotiviert ins Studio, kämpfe bei der Abgabe meiner Kleinen in der Kinderbetreuung tapfer mit den Tränen, ernähre mich absolut gesund und komme mir kraftvoll, jung und wahnsinnig sportlich vor. Nach spätestens zwei Wochen knickt meine Energiekurve rapide ab, und ich muss einsehen, dass meine Ausdauer für zwei Kinder nebst Haushalt, Einkäufen, Gartenarbeiten, Bügelorgien und Elternratssitzungen im Kindergarten nicht ausreicht, um noch zusätzliche Workout-Einheiten durchzustehen.

Wie machen andere das bloß? Wenn ich beim Tatort noch miterlebe, wie die spröde Lindholm den Täter am Ende die Handschellen anlegt, grenzt das an ein Wunder. Meistens schlafe ich gegen halb zehn mit offenem Mund auf dem Sofa ein, gebe laute Grunzlaute von mir und werde von Bernd charmant und unzärtlich mit einem Stoß in die Rippen geweckt.

»Jetzt geh endlich ins Bett, du schnarchst ja so laut, dass ich nichts mehr verstehen kann.«

Kann man einem Mann da verübeln, dass er an fremden Töpfen nascht? Wenn die Ehefrau abends mit vor Fettcreme glänzendem Gesicht in den zwei Nummern zu großen Schlafanzug schlüpft (ein Überbleibsel der letzten Schwangerschaft) und sich wie ein nasser Sack ins Bett plumpsen lässt? Wenn sie statt aufreizend schwarzer Spitzendessous bunte Betty-Boop-Comic-Panties von H&M trägt? Aber für maximal zweimal im Monat Sex lohnt sich die Anschaffung einer teuren Victoria‘s-Secret-Ausrüstung nun wirklich nicht, und ein Hugh Jackman ist er auch nicht gerade. Er hat in den letzten Jahren ordentlich zugenommen, und wenn ich mich richtig erinnere, hatte er früher keine ausgeleierten Unterhosen mit den berühmten drei Buchstaben »TCM« darauf, sondern trug männliche schwarze »CK«-Slips. Oft schnarchen wir auch einträchtig nebeneinander auf dem Sofa, wobei er unumstritten der lautere Säger von uns beiden ist.

Ich schiebe die selbst erniedrigenden Gedanken zur Seite. Ganz so schlecht bin ich nicht in Form, und eine Zweijährige sollte noch nicht zu viel fremdbetreut werden. Das habe ich letztens in meinem Elternratgeber gelesen. Der Raum für die Zwerge in der Kinderbetreuung riecht auch immer so muffig. Eine Zumutung für meine kleine zarte Lena, wo sie sich so schnell was an den Bronchien einfängt. Ich notiere entschlossen:

Draußen ertönt das Martinshorn eines Krankenwagens und lässt mich augenblicklich zusammenzucken. Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen? Er ist ein sicherer Autofahrer, aber in der letzten Zeit hat er viel gearbeitet, klagte über Rückenschmerzen und Müdigkeit. Erst gestern sind mir seine dunklen Augenringe aufgefallen. Mit einem Mal bekomme ich ein verdammt schlechtes Gewissen. Während ich hier rumsitze und ihn anklage, liegt er vermutlich im Krankenhaus. Schläuche hängen aus ihm heraus, er ist an der Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, ein Haufen Ärzte und Schwestern kämpfen um sein Leben.

»Weg vom Tisch und Schuss«, sehe ich vor meinem geistigen Auge den grauhaarigen Oberarzt mit den Elektroschock-Kontakten rumhantieren. Verdammt, die müssten mich doch gleich anrufen, wenn ihm etwas zugestoßen ist. Wo sind eigentlich die Lebensversicherungspolicen abgeheftet? Ist die Absicherung im Fall der Fälle hoch genug? Ich überschlage im Kopf unsere monatlichen Ausgaben: das Darlehen fürs Haus, die Nebenkosten, Versicherungsbeiträge, Lebensmittel, die Reitschule für Sara, Katzenfutter für unseren Sofatiger, Rundfunkgebühren, Unterhaltskosten fürs Auto etc. Mir wird schlagartig bewusst, wie unnötig einige Ausgaben sind.

Muss die Frischwurst wirklich immer vom Metzger sein? Ist es nicht übertrieben, einer Sechsjährigen gleich zwei wöchentliche Reitstunden zu spendieren? Und dann der überteuerte Beitrag fürs Super Gym. Für den Bruchteil eines Moments überkommt mich der Wunsch, die Jeans aus dem Kosmetikeimer zu fischen. Sofort verbiete ich mir diesen absurden Impuls. Ich füge unter »Fitness-Studio kündigen« noch die Punkte »Versicherungsfrizzen anrufen + Deckung Risikolebensversicherung prüfen« und »Haushaltsbuch anschaffen« hinzu.

In diesem Moment klingelt das Telefon. Mein Herz fängt an zu rasen. Das wird die für diese Fälle psychologisch ausgebildete Schwester sein, die mir mitteilt, dass ich ab sofort alleinerziehende Witwe bin.

»Hallo«, hauche ich ängstlich in den Hörer. Aber es ist nur Steffi.

»Ist er immer noch nicht aufgetaucht? Mann, wir haben Hunger!«

»Bestellt doch schon mal ohne mich. Ich komm nach, sobald ich wegkann.«

Mein Magen knurrt. Ich öffne den Kühlschrank und stopfe mir die letzten drei Stücke der Schokoladentafel in den Mund. Fünf hatte ich heute, das macht insgesamt 160 unnötige Kalorien. Es gab Zeiten, da habe ich alles, was ich zu mir genommen habe, akribisch untereinander aufgeschrieben und die Kalorien daneben notiert. Bis mir dann mal der gelbe Zettel im Kindergarten aus der Hosentasche gerutscht ist, als ich Sara die Schuhe zubinden wollte.

»Biste auf Diät?«, grinste die blöde Mutter von Paul, die sich den Zettel grabschte und ihn mir sarkastisch lächelnd vor die Nase hielt. Mir war mein niedergeschriebener Mageninhalt unendlich peinlich. Ausgerechnet vor dieser laufenden Kleiderstange musste mir das passieren.

Seitdem zähle ich Kalorien nur noch im Kopf. Meistens habe ich ab 2000 keine Lust mehr, da mein Kalorienbedarf längst überschritten ist.

Endlich! Das erlösende Geräusch des Schlüssels im Haustürschloss lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Der Herr hat den Weg nach Hause gefunden!

»Hallo, Schatz, war das ein Stresstag. Hast du versucht mich anzurufen? Ich habe es gerade erst auf dem Display gesehen. Was gibt es zu essen?«

Bernd schenkt mir keine weitere Beachtung, wandert geradewegs in die Küche und lässt sich schwerfällig auf einen Stuhl nieder. Ich kann weder Pflaster, Verbände noch Lippenstift erkennen. Bernd greift zur Post, die die treusorgende Ehefrau jeden Tag an dieselbe Stelle auf den Tisch legt, damit er nicht lang suchen muss.

Wenn er sitzt, kann man seine fortschreitende Glatze am Hinterkopf sehen. Die kahle Stelle wäre ein hervorragendes Ziel für einen kräftigen Schlag mit der Bratpfanne. Die Notfall Chirurgie könnte die Platzwunde sauber vernähen.

Als wir uns kennenlernten, war sein dunkles Haar noch dicht. Seit Neuestem hat er ein Volumen-Power-Spray aus dem Shopping-Kanal für sich entdeckt, ein Produkt, das angeblich Mikrofasern enthält und das Haar verdichten soll. In Wirklichkeit ist es ein übel riechendes, ordinäres Haarspray mit Farbpigmenten. Ich wette, mit schwarzem Edding würde ich das besser und wesentlich billiger hinkriegen.

Während ich neben ihm stehe und darüber nachdenke, ob ich das Spray demnächst nicht einfach mal gegen ein Insektenvernichtungsmittel austausche, damit seine Birne mal richtig ordentlich brennt und die Schmerzströme sein Gedächtnis anregen, blickt er endlich auf und nimmt Notiz von mir.

»Warum bist du denn so chic?«

Giftpfeile aus meinen Augen bringen ihn schlagartig zum Schweigen. Hektisch greift er nach seinem iPad, seinem elektronischen Freund, der ihm all seine überaus wichtigen Kundentermine nennt und ohne den er nicht mal aufs Klo geht.

»War heute was? Ich habe nichts eingetragen. Du schreibst mir doch sonst immer diese gelben Zettel.«

Ich stampfe zum Schuhschrank, tausche meine flachen, braven Stiefeletten gegen die fünfzehn Zentimeter hohen Superstiefel, die ich mir vor Monaten in einem Anflug finanziellen Leichtsinnes gekauft habe, reiße von meinem Block das letzte Blatt ab, kritzel in Großbuchstaben die einzige Antwort, die er verdient, klebe es meinem Göttergatten auf die Stirn, schnappe mir die Handtasche und verlasse das Haus.

2. Kapitel

Als ich beim Italiener eintreffe, haben Steffi, Claudia und Ines bereits ihr Essen vor sich stehen und tauschen den neuesten Klatsch aus. Bei unserem unregelmäßig stattfindenden Frauenabend ging es ursprünglich um die Organisation der Elternarbeit im Kindergarten. Inzwischen wird aber nur noch getratscht und gelästert, gut gegessen und mit jeder Menge Wein nachgespült.

»Na endlich, da bist du ja«, begrüßt mich Steffi.

»Bernd, ihr kennt das ja«, sage ich und winke nach dem Kellner. »Einmal Penne al Arrabiata extrascharf«, ordere ich, ohne in die Karte zu schauen. »Und einen Viertelliter Pinot Noir.«

Mein Magen hängt auf den Knien. Heute Mittag gab es wieder nur Kinderkost: Kartoffelpüree mit Minifrikadellen aus Bio-Hackfleisch, selbst gemacht, versteht sich. Mit Kindern wird man zur Lusche, in jeder Beziehung: Nicht zu viel Salz, nicht so viel Zucker, keine künstlichen Geschmacksverstärker. Ich hasse Hausmannskost. Für Bernd muss es dann abends Fleisch, Fleisch und noch mal Fleisch sein. Einmal im Leben habe ich es gewagt, ihm einen Biogemüseburger zu servieren. »Was soll das sein? Gebratene Kamelkacke mit Stroh?«, maulte er.

Ich bleibe sowieso auf der Strecke, ernähre mich hauptsächlich von Butterbroten und Schokolade. Umso mehr freue ich mich jetzt auf meine Leibspeise, scharf, tomatig, anständig gewürzt, auf einem sauberen Teller mit frischem Rucola und geriebenem Parmesan, nett angerichtet. Das Beste daran: Ich muss den Teller später nicht mal wegräumen.

»Frank hat sich nun endgültig von Corinna getrennt«, bringt mich Steffi auf den aktuellen Stand.

»Traurig, nicht?«, meint Claudia. »Hat es wieder zwei erwischt. Das ist jetzt schon das dritte Paar, das sich innerhalb kürzester Zeit getrennt hat, und die Kinder sind wieder die Leidtragenden.«

»Er ist ausgezogen, man munkelt, er hat schon eine Neue«, flüstert Ines.

»Ich wusste nicht, dass Frank ein Fremdgänger ist. Schade, ich dachte, die beiden kriegen sich wieder ein. Frank hat Corinna eigentlich immer vergöttert«, sage ich.

Dass es in Franks und Corinnas Ehe kriselt, haben wir in den letzten Monaten alle mitbekommen. So was spricht sich im Kindergarten blitzschnell herum.

»Papa schläft jetzt bei mir im Kinderzimmer«, erzählte Maximilian, der Sohn von Corinna und Frank, beim Sankt-Martins-Umzug im Kindergarten.

»Natürlich hat Frank Corinna vergöttert. Man muss sich nur Corinnas Klamotten und Schmuck angucken. Letztes Jahr hat er ihr den nagelneuen Audi vor die Tür gestellt. Und es war sie! Sie hat ihn zuerst betrogen. Angeblich nicht nur einmal! Wusstet ihr, dass sie was mit Jochen, dem Vater von Anna, hat?«, fragt Claudia.

»Mit dem Jochen? Dem Vater von Anna aus dem Kindergarten? Angelas Mann? Bist du sicher?«, frage ich ungläubig.

Jochen ist keine eins siebzig, untersetzt, arbeitet beamtet bei der Stadt und ist so ziemlich der letzte Mensch, der in meinen erotischen Träumen eine Hauptrolle spielen würde.

»Ja, der Jochen. Ich weiß es aus sicherer Quelle. Jochens Schwester ist in meinem Pilates-Kurs. Sie hat sich furchtbar über ihren Bruder aufgeregt. Behaltet es für euch. Angela weiß davon nichts.«

»Das wird aber nicht lange dauern, bis Angela es mitkriegt, wenn Jochens Schwester es schon in ihrem Pilates-Kurs rumtratscht und Frank und Corinna sich offiziell getrennt haben«, bemerke ich bitter.

Ines runzelt die Stirn. »Ist Angela nicht schwanger? Ich dachte, Jochen wird zum zweiten Mal Vater?«

»Ist zum zweiten Mal Vater geworden, Lilli-Lou ist fünf Wochen alt. Angela und Jochen werden dann wohl die Nächsten sein, die sich trennen«, stelle ich fest.

»Arme kleine Anna «, sagt Claudia.

»Armer Maximilian«, sagt Steffi.

»Armer Frank«, seufzt Ines. »Dabei sieht er so unverschämt gut aus.«

»Arme Angela«, sage ich und meine es aus tiefstem Herzen ehrlich, auch wenn ich Angela für eine linke, herzlose Kuh halte. Wir waren mal enger befreundet, trafen uns mit den Kindern mindestens einmal in der Woche. Angela betonte ständig, wie froh sie sei, dass Anna und Sara sich so gut verstehen würden. Dennoch hielt Anna es nicht für nötig, Sara zu ihrem fünften Geburtstag einzuladen. Ein Schlag ins Gesicht für mein Kind. Für Sara brach natürlich eine Welt zusammen. Am liebsten hätte ich Angela und Anna ordentlich den Marsch geblasen, stattdessen versuchte ich Schadensbegrenzung: »Sara-Schatz. Anna durfte sicher nur eine bestimmte Anzahl von Kindern einladen. Trag ihr das nicht nach.«

Innerlich war ich stinksauer und regelte die Sache auf meine Weise. Ich fuhr vormittags in den Kaufhof, wo ich Annas Geburtstagskorb vermutete. Vielleicht war es gemein, die Polly Pockets, Fillys, den Topmodelkram und die Freundschaftsbänder auszutauschen, aber ich fand, Anna habe die Abreibung verdient! Angela erzählte mir Wochen später, Anna hätte aus unerfindlichen Gründen sehr merkwürdige Dinge zum Geburtstag geschenkt bekommen, und fragte, was die Mütter sich wohl dabei gedacht hatten, einem fünfjährigen Mädchen Matchboxautos, Fußballhandsuche, Plastiksägen und Bücher über Autos und den Beruf des Feuerwehrmannes zu schenken. Ich hätte gerne die Gegenfrage gestellt. »Was hast du dir dabei gedacht, mein Kind nicht einzuladen?«, beließ es aber bei meiner kleinen Rache. Seitdem kassiert sie von mir eine Abfuhr nach der anderen, wenn sie um ein Treffen bittet.

Ob Jochen erkannt hat, was für ein egoistisches, oberflächliches und herzloses Weib er geheiratet hat? Dennoch, sie tut mir leid. Mit dickem Bauch betrogen zu werden, wünscht man nicht einmal seinem schlimmsten Feind. Aber was in drei Teufels Namen, mag die bildschöne Corinna in die Arme des kleinen, unscheinbaren Jochen getrieben haben? Frank und Corinna waren äußerlich das perfekte Paar. Sie hatten eine echte Bilderbuchhochzeit mit Kutsche, zweihundert Gästen, Feuerwerk, allem, was dazugehört. Ich sehe sie noch vor mir: Corinna, hochschwanger, mit roten, gesunden Wangen in einem traumhaften Empirekleid in Cremeweiß. Frank im edlen Armani-Anzug, beide total happy und verliebt. Mit der Hochzeit wurde das schicke, freistehende Einfamilienhaus mit riesiger Glasfront und Feng-Shui-Garten eingeweiht. Er verdient gut als Projektleiter in einem Pharmaunternehmen. Sie ging nach der Geburt in ihrer Rolle als Mutter total auf, arbeitete nur noch stundenweise von zu Hause. Porsche, Putzfrau, Babysitter, alles da. Im Vergleich dazu glich meine eigene Hochzeit einer Grillparty.

»Bist du dir sicher, dass du den Knallkopf heiraten willst?«, fragte meine Freundin Linda damals, als ich ihr die frohe Botschaft überbrachte, dass Bernd mir einen Antrag gemacht hatte.

»Natürlich bin ich sicher«, rief ich entrüstet. Er war schließlich der Mann meines Lebens.

Bernd lief mir vor zehn Jahren auf der Silvesterparty einer Kollegin über den Weg. Es war kurz vor Mitternacht, als ich, schon voll bis obenhin, meine Taschentücher für den Jahreswechsel bereithielt. Für mich als Single über dreißig gehörte Silvester neben dem vorangegangenen Weihnachtsfest und meinem damit verbundenen Geburtstag zu den schwärzesten Stunden des Jahres. Er sprach mich an, fragte, wie spät es sei. Keine originelle Anmache, aber wer braucht kurz vor zwölf schon Originalität? Ich legte den Turbogang ein, knutschte ins neue Jahr und ließ die Taschentücher stecken.

Nach der Party liefen wir durch die Stadt, versuchten ein Taxi anzuhalten, gaben es schließlich auf und frühstückten in einem Stehcafé am Bahnhof. Wir redeten und redeten. Es gab keine Gesprächspausen, die Chemie stimmte, und wir verabschiedeten uns erst, als die Sonne aufging und die ersten Bahnen wieder fuhren. Wir tauschten Adressen und Nummern. Einige Tage später fuhr er für drei Wochen in die USA. Ich hörte nichts mehr von ihm. Fast hätte ich ihn als einmalige Silvester-Knutsch-Bekanntschaft zu den Akten gelegt, doch dann erhielt ich eine Karte aus Las Vegas.

Wir trafen uns noch am Abend seiner Rückkehr. Wir gingen essen, ins Kino, telefonierten stundenlang, näherten uns an. Genau einen Monat nach unserem Kennenlernen, am 31. Januar, übernachtete er zum ersten Mal bei mir. Wir schliefen miteinander. Morgens fuhr ich übermüdet und superhappy ins Büro. Nach der Mittagspause stand ein riesiger Strauß roter Rosen auf meinem Schreibtisch. Die halbe weibliche Belegschaft zerfloss vor Rührung, als ich die kleine, beigefügte Karte vorlas:

Ab diesem Moment war klar, wir gehören zusammen. Ein Jahr später zogen wir in unsere erste gemeinsame Wohnung. Bernd war humorvoll, bodenständig, ehrlich und zielstrebig. Er wusste, was er wollte und wie sein Leben abzulaufen hatte. Er hatte einen Plan, und ich war stolz, Teil dieses Planes zu sein. Bernd war kein Ich brauche meine Freiheit-Typ. Er las die Kleinanzeigen freiwillig, schaute zukunftsorientiert nach Dreizimmerwohnungen, die vorzugsweise im Erdgeschoss lagen oder zumindest einen Aufzug besaßen.

»Ein drittes Zimmer können wir gut brauchen, als Büro oder so«, meinte er, als wir unsere 100-m²-Traumwohnung gefunden hatten.

»Ein Bürozimmer, in dem wir Wasserkästen lagern oder einen zusätzlichen Schuhschrank reinstellen können, wäre praktisch«, nickte ich eifrig, strich gedanklich die Wände des Zimmers bereits in zartem Gelb und überlegte, auf welcher Seite sich eine Wickelkommode am besten machen würde.

Ich war entschlossen, diesen Traummann nicht von der Angel zu lassen. An unserem zweiten Jahrestag fand ich ein kleines Kästchen unter meinem Kissen. Beim Anblick des Weißgoldrings mit Brilli flippte ich aus. Wir heirateten im Sommer, zwei Jahre später wurde Sara geboren, und wir zogen in unser kleines Reihenhäuschen in der besten Gegend der Stadt. Bernd hatte damals durchaus Sex-Appeal. Am Anfang unserer Beziehung trieben wir es wie die Karnickel. Ich kam regelmäßig zu spät ins Büro, weil wir uns in der Früh zu dem ein oder anderen Morgenquickie hinreißen ließen oder verschliefen, weil wir nachts nicht voneinander lassen konnten.

Inzwischen schlage ich mir nur noch die Nacht um die Ohren, wenn eines der Kinder rumhustet oder fiebert. Als meine Freundin Linda sich beschwerte, dass sie ganze zwei Monate keinen Sex mehr hatte, tröstete ich sie, dass es bei mir noch länger her sei.

»Ist nicht dein Ernst«, empörte sie sich und fragte sofort nach, was zwischen mir und Bernd nicht stimmen würde.

»Gar nichts. Wir haben einfach keine Zeit. Die Kinder und so«, versuchte ich eine Verteidigung und ärgerte mich, dass ich überhaupt etwas gesagt hatte. Mit Kinderlosen sollte man über so etwas nicht diskutieren. Wie sollten die verstehen, dass nach erfolgter Fortpflanzung ein Schlafhormon freigesetzt wird, was einen ständig müde und lustlos werden lässt?

»Corinna und Frank passten so gut zusammen«, reißt mich Ines aus meinen Gedanken. »Was hat Corinna nur geritten?«

»Vielleicht hat sie sich gelangweilt«, sage ich und ernte zustimmendes Kopfnicken. »Frank ist fast die ganze Woche über in Frankfurt. Corinna ist mit Max viel allein.«

»Stimmt, wenn man sie ab und zu auf dem Spielplatz trifft, wirkt sie immer so gestresst. Dabei hat sie doch nur das eine Kind«, lästert Ines, »und dazu noch eine Zugehfrau, die den halben Tag da ist. So gut möchte ich es haben. Meine Putzfrau kommt nur alle zwei Wochen fürs Grobe. Na ja, finanziell hat Corinna dann ausgesorgt. Frank wird ordentlich Unterhalt abdrücken müssen.«

»Aber auch nicht für immer. Durch das neue Unterhaltsgesetz ist alles nicht mehr so, wie es mal war. Da werden wir Frauen richtig verarscht!« Steffi schüttelt den Kopf. »Da bleibt man jahrelang zu Hause, damit die Kinder nicht von einem Hort in den nächsten abgeschoben werden, und nach der Scheidung heißt es: So, nun geh wieder schön arbeiten und versorg dich allein.«

»Und dann muss man als alleinstehende Mutter erst mal einen Job finden. Da rennen dir die Arbeitgeber nicht gerade die Tür ein.« Claudia knallt wütend ihr Weinglas auf den Tisch. »Und zahlen wollen die alle nichts.«

Claudia ist achtundvierzig und war vor der Geburt ihres Sohnes Jean-Pascal Personalchefin in einer großen Bank. Jean-Pascal ist ihr Ein und Alles, Ergebnis einer Jahre andauernden Hormontherapie mit etlichen vorangegangenen schmerzvollen Abgängen. Claudia und ihr Mann hatten die Hoffnung gerade aufgegeben, da kündigte sich Jean-Pascal vor fünf Jahren doch noch an. Die Schwangerschaft war hart. Claudia musste ab dem vierten Monat liegen, Jean-Pascal kam zehn Wochen zu früh auf die Welt. Bis heute ist er ein kränkliches Kind, checkt regelmäßig in der Kinderklinik ein. Nach der Elternzeit wollte Claudia zurück in ihren Job, aber daraus wurde nichts. Mütter, die ständig wegen eines kranken Kindes ausfallen, stramm auf die fünfzig zusteuern und in der oberen Gehaltsliga mitspielen wollen, kann man in der Chefetage nicht brauchen. Sie wurde eiskalt aus der Bank gemobbt. Claudia konzentriert sich nun ausschließlich auf ihren Sohn, nachdem zahlreiche Bewerbungen ins Leere liefen. Sie musste sich immer wieder anhören, sie sei überqualifiziert und ihre Gehaltsvorstellungen zu utopisch.

»Ich finde es okay, wenn die Männer nach der Scheidung nicht ihr Leben lang für die Exfrau bluten müssen«, wirft Ines ein.

Ines hat sich vor zwei Jahren von ihrem Mann getrennt und wohnt mit Klaus zusammen, der ebenfalls in Scheidung lebt und drei kleine Kinder hat. Die moderne Patchworkfamilie, die nicht so reibungslos abläuft, wie sie es gerne vorgibt.

»Das Leben geht schließlich weiter, und wenn man dann noch mal eine neue Familie gründen will …« Sie wird rot. Wir wissen alle, dass Ines gerne ein Kind von ihrem Neuen hätte, um ihn an sich zu binden. Seine Exfrau zeigt Ines bei jeder Gelegenheit, wer die Zügel in der Hand hat. Sie ist die Mutter von Klaus‘ Kindern, und das lässt sie Ines bei jeder Gelegenheit spüren.

»Wenn er dann noch für Kinder und die Exfrau zahlt, wie soll das finanziell alles funktionieren?«

»Das wäre mir total egal«, poltert Claudia laut. Ich schaue mich peinlich berührt um, die anderen anwesenden Gäste nehmen jedoch keine Notiz von uns. »Ich habe meine Gesundheit für Kind und Mann geopfert. Wenn ich dann alleine dastehen würde, weil mein Mann keinen Bock mehr auf mich hat, kann ich als Kellnerin anfangen. Wer nimmt einen denn mit Ende vierzig und kleinem Kind? Das ist doch scheiße ungerecht.«

»Corinna ist fremdgegangen, warum soll Frank jahrelang für sie weiterzahlen?«, setzt Ines ungerührt entgegen.

»Ich könnte mir vorstellen, dass Corinna nach Bayern zurückgeht. Sie hat sich im Grunde hier nie richtig wohlgefühlt«, sagt Steffi.

»Dann geht der Krieg um das Aufenthaltsrecht für die Kinder los«, seufze ich. »Wie bei Torsten und Rosa.«

Torsten und Rosa wohnten bis vor drei Jahren neben uns. Wir waren eng mit ihnen befreundet. Dann haben sie sich getrennt. Rosa wollte daraufhin zurück nach Spanien. Seitdem jagt ein Gerichtstermin den nächsten. Es geht um Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht und jede Menge dreckiger Wäsche. Teresa, inzwischen dreizehn und voll in der Pubertät, zeigt seit einem Jahr anorexische Züge. Torsten wirft Rosa vor, ihre Tochter krank gemacht zu haben, und Rosa ist sicher, in Spanien wäre alles anders verlaufen. Wahrscheinlich liegen sich die beiden noch weitere Jahre in den Haaren und werfen den Anwälten ihr gesamtes Geld in den Rachen, bis Teresa achtzehn ist und entscheidet, dass sie es bei keinem der beiden mehr aushält.

»Und wie läuft es bei euch? Warum war Bernd denn wieder so spät. Alles in Ordnung?« Steffi wickelt ihre Spaghetti auf die Gabel und schaut mich forschend an.

»Alles normal so weit, wenn man davon absieht, dass wir uns seit Wochen darüber streiten, mit welcher Dachpfanne wir unser Dach neu decken lassen. Ich will was Modernes. Die Pfanne, die ich mir ausgesucht habe, ist zwar teuer, würde das Haus aber enorm aufwerten. Bernds Favorit ist eine spießige graue Dachpfanne. Er findet, die würde sich besser in unser Straßenbild einfügen. Ich hätte nie gedacht, dass man sich wegen Dachpfannen in die Haare kriegen kann. Aber warum fragst du?«

»Ach, nur so.«

»Nun sag schon. Irgendwas ist doch«, fasse ich nach. Warum wird Steffi denn so rot?

»Wir wollen hier jetzt keine Welle lostreten, und wahrscheinlich ist da überhaupt nichts, aber wir kennen uns nun schon so lange und …« Sie stockt und blickt hilflos zu Ines.

»Ist bestimmt ganz harmlos, aber Steffi brennt es auf der Seele«, sagt Ines.

»Was brennt ihr auf der Seele?« Langsam bin ich das alberne Rätselraten leid.

»Du weißt, dass ich stundenweise in der kleinen Boutique in der Stadt aushelfe«, druckst Steffi rum.

»Ja, und?«

»Gegenüber ist ein kleines indisches Restaurant …« Sie macht eine Pause und schaut erneut verunsichert zu Ines, die ihr aufmunternd zunickt.

»Du, ich habe Bernd da bestimmt schon drei- oder viermal

mittags mit einer Frau gesehen: so rote Haare, groß, sehr schlank. Sagt die dir was? Kennst du die?«

Ich schüttle den Kopf.

»Von unserem Laden kann man direkt in die Fenster des Inders sehen.«

»Ja und?«

»Genau, was ist schon dabei«, mischt sich Claudia ein und tätschelt zärtlich meine Hand. »Wird eine Bekannte oder eine Kollegin sein, nicht wahr, Heidi?«

»Bernd hat so einige Kollegen oder Kolleginnen. Das wechselt ständig, und er geht oft mit Kunden essen.«

»Na dann ist ja gut«, seufzt Steffi erleichtert. »Ich wollte es nur erzählt haben. Es war ja nicht so, dass es verdächtig ausgesehen hat oder so«, wirft sie hektisch nach. »Alles normal. Normales Mittagessen. Doof, dass ich überhaupt was gesagt habe. Was schätzt ihr, was ihr insgesamt für das Dach zahlen müsst? Könnt ihr den Dachdecker empfehlen?«, lenkt sie schnell ab.

Bernd und eine Affäre. Quark! Natürlich ist er immer viel unterwegs und kommt selten vor neun Uhr nach Hause. Die Kinder schlafen dann meistens, und er verzieht sich einsilbig auf die Couch, isst und liest die Tageszeitung auf dem iPad. Sein Job ist sehr tough, und wir haben erst letztes Jahr von seinem Jahresbonus eine große Zwischentilgung fürs Haus machen können. Von nichts kommt nichts, philosophiert meine Mutter gern.

»Lass mal gut sein, Heidi. Du musst nicht arbeiten gehen. Wir kommen doch aus«, meinte er, als ich mit dem Gedanken spielte, mir einen Minijob zu suchen. Ich empfinde es daher als gerecht, ihm alles andere vom Leib zu halten: das Einkaufen, die Kinder, den Haushalt. Arbeitsteilung, spießig und altmodisch wie in alten Zeiten. Die Kinder sind noch klein, wenn Sara in die Schule geht, werden wir weitersehen. Dann kann ich immer noch arbeiten. Klar, könnte er sich im Haushalt mehr einbringen, und klar, würde auch ich gerne am Ende des Monats mit einem Gehaltsscheck belohnt werden. Keiner stellt mir eine Bescheinigung aus und teilt mir Schwarz auf Weiß mit, was ich geleistet habe. Wir streiten hier und da, unser Entertainment im Schlafzimmer hat seit den Kindern gelitten. Wenn ständig ein Kind an einem klebt, getröstet und liebkost werden will, hat man abends keinen Bock mehr, sich in Seide zu hüllen und lüstern im Bett auf den Ehemann zu warten. Natürlich fragt man sich, ob der Mann etwas vermisst. Männer sind triebgesteuert. Das hat uns Dr. Jochen Sommer schon in ganz jungen Jahren vermittelt. Aber wirklich ernsthaft habe ich nie geglaubt, Bernd könnte mich betrügen.

Gut, dass der Kellner gerade mit dem Essen kommt und ich mich meinen Nudeln zuwenden kann. Claudia wirft mir einen Blick zu, der »Alles okay?« bedeutet. Ich winke ab, gähne ein paarmal und täusche akute Müdigkeit vor, erwähne, dass die Kinder anstrengend waren, und schwärme von der roten Dachpfanne, die ich mir ausgesucht habe. Um zwölf mache ich den Abflug.

Zu Hause öffne ich leise die Wohnungstür und werde von Bernds unsagbar lauter Schnarcherei aus dem oberen Stockwerk empfangen. Erlöst schlüpfe ich aus den hohen Hacken und genieße die kühlen Fliesen unter meinen geschundenen Fußballen. Das jahrelange Turnschuhtragen hat meine Füße verweichlichen lassen. Sobald die Spielplatzära der Kinder vorbei ist, werde ich die gesamte Plattfußkollektion verbannen und meinen Schuhschrank auf ordentliches Schuhwerk umstellen. Druckstellenpolster und ein paar Stunden High-Heels-Training auf meinen neuen 12-cm-Pumps während des Kochens oder Bügelns müssten reichen, um meine Füße abzuhärten.

Die Küche gleicht einem Schlachtfeld. Seufzend räume ich das herumstehende Geschirr in die Spülmaschine, putze flüchtig über die Arbeitsplatte und stelle die Spülmaschine an. Im Bad reiße ich als Erstes die ungeliebten Kontaktlinsen heraus. Um meine grüne Iris haben sich viele feine rote Linien gebildet. Eine halbe Minute rühre ich ungehemmt mit den Zeigefingern in beiden Augen und gebe dem fiesen Jucken und Trockenheitsgefühl nach, das ich den ganzen Abend aushalten musste.

Nach dem Waschen schleiche ich in die Kinderzimmer, streiche den Mädchen über den Kopf, teste die Körpertemperatur und decke sie bis zum Hals zu. Hilflos und unschuldig liegen sie wie kleine Engel in ihren Betten. Eine mütterliche Welle durchströmt meinen Körper, die sich prompt mit schlechtem Gewissen vermengt. Warum habe ich Sara beim Abendessen angeschnauzt? Sie hat den Joghurt nicht absichtlich auf den Boden geschmissen. Die Küchenwände müssen sowieso bald renoviert werden. Die paar rosafarbenen Fruchtzwergflecken fallen neben den Kakaospritzern auch nicht mehr auf. Morgen werde ich mich von meiner geduldigsten Seite zeigen und das Puzzle mit ihr machen, zu dem ich heute keine Lust hatte.

Im Schlafzimmer knipse ich die kleine Nachttischlampe an und begutachte meinen Ehemann, der unter seiner Bettdecke versteckt selig vor sich hin ratzt und mir den Rücken zudreht. Bevor die Kinder da waren, sind wir oft in der Löffelchenstellung eingeschlafen. Ich fühlte mich immer sehr geborgen, wenn er da so hinter mir lag und ich seinen warmen Atem im Nacken spürte.

Jetzt ist mir eher nach einem Messerchen, das ich ihm gerne in den Rücken jagen würde, damit seine Grunzerei aufhört. Arschloch! Ich bin immer noch sauer, dass er mich wieder einmal vergessen hat. Und warum schläft er schon? Er hätte auf mich warten und wenigstens fragen können, wie mein Tag gelaufen und wie Saras Kindergartenausflug gewesen ist.

Ich hätte ihm gerne erzählt, dass sie von dem kleinen Ben aus der Turngruppe gebissen worden ist und wie süß verschmiert Lena heute nach dem Mittagessen ausgesehen hat. Ich hätte ihm gerne von dem schönen blauen Pulli, den ich heute im Online-Shop entdeckt habe, vorgeschwärmt. Er mag Blau an mir! Ich hätte gerne gefragt, wer die Rothaarige ist, mit der ihn Steffi gesehen hat und seit wann er indisches Essen mag. Ihm ist doch sonst jede Currywurst zu scharf! Ich hätte ihm gerne erzählt, dass sich unser Bekanntenkreis gerade zum größten Swingerclub der Stadt entwickelt. Ich hätte ihm gerne die Einzelheiten von Corinnas und Franks Trennung erzählt und mit ihm analysiert, woran die Beziehung gescheitert ist und warum statistisch gesehen jede dritte Ehe geschieden wird.

In Statistik kennt Bernd sich nämlich bestens aus. Er befasst sich nicht nur beruflich als Unternehmensberater mit Gewinn- und Verlustrechnungen. Gerne rechnet er auch privat auf Heller und Pfennig die verschwendete Energie aus, wenn ich die Heizung zu hoch gedreht, das Licht angelassen habe, das Radio den ganzen Tag dudelt oder zu oft gelüftet wird. Man könnte behaupten, er sei sparsam, aber im Grunde ist es der blanke Geiz.

Es ist unangenehm, wenn Freunde die Gästetoilette benutzen und mindestens dreimal den Spülknopf drücken müssen, bis alles weg ist. Steffi habe ich letztens mit hochrotem Kopf was von einem defekten Schwimmer erzählt, als sich Lauras Würstchen partout nicht runterspülen ließ.

»Ich weiß auch nicht, warum da kein richtiger Druck drauf ist und so wenig Wasser läuft. Muss was kaputt sein.«

Hätte ich ihr sagen sollen, dass Bernd einen Riesenbackstein in den Spülkasten geworfen hat, um den Wasserverbrauch zu drosseln?!

Er kann einem mit seinen Eigenarten mächtig auf den Wecker gehen. Im Sommer waren wir auf dem Herbert-Grönemeyer-Konzert. Eines der wenigen gemeinsamen Events im letzten Jahr. Steffi hatte über ihren Mann, der im Marketingbereich des Konzertveranstalters arbeitet, zehn Karten geschenkt bekommen und uns alle eingeladen. Anstatt den lauen Sommerabend im Kölner RheinEnergieStadion mit seiner tollen Atmosphäre, der phänomenalen Stimmung und der Musik zu genießen, murmelte Bernd während des dreistündigen Konzertes ständig Zahlen. Er schätzte die Zuschauermenge und den Getränkeverbrauch, überschlug die abzuziehenden Kosten für Ton, Licht und Band und kalkulierte den Gewinn, der für die Verantwortlichen übrig geblieben war. Bei »Sie mag Musik, auch wenn sie laut ist« war er sicher, Herbert habe sich gerade einen neuen Maserati ersungen.

Als meine Cousine ihren kleinen Kinderschuhladen, an dem ihr ganzes Herzblut hing, in der Innenstadt aufmachte, rechnete er ihr am Eröffnungstag ständig vor, wie viele Schuhe sie am Tag verkaufen müsse, um allein die Ladenmiete rauszuholen. Er gab ihrer Selbstständigkeit kein Jahr und behielt recht. Nach elf Monaten musste meine Cousine den Laden aufgeben und arbeitet heute wieder als Filialleitung bei Deichmann, um ihre Schulden abzuarbeiten.

Ob man die Haltbarkeit unserer Ehe kalkulieren kann? Ich habe folgende Punkte auf der Verlustseite: Verlust von Sex, guten Gesprächen, Attraktivität, Muskeln und straffem Gewebe, Zeit, Nerven und Energie. Dem gegenüber steht ein Plus an Kindern, Körpergewicht, Stress, Haus und die Familien-Ermäßigungskarte der Stadt. Was kommt da als Bilanz heraus? Zumindest die Tatsache, dass ich in letzter Zeit überlastet bin und das kein Schwein interessiert. Das grunzende Exemplar neben mir scheint zumindest sehr gut damit leben zu können.

Seufzend krame ich meine Box mit den alten Kassetten und den Walkman aus der Kommode. Es hat lange gedauert, bis ich mich endlich von meinen LPs und Singles verabschiedete und die erste CD kaufte. An die neue silberne Scheibe gewöhnt, redete man nur noch von MP3s. Die Schallplatten habe ich vor ein paar Jahren beim Trödel verramscht, von meinen Kassetten kann ich mich nicht trennen. Kassetten sind robust, können nicht zerkratzen, und sollte es mal einen Bandsalat geben, lässt sich das Tape mit etwas Fingerspitzengefühl wieder aufwickeln, im Notfall sogar kleben. Kassetten sind praktisch unkaputtbar. Wer, um Himmels willen, ist auf die Idee gekommen, dieses kostbare Medium aussterben zu lassen?

Alle Jubeljahre packt mich der Ehrgeiz. Dann werfe ich mich in Leggings, schwinge mich in die verdreckten Turnschuhe, lege neue Batterien in den alten Sony Walkman und greife blind in die Schachtel mit den selbst aufgenommenen Musikkassetten. Es gibt keine bessere Gelegenheit, in die Vergangenheit zu reisen, als sich durch den Wald joggend an Udo Sommerfeld zu erinnern, der einem bei Hold Me Now zum ersten Mal unter den Pulli gegangen ist.

Ich hätte Udo letztens auf dem Spielplatz fast nicht erkannt. Udo, dem Dave Gahan der Käthe-Kollwitz-Realschule, lagen alle Mädchen der 9a zu Füßen. Aber nur mit mir ist er ins Kino gegangen: Ferris macht blau, anschließend gab es noch ein Spaghetti-Eis im Eiscafé und Fummelei in seinem kleinen, mit Postern tapezierten Jugendzimmer, untermalt mit Jonny Logans besagtem Song. Und da stand er fünfundzwanzig Jahre später, fünfundzwanzig Kilo schwerer und deutlich gealtert. Die ehemals dunkelbraune, coole Poppertolle war einer grau durchzogenen Bürstenfrisur mit ausgeprägten Geheimratsecken gewichen. Warum waren mir nie seine komischen Segelohren aufgefallen? Wegen Elke aus der B hatte er mich zwei Tage nach unserem Kinoabend eiskalt abserviert. Wochenlang dröhnte Hold Me Now von morgens bis abends aus meiner Stereoanlage (ich besaß als eine der wenigen zu der Zeit einen vollautomatischen Plattenspieler mit Repeat-Funktion), während ich mein Kissen vollheulte und nie wieder einen Fuß in die Schule setzen wollte.

Udo freute sich wahnsinnig, mich wiederzusehen. Seinem Sohn hat er die doofen Ohren vererbt. Meine Mutter sagt immer: »Im Leben hat alles seinen Sinn.« Wahrscheinlich durfte das mit Udo und mir damals nicht sein. Es wäre eine Strafe, wenn meine hübschen Mädchen mit solchen Flügeln am Kopf rumlaufen müssten. Bernds Ohren sind klein und liegen flach an.

Vielleicht sollte ich die Nostalgie eines Tages ruhen lassen und die Tapes wegschmeißen. Mit Ausnahme meiner alten Europa-Hörspiele. Solange Sara noch nicht bereit ist, dass Justus Jonas ihr seine Karte gibt und erklärt, dass die drei Fragezeichen für das Unbekannte, unbekannte Fragen und ungelöste Rätsel, stehen, dienen sie als Einschlafhilfe in Nächten wie diesen. Bernds Sägerei ist nicht zu ertragen. Entweder ich gebe ihm alle paar Minuten einen Schubs in die Rippen oder weiche aufs Sofa aus oder lasse mich über Ohrstöpsel beschallen. Die Rippenstöße bringen in der Regel maximal eine Minute Erleichterung, dann geht die Grunzerei von vorne los. Das Sofa fällt wegen Nackenschmerzen mit Ankündigung aus. Außerdem habe ich eine leere Schüssel mit Pistazienschalen im Wohnzimmer stehen sehen, mit denen Bernd sich den Abend versüßt zu haben scheint. Wer schläft schon gerne in einem Meer aus grünen Krümeln? Bleibt nur der Walkman. Ich schwanke zwischen Die drei Fragezeichen und die schwarze Katze und Fünf Freunde im Zeltlager, entscheide mich dann für TKKG Banditen im Palasthotel, weil Timmy, der Hund von George, immer so blöd im Hintergrund bellt und die schwarze Katze bereits letzte Woche auf dem Programm stand. Also lasse ich mich von Klößchen nach Marbella einladen. Als Gaby entführt wird, bin ich längst eingeschlafen.

3. Kapitel

Heute findet das traditionelle, nachträgliche Neujahrskaffeekränzchen mit der gesamten angeheirateten Familie bei Jock und Ellie, meinen Schwiegereltern, statt. Nachdem sich Bernds Bruder Johannes, alias J.R., eine geschlagene Dreiviertelstunde über sein Golf-Handicap ausgelassen hat, räuspert sich Bernd feierlich. Dieses Gehabe kenne ich. Er will Wichtiges verkünden.

»Die letzte Januarwoche sind wir übrigens nicht da. Wir fahren ein langes Wochenende in den Schnee«, sagt er und schaut mich erwartungsvoll an. Ich verschlucke mich fast an der Biskuitrolle meiner Schwiegermutter.

»Zum Skifahren«, bekräftigt er stolz. »Meine Kollegin hat dort ein super Ferienhaus mit zwei Wohnungen in einem schnuckeligen Skiort in der Nähe von Ischgl gebucht. Jetzt muss eine Partei ungeplant früher nach Hause, und die Obergeschosswohnung steht ein paar Tage leer. Sie hat mir die Wohnung umsonst angeboten. Da habe ich zugeschlagen«, strahlt er.

Seine Familie jubelt und beglückwünscht ihn zu diesem irren Schnäppchen. Ich sitze wie vom Donner gerührt da und schnappe nach Luft. »Ich war erst einmal in meinem Leben Skifahren«, stammelte ich. Und ich habe keine guten Erinnerungen an meinen ersten und einzigen Skiurlaub im Kleinwalsertal, zu dem ich 1991 von meinen Eltern gezwungen wurde. Ich verpasste die legendärste Silvesterfete des Jahrhunderts, von der heute noch alle sprechen.