Backen mit Pasta Madre - Vea Carpi - E-Book

Backen mit Pasta Madre E-Book

Vea Carpi

0,0

Beschreibung

Vielseitig und gesund: Pasta Madre ist eine milde italienische Sauerteig-Variation. Bäuerin Vea Carpi verrät ihre Rezepte und Lebensphilosophie rund um die "Mutterhefe". Das traditionelle Backen mit Pasta Madre braucht Zeit und entschleunigt, das Brot wird dafür besser und bekömmlicher! Die Mutterhefe kann man selbst ansetzen, vermehren oder auch über Online-Tauschbörsen erhalten. Veas Pasta Madre ist bereits 70 Jahre alt. Damit backt sie im Herbst Früchtebrot, zu Weihnachten den Panettone, im Frühling das Ostergebäck und im Sommer das Kräuterbrot. Eine vielfältige Palette gesunder Rezepte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 174

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



BACKEN MIT

PASTA MADRE

Meine Rezepte für herzhaftes und süßes Brot mit Mutterhefe

Inhalt

Einleitung

Meine Wurzeln und meine Berge

Die Pasta Madre

Was ist Pasta Madre?

Zwischen Geschichte und Legende

Warum sollte man Pasta Madre verwenden?

Die Hände im Teig

Wie man Pasta Madre herstellt

Das Auffrischen der Pasta Madre

Brot backen Schritt für Schritt

Der Zeitaufwand des Brotes

Seelennahrung

Was ihr braucht

Die Pasta-Madre-Community

Die Mehle

FAQ

Die Rezepte

Herbst

Mein Brot für alle Tage

Challah, jüdischer Schabbat-Zopf

Klassischer Zwieback

Kastanienbrot

Vollkorn-Focaccia mit Almkäse und Zwiebeln

Dinkelbrot mit „gekochter“ Kleie

Kartoffelbrot

Süße Focaccia mit Äpfeln und Mandeln

Brot mit Kürbis und Feigen

Panello mit Erdbeertrauben

Schiacciata toscana

Rote-Rüben-Brot mit einem Hauch von Koriander

Winter

Gugelhupf

Kukeler aus Palai im Fersental/Palae en Bersntol

Krapfen

Pandoro

Brot mit Schwarzkohl-Gerstenrisotto

Weihnachtliches Brot mit kandiertem Ingwer

Pinza de lat

Panettone

Vinschger Paarlen

Süße Zöpfchen

Toskanisches Brot

Früchtebrot mit Nüssen

Mohnstrudel

Maisbrot Spin della Valsugana

Frühling

Brioches mit Bergfüllung

Buchweizen-Focaccia mit Brennnesselsamen

Colomba

Grissini mit Mohn und Sesam

Zweifarbiger Zwieback

Dinkelvollkornbrot

Weiche Milchbrötchen

Zimtschnecken

Klassische Blechpizza

Frati fritti

Pinza mochena

Waldbrot

Scones mit Holunderblütensirup und Fenchelsamen

Sommer

Buchteln

Ciabatta

Katriens Cracker für lange Reisen

Dutch Babies

Brot aus 100 % Roggen

Rosmarinbrot „Stefani“

Haferflockenbrot

Pita

Buchweizenbrot

Pancakes

Tigelline mit Salbei

Rustikales Hartweizenbrot

Zwetschgenkuchen (Zwetschgendatschi)

Vorschlagbrot

Dinkelwaffeln aus Pasta-Madre-Resten

Was ist GIOVELAB?

Glossar und Abkürzungen

Einleitung

Vea Carpi

Ich schreibe diese Zeilen im April 2020 während des weltweiten Lockdowns. Als ich vor eineinhalb Jahren damit begonnen habe, dieses Buch zu schreiben, hatte ich natürlich keine Ahnung, dass die letzte Phase der Arbeit genau in diese Zeit fallen würde. So wie alle weiß ich nicht, was die Zukunft bringen wird, und so wie alle suche ich nach Antworten, die mir im Moment niemand geben kann.

Ich lese meine Texte wieder und wieder: Die Entscheidungen, die wir in den letzten Jahren getroffen haben, unsere Philosophie und unser Lebensstil scheinen heute einen tieferen Sinn, eine neue Dimension bekommen haben. Die Selbstversorgung, das Leben auf dem Land, in und mit der Natur (im Guten wie im Schlechten) sind Themen, die jetzt wichtiger sind denn je. Und ich glaube, dass nicht nur ich diese neue Bedeutung erfahre.

Viele Menschen haben mich in dieser Phase der erzwungenen Quarantäne kontaktiert, damit ich ihnen das Brotbacken beibringe, und das sicher nicht nur, weil Backhefe in den Geschäftsregalen plötzlich gefehlt hat. Es scheint, dass der kollektive „Schock“ auch gute Aspekte hat und zu neuen Einsichten führt. Wie ich in diesem Buch erzähle, ist es bei mir beim Brotbacken zu Hause nicht nur darum gegangen, eine neue Technik zu erlernen. Für mich war es ein Moment, in dem ich verstanden habe, wer ich bin, was ich will und was ich kann. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass das Brotbacken mein Leben verändert hat. Sicher wird es nicht allen von euch so ergehen, aber ich wünsche mir sehr, dass dieses Buch zumindest einigen dabei hilft, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und sich selbst besser kennenzulernen.

Vea Carpi

Geboren 1975, hat Politikwissenschaften in Florenz studiert. Aus Liebe zieht sie 2001 ins Trentino, auf einen Bergbauernhof im Fersental. Hier wird sie zur Köchin und Bäuerin mit einer ausgeprägten Leidenschaft für Wolle (sie spinnt, sie filzt, sie strickt, sie färbt mit natürlichen Farben). Sie lebt mit ihren drei Kindern und ihrem Mann auf dem Hof. Dort beherbergen sie auch Gäste sowie im Rahmen von WWOOF Freiwillige aus aller Welt.

www.masdelsaro.itwww.instagram.com/mas_del_saro

Irene Hager

Vea und ich kennen uns seit einigen Jahren. Die Wollverarbeitung hat uns zusammengeführt, die Kräuter haben uns Freundinnen werden lassen und das Brotbacken hat uns zu Partnerinnen in diesem Projekt gemacht. Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können: vom Meer im Süden, ich aus den Bergen im Norden; sie italienischer, ich deutscher Muttersprache und Kultur; sie mutig und frech, ich besonnen und ruhig. Doch wir haben schnell gemerkt, dass wir eine ähnliche Idee davon haben, wie wir leben wollen: im Rhythmus der Jahreszeiten, auf das reduziert und konzentriert, was wir wirklich brauchen; ernährt von dem, was in unseren Gärten und in unserer Region wächst; umgeben von Natur, die uns trägt, heilt und inspiriert.

Ich durfte Vea bei der Entstehung dieses Buches begleiten, sie ermutigen und unterstützen, war ihre Diskussionspartnerin und Zeitmanagerin. Möge dieses Buch weitere schöne Freundschaften schaffen und viele Menschen dazu inspirieren, ihr Brot selbst auf natürliche Weise mit Zutaten aus der Region zu backen!

Irene Hager

Geboren 1970, Studium der Pädagogik und Germanistik. Seit 1996 als Museumspädagogin, Projektleiterin, Ausbildnerin und Kuratorin tätig. Filzlehrerin an der Winterschule in Ulten. Referentin zum Thema Kräuterkunde, Sagen und Mythen. Mitautorin der Bücher „Südtiroler Kräuterfrauen“ und „Die Kraft der Kräuter nutzen“. Bei Edition Raetia: „Die Lärche“ (gemeinsam mit Elisabeth Unterhofer, 2019).

www.instagram.com/irene_hager

Meine Wurzeln und meine Berge

Es gab einen Moment in meinem Leben auf unserem Hof Mas del Saro, in dem mir klar wurde, dass nichts mehr so war wie zuvor. Es war eine alltägliche Begebenheit, eine Banalität, und trotzdem hat sie mir gezeigt, welche Richtung unser Leben genommen hatte.

Es ist Abend, ich bin schon im Pyjama und kann meine Tasche nicht finden. Sicher habe ich sie wieder im Auto gelassen, ich muss nachsehen gehen. Das Auto steht nicht weit vom Haus entfernt, aber doch so weit, dass der Lichtkegel des Fensters es nicht erreicht. Wir wohnen noch nicht lange hier, ein paar Jahre vielleicht. Bis jetzt haben wir nicht viel verändert, nur so viel, dass man gerade eben wohnen kann. Wir sind jung und unkompliziert. Außenbeleuchtung gibt es noch keine und für die Straßenbeleuchtung sind wir viel zu weit vom Ortskern entfernt. Es ist also stockdunkel. Ich gehe von der Küche in den Garten, vor mir der dichte Nadelwald und eine unglaubliche Stille. Ich schaue über die Baumwipfel hinaus auf die andere Seite des Fersentals (Valle dei Mocheni oder Bersntol, wie sie hier sagen). Meine Berge, der Gronlait und der Fravort, heben sich mächtig vom nächtlichen Himmel ab, so klar, dass man die letzten Schneefelder auf den Gipfeln erkennen kann. Ein enormer Mond taucht die Landschaft in Blau, Schwarz und Grau, aber so klar umrissen, dass man alles genau erkennt. „Gut“, denke ich, „ich brauche keine Taschenlampe.“ Ich trete ins Freie, gehe zum Auto, aber natürlich ist die Tasche nicht hier.

Das war es. Nicht mehr. Ich bin ins Haus zurückgekehrt und habe erkannt – obwohl ich damals noch keine Felder bestellt, noch keine Tiere gehalten und noch kein Brot gebacken habe –, dass die Natur Einzug in mein Leben gehalten hatte, ob ich nun wollte oder nicht. Heute weiß ich: Es braucht den Mond, damit ich mich nachts im Freien bewegen kann, den Regen, damit die Beete bewässert sind, die Sonne, damit die Pflanzen wachsen können und damit die Wolle meiner Schafe trocknet, fruchtbare Erde, damit wir essen können, und den Schnee im Winter, damit wir ruhen.

Der Mas del Saro hat unsere Leben in Besitz genommen. Langsam, aber unaufhaltsam. Als wir hierhergezogen sind, schien mir die Natur dermaßen bedrohlich und omnipräsent, dass ich mit aller Kraft versuchte, an meinen bekannten Sicherheiten festzuhalten. Ich tat so, als ob mein Arbeitsleben im Büro und alle die anderen Dinge meines bisherigen Alltags einfach so weitergehen könnten. Wir hatten ja nur die Adresse gewechselt. Aber an einem bestimmten Punkt musste ich mir eingestehen, dass das alles nicht mehr passte und es an der Zeit war, meine kulturelle Prägung zu überdenken. Ich wollte eine andere Mutter sein, ich wollte zu Hause bleiben, ich wollte hier am Hof in den Bergen bleiben und „etwas tun“.

Ich bin in Pisa geboren, einer Universitätsstadt in der Toskana, im heißen Klima Mittelitaliens. Pisa ist nicht groß, aber immerhin ist es eine Stadt. Meine Eltern gehören der Nachkriegsgeneration an, sind Babyboomer. Sie sind in den Jahren aufgewachsen, in denen die Technik zunehmend Einzug in den Haushalt hielt. Meine Mutter war und ist immer noch der Meinung, dass ohne den Geschirrspüler, die Waschmaschine, die Gefriertruhe und die Wegwerfwindeln die Emanzipation der Frau nicht hätte stattfinden können. Das Kochen blieb aber trotzdem ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Sowohl meine Mutter als auch mein Vater kochten jeden Tag für uns, für Freunde, für sich selbst. Beide waren und sind sie Liebhaber von gutem Essen und gutem Wein, die Küche war das Zentrum unseres Familienlebens.

Aber es waren die 70er- und 80er-Jahre: Die Ernährungsgewohnheiten änderten sich, die Nahrungsmittelindustrie entwickelte sich unaufhaltsam. Supermärkte schossen wie Pilze aus dem Boden und verdrängten die kleinen Lebensmittelgeschäfte in den Vierteln. Das Land, die Bauern, die Landwirtschaft waren nicht mehr Teil des Lebens eines jeden, sondern „notwendige Übel“, die an eine Vergangenheit voller Entbehrungen und harter Arbeit erinnerten.

Über Lebensmittel zu sprechen, war damals nicht üblich. Die Qualität, die Herstellung und die Herkunft von dem, was auf unseren Tellern landete, waren damals kaum Thema. Ernährungssicherheit bezog sich nur darauf, dass man alles garantiert kaufen konnte. Die unüberschaubare Vielfalt an Produkten in den Supermarktregalen stand für Wohlstand und Sicherheit. Begriffe wie „saisonal“ und „regional“ gab es gar nicht. Aber Geschwindigkeit galt als oberstes Gebot – je schneller man beim Kochen war, desto mehr Zeit hatte man für „anderes“.

Ich glaube, dass viele meiner Generation so aufgewachsen sind, mehr oder weniger zumindest. Wer in diesen Jahren über biologische Landwirtschaft, Vollkorn oder Natur sprach, galt als irgendwie seltsam, als Hippie vielleicht oder als Ewiggestriger, der einer vergangenen Zeit nachweint.

Auf diese Weise bin ich aber relativ glücklich 24 Jahre alt geworden und war mit meinem Leben zufrieden.

Und dann geschah das, was so vielen passiert: Ich verliebte mich!

Der Mann, in den ich mich vor gut 20 Jahren verliebte und mit dem ich heute verheiratet bin, lebte im Trentino, mitten in den Alpen, den schönsten Bergen der Welt, an der Grenze zu Südtirol und Österreich. Diese Landschaft war mir nicht fremd: Mein Vater ist in Südtirol geboren, meine Großeltern lebten in Bozen. Die Berge bargen für mich schönste Erinnerungen an meine Großeltern. Unbewusst war mir wohl klar, dass mein Leben eine neue Wendung bekam, ich aber gleichzeitig in vertrauter Umgebung war.

Mein Mann kam allerdings aus einem gänzlich anderen Ambiente als ich. Er verbrachte den Großteil seines Lebens an einem Bergsee, in einem Haus im Grünen mit einem Gemüsegarten. Zusammen mit seinen Eltern sammelte er im Frühling Wildkräuter, die sie an die Restaurants am See verkauften, um sich ein paar Lire dazuzuverdienen. Unsere erste gemeinsame kleine Mansardenwohnung war ihm schnell zu eng, er fühlte sich eingesperrt so ohne Garten und Ort im Freien. Für mich war das damals noch völlig unverständlich, denn ich wusste mit einem Gemüsebeet nicht viel anzufangen. Ich hatte Arbeit in einem Büro und erwartete unser erstes Kind.

Doch ich hatte seine Sehnsucht nach dem Verbundensein mit der Natur unterschätzt, dieser Drang war mir unbekannt. Ich sehe das oft bei Menschen, die uns hier auf dem Hof besuchen kommen: Wer einmal diese Verbindung eingegangen ist, und wenn auch nur ein wenig, der wird ewig diese Sehnsucht spüren. Wir haben alle das Wissen in uns, dass es die Natur ist, die uns das Leben schenkt, unser Überleben sichert. Und sobald wir daran rühren, bricht diese Sehnsucht auf und man kann nicht mehr zurück. So ist es mir passiert. Und so passiert es vielen.

Wir haben uns dann den Mas del Saro angesehen, nicht wirklich ernsthaft, denn ein einsamer Hof in einem gottverlassenen Tal war nicht das, was ich mir für mein Leben vorstellte. Doch ich sagte mir: Wenn es sein Herzenswunsch ist hierherzuziehen, warum nicht? Ich kann mich anpassen … eigentlich ist es doch egal, wo man wohnt.

Jetzt weiß ich, dass das nicht stimmte. Es ist nicht egal, wo man wohnt!

Die Pasta Madre

Was ist Pasta Madre?

„Ist doch egal, Hauptsache, mein Brot geht auf!“, werden sich viele von euch denken. Und vielleicht zu Recht. Müssen wir wirklich immer wissen, was genau dahintersteckt? Reicht es nicht auch, es mit kindlichen Augen als Wunder oder Magie zu erleben? Das Brot geht auf, weil im Teig aus Mehl und Wasser die uralte Kraft des Lebens steckt, das immer neues Leben hervorzubringen vermag.

Aber vielleicht, so erkläre ich in meinen Workshops immer, ist es doch ganz gut, ein wenig mehr über die Pasta Madre (auch Mutterhefe genannt) zu wissen. Damit das Brot nicht nur einmal, sondern immer gelingt, müssen wir zumindest zum Teil verstehen, was in unserem magischen Teig vor sich geht. Nur so können wir unsere Brotherstellung an immer neue Gegebenheiten anpassen: Dann wissen wir, dass der Teig im Winter länger ruhen muss als im Sommer, warum es einen Vorteig braucht und weshalb wir unsere Pasta Madre auffrischen müssen.

Also in Kürze: Pasta Madre ist nichts anderes als Mehl und Wasser. Diese einfache Mischung ist der ideale Nährboden für natürliche Hefen, die spontan angezogen werden, und Milchsäurebakterien, die von Natur aus im Mehl (und auf unseren Händen) vorkommen. Sobald die Milchsäurebakterien mit Wasser in Kontakt kommen, gehen sie eine Symbiose mit den Hefen ein und ermöglichen zwei Arten von Fermentation: die Milchsäuregärung und die alkoholische Gärung. Durch die Fermentation entsteht Kohlendioxid, das den Teig regelrecht aufbläst, also „aufgehen“ lässt.

Dieser Prozess wird, wie alle Fermentationsprozesse, bei Wärme beschleunigt, bei Kälte verlangsamt.

Es ist natürlich kein unendlicher Prozess, denn mit dem Fortschreiten der Fermentation gehen den Hefen und Bakterien die Nährstoffe aus. Genau deshalb müssen wir unsere Pasta Madre pflegen und sie immer wieder „auffrischen“: Wir müssen praktisch unsere Hefen und Bakterien füttern. Unsere Pasta Madre ist lebendig und wie alles Lebendige braucht sie Futter.

Die Pasta Madre ist ein lebender Organismus – fast wie in einem Bienenstaat hängt jedes Individuum vom Überleben des Volkes ab. Und das Volk ist von uns Menschen abhängig, ist an unsere Fürsorge und Aufmerksamkeit gebunden. Es passt sich an unsere Umwelt an, an unseren Wohnort und unsere Lebensbedingungen. Über die Jahre habe ich meine Pasta Madre schon zehn-, wenn nicht hundertfach mit anderen geteilt. Meine Pasta Madre – meine Mutterhefe – hat viele „Töchter“ produziert, die aber nicht mehr mit ihrer Mutter identisch sind. Ab dem Moment, wo meine Pasta Madre in eurem Glas landet, wo eure Geräte, eure Hände, das Wasser eurer Heimatgemeinde und euer Mehl sie berühren, macht ihr daraus eine persönliche Pasta Madre, die sich an eure Bedingungen anpasst: Sie wird EURE! Auch wenn ihr genau meinen Rezepten folgt und Pasta Madre verwendet, die von meiner stammt, werden nie zwei gleiche Brote entstehen. Hochpotenzierte Biodiversität und ein untrüglicher Beweis dafür, dass wir sind, was wir essen, und wir essen, was wir sind!

Zwischen Geschichte und Legende

Brot ist wohl die symbolträchtigste Speise überhaupt. Schon in der Bibel steht geschrieben: Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und esst; das ist mein Leib; Matthäus 26,26.

Unsere Kultur hat ihren Ursprung vor rund 12.000 Jahren, als die Menschen begannen, die Erde zu pflügen und Körner und Samen anzubauen, um daraus Mehl zu gewinnen. Die Technik des Getreidemahlens verbesserte sich stetig und das Mehl wurde immer besser.

Wahrscheinlich ernährten sich die Menschen in den ersten Jahrtausenden nach der sogenannten jungsteinzeitlichen Revolution von Getreidebrei, hergestellt aus den gemahlenen Samen und Wasser. Vielleicht gab es auch schon flache Brote, die aus demselben Brei gebacken wurden. Fladen ohne Triebmittel wie Hefen oder Sauerteig findet man heute noch in jedem Winkel der Welt, man denke nur an Pita, Chapati, Injera, Piadina, Tortillas. Diese Brote erinnern uns daran, dass wir alle eine gemeinsame Geschichte haben, dass wir Geschwister auf Mutter Erde sind. Und alle waren wir neugierig und offen dafür, neue Möglichkeiten der Ernährung und Essenszubereitung zu entdecken.

Als ich hier auf dem Mas del Saro für Stadtkinder „Schule auf dem Bauernhof“ anbot, erzählte ich immer gerne eine Geschichte, die Geschichte des Brotes. In dieser gibt es eine Frau, die vor ca. 5.000 Jahren in Ägypten lebte. Sie war etwas zerstreut und zuweilen vergaß sie, wo sie ihre Dinge hingelegt hatte. Eines Tages bereitete sie einen Teig, um auf den heißen Steinen des Feuers Fladenbrote für das Abendessen zu backen … und vergaß ihn. Nach einigen Tagen fand sie ihren wertvollen Teig wieder. Er war verändert. Er war wie aufgeblasen und auf der Oberfläche hatten sich kleine Bläschen gebildet, er roch leicht säuerlich. Die Frau hatte Zweifel, ob er noch gut war, und wollte ihn wegwerfen. Aber einen Teig wegzuwerfen, das Ergebnis harter Arbeit im Feld und an der Mühle, galt als Sakrileg, ja als Tabu. Und sie entschied sich, ihn so zu backen, wie er war. Die Kinder riefen an dieser Stelle immer: „Vea, der Teig ist aufgegangen, weil er voll dieser kleinen Tierchen war?“ „So ist das“, sagte ich, „und ihr könnt euch die Überraschung vorstellen!“

So stelle ich mir die „Geburt des Brotes“ vor: eine zerstreute, vielbeschäftigte Frau, die sich der Heiligkeit aller Nahrungsmittel bewusst war und den ersten Brotlaib der Menschheit backte.

Warum sollte man Pasta Madre verwenden?

Eines muss ich vorausschicken: Backhefe ist nicht schlecht! Wenn ihr sie richtig verwendet, leistet sie eine gute Arbeit und ist eine gute Alternative zur Pasta Madre. Sie richtig zu verwenden, heißt, dass ihr nur sehr wenig davon in den Teig gebt. Ich bin immer entrüstet, wenn ich Rezepte lese, die 25 g Hefe für 500 g Mehl vorsehen. Das ist eine enorme Menge: Das tut weder eurer Verdauung gut noch schmeckt das Brot. Für 500 g Mehl reichen 5 g Hefe, allerdings müsst ihr eine längere Teigruhe vorsehen. Tut mir leid, gut Ding braucht Weile!

Schauen wir uns mal an, warum immer mehr Leute auf die altbewährte Pasta Madre zurückkommen:

•Das Brot ist besser! Das ist nicht nur Geschmackssache, nein, es ist objektiv besser. Und das hat seinen Grund: Durch das Mitwirken vieler verschiedener Hefestämme (und nicht nur einer einzigen Art wie in der Backhefe) und der Milchsäurebakterien kommt es zum sehr komplexen Prozess der Fermentation. Und das schlägt sich natürlich auch auf den Geschmack nieder. Das Brot schmeckt voller, reicher und interessanter. Wer begonnen hat, jeden Tag Brot aus Pasta Madre zu essen, für den gibt es kein Zurück!

•Es ist leichter verdaulich! Durch die Bakterien und die lange Teigruhe werden viele Nährstoffe schon vorverdaut, wodurch diese bekömmlicher werden und vom Körper leichter aufzunehmen sind. Das unterstützt vor allem unser Darmmikrobiom.

•Es bleibt länger frisch! Die leichte Säure, die sich im Brot bildet, verhindert das Wachstum unliebsamer Bakterien und Schimmelpilze. (Dasselbe Prinzip wirkt beim Sauerkraut: Durch die bei der Fermentation entstandene Säure können sich keine Keime und Schimmelpilze ansiedeln und es bleibt konserviert.)

•Es hat eine dunkle, knusprige Kruste!!

Das sind die „praktischen Gründe“, warum Pasta Madre und das natürlich Brotbacken heute wieder „in“ sind.

Für mich gibt es aber noch einen anderen Grund: Sobald man sich für diesen Weg entschieden hat, wird man sich einer Urkraft bewusst. Es ist wie beim eigenen Gemüsegarten, man fühlt sich plötzlich autark, autonom und selbstbewusst. Wenn ich selbst auf uralte Weise Brot backen kann – ohne Hilfsmittel der Lebensmittelindustrie –, macht mich das stark und unabhängig. Dieses Brot erfreut nicht nur den Gaumen, sondern auch die Seele!

Die Hände im Teig

Wie man Pasta Madre herstellt

Wenn es niemanden in der Nähe gibt, der seine Pasta Madre mit euch teilen könnte, könnt ihr sie auch selbst herstellen. Es ist ganz einfach, aber ihr braucht etwas Geduld. Wie schon gesagt: Gut Ding braucht Weile.

Ihr besorgt euch steingemahlenes Weizenmehl Type 550. In dieser Phase brauchen wir die natürlichen Hefen und Bakterien des Weizenkorns, die im steingemahlenen Mehl noch zu finden sind. Nehmt für den gesamten Prozess immer dasselbe Mehl. Die Bakterien und Hefen müssen darauf vertrauen können, immer dieselbe Nahrung zu bekommen, um sich gut zu vermehren und zu entwickeln.

Das Wasser muss eine Temperatur von ca. 26 °C haben.

Am besten verwendet ihr ein Glasgefäß, denn da könnt ihr sehen, was im Inneren passiert. Außerdem beeinflusst das Material nicht das Wachstum der Mikroorganismen.

Tag 1:

50 g Weizenmehl Type 550

50 g Wasser

Gut vermischen, in einen Glasbehälter geben und mit einem feuchten Tuch bedecken. In der Küche bei Raumtemperatur 24 Stunden ruhen lassen.

Tag 2:

50 g des Teiges vom Vortag

50 g Weizenmehl Type 550

50 g Wasser

Die 50 g des Teiges vom Vortag mit Mehl und Wasser vermischen und wiederum 24 Stunden ruhen lassen. Den Rest des Teiges vom Vortag wegschütten.

Tag 3:

50 g des Teiges vom Vortag

50 g Weizenmehl Type 550

50 g Wasser

Die 50 g des Teiges vom Vortag mit Mehl und Wasser vermischen und wiederum 24 Stunden ruhen lassen. Den Rest des Teiges vom Vortag wegschütten.

Auf diese Weise 10–15 Tage fortfahren. Den Teigrest des jeweiligen Vortages müsst ihr wegschütten (oder kompostieren). Ich weiß, es ist schade drum, aber aus einer unreifen Pasta Madre kann man nicht viel machen.

Ab einem bestimmten Punkt könnt ihr an der Oberfläche und an der Glaswand kleine Bläschen beobachten. Das bedeutet, dass die Fermentation begonnen hat und eure Pasta Madre zu reifen beginnt. Die Bläschen sind eines der Merkmale einer reifen Pasta Madre. Andere Merkmale sind:

•Der Teig vergrößert sein Volumen ca. 8 Stunden nachdem er aufgefrischt wurde.