Autobiographie des Todes - Kim Hyesoon - E-Book

Autobiographie des Todes E-Book

Kim Hyesoon

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Beschreibung

Kim Hyesoons Virtuosität liegt in ihrer Fähigkeit, einzigartige poetische, überraschende und doch zugängliche Bilder zu schaffen und sich gleichzeitig tief in der weiblichen Erfahrung und Erzähltradition zu verwurzeln. »Autobiographie des Todes« besteht aus neunundvierzig Gedichten, jedes steht für einen einzelnen Tag, an dem der Geist nach dem Tod umherwandert, bevor er in den Kreislauf der Reinkarnation eintritt. Die Gedichte geben nicht nur denjenigen eine Stimme, die während der gewaltsamen Zeitgeschichte Koreas einen ungerechten Tod fanden, sondern setzen sich auch zu einem Mosaik des individuellen Schmerzes und der Meditation zusammen. Sie werden zu einer ungehörten, seltsam fesselnden Echokammer unkonventioneller Stimmen, die nahe rücken, zu einem Gelächter werden, zu einem Ort der Trauer, des Trostes und des Lebens.  Mit Zeichnungen von Fi Jae Lee

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Seitenzahl: 95

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kim Hyesoon

Autobiographie des Todes

Gedichte

 

Aus dem Koreanischen von Uljana Wolf und Sool Park

 

Über dieses Buch

 

 

»Autobiographie des Todes« besteht aus neunundvierzig Gedichten, jedes steht für einen einzelnen Tag, an dem der Geist nach dem Tod umherwandert, bevor er in den Kreislauf der Reinkarnation eintritt. Die Gedichte geben nicht nur denjenigen eine Stimme, die während der gewaltsamen Zeitgeschichte Koreas einen ungerechten Tod fanden, sondern setzen sich auch zu einem Mosaik des individuellen Schmerzes und der Meditation zusammen. Sie werden zu einer ungehörten, seltsam fesselnden Echokammer unkonventioneller Stimmen, die nahe rücken, zu einem Gelächter werden, zu einem Ort der Trauer, des Trostes und des Lebens. 

Kim Hyesoons Virtuosität liegt in ihrer Fähigkeit, einzigartige poetische, überraschende und doch zugängliche Bilder zu schaffen und sich gleichzeitig tief in der weiblichen Erfahrung und Erzähltradition zu verwurzeln.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Kim Hyesoon, 1955 in Uljin geboren, ist Lyrikerin, Essayistin und Kritikerin. Sie studierte koreanische Literatur. Themen wie Emanzipation und Freiheit und immer wieder Bezüge zu historischen und gesellschaftspolitischen Fragen sind zentral in ihren unkonventionellen Arbeiten. Sie gehört zu den bedeutendsten modernen Lyrikerinnen Koreas, wurde als erste Autorin mit dem Midang Award ausgezeichnet und lehrt Kreatives Schreiben am Seoul Institute of the Arts.

 

Uljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, lebt zurzeit als Lyrikerin, Übersetzerin und Dozentin in Berlin und New York. Ihre Gedichte wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Peter-Huchel-Preis 2006, dem Erlangener Preis für Poesie als Übersetzung 2015 und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis 2016.

 

Sool Park, geboren 1986 in Südkorea, studierte Philosophie, Mathematik und Komparatistik in München. Seit 2023 ist er Juniorprofessor für Interkulturelle Philosophie an der Universität Hildesheim. Er forscht vor allem zur deutschen und ostasiatischen Philosophie und ist als Übersetzer philosophischer und literarischer Werke tätig, u.a. von Wittgenstein, Nietzsche und Hölderlin ins Koreanische.

Inhalt

Inhalt

Autobiographie des Todes

Auf dem Weg zur Arbeit

Kalender

Fotografie

Lehn dich ans Wasser

Weiße Nacht

Wenn du gehst

Tibet

Waise

Tag für Tag für Tag

Namensvetterin

Schmetterling

Mondfinsternis

Kleid aus Stein

Nest

Laufzauber des Todes

Nackt

Grabloch

Schwarze Netzhandschuhe

Winterlächeln

Ich will auf die Insel

Gestank

Seoul, Buch der Toten

Luftmenschen

Autopsie

Tage

Mama des Todes

A E I O U

Schon

Abendessen

Geschenk

Schluckauf

Lüge

Am Fluss Formalin

Kreuch Fleuch Tod

Den Sarg niederlassen

Nichtherr

Wiegenlied

Eine Krähe flog über das Kuckucksnest

Eiszapfenbrille

Schmerzhafte Halluzination

Blaues Haar

Name

Fratze

Puppe

Unterwelt

Ersticken

Exil des Herzens

Mondmaske

Bitte nicht

Gesicht des Rhythmus

Ein Dichten namens »Wahrnehmungsuniversum«

Ein Dichten namens »Wahrnehmungsuniversum«

Anmerkungen der Übersetzer:innen

Dank

Inhalt

Autobiographie des Todes 9

Auf dem Weg zur Arbeit Tag Eins 11

Kalender Tag Zwei 14

Fotografie Tag Drei 15

Lehn dich ans Wasser Tag Vier 17

Weiße Nacht Tag Fünf 19

Wenn du gehst Tag Sechs 21

Tibet Tag Sieben 23

Waise Tag Acht 26

Tag für Tag für Tag Tag Neun 28

Namensvetterin Tag Zehn 30

Schmetterling Tag Elf 31

Mondfinsternis Tag Zwölf 33

Kleid aus Stein Tag Dreizehn 35

Nest Tag Vierzehn 37

Laufzauber des Todes Tag Fünfzehn 39

Nackt Tag Sechzehn 41

Grabloch Tag Siebzehn 43

Schwarze Netzhandschuhe Tag Achtzehn 44

Winterlächeln Tag Neunzehn 45

Ich will auf die Insel Tag Zwanzig 46

Gestank Tag Einundzwanzig 48

Seoul, Buch der Toten Tag Zweiundzwanzig 50

Luftmenschen Tag Dreiundzwanzig 52

Autopsie Tag Vierundzwanzig 53

Tage Tag Fünfundzwanzig 55

Mama des Todes Tag Sechsundzwanzig 57

A E I O U Tag Siebenundzwanzig 58

Schon Tag Achtundzwanzig 59

Abendessen Tag Neunundzwanzig 61

Geschenk Tag Dreißig 63

Schluckauf Tag Einunddreißig 64

Lüge Tag Zweiunddreißig 66

Am Fluss Formalin Tag Dreiunddreißig 67

Kreuch Fleuch Tod Tag Vierunddreißig 70

Den Sarg niederlassen Tag Fünfunddreißig 71

Nichtherr Tag Sechsunddreißig 74

Wiegenlied Tag Siebenunddreißig 77

Eine Krähe flog über das Kuckucksnest Tag Achtunddreißig 78

Eiszapfenbrille Tag Neununddreißig 79

Schmerzhafte Halluzination Tag Vierzig 81

Blaues Haar Tag Einundvierzig 83

Name Tag Zweiundvierzig 86

Fratze Tag Dreiundvierzig 89

Puppe Tag Vierundvierzig 90

Unterwelt Tag Fünfundvierzig 91

Ersticken Tag Sechsundvierzig 93

Exil des Herzens Tag Siebenundvierzig 94

Mondmaske Tag Achtundvierzig 95

Bitte nicht Tag Neunundvierzig 96

 

Gesicht des Rhythmus 99

 

Ein Dichten namens »Wahrnehmungsuniversum« 121

 

Anmerkungen der Übersetzer:innen 145

 

Danksagung 151

Autobiographie des Todes

Auf dem Weg zur Arbeit

Tag Eins

In der U-Bahn verdrehen sich deine Augen weiß. Das ist deine Ewigkeit.

 

Eine ewige Augenverdrehung aus Weiß.

 

Man hat dich aus der U-Bahn geworfen. Es scheint, du stirbst jetzt.

 

Obwohl du stirbst, denkst du etwas. Obwohl du stirbst, hörst du etwas.

 

Gott was ist mit der los? Menschen. An dir vorbei.

Du bist lappiger Abfall. Müll, man schaut weg.

 

Der Zug fährt ab und ein alter Mann nähert sich dir.

Er schiebt seine schwarzen Fingernägel in deine Hose.

 

Wenig später zerrt man deine Handtasche weg.

Zwei Schüler kommen, wühlen in deiner Hosentasche.

Tritte. Das Klicken einer Kamera.

Dein Sterbebild ruht jetzt in den Handys der Jungs.

 

Wie alle Toten vor dir siehst du das ganze Panorama vor dir aufgehen

Dein nach außen gewandter Blick wandert in die Weite, in dich hinein.

 

Tod ist etwas, das von außen eindringt. Der innere Kosmos ist größer.

Tiefer. Nach einer Weile schwebst du nach oben, von innen.

 

Da liegt sie nun. Wie eine Hose, die jemand weggeworfen hat.

Steigst du in das linke Bein, läuft das rechte Bein davon. Kleid ohne Nähte, ohne Reißverschlüsse, rollt herum. Im Untergrund, auf dem Weg zur Arbeit.

 

Wie erbärmlich. Einst umarmte ich sie, wie Knochen Mark

wie Büstenhalter eine Brust, umarmte ich diese Frau

 

und alles, was die schwarzen Haare fest umarmten. Dein einziges Kleid.

 

Aus ihrem Körper will jetzt ein Dinosaurier raus.

Kurz blitzen ihre Augen auf. Doch es gibt keinen Ausgang mehr.

 

Die Frau ist tot. Erloschen wie Abendsonne.

Jetzt darf man ihren Löffel wegwerfen.

Jetzt darf man ihren Schatten zusammenfalten.

Jetzt darf man ihr die Schuhe ausziehen.

 

Du fliehst vor dir selbst. Wie ein Vogel, der seinen Schatten scheut.

Du beschließt, das Unglück, mit dieser Frau zu leben, hat ein Ende.

 

Du schreist: Ich habe keine Gefühle mehr übrig für diese Frau.

Und du ahmst das Weiß ihres Blicks nach, als sie noch lebte

und gehst weiter deinen Weg zur Arbeit. Gehst ohne Körper.

 

Wirst du pünktlich sein? Du gehst zu einem Leben, das nicht leben wird.

Kalender

Tag Zwei

Eine weiße Häsin stirbt und wird eine rote Häsin.

Sie verblutet noch im Tod.

Später wird aus der roten Häsin eine schwarze Häsin.

Sie verwest noch im Tod.

Weil sie tot ist, kann sie sich beliebig vergrößern, verkleinern.

Groß ist sie wie eine Wolke, klein wie eine Ameise.

Du führst dir die Ameisenhäsin ins Ohr ein.

Ameisenhäsin grast im Ohr den weiten Rasen leer,

wirft zwei Junge, größer als dunkle Gewitterwolken.

Rauschen im Ohr. Alle Laute rauschen. Dein Ohr stirbt. Die Häsin stirbt.

Manchmal wird die tote Häsin als blutige Monatsbinde wiedergeboren.

 

Dann kommt es vor, dass du eine tote Häsin aus der Unterhose ziehst.

 

Jeden Monat ziehst du tote Häsinnen hervor, hängst sie an die Wand.

 

Du hängst ein Weinen an die Wand, das riecht wie Hasenohren.

Fotografie

Tag Drei

Wie geht es deiner Puppe?

Ist sie gesund, deine Puppe?

 

Du flüsterst der Puppe ins Ohr: Das ist ein Geheimnis. Kein Wort, bis du tot bist.

Du zerkratzt der Puppe die Augen: Du mochtest es doch auch? Das ist doch so?

Du rasierst der Puppe die Haare: Stirb, du dreckige Schlampe.

Du setzt die Puppe in Brand: Dein voriges Leben hast du vergessen, ja?

 

Wenn du nicht zu Hause bist, bleibt sie zurück, deine Puppe

Wenn du nicht zu Hause bist, wird sie lebendig, deine Puppe

Wenn du nicht zu Hause bist, schaut sie aus dem Fenster, deine Puppe

Wenn du nicht zu Hause bist, spielt sie Waisenkind, deine Puppe

 

Ein Ding, das vor anderen Menschen nichts essen kann

Ein Ding, das niemals stirbt

Ein Ding, das ganz leer ist

Ein Ding, in dessen Augen dein toter Geist weiterlebt

 

So geht deine Puppe, ihre armlosen Arme gehen ein und aus

Ihre beinlosen Beine gehen ein und aus

Wie jemand, der seine Beine im Bett gelassen hat

 

Aus ihren Beinen platzt Papier

 

Deine Puppe geht

Deine Puppe spricht

 

Sie rollt ihre Augen ins Körperinnere

Sie weint, bis ihr Kopf verdreht ist

 

Vielleicht kehrt sie zurück ins Leben, wenn du stirbst

 

Du kannst deine Puppe ohnehin nicht mehr zum Stehen bringen

Du kannst deine Puppe ohnehin nicht mehr zum Gehen bringen

Du kannst deine Puppe ohnehin nicht mehr zum Lachen bringen

 

Zwischen dir und deiner Puppe ist der Draht gerissen

 

Du schreibst einen Brief

 

Liebe Puppe: Du brauchst doch wen, der dich abends ins Bett legt, dir die Augen schließt

Lehn dich ans Wasser

Tag Vier

Du hältst dich fest mit deinem ganzen Körper

 

Du hältst es nicht aus, du verdrehst dich

Du hältst die Finger des Wassers

 

Du trägst einen Mantel aus Wasserhaaren

Du kniest dich hin und bedeckst dein Gesicht

 

Lass uns zusammen schräg liegen

Lass uns umschlungen hinstürzen

 

Wenn ich hinunterspringe

bist du nach mir dran

 

Wenn ich die Angel werfe

komm herauf mit der Angel im Mund

Ich werds dir nachtun

 

Du flehst das Wasser an

 

Das Wasser führt mehr Selbstgespräche als du

 

Wenn du ganz lang bist und betrunken

bringst du den Regen nach Hause

 

Wasser das durch Fenster dringen will

 

Du willst dich

lehnen an dieses

Wasser das sich

an dich lehnt

Weiße Nacht

Tag Fünf

Ein Brief wird kommen von dort, wohin du nicht zurückschreiben kannst

 

Dass du schon dort bist

Dass du dich schon verlassen hast

 

Ein heller Brief wird kommen aus einem Loch, das alles über dich weiß

 

Ein Brief wird kommen, glänzend wie das Gehirn eines Toten, das jetzt alles weiß

Ein weiter, breiter Brief, ohne Gestern und Morgen, wie die Zeit vor deiner Geburt

 

Wo Pferdewagen aus Licht leise mit Schellen klingen

Wo Mädchen in Hosen aus Licht kichernd an eine Welt ohne Nacht klopfen

 

Wo die letzte Bahn hoch an die Oberfläche fährt

Wo alle Züge gleichzeitig aufleuchten, dich im Schweigen vergessen

 

Wo du nicht hinkommst, weil du keine Beine mehr hast

Wo die Kinder deiner Kindheit schon angekommen sind

Wohin du nie zurückschreiben kannst mit deiner schwarzen Schrift

Ein Brief wird kommen von dort, aus diesem hellen Loch

 

Wo deine Kinder schon vor dir alt geworden sind

Wo du schon eingegangen bist in den Kreis der Wiedergeburten

 

Ein Brief wird kommen von dort, geschrieben in heller, heller Tinte

 

Wo keine Finsternis seit der Geburt

Wo ein Neugeborenes jetzt das gleißende erste Licht schaut

 

Ein Brief wird kommen von dort, ein großer, großer Brief

Wenn du gehst

Tag Sechs

Wenn du gehst, ruf nicht geh nicht weg

Wenn du kommst, ruf nicht komm nicht

 

Als du gingst, schloss man deine Augen, faltete deine Hände, weinte geh nicht weg, geh nicht weg

Als du aber riefst macht auf, macht auf, riefen sie