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Miamo Zesi

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Beschreibung

Ayke wurde durch eine Gruppe von Schlägern brutal aus seinem bisherigen Leben herausgerissen. Er muss nun als, wie er sich selber bezeichnet, "Krüppel" sein Leben irgendwie meistern. Einen Plan hat er nicht. Was er jedoch jede Menge hat, sind Depressionen und null Lebensmut. Da tritt Ben in sein Leben, der eine Vergangenheit hat, für die er sich abgrundtief schämt. Er, der um seine Chance weiß, die er durch die Bewährung erhalten hat. Sein Leben wird, als er auf Ayke trifft, erneut komplett auf den Kopf gestellt. Da sind plötzlich Gefühle, von denen er nie auch nur eine Ahnung hatte. Gefühle für einen Mann! Und da ist auch noch seine Vergangenheit, die ihn erneut einzuholen droht ... Werden die zwei es schaffen?

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The endless love

Ayke

 

Ein Roman von Miamo Zesi

 

 

 

 

 

Copyright/Impressum

 

 

© Rechte, was Schrift, Wort und Bild angehen, liegen

Ausschließlich bei Miamo Zesi.

www.miamo-zesi.de

Hintere Str. 28 – 88437 Maselheim

Namen und Handlungen sind alle fiktiv und haben mit keinen Personen oder Plätzen etwas gemeinsam.

 

Cover:

Urheberrecht/Copyright

 

Foto Vorderseite: (c) original_curaphotography / Depositphotos.com  Foto Rückseite: © stryjek - Fotolia.com

Covergestaltung: TomJay - www.tomjay.de

 

 

 

Miamo Zesi

Januar 2017

Widmung

 

Allen Menschen, die die Lust und Freude am Leben nie verlassen. Die kämpfen. Egal, welche Widrigkeiten das Leben auch von ihnen abverlangt.

Autorin

„Miamo Zesi“ ist das Pseudonym einer Autorin aus dem schwäbischen Biberach. Dort lebt sie mit ihrem Mann, zwei erwachsenen Kindern und dem Hund Mex. Sie liebt lange Spaziergänge im Wald. Dabei fallen ihr die Geschichten zu ihren Büchern ein. Mit der Reihe „The endless love“ hat sie ihren Jungs Leben eingehaucht. Wird sie gefragt, wie sie darauf kommt, schwule Liebesromane zu schreiben, antwortet sie: „Keine Ahnung – weil es Spaß macht.“

Sie wünscht viel Freude mit den Geschichten!

 

Hinweis:

Dieser Roman enthält ausgedachte, fiktive Sexszenen. Sie sind nicht für Minderjährige geeignet und keine Handlungsanleitung. Einen Rat allerdings sollte jeder beherzigen:

Sei safe, mach es mit Kondomen!

 

Dieser Roman ist genau das. Eine Geschichte. Bitte nehmt nicht alles, was ich geschrieben habe, ernst. Vieles davon wird in der heutigen vernetzten und digitalen Zeit nicht funktionieren. Bücher laden zum Träumen ein und nicht alles, was geschrieben ist, kann oder wird jemals so geschehen. Lasst euch in meine Welt der Fantasie mitnehmen und begeistern!

1. Bennet6

2. Neue Chance24

3. Bewährung31

4. Einige Wochen später37

5. Ayke40

6. Aus der Traum56

7. Im Jugendgefängnis72

8. Aykes Genesung89

9. Gayfive103

10. Ben108

11. Brunch120

12. Aufeinandertreffen mit Matt Stevens147

13. Finn und Thade154

14. Leben mit Ayke164

15. Raoul170

16. Veränderungen204

17. Fünf Jahre später206

18. Weihnachten225

19. Leseprobe The endless love: Thore231

Inhaltsverzeichnis

 

 

1. Bennet

Mein Name ist Bennet Mayer. Ich stehe nunmehr kurz vor meinem dreißigsten Geburtstag. Die letzten sechzehn Jahre waren nicht nur prägend, sondern zudem sehr einschneidend für mich. Sie waren die Hölle und auch der Himmel. Alles war vorhanden. Heute ändert sich mein Leben erneut, warum? Davon später.

Geboren und aufgewachsen bin ich in München. Meine Eltern sind beide fleißige, ich nenne sie mal normale Menschen. Ich liebe sie. Ob sie das tun, kann ich nicht behaupten. Leider muss ich sagen, oder vermutlich, nein nicht mehr oder zumindest wollen sie keinesfalls, dass ich es weiß. Sie sind enttäuscht von mir und das zu Recht, trotzdem ist auch Enttäuschung von meiner Seite da. Sie möchten in keiner Weise mit mir, ihrem missratenen Sohn, in Verbindung gebracht werden.

 

Mein Vater arbeitet bei BMW. Er ist dort Abteilungsleiter, hat einige Mitarbeiter unter sich. Er ist sehr erfolgreich und ich bin stolz auf ihn, auch wenn er sich das nicht vorstellen kann und es nicht weiß. Meine Mutter ist Erzieherin in einem Kindergarten. Ich bin ihre persönliche Schande. Sie kommt kein bisschen damit zurecht, dass ich so missraten bin. So aus der Art schlage. Sie glaubt sicher, dass es sich schlecht auf ihre Arbeit auswirkt, wenn die Eltern ihrer Zöglinge von mir erfahren. Dass diese annehmen, dass sie deren Kinder keinesfalls gut erzieht. Ich kann ihr, wenn ich darüber nachdenke, keine Spur böse sein. Bin es trotzdem. Dass sie mich verleugnen, nicht zu mir stehen, verstehe ich sogar, dass sie mich aber restlos aus ihrem Leben gestrichen haben, tut mir weh. Schmerzt unendlich. Allerdings kann ich es nicht ändern.

Wie das passiert ist oder warum? Das ist zügig erzählt. Auch das ist nicht richtig. Es wird nicht schnell gehen und ist nicht schön und es gibt dabei nichts, was für mich spricht, gar nichts. Im Gegenteil.

 

Mein vierzehnter Geburtstag. Eigentlich ist das der Tag, an dem alles begonnen hat. Es ist der erste Schultag im neuen Schuljahr. Ich komme morgens in die Schule und setze mich in das an der Pinnwand genannte Klassenzimmer auf einen Platz in der letzten Reihe. Klar, ganz hinten. Schließlich habe ich ja einen Status, den es zu verlieren gibt. Auch im neuen Jahr. Es ist unruhig im Raum, da mich viele noch beglückwünschen und ich brav dieselben annehme.

 

Leider ist mein bester Kumpel im letzten Jahr durchgerasselt. Nicht gut für mich. Na ja, wir sehen uns in den Pausen. Dachte ich. Jedoch ist das auch nicht so, denn er hat die Schule, wie er mir gestern erst gesimst hat, gewechselt. Seine Eltern haben ihm dies heute Morgen eröffnet. Es ist nun anders, als wenn er neben mir sitzen würde. Dass ich ihn seltener treffe, ist sehr schade. Ich habe zum Glück keine derartigen Probleme in der Schule. Dass ich in Gefahr komme, sitzen zu bleiben, meine ich damit. Ich tue mir mit dem Büffeln nicht schwer, im Gegenteil. Ohne großartig zu lernen, schaffe ich meist sogar Noten über dem Durchschnitt, was komplett reicht. Ehrgeiz ist nicht unbedingt eine meiner Stärken. O. k., ich bin mitten in der Pubertät, sagt mein Vater. Blöde Entschuldigung, ich selber würde dies schlicht Faulheit nennen. Im Prinzip bin ich ausgewachsen, körperlich. Geistig sicher noch nicht. Stimmbruch habe ich längst hinter mir und der Bart sprießt bereits. Ich erscheine definitiv älter, als ich bin. Den Mädchen gefällt es. Aber meine Mitschüler sehen es mit Sorge und grenzen mich dadurch leider etwas aus. Sie sind noch lange nicht so weit. In ihrer Entwicklung, meine ich. Ich habe zwar den einen letzten Schritt zum Erwachsenwerden noch nicht vollzogen, Sex meine ich damit, allerdings geküsst habe ich das ein oder andere Mädchen und auch, wie es so schön heißt, rumgefummelt.

 

Es ist so weit, unser Mathelehrer und gleichzeitig Klassenlehrer tritt zur Tür herein und mit ihm ein Junge, der Neue.

»Jetzt mal Ruhe hier im Zimmer. Setzt euch. Das ist Thorsten Woerner, er wird ab heute in unserer Klasse sein. Er darf das Schuljahr bei uns wiederholen und hoffentlich auch erfolgreich beenden. Ben, ich erwarte, dass du Thorsten zeigst, wo alles ist. Außerdem ist ja der Platz neben dir frei. Thorsten, du kannst dich dorthin setzen, ich denke, ihr werdet gut miteinander klarkommen.« Dieser schlendert mit gelangweiltem Gesichtsausdruck in meine Richtung und platziert sich auf den Stuhl, den sonst immer mein Kumpel besetzt hatte. Toll! Ich mache mal gute Miene und begrüße ihn. Wer weiß, vielleicht ist er ja nett.

»Hi, ich bin Ben«, versuche ich, höflich zu sein.

»Hm«, kommt nur zurück. Er knallt seine Tasche neben den Tisch und setzt sich cool hin. Gibt sich gelangweilt. Beobachtet und belächelt alles. Er muss etwas älter sein als ich, um einiges würde ich sogar schätzen, deshalb dieser überhebliche Blick. Was sich auch schnell herausstellt, als die Klassenliste durchgegeben wird.

»Herr Mayer, meinen Glückwunsch, Sie scheinen ja heute Geburtstag zu haben.«

»Danke«, antworte ich höflich.

»Und Sie, Herr Woerner, beglückwünsche ich ebenfalls zu ihrem sechzehnten Geburtstag am vergangenen Wochenende.« Er nickt. Mehr Reaktion ist da nicht.

»Sechzehn also, dachte mir schon, dass du älter bist. Ist das bereits deine zweite Extrarunde?«

»Halt dein vorlautes Mundwerk, rate ich dir!«

»Hey, sei nicht so aggro, man. Das war nicht böse gemeint.« Sein Blick spricht Bände, deshalb murmle ich: »Ist ja schon gut.«

»Rate ich dir auch, du Baby.« Ich bin entsetzt und fasziniert zugleich von meinem neuen Sitznachbarn, die Faszination des Erwachsenseins, des bösen Jungen. Eine fatale Spirale beginnt sich langsam, aber unerbittlich zu drehen. In den folgenden Wochen hänge ich mich an ihn und werde bald in den erlesenen Kreis seiner Freunde aufgenommen. In die Clique seiner älteren Kameraden möchte ich betonen. Freunde, vor denen mich Vater im Prinzip immer gewarnt hat. Nichtsnutze, gepiercte, tätowierte Kerle, die keinen Abschluss haben und nur so rumhängen. Ja genauso sind die Kumpel von Thorsten. Sie faszinieren mich unendlich. Sie stellen für mich dieses andere Leben dar, das ich nicht leben soll und darf. Ich muss den Schulschluss machen. Eine Ausbildung absolvieren oder studieren und einen Beruf erlernen. Arbeiten gehen. Jeden Tag. Vielleicht heiraten und Kinder bekommen. In meinen Augen und den Augen von ihnen hört sich das nach Spießerleben und äußerst langweilig an. Ich bin jung und dumm und formbar und die Jungs merken das sehr schnell und lullen mich ein.

Mit der immer tiefer gehenden Freundschaft zu ihnen – fälschlicherweise nenne ich es Freundschaft – verschlechtern sich meine Noten rapide und nun bin ich meist unter dem Klassendurchschnitt. Oh noch bin ich im grünen Bereich. Vater nennt das eine Phase. Mutter Pubertät. Vermutlich ist es beides, aber leider sind da diese falschen Freunde an meiner Seite, die das alles fördern und fördern. Nur wenige Wochen nach Beginn des Schuljahres rauche ich meinen ersten Joint. Noch vor Weihnachten liege ich in den Armen einer jungen Frau, die mich zum Mann macht. Auf sexueller Ebene. Oh wie ich das alles geil finde. Ich kann jedoch nicht einmal einschätzen, ob es mich befriedigt oder was es mit mir macht. Ich nenne es für mich erwachsen sein. Ich bin jetzt erwachsen. Dass ich eigentlich nur blöd bin, das ist etwas anderes. Etwas, was ich zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht einordnen konnte. Meine neuen Freunde zeigen mir eine andere Welt, die ich nicht kannte, die mich aber immer mehr in ihren Bann zieht. Weg vom großstadtbürgerlichen Leben hin zu Freiheit oder grenzenlosen Dasein oder wie immer es genannt werden möchte. Mich nehmen sie auf jeden Fall mit und ich entgleite meinen Eltern von Tag zu Tag mehr. An den Wochenenden bin ich nur noch mit ihnen unterwegs. Trinke, rauche, kiffe und lebe mein neues Motto und Leben. Party, Party, Party. Wenn ich keine Kohle habe, leihen sie mir etwas. Das geht eine Weile gut, bis ich es zurückgeben muss und soll. Wie das funktioniert, zeigen sie mir. Das sind die kleineren Ladendiebstähle. Aber das ist nicht alles. Was viel einträglicher ist, ist die Angst. Zu dritt fangen wir Mädchen und Jungs vor der Schule ab. Drängen sie dazu, ihr Geld, Handy oder was auch immer herauszurücken. Jegliche Wertsachen, nur damit sie vor uns Ruhe haben. Wir schnappen uns die Schwachen und rauben sie im Prinzip aus. Nicht im Prinzip, wir tun genau dies. Eine Straftat nach der anderen. Dass ich auf einem total falschen Weg bin, erkenne ich nicht. Meine Eltern versuchen, mit mir zu reden, es gelingt ihnen nie. Sie kommen einfach nicht mehr mich heran. Zusammen mit Thorsten bin ich bald schon der Schrecken auf der Schule.

Mädchen, die mit mir in die Kiste gehen, gibt es genug. Die Faszination des bösen harten Kerls hängt mir nach. Dass ich sie schlecht behandle, keinen Respekt vor ihnen habe, sie noch im Prinzip belächle, wenn sie sich vor mich knien und mir einen Blowjob verpassen, ist das Schlimmste. Da ist kein Gefühl, keine Ehre in meinem Tun. Ich nehme mir und gebe nie etwas zurück. Dass es nie an Nachschub fehlt, dafür sorgen die anderen Jungs, die bereits aus der Schule sind. Dass mir diese Art von Sex nicht mal gefällt oder befriedigt, ist eine weitere Sache, über die ich nicht nachdenke.

 

Am Samstag unter der Bücke, dort, wo wir immer rumlungern, erfahre ich dann eine weitere Art der Gewalt. Tammy sitzt bei ihrem Freund Raoul an seiner Seite und raucht eine Zigarette. Ich selber lehne am Brückenpfeiler. Rauche ebenfalls, genehmige mir ein paar Schlucke aus der Bierflasche. Versuche mal wieder, einen coolen Spruch loszulassen. Wie blöd ich damals nur war.

»Man Leute, was geht ab. Ich hab Druck. Suchen wir uns ein paar Weiber?«

»Wieso suchen? Ist doch eine da!« Raoul schubst Tammy an.

»He, was soll das, Raoul? Bist du gekloppt? Ich penn doch nicht mit einem Baby!«

»Natürlich tust du das, wenn ich es von dir will.«

»Spinnst du?«

»Geh zu ihm und und blas ihm einen!« Sie zeigt Raoul den Vogel und er gibt ihr postwendend eine heftige Ohrfeige. Der Abdruck seiner Finger ist klar auf ihrer Wange zu sehen. Er steht vor ihr, schreit sie an und deutet auf mich.

»Du gehst zu ihm und sorgst dafür, dass er zufrieden ist, du Schlampe!« Ich bin heftigst erschrocken, gleichzeitig finde ich es cool, was er für eine Macht über Tammy hat. Diese kommt ängstlich zu mir gekrochen.

»Mach es bloß gut, Tammy, wenn ich von Ben Klagen höre, kannst du was erleben!« Sie weint und öffnet meinen Hosenladen. Holt den kleinen Ben hervor. Zwar bin ich nicht sehr erregt, aber zumindest lässt es mich nicht kalt. Mein Schwanz, er steht da und reckt sich ihr entgegen. Sie beginnt mir vor den anderen, die lachend zusehen, einen runterzuholen. Wie entwürdigend das für sie sein muss. Und wie beschämend ich mich aufführe und verhalte. Trotzdem lasse ich es zu. Schließe meine Augen und genieße es. Spritze sogar in ihren Mund ohne Vorwarnung ab. Als Tammy fertig ist, kommt Raoul zu ihr.

»Geht doch! Mach bloß nie wieder so einen Aufstand, sonst kannst du dich verpissen und jetzt beeil dich!« Er öffnet seine Hose und sein Schwanz springt mehr als steif heraus. Ihn hat das maßlos erregt. Nachdem sie auch ihm einen geblasen hat, verdrückt sie sich in eine Ecke und heult leise vor sich hin.

 

Ich bin nun schon ein Jahr lang in dieser Clique und genieße die Vorteile, die ich durch sie habe. Vorzüge, dass ich nicht lache. Dass ich nie von der Polizei aufgegriffen wurde, ist pures Glück. Dennoch haben sich meine schulischen Leistungen sehr verschlechtert. Für das kommende Schuljahr sieht es, wenn es in diesem Tempo nach unten geht, nicht gut aus. Mein Lehrer redet mir ordentlich ins Gewissen. Dieses Jahr habe ich es geschafft und auch Thorsten. Zum Ärgernis meiner Alten ist er durchgekommen. Die Sommerferien verbringe ich bei ihnen. Bin oft tagelang nicht zu Hause, nur um mich mal wieder zu duschen oder umzuziehen und etwas Geld zu schnorren. Ich entgleite meinen Eltern Tag für Tag mehr. Die Spirale nach unten aus Drogen, Gewalt, Sex und kleineren Delikten wird immer schneller.

 

Gegen Ende der Sommerferien verschwindet Tammy von einem Tag auf den anderen. Ich glaube ja, dass etwas Schlimmes zwischen Raoul und ihr vorgefallen ist, denn am Tag zuvor hat Tammy restlos abwesend gewirkt und hatte ein Veilchen. Es geht weiter. Keiner kümmert sich darum, vor allem weil eine neue Tammy, sie heißt nun Tanja, da ist und an der Seite von Raoul schläft. Die ihre Beine für jeden von uns breit macht und auch ihr Geschick, was das Blasen angeht, ist perfekt. Sie ist, so fürchterlich es auch klingt, im Prinzip unsere Lagerhure. Jeder, der auch nur will, treibt es mit ihr. Es ist, wenn ich daran zurückdenke, einfach nur ekelhaft. Das neue Schuljahr beginnt zwei Tage nach meinem fünfzehnten Geburtstag. Ich bin nur noch mit den Jungs unterwegs und restlos abgestürzt. Der Versuch, mich mit Hausarrest zu Hause zu halten, scheitert kläglich, denn ich haue wochenlang ab. Nur zur Schule gehe ich weiterhin regelmäßig. Warum weiß ich nicht. Vielleicht ist irgendeine Ecke in meinem Hirn noch ganz. Ich falle auch nicht, wie mein Lehrer prognostiziert hat, durch, sondern schaffe auch dieses weitere Schuljahr, gerade so. Mit dem Beginn meines sechzehnten Lebensjahres verändert sich erneut vieles in meinem Leben. Meine Eltern lassen sich scheiden. Ich habe noch nicht einmal bemerkt, dass es zwischen ihnen nicht mehr stimmt. Als sie mir dies an einem Abend, an dem ich zu Hause bin und dazu nüchtern, eröffnen, falle ich aus allen Wolken.

»Ihr wollt was tun? Seid ihr irre? Und wo bitte soll ich wohnen? Etwa pendeln? Oder wie stellt ihr euch das vor?« Vater bietet mir an, bei ihm zu leben. Ein Schock ist für mich, dass meine Mutter mich nicht bei sich haben möchte. Mutterliebe toll! Na ja, ich habe mich auch zu einem Ekelpaket entwickelt. Ich ziehe also mit Vater in eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung und schlafe bei ihm. Es passt. Er will nichts von mir wissen und lässt mich in Ruhe. Die meiste Zeit bin ich eh auf meinem Stammplatz unter der Brücke bei meinen Kumpeln.

 

Im Herbst beginnt Raoul auf einmal, Jagd auf Schwule zu machen. Er hat die fixe Idee, dass diese Kerle eine Schande sind. Lauert ihnen oft auf und jagt sie durch die Straßen. Oft haben sie keine Hose mehr an und wir lachen ihnen grölend hinterher. Es ist bekloppt. Ich führe mich grässlich auf. Fürchterlich schlimm. An einem Samstag im Frühjahr, es ist der erste sonnige Tag, sind wir am Abend in München unterwegs und Raoul will einen Schwanzlutscher aufreißen, wie er es nennt. Wir fahren mit der U-Bahn Richtung Gayfive, einem Schwulenklub in München, und warten auf ein potenzielles Opfer. Oh es finden sich einige, aber die sind meistens zu zweit unterwegs und wir haben keine Chance, einen zu erwischen, wie Raoul es bezeichnet. Während wir abwarten, trinken wir Hochprozentiges und rauchen einen Joint nach dem anderen. Ich schwebe wie auf Wolke sieben, bekomme erst überhaupt nicht mit, dass da ein Kerl ist, den Raoul geschnappt hat, und beginnt diesen zu vermöbeln. Es geht schnell. Die Stimmung dreht und Gewalt ist da. Selbstzerstörerische, schreckliche Gewalt. Tief in mir weiß ich, dass das, was hier passiert, restlos falsch ist. Raoul ist wie in Rage und auch Thorsten. Die beiden schlagen den jungen Mann mit den Fäusten. Mit ihren Füßen treten sie ihn in den Bauch. Er weint und schreit um Hilfe, bis ihn ein Fußtritt von Mike im Gesicht trifft. Mike hat dicke Springerstiefel an und der Kerl am Boden beginnt zu bluten. Seine Lippe ist aufgeplatzt, die Nase blutet und er wimmert nur noch.

»Los, Ben, hilf uns, die schwule Sau fertigzumachen!« Ich trete näher und sehe nur, wie sich der junge Mann auf der Straße versucht, zu schützen. Ich kann ihn nicht schlagen, aber Raoul will, dass ich auch zuschlage. Er lässt mir keine Chance. Mitgefangen, mitgehangen, wie er es immer nennt.

»Los du jetzt, Ben!« Ich trete zu. Mit dem Fuß treffe ich den jungen Mann in den Bauch und ein weiteres Stöhnen entfleucht seinem Mund. Raoul und Mike sowie Thorsten halten sich kein bisschen zurück. Ich selber helfe ihm aber auch nicht. Bin im Prinzip von mir selbst schockiert, dass ich das zulasse und mitmache. Was mir mit Sicherheit niemand glaubt, aber ich wache in diesem Moment auf. Wache aus meiner Hölle auf, aber ich habe keine Chance mehr, etwas wiedergutzumachen. Ich erkenne, dass ich ein Monster geworden bin. Mein Leben hat noch nicht mal richtig begonnen, aber ich bin ein Scheusal. Schlage diesen Mann, der mir nichts getan hat, krankenhausreif. Einen Kerl, den ich nicht kenne. Einen, der vielleicht ein sehr netter Mann ist, den man lieb hat. Der Eltern hat, die sich um ihn kümmern.

»Die Polizei kommt, los, Ben, lauf, sonst erwischen sie dich!« Ich bin wie erstarrt und blicke nur auf den am Boden liegenden, weinenden Mann, kann gar nicht weglaufen. Thorsten zieht mich mit. Ich stolpere hinter ihm her. Nicht lange und nicht weit. Er lässt mich los, als ich nicht mitlaufe, und haut selber ab. Ich bleibe stehen und werde nur Minuten darauf von den Polizisten unsanft auf die Straße geworfen. Handschellen klicken und ich komme in Polizeigewahrsam. Werde verhört und zu Recht nicht besonders sanft behandelt. Mein Vater ist irgendwann da und ich sehe in seinem Blick, wie er mich für das, was ich getan habe, verachtet. Wie sehr er seinen eigenen Sohn hasst, für das, was dieser getan hat, was aus ihm geworden ist. Mir wird ein junger Pflichtverteidiger zur Verfügung gestellt, der mit mir spricht. Er ist nicht besonders erfreut darüber, kann mich kein bisschen leiden. Er hat ja recht. Erst als ich zusammenbreche und ihm sage, dass ich das niemals gewollt hätte, dass es mir leidtue, dass ich auf keinen Fall jemanden hatte wehtun wollen, wird er netter. Spricht lange mit mir und ich erzähle ihm, was in den letzten beiden Jahren passiert ist. Nach diesem Gespräch ist er anders zu mir. Redet aber auch Tacheles. Sagt, dass es eine Chance für mich sein könne, erwischt worden zu sein. Dass ich im Grunde nicht der Mensch sei, den ich andere sehen lasse. Dass ich mich abgrenzen solle, ändern müsse. Dass ich versuchen solle, mein Leben in den Griff zu bekommen. Dass mir dabei niemand helfen könne, dass es von mir selber kommen müsse. Irgendwie dringt dieser junge Mann, mein Anwalt, zu mir durch. Erst viel später, kurz vor der Verhandlung, erfahre ich von Michael, meinem Anwalt, dass er ebenfalls homosexuell ist. Dass er dazu beordert wurde, mir beizustehen. Dem Kerl, der einen Schwulen, vielleicht einen Bekannten von ihm krankenhausreif geschlagen hat und das haben wir. Matt ist schwer verletzt. Er hat einen Nasenbein- und Kieferbruch. Seine Rippen sind gebrochen und angeknackst. Er hat viele Prellungen. Zum Glück keine inneren Verletzungen. Seine Psyche ist angeschlagen und er hat Angstzustände, ist in psychologischer Behandlung. Daran bin ich mit schuld. Das trifft mich schwer. Von Raoul, Thorsten und Mike höre ich nichts mehr. Will ich auch nicht. Sie sind nicht im Jugendknast untergebracht, sondern in einer anderen Haftanstalt. Michael erzählt mir nicht, was mit ihnen passiert. Ich vermute, er will, dass ich mich nur auf meinen Prozess auf meine Verhandlung konzentriere.

Am Tag der Verhandlung besucht mich mein Vater zusammen mit meiner Mutter. Sie verabschieden sich von mir. Vater will nichts mehr mit mir zu tun haben und Mutter auch nicht. Sie erklären mir auch, warum und wieso, aber im Prinzip höre ich ihnen nicht mehr zu. Sie verstoßen ihren Sohn. Vermutlich zu Recht. Wer weiß das schon. Michael, mein Anwalt, führt meine Eltern hinaus und bringt mich anschließend in den Gerichtssaal. Der Prozess ist unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil ich bei der Tat sechzehn war und jetzt siebzehn bin. Meine Psychologin Anna, die mit mir die letzten Wochen gearbeitet hat, spricht. Auch der Vertreter der Anklage. Vieles wird geredet, ich bekomme nicht viel davon mit. Am Schluss werde ich gefragt, ob ich noch etwas sagen möchte. Da stehe ich auf und nehme meinen Mut zusammen.

»Ja Herr Richter. Ich kann Ihnen nicht sagen, warum ich das getan habe und wieso, aber was ich weiß, ist, dass es mir leidtut. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen, aber ich werde mich anstrengen. Ich werde mein Leben in den Griff kriegen. Wenn Sie mir vielleicht dabei helfen, denn meine Eltern werden das nicht tun. Sie haben sich vorhin von mir verabschiedet, wollen mit ihrem missratenen Sohn nichts mehr zu tun haben. Aber ich kann ein guter Mensch werden, auch wenn ich das im Augenblick nicht bin.«

 

Danach setze ich mich ich und erwarte das Urteil. Ob mir der Richter geglaubt hat, was ich sage, kann ich nicht einschätzen. Ich vermute, eher nicht. Denn mir werden vier Jahre Jugendhaft aufgebrummt. Das ist ziemlich viel. Ich denke also, der Richter hat mir keine Spur geglaubt. Kann sein. Ich weiß es nicht. Michael atmet neben mir tief durch. Ich glaube, er hat niemals mit einer so heftigen Strafe gerechnet. Nach der Haft muss ich noch zig Sozialstunden ableisten, in einer Einrichtung, die mir vom Gericht nach der Haftstrafe genannt wird. Nachdem die Verhandlung beendet ist, werde ich abgeführt und zügig in das Jugendgefängnis überstellt. Michael begleitet mich. Ich gebe zu, ich bin ängstlich und mein Arsch geht auf Grundeis.

Er ist es auch, der mit mir redet, bevor ich vom Justizvollzugsbeamten in mein neues Zuhause für die kommenden vier Jahre gebracht werde. Diese Unterhaltung stellt sich im Nachhinein als das beste Gespräch meines Lebens heraus.

 

»Bennet, bitte höre mir genau zu. Das hier heißt nicht Endstation. Du musst mir zuhören. Es wird die kommenden Jahre für dich nur drei Möglichkeiten geben. Entweder du wirst zu den Halbstarken dazugehören, zu den bösen Jungs. Denn du bist wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, das gibt dir hier heute bereits einen Status im Knast. Sie werden dich auf keinen Fall sofort fertigmachen oder herausfordern. Sie werden dich erst einmal beäugen und einschätzen wollen. Sie wissen, dass du einer der richtig bösen Jungs bist. Verstehst du? Es wird Teenager hier drinnen geben, die eigentlich sehr brav sind. Die hier völlig fehl am Platz sind. Das sind die, die du auf dem Schulhof niedergemacht hast. Das sind Jungs, die wegen Trunkenheit am Steuer hier sind oder wiederholt geklaut haben oder einfach für ein halbes Jahr oder ein Jahr hinter Gitter müssen, zur Abschreckung, weil sie Mist gebaut haben. Sie werden Angst vor dir haben. So wie sie Angst vor den anderen haben. Es gibt nur diese zwei Gruppen im Gefängnis, die Bösen und die, die bedroht werden, verstehst du? Dazwischen ist die Luft sehr dünn. Wenn du unbeschadet durch diese vier Jahre kommen möchtest, musst du dich entscheiden, was für dich der richtige Weg ist. Willst du zu den Bösen gehören? Dann kann ich dir garantieren, dass dies nicht dein letzter Besuch im Knast ist. Du wirst rückfällig werden, dafür gebe ich dir Brief und Siegel. Die zweite Alternative ist, ob du zu den Opfern gehören willst. Dann kannst du dich darauf gefasst machen, dass du mehrmals die Krankenstation besuchen, du eventuell auch sexuell bedrängt wirst oder sie dir Unannehmlichkeiten bereiten werden. Die letzte Möglichkeit, die du hast, ist, dass du so schlau bist und zu der dritten Gruppe gehörst. Dass du zu den wenigen gehörst, die sich in der Mitte aufhalten. Das wird jedoch bedeuten, Bennet, dass du die kommenden vier Jahre mit sehr wenigen Menschen reden kannst. Die Opfer werden dir niemals trauen. Die Bösen werden dich schneiden und die Wächter, die werden dir sowieso niemals etwas abnehmen. Aber, Bennet, mein Rat an dich ist, mach genau dies. Ich werde dich besuchen kommen, versprochen und ich werde dafür sorgen, dass du deinen Schulabschluss hier machen kannst. Außerdem verspreche ich dir, dass ich Anna, deine Psychologin, zu dir schicke. Nimm diese meine Hilfe an, eine andere wirst du nicht bekommen.«

»Warum?«

»Was warum?«

»Warum hilfst du mir? Ich habe doch im Prinzip einen Freund von dir geschlagen.«

»Weil du heute meine gute Tat bist? Spaß. Ich glaube, dass du hier drin«, er zeigt auf sein Herz, »einer der Guten bist. Du einfach mal die falsche Abzweigung genommen hast. Du im Augenblick wieder an einer Kreuzung stehst. Heute bist du etwas älter und nimmst bewusst den Weg, der vor dir liegt, in Kauf. Ich hoffe für dich, dass du den richtigen Weg einschlägst.« Er klopft an die Tür, die sich öffnet, und wird hinausgelassen. Von diesem Moment an bin ich alleine.

 

Alles, jedes Wort, das er gesagt hat, trifft genauso ein. Ich versuche, mich neutral zu halten, was sehr schwer wird. Zuerst werde ich beäugt, dann wird versucht, mich als Freund zu gewinnen, und nach einer kurzen, aber deutlichen Aussprache werde ich belächelt und geschnitten. Die Opfer, wie Michael gesagt hat, machen alle einen großen Bogen um mich. Trauen mir nicht.

Beim Essen sitze ich meist alleine. Beim Hofgang sowieso. Ballspiele oder Fußball lasse ich bleiben und in die Muckibude gehe ich ebenfalls nie. Beim Duschen versuche ich, vorsorglich der Letzte zu sein. Was ich tue, ist lernen. Ich erwarte von mir selber, dass ich meinen Abschluss nicht nur gut, sondern sehr gut mache, was mir auch gelingt. Die mittlere Reife schließe ich mit einer 1,5 ab. Das macht mich stolz. Meinen achtzehnten Geburtstag feiere ich alleine in meiner Zelle. Michael hat mir einen Kuchen geschickt, was ich unendlich nett von ihm finde. Die Psychologin Anna, die mir mein Anwalt besorgt hat, ist ebenfalls sehr gut und redet viel mit mir. Sie kann mir nicht ausreden, dass ich ein Monster bin, aber ich erkenne durchaus, warum es zu dem gekommen ist, was gekommen ist. Man könnte sagen, ich bin auf einem guten Weg. Innerlich noch nicht, da fühle ich mich wie ein Ungeheuer, aber äußerlich heile ich. Hoffe ich zumindest. Die Zeit im Knast ist eine sehr einschneidende Etappe für mich. Meine Eltern besuchen mich nicht ein einziges Mal. Kein Brief, kein Telefonat nichts. Es ist, als ob sie gestorben wären. Ich bin allein und fühle mich dementsprechend auch so.

Kurz bevor ich neunzehn werde, also zwei Jahre nach meinem Haftantritt, kündigt der Vollzugsbeamte Besucher an. Ich bin erstaunt, denn mein Anwalt, der mich hin und wieder besucht, war erst letzte Woche da. Wer also kommt mich besuchen? Im Besucherraum werde ich vorbeigeschleust und in einen Raum, der für die Besprechungen mit Anwälten vorgesehen ist, gebracht. Michael ist da, zusammen mit meiner Psychologin und einem weiteren Mann. Dieser wird mir als Herr Pfeffer vorgestellt. Er ist Bewährungshelfer.

»Bewährungshelfer?«, fragend sehe ich meinen Anwalt an.

»Du wirst kommende Woche rauskommen. Das heißt nicht, dass die Tür hierher zu ist. Beim kleinsten Vergehen und wenn es bei Rot über die Ampel laufen ist, wirst du wieder hier sein und deine komplette Strafe absitzen. Der Richter ist aber der Meinung, dass du diese Chance auf Bewährung bekommen sollst. Sie wird drei Jahre gehen. In dieser Zeit musst du dich täglich bei Herrn Pfeffer melden. Täglich. Du wirst deine Sozialstunden ableisten und mit ihm und deiner Psychologin beratschlagen, was du, nachdem du diese abgeleistet hast, tun wirst. Ob du dich auf eine Lehrstelle bewirbst usw. verstehst du?«

»Du meinst, ich darf jetzt schon wieder raus?«

»Ja, wie gesagt mit Auflagen.«

»Aber wo, ich meine, wo werde ich leben? Vater hat doch klar gesagt, dass er nichts mehr von mir wissen will und ...« Herr Pfeffer beantwortet meine Frage.

»Du wirst in einem Jugendheim wohnen mit zwei anderen Häftlingen, die auf Bewährung sind. Ihr werdet das Haus sauber halten. Es gibt dort Regeln. Keinen Alkohol, spätestens um zehn im Bett liegen und eurer Arbeit nachgehen. Ich werde das kontrollieren und ich bin hart. Mein Lieber, wie gesagt, bei der kleinsten Zuwiderhandlung wird mein Bericht nicht so gut ausfallen und du kommst wieder hier rein.«

»Wo soll ich die Sozialstunden abarbeiten?«

»In einer Reha-Einrichtung. Du wirst Menschen helfen, die krank sind und die Hilfe benötigen. Dein Anwalt hat mir mitgeteilt, dass du dir vorstellen könntest, etwas in dieser Richtung zu erlernen, deshalb werden wir dich dort hinschicken.«

»Wissen die dort, dass ich ...«

»Dass du vorbestraft bist? Ja und Nein. Nur dein Chef, dein direkter Vorgesetzter weiß, dass du auf Bewährung bist. Aber nicht, was du angestellt hast. Die Mitarbeiter nicht. Solange du keinem etwas sagst, wird das niemals herauskommen. Also Bennet Mayer, bist du damit einverstanden?«

»Ja sehr gerne, Herr Pfeffer, ich werde mich bemühen, wirklich, ich werde es tun.« Er hebt die Hand hoch.

»Versprich mir nichts, was du nicht halten kannst oder von dem du noch nicht weißt, ob du es halten kannst. Ich bin schwer zufriedenzustellen, aber fair. Lass Taten folgen, das ist mir lieber als jedes Versprechen, wenn du also tust, was ich von dir verlange, und das ist machbar, kommen wir beide sehr gut aus. Meine Rückfallquote ist äußerst gering. Ich denke, deshalb hat dich dein Anwalt auch zu mir geschickt. Er scheint an dich zu glauben.«

»Danke Michael.«

»Keine Ursache.«

»Wie gesagt, du wirst dich bemühen, ich hole dich Montag um acht Uhr ab.«

 

Die letzte Nacht hier im Knast. Sie ängstigt mich etwas. Falsch, nicht die Nacht, das, was danach kommt. Ob ich es schaffen werde, Fuß zu fassen? Ich habe zwar nicht mit vielen gesprochen, aber zugehört, was sie erzählen. Dass sie niemand mehr haben will, dass sie ausgegrenzt sind. All das. Ich hoffe, dass mir das nicht passiert. Normalerweise muss meine Akte unter Verschluss sein. Aber was heißt das schon. Ich war minderjährig, habe einen Fehler gemacht und gebüßt, aber ob dem so ist? Ich werde es sehen. Vor allem werden mich auch Menschen erkennen. Ehemalige Mitschüler, Nachbarn, ich kann jederzeit jemandem über den Weg laufen. Nur nicht Raoul, Mike oder Thorsten, sie müssen noch einsitzen, wie mir mein Anwalt gesagt hat. Raoul und Mike kommen frühestens in drei Jahren auf Bewährung heraus. Wie lange Thorsten noch einsitzen muss, weiß er nicht. Aber das ist für mich nicht das Problem. Das Problem werde erst einmal ich selber sein. Ich habe ehrlich Schiss vor diesem neuen Abschnitt. Es wäre auch dumm zu hoffen, dass es einfach wird, denn Herr Pfeffer meint das durchaus ernst. Aber ich glaube, man kann mit ihm auskommen. Netterweise verabschieden sich doch tatsächlich ein paar der »Opfer« von mir und wünschen mir Glück. Was ich gerne annehme und ihnen noch eine gute Zeit wünsche. Dann bin ich draußen vor dem Tor. Herr Pfeffer, der sich mir als Jan vorstellt, ist da. Mit seinem Auto und er fährt mich in die Innenstadt.

2. Neue Chance

»Ich zeige dir jetzt zuerst mal, wo du dich jeden Tag zu melden hast, und mit jedem Tag, meine ich das auch so. Nicht per Telefon, sondern jeden Tag erscheinst du hier im Büro, verstanden?«

»Ja, Herr Pfeffer.«

»Keine Ausreden oder sonst etwas. Das ist mir alles egal. Jeden Tag. Entweder vor der Arbeit oder nach der Arbeit. Du hast absolutes Alkoholverbot. Drogen nenne ich noch nicht mal, das sollte dir klar sein. Ich will in der WG-Wohnung keine Unordnung haben. Das bedeutet, ich kontrolliere, ob ihr diese sauber haltet. Zurzeit klappt das sehr gut. Also wenn das nicht mehr klappen sollte, bist du die erste Adresse, an die ich mich wende, verstanden?«

»Ja, auch das.« Er schließt sein Büro auf.

»Das hier ist mein Reich. Du wirst öfter hier sein. Ben, ich denke, sie nennen dich hauptsächlich Ben, oder?«

»Ja, das passt.«

»Wenn du Sorgen hast, Nähe brauchst, egal was, oder einfach nur jemanden zum Reden benötigst, komm zu mir. Ich bin im Augenblick der Kerl, der dir sogar zuhört, o. k.?«

»Ja.« Ich wiederhole mich mit meinem Ja, aber etwas anderes fällt mir im Moment nicht ein.

»Also dann weiter, komm mit. Damit du es gleich weißt, das mit dem Melden ist nicht besonders schwierig, weil du oben wohnst. Komm mit. Drei Stockwerke weiter oben öffnet er eine Tür zu einer kleinen Altbauwohnung. Mir treten zwei junge Männer in meinem Alter entgegen.

»Hallo Jan. Ist er das?«

»Nicht so vorlaut, Josh. Aber ja, das ist Ben. Er wird ab heute hier wohnen, bis er was Eigenes gefunden hat bzw. ich ihn von der Angel lasse. Ich will keine Klagen hören und ihr wisst, wie ernst ich das meine. Geh rein, Ben. Das hier ist dein Zimmer.« Er öffnet eine Tür. Der Raum ist großzügig, etwa sechzehn Quadratmeter. Ein Bett und Schrank stehen drin. Zusätzlich eine verpackte Matratze und Bettwäsche. Ein Schreibtisch ist ebenfalls vorhanden und ein Regal. Das wird reichen. Viel habe ich ja selber nicht. Jan redet weiter.

»Du bekommst Taschengeld, Ben. Kannst dir morgen ein Girokonto eröffnen. Ich werde dich begleiten. Dort werde ich dir einen Betrag zur Verfügung stellen. Es wird nicht viel sein, aber so, dass du dir einige Klamotten kaufen kannst, etwas zu essen und trinken.«

»Danke, Herr Pfeffer.«

»Jan, Ben. Den Rest werden dir die beiden verklickern. Ich verschwinde jetzt, habe noch zu tun. Um vierzehn Uhr bist du unten im Büro. Ich bringe dich danach zu der Klinik, in der du ab heute arbeitest.«

»In Ordnung, ich werde pünktlich sein, Jan.«

»Gut, Ben, dann bis später.« Ich packe als Erstes die Matratze aus und richte mein Bettzeug, danach gehe ich in den Wohnbereich zu meinen zwei Mitbewohnern. Bin aufgeregt, aber auch gespannt auf die beiden.

»Hi, könnt ihr mir sagen, wo ich meine Sachen im Bad hinstellen darf? Oder wie regelt ihr das?«

»Unten links ist ein Fach leer«, murmelt der zweite, von dem ich den Namen noch nicht weiß.

»O. k., danke.«

»Du heißt also Ben?«

»Ja und du Josh?«

»Joshua Rossmann.«

»Und ich Felix Gönner, was hat du angestellt?« Ich werde ruhig. Betrachte die beiden erst einmal, bevor ich antworte. Josh ist ein wahnsinnig gut aussehender Kerl. Dunkles Haar sein Teint ist ebenfalls dunkler, südländischer. Er hat blaue Augen. Er ist groß gewachsen und sehr schlank, aber sportlich gebaut. Und Felix ist völlig anders. Blond, klein, drahtig, aber auch an ihm ist nichts Falsches. Beide sehen ehrlich aus und in ihren Augen sehe ich, dass sie eine Vergangenheit haben, die sie belastet. Auch ist darin erkennbar, dass sie Kämpfer sind. Es ist mir peinlich, auf die Frage zu antworten, als ich anfangen will zu reden, kommt mir Josh zuvor.

»Ben, wir haben auch Mist gebaut. Also raus mit der Sprache.«

»Ich habe einen schwulen Mann zusammengeschlagen. Also gefährliche Körperverletzung, wobei ich nicht mal weiß, warum ich es getan habe. Den Kerl habe ich nicht gekannt und gegen Schwule habe ich rein gar nichts.« Ich zucke mit den Schultern,

»Habe, denke ich, zu Recht vier Jahre Jugendknast aufgebrummt bekommen, wovon ich zwei abgesessen habe und nun drei Jahre auf Bewährung hier wohnen soll.«

»Da hast du ja ordentlich was auf dem Kerbholz.«

»Hmm ... Ja, wenn du aber denkst, dass ich dir Böses will oder mich hier aufspiele, muss ich dich enttäuschen. Das will ich nicht und habe ich nicht vor. Ich will mein Leben auf die Reihe kriegen.«

»Ich heiße Felix, habe mit sechzehn zwei Menschen im Suff totgefahren. Ebenfalls vier Jahre Jugendknast, davon habe ich zweieinhalb Jahre abgesessen und ebenfalls drei Jahre Bewährung. Bin also zwanzig. Ich habe noch ein Jahr, dann ist es geschafft. Im Augenblick mache ich eine Ausbildung zum Schreiner, was mir sehr gefällt. Mein Boss weiß in der Zwischenzeit, was ich getan habe, dass er mir trotzdem nach Ableistung der Sozialstunden die Chance auf einen Ausbildungsplatz gegeben hat, ist klasse. Ich bin ihm sehr dankbar. Es kann klappen, Ben. Ich werde mein Leben lang damit leben müssen, dass ich zwei unschuldige Menschen in den Tod gefahren habe, aber ich kann es nicht mehr ändern. Verstehst du?«

»Ja und du Josh?«

»Ich bin auch kein Kind von Traurigkeit, habe mit Drogen gehandelt und bin mit siebzehn erwischt worden. War ebenfalls ein Jahr im Knast. Bin nun wie du auf Bewährung raus. Ich habe noch zwei Jahre vor mir und bin dabei, mir einen Job zu suchen, was etwas schwierig ist. Ich würde gerne im Büro arbeiten, aber ... na ja, es wird sich etwas finden. Jan hilft uns sehr dabei.

Ehrlich, Ben, du kannst ihm vertrauen, er ist einer der richtig guten Bewährungshelfer. Es gibt da auch andere.«

»Das bedeutet?« Felix redet weiter.

»Zum Beispiel seine Vertretung, die ist für uns zuständig, wenn er im Urlaub oder krank ist. Dann kommt Kevin zu uns. Er hasst uns. Warum, kann ich dir noch nicht einmal sagen. Aber er tut es. Er hat nur eines im Sinn und das ist, uns wieder in den Knast zu befördern. Wir haben uns zwar schon bei Jan über ihn beschwert, aber ihm sind da auch die Hände gebunden. Er glaubt uns zwar und versucht, immer alles wieder geradezubiegen, allerdings, Ben, ich rate dir nur eines, wenn er da ist, sei pünktlich. Lass dir alles gefallen, raste nie aus, denk einfach, dieser Tag geht vorbei. Er fordert dich wahnsinnig heraus und will, wie gesagt, nur eines erreichen und das ist, dich wieder im Knast sehen. Ben, er wird nicht davor zurückschrecken, den Leuten auf deiner Arbeit zuzustecken, was du getan hast. Zwar hinterlistig, aber er wird es tun und wenn das rauskommt, kannst du dir ja vorstellen, was passiert.«

»Aber darf er das denn, Josh?«

»Nein, sicher nicht. Aber wem glaubt man mehr, uns Knackis oder ihm, wenn wir uns beschweren? Er sitzt am längeren Hebel. Ich selber habe mich damals bei Jan beschwert, aber außer, dass er es wieder geradebiegen konnte und ich meine restlichen Sozialstunden dort ableisten durfte, ist nichts geschehen. Kevin ist immer noch unser Bewährungshelfer. Jan hilft mir auch, einen Job zu suchen, das ist nicht einfach, weil Kevin ja ausgeplaudert hat, was ich gemacht habe. Ich muss mir einen Job suchen, der weiter weg von den Leuten ist, die mich kennen. Aber von München möchte ich nicht weg. Na ja, es wird sich was finden. Ich verstehe es ja. Keiner will einen Exknacki und vor allem keinen Drogendealer bei sich haben. Felix hat es da einen Hauch leichter. Jeder denkt, dass ihm das selber auch passieren könnte.«

Ich blicke fragend zu Josh.

»Im Rausch Menschen totzufahren, kapierst du?«

»Ja.«

»Aber bei dir, sollte rauskommen, dass du ein Schläger bist, Ben, was denkst du, wird passieren?«

»Nichts Gutes fürchte ich.«

»Du wirst dich wie auch ich höllisch schwertun, wieder Fuß zu fassen. Also unser beider Rat, tue, was er von dir will. Das mag keinesfalls fair sein und nicht o. k., aber es ist halt so. Wenn du die drei Jahre geschafft hast, ist es vorbei und du kannst darauf hoffen, dass du dein Leben in den Griff bekommst.«

 

Nach dieser ersten lange Rede von Josh und Felix bin ich ziemlich am Boden, aber ich habe aufmerksam zugehört und verstehe mich auch mit den beiden. Sie sind sehr nett, gestrandete, einsichtige Menschen, die einen schrecklichen Fehler gemacht haben. Mit dem sie nun zu leben haben und damit umgehen müssen. Dass Jan keine Frauenbesuche in der Wohnung erlaubt, erfahre ich ebenso wie die Tatsache, dass hier niemand übernachten darf. Das mit den Frauen ist mir restlos egal, denn seit ich im Knast war, habe ich überhaupt kein Bedürfnis mehr in diese Richtung. Ja, ich habe mir immer mal wieder einen runtergeholt, aber das ist gar nicht so einfach. Im Knast fühlt man sich beobachtet, immer und überall und auch wenn einige dies nicht zu stören scheint, mich hat es gestört. Dass es zudem Übergriffe gab, die die Wächter nie sehen wollten, darüber rede ich erst gar nicht. Zum Glück wurde ich verschont. Einige andere hatten dieses Glück nicht.

Kurz vor zwei steht Jan plötzlich in meinem Zimmer. O. k., er hat also einen Schlüssel und kann in die Wohnung rein, wann immer er will. Ich bin dabei, mir die Schuhe anzuziehen und mich fertig zu machen.

»Du hast dich bereits eingerichtet, das ist gut. Kommst du mit Josh und Felix klar?«

»Ja, Jan. Sie scheinen in Ordnung zu sein.«

»Höre ich gerne. Lass uns mal losfahren. Professor Ehrmann wartet nicht besonders gerne. Er hat viel zu tun.« Wir fahren mit Jans altem Opel zur Klinik.

»Das hier ist ein Krankenhaus mit angrenzender Rehaklinik für Orthopädie und Neurologie. Die Fälle hier sind sehr unterschiedlich. Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass die Patienten meist nicht voll bewegungsunfähig sind und Hilfe bei vielem benötigen.«

»O. k.«

»Ich möchte, dass du tust, was man dir sagt, erklärt und mit dir abspricht. Keine Alleingänge und so etwas, verstanden?«

»Sicherlich.«

3. Bewährung

»Hallo Herr Professor.«

»Guten Tag, Jan. Wen bringst du mir heute?«

Das ist Bennet Mayer. Er wird die Schwestern und Pfleger in den kommenden zwei Jahren hoffentlich sehr gut unterstützen können. Wobei ich glaube, dass er das durchaus auch tun wird.«

»Das hört sich doch prima an. Hast du irgendwelche Erfahrung mit kranken Menschen?«

»Nein, aber ich bin lernfähig und ich möchte diese Chance, die Sie mir geben, nutzen. Ich könnte mir sogar vorstellen, eine Ausbildung in diesem Bereich anzustreben. Mir würde Physiotherapeut oder Masseur gut gefallen, das ist zwar vielleicht noch etwas früh, aber ...«

»Verstehe, Bennet. Ich werde dich im Auge behalten. Außer mir weiß hier keiner von deiner Vergangenheit. Du warst im Jugendknast. Dass ich dich hier überhaupt arbeiten lasse, hast du ausschließlich deinem Bewährungshelfer zu verdanken. Ich habe von ihm die Zusicherung, dass er dich sofort und unverzüglich, sollte es Probleme geben, abholt. Bisher hat Jan mir jedes Mal junge Menschen gebracht, die eine Chance verdient haben. Deshalb bin ich erst einmal völlig zuversichtlich, dass es mit uns hier klappt. Allerdings wirst du weder Nachsicht erwarten können noch eine zweite Gelegenheit, falls du Mist baust. Hast du verstanden?«

»Ja Professor. Es wird keine Probleme geben.«

»Wir arbeiten im Schichtdienst. Du wirst morgen früh zur Frühschicht um fünf erwartet. Melde dich bei Schwester Fenja auf der Station eins. Sie wird sozusagen dein Boss sein.«

»Werde ich, Herr Professor. Eine Frage hätte ich noch.«

»Die da ist?«

»Soll ich etwas Bestimmtes anziehen? Ich meine ...«

»Weißes T-Shirt und Jeans reichen. Du wirst von Schwester Fenja in den folgenden Tagen Arbeitskleidung erhalten.«

»Danke.« Der Professor verabschiedet sich von uns, indem er aufsteht und Jan die Hand gibt. Ich bin erstaunt. Er reicht auch mir mit festem Händedruck und Blick in die Augen die Hand und sagt: »Bennet, strengen Sie sich an, dann wird es dir hier gut gehen.«

»Danke, Herr Professor, dass Sie mir die Chance geben.« Draußen atme ich erst einmal tief durch.

»Alles o. k., Ben?«

»Ja, aber ich war nervös. Gebe ich zu. Hatte die Hosen gestrichen voll.« Jan grinst.

»Gut so. Jetzt fahren wir zur Bank und eröffnen für dich ein Konto.

---ENDE DER LESEPROBE---