Bad Romeo - Wohin du auch gehst - Leisa Rayven - E-Book
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Bad Romeo - Wohin du auch gehst E-Book

Leisa Rayven

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Beschreibung

Love is dangerous! Bei ihrem Vorsprechen an der berühmten New York Grove Schauspielakademie fällt Cassie Taylor der attraktive Mitbewerber sofort auf. Ausgerechnet jetzt! Er ist groß, dunkelhaarig und hat stechend blaue Augen. Cassie fühlt sich sofort angezogen. Doch während der Auswahlrunden wird schnell klar: Ethan Holt ist ein absoluter Bad Boy – ein Typ, von dem man besser die Finger lässt. Er ist unverschämt, wortkarg und hat eine dunkle Vergangenheit. Leider ist er auch unglaublich sexy. Ihren guten Vorsätzen zum Trotz verliebt sich Cassandra in Ethan. Schnell merkt sie: Dieser Mann ist wirklich gefährlich, aber sie kann ihm einfach nicht widerstehen. Band 1 der prickelnden Erfolgsserie aus den USA: mitreißend, sexy, verhängnisvoll!

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Seitenzahl: 578

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Lisa Rayven

Bad Romeo & Broken JulietWohin DU auch gehst

Roman

Aus dem Amerikanischen von Tanja Hamer

FISCHER E-Books

Inhalt

Motto123456789101112131415161718192021Leseprobe Band 21

»O Natur! Was hattest du zu schaffen in der Hölle,

Als du des holden Leibes Paradies

Zum Lustsitz einem Teufel übergabst?

War je ein Buch, so arger Dinge voll,

So schön gebunden?«

 

– Julia, wie sie Romeo beschreibt.

 

Romeo und Julia von William Shakespeare

1

Wieder zusammen, zu früh

2013 – September

New York City

Grautmann Theater

Erster Tag der Proben

Ich eile den überfüllten Bürgersteig entlang und spüre, wie mir ein nervöser Schweiß an allen möglichen, höchst unglamourösen Stellen ausbricht.

Plötzlich fällt mir ein, was meine Mutter immer gesagt hat: »Eine Dame schwitzt nicht, Cassie. Sie leuchtet.«

Wenn das so ist, Mom, dann leuchte ich grade wie ein Schwein.

Egal, ich hab mich eh noch nie für eine Dame gehalten.

Ich versuche, mir einzureden, dass ich ›leuchte‹, weil ich zu spät dran bin. Und nicht seinetwegen.

Tristan, mein Mitbewohner und Life-Coach, ist überzeugt, dass ich einfach nie über ihn hinweggekommen bin, aber das ist Schwachsinn.

Ich bin so was von über ihn hinweg. Schon lange.

Ich renne im Zickzack über die Straße und weiche dem chaotischen New Yorker Verkehr aus. Etliche Taxifahrer verfluchen mich in verschiedenen Sprachen. Fröhlich strecke ich ihnen den Mittelfinger entgegen, denn ich bin mir recht sicher, dass das überall auf der Welt »Fuck you« bedeutet.

Ich werfe einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr, als ich das Theater betrete und auf den Probenraum zusteuere.

Verdammt, verdammt.

Fünf Minuten zu spät.

Ich kann seinen amüsierten Gesichtsausdruck schon vor mir sehen und hab jetzt Angst, dass mich auf der Stelle das Bedürfnis überkommen wird, dem Idioten eine reinzuhauen.

Vor der Tür bleibe ich stehen.

Ich kann das. Ich werde ihm eiskalt in die Augen schauen – und nicht zusammenbrechen. Ich kann es.

Seufzend lehne ich den Kopf an die Wand.

Wem will ich hier eigentlich was vormachen?

Ja, klar, kein Problem, ich kann ein leidenschaftliches Stück mit meinem Ex spielen, der mir nicht einmal das Herz gebrochen hat, sondern direkt zweimal. Überhaupt kein Problem.

Ich schlage mit dem Kopf gegen die Wand.

Wenn es ein Land der dummen Leute gäbe, wäre ich auf jeden Fall die Präsidentin.

Ich atme tief ein und lasse die Luft langsam ausströmen.

Als meine Agentin mit der Neuigkeit angekommen ist, dass mein großer Durchbruch am Broadway bevorsteht, hätte ich wissen müssen, dass es einen Haken gibt. Sie hat sich regelrecht überschlagen vor Begeisterung über den männlichen Schauspieler: Ethan Holt – der aktuelle »It-Boy« der Theaterszene. Talentiert. Preisgekrönt. Von hysterischen Fans angehimmelt. Extrem gutaussehend.

Natürlich wusste sie nichts von unserer Vorgeschichte. Wie sollte sie auch? Ich hab nie von ihm erzählt. Genaugenommen bin ich Gesprächen immer ausgewichen, wenn sein Name fiel. Als er noch auf der anderen Seite der Welt war, konnte ich besser mit seiner zunehmenden Bekanntheit umgehen, aber jetzt ist er zurück und macht mir meinen Traumjob madig.

Typisch.

Dieser Idiot.

Schon beginne ich wieder zu ›leuchten‹.

Gleich ein überzeugendes Pokerface hinzubekommen, wird nicht einfach sein, aber ich muss es schaffen. Ich ziehe einen kleinen Schminkspiegel hervor und checke mein Aussehen.

Shit, ich glänze wie das Chrysler Building in der Sonne.

Schnell schmeiße ich mir ein bisschen Puder ins Gesicht und frische den Lipgloss auf. Ich frage mich, ob er mich verändert findet, nach all den Jahren. Meine braunen Haare, die mir im College lang über den Rücken fielen, sind jetzt nur noch schulterlang und fransig geschnitten. Mein Gesicht ist ein bisschen schmaler als früher, aber ich glaube, sonst sehe ich noch genauso aus. Wenig auffälliger, aber hübscher Mund. Gleichmäßige Gesichtszüge. Augen, die weder braun noch grün sind, sondern eine seltsame Mischung. Mehr in Richtung olivgrün.

Ich klappe den Taschenspiegel zu und werfe ihn verärgert zurück in meine Handtasche. Dass ich überhaupt darüber nachdenke, ob er mich gutaussehend findet! Hab ich denn gar nichts gelernt?

Ich schließe die Augen und denke daran, wie oft er mir wehgetan hat. Seine doofen Ausreden, seine lächerlichen Erklärungen. Ich spüre die alte Verbitterung in mir aufsteigen.

Zack! Genau so einen Dämpfer hab ich gebraucht. Ich seufze erleichtert. Meine Wut auf ihn soll ruhig schön hochkochen. Das ist wie ein Schutzwall, hinter dem ich mich verstecken kann, während es aggressiv brodelt.

Ich. Kann. Das.

Ich öffne die Tür und gehe hinein. Noch bevor ich ihn sehe, spüre ich seinen Blick auf mir. Ich widerstehe dem Drang, ihn anzusehen, denn wenn ich eine Sache gelernt habe, was Ethan Holt angeht, dann ist es Folgendes: Alle natürlichen Instinkte müssen unterdrückt werden. Das letzte Mal, als ich auf mein Bauchgefühl gehört habe, ist alles den Bach runtergegangen. Dieses Scheißgefühl hatte mir vorgegaukelt, ich könnte etwas von ihm bekommen, obwohl er mir rein gar nichts angeboten hatte.

Ich gehe zielstrebig zum Regietisch, wo unser Regisseur, Marco Fiori, gerade mit unseren Produzenten, Ava und Saul Weinstein, diskutiert. Neben ihnen entdecke ich ein bekanntes Gesicht – unsere Inspizientin Elissa, Ethans Schwester.

Ethan und Elissa gibt es nur im Doppelpack. In allen seinen Verträgen steht, dass nur sie seine Aufführungen managen darf, was mich wundert, immerhin zanken die zwei sich die ganze Zeit wie kleine Kinder.

Ich vermute, Elissa gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit. Andererseits – wieso sollte er so etwas brauchen? Er braucht doch sonst nichts und niemanden, oder? Er ist unantastbar. Er ist wie Teflon, verdammt nochmal.

Elissa fuchtelt über einem maßstabsgetreuen Modell der Bühne herum und gibt den Bühnentechnikern Anweisungen. Die Produzenten hören zu und nicken.

Ich habe kein Problem mit Elissa. Sie ist eine phantastische Inspizientin, und wir haben früher gern zusammengearbeitet. Genaugenommen waren wir vor hundert Jahren mal gut befreundet. Damals, als ich noch dachte, ihr Bruder wäre ein normaler Mensch und nicht eine Ausgeburt der Hölle.

Regisseur und Produzenten schauen auf, als ich näher komme.

»Ich weiß, ich weiß. Sorry«, entschuldige ich mich und stelle meine Tasche auf einem Stuhl ab.

»Schon okay, Cassandra«, meint Marco. »Wir besprechen eh noch technische Details. Die Probe fängt gleich an.«

»Cool.« Ich wühle in meiner Tasche nach den Proben-Utensilien.

»Hey du«, grüßt mich Elissa und lächelt herzlich.

»Hey Lissa.«

Einen kurzen Moment lang dämpft ein Anflug von Nostalgie meine Wut, und mir fällt auf, wie sehr ich Elissa vermisst habe. Sie ist so anders als ihr Bruder. Auch äußerlich: blond und ordentlich versus dunkel und chaotisch. Und doch weiß ich ruck, zuck wieder, wieso ich seit Jahren nichts mit ihr zu tun hatte. Sie gehört zu ihm. Zu viele schlechte Erinnerungen kommen hoch.

Als ich meine Wasserflasche nehmen will, rutscht meine Tasche vom Stuhl und landet rumpelnd auf dem Boden. Alle drehen sich zu mir um. Ich höre ein tiefes Lachen und knirsche wütend mit den Zähnen.

Fick dich, Ethan. Ich werde dich bestimmt nicht anschauen.

Auch wenn er am anderen Ende des Raums ist, geht mir seine Stimme durch Mark und Bein.

Ich hebe die Tasche auf und lege sie zurück auf den Stuhl.

Es kichert wieder, und ich schwöre mir insgeheim tausendfach, dass ich ihn mit bloßen Händen erwürgen werde.

Ich brauche dringend eine Zigarette.

Ich schiele zu Marco rüber, der ein schickes Halstuch trägt und dabei ist, mit ausladenden Gesten das Stück zu beschreiben. Das ist alles seine Schuld. Er war es, der Holt und mich für das Projekt engagiert hat. Ich habe mir eingeredet, dass es ein großer Sprung auf der Karriereleiter ist, aber nun wird es wohl meine letzte Show sein. Denn wenn dieser Kindskopf da hinten in der Ecke nicht aufhört über mich zu lachen, dann werde ich mit Sicherheit gleich Amok laufen und den Kerl eigenhändig umbringen, wofür ich dann den Rest meines Lebens eingebuchtet werde.

Glücklicherweise hört das alberne Kichern endlich auf, aber ich kann seinen Blick weiterhin im Nacken spüren.

Ich versuche, ihn zu ignorieren und wühle weiter in meiner Tasche. Zigaretten hab ich schnell gefunden, aber mein Feuerzeug ist weg. Ich muss diesen Saustall von einer Tasche wirklich mal ausräumen. Mann, gibt es eigentlich irgendetwas, das ich nicht mit mir rumschleppe? Kaugummi, Taschentücher, Make-up, Schmerztabletten, alte Kinokarten, Parfüm, Tampons, Schlüssel, eine einbeinige Wrestling-Figur – was zum Teufel?

»Entschuldigen Sie bitte, Miss Taylor?«

Ich schaue auf. Ein hübscher afro-amerikanischer Junge streckt mir einen Becher entgegen, der verdächtig nach meinem Lieblingsmacchiato riecht.

»Wow, Sie sehen ziemlich gestresst aus«, stellt er fest und klingt dabei gerade noch besorgt genug, dass ich ihm für diesen Kommentar nicht die Ohren abreißen will. »Ich bin Cody. Der Praktikant. Kaffee?«

»Hi Cody.« Neugierig beäuge ich den Pappbecher in seiner Hand. »Was hast du denn da?«

»Einen doppelten Macchiato aus grünen Kaffeebohnen mit Mocca und extra Sahne.«

Ich nicke beeindruckt. »Das ist mein Lieblingskaffee.«

»Ich weiß. Ich hab mich vorab mit den Vorlieben und Abneigungen von Ihnen und Mr Holt vertraut gemacht, damit wir ein möglichst angenehmes Probenumfeld schaffen können.«

Ein angenehmes Probenumfeld? Wenn Holt und ich auf derselben Bühne stehen? Du armes, unwissendes Kind. »Ach, wirklich? Das ist ja nett.« Ich nehme den Kaffee entgegen und schnuppere kurz daran, ehe ich mich wieder den Untiefen meiner Chaostasche widme.

»Ja, Ma’am.« Er zieht ein Feuerzeug aus der Hosentasche und gibt es mir mit einem zuckersüßen Lächeln.

Der Himmel hat diesen Jungen geschickt. Ich lege seufzend den Kopf in den Nacken und kann mich gerade noch davon abhalten, ihn einfach zu knuddeln.

Tristan meint, ich hätte ein Problem mit Distanzlosigkeit. Eigentlich bezieht er das auf meine Männergeschichten, aber ich verstehe ihn absichtlich falsch, damit ich mich nicht wie eine Schlampe fühlen muss.

Stattdessen schenke ich dem Jungen ein dankbares Lächeln. »Cody, ich hoffe, du verstehst das jetzt nicht falsch, und ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber … Ich glaub, ich liebe dich.«

Er kichert und senkt verschwörerisch den Kopf. »Wenn Sie wollen, können Sie sich zum Rauchen noch kurz rausschleichen, ich hol Sie rein, wenn die Probe beginnt.«

Wenn er nicht aussehen würde wie 16, hätte ich ihn genau jetzt wahrscheinlich abgeknutscht. Mit Zunge. »Du bist der Knaller, Cody.«

In der Ecke bemerke ich eine dunkle Silhouette, die sich auf einem Stuhl niederlässt. Energisch straffe ich die Schultern und stolziere davon. Mir doch egal!

Sein Blick folgt mir bis zum Hinterausgang. Ich rede mir ein, dass ich das alles nicht vermisst habe. Seine Blicke, die Schmetterlinge, den Herzschmerz.

Die Treppen sind steil und dunkel und führen hoch auf eine kleine Gasse hinter dem Theater. Noch bevor die Tür hinter mir zugefallen ist, habe ich eine angezündete Kippe zwischen den Lippen. Ich lehne mich an die Backsteinmauer, nehme einen tiefen Zug und betrachte den aus dieser Perspektive fingerbreiten Spalt zwischen den hohen Häusern, der den Blick auf den blauen Himmel freigibt. Das Nikotin beruhigt meine Nerven eigentlich nicht. Heute würden vermutlich nur verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel helfen.

Ich drücke die Zigarette aus und will wieder hinuntergehen, doch in dem Moment geht die Tür auf, und die Ursache all meiner Wut tritt auf die Straße.

Seine dunklen Jeans betonen vorzügliche Körperteile, die ich gerade wirklich nicht bemerken sollte. Die Augen sind noch genauso, wie ich sie in Erinnerung hatte. Hellblau, hypnotisierend und eingerahmt von dunklen, dichten Wimpern. Ein intensiver, stechender Blick.

Alles andere … O mein Gott, ich hatte es vergessen. Ich hatte mich gezwungen, es zu vergessen.

Sogar jetzt, in diesem Moment, ist er der am besten aussehende Mann, den ich je gesehen habe. Obwohl, gutaussehend trifft es nicht. Schauspieler in Seifenopern sind gutaussehend, aber auf eine oberflächliche, vorhersehbare Art. Holt ist … atemberaubend. Wie ein seltener, exotischer Panther.

Ich hasse es, dass er so extrem gut aussieht.

Dichte, dunkle Augenbrauen. Ausgeprägte Kinnpartie. Volle Lippen, die im Gesamtbild seines Gesichts aber sehr männlich wirken. Die dunklen Haare trägt er kürzer als früher, was ihn reifer wirken lässt. Und größer, falls das möglich ist.

Er hat mich immer schon überragt. Kein Wunder mit seinen 1,92 m. Und der Breite seiner Schultern nach zu urteilen, hat er seit dem College ordentlich trainiert. Ohne aufgepumpt zu wirken, zeichnen sich unter dem schwarzen T-Shirt deutlich Muskeln ab.

Auf ihn ist doch immer Verlass, wenn es darum geht, im falschen Moment umwerfend auszusehen. Mistkerl. Mir schießt unwillkürlich das Blut in die Wangen, wofür ich mich am liebsten selbst ohrfeigen würde.

»Hi«, sagt er so unschuldig, als wüsste er nicht, dass ich die letzten drei Jahre davon geträumt habe, ihm in sein hübsches Gesicht zu schlagen.

»Hallo Ethan.«

Er starrt mich an, und wie immer spüre ich die Hitze in mir aufsteigen. »Du siehst gut aus, Cassie.«

»Du auch.«

»Deine Haare sind kürzer.«

»Deine auch.«

Er macht einen Schritt auf mich zu, und ich hasse es, wie er mich anschaut. Taxierend, aber so als würde ihm gefallen, was er sieht. Hungrig. Mit diesem Blick fängt er mich ein, gegen meinen Willen, als wäre er eines von diesen klebrigen Fliegenpapieren und alles in mir summt auf Hochtouren und versucht verzweifelt, sich loszureißen.

»Ist ’ne ganze Weile her.«

»Echt? Kommt mir gar nicht so vor.« Ich bemühe mich möglichst unbeteiligt zu klingen. Er soll auf keinen Fall wissen, was für Magenschmerzen mir das heutige Treffen schon im Voraus bereitet hat. Das ist er nicht wert.

»Wie geht’s dir denn so?«, fragt er.

»Sehr gut, danke.« Automatische Antwort. Bedeutungslos. Natürlich geht’s mir nicht sehr gut – ging es mir in den letzten Jahren fast nie.

Sein Blick ruht weiter auf mir, bis meine Haut prickelt. Ich wäre am liebsten ganz woanders, denn er sieht gerade genauso aus wie früher, und es tut weh, sich zu erinnern.

»Und selbst?«, frage ich mit gespieltem Desinteresse. »Wie geht’s dir so?«

»Auch … ganz gut.«

In seinem Tonfall schwingt etwas mit. Ganz leise, gerade so, dass ich neugierig werde. Aber ich habe nicht vor nachzuhaken, weil ich weiß, dass er es genau darauf anlegt.

»Cool«, erwidere ich, seinen Unterton ignorierend. »Freut mich für dich, Ethan.«

Er senkt den Blick und fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Seine Haltung versteift sich auf eine Art, die mir gefährlich bekannt vorkommt.

»Okay, wie du willst«, meint er. »Drei Jahre, und mehr hast du mir nicht zu sagen.«

Mir wird schlagartig übel.

Falsch, du Arschloch, ich hätte dir sehr wohl mehr zu sagen, aber was soll das bringen? Es gibt nichts, was nicht schon gesagt worden wäre, und immer wieder die gleichen Diskussionen zu führen, halte ich für Zeitverschwendung.

»Genau, so ist es«, zwitschere ich fröhlich und schiebe mich an ihm vorbei. Ich stoße die Tür auf und renne die Treppen runter, versuche, das Kribbeln zu ignorieren an den Stellen, wo sich unsere Arme berührt haben.

Ich höre ein gemurmeltes »Fuck«, dann kommt er mir nach.

Also laufe ich noch schneller, aber er packt mich an der Schulter, als ich noch nicht ganz am Fuß der Treppe angekommen bin.

»Cassie, warte.« Er dreht mich zu sich um, und ich erwarte schon fast, dass er mich in seine Arme schließen will. Meinen Schutzwall niederreißt mit seiner Haut und seinem Geruch, wie er es so oft zuvor getan hat. Aber er tut es nicht.

Er steht nur da.

Die Luft in dem engen, dunklen Treppenschacht ist dick wie Watte. Ich verspüre einen Anflug von Klaustrophobie, will aber auf keinen Fall, dass er es bemerkt.

Keine Schwäche zeigen.

Das hat er mir beigebracht.

»Hör zu, Cassie«, setzt er an, und ich hasse es, dass ich es so verdammt vermisst habe, ihn meinen Namen sagen zu hören. »Glaubst du nicht, wir könnten die ganze Scheiße hinter uns lassen und es noch mal miteinander versuchen? Ich will es wirklich.«

Sein Blick ist fest und ernst, aber mir kann er nichts mehr vormachen. Jedes Mal, wenn ich ihm vertraut habe, hat er mir am Ende das Herz gebrochen.

»Du willst es noch mal versuchen?«, wiederhole ich entgeistert. »Na, klar. Kein Problem. Wieso bin ich da nicht selbst drauf gekommen?«

»Es muss doch nicht so … sein zwischen uns.«

Womit er sagen will, dass ich mich bloß anstelle. Und meine Feindseligkeit schlichte Übertreibung ist. Wenn ich nicht so wütend wäre, müsste ich laut lachen.

»Wie sollte es denn dann sein, hm?«, frage ich schneidend. »Bitte, Holt, erklär es mir. Immerhin bist du derjenige, der in unserer Beziehung die Entscheidungen gefällt hat. Ich hab da ja kein Mitspracherecht. Wie willst du es denn dieses Mal haben? Freunde? Fickbeziehung? Feinde? Oh, warte, ich weiß. Was hältst du von dieser Rollenverteilung: Du bist das Stück Scheiße, das mir das Herz gebrochen hat, und ich bin die Frau, die nichts mehr mit dir zu tun haben will? Wie wäre es mit der Version?«

Seine Kiefermuskeln spannen sich an. Er ist wütend.

Gut. Mit wütend kann ich umgehen.

Er reibt sich die Augen und atmet aus. Ich erwarte, dass er rumschreit, aber das tut er nicht. Stattdessen erwidert er ruhig: »Nichts, was ich dir in den E-Mails geschrieben habe, hat dir etwas bedeutet, oder? Ich dachte, wir wären vielleicht wenigstens in der Lage, wie Erwachsene darüber zu sprechen, was passiert ist. Hast du sie überhaupt gelesen?«

»Klar, hab ich sie gelesen. Aber verarschen kann ich mich selber. Ich meine, ich kann auch nicht endlos oft Scheiße fressen. Wie geht noch mal der Spruch? Wer sich zweimal verarschen lässt, ist selbst Schuld oder so?«

»Ich will dich nicht verarschen. Was in der Vergangenheit passiert ist, musste ich tun.«

»Ist das dein Ernst? Soll ich dir jetzt auch noch dankbar sein?«

»Nein.« Er klingt verzweifelt. »Natürlich nicht. Ich will doch nur …«

»Du willst, dass ich dir noch eine Chance gebe, mich fertig zu machen? Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«

Er schüttelt den Kopf. »Nein, verdammt! Ich will, dass alles anders ist. Wenn du möchtest, dass ich mich bei dir entschuldige, werde ich es so lange tun, bis meine verdammte Stimme versagt. Ich will doch nur, dass alles wieder gut wird zwischen uns.«

»Das geht aber nicht.«

»Cassie …«

»Nein, Ethan! Dieses Mal nicht. Und auch nie wieder.«

Er lehnt sich nach vorn. Dabei kommt er mir nah. Zu nah. Sein vertrauter Geruch umhüllt mich. Ich kann nicht denken, will ihn am liebsten wegschubsen, damit ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Oder ihn mit den Fäusten bearbeiten, bis er versteht, dass ich seit Jahren nicht wirklich glücklich war, und dass das alles seine Schuld ist. Ich würde gern so viele Dinge tun, aber ich stehe nur da und verfluche, wie hilflos ich mich noch immer ihm gegenüber fühle.

Sein Atem geht genauso schnell wie meiner. Unsere Körper sind beide angespannt. Trotz allem, was wir einander angetan haben, ist unsere gegenseitige Anziehung ungebrochen. Und sie quält uns. Ganz wie in alten Zeiten.

Zum Glück geht in dem Moment die Tür am Fuß der Treppe auf und Cody schaut überrascht zu uns hoch.

»Mr Holt? Miss Taylor? Ist alles in Ordnung?«

Holt weicht zurück und fährt sich mit den Fingern hektisch durch die Haare.

Ich atme mühsam aus. »Alles in Ordnung, Cody. Alles gut.«

»Okay. Na dann.« Sein Gesicht hellt sich auf. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass die Probe jetzt beginnt.« Er verschwindet und lässt uns wieder allein. Allein mit dem ganzen emotionalen Müll, den wir mit uns herumtragen.

»Wir sind hier, um einen Job zu erledigen«, sage ich mit möglichst fester Stimme. »Lass uns das einfach tun, okay?«

Seine Miene verfinstert sich und für eine Sekunde fürchte ich, er wird nicht so einfach klein beigeben. Dann aber sagt er: »Wenn du das wirklich willst.«

Ich schlucke einen Anflug von Enttäuschung herunter. »Das tue ich.«

Er nickt und geht, ohne ein Wort zu sagen, die Treppe runter und durch die Tür.

Ich brauche noch einen Moment, um mich zu sammeln. Mein Gesicht ist heiß, mein Herz rast, und ich muss beinahe lachen, wenn ich daran denke, wie fertig ich schon bin, obwohl die Proben nicht mal angefangen haben. Die nächsten vier Wochen werden anstrengender als ein Marathonlauf in der Sahara.

Ich straffe die Schultern und folge ihm in den Probenraum.

Bis ich mir mein Script und meine Wasserflasche geholt habe, ist am Tisch nur noch ein Platz frei: es ist natürlich der neben Holt. Ich rücke den Stuhl so weit wie möglich weg von ihm und lasse mich auf dem ungemütlichen Plastikstuhl nieder.

»Alles okay?« Marco zieht fragend eine Augenbraue hoch.

»Klar, alles gut«, versichere ich ihm lächelnd und fühle mich wie im ersten Jahr auf der Schauspielschule.

Ich spiele meine Rolle.

»Dann lasst uns anfangen, okay?«, wendet sich Marco an die Runde, und allgemeines Geraschel erklingt, als die Scripte aufgeschlagen werden.

Alle guten Geschichten müssen irgendwo anfangen. Wieso sollte es bei dieser anders sein?

2

Am Anfang

2013 – September

New York City

Tagebuch von Cassandra Taylor

 

Liebes Tagebuch,

 

Tristan hat mir geraten, mal alle Ereignisse aufzuschreiben, die mich zu dem verhaltensgestörten Individuum gemacht haben, das ich heute bin. Er will, dass ich mir meine ungesunden Beziehungen vor Augen führe, die mich launisch machen und emotional abstumpfen. Deshalb dachte ich, fang ich doch gleich mal mit dem Jackpot meiner zu bereuenden Taten an:

Ethan Holt.

Als ich ihn das erste Mal sah, simulierte ich gerade Analsex mit jemandem, den ich gerade erst kennengelernt hatte.

Wow. Das klingt übel.

Ich werde es erklären.

Ich bewarb mich gerade um einen Platz in der Grove School of Creative Arts, einem privaten College, das verschiedene Studiengänge in Tanz, Musik und den Bildenden Künsten anbietet – und die renommierteste Schauspielschule im Land ist. Das College, das ganz romantisch auf einer alten Obstplantage gebaut ist, liegt in Westchester, New York, und hat einige von Amerikas talentiertesten Stars der Theater- und Filmszene hervorgebracht.

Ich hatte schon immer davon geträumt, dort zu studieren, und in meinem letzten Highschooljahr, als sich alle meine Freunde für exklusive Studienplätze bewarben, um Ärzte, Anwälte, Ingenieure oder Journalisten zu werden, setzte ich alles daran, meinen Traum zu verwirklichen und Schauspielerin zu werden.

Die Grove war aus verschiedenen bereits genannten Gründen meine erste Wahl, nicht zuletzt aber auch deshalb, weil sich die Hochschule am anderen Ende des Landes befindet.

Es ist nicht so, dass ich meine Eltern nicht mag, aber Judy und Leo hatten eben immer genaue Vorstellungen davon, wie ich mein Leben gestalten sollte. Und da ich ein Einzelkind und somit von Geburt an darauf getrimmt bin, alles zu tun, um mir die Anerkennung meiner Eltern zu verdienen, hab ich mich mit allerhand unrealistischen Idealen rumgeschlagen.

Noch im letzten Jahr der Highschool hatte ich nie Alkohol getrunken, keine Zigaretten geraucht, nichts anderes als Judys gesunden und geschmackfreien Vegetarierfraß gegessen und natürlich nie mit einem Jungen geschlafen. Ich war immer brav zu Hause gewesen, auch wenn es nur dazu diente, dass die beiden sich vor mir anzicken konnten. Oft waren sie auch gar nicht da.

Meine Mutter ist eine zwanghafte Problemlöserin. Sie hatte ihr ganzes Leben lang das Gefühl, sich verbessern zu müssen. Und das übertrug sie auch auf mich. Ich war tollpatschig, also meldete sie mich beim Ballett an. Ich war ein bisschen dicklich, also überwachte sie jeden Bissen, den ich aß. Ich war schüchtern, sie schickte mich zum Schauspielunterricht.

Ich hasste alles, was sie mir aufzwang, außer der Schauspielerei. Dabei blieb ich. Es stellte sich außerdem heraus, dass ich ziemlich gut darin war, für ein paar Stunden lang so zu tun, als wäre ich jemand ganz anderes. Ja, das gefiel mir.

Leos Beitrag zu meiner Erziehung bestand darin, dass er mir strenge Regeln auferlegte, bezüglich wohin ich gehen, wen ich treffen und was ich tun durfte. Davon mal abgesehen, hat er mich weitgehend ignoriert – außer natürlich, ich tat etwas besonders Gutes oder total Doofes. Ich lernte allerdings schnell, dass es weniger Geschrei und weniger Hausarrest gab, wenn ich nichts Doofes machte. Gute Noten machten ihn glücklich. Genau wie Auszeichnungen für besondere Leistungen im Theater.

Ich arbeitete wirklich hart, härter als alle meine Freunde und härter als eine Tochter es tun sollte, um die Aufmerksamkeit ihres Vaters zu bekommen. Ich denke, es ist ungefährlich zu behaupten, dass meine Macke, anderen Leuten immer gefallen zu wollen, von ihm kommt.

Meine Eltern waren natürlich nicht begeistert über meinen Plan, auf die Schauspielschule zu gehen. Ich glaube, Leos abschätziger Kommentar lautete nur: »Na, klar.« Er und Mom fanden es in Ordnung, dass ich die Schauspielerei als Hobby betrieb, aber bei meinen guten Noten, hätte ich die freie Auswahl bei vielen angesehenen Berufen gehabt. Sie verstanden nicht, wieso ich stattdessen einen Beruf lernen wollte, in dem 90 Prozent der Absolventen ihr Leben lang ohne feste Anstellung blieben.

Ich überredete sie, mich zu der Aufnahmeprüfung gehen zu lassen, unter der Bedingung, dass ich mich auch für das Jura-Studium an der Washington State bewarb. Das verschaffte mir einen Flug nach New York.

Ich wusste von Anfang an, dass meine Chancen bei der Aufnahmeprüfung gering waren, aber ich musste es einfach versuchen. Es gab natürlich auch andere Schulen, auf die ich gern gegangen wäre, aber ich wollte die beste, und das war die Grove.

 

2007 – Januar

Westchester, New York

Aufnahmeprüfung für die Grove

Mein Bein zittert.

Kein leichtes Schaudern.

Keine innere Unruhe.

Zittern.

Unkontrollierbares Zittern.

Mir ist speiübel, mein Bauch ist ein einziger Knoten, ich könnte mich auf der Stelle übergeben. Wieder.

Ich sitze auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt. Unsichtbar. Ich gehöre nicht hierher. Ich bin nicht wie die anderen.

Sie sind cool und benutzen nur zu gern das ›F‹-Wort. Sie rauchen Kette und berühren sich an intimen Stellen, obwohl sich die meisten gerade erst kennengelernt haben. Sie geben damit an, in welchen Shows sie schon mitgewirkt haben oder sogar in welchen Filmen, oder welche berühmten Leute sie schon getroffen haben. Und ich sitze da und werde mit jeder Sekunde ein Stückchen kleiner, weil mir dämmert, dass ich heute nur eine Sache erreichen werde, nämlich zu demonstrieren, wie ungeeignet ich bin.

»Dann hat der Regisseur gesagt: ›Zoe, die Zuschauer wollen deine Brüste sehen. Du behauptest, für deine Kunst zu leben, und trotzdem lässt du dich von deinem fehlgeleiteten Schamgefühl einschränken.‹« Eine laute Blondine erzählt Kriegsgeschichten aus dem Theater. Die Leute, die sich um sie versammelt haben, lauschen ihr gebannt.

Ich will das wirklich nicht hören, aber sie posaunt so herum, dass mir nichts anderes übrigbleibt.

»O mein Gott, Zoe, was hast du dann gemacht?!«, fragt eine hübsche Rothaarige, das Gesicht zu einer mitfühlenden Grimasse verzogen.

»Was hätte ich schon tun können?« Zoe seufzt theatralisch. »Ich hab ihm den Schwanz gelutscht und ihm dann gesagt, dass ich mein Shirt anbehalte. Das war der einzige Weg, wie ich meine Integrität bewahren konnte.«

Die anderen applaudieren ihr johlend. Wir sind noch vor der Tür für das Vorsprechen, aber die Vorstellung hat schon begonnen.

Ich lehne den Kopf an die Wand und schließe die Augen, versuche, mich zu beruhigen.

Wieder und wieder gehe ich meine Texte durch. Ich bin bestens vorbereitet. Jedes Wort, jede Silbe habe ich auseinandergenommen, die emotionalen Schichten bis ins Feinste analysiert. Trotzdem fühle ich mich schrecklich unsicher.

»Und, wo kommst du her?« Zoe spricht wieder.

Ich versuche, ihre Stimme auszublenden.

»Hey. Du, da an der Wand.«

Ich öffne die Augen. Sie schaut mich an. Sie und alle anderen.

»Ich … äh, was?« Ich räuspere mich und gebe mir alle Mühe, nicht so eingeschüchtert auszusehen, wie ich mich fühle.

»Wo. Kommst. Du. Her?«, wiederholt sie ihre Frage langsam, als wäre ich zurückgeblieben. »Aus New York bist du ja ganz offensichtlich nicht.«

Ich weiß, weshalb sie so vielsagend grinst. Es liegt an meiner dunklen No-Name-Jeans, dem grauen Sweatshirt und meinem nicht vorhandenen Make-up. Ich bin nicht wie die meisten Mädchen, die sich hier bewerben, mit ihren grellen Klamotten, dem auffälligen Schmuck und ihren angemalten Gesichtern. Sie sehen aus wie exotische Vögel, ich dagegen wirke wie ein grauer Fettfleck.

»Ähm … ich bin aus Aberdeen.«

Sie verzieht missbilligend das Gesicht. »Wo zur Hölle ist das denn?«

»Das liegt in Washington. Ist ziemlich klein.«

»Nie gehört.« Sie winkt ab, ihre grell lackierten Fingernägel blitzen auf. »Gibt es da überhaupt ein Theater?«

»Nein.«

»Also hast du überhaupt keine Schauspielpraxis?«

»Ich hab bei ein paar Laien-Theaterproduktionen in Seattle mitgespielt.«

Ihr Blick verrät sie, sie wittert in mir leichte Beute. »Laientheater? Ach … verstehe.« Sie verkneift sich das Lachen.

Mein Schutzinstinkt springt an. »Natürlich hab ich noch nicht so tolle Sachen erleben können wie du. Ich meine, bei einem Film mitzuspielen, wow! Das muss einfach total krass gewesen sein.«

Zoes verächtlicher Blick wird etwas weicher. Meine Schmeichelattacke hat ihre Blutgier vertrieben.

»Ja, das war wirklich total krass«, versichert sie mir, während ihr Lächeln breiter wird, bis sie aussieht wie ein Barrakuda mit Lippenstift. »Ich meine, diese Schule ist wahrscheinlich sowieso nur Zeitverschwendung für mich, weil ich garantiert bald das nächste große Angebot bekomme. Aber so hab ich bis dahin wenigstens was zu tun.«

Ich lächle zustimmend. Streichle ihr Ego.

Es ist ganz einfach. Ich bin gut in so was.

Die Gespräche um uns herum blubbern wieder los, ich versuche, ab und zu etwas einzuwerfen. Jede Halbwahrheit, die mir über die Lippen kommt, macht mich mehr zu einer von ihnen. Gibt mir die Chance dazuzugehören.

Ehe ich mich versehe, plappere und kreische ich mit den anderen Eseln. Wir gaukeln uns gegenseitig Ausgelassenheit vor. Ein schwuler Typ zieht mich auf die Füße, und wir tun so, als wären wir auf einer Rave-Party. Er stellt sich hinter mich und stößt rhythmisch mit der Hüfte an meinen Po. Ich spiele mit, obwohl ich mich furchtbar fühle. Ich gebe vulgäre Laute von mir und werfe den Kopf in den Nacken. Die anderen lachen sich über uns schief, also ignoriere ich mein Schamgefühl und mache einfach weiter. Hier kann ich so tun, als wäre ich hemmungslos und beliebt. Die Aufmerksamkeit der anderen ist wie eine Droge, und ich will mehr davon.

Ich bin immer noch in dieser albernen Stellung und tue so, als würde mich gerade ein Schwuler von hinten nehmen, als ich ihn sehe. Er steht ein paar Meter weiter den Gang runter. Mir fallen sofort seine breiten Schultern auf. Er ist groß, seine dunklen Haare sind wellig und unordentlich. Obwohl sein Gesichtsausdruck teilnahmslos ist, liegt Verachtung in seinem Blick.

Mir bleibt das vorgetäuschte Lachen im Hals stecken.

Er sieht aus wie ein Racheengel mit diesem intensiven Blick und den makellosen Gesichtszügen. Glatte Haut und dunkle Kleidung. Sein Gesicht gehört zu denen, die einen beim Durchblättern einer Zeitschrift innehalten lassen. Er ist nicht standardmäßig schön, aber unglaublich faszinierend.

Meine neue, aufgesetzte Rolle fühlt sich unter seinem Blick falsch an. Ich höre schlagartig auf zu lachen.

Der Schwule schiebt mich von sich und wendet sich jemand anderem zu. Schon habe ich meinen vulgären Charme wieder verloren. Die Aufmerksamkeitsspanne der Leute ist sehr kurz.

Der große, gutaussehende Typ hat sich ebenfalls abgewendet und sitzt jetzt mit dem Rücken zur Wand auf dem Boden. Er zieht ein abgenutztes Taschenbuch aus dem Rucksack. Ich kann den Titel entziffern: Die Outsider. Eins meiner Lieblingsbücher.

Ich schaue mich nach der lauten Gruppe um, aber sie ist weitergezogen.

Ich bin hin und her gerissen, ob ich mich auf meinen alten Platz setzen oder mehr über den Bücher-Typ herausfinden sollte.

Die Wahl wird mir abgenommen, als sich die Tür vor mir öffnet und eine Frau in den Gang tritt. Sie ist groß und hat kurzes, schwarzes Haar, dazu knallrote Lippen. Sie taxiert uns mit der Intensität eines Laserstrahls. Ihr Leder-Klemmbrett ist furchteinflößend.

»Alle mal herhören!«

Der Hühnerstall verstummt schlagartig.

»Wenn ich Ihren Namen aufrufe, können Sie eintreten.« Sie feuert die Namen nur so heraus, mit fester, klarer Stimme.

Als sie »Holt, Ethan« ruft, drückt sich der Bücher-Typ von der Wand ab. Er schaut mich im Vorbeigehen kurz an, und ich habe das Bedürfnis, ihm zu folgen. Es fühlt sich falsch an, ohne ihn hier zu bleiben.

Die Frau rattert immer mehr Namen runter. Ich schätze, so an die 60 Leute müssen schon durch die Tür gegangen sein – inklusive »Stevens, Zoe«, die freudig quietscht, bevor sie durch die Tür stolziert.

Ich zucke zusammen, als »Taylor, Cassandra!« ertönt. Ich schnappe mir meinen Beutel.

In dem Moment sagt die Frau: »So, das war’s für diese Gruppe. Die anderen warten hier, Sie werden von einem anderen Lehrer abgeholt.« Sie folgt mir durch die Tür und zieht sie hinter sich zu.

Wir befinden uns in einem großen, schwarz gestrichenen Proberaum. An einem Ende stehen mehrere Reihen von Klappstühlen. Die meisten aus der Gruppe haben bereits Platz genommen und unterhalten sich leise.

Insgesamt sind wir 88. 60 Mädchen und 28 Jungen. Keiner von ihnen scheint so aufgeregt zu sein wie ich. Ich setze mich ebenfalls dazu, fühle mich aber wie der letzte Dorftrottel unter den erfahrenen Großstadt-Kids. Mein Bein fängt wieder an zu zittern.

Die Schauspiellehrerin stellt sich vorne hin. »Mein Name ist Erika Eden, ich bin die Leiterin der Schauspielschule. Heute Morgen werden wir ein paar Charaktere erarbeiten und Improvisationsübungen machen. Am Ende jeder Szene werde ich Ihnen dann mitteilen, wer bleiben kann. Ich weiß, wonach ich suche, und wenn Sie das nicht haben, müssen Sie gehen. Das mag jetzt hart klingen, aber so ist es nun mal. Sie wissen sicherlich, dass Grove nur die besten 30 Bewerber aufnimmt, sich aber zirka 2000 Studenten um die Stellen beworben haben. Also zeigen Sie mir, was Sie zu bieten haben. Ich will keine abgedroschenen Gesten oder aufgesetzten Emotionen sehen. Zeigen Sie mir das wahre Schauspiel oder Sie können gleich wieder nach Hause fahren.«

Meine Versagensangst sitzt mir sofort im Nacken und flüstert mir hämisch zu, dass ich lieber jetzt sofort nach Hause fahren sollte. Aber ich kann nicht, ich muss das machen.

Wir verbringen die nächste halbe Stunde mit Fokussierungsübungen. Alle versuchen verzweifelt, nicht verzweifelt auszusehen. Manchen gelingt das besser als anderen.

Zoe ist laut und selbstbewusst, als hätte sie die Zusage schon in der Tasche. Was sie wahrscheinlich auch hat. Holt, Ethan ist konzentriert ernst. Und sehr intensiv. Sein Spiel wirkt, als fahre er die ganze Zeit mit angezogener Handbremse, weil er sonst völlig übers Ziel hinausschießen würde. Ich versuche, möglichst echt und natürlich zu bleiben, was mir die meiste Zeit auch gelingt.

Nach jeder Szene werden Bewerber aussortiert. Manche tragen es mit Fassung, andere brechen völlig zusammen. Der Probenraum wird zum Kriegsgebiet.

Die Gruppe dezimiert sich merklich. Erika ist höchst effizient und jedes Mal, wenn sie in meine Nähe kommt, rechne ich damit rauszufliegen. Irgendwie schaffe ich es aber und überlebe.

Als wir mittags eine Pause machen, sind alle still. Sogar Zoe. Wir sitzen im Kreis, im Geist geht wohl jeder seine vorbereiteten Monologe durch. Wir alle versuchen nicht daran zu denken, dass nur wenige morgen zum Recall wiederkommen werden. Ein paarmal habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden, und ertappe Holt, Ethan dabei, wie er mich anstarrt. Er schaut jedes Mal sofort weg und seine Miene verfinstert sich. Ich frage mich, warum er so wütend ist.

Zurück im Raum werden wir in Paare aufgeteilt. Ich bekomme einen Jungen namens Jordan zugewiesen, der schlimme Akne hat und lispelt. Jedes Duo bekommt eine Szene, die anderen schauen bei der Performance zu. Es ist wie bei Supertalent. Wir hoffen alle, dass die anderen einen Fehler machen, damit unsere Chancen steigen.

Zoe und Holt sind ein Team, sie sollen Fremde am Bahnsteig spielen. Sie reden und flirten, Zoe wirft sich gekonnt das Haar über die Schulter. Ich bin mir nicht sicher, wen sie mehr beeindrucken will – Ethan oder Erika.

Jordan und ich spielen Bruder und Schwester. Da ich keine Geschwister habe, finde ich diese Aufgabe ganz schön. Wir necken uns und lachen zusammen, und ich muss sagen, wir sind echt nicht schlecht. Erika lobt uns, die anderen applaudieren widerwillig.

Nach der Runde fliegen wieder ein paar Leute raus, Tränen fließen. Ich seufze erleichtert, als mir auffällt, dass nur noch etwa 30 verbleiben. Meine Chancen steigen.

Die Paarungen werden noch einmal gewechselt. Jetzt bekomme ich Holt, Ethan zugeteilt. Er sieht nicht sehr glücklich darüber aus. Als er neben mir sitzt, bemerke ich, wie seine Kiefermuskeln mahlen. Ich glaube, ich hab noch nie bei einem Mann auf die Kiefermuskeln geachtet. Seine sind jedenfalls eindrucksvoll.

Er schaut auf und erwischt mich beim Starren. Wenn Blicke töten könnten. Schnell schaue ich weg. Wir werden so ein mieses Paar abgeben.

Erika geht vor der Gruppe auf und ab. »Für diese letzte Runde werden Sie alle dieselbe Aufgabe bekommen. Die Übung heißt ›Spiegelbild‹.«

Klingt einfach.

»Es wird nicht einfach.«

Verdammt.

»In dieser Übung geht es um Vertrauen, Offenheit und darum, eine Verbindung zur anderen Person herzustellen. Keine Ego-Touren, kein gekünsteltes Profilieren. Nur rohe, pure Energie. Wenn Sie sich nicht entspannen können, werden Sie versagen, und wenn Sie es nicht schaffen, eine wirkliche Verbindung zueinander aufzubauen, werde ich es sofort merken. Keiner führt, keiner folgt dem anderen. Sie müssen die Bewegung des anderen fühlen. Verstanden?«

Wir nicken alle, aber ich hab nicht die leiseste Ahnung, wovon sie spricht. Holt reibt sich die Augen und gibt ein leises, stöhnendes Geräusch von sich.

»Alles klar, dann die ersten beiden, bitte!«

Das erste Paar geht in Position. Es sind Zoe und Jordan. Sie besprechen sich kurz und fangen an, kleine Bewegungen zu machen. Es ist offensichtlich, dass Zoe die Anführerin ist und Jordan ihr folgt. Eigentlich bewegen sie nur die Hände. Jordan muss kichern. Erika kritzelt etwas auf ihr Klemmbrett. Ich nehme an, er hat es grad vermasselt.

Ich lächle. Holt lächelt ebenfalls.

Wieder einer weniger.

Die anderen Gruppen sind nacheinander dran, und Erika umkreist sie wie ein Habicht, beäugt jede ihrer Bewegungen. Sie entscheidet gerade, wer die Finalisten für den Recall sein werden. Die meisten halten dem Druck nicht stand. Ich bin total begeistert.

Wir sind zuletzt dran. Holt wippt nervös mit dem Bein, die Hände hat er in den Hosentaschen vergraben, die Schultern hochgezogen. Nicht gerade aufmunternd. Ich fühle mich, als müsste ich entweder pinkeln und/oder mich übergeben. Weil ich keins von beidem tun kann, trete ich von einem Bein aufs andere und bete, dass mich meine Blase jetzt nicht im Stich lässt.

Erika mustert uns ein paar Sekunden lang.

Mir fällt auf, dass Holt und ich beide die Luft anhalten.

»Also los«, fordert uns Erika auf. »Jetzt haben Sie die Möglichkeit, mich nachhaltig zu beeindrucken.«

Holt schaut mich an, und ich sehe die gleiche Verzweiflung in seinen Augen, die auch in mir aufsteigt. Er will das. Vielleicht genauso sehr wie ich.

Erika lehnt sich vor und sagt mit gesenkter Stimme: »Er bewegt sich, Sie bewegen sich, Miss Taylor. Verstanden? Atmen Sie seine Luft. Finden Sie eine Verbindung.« Sie schaut Holt an. »Wenn Sie nicht die richtige Balance finden, wird das nicht funktionieren. Sie müssen Sie reinlassen, Ethan. Denken Sie nicht darüber nach, machen Sie es einfach. Sie wissen ja, das ist Ihre letzte Chance.«

Er nickt und schluckt.

»Sie haben drei Minuten, um sich vorzubereiten.«

Sie tritt beiseite, und Holt und ich begeben uns zur Beratung ans Ende des Raumes. Er steht zu nah und riecht gut. Es sollte mir eigentlich egal sein, wie gut er riecht, aber mein überfordertes Gehirn ist dankbar für jede Ablenkung, und sein angenehmer Geruch lenkt definitiv ab.

»Hör zu«, raunt er. »Ich will mich nicht blamieren, okay? Also, mach mir das nicht kaputt.«

Ich werde rot vor Ärger. »Wie bitte? Du kannst mir das genauso kaputtmachen. Und was hat Erika damit gemeint, dass es deine letzte Chance ist?«

Er beugt sich nach vorn, schaut mir aber nicht in die Augen. »Ich bewerbe mich zum dritten Mal. Wenn ich es dieses Mal nicht schaffe, bin ich raus. Dann darf ich mich nicht mehr bewerben. Und mein Vater wird mich mit einem dicken, fetten ›Ich hab’s dir doch gesagt‹ begrüßen und von mir erwarten, dass ich Medizin studiere. Ich hab so hart dafür gearbeitet. Ich will das, okay?«

Ich bin verwirrt. Ich hab ihn den ganzen Tag beobachtet. Sind diese Leute blind? »Wieso bist du nicht genommen worden? Du bist doch total gut.« Auf eine verstörend intensive Art und Weise.

Sein Gesichtsausdruck wird für einen Moment weicher. »Ich hab ein Problem … mit dem Zusammenspiel mit anderen. Und offenbar glaubt Erika, dass das eine wichtige Eigenschaft für einen Schauspieler ist.«

»Es sah aber nicht so aus, als hättest du vorhin mit Zoe ein Problem gehabt.«

Er schnaubt verächtlich. »Da war null Verbindung! Ich hab nichts gefühlt, wie immer. Und Erika hat das gemerkt.«

Ich schiele zu der dunkelhaarigen Frau rüber, die uns beobachtet. »Du warst schon mal bei ihr für die Prüfung?«

Er nickt. »Jedes Jahr. Sie will mir gern einen Platz geben, aber verschenken tut sie ihn auch nicht. Wenn ich ihr nicht beweise, dass ich diese spezielle Übung hinbekomme, bei der ich jedes Mal total versagt habe, ist es für mich vorbei.«

»Eine Minute!«, brüllt Erika.

Mein Herz rast. »Hör zu, Holt, dann tu einfach alles, um mit mir eine Verbindung aufzubauen, okay? Ich will nämlich auch nicht rausfliegen. Denn, wenn ich das nicht schaffe, muss ich zurück zu meinen überfürsorglichen Eltern, und damit kann ich verfickt nochmal nicht umgehen. Es mag dich vielleicht überraschen, aber du bist nicht der Einzige, der hier etwas zu verlieren hat, okay?«

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Hast du gerade … verfickt gesagt?«

Ich spüre wie mir das Blut in die Wangen schießt. Er lacht mich aus. Es ist ihm also auch aufgefallen, dass ich nicht wie die anderen die ganze Zeit rumfluche.

»Halt die Klappe.«

Sein Grinsen wird immer breiter. »Echt jetzt? Verfickt?«

»Hör auf! Du verschwendest unsere Zeit.«

Er hört auf zu lachen und seufzt. Er wirkt etwas entspannter. Ich nehme an, das liegt daran, dass seine ganze Angst sich nun auf mich übertragen hat.

»Pass auf, Taylor –«

»Ich heiße Cassie.«

»Wie auch immer. Entspann dich einfach, okay? Wir schaffen das. Schau mir in die Augen und … ach, Fuck, ich weiß doch auch nicht … mach, dass wir was fühlen. Egal was. Bleib immer konzentriert. Das war es, was sonst immer schiefgegangen ist. Konzentrier dich einfach auf mich, und ich konzentrier mich auf dich. Okay?«

»Okay.«

»Und sag nicht mehr ›verfickt‹, sonst muss ich lachen.«

Ich atme aus und versuche, mich zu konzentrieren. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich muss ruhig bleiben.

»Hey.« Er berührt mich am Arm, was meine Konzentration nicht gerade steigert. »Wir schaffen das. Los, also sieh mich an.«

Ich schaue ihm in die Augen. Seine Wimpern sind geradezu lächerlich lang. Als er mich so ansieht, trifft mich etwas wie ein Pfeil in die Magengrube. Er muss es auch spüren, denn sein Mund bleibt offen stehen.

Holt, Ethan atmet scharf ein. »Verdammte Scheiße.« Er blinzelt, aber schaut nicht weg.

Die Spannung zwischen uns ist so intensiv, dass sie schon beinahe greifbar ist. Ich schließe schnell die Augen und atme aus.

»Taylor?«

»Cassie.«

»Cassie«, flüstert er mit leiser, flehender Stimme. »Bitte. Ich schaffe das nicht ohne dich.«

Ich schlucke und nicke. Erika ruft uns etwas zu, und wir gehen auf unsere Position. Dort angekommen wenden wir uns einander zu, nur einen Schritt voneinander entfernt.

Er ist viel größer als ich, also starre ich seine Brust an, die sich hebt und senkt, um den Atem zu beruhigen.

»Bereit?«, flüstert er.

Ich will am liebsten schreien: »Nein, Gott, bitte, ich bin nicht bereit, verfickt nochmal!« Stattdessen sage ich nur: »Ja. Klar.« Als ginge es für uns nicht um etwas lebensentscheidend Wichtiges.

Ich atme tief durch, bevor ich den Blick hebe. Sein Gesichtsausdruck ist jetzt weniger verzweifelt, und ich habe das Gefühl, als würde ich ihn das erste Mal sehen – wirklich sehen. Ich spüre seine Energie. Sie umgibt ihn wie eine Aura aus Hitze. Wir stehen uns ein paar Sekunden nur gegenüber und atmen, während die Luft zwischen uns immer dünner wird. Wir verbinden uns, wie zwei Teile einer Form.

Er hebt die Hand, und ich folge, als hätten wir Tausende unsichtbarer Fäden zwischen unseren Armen. Ich passe die Schnelligkeit meiner Bewegungen genau an seine an, bewege mich, wenn er sich bewegt, atme, wenn er atmet. Unsere Körper sind im völligen Einklang. Es fühlt sich so natürlich an. Natürlicher als ich mich seit langem gefühlt habe. Vielleicht jemals.

Wir gehen einen Schritt aufeinander zu. Er beugt sich nach vorne, ich lehne mich zurück. Ich neige mich zur Seite, er folgt meiner Bewegung. Die unsichtbaren Fäden zwischen uns ziehen sich weiter zusammen. Unsere Bewegungen werden schneller, aber die Spiegelung ist dennoch kontrolliert und präzise. Wie eine komplizierte Choreographie, die wir nie einstudiert haben, an die sich unsere Muskeln aber trotzdem erinnern.

Es ist verrückt.

Wir sind in der Zone. In diesem magischen Zustand, den Darsteller manchmal erreichen, wenn alles fließt und sich öffnet. Das Herz, der Geist, der Körper. Ich habe es schon einmal erlebt, aber noch nie mit einem anderen Schauspieler zusammen.

Es ist total krass.

Wir müssen beide lächeln. Holt ist ziemlich hübsch, wenn er lächelt.

Unsere Arme sind über unseren Köpfen. Als wir sie langsam senken, berühren sich unsere Handflächen. Seine Hände sind groß und warm, und meine Haut kribbelt. Wir lehnen uns gegeneinander, verlagern das Gewicht nach vorn, die Handflächen drücken sich fest aneinander. Ich schaue ihm in die Augen. Wir halten beide die Luft an, ich weiß nicht wieso.

Auf einmal liegt Panik in Holts Blick, und er versteift sich. Er blinzelt und schaut zu Boden. Damit ist die Spannung gebrochen, und unsere Energie verpufft so plötzlich, wie sie gekommen ist. Die Fäden, die uns zusammengehalten haben, lösen sich auf.

Holt weicht einen Schritt zurück und stöhnt, ehe er Erika anschaut. »Sind wir fertig? Sonst musste niemand so lange machen. Wir sind doch fertig, oder?« Seine Haltung ist angespannt.

Erika legt den Kopf schief und mustert ihn interessiert.

Ich senke auch endlich die Hände. Sie sind jetzt ganz kalt, und ich reibe sie an meinen Jeans, mein Herz schlägt schnell und unruhig.

»Sind wir jetzt fertig, oder was?«, wiederholt Holt ungeduldig.

Alles Gute, was ich eben über ihn gedacht habe, ist wie weggeblasen. Er ist so ein Idiot.

»Ja, Mr Holt«, antwortet Erika ruhig und schaut mich an. »Sie und Miss Taylor haben die Aufgabe erfüllt. Gut gemacht. Zwischen Ihnen beiden war eine äußerst interessante Chemie, finden Sie nicht?«

Er starrt zu Boden.

Ihr Lächeln ist herzlich. »Sie können sich setzen. Eine Runde Applaus, bitte.«

Die Gruppe applaudiert stürmisch. Ich höre Gemurmel. Die meisten wirken überrascht, wie gut es war.

Ich bin selbst wohl am überraschtesten.

Holt marschiert zurück zu den Klappstuhlreihen und setzt sich. Zoe schleimt sich von der Seite an ihn ran. Sie berührt ihn am Oberarm und überschlägt sich vor Lob, wie toll er doch gewesen ist. Wenn sie ihre Bluse aufgerissen und ihn angebettelt hätte, sie zu befummeln, wäre sie nicht viel subtiler gewesen. Er ignoriert sie und stützt die Ellbogen auf die Knie.

Ich zwinge mich, ihn nicht weiter anzustarren.

 

Der Rest des Tages vergeht wie im Flug. Immer wieder werden Leute rausgeworfen, die Paarungen durchmischt und weitere Szenen gespielt. Am Ende entlässt uns Erika, und wir versammeln uns vor dem Raum, um auf die Veröffentlichung der Liste für den Recall zu warten.

Wir sind alle tierisch angespannt. Keiner von uns kann sicher sagen, dass er es in die nächste Runde geschafft hat. Sogar Zoe ist unsicher. Sie kaut auf der Unterlippe und geht nervös auf und ab.

Ich knabbere an meiner Nagelhaut und wiederhole im Kopf die beiden Worte: »O bitte, o bitte, o bitte.« Als könnte ich das Universum beschwören, mir zu helfen.

Holt sitzt am Ende des Flurs auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, die Beine an die Brust gezogen. Er sieht aus, als hätte er Schmerzen. Trotz seines komischen Verhaltens tut er mir leid. Alle hier sind nervös, aber ihm geht das Ganze an die Substanz.

Ich gehe zu ihm rüber. Er hat den Kopf zurückgelegt, die Augen sind geschlossen. Als ich ihn an der Schulter berühre, zuckt er zusammen, dabei hab ich ihm keinen elektrischen Schlag verpasst.

»Was zur Hölle?« Er starrt mich finster an. Diesmal wirkt es allerdings wenig einschüchternd, weil er so grün im Gesicht ist, dass er locker in der Muppetshow mitspielen könnte.

»Ist alles okay bei dir?«

Er lässt den Kopf auf die Knie sinken und seufzt. »Mir geht’s gut. Lass mich in Ruhe.«

Ich frage mich, wieso ich es überhaupt versucht habe. »Du bist echt ein Arsch, weißt du das?«

»Ist mir bewusst.«

»Wollte nur sichergehen.«

Ich wende mich zum Gehen, aber er hält mich zurück.

»Hör zu, Taylor … ich …«

»Ich heiße Cassie.«

»Cassie …«

Die Art und Weise, wie er meinen Namen sagt … Ich weiß auch nicht, irgendwie verändert das was in mir. Vielleicht sollte er mich doch lieber wieder Taylor nennen.

Er macht eine Handbewegung, dass ich mich zu ihm setzen soll, und ich folge seiner Einladung. »Die Sache ist die … Wir werden bestimmt keine Freunde, also wieso sollten wir unsere Energie verschwenden?«

Ich blinzle verblüfft. »Äh … okay.«

»Das ist alles? Eine fades Okay?« Er wirkt enttäuscht.

Ich verstehe nicht, wieso. »Naja, ich hab das ›Du und ich werden nie Freunde sein‹-Gespräch noch nie gehabt, ich hab also keine Ahnung, wie man darauf reagiert. Sollte ich dir dankbar sein, dass du mich auf das Offensichtliche hingewiesen hast, oder …?«

Er reibt sich mit den Händen übers Gesicht und stöhnt.

»Was denn?«, frage ich genervt. »Ich weiß absolut nicht, was du von mir erwartest. Ich hatte gar nicht vor, mit dir befreundet zu sein.«

»Gut«, sagt er, immer noch mit den Händen vor dem Gesicht.

Ich atme tief durch und versuche, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Was ist eigentlich dein Problem? Ich hab dir da drinnen heute den Arsch gerettet, und du behandelst mich wie den letzten Dreck?«

»Ja.« Er hat die Schultern hochgezogen. »Weil du auch so …«

»Was? Nervig bin?«

»Ambivalent bist.«

Damit hatte ich nicht gerechnet. »Oh. Ich … hm?«

Er seufzt und schüttelt den Kopf. »Ich hab dich beobachtet, wie du vorhin das Beliebtheitsspiel mit den anderen gespielt hast. Den coolen Kids das zu geben, was sie sehen wollen, ist voll lächerlich. Die meisten sind eh nur nervige Idioten, die die Genialität eines Dollarscheins besitzen. Aber mir gegenüber bist du ein ungeduldiges Nervenbündel und schmerzhaft ehrlich.«

Bis er es gesagt hat, ist es mir nicht aufgefallen, aber es stimmt. Ich habe noch nie, wirklich noch nie, mit jemandem so gesprochen wie mit ihm. Ich lasse andere eigentlich nie merken, wenn ich genervt oder ungeduldig bin. Das behalte ich immer schön für mich. Ich passe mich an, hab ich schon mein ganzes Leben lang getan. Wenn mich jemand mal nicht mag, dann weil ich es darauf anlege.

Aber bei ihm ist alles anders.

»Das muss an dir liegen. Also, was ist mit dir?«, entgegne ich. »Was ist deine tragische Geschichte?«

»Die ist schnell erzählt.« Er lacht bitter. »Ich bin ein Arschloch.«

»Das weiß ich schon.«

»Nein, tust du nicht.«

»Ähm, doch, tue ich. Du hast mich den ganzen Nachmittag so behandelt, als hättest du Angst, dass ich dich mit Lepra infiziere. Also, ja, ich weiß es.«

Er nickt. »Gut so. Dann weißt du ja, dass du dich besser von mir fernhältst.«

»Ich bin mir sicher, das lässt sich einrichten. Wenn Erika die Recall-Liste ausgehängt hat, werden wir uns eh nie wieder sehen. Problem gelöst.«

»Wie meinst du das?«

»Weil du bestimmt in der nächsten Runde bist und ich nicht.«

Er senkt den Blick und fummelt an seinen Schnürsenkeln herum. »Da wär ich mir mal nicht so sicher. Du warst ganz gut heute. Mehr als ganz gut.«

Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass er mir gerade ein Kompliment gemacht hat. »Oh, wow, danke. Und das aus deinem Munde. Du warst auch ganz gut.«

Er schaut auf und lächelt beinahe. »Ach ja?«

Ich verdrehe die Augen. »Bitte! Du weißt genau, dass du großartig warst.«

»Ja, stimmt, das war ich«, meint er und nickt.

»Und so bescheiden!«

»Und gutaussehend. Es muss echt furchtbar sein, nicht ich zu sein.«

Ich schüttle den Kopf. »Okay, wenn du seit drei Jahren versuchst, hier reinzukommen, was hast du denn die restliche Zeit gemacht?«

Er reibt die Hände aneinander. »Meistens arbeite ich für eine Baufirma in Hoboken. Die bauen Sets für Broadway-Shows. Ich hab gedacht, wenn ich schon nicht auf der Bühne sein kann, dann will ich wenigstens hinter der Bühne arbeiten.«

»Deshalb sind deine Hände so rau?«

Er schaut mich fragend an.

»Bei der Spiegel-Übung«, erkläre ich, »als sich unsere Hände berührt haben, waren deine Handflächen so rau.«

Er betrachtet seine Hände. »Ich bezeichne sie lieber als Arbeiterhände. Tonnen von Setmaterial herumzuwuchten ist kein Kinderspiel. Aber – es ersetzt das Fitnessstudio.«

»Daher hast du also …« Ich zeige auf seine Schultern und Arme.

Er nickt lächelnd mit dem Kopf. »Ja, daher hab ich all das. Und genug Geld, um zwei Jahre durchzukommen, wenn ich hier tatsächlich genommen werden sollte.«

»Du wirst genommen«, betone ich.

Er starrt mich an, als wäre es völlig unverständlich, dass ich an ihn glaube. »Wenn du das sagst, Taylor.«

Ich gebe es auf, ihn auf meinen Vornamen hinzuweisen. Es ist wahrscheinlich sowieso besser, wenn wir beim Nachnamen bleiben, wo wir doch eh keine Freunde werden.

Nur, dass es sich so anfühlt, als wären wir schon welche.

Wir sitzen einen Moment lang schweigend nebeneinander. Dann geht die Tür auf, und alle springen auf. Erika erscheint mit einem Blatt Papier.

Es ist totenstill, die Luft ist schwer vor Erwartungen.

»Für alle, deren Name sich auf dieser Liste befindet, herzlichen Glückwunsch. Sie können morgen wiederkommen, um in die zweite Bewerbungsrunde zu gehen. Die, die nicht auf der Liste stehen, haben uns leider nicht überzeugt. Sie können es im nächsten Jahr wieder versuchen. Vielen Dank für Ihre Zeit.«

Sie dreht sich um und klebt das Blatt an die Tür, bevor sie sie hinter sich schließt.

Alle stürmen auf die Tür zu, um möglichst schnell einen Blick auf die Liste zu erhaschen. Ich schiebe mich nach vorn, innerlich schon auf die große Enttäuschung eingestellt.

Als ich es endlich nach vorn geschafft habe, halte ich die Luft an.

Es stehen nur drei Namen auf der Liste.

Ethan Holt.

Zoe Stevens.

Und … Cassandra Taylor.

Der Rest der Gruppe ist raus.

Ich stehe unter Schock.

Ich hab es geschafft.

Verfickt, ja!

Holt steht hinter mir. Er seufzt erleichtert auf. »Fuck! Danke.«

Ich drehe mich um. Er lässt den Kopf hängen und sieht aus wie ein zur Todesstrafe Verurteilter, der gerade noch einmal davon gekommen ist.

»Ach, das ist ja süß, dass du dich so für mich freust«, sage ich zynisch. »Du hast doch nicht ernsthaft daran gezweifelt?«

»Dass du weiter bist? Ganz und gar nicht. Glückwunsch!«

»Gleichfalls. Ich nehme an, die Nervenheilanstalt kann dein Bett anderweitig vergeben. Zumindest mal für einen Tag.«

»Ja, sieht so aus.« Er sieht mich an, und mein Bauch kribbelt wie verrückt.

Ich hab das Gefühl, noch was anderes sagen zu müssen, aber mein Verstand ist vernebelt und streikt. Also stehe ich einfach nur da.

Er sagt auch nichts mehr. Er schaut mich nur an. Sein Gesicht ist faszinierend auf eine unverschämt gutaussehende Art und Weise.

»Na dann«, meine ich schließlich, nachdem wir uns ein paar Sekunden peinlich angeschwiegen haben, »sehen wir uns ja morgen.«

Er nickt. »Klar. Bis dann, Taylor.«

Er schnappt sich seine Tasche und geht davon. Ich gehe auch, aber in der Gewissheit, ihn am nächsten Morgen wiederzusehen. Ich freue mich darauf – und fürchte mich auch ein wenig.

Noch nie habe ich so auf jemanden reagiert.

Ich bin mir ziemlich sicher, das verheißt nichts Gutes.

3

Zurück auf Anfang

2013 – September

New York City

Tagebuch von Cassandra Taylor

 

Liebes Tagebuch,

 

die letzte Bewerbungsrunde an der Grove war die Hölle. Die Interviews waren das Schlimmste. Eine Jury aus Dozenten der Schule saß an einem langen Tisch und quetschte uns über unser Leben, unsere Familie, unsere Vorlieben und Abneigungen aus.

Die Jury erwartete, dass man einfach man selbst war. Das fand ich hart.

Am Ende wandte sich Erika an mich. »Cassandra, du bist ein schlaues Mädchen. Du könntest an jeder Uni studieren, jeden Beruf wählen. Wieso möchtest du Schauspielerin werden?«

Ich weiß, ich hätte meine Leidenschaft für das Theater anführen sollen, meine Liebe zu dieser Kunstform, ihre Bedeutung in einer Welt, die geprägt ist von austauschbaren Idealen und billigen Fernsehprogrammen. Aber sie schaute mich so durchdringend an, dass mir absolut nichts Schlaues einfiel, womit ich sie würde einlullen können. Also sagte ich einfach das Erste, das mir in den Sinn kam.

»Ich will Schauspielerin werden, weil ich nicht weiß, wer ich wirklich bin. In andere Rollen zu schlüpfen, empfinde ich als Erleichterung.«

Sie hielt meinem Blick für einen Moment stand, nickte dann und kritzelte etwas auf ihren Notizblock. Wahrscheinlich so was wie: verrückter, emotional zurückgebliebener Teenager mit mangelndem Selbstbewusstsein. Besser keine schnellen Bewegungen in ihrer Nähe machen.

Als ich den Raum verließ, fühlte ich mich, als hätte man mich in meine Einzelteile zerlegt und nicht wieder zusammengesetzt.

Allerdings musste ich doch etwas richtig gemacht haben, denn drei Monate später erhielt ich die Zusage. Als ich den Brief aufmachte, schrie ich so laut, dass sich die Nachbarn wunderten.

Ich wusste, meine Eltern waren alles andere als begeistert von meiner Berufswahl oder der Tatsache, dass ich ans andere Ende des Landes ziehen würde. Aber sie wussten auch, dass die Schauspielerei meine große Leidenschaft war, und dass die Zusage von der Grove eine Riesensache war. Es half sicherlich auch, dass ich ein Teil-Stipendium bekam, mit dem ich immerhin die Hälfte meiner Studiengebühren und die Wohnung auf dem Campus bezahlen konnte. Wir gehörten wirklich nicht zu den Reichsten, deshalb war das ein großer Vorteil.

Insgeheim hoffte ich die ganze Zeit, dass Holt es auch geschafft hatte.

Ich redete mir ein, dass ich es nur deshalb hoffte, weil ich dann wenigstens eine Person kennen würde. Eine etwas nervige, seltsam faszinierende Person.

 

2007 – September

Westchester, New York

The Grove

Erste Unterrichtswoche

Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht gehe ich durch meine neue Wohnung.

Sie hat zwei Schlafzimmer, dazwischen ein kleines Badezimmer, eine kombinierte Wohn-Ess-Ecke und eine kleine Küche. Die Möbel sind alt und abgewetzt, der Teppich ist scheußlich und hat Flecken, über deren Herkunft ich nicht mal nachdenken will. Außerdem würde es mich nicht wundern, wenn der Nachbar über uns bei Vollmond nackt tanzen und dabei Nagetiere opfern würde. Der Typ ist echt schräg. Aber trotz alledem ist die Wohnung perfekt und wunderbar, und – es ist meine.

Naja, ich teile sie mir mit einer Theatertechnik-Studentin namens Ruby, aber trotzdem …

Ich kann tun, was ich will. Essen, was ich will. Ins Bett gehen, wann ich will. Keine Eltern, die jede kleinste Bewegung von mir zur Kenntnis nehmen. Die vielen Möglichkeiten lassen mich schon fast schwindeln.

»Du schuldest mir 30 Dollar für die Lebensmittel«, meint Ruby, während sie noch den Kassenzettel studiert. »Nee, warte, 34. Die Tampons waren ja auch für dich.«

Es ist schon ein bisschen komisch, mit einer wildfremden Person zusammenzuziehen und plötzlich die intimsten Details miteinander zu diskutieren, aber seit wir uns vor ein paar Tagen kennengelernt haben, verstehen Ruby und ich uns eigentlich ganz gut. Trotz der Tatsache, dass Ruby das genaue Gegenteil von mir ist. Ich bin mausbraun, sie ist feuerrot. Ich bin nur durchschnittlich hübsch, sie ist atemberaubend. Ich passe mich immer an, sie ist direkt und brutal ehrlich.

Sie lässt sich auf unsere hässliche braune Plastikcouch fallen und zündet sich eine Zigarette an. Dann streckt sie mir die Packung entgegen, und ich nehme mir auch eine.

Ach ja, ich rauche jetzt.

Also, eigentlich nicht, aber als Ruby meinte, dass sie raucht, hab ich einfach gesagt, ich auch. Wir brauchten doch wenigstens eine Gemeinsamkeit! Außerdem erinnerte ich mich noch, dass bei den Bewerbungstagen fast alle geraucht hatten, also macht man das wohl so. Und meine Mutter würde vor Wut an die Decke gehen.

Alles gute Gründe, damit anzufangen.

Sie gibt mir Feuer, ich ziehe zaghaft an dem Glimmstängel und muss sofort husten. Ruby schüttelt den Kopf.

Ich bin der schlechteste Raucher-Lehrling der Welt.

»Also«, setzt sie an und bläst genüsslich den Rauch aus, »du bist heute wieder mit kochen dran. Leider.«

»Hey«, wehre ich mich. »Ich dachte, was ich neulich gekocht hab, war nicht schlecht – dafür, dass ich vorher noch nie gekocht habe.«

»Liebste Mitbewohnerin«, sagt sie seufzend, »du hast es geschafft, Spaghetti mit Tomatensauce zu versauen. Jetzt mal im Ernst, wenn du nicht mal das hinbekommst, werden wir das College nie überleben.«