Ausbilden und Lernen am dritten Lernort (E-Book) - Thomas Meier - E-Book

Ausbilden und Lernen am dritten Lernort (E-Book) E-Book

Thomas Meier

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Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Ausbildner*innen in überbetrieblichen Kursen begleiten und unterstützen Lernende auf dem Weg zu beruflicher Handlungskompetenz. Das dazu nötige Orientierungswissen und didaktische Geschick wird in diesem Lehrbuch vermittelt. Zudem gibt es Impulse zur Reflexion der eigenen Haltung. Szenische Umsetzungen und gefilmte Interviews untermalen die Buchinhalte und geben Einblick in den üK-Alltag.

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Thomas Meier, Michael Jöhr, Marlise Kammermann

Ausbilden und Lernen am dritten Lernort

Situationsorientierte Didaktik für Ausbildende

ISBN Print: 978-3-0355-1975-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-1976-1

1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorworte

Einleitung

1 Berufsbildung verstehen

2 Lernende verstehen

3 Lernen verstehen

4 Ausbildung verstehen

5 Ausbildung planen

6 Ausbildung sequenzieren

7 Leistungen einschätzen

8 Lernende begleiten

9 Gruppen leiten

10 Kommunizieren und interagieren

11 Ausbildungsrollen einnehmen

12 Sich weiterentwickeln

13 Didaktik des dritten Lernortes

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Porträts der Autorin und der Autoren

Danksagung

Vorworte

Sind Sie Ausbildnerin oder Ausbildner in der Berufsbildung, in Leitungs- oder Entwicklungsaufgaben für die Arbeitswelt engagiert oder ganz allgemein an der Wissens- und Erfahrungsvermittlung interessiert? Dies sind wertvolle Aufgaben, fordernd und anspruchsvoll, vielgestaltig und abwechslungsreich. Neben dem hohen persönlichen Engagement sind dafür breites fachliches Wissen, pädagogisch-didaktische Kompetenzen, Praxiserfahrung und vor allem die Freude an der Zusammenarbeit mit jungen Menschen von zentraler Bedeutung. In der vorliegenden Publikation finden Sie eine grosse Vielfalt an wissenschaftlich und fachlich fundierten Anregungen zur berufs- und praxisorientierten Ausgestaltung wichtiger Aufgaben im Kontext der beruflichen Grundbildung, mit besonderem Fokus auf überbetriebliche Kurse.

In überbetrieblichen Kursen werden grundlegende Berufskompetenzen ausgebildet, indem berufsschulisches Wissen angewendet und eingeübt, lehrbetriebliche Erfahrungen reflektiert und systematisiert werden. Als Ausbildnerin oder Ausbildner sind Sie damit gleichsam Brückenbauerin oder Brückenbauer und übernehmen integrierende Funktion zwischen den Lernorten Schule und Betrieb. Gerade diese integrierende Schnittstellenfunktion macht das Ausbildungshandeln so komplex: Sie berücksichtigen und verbinden wichtige Elemente aller Lernorte, Sie arbeiten mit jungen Menschen, die sich in verschiedener Hinsicht entwickeln, Sie benötigen pädagogisch-didaktische Kompetenzen, Sie planen und gestalten Ausbildung, Sie begleiten Jugendliche ein Stück weit auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden und vieles mehr.

Pointiert und auf den Punkt gebracht kann in diesem Zusammenhang von zwei wesentlichen gesellschaftlichen Aufgaben gesprochen werden, welche sich hier im Rahmen unseres Berufsbildungssystems zeigen: einerseits geht es um «Persönlichkeitsbildung», andererseits um «Berufsbildung». Diese bedingen sich gegenseitig und gehen Hand in Hand. Jugendliche befinden sich auf dem Weg zum Erwachsenenalter und erwerben auf diesem Weg berufliche Kompetenzen. Einen Beruf erlernen heisst, sich für etwas zu entscheiden und in die Zukunft zu blicken. Dieser wichtige Lebensabschnitt fördert Entwicklungen und Veränderungen. Mit dem ersten Arbeitstag erfolgt der Einstieg in die Berufswelt, schliesst mit dem Lehrabschluss ab und eröffnet damit für die weiteren berufsbiografischen Entwicklungen – ganz im Sinne des lebenslangen Lernens und Bildens – wichtige Perspektiven. Diese zeitliche Perspektive gilt es von Beginn weg zu berücksichtigen. Denn Erwachsenwerden, die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und der Erwerb von Berufskompetenzen sind grundlegende Gelingensfaktoren für die eigene, selbstständige Lebensgestaltung und -führung.

«Berufsbildung» bedeutet somit auch «Chancenvermittlung». Jeder Beruf verlangt bestimmtes Wissen und Können mit spezifischen Fertigkeiten. Zu Recht konzentrieren sich darauf viele Lernstunden. Motivation, Begeisterung und Freude gründen auf emotionalen, sozialen Beziehungswerten. Wo Einvernehmen, Vertrauen, Zuversicht im Lernkontext ausgedrückt und geübt werden; wo auch Zuverlässigkeit, Ordnung und Konfliktlösungen respektvoll eingefordert werden, gelingt vieles wie selbstverständlich.

Auch wenn sich das Buch primär an Ausbildnerinnen und Ausbildner dritter Lernorte richtet, so stehen dabei immer die Lernenden im Zentrum der Überlegungen. Denn Ausbildnerinnen und Ausbildner schaffen mit ihrer Professionalität die notwendigen Gelingensräume, indem sie Ausbildungs- und Lernprozesse sowie die Unterstützung persönlicher Entwicklungsschritte geschickt gestalten. Damit leisten sie Wesentliches für einen erfolgreichen Lehrabschluss. In diesem Sinne haben die Beiträge des vorliegenden Buches zweierlei Aufgaben. Einerseits sollen sie zur Reflexion anregen: Wie holen wir Lernende ab? Wie setzen wir formale Vorgaben um? Wie lösen wir Schwierigkeiten und wie stellen wir uns Belastungen? Andererseits geben die Kapitel auch zahlreiche Anstösse zur Weiterentwicklung des eigenen Ausbildens. Die aufschlussreichen, ansprechenden Anregungen vermitteln ideenreiche Konzepte. Wer sich darin vertieft, eignet sich wichtiges Wissen an und findet in der Reflexion und Umsetzung seinen persönlichen Ausbildungsstil.

Die Autorin und die Autoren Thomas Meier, Michael Jöhr und Marlise Kammermann arbeiten als Ausbildungsverantwortliche und Dozierende an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung. Auf der Grundlage ihrer langjährigen Expertise und ihren vielseitigen Erfahrungen schaffen sie mit diesem Buch ansprechende und anschauliche Grundlagen, welche zum Austausch und zur (Selbst-)Reflexion anregen und damit die schweizerische Berufsbildung praxisnah zu stärken vermögen.

Ich wünsche Ihnen viele spannende Einsichten und Erkenntnisse bei der Lektüre und viel Freude und Erfolg bei der Begleitung junger Menschen zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn.

Dr. Barbara Fontanellaz

Direktorin EHB

Die Arbeitswelt ist einem stetigen Wandel unterzogen. Herausforderungen wie der demografische Wandel, die Digitalisierung und Automation oder die Corona-Pandemie beeinflussen und verändern berufliche Tätigkeiten und die Menschen, die sie ausüben. Einerseits werden neue berufliche Anpassungen erforderlich, um als Betrieb flexibel und zukunftsorientiert zu wirtschaften. Andererseits verändern sich Arbeitsmodelle, die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zerfliessen, Lernanforderungen steigen und eine hohe Flexibilität sind zur Selbstverständlichkeit geworden. Neben den Herausforderungen der eigenen Steuerung und Ausrichtung in dieser schnelllebigen Welt haben Ausbildnerinnen und Ausbildner am dritten Lernort die pädagogische Aufgabe, Lernende mit unterschiedlichen Lernbiografien auf eine sich schnell verändernde Welt vorzubereiten und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.

In den letzten Jahren hat die Heterogenität der Lernenden in der beruflichen Grundbildung stark zu genommen. Eine berufsbezogene Lerngruppe setzt sich immer mehr aus Lernenden mit unterschiedlichen Lernbiografien oder sprachlichen Fähigkeiten zusammen. Die Diskussion um Heterogenität in der beruflichen Grundbildung hat in der Corona-Pandemie einen weiteren Teilaspekt hervorgebracht, indem Unterschiede in der digitalen Erreichbarkeit von Lernenden und Unterschiede in der digitalen Verfügbarkeit von Lehr-Lern-Inhalten zu Tage getreten sind. Wenn das «Ausbilden und Lernen am dritten Lernort» den Anspruch verfolgt, allen Jugendlichen mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen gerecht zu werden und sie zu einem Berufsabschluss zu führen, dann muss den unterschiedlichen Bedürfnissen durch ein hohes Mass an Individualisierung Rechnung getragen werden.

Betriebe werden künftig noch stärker auf qualifizierte, motivierte und gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen sein. Deshalb haben Ausbildnerinnen und Ausbildner eine Schlüsselrolle inne, da sie die Arbeitsbedingungen massgeblich mitgestalten und die Arbeits- und Ausbildungsatmosphäre beeinflussen. Sie verteilen Lernaufgaben, organisieren Ausbildungsabläufe, sind mitverantwortlich für die Kommunikation und Leistungsbewertung. Ob bewusst oder unbewusst, erzeugen sie positive und negative Stimmungen. Ärger oder Freude, Leistungsbereitschaft oder Resignation, Herausforderungs- oder Bedrohungsgefühle. Das Verhalten der Ausbildnerinnen und Ausbildner hat einen wesentlichen Einfluss auf die Ausbildungsbedingungen sowie das Lern- und Arbeitsumfeld von Lernenden in der beruflichen Grundbildung im Allgemeinen und in überbetrieblichen Kursen im Speziellen.

Wertschätzung und Unterstützung, lernförderliche Gestaltung der Ausbildung und die Motivation zu berufsspezifischen Verhaltensweisen durch die eigene Vorbildfunktion gehören zu den zentralen Einflussebenen von Ausbildnerinnen und Ausbildnern. Zugleich haben sie selbst mit den sich verändernden Arbeitsabläufen und neuen beruflichen und persönlichen Kompetenzanforderungen zu kämpfen und brauchen ebenfalls Unterstützung bei der selbstfürsorgerischen Gestaltung ihres Ausbildungsalltags. Dies kommt nicht nur den Ausbildnerinnen und Ausbildnern selbst, sondern auch den Lernenden zugute.

Werden die Begriffe «Beruf und Beruflichkeit» auf das Konzept «Ausbilden und Lernen am dritten Lernort» übertragen, so zeigt sich, dass Ausbildnerinnen und Ausbildner über eine Reihe an Kenntnissen, Fähigkeiten und Haltungen verfügen müssen, um diesen anspruchsvollen und herausfordernden «Beruf» mit jungen Menschen pädagogisch, fachlich und persönlichkeitsbildend gut gestalten zu können. Herausfordernd deshalb, weil sie fachspezifische Kenntnisse und Fähigkeiten im Sinne einer «Situationsdidaktik» aufbereiten und bei Lernenden gemäss Bildungsplan ausbilden und bewerten, individuelle und entwicklungspsychologische Bedürfnisse berücksichtigen, Abstimmungen mit den Lernortkooperationspartner umsetzen und die eigene Selbstfürsorge im Blick haben müssen.

An dieser Stelle setzen die verschiedenen Kapitel des Buches «Ausbilden und Lernen am dritten Lernort» an. Es vereint wichtige Inhalte, die für den «Beruf der Ausbildnerin oder des Ausbildners am dritten Lernort» von zentraler Bedeutung sind und sich sehr gut zur Reflexion der eigenen Person und Arbeit eignen.

Viel Spass beim Lesen und Durcharbeiten der Texte.

Dr. Andreas Frey

Professor für Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der HdBA

Einleitung

Im trialen Berufsbildungssystem der Schweiz begleiten Ausbildende an den drei Lernorten Betrieb, Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse Lernende beim Aufbau beruflicher Handlungskompetenz. Das vorliegende Buch unterstützt Ausbildende am sogenannten dritten Lernort, den überbetrieblichen Kursen (üK), praxis- und anwendungsorientiert im Aufbau von Ressourcen rund um die Vorbereitung, Durchführung und Auswertung dieser Kurse. Die Buchkapitel werden ergänzt durch erzählte und gefilmte Szenen und Einblicke in den üK-Ausbildungsalltag.

In den Kapiteln 1–4 werden theoretische Grundlagen des Ausbildens und Lernens, der Adoleszenz sowie des Berufsbildungssystems beschrieben, in den Kapiteln 5–11 deren Umsetzung methodisch-didaktisch vertieft und in den Kapiteln 12–13 Anregungen für die Professionalisierung der Ausbildenden gemacht. Das Kapitel 13 veranschaulicht die Haupterkenntnisse der vorhergehenden Kapitel in einem Modell der Didaktik für den dritten Lernort.

Kapitel 1

Berufsbildung verstehen. Ausbildende des dritten Lernortes agieren als Teil des schweizerischen Berufsbildungssystems. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Verknüpfung der theoretischen Grundlagen und praktischen Anwendungen. Dadurch ergänzen die überbetrieblichen Kurse die berufliche Praxis des Betriebes und die schulische Bildung.

Kapitel 2

Lernende verstehen. In der Adoleszenz durchlaufen Jugendliche körperliche, kognitive, emotionale und soziale Veränderungs- und Entwicklungsprozesse und bilden ihre Identität. Die Fülle der Veränderungen, Anforderungen kann zu Belastungen, Heraus- und Überforderungen führen. Durch eine wohlwollende, förderorientierte und unterstützende Herangehensweise können Ausbildende die Entwicklung der Lernenden unterstützen.

Kapitel 3

Lernen verstehen. Lernen heisst Wissen erwerben. Wissenserwerb erfolgt kontextgebunden, aktiv, selbstgesteuert und kollaborativ. Ausbildende sorgen deshalb für situierte, problemorientierte und kollaborative Lernumgebungen.

Kapitel 4

Ausbildung verstehen. Ein zeitgemässes Verständnis von Ausbildung orientiert sich an Situationen – insbesondere an Problemlösesituationen. Ausbildende leiten Lernende an, diese selbstgesteuert und kollaborativ anzugehen, zu bearbeiten, zu reflektieren und zu lösen. Ausbildende konzentrieren sich dabei auf ihre Rolle als Coach und Begleitperson.

Kapitel 5

Ausbildung planen. Anhand des Planungsbogens können überbetriebliche Kurse in sechs Schritten systematisch vorbereitet und ausgewertet werden. Ausbildende gewinnen Wissen über formal-rechtliche und methodisch-didaktische Aspekte der Ausbildungsgestaltung.

Kapitel 6

Ausbildung sequenzieren. Ausbildungsblöcke werden entlang des Lernprozesses gegliedert, ausgehend von beruflichen Situationen und Erfahrungen der Lernenden. Die handlungsorientierte Auseinandersetzung beinhaltet den Aufbau von Wissen und die Arbeit an Fertigkeiten, wobei die Anwendung, Umsetzung und das Üben im Fokus stehen. Erworbene bzw. erweiterte Kompetenzen werden sichtbar gemacht, konsolidiert, reflektiert und der Transfer in andere Settings wird antizipiert.

Kapitel 7

Leistungen einschätzen. Die Einschätzung von Leistungen der Lernenden muss absichtsvoll und entlang berufspädagogischer/-psychologischer Grundsätze geschehen. Ausbildende gewinnen hier Wissen über Funktionen, Inhalte, Methoden, Normen und Qualitäten guter Leistungseinschätzungen.

Kapitel 8

Lernende begleiten. Lernende in der beruflichen Grundbildung bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit. Es ist Aufgabe der Ausbildenden, Lernende gezielt zu fördern: Dazu brauchen sie Diagnose-, Differenzierungs-, Individualisierungs- und Beratungskompetenz. Feedback soll nicht nur rückwärts, sondern auch vorwärts gerichtet sein.

Kapitel 9

Gruppen leiten. Ausbildende setzen sich mit Gruppendynamik, Gruppenbildung, Normen und Gruppenstruktur auseinander. Ausgehend davon werden Grundlagen zum Leiten und Begleiten von Gruppen erläutert, wobei auf die Führungsrolle und das Führungsverständnis der Ausbildenden eingegangen wird. Der reaktive und proaktive Umgang mit Störungen und Disziplinproblemen in Gruppensettings runden das Kapitel ab.

Kapitel 10

Kommunizieren und interagieren. Ausbildende kommunizieren und interagieren mit Lernenden in Ausbildungssituationen. Ausbildende sollen sich dabei wertschätzend und empathisch verhalten und dafür sorgen, dass Signale, die sie senden, stimmig sind und sich nicht widersprechen. Last but not least ist es wichtig, dass Ausbildende ihre Lernenden sprachlich unterstützen, d.h. Ausbildungssequenzen nach den Prinzipien eines sprachsensiblen Unterrichts gestalten.

Kapitel 11

Ausbildungsrollen einnehmen. Ausgehend vom Ausbildungsauftrag am dritten Lernort werden Funktion und Vielfalt der Ausbildungsrollen beschrieben und auf der Organisations-, Beziehungs- und Ausbildungsebene verortet.

Kapitel 12

Sich weiterentwickeln. Die biografische Gestaltungskompetenz als Entwicklungsaufgaben für Ausbildende und Merkmale guter Ausbildender werden beschrieben sowie eine persönliche Standortbestimmung und Aspekte der Selbstführung angeregt.

Kapitel 13

Didaktik des dritten Lernortes. Aufgrund des Ausbildungsauftrages der überbetrieblichen Kurse sind lernortspezifische Ausbildungs- und Lernkonzepte zu privilegieren. Diese orientieren sich am Konstruktivismus sowie an der Situations- und Handlungskompetenzorientierung.

 

1.1Situation aus dem Ausbildungsalltag

Maya wird ab nächstem Monat neben ihrer Anstellung als Berufsbildungsverantwortliche für Lernende Zeichner/innen EFZ in einem mittelgrossen Betrieb einzelne Ausbildungsblöcke im regionalen überbetrieblichen Kurszentrum übernehmen. Durch ihre Arbeitstätigkeit ist sie mit der heutigen betrieblichen Ausbildungsrealität vertraut. Mit ihrer neuen Aufgabe als üK-Ausbildnerin kommt nun ein weiterer Lernort hinzu, in dem sie tätig sein wird. Sie fragt sich, inwiefern sich die Ausbildung im üK von der Ausbildung an den anderen Lernorten unterscheidet. Wie grenzt sich der üK von der Berufsfachschule ab? Was ist eigentlich der Zweck der üK? Und vor allem: Wie kann Maya sicherstellen, dass die Ausbildung an den einzelnen Lernorten abgestimmt erfolgt?

Teaser des Autorenteams

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1.2Selbsteinschätzung Erfahrungen und Vorwissen

1.3Worum es in diesem Kapitel geht

In diesem Kapitel findet sich eine kurze Einführung in das Berufsbildungssystem der Schweiz und es wird die Einbettung des dritten Lernortes, der überbetrieblichen Kurse (üK), in diesem System beschrieben. Dabei wird ein Bogen geschlagen von den Anfängen des dritten Lernortes bis hin zur gesetzlichen Verpflichtung mit der Inkraftsetzung des neuen Berufsbildungsgesetzes im Jahr 2004. Es werden Gründe aufgezeigt, die zur Implementierung des dritten Lernortes als fester Teil der Berufsbildung führten. Ein Blick in die gesetzlichen Grundlagen zeigt auf, wie der dritte Lernort legitimiert und reglementiert ist. Es wird ersichtlich, dass die üK mit ihren Ausbildenden einen wesentlichen Beitrag zur Verbindung von Theorie und Praxis in der beruflichen Grundbildung leisten. Die Kooperation zwischen den drei Lernorten bleibt nach wie vor ein wichtiges Thema und es gibt dort auch Optimierungsbedarf.

Kurzfilm szenische Umsetzung

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1.4Der dritte Lernort im Berufsbildungssystem

1.4.1Berufsbildung in der Schweiz

Im schweizerischen Bildungssystem besuchen Schülerinnen und Schüler während elf Jahren Unterricht in der Volksschule. Diese gliedert sich in die Primarstufe und die Sekundarstufe I. Nach dieser obligatorischen Schulbildung stehen den Jugendlichen grundsätzlich zwei nachobligatorische Bildungswege auf Sekundarstufe II offen: beruflich orientierte Ausbildungen (berufliche Grundbildung) oder allgemeinbildende Ausbildungen (Gymnasium, Fachmittelschule etc.). Rund zwei Drittel der Abgängerinnen und Abgänger aus der Sekundarstufe I entscheiden sich für eine berufliche Grundbildung. Darin wird zwischen betrieblich organisierten Grundbildungen (klassische Berufslehre) und schulisch organisierten Grundbildungen (bspw. Handelsmittelschule, Informatikmittelschule) unterschieden, wobei die betrieblich organisierte Grundbildung mit 90 Prozent den Hauptteil ausmacht. Sie ist jedoch nicht in allen Regionen der Schweiz gleich stark verankert. In der Deutschschweiz absolviert ein höherer Anteil Jugendlicher eine betrieblich organisierte Grundbildung, während in der Romandie und im Tessin die schulisch organisierte Grundbildung eine lange Tradition hat (SBFI, 2021; Wettstein, Schmid & Gonon, 2014).

Zwischen zwei und vier Jahre dauert das Absolvieren einer beruflichen Grundbildung: Zweijährige berufliche Ausbildungen führen zu einem eidgenössischen Berufsattest (EBA), drei- und vierjährige Ausbildungen zu einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ). Leistungsstärkere EFZ-Lernende haben zusätzlich die Möglichkeit, während oder nach der Ausbildung eine Berufsmaturität (BM) zu erlangen (SBFI, 2021). Ein EFZ berechtigt zum Besuch beruflicher Weiterbildungsangebote der höheren Berufsbildung. Eine BM berechtigt zum Studium an einer Fachhochschule sowie, mit entsprechender Passerelle, zum Studium an einer Universität oder pädagogischen Hochschule (siehe Abb. 1).

Der nahtlose Übergang nach der obligatorischen Schulzeit gelingt jedoch nicht immer: etwas weniger als ein Drittel der Schulabgängerinnen und -abgänger absolviert vor dem Beginn einer nachobligatorischen Ausbildung eines oder mehrere Zwischenjahre in Form eines Brückenangebotes, wie z. B. 10. Schuljahr, Vorlehre, Motivationssemester etc. (SKBF, 2018).

Abbildung 1:Nachobligatorische Bildung in der Schweiz (SBFI, 2021, S. 6; adaptiert)

Im Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) ist festgehalten, dass die Ausbildung im Rahmen der beruflichen Grundbildung in drei Lernorten stattfindet, nämlich

a.im Lehrbetrieb, im Lehrvertriebsverbund, in Lehrwerkstätten, in Handelsmittelschulen oder in anderen zu diesem Zweck anerkannten Institutionen in beruflicher Praxis;

b.in Berufsfachschulen für die allgemeine und die berufskundliche Bildung;

c.in überbetrieblichen Kursen und vergleichbaren dritten Lernorten für Ergänzungen der beruflichen Praxis und der schulischen Bildung

(Art. 16 Abs. 2 BBG[1]).

«Die drei Lernorte geben eine Grundlage für die Entfaltung der Lernenden, indem sie getrennt Theorie und Praxis vermitteln und der üK als Bindeglied zwischen beiden Ebenen dient.» (Renato, Ausbildner Polymechaniker/in)

Wegen ihrer Ausrichtung auf die drei Lernorte wird die schweizerische Berufsbildung als triales (oder aufgrund der langen Tradition der Berufslehre auch als duales) Bildungssystem bezeichnet (Wettstein, Schmid & Gonon, 2014). Die Lernorte unterscheiden sich «nicht nur räumlich, sondern auch in ihrer pädagogischen Funktion» (Gonon, 2002, S. 27) und hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausbildungstage. Die Ausbildung findet vorwiegend im Lehrbetrieb statt. Während ein bis zwei Tagen wöchentlich nehmen die Lernenden am Unterricht in der Berufsfachschule teil. Überbetriebliche Kurse (üK) werden punktuell, meist in Form von Blockwochen, besucht. In der Dauer des überbetrieblichen Kursangebotes während der Berufslehre und auch der Aufteilung der Kurstage über den Zeitraum der Ausbildung hinweg gibt es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Berufen. So sieht die Verordnung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) über die berufliche Grundbildung Coiffeuse/Coiffeur mit EFZ 12–14 Ausbildungstage im überbetrieblichen Kurs vor (SBFI, 2013), während die Verordnung des SBFI über die Grundbildung Konstrukteurin/Konstrukteur mit EFZ 50–64 Tage vorschreibt (SBFI, 2008).

1.4.2Entstehungsgeschichte

Überbetriebliche Kurse wurden erstmals im Berufsbildungsgesetz von 1963 erwähnt. Es handelte sich dabei um Einführungskurse mit dem Zweck, «diejenigen Funktionen der beruflichen Grundbildung einem dritten Lernort zu übertragen, die von den anderen beiden Lernorten nicht in der notwendigen Qualität ausgeführt werden konnten» (Renold, 2002, S. 74). Die Einführungskurse bewährten sich und wurden im revidierten Berufsbildungsgesetz von 1978 als verbindlicher Bestandteil der Berufsbildung verankert. Im Laufe der Zeit führten die Berufsverbände die Kurse nicht mehr in jedem Fall zu Beginn der beruflichen Grundbildung, sondern über die Lehrjahre verteilt durch, was sich mit der Zeit durchgesetzt hat (Renold, 2002). Im neuen BBG von 2002 wurden sie schliesslich als dritter Lernort unter dem Namen überbetriebliche Kurse (üK) etabliert.

Es können drei Schwerpunkte festgemacht werden, die es notwendig machten, die üK grundsätzlich und verbindlich als dritten Lernort zu definieren, nämlich

Lücken zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildung,

die zunehmende Spezialisierung von Betrieben,

die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft.

Insbesondere zeigten sich Lücken in der Vernetzung der schulischen (theoretische Grundlagen) und betrieblichen (praktische Anwendungen) Lerninhalte und eine mangelnde Verbindung der in den beiden Lernorten Betrieb und Berufsfachschule erworbenen Qualifikationen. Landwehr (2002, S. 40) hält fest, dass «die beiden Lernorte nur minimalste Koordinationsabsprachen treffen und dass das an den beiden Orten Gelernte relativ unverbunden nebeneinandersteht». Diese Defizite in Koordination und Kooperation sollten durch die üK ausgeglichen werden. Daneben zeigte sich zunehmend, dass viele Betriebe «aufgrund ihrer Spezialisierung oft nicht mehr im Stande [waren], sämtliche Stoffinhalte zu vermitteln, die für eine umfassende und generalisierbare Berufskompetenz notwendig wären» (Renold, 2002, S. 76). Die gesetzliche Verankerung des dritten Lernortes im BBG gab somit auch kleineren und mittelgrossen Unternehmen (KMU) die Möglichkeit, weiterhin in der Ausbildung von Lernenden tätig zu sein (Schweizerischer Bundesrat, 1996). Der dritte Grund für die Implementierung der überbetrieblichen Kurse lag im Wandel von der industriellen zur wissensorientierten Dienstleistungsgesellschaft: Das in der Arbeitswelt einer wissensorientierten Dienstleistungsgesellschaft geforderte Wissen ist handlungsorientiert und muss zielführend angewandt und umgesetzt werden können (Landolt, 2002, S. 10).

1.4.3Zweck

Im üK werden spezifische Fertigkeiten des Berufes eingeübt, trainiert und gefestigt (Kaiser, 2019). Das Berufsbildungsgesetz 2002 hält fest, dass der dritte Lernort das abdeckt, was die beiden anderen Lernorte nicht in der nötigen Qualität leisten können. Dem dritten Lernort kommt damit ein ergänzender Charakter zu, da durch ihn die Ausbildung in der Berufsfachschule und im Betrieb vervollständigt wird (siehe Kap. 1.4.2 und 1.4.4). Im üK werden funktionsbedingte Einseitigkeiten der beiden anderen Lernorte kompensiert:

Praxiserfahrungen werden konsequent unter dem Gesichtspunkt des Lernens konzipiert. Der Zeit- und Handlungsdruck der betrieblichen Alltagspraxis entfällt zum Teil, was sich positiv auf den Lernprozess auswirken kann.

Fehler, die im Erarbeitungsprozess geschehen, können bewusst als Lerngelegenheit genutzt werden.

Theoretische Grundlagen können in der Reflexion der praktischen Erarbeitung bewusst eingesetzt werden.

Somit symbolisiert der dritte Lernort die «Verzahnung von betrieblichem und schulischem Lernen» (Goetze et al., 2002, S. 6) und verfolgt dabei das Ziel, «eine Integration des theoretischen (schulischen) und des praktischen (betrieblichen) Lernens herzustellen» (Landwehr, 2002, S. 43). Der dritte Lernort übernimmt also gewissermassen «eine schulische und betriebliche Transferfunktion» (Landolt, 2002, S. 15). Theoretische Grundlagen und Wissen aus der Berufsfachschule werden praktisch angewendet, zudem wird auf Arbeitserfahrungen aus den Betrieben zurückgegriffen. Die üK unterstützen folglich die Lernenden dabei, das in der Berufsfachschule erworbene Wissen mit Erfahrungen aus dem Lehrbetrieb in Verbindung zu setzen, denn theoretisches und praktisches Lernen wird gleichzeitig und integriert vorgenommen (Kaiser, 2019). Das Zusammenspiel zwischen praktischem Handeln und theoretischer Auseinandersetzung nimmt somit einen zentralen Stellenwert ein. Der dritte Lernort kann folglich als «Reformprojekt, das zwischen informellem Lernen, vornehmlich im Betrieb, und formalem Lernen in der Schule vermitteln soll» (Gonon, 2002, S. 34) beschrieben werden. Es verbinden sich hier die Vorteile des betrieblichen und des systematischen schulischen Lernens.

Zusammenfassend erfüllen die üK gemäss Renold (2002) folgende Zwecke: eine Entlastung der Lehrbetriebe in der praktischen Grundausbildung sowie eine Einführung in grundlegende Arbeitsmethoden und Lernstrategien, um die Ausbildung in den berufspraktischen Arbeiten zu ergänzen. Letztlich steht der Erwerb grundlegender praktischer Fertigkeiten im Zentrum (SBFI, 2021).

1.4.4Gesetzliche Grundlagen und Verantwortlichkeiten

Übergeordnete Regelung. Die schweizerische Berufsbildung und damit auch die üK sind im Bundesgesetz über die Berufsbildung (BBG) geregelt. Dies ist in der Bundesverfassung (BV) wie folgt festgeschrieben:

a.Der Bund erlässt Vorschriften über die Berufsbildung.

b.Er fördert ein breites und durchlässiges Angebot im Bereich der Berufsbildung

(Art. 63[2]).

Das BBG und die Verordnung über die Berufsbildung (Berufsbildungsverordnung, BBV[3]) legen die Rahmenbedingungen für die berufliche Aus- und Weiterbildung fest, regeln die nötige Überwachung und definieren die Förderung in der beruflichen Bildung durch Bundesbeiträge. BBG und BBV setzen auf die Steuerung des Berufsbildungssystems über Massnahmen der Qualitätsentwicklung auf allen Stufen. Die Berufsbildung versteht sich als Teil eines Gesamtsystems von Bildung und Arbeitsmarkt.

Artikel 23 BBG regelt die überbetrieblichen Kurse und vergleichbaren dritten Lernorte wie folgt:

1.Die überbetrieblichen Kurse und vergleichbare dritte Lernorte dienen der Vermittlung und dem Erwerb grundlegender Fertigkeiten. Sie ergänzen die Bildung in beruflicher Praxis und die schulische Bildung, wo die zu erlernende Berufstätigkeit dies erfordert.

Träger der beruflichen Grundbildung sind Berufsverbände, Branchenorganisationen und weitere Trägerschaften von Berufen (siehe nächster Abschnitt). Sie definieren die Bildungsinhalte, erstellen Prüfungsordnungen und organisieren die überbetrieblichen Kurse einer beruflichen Grundbildung. Die Aufsicht über die üK obliegt den Kantonen. Gemäss Artikel 24 Abs. 1 und 3a BBG sind die Kantone zur Aufsicht der beruflichen Grundbildung verpflichtet, dies schliesst auch die üK mit ein. In der Regel bestimmen Leistungsvereinbarungen zwischen einem Berufsverband, einer Branchenorganisation oder einer weiteren Trägerschaft eines Berufes und den Kantonen, in welchen üK-Zentren geführt werden, die Organisation, Durchführung, Aufsicht und Abgeltung der üK sowie deren Qualitätssicherung und -entwicklung.

Geteilte Verantwortung von Wirtschaft und Staat. Die schweizerische Berufsbildung steht für die Kooperation und vielfältige Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat. Die wirtschaftliche Seite wird primär durch die Organisationen der Arbeitswelt (OdA) vertreten. OdA schliessen eine Bandbreite von Organisationen ein. Dazu gehören nebst Berufsverbänden, Branchenorganisationen und weiteren Trägerschaften von Berufen auch Sozialpartner, andere zuständige Organisationen oder Anbieter der Berufsbildung sowie die Lehrbetriebe, die als Unternehmen Ausbildungsplätze anbieten (SBFI, 2021; vgl. auch Graf, Emmenegger & Strebel, 2019). Die üK werden durch die OdA organisiert sowie durchgeführt und finden in der Regel in eigenen Kurszentren der Branche statt (SBFI, 2021). Auf staatlicher Seite wird die Verantwortung durch das SBFI sowie durch die Kantone – vertreten mit der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), den kantonalen Berufsbildungsämtern sowie den Bildungsinstitutionen – getragen (SBFI, 2021). Den Kantonen kommt in der Verbundpartnerschaft eine wichtige Rolle zu. Sie unterstützen die Bildung von Trägerschaften für die Durchführung von üK und sorgen für ein ausreichend grosses Kursangebot (Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 BBG).

Bildungsverordnung und Bildungsplan. Bildungsverordnungen (BiVo) definieren die Standards der Ausbildung und der Qualifikationsverfahren (QV) der einzelnen Berufe der beruflichen Grundbildung, Bildungspläne (BiPla) definieren die berufspädagogischen Konzepte derselben. Sie werden durch die entsprechenden OdA in Zusammenarbeit mit Bund und Kantonen entwickelt und durch das SBFI in Kraft gesetzt. Die Verbundpartner (Bund, Kantone und OdA) legen in den BiVo und BiPla den Stellenwert der Ausbildung in den drei Lernorten fest. Gemeinsam werden konkrete Inhalte, Verantwortlichkeiten und Bestimmungen rund um das Prüfungsverfahren festgelegt. In Zusammenarbeit wird eruiert, welche Bestandteile der beruflichen Ausbildung von der Berufsfachschule sowie dem Betrieb nicht geleistet werden können und somit vom dritten Lernort übernommen werden (Renold, 2002). Durch eine anschliessende Vernehmlassung können weitere Akteure aus Berufsbildung, Wirtschaft und Staat Stellung nehmen.

Artikel 19 des BBG führt die durch die BiVo der einzelnen Berufe geregelten Aspekte auf. Neben Gegenstand und Dauer der Ausbildung sind dies auch Ziele, Anforderungen, Umfang und Qualifikationsverfahren. In der BiVo ist ebenfalls festgelegt, wie hoch der Ausbildungsanteil der einzelnen Lernorte ist. Konkrete Angaben über Dauer, Zeitpunkt und Inhalte der üK finden sich in den BiPla der einzelnen Berufe. Dies schliesst ein, wie viele Tage einzelne üK umfassen und an welchen Handlungskompetenzbereichen bzw. Handlungskompetenzen gearbeitet wird.

Grundsätzlich ist der Besuch der üK obligatorisch. Nach Art. 23 Abs. 3 BBG können Kantone «auf Gesuch des Anbieters von Bildung in beruflicher Praxis hin Lernende vom Besuch der Kurse befreien, wenn die Bildungsinhalte in einem betrieblichen Bildungszentrum oder in einer Lehrwerkstätte vermittelt werden». Dies kommt beispielsweise bei grossen Ausbildungsbetrieben oder Lehrwerkstätten vor.

Kosten. Die Kosten der Durchführung von üK werden einerseits von den Lehrbetrieben getragen, andererseits beteiligen sich auch Bund und Kantone daran. Art. 23 Abs. 4 BBG regelt Eckpunkte rund um die Finanzierung der üK: «Wer überbetriebliche Kurse und vergleichbare Angebote durchführt, kann von den Lehrbetrieben oder den Bildungsinstitutionen eine angemessene Beteiligung an den Kosten verlangen. Organisationen der Arbeitswelt, die überbetriebliche Kurse und vergleichbare Angebote durchführen, können zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen von Betrieben, die nicht Mitglied der Organisation sind, eine höhere Kostenbeteiligung verlangen». Somit ist explizit geregelt, dass von den Betrieben, die keinem Verband angehören, eine höhere Kostenbeteiligung gefordert werden kann. Die Lernenden selbst tragen keine Kosten, denn diese übernimmt der Lehrbetrieb (vgl. Art. 21 Abs. 3).

Weiter ist geregelt, dass die Kostenbeteiligung der Betriebe an den überbetrieblichen Kursen die tatsächlichen Vollkosten nicht übersteigen dürfen (Art. 21 Abs. 2). Die Kostenregelung sieht eine finanzielle Beteiligung der Betriebe vor, da diese wiederum auch Nutzniesser der Dienstleistungen aus den üK sind. Einerseits werden Berufsbildende in den Betrieben durch die üK entlastet, andererseits kompensieren die üK auch diejenigen Inhalte, die in den Betrieben nicht vermittelt werden können (Renold, 2002).

Qualitätssicherung. Gemäss Art. 8 Abs. 2 BBG müssen die Berufsbildungsanbieter die Qualitätsentwicklung sicherstellen. QualüK ist ein von der schweizerischen Berufsbildungsämter-Konferenz (SBBK) entwickeltes Handbuch für die Qualitätssicherung der üK (SDBB, 2010). Dessen Anwendung wird empfohlen; OdA können jedoch auch ein eigenes Qualitätssicherungssystem festlegen. QualüK lässt Rückschlüsse auf die Qualität und die Organisation der üK zu, beinhaltet Mindestanforderungen an Berufsbildende und für die Verwendung der finanziellen Mittel und reflektiert die Interaktion mit den verschiedenen Partnerinnen und Partnern im Rahmen der Lernortkooperation. QualüK formuliert diese Bereiche wie folgt aus und ordnet ihnen insgesamt 15 Qualitätsanforderungen zu:

üK entsprechen der Bildungsverordnung und dem Bildungsplan des jeweiligen Berufs: Kenntnis von Bildungsplänen/Bildungsverordnungen; Detailprogramm; Evaluation der Bedürfnisse und Erwartungen von Lehrbetrieb und Lernenden; Vorgaben für die Dokumentation der Leistungen und Kompetenzen.

üK werden effizient organisiert: Definition und Dokumentation von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen (AKV) aller Beteiligten; Anwendung des zur Verfügung gestellten Beurteilungsinstruments; Mitsprachegefäss für die Lernenden (Überprüfung von Vorschlägen und Kritik, gegebenenfalls Umsetzung oder Massnahmen ableiten); betriebsbereite und aktuelle Infrastruktur.

Berufsbildnerinnen, Berufsbildner sind kompetent und engagieren sich: Anforderungen; Weiterbildung.

Finanzielle Mittel werden gemäss den geltenden Rechts- und Verwaltungsbestimmungen eingesetzt: Anwendung der Richtlinien von SBBK und Standortkantonen.

Die Lernortkooperation wird gepflegt: Austausch mit Kantonen; Bildungsplan als Grundlage für Zusammenarbeit mit Bildungspartnerinnen und Bildungspartnern; regelmässiger Kontakt mit Beteiligten aller Lernorte und Organisationen/Organe.

Die Ausführungen zu den Qualitätsanforderungen werden im QualüK-Handbuch dargelegt. So kann die Einschätzung der Qualität der üK standardisiert und objektiv beurteilt werden. Die Resultate aus der Selbst- oder Fremdbewertung können und sollen durch Bemerkungen, Verbesserungspotenzial und Ziele ergänzt werden. Das Handbuch stellt in kondensierter und übersichtlicher Form viele Informationen zu den rechtlichen Vorgaben der üK zur Verfügung: Steuerungsebenen, die dazugehörigen Grundlagen wie Gesetze, Weisungen und Ähnliches sowie die Aufgaben, die auf den Steuerungsebenen wahrgenommen werden. Die zugrundeliegenden rechtlichen Grundlagen (Artikel aus BBG und BBV) sind in der offiziellen Formulierung abgebildet. Wo das BBG durch die BBV ergänzt wird, ist dies grafisch dargestellt. So kann sichergestellt werden, dass alle Vorgaben bekannt sind.

Verantwortung der Ausbildenden in üK. Die Verantwortlichkeit von Ausbildenden in üK lässt sich nicht aus einer spezifischen Bestimmung im Berufsbildungsgesetz ableiten, sondern ergibt sich u.a. aufgrund von Sorgfaltspflichten, die Ausbildende innehaben. Wird die Sorgfaltspflicht nicht angemessen wahrgenommen, kann dies Rechtsfolgen nach sich ziehen. Das Ausmass der Aufsichts- und Sorgfaltspflichten hängt vom Alter, Entwicklungsstand und Charakter der/des jeweiligen Lernenden sowie von der Zusammensetzung der Lerngruppe und der jeweiligen Gefahr in der konkreten Situation ab (Merker & Sturm, 2021). Nachfolgend werden zwei Aspekte aus rechtlicher Sicht beleuchtet, die in Ausbildungssituationen relevant sind.

Unterlassung. Nach Art. 11 StGB kann ein Vergehen durch pflichtwidriges Untätigbleiben begangen werden (Stratenwerth, 2011). Pflichtwidrig untätig bleiben Ausbildende dann, wenn sie die Gefährdung oder Verletzung von Lernenden nicht verhindern, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Im Rahmen des üK werden die Lernenden den Ausbildenden anvertraut und in ihre Obhut übergeben. Daraus entsteht eine sogenannte Garantenstellung. Diese verlangt einerseits, dass Ausbildende alles Zumutbare unternehmen müssen, um gefährliche Situation abzuwenden, und andererseits, dass Ausbildende unterlassen müssen, was Gefahren für die Lernenden darstellen könnte. Bei Tätigkeiten mit erhöhtem Gefahrenpotenzial werden höhere Anforderungen an die Intensität der Überwachung und die zu erteilenden Instruktionen gestellt.

Fahrlässigkeit. Nicht nur das vorsätzliche Begehen einer Straftat ist strafbar, unter Umständen können auch fahrlässige Handlungen Rechtsfolgen auslösen, bspw. bei einer fahrlässigen Körperverletzung. Ein fahrlässiges Vergehen ist gemäss Art. 12 Abs. 3 StGB, wenn die Folgen eines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht werden bzw. auf die Folgen nicht adäquat Rücksicht genommen wird (Stratenwerth, 2011). Pflichtwidrig heisst in diesem Zusammenhang, dass die ausbildende Person die Vorsicht nicht wahrnimmt, zu der sie/er verpflichtet ist. Somit müssen Ausbildende nicht willentlich Lernende verletzen, um strafrechtlich sanktioniert zu werden. Wenn es zu einem Vorfall kommt und Ausbildende die in einer Situation erforderliche Sorgfalt nicht berücksichtigen oder gar Gefahren schaffen bzw. erhöhen, so ist ebenfalls Strafbarkeit gegeben. An Ausbildende werden erhöhte Anforderungen gestellt, da sie aufgrund ihrer Ausbildung über besonderes Fachwissen verfügen (bspw. in Bezug auf die Bedienung einer gefährlichen Maschine). Nicht jedes Risiko ist aber der/dem jeweiligen Ausbildenden zuzurechnen. Da die Grundsätze zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz ebenfalls Teil der Ausbildung der Lernenden sind, dürften diese als Mindestvorschriften herangezogen werden. Missachtet die ausbildende Person diese Bestimmungen und verletzt sich ein/e Lernende/r, so ist von einer Verletzung der Sorgfaltspflicht über das erlaubte Mass hinaus auszugehen. Die Eigenverantwortung der Lernenden darf aber nicht ausser Acht gelassen werden. Das Alter, der Entwicklungsstand, die bisherige Ausbildung usw. sind entscheidend für die Frage, inwiefern ihnen zugemutet werden kann, Risiken in einer bestimmten Situation eigenständig zu überblicken. Dennoch können sich üK-Ausbildende auch gegenüber volljährigen Lernenden der fahrlässigen Körperverletzung strafbar machen (Merker & Sturm, 2021).

1.4.5Zusammenarbeit der Lernorte

Wie bereits dargestellt, lebt die berufliche Bildung von der Zusammenarbeit verschiedener Beteiligter. Im BBG ist festgeschrieben, dass die Kooperation über die drei Lernorte hinweg verbindlich ist (Art. 16 Abs. 5).

«Wir haben kurze Wege zwischen allen wichtigen Lernorten. Der Austausch funktioniert. Wenn wir Einfluss nehmen wollen, haben wir Möglichkeiten. Der Spielraum im Bildungsplan kann ausgenutzt werden.» (Renato, Ausbildner Polymechaniker/in)

Was genau unter Lernortkooperation zu verstehen ist, wird im Gesetz jedoch nicht präzisiert. Die berufspädagogische Literatur liefert verschiedene Definitionen. Eine allgemeine Beschreibung findet sich bei Dehnbostel:

«Unter Lernortkooperation wird die institutionelle, organisatorische, pädagogische, didaktisch-methodische und personelle Zusammenarbeit verschiedener Lernorte mit dem Ziel der Qualifizierung und Kompetenzentwicklung verstanden. Das Spektrum der möglichen Kooperationsaktivitäten erstreckt sich vom gegenseitigen Informieren über organisatorische und didaktisch-methodische Abstimmungen bis hin zum gemeinsamen Erarbeiten von Konzepten und Materialien.»

(Dehnbostel, 2020, S. 13)

Landwehr (2002, S. 39) unterteilt die Lernortkooperation in die vier Stufen Koexistenz, Koordination, Kooperation und Integration:

Koexistenz

Die Lernorte funktionieren als in sich geschlossene Lernsysteme mit je eigenen Zielvorgaben und eigenem Prüfungswesen. Zeitliche Vorgaben für die drei Lernorte sind definiert, es finden jedoch keine Absprachen statt.

Koordination

Die Lernorte bestehen relativ unverbunden nebeneinander. Die Ausbildungskonzepte werden inhaltlich aufeinander abgestimmt und Informationen werden ausgetauscht, so dass bei Schwierigkeiten gemeinsame Lösungen gefunden werden können.

Kooperation

Die Lernorte definieren sich als Partner im gemeinsam verantworteten Ausbildungsgang. Grobe inhaltliche Absprachen werden getroffen, Ausbildungsziele und -schwerpunkte werden gegenseitig kommuniziert, die Vermittlung der Inhalte in Theorie und Praxis wird koordiniert. Regelmässiger Erfahrungsaustausch findet statt.

Integration

Eine für alle Lernorte gemeinsame, lernortübergreifende Ausbildungsleitung und ein gemeinsames Ausbildungsprogramm sind etabliert. Das Lernen an den verschiedenen Lernorten orientiert sich an identischen Phasenzielen, die konkreten Ausbildungsziele werden abgesprochen und gemeinsam festgelegt.

In der Regel lässt sich die in der beruflichen Grundbildung gelebte Zusammenarbeit zwischen den Lernorten auf den Stufen Koordination oder Kooperation ansiedeln, die Stufe Integration wird leider nur in Ausnahmefällen berücksichtigt. So besteht in Bezug auf Lernortkooperation zwischen den drei Lernorten nach wie vor grosser Handlungsbedarf: Diese ist zwar gewünscht und auch gesetzlich verankert, jedoch noch nicht wirklich umgesetzt (Grassi, Rhiner, Kammermann & Balzer, 2014).

Die Ausbildenden nehmen in der Lernortkooperation eine zentrale Rolle ein. Was können sie tun, um die Situation zu verbessern? Ein erster Schritt ist, dass sich Ausbildende immer wieder darum bemühen, die Lernenden darin zu unterstützen, ihre Erfahrungen aus den verschiedenen Lernorten zusammenzuführen (Aprea & Sappa, 2020). Dies gelingt beispielsweise, indem üK-Ausbildende Bezüge zu Erfahrungen aus dem Lehrbetrieb schaffen – d. h. situationsdidaktisch ausbilden (siehe Kap. 3.4.3 und 4.4.2) sowie sich mit dem Lehrplan und den Lerninhalten der Berufsfachschule auskennen und Verbindungen zwischen den Tätigkeiten im üK und den Erarbeitungen in der Berufsfachschule sichtbar machen. Voraussetzung, dass dies gelingt, ist, dass üK-Ausbildende sich informieren, welche Ausbildungsinhalte in den anderen Lernorten wann thematisiert werden und wie dabei vorgegangen wird. Schliesslich steht und fällt die Lernortkooperation mit dem Austausch und der Kommunikation mit Ausbildenden der anderen Lernorte. Durch ein persönliches Netzwerk und persönliche Beziehungen kann unkompliziert und niederschwellig ausgetauscht werden, es können Massnahmen gemeinsam vereinbart und Kooperationsvorhaben geplant und umgesetzt werden. Zu empfehlen ist jedoch, dass die Zusammenarbeit auch auf institutioneller Ebene verantwortet wird und auf einer gemeinsamen Erarbeitung und Verantwortung für die Ausbildungsinhalte und -ziele im Sinne von Landwehr und Dehnbostel (siehe oben) gründet.

1.5Fazit und Schlussfolgerungen

Zwei Drittel der Schulabgängerinnen und -abgänger in der Schweiz entscheiden sich nach der obligatorischen Schulzeit für eine berufliche Ausbildung. Eine solche dauert zwei, drei oder vier Jahre und findet in der Regel an den drei Lernorten Ausbildungsbetrieb, Berufsfachschule und überbetriebliche Kurse (üK) statt. Die üK sind als dritter Lernort ein wichtiger Eckpfeiler der beruflichen Grundbildung. Sie sorgen mit einer Erweiterung und Ergänzung der Ausbildung in Betrieb und Berufsfachschule für eine Verbindung zwischen beruflicher Praxis und theoretischen schulischen Inhalten. Ausbildende in üK sind deshalb wichtige Promotoren des Lerntransfers zwischen den Lernorten und unterstützen Lernende dabei konsequent in der Entwicklung ihrer beruflichen Handlungskompetenz. Damit dies gelingt, ist es wichtig, dass Ausbildende der drei Lernorte sich regelmässig austauschen und zusammenarbeiten.

Kurzfilm Einblick in die Praxis

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1.6Persönliche Standortbestimmung und Transfer

Reflexion

Die vorgestellten gesetzlichen Grundlagen und die erläuterten Zwecke der überbetrieblichen Kurse zeigen auf, welche Aufgaben der dritte Lernort in der Berufsbildung erfüllt.

Inwiefern werden Ihre üK den geforderten Zielen gerecht?

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Wie erleben Sie die Lernortkooperation?

Welches Verbesserungspotenzial sehen Sie bei der Zusammenarbeit mit den anderen Lernorten?

1.7Literatur

Aprea, C. & Sappa, V. (2020). Individual Conceptions of Vocational Learning and Teaching across Learning Sites in the Swiss VET Context. In: C. Aprea, V. Sappa & R. Tenberg (Hrsg.), Connectivity and Integrative Competence Development in Vocational and Professional Education and Training (VET/PET). ZBW Beiheft 29. Stuttgart: Franz Steiner, S. 165–184.

Dehnbostel, P. (2020). Lernorte und Lernortkooperation – Erweiterungen und Entgrenzungen nicht nur in digitalen Zeiten. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis BWP, 49(4), S. 11–15.

Goetze, W. et al. (2002). Der dritte Lernort. Bildung für die Praxis, Praxis für die Bildung. Bern: hep.

Gonon, P. (2002). Die Geschichte des dritten Lernortes. In: W. Goetze et al. Der dritte Lernort. Bildung für die Praxis, Praxis für die Bildung. Bern: hep, S. 21–36.

Graf, L., Emmenegger, P. & Strebel, A. (2019). Die vielen Motoren der Berufsbildung: Governance der Berufsbildung: Eine systematische Analyse der Organisationen der Arbeitswelt. In: Transfer, Berufsbildung in Forschung und Praxis, (1).

Grassi, A., Rhiner, K., Kammermann, M. & Balzer, L. (2014). Gemeinsam zum Erfolg. Früherfassung und Förderung durch gelebte Lernortkooperation. Bern: hep.

Kaiser, H. R. (2019). Situationsdidaktik konkret. Unterrichtsrezepte, Beispiele, Grundlagen. Bern: hep.

Landolt, H. (2002). Der dritte Lernort – eine Einführung. In: W. Goetze et al. Der dritte Lernort. Bildung für die Praxis, Praxis für die Bildung. Bern: hep, S. 9–19.

Landwehr, N. (2002). Der dritte Lernort. In: W. Goetze et al. Der dritte Lernort. Bildung für die Praxis, Praxis für die Bildung. Bern: hep, S. 37–71.

Merker, M. & Sturm, L. (2021). Rechtliche Verantwortlichkeit von Lehrpersonen im Beruf. Zürich: LCH.

Renold, U. (2002). Der dritte Lernort im Spiegel des Berufsbildungsgesetzes – unter institutionellen, ökonomischen Aspekten und Gesichtspunkten der Kooperation Wirtschaft–Staat. In: W. Goetze et al. Der dritte Lernort. Bildung für die Praxis, Praxis für die Bildung. Bern: hep, S. 73–86.

SBFI (2008). Verordnung des SBFI über die berufliche Grundbildung Konstrukteurin/Konstrukteur mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ). Bern: SBFI.

SBFI (2013). Verordnung des SBFI über die berufliche Grundbildung Coiffeuse/Coiffeur mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ). Bern: SBFI.

SBFI (2021). Berufsbildung in der Schweiz. Fakten und Zahlen 2021. Bern: SBFI.

Schweizerischer Bundesrat (1996). Bericht über die Berufsbildung (Bundesgesetz über die Berufsbildung). In: Bundesblatt, 49(5).

SDBB (2010). Handbuch QualüK. Instrument zur Beurteilung der Qualität der überbetrieblichen Kurse. 2. Auflage. Bern: SDBB. Online: https://www.berufsbildung.ch/dyn/bin/4844-4849-1-qualuk_ebook_de_interaktiv.pdf [28.01.2022]

SKBF (2018). Bildungsbericht Schweiz 2018. Aarau: Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung.

Stratenwerth, G. (2011). Schweizerisches Strafrecht, allgemeiner Teil 1: Die Straftat. 4. Auflage. Bern: Stämpfli.

Wettstein, E., Schmid, E. & Gonon, P. (2014). Berufsbildung in der Schweiz. Formen, Strukturen, Akteure. Bern: hep.

 

2.1Situation aus dem Ausbildungsalltag

Bettina hat soeben den ersten Kurstag eines üK für Lernende des zweiten Lehrjahres durchgeführt. An einige Lernende erinnert sich Bettina, da sie bereits im vergangenen Jahr bei derselben Kursgruppe einen Kurs durchführte. Die Lernenden haben sich im Verlaufe des Jahres deutlich weiterentwickelt. Nicht nur fällt Bettina auf, dass sie die berufsbezogenen Handlungen viel sicherer ausführen und Zusammenhänge rasch erkennen; ihr fällt auch auf, dass viele Lernende reifer und selbstbewusster geworden sind. Die Lernende Alisha hätte Bettina jedoch nicht wiedererkannt; sowohl ihr Erscheinungsbild als auch ihr Auftreten hatte sie anders in Erinnerung. Während Alisha im vergangenen Jahr als aufgestellte, fröhliche und gesprächige Person auffiel, wirkt sie heute in sich gekehrt und ruhig. Die Pausen verbringt sie allein am Handy. Wie es ihr wohl geht? Bettina möchte morgen bewusst das Gespräch mit Alisha suchen.

Teaser des Autorenteams

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2.2Selbsteinschätzung Erfahrungen und Vorwissen

2.3Worum es in diesem Kapitel geht

Jugendliche durchlaufen in der Adoleszenz zahlreiche Entwicklungsprozesse, einerseits biologische Veränderungen, die sich in körperlichen und kognitiven Entwicklungen zeigen, andererseits auch die Loslösung von den Eltern und den Eintritt in neue Berufs- oder Bildungswelten. Eine zentrale Entwicklungsaufgabe ist die Bildung der eigenen Identität. Die vielfältigen Veränderungen in der Adoleszenz können herausfordernd, gar belastend sein. Risiko- und Schutzfaktoren beeinflussen, wie gut solche Herausforderungen bewältigt werden. Ausbildende können durch einen förderorientierten Umgang mit den Jugendlichen einen wichtigen Beitrag zu deren Entwicklung leisten.

Kurzfilm szenische Umsetzung

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2.4Theoretische Grundlagen

2.4.1Was ist Adoleszenz?

In diesem Abschnitt werden der Begriff «Adoleszenz» definiert und Eigenschaften des Jugendalters beschrieben. Auf Trends, Charakteristika und Merkmale der heutigen Jugendlichen wird eingegangen.

Adoleszenz ist die Zeitspanne zwischen «Kindheit und Erwachsenenalter, in der sich die Adoleszenten aus ihren kindlichen Abhängigkeiten lösen und in erwachsene Verhaltensweisen und Rollen hineinwachsen» (Schwarz, 2021). Oftmals wird der Beginn der Adoleszenz mit dem Einsetzen der Pubertät gleichgesetzt. Rechtlich gesehen endet die Adoleszenz mit dem Erreichen der Volljährigkeit. In westlichen Gesellschaften wird das Ende der Adoleszenz vermehrt «an subjektiven Kriterien wie Eigenverantwortung tragen, selbständig handeln und entscheiden» gebunden (Schwarz, 2021), was die Festlegung eines fixen Zeitpunktes erschwert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Adoleszente als Individuen, die zwischen 10 und 19 Jahre alt sind. «Jugend» hingegen definiert die WHO als Altersspanne von 15 bis 24 Jahren. Diese beiden überlappenden Gruppen können als «junge Leute» zusammengefasst werden, die die Altersspanne von 10–24 Jahren abdecken (WHO, 2006, B5).

Berk (2020) und Steinberg (2014) definieren drei Phasen der Adoleszenz, die von Rollenübergängen und Kriterien körperlicher, kognitiver und sozial-emotionaler Reifung geprägt sind:

Frühe Adoleszenz (11–14 Jahre): Die anatomische und physiologische Reife des Körpers steht im Mittelpunkt. Erste Abstraktionen der Gedanken treten auf. Jugendliche legen viel Gefühl in alles, was gedacht und gesagt wird. Im sozialen Bereich werden erste Freundschaften zu Gleichaltrigen geknüpft.

Mittlere Adoleszenz (14–17 Jahre): Die sexuelle Reife ist abgeschlossen, die anatomische und physiologische Reife geht mit einem geringeren Stellenwert weiter. Die intellektuellen Fähigkeiten werden ausgebaut, die Gedanken werden zunehmend abstrakter, unterliegen einer grösseren Reflexion und sind von einer starken Emotionalität geprägt. In der sozialen Reife entwickeln sich gruppenbezogene Freundschaften zu individuellen Freundschaften weiter. Schüchternheit ist ein weiteres Merkmal dieser Phase.

Späte Adoleszenz (17–21 Jahren): Die anatomische und physiologische Reife des Körpers ist weitestgehend abgeschlossen. Die intellektuellen Fähigkeiten sind soweit ausgebaut, persönliche Entscheidungen können getroffen werden und es stellt sich ein gewisses Verantwortungsgefühl für die Zukunft in Verbindung mit einem Lebensplan ein. Das Denken gewinnt an Tiefe und erlaubt die Reflexion über sich selbst, eigene Ideen und Werte. Ängste und Schüchternheit werden abgebaut, der ursprüngliche Freundeskreis erweitert sich und vermischt sich mit anderen Freundschaften.

Die Entwicklung in diesen drei Phasen ist abhängig von den jeweiligen kulturellen, ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft. Im heutigen Verständnis beschränkt sich das Jugendalter nicht mehr nur auf die Pubertätsphase, sondern erstreckt sich über einen längeren Zeitraum. «Viele junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren empfinden sich noch nicht als erwachsen und wollen es auch nicht sein. Oft lässt sich eine Verlängerung jugendtypischer Lebensstile und Selbstdefinitionen bis weit ins Erwachsenenalter hinein feststellen. Um dieses Phänomen zu beschreiben, wird auch der Begriff ‹Postadoleszenz› gebraucht» (Jungbauer, 2017, S. 185). Die Ausweitung des Jugendalters steht im Zusammenhang mit den folgenden gesellschaftlichen Merkmalen, die die heutige Zeit prägen:

Pluralisierung

Grosses Spektrum an gesellschaftlich akzeptierten Lebensformen und -entwürfen. Die Welt ist vielfältig, aber auch komplex und unübersichtlich.

Individualisierung

Die meisten Jugendlichen können die Lebensgestaltung nach eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen vornehmen. Das wird von ihnen auch erwartet. Die Freiheit kann jedoch auch Belastung und Überforderung sein.

Globalisierung

Für heutige Jugendliche ist die globale Vernetztheit selbstverständlich, einerseits durch digitale Kommunikationsmittel, andererseits durch Reisetätigkeiten sowie weltweiten Handel.

Tabelle 1:Jugendliche in der Spätmoderne (Jungbauer, 2017, S. 185)

2.4.2Die «heutige Jugend»: Zufriedenheit, Werte, Vorstellungen und Trends der Jugendlichen

Verschiedene Studien untersuchen in regelmässigen Abständen Einstellungen, Werte sowie Lebensvorstellungen der Schweizer Jugendlichen (bspw. CS-Jugendbarometer, 2020; Huber, 2019). In diesen zeigt sich über einen längeren Zeitraum eine grundsätzlich konstant bleibende hohe Lebenszufriedenheit (Huber, 2019). Rund die Hälfte der jungen Personen zwischen 16 und 25 Jahren blicken «einigermassen zuversichtlich in die Zukunft» (CS Jugendbarometer, 2020, S. 18). Dieser Wert hat in den letzten Jahren in kleinen Schritten abgenommen, was darauf hindeutet, dass die allgemeine Sorglosigkeit, die der jungen Generation oftmals zugeschrieben wird, in den vergangenen Jahren nachgelassen hat (ebd.).

Vorstellungen zu Werten und Lebensplänen. Die Werthaltungen und Lebensvorstellungen der Adoleszenten sind in den vergangenen zehn Jahren stabil geblieben (CS Jugendbarometer, 2020). Einerseits scheint der «Wunsch nach Nachhaltigkeit, Gleichheit, Selbstverwirklichung und Sicherheit» (CS Jugendbarometer, 2020) bei ihnen tief verankert zu sein, andererseits werden Gesundheit und Treue als wichtig erachtet (CS Jugendbarometer, 2020). Erforschungen der Lebenswelten Jugendlicher verdeutlichen, dass sowohl zwischenmenschliche Beziehungen in ihrem Leben eine hohe Priorität besitzen als auch «Genuss am Leben und Eigenverantwortung in Bezug auf das eigene Leben und Handeln» (Gebhardt & Beck, 2020).

Vorstellungen zu Beruf und Karriere