Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Angelika Hesse - E-Book

Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich E-Book

Angelika Hesse

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Humorvoll und mit einem gehörigen Schuss Selbstironie und Bissigkeit, erzählt die 39-jährige Heidi in fünf humorvollen Episoden aus ihrem Alltag. Episode 1 – Die Gedanken sind frei: Um ehrlich zu sein, habe ich schon mit halb Hollywood und der gesamten männlichen deutschen Promi A-Liga geschlafen. Mal rekele ich mich als Sklavin unter einem schweißnassen Achilles (Brad Pitt hatte einfach einen fantastischen Körper in Troja), dann lasse ich mir von Doktor Ross im OP-Saal das Krankenhaushemdchen hochschieben und selbst mit Captain Jack Sparrow habe ich es schon am Strand einer einsamen Insel getrieben. Fast schämt Heidi sich für ihre Träume, doch dann muss sie an ein altes Volkslied auf einer Kinderlieder-CD von Nena denken: "Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?" Und wenn Nena das schon singt, muss man sich wegen ein paar schlüpfriger Fantasien doch keinen Kopf machen, oder?! Episode 2 – Ein Apfel am Tag und der Onkel Doktor bleibt wo er mag "Lenchen, schau mal. Wenn du dein Äpfelchen nicht isst, wirst du krank und dann musst du zum Onkel Doktor. Ein Apfel am Tag, und der Onkel Doktor bleibt wo er mag." "Habe ich noch einen Bruder von dem ich nichts weiß?" Mein Bruder Jörg ist Informatiker und auch sonst haben wir keine Ärzte in der Familie. Manchmal braucht Heidi ein paar kinderlose Stunden, und wenn Oma mal nicht kann, gibt es noch das Kinderentfernungsgerät. Episode 3 – Sowas gibt's nur sonntags Bei der letzten Frühlingsbastelaktion im Kindergarten löste Justus Mutter eine hitzige Debatte aus, weil sie behauptete, Nougatcreme wäre gesünder als "die ganze antibiotika-verseuchte Wurst". Es gab großen Protest von der "Sowas-gibt's-bei-uns-nur-sonntags"-Fraktion. Damit die Kinderparty nicht wie letztes Jahr total aus dem Ruder läuft, hat Heidi diesmal einen hieb- und stichfesten Ablaufplan ausgearbeitet. Aber nichts läuft wie es soll. Episode 4 – Time of my life Genau das ist der Gänsehaut-Moment, der bei mir immer noch zieht. Und ich wollte das Mädchen in dem rosa Kleid sein, was von diesem gutgebauten Typ in Schwarz über die Tanzfläche gewirbelt wird. So etwas Romantisches ist mir in neununddreißig Lebensjahren nicht einmal passiert. Ein Abend, zwei Frauen, eine 80er-Party und unzählige Caipirinhas. Episode 5 – Weihnachtsstress und Wurzelbehandlung Liebevoll packte ich ihn wieder in schönes glitzerndes Weihnachtspapier und schrieb "Petra" auf den Geschenkanhänger. Früher gab es bei uns im Büro ein traditionelles Ramschwichteln. Heute habe ich angeheiratete Familie, denen ich so etwas unterjubeln kann. Einen Tag vor Heiligabend plagt Heidi eine entzündete Zahnwurzel. Das Mitgefühl ihres Mannes hält sich in Grenzen. Schließlich müssen noch die restlichen Weihnachtsgeschenke besorgt werden. Der Roman "Aus Liebe verzettelt". Der Wahnsinn um Heidi geht weiter. Stunk im Hause Heiermann

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Angelika Hesse

Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich

Gesamtedition

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Die Gedanken sind frei

„Mama, Mama. Du musst aufstehen! Ich habe Hunger“, schreit meine zweijährige Lena ihren Weckruf am Samstagmorgen laut in mein Ohr und zupft dabei unermüdlich an der Decke.

„Papa steht heute auf. Mama muss mal ausschlafen und hat Kopfschmerzen“, stöhne ich.

„Nein, nicht der Papa. Du musst kommen, Mama“, quakt sie weiter und Sara, ihre fünfjährige Schwester, die nun ebenfalls ihren Kopf zur Tür reinsteckt, schmeißt noch ein paar Tropfen Hysterie in die Pfanne. „Ich habe so schrecklichen Hunger. Mama, bitte. Ich bin schon ganz lange wach.“

Sie gewinnen immer, alle drei. Mein Kopf kann keine weitere Quengelei ertragen und benötigt dringend Aspirin und Flüssigkeit. Mit neidischem Blick auf meinen schnarchenden Mann Bernd, dessen Unterbewusstsein nur auf Autoalarmsysteme und auf „Es gibt Frühstück!“-Rufe programmiert ist, schlüpfe ich in meine Klamotten, schnappe meine Brille und melde mich zur Frühschicht.

„Ich will warmen Kakao und ein Schokoladen-Toast, aber ohne Butter!“, kommandiert Sara.

„Auch warmen Kakao!“, jammert Lena.

„Clouseau hat Hunger!“, kräht Sara und der Kater gibt zustimmend ein „Miau“ von sich. Es ist schon bedauernswert, dass es die gute alte Sendung Dalli Dalli mit Hänschen Rosenthal nicht mehr gibt. Ich wäre eine prima Kandidatin. Trotz Dröhnkopfes bewege ich mich flink zwischen Mikrowelle, Toaster, Kühlschrank, Anrichte und Vorratsschrank, versuche mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und zaubere im Nullkommanix die Erstmahlzeit auf Tisch und Futternapf. Herr Rosenthal würde jetzt in die Luft springen und ein „Das war spitze!“ rufen, während die rote Sirene sich wie irre drehen würde.

 

Alle sind versorgt und ich mache mich auf die Suche nach Kopfschmerztabletten. In dem feinsäuberlich sortierten Arzneischränkchen steht die Großpackung Aspirin. War klar – leer. Bernd findet Einkaufszettel überflüssig, sind leere Packungen doch praktische Gedächtnisstützen, und so zeitsparend. Notgedrungen vergreife ich mich an dem übelschmeckenden Paracetamolsaft der Kinder und schüttele mich angeekelt, als der künstlich süß-bittere Saft meinen Magen passiert. Immer noch besser als eine doppelte Portion Kinderzäpfchen. Zum Nachspülen gibt es einen Mix aus einem Glas 100 % Orangensaft mit einer Messerspitze Vitamin-C-Pulver, einem Beutel Frauenvitamingranulat mit viel Folsäure und fünfundzwanzig Tropfen meiner lebensnotwendigen, nervenausgleichenden, pflanzlichen Beruhigungstropfen. Ohne dieses Potpourri überstehe ich keinen Tag.

 

Der Kühlschrankcheck zeigt, dass ich um einen kleinen Samstageinkauf nicht herumkomme.

„Anziehen, waschen, wir gehen schnell zu Krügers einkaufen“, treibe ich die Kinder an.

„Aber nur, wenn ich mir da was aussuchen darf.“

Sara hat das herrschende Prinzip in unserer Familie schon früh durchschaut. Keine Leistung ohne Gegenleistung.

Ich kontere. „Okay, eine Kleinigkeit. Aber nur, wenn du das stinkige Ding zu Hause lässt und dich vernünftig anziehst.“

„Meinen Umhang? Nie. Der muss mit. Ich bin doch sonst kein Vampir.“

 

„Ich habe noch eine ganze Kiste deiner alten Kinderbücher auf dem Speicher. Soll ich die mal für Sara mitbringen? Kann sie doch später alle noch lesen“, sagte meine Mutter vor ein paar Wochen. Am nächsten Tag stand der verstaubte Karton in unserem Wohnzimmer. Zwischen Hanni und Nanni, Band 1-12, Lissy im Internat und den Dolly-Büchern entdeckte Sara die ersten zwei Bände vom kleinen Vampir. Das Buchcover erweckte sofort ihr Interesse und ich versprach, ihr noch am gleichen Abend vorzulesen. Die Internatsbücher lagerte ich im Keller und werde sie bei der nächsten Leerung der blauen Tonne entsorgen. Nicht auszudenken, wenn Sara in ein paar Jahren dieser Schund in die Hände fällt. Der zehnjährige Nachbarsjunge von nebenan geht auf ein Elite-Internat in Schleswig-Holstein, spricht inzwischen zwei Fremdsprachen. Bernd, davon schwer beeindruckt, erkundigte sich letztens auffallend genau über das Schulsystem dort. Mit Enid Blyton im Rücken hätte er bei Sara leichtes Spiel. Meine Tochter wäre nicht die erste, die der heilen Welt von Lindenhof verfallen würde. Das musste mit allen Mitteln verhindert werden. Da waren Vampire das kleinere Übel. Anton, der Menschenjunge in der Geschichte, bekommt eines Tages Besuch vom kleinen Vampir Rüdiger. Mit einem geliehenen Vampirumhang kann Anton fliegen und erlebt mit Rüdiger viele schaurige Abenteuer. Sara lag mir so lange in den Ohren, bis ich ihr aus schwarzem Stoff einen zerfetzten Umhang bastelte. Den sprüht sie regelmäßig mit ihrem Disney-Kinderparfüm ein, bis man sie aus dreißig Metern Entfernung riechen kann. Ohne das schwarze Ding geht sie kaum noch aus dem Haus.

„Aber wehe du sprühst ihn neu ein“, verlange ich deshalb.

„Der muss aber nach Mufti Eleganti riechen“, erwidert sie trotzig.

„Du sprühst ihn nicht ein. Lena kriegt wieder ihre Hustenanfälle und ich auch.“

„Doch.“

„Nein.“

„Doch.“

„Ich habe Nein gesagt und basta.“

„Dann komm ich nicht mit.“

„Dann bleibst du eben hier und nur Lena darf sich etwas aussuchen.“

„Ja, Sara, ich darf mir dann was aussuchen“, nickt Lena und schaut oberlehrerhaft. Das reizt Sara endgültig.

„Hau ab, du Baby. Du bist eine blöde Schwester“, keift sie und gibt Lena einen Schubs. Die heult sofort los, schaut mich mit großen Kulleraugen an und weckt den Im-Zweifel-immer-für-den-Kleineren-Instinkt.

„Sara“, maßregele ich.

„Immer bin ich die Schuldige. Du bist so ungerecht“, jault Sara und stampft die Treppe hinauf. Als ich das bekannte Zischen höre, nehme ich zwei Stufen gleichzeitig und baue mich in ihrem Zimmer auf, vertreibe handwedelnd den beißenden, widerlichen Kinderparfümduft. „Ich hatte gesagt, du sprühst ihn nicht ein“, huste ich.

Sara grinst rotzig. Ich reiße ihr den dämlichen Umhang aus der Hand und werfe ihn, für sie unerreichbar, mit Schwung auf den Kleiderschrank. Manchmal muss man auch mal seine Macht demonstrieren.

„So, und da bleibt er und wir gehen einkaufen.“

Affig hüpft Sara am Schrank auf und ab, gibt angestrengte Laute von sich und wird von Sprung zu Sprung wütender. Schließlich gibt sie auf, wirft sich theatralisch auf ihr Bett und kreischt: „Du bist eine böse Stiefmutter!“, während sie mit den Fäusten auf die Matratze einhämmert.

 

Wie kann sie es wagen, mich mit Schneewittchens, Cinderellas oder Hänsel und Gretels Stiefmutter zu vergleichen? Schließlich habe ich ihr bisher weder einen vergifteten Apfel gegeben, noch musste sie Erbsen und Linsen in der Asche auflesen und noch nie, ich schwöre, habe ich sie im Wald ausgesetzt. Im Gegenteil, sie wird von mir gekämmt, gefüttert, bekommt jeden Abend ein Schlaflied vorgesungen und ich koche mindestens einmal in der Woche ihr Lieblingsgericht: Fischstäbchen mit Kartoffelpüree. Ob zwischen uns eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung besteht, weil ich sie nicht gestillt habe? Als Sara auf die Welt kam, bat ich die nette Hebamme direkt um die kleinen Pillen, die dafür sorgten, dass meine in der Schwangerschaft schon auf dreifaches Volumen angeschwollenen Brüste ihre Milchproduktion gar nicht erst aufnahmen. Der Östrogenüberschuss hatte aus sportlichen 75c-Körbchen zwei von Adern durchzogene Monsterbälle gemacht. Ich hatte genug von der Körperfülle, der juckenden Kopfhaut, den Pickeln, der geröteten Epidermis um Mund und Nase, den nicht mehr vorhandenen Knöcheln und der zum Zerreißen gespannten Haut, die ich täglich mit dicken Schichten Öl einbalsamieren musste. Wenn ich so unter der Dusche stand, meine Füße nur noch erahnen konnte, die Monsterbälle auf meinem Bauch ruhend, wünschte ich mir meinen alten Körper zurück und konnte mir nicht vorstellen, dass sich nach der Geburt jemand so mir nichts, dir nichts, an mir bedienen würde. Ich bemitleidete meine Zimmernachbarin Ines, die über ihren Milcheinschuss stöhnte und deren kleiner Hosenscheißer Marvin sich so einfach weigerte, das kostbare Mutterelixier zu sich zu nehmen. Schwester Olga, eine große und kräftige Frau, mit Leib und Seele ihrer Berufung folgend, hatte sich dieser Probleme angenommen. Sie sorgte dafür, dass die Babys auf ihrer Station bekamen, was sie brauchten. Mit ihren riesigen Schaufelhänden drückte und knetete sie Ines’ Brüste, stülpte kleine Silikonhütchen auf ihre geschundenen Brustwarzen und steckte unermüdlich dem kleinen Marvin die Warze in den Mund, der immer wieder den Kopf wegdrehte und so einfach nicht trinken wollte. Verzweiflung machte sich bei Ines breit, die wegen ihres Dammrisses schon gehandicapt genug war. Wenn sie da so schmerzverzerrt auf ihrem Gummiring rumrutschte, sich kaum bewegen konnte und versuchte ihr Kind zu ernähren, hatte ich fast schon ein schlechtes Gewissen. Saß ich doch ganz locker mit Kind und Flasche da und niemand fummelte ungefragt an meinen Brüsten. Schwester Olga versuchte alle Tricks, um Marvin zum Trinken an der Brust zu überreden. Und dann rollte sie eines Tages mit einem großen, furchteinflößenden Gerät herein – eine elektrische Milchpumpe, die üble Geräusche von sich gab. Ich habe Ines damals aufmunternd zugelächelt, mich schnell weggedreht und überlegt, ob Amnesty International da nicht die Richtigen wären.

 

Die Flaschennahrung haftete wie ein Makel an mir. Mitleidige Blicke wurden auf mein Kind geworfen, wenn ich ihm den Gummisauger mit der minderwertigen Industriemilch in den Mund steckte.

„Hat es nicht geklappt?“, wurde ich in meinem PEKIP-Kurs gefragt. „Nö, ich wollte nicht“, gab ich provozierend zur Antwort, und nein, ich hatte mein Nabelschnurblut auch nicht zu Globuli verarbeiten lassen. Die Nachgeburt landete in der Kliniktonne und ich wollte sie mir nicht mal anschauen. Meine Kinder werden niemals musikalische Genies werden, denn keiner der beiden bekam die kleine Nachtmusik von Wolfang Amadeus Mozart auf der Spieluhr durch die Bauchdecke vorgespielt.

 

Es dauert zehn Minuten, bis sich Sara endlich beruhigt. Flaschenkinder sind generell unruhiger, unzufriedener und haben eine höhere Allergieneigung. Ich bin also selber schuld, wenn meine Kinder eine nervöse Störung haben. Nach langem Hin und Her verzichtet sie schließlich auf ihren Umhang, nimmt mir das Versprechen ab, dass sie sich „aber auf jeden Fall das aussuchen kann, was sie will“, und erwähnt beim Zähneputzen fünf- bis sechsmal, wie nackt und hilflos sie sich fühlt. Dabei spuckt und schäumt es aus ihrem Mund. Die Zahnpastaspritzer lassen sich nicht restlos von meinem roten T-Shirt abrubbeln und so ich werfe eine Strickjacke über, um die Schokoladenspur direkt mit zu verdecken. Wann werde ich endlich begreifen, dass Lena ihren Kopf nicht zwecks Austausches von Zärtlichkeiten an meiner Schulter reibt, sondern, um mich schlicht und ergreifend als größte Serviette der Welt zu missbrauchen?!

 

Krüger, der Laden in unserer Nähe, feierte erst vor ein paar Tagen seine Neueröffnung. Bernd war mehrere Wochen durch seine Unternehmensberatung in der Hauptzentrale eingesetzt und hat dort diese ganzen wichtigen Konzepte entwickelt. Fast zwei Wochen dauerten allein Umbau und Renovierung. „Der Laden braucht dringend ein neues Make-up, muss von vorne bis hinten neu durchorganisiert werden“, erklärte Bernd. Ich ließ bei den Müttern in der Umgebung natürlich nicht unerwähnt, welche wichtige Rolle ausgerechnet mein Mann in unserem Stammsupermarkt spielte. Krüger ist so was wie das Akropolis der Lindenstraße, das Schiller der Schillerstraße oder das Peach Pit der Beverly-Hills-Clique, Dreh- und Angelpunkt in unserer Gegend. Direkt um die Ecke liegen der Kindergarten, die Turnhalle des Sportvereins und die Grundschule. Jeden Montag laufe ich während Saras Kinderturngruppe mit Steffi und Claudia in dem kleinen Bäckerei-Café bei Krügers ein.

„Habt ihr schon mitbekommen? Krüger wird umgebaut. Wir müssen wohl oder übel woanders Kaffeetrinken gehen“, teilte Claudia vor ein paar Wochen mit. Ich zuckte gleichgültig die Schultern. „Ich weiß, Bernd meint, der Markt wird in ein paar Wochen nicht mehr wiederzuerkennen sein“, verriet ich geheimnisvoll.

 

Tief beeindruckt stehe ich nun vor dem Gebäude. Die neue Fassade erstrahlt in einem leuchtenden Zitronengelb. Eine riesige Leuchtreklame mit dem Krüger-Slogan hängt über dem Eingang: „Krüger, Ihr Familienmarkt – Frische immer frisch auf Ihrem Tisch!“ Stolz betrete ich den Eingangsbereich, kann förmlich spüren, wie die Leute innehalten, auf mich deuten und flüstern. „Ist das nicht die Frau von dem Berater, der den Krügermarkt so auf Vordermann gebracht hat? Ich sag ja immer, hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine starke Frau, die ihm den Rücken freihält. Wie sie das so schafft, mit den Kindern und dem Haushalt. Und wie gut sie bei dem ganzen Stress noch aussieht. Die kann doch maximal Anfang dreißig sein.“ Selbstverständlich findet das alles hinter meinem Rücken statt und ich tue so, als wäre ich nur eine ganz normale Hausfrau, die lediglich ein paar Äpfel und Fleisch fürs Mittagessen kauft.

 

Alle Kinder-Einkaufswagen sind unterwegs. Lena bekommt einen Wutanfall. Ich versuche sie zu beruhigen und mit einem Rosinenstütchen vom Bäcker zu bestechen.

„Komm, Lenchen, Mama kauft dir ein Brötchen.“

„Guck mal, Mama, da kommt gerade das Auto zurück“, bemerkt Sara in diesem Moment.

Ich gerate in Panik. Hastig schubse ich die Kinder Richtung Bäcker. Warum hat Bernd das Ding nicht abschaffen lassen? Es ist zu spät, Lena hat das Monstrum bereits entdeckt. Mit einem Schlag sind ihre Tränen versiegt, sie rennt auf den riesigen, gelben Auto-Einkaufswagen-Zwitter zu. Bevor noch die Mutter den widerspenstig kreischenden Jungen aus dem Wagen zerren kann, quetscht sie sich an ihm vorbei und sitzt schon hinter dem Lenkrad. Freudestrahlend winkt sie mir zu.

„Mama, komm.“

Was ist nun schlimmer? Ein hysterisch heulendes Kind oder eine ganze Runde im Supermarkt mit dem sperrigen Superkonstrukt, was für gewöhnlich nicht nur den Hass der Leute auf sich zieht, sondern auch noch den Einsatz aller körperlichen Kräfte erfordert? Für beides fehlt mir heute die Energie und der Punkt geht erneut an die Kinder. Schwerfällig bahne ich mir mit dem Auto einen Weg durch den vollen Obst- und Gemüsebereich und sehe über die genervten Blicke hinweg. „Darf ich mal?“, „Entschuldigung“, „oh tut mir leid, ich habe Sie nicht gesehen“. Ich lasse den Wagen an der Seite stehen, reiße eine Tüte von der Rolle und packe sechs Golden Delicious, im Angebot für 2,49 Euro das Kilo, ein. Prompt zerfetzen die Äpfel das dünne Plastik und plumpsen auf den Boden.

„Sara, hilf mal und heb die Äpfel auf“, bitte ich meine Große, die als Antwort nur ein „Nö“ von sich gibt und Lena weiter im Wagen ärgert.

„Lena muss mich auch mal reinlassen.“

„Lass Lena und hilf mir bitte aufheben.“

„Nö, warum denn? Du hast die Äpfel doch selber runtergeschmissen. Dann musst du die auch selber aufheben.“

Mein Kopf ist zu müde für ein weiteres pädagogisches Exempel und so krauche ich allein auf dem Boden herum. Unauffällig lege ich die angetitschten Äpfel wieder in die Kiste und suche neue Exemplare aus, reiße zwei neue Tüten vom Spender und stülpe sie übereinander. Das hält die kleinen Scheißerchen jedoch nicht davon ab, erneut durch die Tüten zu schießen. Lena und Sara kämpfen währenddessen lautstark weiter. Die Frau, durch deren Beine gerade meine Äpfel unter die Frischetheke purzeln, schüttelt fassungslos den Kopf.

„Mama, Mama“, brüllt Lena.

Ich bewaffne mich mit einer ganzen Tütenbatterie, teile die Äpfel paarweise auf und wickele sicherheitshalber mehrere dieser hauchdünnen Tüten pro Apfelbeutel drum. Ich wiege alles ab, fische einen Öko-Brokkoli aus der Kiste, packe Sara am Schlafittchen und spreche ein Machtwort. Lena strahlt, Sara heult, Mama versucht, die gelbe Bestie auszuparken.

 

Die Schlange an der Wursttheke ist lang, zu lang für Dröhnkopf und zwei Kampfbestien. Sara und Lena brechen beim Anblick der Wursttheke in laute Jubelschreie aus und fordern lautstark ihr „Scheibchen Wurst“. Da gehe ich jetzt gar nicht drauf ein. Ich habe heute keine Lust, angematschte Schinkenfleischwurstreste aufzuessen. Abgepacktes Gulasch tut es ausnahmsweise auch. Mit sturem Blick steuere ich meinen Panzer am Süßigkeiten- und Keksgang vorbei, ersticke „Oh, Mama, kann ich …“-Rufe mit simplen „Nein“ im Keim und fahre so zügig, dass Lena keine Möglichkeit bleibt, aus dem Wagen auszusteigen und in eine andere Richtung zu laufen. Sara versucht mit mir Schritt zu halten, läuft dann zu den Zeitungen vor und wedelt kurz darauf mit einer Bibi-und-Tina-Zeitung vor meiner Nase herum.

„Du hast es versprochen“, kommt sie mir zuvor. „Da ist ein ganz toller Spiegel dran.“