Balkan Boogie - Elisabeth Maria Pfadenhauer - E-Book

Balkan Boogie E-Book

Elisabeth Maria Pfadenhauer

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Beschreibung

Begegnungen auf und mit dem Balkan, seinen Menschen, seiner Natur, seiner Kultur und seiner Geschichte. Zwanzig Kurzgeschichten, Anekdoten und Erzählungen aus Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien, Griechenland, Rumänien, Bulgarien, der Republik Moldau und dem Kosovo. Dieses Buch ist kein Reiseführer und kein Reisebericht, es beschreibt Begegnungen mit großartigen Menschen und ihrer Geschichte.

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Seitenzahl: 71

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Elisabeth Maria Pfadenhauer

Andreas Lösche

Balkan Boogie

Impressum

Texte: © Copyright by Elisabeth Maria Pfadenhauer und Andreas Lösche

Umschlag:© Copyright by Andreas LöscheVerlag:EMP-Verlag, Kleberstraße 49, 96047 Bamberg

epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

ISBN 978-3-****-***-*

Printed in Germany

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Mostar

Băile Herculane

Mouresi

Olymp

Tiraspol

Karitsa

Ohrid

Rila-Seen

Prishtinë

Athen

Bukarest I

Sfântu Gheorghe

Samarina

Timişoara

Bâlea Lac

Tyolenovo

Bukarest II

Višegrad und Sarajevo

Câmpulung Moldovenesc

Plovdiv

Mostar

Am 9. November 1993 zerschossen kroatische Panzer die 1566 erbaute Stari Most, die Alte Brücke, ein einzigartiges, meisterliches Bauwerk aus der osmanischen Zeit, die beide Teile der muslimischen Altstadt von Mostar verband.

Es ist heiß, fast 40 Grad hatte es gestern Mittag und heute sollte das Thermometer noch ein Grad mehr anzeigen. Adem blickt von der Terrasse des Hotels, die im Schatten einer Rotbuche liegt, auf die Neretva. Er rührt in seinem Kaffee. Anders als im Türkischen wird er ganz ohne Zucker zubereitet.

Es ist noch Zeit. Die Gäste sollten spätnachmittags kommen. Das kleine Hotel hatte erst eröffnet und war noch nicht sehr bekannt, daher fanden bisher nur vereinzelt Touristen hierher. Das Haus liegt direkt an der Neretva, man kann über eine steile Treppe bis zum Fluss absteigen. Adem ist froh, diesen Nebenjob bekommen zu haben. Eigentlich ist er Lehrer, doch sein Gehalt von 1.000 bosnischen Mark, das sind umgerechnet 500 Euro, reicht nicht zum Leben. So arbeitet er das ganze Wochenende hier in der Villa Neretva. Er ist Mitte dreißig und lebt mit seiner Mutter zwanzig Kilometer von Mostar entfernt. Sie sind sehr bescheiden. Das Häuschen, in dem sie wohnen, hat noch Einschusslöcher. Gerne würde er die Zeichen der Vergangenheit entfernen, doch irgendetwas in ihm sträubt sich, die Erinnerung zu übermalen.

In dem Garten, der rund um das Haus angelegt ist, wachsen alle Sorten an Gemüse, die den heißen Sommer ertragen. Zudem haben sie einen göttlichen, unverwüstlichen Feigenbaum. Adem hat eine Tüte voll überreifer Früchte mitgenommen.

Er geht von der Terrasse zehn Stufen nach oben in den Raum, der sowohl als Rezeption als auch als Lounge dient. Frühstück wird nicht angeboten, aber es werden Drinks serviert und bosnischer Kaffee in wunderschönen goldenen Kännchen. Sein Handy surrt. Eine Nachricht der Gäste. Sie kommen früher. Eine halbe Stunde würden sie noch brauchen.

Eilig nimmt er die Treppe zu dem reservierten Doppelzimmer. Es ist alles bereit. Die Bettdecken sind ordentlich gefaltet, frische Handtücher und Hygieneartikel liegen bereit. Das Reinigungspersonal hat ordentliche Arbeit geleistet. Es war nicht anders zu erwarten. Er hatte Fahira empfohlen. Sie lebt im gleichen Dorf wie er und seine Mutter.

Er hat darum gebeten, dass die Gäste nochmals anrufen, wenn sie vor dem Hoftor stehen. Das Hotel hat eigene Parkplätze. Als das Telefon klingelt, geht er nach unten. Er öffnet die Schranke und weist ihnen einen Platz zu. Das Auto ist verschmutzt vom Staub der Straße, vermutlich haben sie eine lange Reise hinter sich. Es ist ein osteuropäisches Modell.

Sie wechseln die üblichen englischen Floskeln und er hilft ihnen beim Koffertragen. Er zeigt ihnen das Zimmer, sie sind sehr angetan. Sie plaudern darüber, in welchem Restaurant sie am Abend gut essen können und ein wenig über die Anreise. Dass sie über Kroatien gekommen sind, erwähnen sie nicht.

Dann lässt er sie das übliche Formular ausfüllen und sie geben es ihm zusammen mit ihren Reisepässen zurück. Er nimmt überrascht die weinroten Hefte und bedankt sich mit Wehmut im Gesicht: „Danke sehr!“ Er erzählt, dass seine Schwester in Deutschland lebt und dort verheiratet sei und dass sie bald zu Besuch kommen würde. Seine Mutter würde sich sehr darüber freuen, der Vater wäre leider im Krieg verstorben. Sein Deutsch ist nahezu akzentfrei.

„Wissen Sie, ich war fünf Jahre alt, als wir im Sommer 1992 nach Deutschland gegangen sind. Meine Schwester, Mama und ich. Wir hatten eine Tante und einen Onkel, die in Deutschland lebten. Zwischen 1960 und 1970 wurden sie als Gastarbeiter angeworben. Sie nahmen uns aufgrund der dramatischen politischen Situation auf. 1998 wurden wir wieder abgeschoben, da für Deutschland der Krieg hier in Bosnien beendet war. Wir kamen zurück und es empfing uns ein völlig zerstörtes Mostar. Das war sehr traumatisch für mich als elfjährigen Jungen.“

Erst 2013 führte Deutschland, EU-Recht folgend, densubsidiären Schutz ein: Droht Schutzsuchenden bei einer Rückführung in das Herkunftsland etwa aufgrund von Krieg oder Bürgerkrieg Lebensgefahr, können sie eine befristete Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik erhalten.

„Meine Schwester ist zehn Jahre älter und sie ist bald danach nach Deutschland zurückgekehrt und hat ihren damaligen Freund geheiratet. Damit konnte sie bleiben. Ich habe dann hier Germanistik studiert und bin Deutschlehrer geworden. Doch das Gehalt reicht nicht zum Leben. Deswegen stehen wir hier nun zusammen und unterhalten uns über Vergangenes. Geschichten und Schicksale müssen aber erzählt werden, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.“

Später am Abend laufen die Gäste durch die Altstadt Mostars, schlittern auf dem glatten Kopfsteinpflaster, das durch den Bazar führt. Sie gehen über die neu erbaute Brücke und machen ein Foto von sich und der Brücke im Hintergrund. Sie sehen die Einschusslöcher in den Häusern und das Museum zum Bruderkrieg. Als sie in ihr Hotelzimmer kommen, steht dort ein Teller voll süßer, reifer Feigen.

Băile Herculane

Ich steh' auf hohem Demoglod

Auf steiler Felsenschanze

Von frischer Maienluft umweht

Umstrahlt vom Sonnenglanze.

(Sisi)

Es ist das Jahr 1887. Die Kaiserin ist eine exzellente Reiterin. Elegant und mit einer sichtbaren Körperspannung harmoniert sie mit der Bewegung ihrer schwarzen Stute. An Heiligabend wird sie 50 Jahre alt werden, doch ihr Körper ist der einer jungen Frau. Mehrere Stunden am Tag widmet sie ihrem Körperkult. Sie hat sich in den kaiserlichen Gemächern ein eigenes Turnzimmer mit Sprossenwand und anderem Turngerät einrichten lassen, um der Disziplin der körperlichen Ertüchtigung täglich nachgehen zu können. Sie hasst es, älter zu werden und sie verachtet die Fettleibigkeit. Ihre Zofen haben es nicht einfach. Sie weiß das. Heimlich lassen sie die Haare, die in der Bürste bleiben, verschwinden, damit sie nicht sieht, dass es immer mehr werden.

Ihre Haare reichen ihr bis zu den Knöcheln. Täglich müssen sie gekämmt und gepflegt werden. Cognac und Eigelb sind ein Wundermittel. Abends legt sie sich frisches Kalbfleisch auf das Gesicht und lässt es unter einer Ledermaske bis zum Morgen einwirken. Der Kaiser liegt sehr selten bei ihr. Die meiste Zeit des Jahres ist sie ohnehin auf Reisen. „Mich bindet nicht Ort und nicht Stelle; Ich fliege von Welle zu Welle," denkt sie.

Sie schreibt Gedichte. Im Hofsalonwagen, in dem sie bis vor einer halben Stunde gereist ist,liegt das Werk ihres Lieblingsdichters Heinrich Heine.Im Herzen ist sie wie er für die Republik und gegen die Monarchie.Sie liest Shakespeare, Goethe, Lord Byron und Shelley.Im letzten Jahr hat sie den Kaiser mit Katharina Schratt bekannt gemacht. So hat der Kaiser sein Vergnügen und sie ist bewahrt vor dem vulgären Akt der Körperlichkeit.„Ach Ludwig!“, seufzt sie und zügelt ihr Pferd. Im letzten Jahr ist ihr Seelenverwandter, ihr Cousin Ludwig, im Starnberger See ertrunken. Sie vermisst ihn immer noch schmerzlich und wird dies wohl bis zum letzten Atemzug tun.

Bald wird sie Herkulesbad erreichen. Eingebettet ist der Kurort ins Cerna-Tal mit seinen insgesamt 16 Quellen, die gegen alle Arten von Krankheiten hilfreich sind. Für sie ist es die zauberhafteste Therme Europas. Sie war oftmals mit Franz hier und am Ende des Tages, nachdem ihr Körper von den sprudelnd warmen Quellen ganz weich wurde und die Röte des Weines ihre Wangen färbte, teilte sie mit ihm das Kopfkissen. Doch dieses Jahr wird sie wohl alleine bleiben und er bei Katharina Schratt in Wien.„Ich finde keine Heimat in diesem Leben“, denkt sie.„Doch für diesen Augenblick“, atmet sie und schließt kurz die Augen, um mit klarem Blick den kaiserlichen Glanz des Badeortes, der sich hinter der kleine Brücke erstreckt, in ganzer Schönheit erfassen zu können.

Es ist das Jahr 2023. „Es war ein faszinierender Tag gleich einer Erzählung über das Gewesene und das Jetzt – morbider Charme spiegelt sich im Glitzer der Plastikbuden“, denkt sie und zieht ihren hellblauen Rollkoffer hinter sich her. Über 700 km waren sie von Wien kommend an der Donau entlang gefahren. Băile Herculane, das Bad, das Sisi und ihr Kaiser und der ganze Jet Set des 19. Jahrhunderts zum mondänen Kurort werden ließen, versprach einen beeindruckenden Kurzaufenthalt.