Bardolino Criminale - Gudrun Grägel - E-Book

Bardolino Criminale E-Book

Gudrun Grägel

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Beschreibung

Worauf hat sie sich da nur eingelassen? Doro Ritter ist auf dem Weg ins wunderschöne Bardolino am Gardasee. Über die Aufgabe, die sie dort erwartet, ist die Gourmetköchin aus München allerdings alles andere als begeistert. Ihr Vater hat sie dazu überredet, als Undercover-Detektivin auf dem Weingut der Buccellis zu ermitteln. Der Hausherr Enzo leidet darunter, dass sich seine Frau Paola seit geraumer Zeit sehr seltsam verhält. Doro soll herausfinden, was dahintersteckt. Bei ihren Nachforschungen macht sie sich keine Freunde, bis schließlich sogar ein Mord geschieht …

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Gudrun Grägel

Bardolino Criminale

Gardasee-Krimi

Zum Buch

Fatale Geheimnisse Gourmetköchin und Hobby-Detektivin Doro Ritter aus München ist unterwegs zu einem Undercover-Einsatz ins wunderschöne Bardolino am Gardasee und fragt sich bereits jetzt, worauf sie sich da nur eingelassen hat. Enzo, Hausherr des Weinguts Buccelli, leidet darunter, dass sich seine Frau Paola seit geraumer Zeit von ihm distanziert und hinter seinem Rücken regelmäßig große Summen vom Familienkonto abgehoben hat. Er will endlich wissen, was dahintersteckt, und hat Doro engagiert, um ihm zu helfen. Getarnt als »kulinarische Unterstützung« für seine Weinproben soll sie herausfinden, was Paola zu verbergen hat. Aber heiligt der Zweck alle Mittel? Lügen, ein Toter und unter jedem Stein ein weiteres Geheimnis drängen Doros moralisches Dilemma in den Hintergrund. Sie stürzt sich in die Detektivarbeit, doch schon bald scheint es, als hätte sie ihre Gegner unterschätzt – höchste Zeit, dass ihr Freund Vinc aus Deutschland Doro zu Hilfe eilt …

Gudrun Grägel lebt und schreibt im bayerisch-schwäbischen Königsbrunn. Ihre Tätigkeit in einer Apotheke sowie eine pädagogisch-psychologische Ausbildung schärfen ihren Blick für seelische Abgründe und die Anatomie von Tätern und Opfern. Außerdem liebt sie Italien und Dolce Vita – was läge da näher, als ihre Leser:innen auf Krimi-Reisen an den Gardasee zu schicken? »Bardolino Criminale« ist bereits der vierte Band ihrer beliebten Reihe um die Münchner Spitzenköchin Doro Ritter und ihren sympathischen Freund Vinc.

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Susanne Tachlinski

Herstellung/Kartengestaltung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © giumas / stock.adobe.com

ISBN 978-3-8392-7494-1

Widmung

Für

Martin und Flo

Mama

Brigitte, Claudia, Christine und Wolfgang

Zitat

Keine Worte drücken die Anmut dieser so reich bewohnten Gegend aus.

Früh um zehn Uhr landete ich in Bardolino, lud mein Gepäck auf ein Maultier und mich auf ein anderes. Nun ging der Weg über einen Rücken, der das Tal der Etsch von der Seevertiefung scheidet.

(Goethe, Italienische Reise, September 1786)

Personen

Doro Ritter, 27 Jahre, für sie ist das Glas nie halb leer, sondern immer halb voll

Vincent Wolkenberg, genannt Vinc, der Mann an Doros Seite

Sascha Ritter, Doros Vater, der mal wieder eine Aufgabe für sein Töchterchen hat

Valeria Malvaldi, Cousine von Enzo Buccelli und Freundin von Sascha Ritter

*

Paola Buccelli, 38 Jahre, führt mit ihrem Ehemann Enzo das Familienweingut der Buccellis

Enzo Buccelli, 41 Jahre, Paolas Ehemann, hat den Namen seiner Frau angenommen, der Name hat Tradition

Laura Buccelli, 14 Jahre, ihre pubertierende Tochter

Pietro Buccelli, 16 Jahre, ihr Sohn, eifert den politischen Ambitionen seines Onkels nach

Ugo Buccelli, 48 Jahre, Paolas älterer Bruder, ist nicht zum Weinbauer geboren

Fabrizio Buccelli, 26 Jahre, Ugos Sohn, hat Weinbau/Önologie studiert

Verstorben: Giovanni Buccelli, Vater von Paola und Ugo

Verstorben: Elisabetta Buccelli, Mutter von Paola

Signora Brasi, arbeitet im Büro auf dem Buccelli’schen Weingut

*

Frieder Bachmann, genannt Jacko, aber nur von Doro

*

Und wie immer:

Rambo, Doros stattlicher Kater, König des Viktualienmarkts, würde auch hier den Fall schnell lösen – wenn man ihn mitgenommen hätte

Karte

 

Prolog

Schwarz und verlassen liegt der See in seinem Bett. Die frühen Fischer werden bald kommen, doch noch gehört der See sich selbst und der Nacht. Das Paket ist schwer. Er entzündet den Docht der Öllampe. Das funzelige Licht wirft zuckende Schatten. Bedächtig löst er das Tau, schiebt das Boot vom Steg aus in die Dunkelheit. Sachte Wellen schwappen leise an die Planken des Bootsschuppens. Kein Motor, nur die Ruder in seinen Händen tragen das Boot und ihn hinaus in die Finsternis. Sanft spiegelt sich das Mondlicht auf der schwarzen Wasseroberfläche. Er schwitzt jetzt trotz der Kühle, zieht die Ruder ein und verharrt für einen Augenblick. Stille. Dann hievt er das Paket über den Bootsrand. Mit einem leisen Gurgeln gleitet es in die Tiefe. Grabestiefe. Gut so. Er atmet auf.

Ein Platschen. Ein Fisch holt sich stumm ein Maul voll kühler Nachtluft. Noch einmal. Nein, kein Fisch. Ein … Paddel. Platsch. Wieder und wieder. Er hat Besuch. Schnell entfernt sich das Geräusch. Ein hektisches, aus dem Takt gekommenes Platschen. Angstvoll. Die Gewissheit des Gesehenen im Rhythmus. Der Motor zerreißt die Stille. Laut und kraftvoll schießt das Boot voran. Er hat eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wohin der unvermutete Zeuge will. Ein hässliches Knirschen, als das Kajak sich dem ungebremsten Stoß des Fischerbootes nicht widersetzen kann. David gegen Goliath. Der Schrei verschwindet im See. Taucht wieder auf, bis das Boot für Ruhe sorgt. Der Mond zieht sich als stummer Zeuge hinter die Wolkendecke zurück. Beobachter, kein Richter.

An der östlichen Gardesana blitzen von Zeit zu Zeit Autoscheinwerfer auf und lösen sich dann wieder in der Dunkelheit auf. Er nähert sich dem Ufer, orientiert sich an dem flackernden Licht der Öllampe, das die Wasseroberfläche um das offen stehende Bootshaus schwach orange färbt. Bald liegt das Boot wieder vertäut und unschuldig im Schutz seiner Behausung.

Kapitel 1 

Una proposta inaspettata – Ein unerwarteter Vorschlag

Venerdì (Freitag) – 15. Oktober München

Heißer Dampf schlägt mir entgegen, als ich die Spülmaschine öffne, um die letzte Ladung Teller und Besteck in die vorgesehenen Schränke und Schubladen zu verräumen.

»Bitte schön, Paps, gern geschehen«, murmle ich vor mich hin, fröne dem Selbstmitleid, weil alle anderen schon weg sind und die restliche Arbeit an mir hängen bleibt. Als Tochter des Chefs habe ich halt nicht nur Privilegien, sondern auch ein paar Sonderpflichten.

Die mir aber, ehrlich gesagt, nichts ausmachen. Meistens zumindest.

Die Wasserflecken an der Edelstahlablage entgehen meinem prüfenden Blick nicht. Zur abschließenden Politur lasse ich das Baumwolltuch über die Fläche gleiten.

Die feuchten Lappen werfe ich zu den gebrauchten Tischdecken und Servietten in die Wäschebox. Hier, im »Macis«,wacht mein Vater nicht nur über die Qualität der Speisen und deren Zubereitung, sondern auch mit Argusaugen über Sauberkeit und Hygiene.

»In einem Sternerestaurant muss alles stimmen«, sagt er immer, »vom streifenfreien Weinglas bis zur sauberen Klobürste.«

Auf meine Frage, wie er das meine, hat er nur minimal seine rechte Augenbraue gehoben. Er muss auch nichts sagen, ich kenne ihn seit 27 Jahren, wir haben das beste Verhältnis und ich arbeite gerne mit ihm zusammen, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind.

Ich kann’s mir nicht verkneifen und lasse ein paar Gewürzdosen auf der Ablage stehen … Ich sehe förmlich vor mir, wie er bei seinem täglichen Abschlussrundgang durch seinen Gourmettempel eilt und die Dosen ins richtige Regal stellt, kopfschüttelnd wahrscheinlich, weil er mich genauso gut kennt wie ich ihn. Ist spät geworden heute, die letzten Gäste haben den Abend und den Abschlusswein sichtlich genossen und so soll es auch sein. Ich wickle das schwarze Schürzentuch von meinen Hüften und stopfe es in die Wäschebox.

Aus dem Gastraum dringen Stimmen zu mir herüber. Hat Paps Besuch bekommen? Eigentlich wollte er ja noch was mit mir besprechen. Ich lehne mich in den Türrahmen und stelle meine Lauschantennen auf Empfang. Oh, oh, das klingt nach Ärger. Da drücke ich mich lieber noch ein bisschen in der Küche herum, denn ich will nicht zwischen die Fronten geraten. Es ist bereits nach Mitternacht, der tägliche Abreißkalender hinkt mittlerweile 14 Minuten hinterher. Keine Küchenweisheiten, sondern kluge Sprüche von weisen Leuten. Gestern war’s: »Zufall ist ein Wort ohne Sinn; nichts kann ohne Ursache existieren.« Bin mir nicht sicher, ob ich hier mit Voltaire übereinstimme. Ich reiße das Blatt ab. Eher schon mit dem Spruch für heute, von Johann Peter Hebel: »Merke: Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst.« Definitiv. Nach einer kleinen Weile verzieht sich das Gewitter drüben, es war »Tief Lollo«, wie ich an der Frauenstimme erkennen konnte.

Ich setze mich zu Paps an den Tisch und schenke mir ein Glas Rotwein ein.

Er stöhnt. Stress wegen einer TV-Kochshow. Er soll als Juror an einer Sendung teilnehmen, was er auch gerne möchte, aber wie immer hat er ein Zeitproblem. Und jetzt auch noch das. Er hat ein schlechtes Gewissen.

»Was war los?«

»Lollo«, seufzt Paps und reibt über sein Gesicht.

»Ja, das war nicht zu überhören, aber ich denke, ihr habt Schluss gemacht?«

»Haben wir auch. Schon vor Monaten. Aber sie ist davon überzeugt, dass wir das ideale Paar sind und ich der ideale Vater für ihre Kinder.«

»Ich lach mich schlapp.«

»Das ist nicht lustig«, schnappt Paps beleidigt. »Ich habe eine erwachsene Tochter – zumindest wenn es nach dem Alter geht.«

»Vorsicht«, warne ich.

»Mal ehrlich, Doro, ich bin zu alt für solche Ideen.«

»Da könntest du recht haben. Vielleicht solltest du dir mal eine Freundin zulegen, die älter ist als deine Tochter. Ich meine, eine Frau in deinem Alter …«

»Hab ich ja. Valeria ist fast so alt wie ich oder, besser gesagt, so jung wie ich.« Seine Kummerfalten wandeln sich zu feinen Lachfältchen.

»Na, immerhin kannst du über dich selbst lachen.«

»So wie du, mein liebes Töchterlein.«

Stimmt, manchmal fällt uns durchaus auf, dass wir, sagen wir mal, etwas speziell sind.

Ich mag Valeria. Sie ist Italienerin mit eigenem Lokal in Valeggio am südlichen Gardasee und macht die weltbesten Tortellini, die Nodi d’Amore. Ich habe sie im Juni kennengelernt und Paps’ freundschaftliche Beziehung zu ihr hat sich zu einer Liebesbeziehung entwickelt. Aber er hat sich nicht deshalb von Lollo getrennt, sondern schon vorher. Ich glaube, Lollos familiäre Anwandlungen haben ihm Angst gemacht. Das Kinn in die Hand gestützt, mustere ich Paps. Der sinniert vor sich hin. Ich schau auf die Uhr.

»Okay, wird langsam Zeit. Ich hab zwar morgen frei, aber mir langt’s für heute. Dein Liebesleben musst du selber auf die Reihe bringen, aber wolltest du nicht noch etwas mit mir besprechen? Ich vermute, dass es nicht um die Frage geht, wen ich an deiner Seite sehen will.«

»Tochter, wer hat dich nur erzogen?«, fragt Paps gespielt entsetzt.

»Hm, mal überlegen …«

»Schnickschnack – rundheraus: Könntest du dir vorstellen, für einige Zeit nach Italien zu gehen? Nach Bardolino?«

»Was? Schon wieder? Ich war doch erst im Juni dort. Oder zumindest in der Nähe. Nicht, dass mir so eine spontane Idee nicht gefallen würde, aber ich habe schließlich auch Pläne.«

»Und die wären?«, fragt Paps leicht beunruhigt.

»Wie auch immer, erzähl erst mal, welchen Spezialauftrag du für mich in der Tasche hast.« Ich nippe am Wein und lehne mich mit verschränkten Armen zurück.

»Wie du das sagst … Als ob ich jemals Unmögliches von dir verlangt hätte.«

»Los jetzt, raus mit der Sprache. Lass dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen«, fordere ich und setze ein sattes Gähnen hinterher. »Ein bisschen mehr will ich schon wissen.«

»Schon angebissen? Ich seh’s dir an«, triumphiert Paps.

»Also?«, lasse ich nicht locker.

»Valeria hat angerufen«, sagt Paps, als würde das alles erklären.

»Und was hat das mit mir zu tun?«

»Ja, also … Valeria hat einen Cousin. Und dem liegt etwas schwer auf der Seele. Valeria meint, du könntest vielleicht …«

»Den Seelendoktor spielen? Seid ihr komplett verrückt? Ich kenne den Mann nicht mal.«

»Schmarrn, hör zu: Enzo vermutet, dass seine Frau ihn betrügt. Und du sollst einfach ein wenig die Augen offen halten.«

»Enzo also. Und warum engagiert dieser Enzo keinen Privatdetektiv? Solche Menschen gibt es nämlich. Das wäre wesentlich einfacher.«

»Hat Valeria ihm vorgeschlagen, aber das möchte er nicht. Das ist ihm zu indiskret.«

»Seltsame Logik. Versteh ich nicht. Ein Privatdetektiv verursacht ihm ein schlechtes Gewissen, aber dass ich seiner Frau hinterherschnüffeln soll, ist dann besser, oder was? Wie soll das überhaupt gehen? Ich meine, ich bin ja nicht unsichtbar. Und außerdem, egal, was dieser Enzo über seine Frau denkt, erstens weiß ich gar nicht, ob das überhaupt stimmt, und zweitens muss ich dann seiner Frau ins Gesicht lügen.« Zugegeben, ich bin ein bisschen laut geworden, aber es ist wirklich der Hammer, was Paps mir da zumutet. Ich bin doch keine Spionin!

»Beruhig dich, Doro«, beschwichtigt Paps. »Valeria ist halt auf dich gekommen, weil du ja im Sommer recht aktiv zu Polizeiermittlungen beigetragen hast.«

»Das ist doch was völlig anderes. Wenn ich mitkriege, dass ein Verbrechen geschieht, und versuche, den Täter oder die Täterin aufzuspüren, dann kann man das vielleicht als etwas übereifrig bezeichnen, aber das, was Valeria und du von mir wollt, ist eine ganz andere Schiene! Da hätte ich die absolute A-Karte.«

»Ich versteh deine Bedenken, aber überleg es dir doch wenigstens noch einmal. Valeria hat ein sehr inniges Verhältnis zu ihrem Cousin, schon von Kindesbeinen an, und jetzt hat er sich in seiner Verzweiflung an sie gewandt und sie möchte ihm helfen, weiß aber nicht, wie. Da ist ihr eingefallen, dass du einen aufmerksamen Blick für gewisse Dinge hast.«

»Sei ehrlich, Paps, hat sie nicht eher gesagt, dass ich meine Nase in Dinge stecke, die mich nichts angehen?« Trotz meiner Empörung zucken meine Mundwinkel verräterisch.

»Also, so hat sie es jetzt nicht direkt …«

»Schon gut, du brauchst dich nicht so zu winden, ich verstehe die Lage und ich mag Valeria. Nur das, was ihr da von mir verlangt, ist ziemlich heavy.«

»Ich weiß.« Paps knetet seine Hände und zieht die Brauen in einer dermaßen verzweifelten Geste zusammen, dass der härteste Stein weich werden würde.

»Okay, mal angenommen, nur rein hypothetisch, falls ich das mache, dann habe ich zwei Bedingungen.«

»Lass hören«, seufzt mein Vater mit einem erleichterten Lächeln.

»Ich sag mal so, das wären die Grundvoraussetzungen. Erstens: Vinc muss mit. Und zweitens: Valeria muss mich in die Kunst der Tortellini-Herstellung einweisen, inklusive des Originalrezepts für ihre persönlichen Nodi d’Amore.«

Paps kratzt sich am Kopf. »Vinc geht klar, aber das mit dem Rezept … Schatz, du weißt, wie Profiköche da ticken.«

»Eben deshalb. Ich bin selber Köchin. Und das Rezept will ich haben. Bis auf die letzte Prise Muskat, um es mit deinem Lieblingsgewürz auszudrücken.«

Mein Handy klingelt. Vinc.

»Hallo, Schatz, bist du noch im ›Macis‹? Soll ich dich abholen?«

Ich weiß, dass er es nicht so gerne hat, wenn ich so spät nachts noch vom »Macis« nach Hause laufe, aber es ist nicht weit vom Sebastiansplatz bis zu unserer Wohnung am Marienplatz und für mich kein Problem. »Ja, bin noch da. Mach dir keine Sorgen, Paps hat ’ne Superüberraschung für uns.«

»Aha. Klingt gefährlich.«

»Könnte man so sagen. Willst du auf ein Glas rüberkommen? Er versucht hier, mich mit einem edlen Tröpfchen zu bestechen. Musst du aber nicht, ist schon spät und ich bin eh gleich daheim.«

»Auf einen Wein komm ich nicht mehr rein, aber ich hab noch Lust auf ein paar Schritte an der frischen Luft, bin heute den ganzen Tag vor dem PC gehockt. Ich hol dich ab. Sag Sascha ’nen schönen Gruß von mir.«

»Klar, mach ich. Ich komm dann gleich raus. Bussi.«

Nicht ganz so liebevoll wende ich mich wieder meinem Vater zu. »Ich rede mit Vinc und schlafe eine Nacht drüber. Das heißt noch gar nix, klaro? Und morgen komm ich bei dir vorbei, damit du mir alles genauer erklären kannst, und dann schauen wir weiter. Buona notte, Paps.« Ich drücke ihm einen Kuss auf die Wange und erhebe mich. Auf dem Weg zur Tür drehe ich mich noch mal um. »Wann wäre das denn überhaupt?«

»Besser heute als morgen. Valeria macht sich wirklich Sorgen.«

Wortlos verlasse ich den Gourmettempel meines Vaters. Jedenfalls ist klar, von wem ich meine Spontanität habe.

Draußen setze ich mich auf den Rand eines Blumenkastens und atme tief die klare Nachtluft ein. Nach acht Stunden fensterloser, klimatisierter Küche ein herbstkühler Genuss für Körper und Geist. Ich hole mein Smartphone heraus und scrolle mich durch die Website unseres Restaurants. Müsste mal aufgepeppt werden. Vinc hat versprochen, das zu übernehmen, nachdem sich unser bisheriger Mann für diese Zwecke aus gesundheitlichen Gründen völlig von der Arbeit zurückgezogen hat. Ich fahre erschrocken hoch, als mir etwas Warmes um meine Beine streicht.

»Rambo, schleich dich doch nicht so an! Da kriegt man ja ’nen Herzinfarkt.« Liebevoll streichle ich unserem Kater über sein dunkelgraues Fell. In der Nacht schaut er fast schwarz aus, nur wenn das Licht im richtigen Winkel auf sein Fell scheint, wird sein getigerter Vorfahre sichtbar.

»Hab unser verfressenes Dickerchen am Viktualienmarkt aufgegabelt und er hat es sich nicht nehmen lassen, mich zu begleiten. Hat vermutlich auf ein Leckerli bei Sascha spekuliert«, sagt Vinc, der gerade um die Ecke biegt.

»Tut mir leid, Rambo«, nehme ich unserem Kater die Hoffnung, »schon geschlossen.«

Ich stehe auf, strecke mich und schlinge meine Arme um Vinc. Meine Nase versinkt dabei in seiner Halskuhle und ich sauge meinen Lieblingsduft ein, mein allgemeines Begrüßungsritual. Natürlich nur bei Vinc.

Eng umschlungen laufen wir Richtung Viktualienmarkt. Rambo verlässt uns hier, er dreht seine Inspektionsrunde, markiert sein Revier, wobei es ihm seit seiner Kastration wohl eher um Futterspenden der Marktständler für wohnungslose Katzen geht als um die Damenwelt.

»Und was ist das jetzt für ’ne Superüberraschung?« Vinc’ Stimmlage ist eine gewisse Vorsicht anzuhören.

»Paps will mich nach Italien schicken. Ich soll an den Gardasee, nach Bardolino. Irgendwas Persönliches mit Valerias Cousin. Bezahlter Urlaub und ich hab ausgehandelt, dass du mitkannst.«

»Aha. Und wo ist der Haken?«

»Ich soll für Valerias Cousin dessen Frau beschatten.«

»Wie bitte?« Vinc schaut genauso irritiert, wie ich mich vorhin gefühlt habe. Ich weihe ihn in die Interna ein.

Ein paar Sekunden lang sagt er nichts. »Starker Tobak«, fasst er dann seine Skepsis zusammen. Ich vermute, ihn plagen dieselben Skrupel wie mich.

»Tja, was soll ich jetzt tun? Annehmen oder ablehnen?«

»Wozu tendierst du denn?«, fragt er mit neutraler Miene.

»Noch gar nirgendwohin. Erst mal eine Nacht drüber schlafen. Und du?«

»Sagen wir mal so – was wäre meine Rolle in dem Ganzen?«

»Inkognito. Du wärst dort als normaler Gast. Nur Valerias Cousin wüsste Bescheid. Das Gleiche gilt auch für mich, meine Rolle müssen wir noch genauer besprechen. Auf jeden Fall habe ich mir gedacht, es wäre gut, wenn wir unabhängig voneinander dort auftreten würden, dann könnten wir mehr erfahren. Außerdem wohnst du natürlich kostenlos und Essen ist inbegriffen, samt üppigem Taschengeld. Schließlich musst du mich ja ausführen.«

»Ich dachte, wir kennen uns nicht.«

»Ja, aber wir könnten uns doch dort kennenlernen. So mit Herzklopfen und weichen Knien und dem vollen Programm.« Ich merke, Paps hat recht, ich habe angebissen.

»Doro, du spinnst.«

»Sei doch nicht so negativ, ich stell mir das richtig romantisch vor.«

»Schatz, du machst mir Angst.«

»Deshalb liebst du mich ja.«

»Stimmt.« Wir küssen uns mitten auf dem menschenleeren Viktualienmarkt. Wenn man von dem Security-Mann absieht, der uns aus der Ferne beäugt.

»Du riechst nach Zwiebeln«, murmelt Vinc und wie auf Kommando knurrt sein Magen.

»Die Küche hat aber heute geschlossen.«

»Alles andere auch?«

Ich lache leise.

Nach einer Weile gehen wir weiter und biegen in den Hinterhof gegenüber dem Alten Peter ein.

»Du hast dir ja alles schon ziemlich genau ausgedacht. Willst du echt dieser Frau hinterherspionieren? Das kannst du nicht bringen.«

»Wieso? Ich schau mich ein bisschen um, ist auch nichts anderes, als wenn ein Privatdetektiv ermittelt. Paps will wohl bei Valeria punkten und ihr diese Bitte erfüllen.«

»Und du sollst es ausbaden. Eins sag ich dir, ich spioniere keinem hinterher. Nicht so. Davon abgesehen, dass ich es auch total mies fände, dem Partner einen Detektiv auf den Hals zu hetzen, täuschen wir alle und spielen ein falsches Spielt. Nee, da kannst du nicht mit mir rechnen.«

Ich nage an meiner Unterlippe. Vinc hat recht. Schmeckt mir auch nicht. »Also, soll ich absagen?« Ist eigentlich die einzig logische Konsequenz.

Vinc sperrt unsere Wohnungstür auf. »Entscheiden musst du. Ich sag mal so: Ich würde es lieber nicht machen, aber wenn du fährst, komme ich mit und dann sehen wir weiter.«

»Vielen Dank! Du schiebst also mir den Schwarzen Peter zu.«

Vinc zuckt mit den Schultern. »Es ist dein Auftrag. Aber reden wir gerne morgen noch mal darüber. Und am besten rufst du auch Valeria an und lässt dir von ihr selbst erklären, worum es genau geht. Über mehrere Ecken ist es immer schwierig. Jeder interpretiert für sich was rein und am Ende haben wir eine Staatsaffäre.«

»Gute Idee, das mach ich gleich morgen. Und ich google schon mal die Zugverbindungen nach Bardolino. Oder willst du lieber mit dem Auto fahren? Allerdings müssten wir sowieso separat anreisen, weil wir uns ja nicht kennen.«

»Jetzt sprich doch erst mal mit Valeria. Ich schau morgen, wie’s mit meinen Terminen geht, und rede mit Ulli.«

»Du kannst doch locker Urlaubsoffice machen«, blocke ich vorsorglich etwaige Ausreden ab.

»Schon klar, aber ein paar Dinge muss ich hier noch erledigen, und zwar nicht online, sondern in Präsenz. Du weißt ja, unsere Firma steht erst in den Startlöchern, da kann ich Ulli nicht einfach mit allem allein lassen. Aber wenn’s möglich ist, komme ich natürlich mit. Mit dem Auto. Und du? Wann sollst du antreten?«

»Gestern«, bringe ich Paps’ Dringlichkeitsgesuch auf den Punkt.

Kapitel 2 

Il dado è tratto – Die Würfel sind gefallen

Drei Tage später – Lunedì (Montag) – Tag 1 in BardolinoAuf den Schienen nach Verona

Die Würfel sind gefallen. Soll heißen, ich sitze im Zug nach Verona. In zwei Stunden bin ich da und Enzo Buccelli will mich vom Bahnhof abholen. Erspart mir das Umsteigen in Verona nach Peschiera. Von Verona nach Bardolino ist es an sich keine weite Strecke, so um die 30 Kilometer, allerdings gibt es keine direkte Verbindung. Weshalb ich mit dem Zug nach Peschiera reisen und von dort die restlichen zehn oder 15 Kilometer weiter mit dem Bus nach Bardolino und dann mit dem Taxi zum Weingut fahren müsste. Einfacher für mich ist es, wenn mich Enzo abholt, davon abgesehen kann ich mir den angeblich betrogenen Ehemann auf der Fahrt näher anschauen. Wir können uns beschnuppern und über die Lage reden, bevor ich dem Rest der Familie in meiner unrühmlichen Rolle gegenübertreten muss.

Natürlich habe ich Vinc’ Rat befolgt und Valeria angerufen. Die hat mich überredet zu fahren, Enzo solle mir persönlich alles erzählen, hat sie gesagt. Sie hat meine Bedenken bezüglich der moralischen Fragwürdigkeit der Aktion vom Tisch gefegt und mir versichert, dass ich anders denken würde, sobald ich mit Enzo gesprochen hätte. Ich halte Valeria für eine vernünftige Frau und kann mir nicht vorstellen, dass sie diesen Vorschlag leichtfertig in die Welt setzen würde, allein schon der Aufwand und die Kosten, die meine und Vinc’ Anwesenheit verursachen, sprechen dafür, dass sie von der Notwendigkeit überzeugt ist.

Ankunft am Bahnhof Verona Porta Nuova wird um kurz vor 13 Uhr sein. Ich bin früh aufgebrochen, fahre gern tagsüber mit dem Zug, weil es so ganz anders ist als mit dem Auto. Eigentlich eine komfortable Art zu reisen. Gerade präsentiert sich die Südtiroler Bergwelt im vormittäglichen Sonnenlicht und weckt Wanderträume in mir. Mitte Oktober ist das Wetter noch ideal dafür. Nach der Wandersaison gibt’s eine kleine Verschnaufpause, dann rüstet sich die Region für die Skisaison. Was die Natur nicht schafft, übernehmen die Schneekanonen. Tja, je schöner die Region, desto größer das Interesse der Touristen und die Gier nach Genuss und Profit. Ich nehme mich da nicht aus, bin Skifahrerin, obwohl ich die Ausbeutung der Natur mit Skepsis sehe, und gehe wandern, obwohl mir die Überflutung mancher Regionen durch Touristen Sorgen bereitet. Ich seufze.

Meine Gedanken wandern zu Enzo. Bin gespannt, wie der so ist. Ganz ehrlich, wenn der Sympathiefunke nicht überspringt, sitze ich schnell wieder im Zug Richtung München. Klar, ich fahre ins wunderschöne Italien und bekomme sogar Geld dafür, dass ich mich als angehende Jungunternehmerin im Gastrobereich des Weinguts Buccelli um die kulinarischen Speiseangebote bei den Weinproben kümmere – das ist die Rolle, die wir uns für mich ausgedacht haben. Ich muss nur nebenbei ein bisschen Enzos Frau auf die Finger schauen. Nur. Genau das ist es, was mir wie ein Stachel unter der Haut sitzt. Was, wenn Paola Buccelli die Nette ist und Enzo der Widerling? Wenn sie Grund hat fremdzugehen? Oder er unter Kontrollzwang leidet? Mir gruselt es bei den Szenarien, die mir durch den Kopf schwirren. Ich fahre mir mit beiden Händen durch die Haare, wie um die düsteren Gedanken abzustreifen. Es geht um mich, gestehe ich mir ein. Um meine Rolle. Dieses Mal gerate ich nicht zufällig in eine verdächtige Situation, sondern spiele bewusst und von Anfang an ein falsches Spiel – oder zumindest ein doppeltes. Dass ich mich dazu habe überreden lassen, verursacht eine innere Unruhe in mir, die mich irgendwie lähmt. Vielleicht hätte ich doch besser auf mein Bauchgefühl hören sollen und die Sache absagen. Nützt mir jetzt aber nix mehr, ich habe Paps und Valeria versprochen, wenigstens einen Blick auf die Situation zu werfen. Also Schluss mit der Grübelei!

Ich stecke mir Kopfhörer in die Ohren, höre etwas Musik, lehne mich im Sitz zurück und stelle fest, dass wir bereits mitten durch die hügelige Schönheit des Veneto rattern: Weinberge, Olivenhaine, weite Blicke und malerische Hügel im Hinterland des Gardasees Richtung Verona und Venedig. Bin ja immer sehr auf Wasser fixiert, das heißt See oder Meer oder mindestens Fluss, aber mittlerweile liebe ich diese typische Landschaft im Hinterland genauso. Wobei der Gedanke, dass westlich von mir, irgendwo hinter dem Bergmassiv des Monte Baldo, der Gardasee liegt, schon ein extremes Glücksgefühl in mir auslöst.

»Verona Porta Nuova«, die Stimme bestätigt, was das Display im Zug anzeigt und die ersten Häuser draußen vor den Fenstern ankündigen. Ich bin da und gleich werde ich mir endlich ein Bild von Enzo machen können.

Die Tür geht auf und die kühle Bahnhofshallenluft verströmt erst mal wenig italienisches Flair. Die bunt bemalten Wände schon eher. Die große Bahnhofsuhr zeigt 12.59 Uhr. Pünktlich.

Ich trete durchs Eingangsportal und schau mich nach Enzo um. Erstaunlicherweise bin ich entspannter als eben noch. Die Tatsache, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt, lässt ein neugieriges Kribbeln durch meinen Bauch flattern, ähnlich der ungewissen Vorfreude auf einen Abenteuerurlaub. Der Piazzale XXV Aprile – ein Platz für ein denkwürdiges Datum, den Tag der Befreiung Italiens von der faschistischen Diktatur Mussolinis und der deutschen Nazi-Besetzung – empfängt alle Zugreisenden in dieser wunderbaren Stadt. Eine völlig neue Perspektive für mich, bis jetzt bin ich immer mit dem Auto angereist.

Vielleicht hundert Meter links von mir, am Haltestreifen, lehnt ein Mann an seinem weißen Wagen. Jetzt wendet er sich erwartungsvoll in meine Richtung und schaut mir entgegen. Ich ziehe meinen Koffer am Griff hinter mir her und gehe auf ihn zu.

»Signorina Ritter?«, stellt er mehr fest, als dass er fragt.

Das also ist Enzo. Enzo Buccelli, um die 40 und circa 1,80 groß, volles schwarzes Haar, Bartschatten, starke Augenbrauen, männliche Ausstrahlung. Er lächelt. Ich starre ihn an und bemerke erst mit Verspätung seine ausgestreckte Hand.

»Oh, buon giorno, signor Buccelli, mi scusi«, stottere ich und drücke seine Hand. Muss dann aber lachen, weil die Situation einfach irgendwie komisch ist. Enzos Lächeln wird noch ein wenig breiter, ich glaube, er empfindet es genauso. Macht ihn sympathisch.

Er schiebt den Teleskopgriff des Koffers zusammen und hievt ihn in den Kofferraum, verkneift sich jeglichen Kommentar zum Gewicht desselben. Klar ist der schwer. Es ist Herbst und da ist es auch hier am Gardasee nicht mehr nur sommerlich warm, also habe ich Klamotten für jedes Wetter dabei. Ich wuchte meinen Rucksack hinterher, meine Handtasche nehme ich mit nach vorne.

Enzo steigt auf der Fahrerseite ein und fährt los. Das amüsierte Lächeln ist längst verschwunden, er umklammert das Lenkrad wie einen Rettungsring, schweigt und blickt stur geradeaus auf die Straße. Bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als selbst die Initiative zu ergreifen.

Ich fasse die Situation, so wie ich sie kenne, zusammen. Ganz automatisch verfalle ich dabei ins Italienische, greife nur ab und zu in die deutsche Wortschatzkiste, wenn mir ein bestimmter Begriff nicht einfällt und ich ihn nicht umschreiben kann. Dank meines sizilianischen Kollegen im »Macis« und der Tatsache, dass Paps sich wegen seiner italienischen Freundin auch ständig im Italienisch-Parlieren übt, werde ich immer sicherer im Umgang mit dieser Sprache und Vinc zieht ebenfalls mit. Enzo Buccelli taut langsam auf, hilft mit dem einen oder anderen Wort in seiner Muttersprache aus. Ein silbernes Kreuz baumelt am Autospiegel.

»Signor Buccelli«, schließe ich, »Sie wollten mir auf der Fahrt Details zur aktuellen Lage geben. Bis jetzt weiß ich ja noch nicht allzu viel, wie Sie gemerkt haben. Valeria meinte, es sei besser, wenn Sie mir die Situation schildern und mir erklären, was Sie überhaupt von mir erwarten. Vielleicht hat sie auch meine Skepsis gegenüber diesem … wie soll ich sagen, diesem Projekt erwähnt?«

Enzo schnauft hörbar aus. »Signorina, ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war … Jetzt, wo Sie da sind, kommt mir das Ganze absurd vor. Wir kennen uns nicht und … Sie könnten meine Tochter sein … Es … es … mi dispiace, ich kann das nicht.« Er schluckt und starrt weiter geradeaus. Soll er ja auch, auf die Straße achten, meine ich, aber irgendwie müssen wir die Lage klären, bevor wir am Buccelli-Weingut ankommen.

Genau das sage ich ihm auch.

Auf seinem Gesicht spiegeln sich die widersprüchlichsten Emotionen, ich sehe, wie er mit sich ringt. »Mit allem Nachdruck, Signorina, ich will meiner Frau nichts unterschieben oder ihr irgendwie schaden, im Gegenteil, ich will meine Ehe nicht aufgeben, ohne zu kämpfen. Meine Familie, meine Kinder, ja auch das Weingut. Es gehört zwar meiner Frau, aber ich arbeite seit 20 Jahren dafür, habe bei der Heirat sogar den Familiennamen der Buccellis angenommen. Und jetzt … Geld verschwindet von unseren Konten …«

Er blinzelt heftig. Mann, der wird doch jetzt nicht … Ich tu so, als würde ich nichts merken, die ganze Situation ist schon unangenehm genug für ihn. Für mich auch, aber auf eine andere Art.

»Okay, aber das kann man doch nachverfolgen. Wann und von wem das Geld abgehoben wurde, meine ich. Dazu muss man kein Banker sein.«

»Certo. Es sind ja gemeinsame Konten, da ist es nicht schwer zu erraten, dass Paola das Geld abgehoben hat – weil ich es nicht war. Auf dem Kontoauszug steht aber ja nicht, wofür meine Frau das Geld verwendet hat. Natürlich habe ich sie danach gefragt, aber …« Er verstummt.

Ich schlucke. War das zu indiskret? Aber bitte, er wollte ja schließlich, dass ich in seinem Privatleben herumschnüffele.

Enzo lenkt den Wagen in eine kleine Parklücke neben der Fahrbahn und macht den Motor aus. Er wischt sich die Hände an den Jeans ab, trotz der angenehmen Temperatur im Wagen schwitzt er. »Glauben Sie nicht, dass mir die Entscheidung leichtgefallen ist«, sagt er ernst, »aber ich weiß keinen anderen Ausweg. Paola hat sich total verändert, ich kann nicht mehr mit ihr reden. Erst dachte ich, sie sei krank. Ich habe mir die größten Sorgen gemacht, aber sie hat mir geschworen, dass sie völlig gesund sei. Mehr war nicht aus ihr herauszubekommen. So stur und abweisend kenne ich meine Frau gar nicht, wir besprechen immer alle Probleme miteinander. Und jetzt verbittet sie sich meine Einmischung in ihr Privatleben. Dann habe ich zufällig entdeckt, dass sie größere Abhebungen von unseren gemeinsamen Konten gemacht hat. Noch so ein Punkt. Wir haben immer alle größeren Ausgaben miteinander besprochen.«

»Ja und? Was sagt sie dazu? Zumindest das mit dem Geld muss sie doch irgendwie erklären«, lege ich den Finger in die Wunde.

Er lacht bitter. »Sie sagt, ich solle nicht so misstrauisch sein, es gehe um eine todsichere Geldanlage. Zehn Prozent Rendite, mehr wolle sie nicht sagen, sie sei schließlich die Finanzexpertin in unserer Beziehung.«

»Und? Stimmt das?«

»Sì, in qualche modo …«

»Was heißt ›irgendwie‹? Wer ist denn bei Ihnen für die Finanzen zuständig?«

»Paola. Aber größere Anschaffungen oder Ausgaben besprechen wir immer gemeinsam. Ich vertraue ihr voll und ganz.«

»Wirklich? Wozu brauchen Sie mich dann?« Ich provoziere absichtlich, weil ich ihn aus der Reserve locken will.

»Bisher jedenfalls. Aber jetzt … Das mit dem Geld ist nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Hauptsächlich beunruhigt mich ihre Art mir gegenüber. Ihre Abweisung, ihre Distanz. Ich glaube nicht, dass es ums Geld geht. Es steckt ein anderer Mann dahinter, da bin ich mir mittlerweile sicher. Meine Cousine Valeria hält das auch für wahrscheinlich, deshalb hat sie den Detektiv vorgeschlagen – oder eben Sie.«

Enzo schaut mich nicht an, er reibt unentwegt seine Hände über die Oberschenkel. Sieht so ein Mann aus, der zu seiner Entscheidung steht?

»Enzo, Sie sollten sich das noch mal überlegen. Ich selber bin hin- und hergerissen. Wenn ich mir vorstelle, mein Freund würde mich so ausspionieren lassen … das wäre das Ende unserer Beziehung. Er sieht das übrigens genauso.«

Enzo runzelt die Stirn. »Es ist Ihre Entscheidung. Sie müssen das nicht machen. Aber warum sind Sie dann eigentlich gekommen?«

»Weil mein Vater seiner Freundin und Ihrer Cousine Valeria den Gefallen tun wollte. Und ich wollte meinem Vater die Bitte nicht abschlagen. Italien zieht bei mir außerdem immer. Jetzt bin ich da und wir sollten das Beste daraus machen.«

»D’accordo, signorina.«

»Doro«, sage ich und strecke ihm die Hand hin.

»Enzo.« Er zwinkert.

»Ich weiß.«

Wir lächeln beide und spüren, dass das etwas werden könnte.

Ich werde wieder ernst. »Wie soll ich überhaupt auftreten? Valeria und ich haben zwar einen groben Plan skizziert, aber Genaueres müssten wir beide noch festlegen, damit es keine Widersprüche gibt.«

»Ich habe mich mit Valeria besprochen. Es muss mit Essen und Kochen zu tun haben. Da bist du glaubwürdig. Also habe ich meiner Familie erklärt, dass eine junge Frau aus Bayern zu uns kommt, die hier für ihr eigenes kleines Eventunternehmen Erfahrungen sammeln will. Du willst Anfang des neuen Jahres eröffnen, willst Weinproben mit Menü und Weinverkostung anbieten und bei uns ein bisschen üben. Das ist natürlich nur ein Vorwand, damit du dich unauffällig umsehen kannst. Du sollst hier die Speisen zu den Weinproben organisieren und zubereiten. Meine Frau hält das für überflüssig, aber ich habe gesagt, dass ich einem Freund einen Gefallen schuldig bin.«

»Hat Valeria mit dir auch über Vinc gesprochen? Meinen Freund?«

»Sì, certo. Wir haben im Gästehaus ein Zimmer für ihn reserviert. Paola hat sich breitschlagen lassen, dich im Haupthaus unterzubringen. Sie weiß ja nicht, dass Vinc zu dir gehört, das haben wir doch so ausgemacht, oder? Für dich wäre es natürlich praktisch, wenn du bei uns im Haus wohnen würdest, deshalb habe ich … Ist das ein Problem für dich?« Er zwinkert schon wieder. Macht er anscheinend gerne.

»Nein, kein Problem, ich rede eh nicht mit fremden Männern«, sage ich, ohne eine Miene zu verziehen.

Enzo schaut verwirrt.

»War nur Spaß«, kläre ich ihn auf.

»Gut zu wissen«, sagt Enzo, und als er den Motor startet, sehe ich es wieder, das Enzo-Lächeln von vorhin. Na bitte, geht doch.

Die Landschaft Richtung Bardolino verändert sich, wird hügeliger. Die Weinberge sind abgeerntet, ein herbstliches Gelb-Braun hat die Regie übernommen.

»Dann habt ihr es geschafft für diese Saison«, stelle ich fest.

»So kann man das nicht sagen. Im Weinberg gibt es immer etwas zu tun. Nach der Lese werden die Trauben verarbeitet und der Saft wird zum Gären in Tanks oder Fässern gelagert. Dann wird geprüft und gekostet, bis der Inhalt reif für die Abfüllung ist. Außerdem müssen die Rebstöcke für den Winter geschnitten werden, und dann ist da noch der Verkauf, die Buchhaltung, Renovierungsarbeiten – glaub mir, wir haben keine Winterpause«, widerspricht Enzo. »Du wirst einiges lernen, wenn du hier bist. Ich finde es im Übrigen sehr hilfreich, wenn man als Koch die Speisen nicht nur zubereiten kann, sondern auch ein wenig von der Entstehung der Lebensmittel – oder eben der dazu servierten Weine – kennenlernt.«

»Du hast absolut recht, Enzo, und das ist auch ein fester Bestandteil unserer Ausbildung. Aber ein Liveerlebnis wie hier ist natürlich noch viel besser. Du siehst, ich bin nicht nur wegen dir hier.«

Enzo wirft einen gespielt besorgten Blick zu mir rüber.

»Keine Panik. Du stehst ganz oben auf meiner Liste.«

»Promesso?«

»Versprochen.« Ich lächle amüsiert.

»Weißt du, Doro«, sagt Enzo ernst, »ich habe keine Ahnung, was bei der Geschichte rauskommt, aber so oder so, es bewegt sich etwas, und das ist besser als dieser ungewisse Stillstand. Ich bin sicher, dass Paola etwas sehr belastet. Sie hat sich in den letzten Wochen radikal verändert und ich habe wahnsinnige Angst, sie zu verlieren. Aber ignorieren ist nicht so mein Ding. Und da ich mit der direkten Konfrontation nicht weitergekommen bin …« Er seufzt.

»Verstehe ich gut. Ich würde auch wissen wollen, woran ich bin.«

Wir schweigen und nicht das erste Mal wundere mich, dass die Menschen in einer so schönen Landschaft dieselben Sorgen haben wie in der tristen Großstadt.

Wir nähern uns dem Lago di Garda, meinem Lieblingssee. Wenn ich auswandern würde, dann hierher. Oder nach … Nee, ich will gar nicht auswandern. Aber für eine begrenzte Zeit ins Ausland gehen – jederzeit.

Trotz des klimatisierten Innenraums lasse ich die Beifahrerscheibe halb runter. Bewölkte 23 Grad hat es laut Thermometer. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Enzo lässt mich in Ruhe.

Nach einer Weile schau ich rüber zu ihm. »Das brauche ich zum Ankommen«, erkläre ich. »Jeder Ort und jede Gegend hat einen eigenen Geruch. Und es riecht im Herbst anders als im Frühjahr oder Sommer.«

»Musst dich nicht rechtfertigen, Doro. Mir geht es mit dem Wein so, der berührt mich besonders durch die Nase. Natürlich auch durch den Geschmack, aber diese feinen Nuancen der unterschiedlichen Duftnoten, die ein Laie niemals erwarten würde … einzigartig. Pfirsich, Zimt, Melone, Mandel … ein unendliches Feld, und jeder Wein hat seine spezielle Note. Mir tun die Menschen leid, die das nicht schätzen oder, noch schlimmer, nicht riechen können.« Konzentriert lenkt er den Wagen durch Lazise.

Immer wieder blitzt der See durch die Lücken zwischen den Häusern und Bäumen.

Aber ja, genau das ist es, was ich beim Kochen empfinde, beim Essen, beim Wein. Klar schmecke ich selten die gesamte Bandbreite eines Weines, dazu müsste ich Nase und Gaumen mehr sensibilisieren, aber ich bin nicht schlecht. Immerhin habe ich als Köchin eine ganze Menge mit Gerüchen zu tun. In diesem Augenblick entfaltet sich die Kombi in mir, die mich hier ankommen lässt. Der Hauch des Sees in der Luft, der Duft des Spätsommers, eine Schar Stare, die von den abgeernteten Reben hochfliegt. Wir sind auf der Gardesana angekommen, der Ringstraße, die rund um den See führt. Hier auf der östlichen Seeseite wird sie »Gardesana Orientale« genannt, auf der westlichen Seite »Gardesana Occidentale«. Eine wunderschöne Straße, wenn sie nicht gerade durch Touristenmassen zu einer träge dahinfließenden Masse aus Pkw, Wohnmobilen und Wohnwagen wird. Das ist für dieses Jahr überstanden, die Tage hier sind jetzt wesentlicher ruhiger. Bin gespannt, wie es auf dem Weingut wird. Enzo sagt, sie haben fast alle Zimmer und Appartements vermietet. An Wanderer und Gäste für Weinproben. Oder beides. Nachdem ich jetzt weiß, dass Enzo kein Widerling ist – wenn, dann hat er es meisterlich versteckt –, bin ich neugierig auf Paola.

Ortsschild Cisano. Kenne ich, da war ich vor drei Monaten mit Vinc, liegt kurz vor Bardolino, die Orte sind im Laufe der Zeit zusammengewachsen. Enzo biegt rechts ab, ins hügelige Hinterland von Bardolino. Mehrere Schilder verweisen auf Weingüter, Weinverkauf, ein Weinmuseum. Unverkennbar, wir sind mitten im Anbaugebiet des berühmten Bardolino. Enzo lenkt den Wagen geschickt durch Engstellen, holprige Straßenabschnitte und scharfe Kurven, er kennt die Strecke im Schlaf. Die Fliehkraft drückt mich nach links, hin zu Enzo. Als ich mich wieder aufgerichtet habe, kann ich gerade noch die Aufschrift »Buccelli« auf einem der Schilder entziffern. In schnörkeliger Schreibschrift, das Logo der Buccelli-Weine und das Familienwappen darunter. Im Vergleich zu dem schmalen, mangelhaft geteerten Zufahrtsweg, auf dem wir uns mittlerweile bewegen, waren die Straßen bisher Autobahnen. Hoffentlich kommt uns keiner entgegen. Rechts von uns säumt den Weg eine mannshohe Mauer, aus der die gesamte italienische Flora zu wuchern scheint, links wechseln sich Zäune, Buschwerk und niedere Mäuerchen ab, welche die Olivenhaine von der Straße – die ich ausdrücklich nicht als solche bezeichnen möchte – abgrenzen. Eine Bodenwelle ist kein Anlass für Enzo, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, weshalb ich mich verkrampft am Türgriff festklammere, um mir nicht am Autodach eine Gehirnerschütterung zu holen. Danke, das hatte ich vor nicht allzu langer Zeit erst.

Enzo wirft einen kurzen Blick zu mir rüber und lacht. »Entspann dich, Doro, die Straße ist frei. E il tempo è denaro.«

»›Zeit ist Geld‹, sehr originell. Wenn du an der Mauer klebst, dann brauchst du kein Geld mehr«, bemerke ich trocken. »Und wenn es nur der Außenspiegel ist, der an der Mauer hängt«, setze ich nach.

»Turisti.«

Ja klar. Es sind mal wieder die Touristen, die sich in die Hose machen.

»Da vorne ist es«, deutet Enzo nach rechts oben.

Na toll, jetzt lässt er auch noch das Lenkrad los. Ich ergebe mich meinem Schicksal, aber immerhin hat Enzo bis jetzt ja offensichtlich überlebt.

Eine letzte Steigung und dann sind wir da. Ich tauche ein in eine andere Welt, in der nicht alles Gold ist, was glänzt, wie ich weiß.

Kapitel 3 

Bardolino – borgo e vino – Ort und Wein

Lunedì (Montag) – Tag 1 in BardolinoAuf dem Weingut der Buccellis

Das alte Wohnhaus strahlt mit seinen ockerfarbenen Mauern und den ziegelroten Malereien ein warmes »Benvenuto« aus, die gemalten Weinreben leuchten wie in abendlich weiches Sonnenlicht getaucht, und das mitten am Tag. Wer sich hier nicht willkommen fühlt, dem kann man nicht helfen, denke ich, obwohl ein leichtes Bauchgrummeln mich an die Schattenseite dieses Paradieses erinnert.

Enzo zeigt zu einem einstöckigen Bau im östlichen Teil des Hofs, schlichter, moderner und bei Weitem nicht so imposant wie das Haupthaus. »Da drüben ist unsere Pension, das Gästehaus, appartamenti e camere. Im Erdgeschoss befinden sich der Frühstücksraum, die Küche und zwei Wohnungen mit jeweils einer kleinen Terrasse. Im ersten Stock sind Zimmer mit Balkon.«

Wir parken vor dem Haupthaus. Das ist kein normales Wohnhaus, das ist ein Gutshaus. Und erst die Anlagen drum herum! Zwar kein riesiger Hof, aber geschmackvoll, authentisch, romantisch … einfach beeindruckend.

»Ich schlafe also hier bei euch«, sage ich. Mir wär’s fast lieber im Gästebereich, dann hätte ich einen Rückzugsort.

Enzo nickt. »Wie gesagt, ich würde dich gerne hier im Wohnhaus unterbringen. Früher haben wir dort auch Zimmer vermietet, aber seit wir das neue Gästegebäude haben, wird unser Haus nur noch privat genutzt. Hier übernachten höchstens Freunde, wenn der Abend lang geworden ist.«

»Du meinst weinselig«, präzisiere ich.

Er lächelt.

»Aber was heißt, dass du mich gerne im Haus unterbringen würdest?«, frage ich, weil mir seine Formulierung durchaus aufgefallen ist.

»Paola wäre es lieber, wenn du im Gästebereich wohnen würdest. Sie meint, da hättest du deine Ruhe, und Angestellte haben bei uns normalerweise drüben die Möglichkeit, kostengünstig zu wohnen. Oder auch umsonst, je nach Absprache. Das betrifft nicht die Erntehelfer, die wohnen woanders.«

»Hm … Und Vinc? Was wäre denn strategisch klüger? Wenn wir beide im Gästehaus wohnen würden? Mehr mitkriegen würde ich natürlich bei euch im Wohnhaus und dann könnte ich unauffälliger mit Paola in Kontakt treten.«

»Eben. Deshalb solltest du hier bei uns wohnen und dein Vinc im Gästehaus.« Enzo schaut entschuldigend, dabei werden Vinc und mich gerade mal ein paar Meter trennen, und das auch nur für kurze Zeit.

»Enzo, ich glaube, unsere Beziehung wird diesen Härtefall verkraften«, beruhige ich ihn.

»Ich weiß, aber …«

»Mach dir keinen Kopf deswegen. Stell mir lieber deine Frau vor.«

Zuerst läuft uns dann aber ein Mädchen über den Weg, hübsch und sehr zierlich. »Meine Tochter Laura«, verkündet Enzo stolz.

Das Mädchen fühlt sich offensichtlich nicht bemüßigt, mich zu begrüßen, geschweige denn, mich kennenzulernen.

»Das ist gerade typisch für sie. Maulig und unfreundlich und wegen jeder Kleinigkeit beleidigt. Sie ist 14«, sagt er schulterzuckend, als würde das alles erklären. »Laura, weißt du, wo deine Mutter ist?«

»Woher soll ich das wissen? Bin ich ihr Kindermädchen?«, kommt es rotzig retour.

Oha, da steckt jemand mächtig in der Pubertät. Ich möchte nicht mit Enzo tauschen.

Laura dreht uns den Rücken zu und geht in die Hocke. Auf einmal gibt sie lockende, zärtliche Geräusche von sich. Neugierig schau ich ihr über die Schulter. Ziel ihres Werbens ist ein winziges, struppiges Etwas, das nicht viel auf den Rippen hat, und sofort schmilzt mein Herz als Katzenmama. Ich bleibe stehen, will das scheue Tier nicht erschrecken, während Laura ihm ihre Hand entgegenstreckt, mit einem Leckerli als Bestechungsangebot. Rambo würde sich die Gaumenfreude mit steil aufgerichtetem Schwanz und verächtlicher Miene abholen – und damit klarstellen, dass er nicht irgendein Straßenkater ist, sondern Herr des Viktualienmarktes. Seines Zeichens Herrscher, der zwar erwarten könne, dass man das Leckerli zu ihm bringt, aber ausnahmsweise mal nicht so sein wolle. Dieses kleine Fellknäuel dagegen sitzt zitternd da, den dünnen Schwanz ängstlich zwischen die Hinterbeine geklemmt, steht halb auf, traut sich dann aber doch nicht.

»Meine Frau ist vermutlich im Büro. Komm mit ins Haus, dein Gepäck lassen wir erst mal im Auto, bis wir sicher sind, dass sie dein Zimmer auch wirklich im Haupthaus hergerichtet hat.

Bevor ich Enzo folge, sauge ich hier draußen erst noch alle Eindrücke auf und speichere sie sozusagen in den grauen Zellen meiner Vergleichsdatenbank ab. Nicht nur ein Haus sagt nämlich viel über die Menschen aus, die in ihm leben, sondern auch der Garten oder in diesem Fall das Weingut. Gepflegt, aber nicht geschleckt. Das ist mir schon mal sympathisch.

Enzo drückt die schmiedeeiserne Klinke der imposanten, mit Schnitzereien verzierten Eingangstür nach unten und wir betreten das Gebäude.

»Das Büro liegt dahinten.« Er deutet den langen, dunklen Flur entlang, an dessen Ende sich eine Glastür von allen anderen Türen abhebt, die ebenso wie die am Eingang aus schwerem Holz bestehen. Jede von ihnen zeigt geschnitzte Motive rund um das Thema Wein.

Durch die Glastür fällt Licht, was dem Flur etwas Freundlich-Geheimnisvolles gibt.

»Die Büroräume haben wir kürzlich vollständig renoviert und einen direkten Durchgang vom Haus dorthin geschaffen. Das hat zwar unseren Architekten aufheulen lassen, von wegen Zerstörung eines wunderbaren traditionellen Familiensitzes, aber ehrlich gesagt ist uns die Bequemlichkeit in diesem Fall wichtiger. Da sind wir wetterunabhängig und gelangen direkt vom Wohnhaus ins Bürogebäude. Geschäftskunden parken sowieso hinterm Haus und gehen von dort aus in den Verwaltungsbereich. Außerdem war dieser Flur immer ein ewig düsterer Schlauch, jetzt nutzen wir das Licht von drüben.«

»Gut gelungen, finde ich. Die Kombination aus modern und alt ist doch sowieso voll im Trend und der Mix hier hat was. Optisch und auch funktionell. Es ist toll, euer altes Haus – wäre ewig schade, es nicht zu erhalten, aber ich bin auch für Bequemlichkeit. Wer will schließlich noch die ›Zentralheizung‹ der alten Römer oder Griechen, giusto?«

»Du hättest bei den Verhandlungen mit dem Architekten dabei sein sollen, Doro. Der hat weit mehr herumgezickt als alle Behörden zusammen«, sagt Enzo lachend. »Wir waren nahe dran, uns einen anderen zu suchen, aber das konnte er dann doch nicht zulassen. So könne er den Schaden möglichst gering halten, hat er behauptet.«

»Kann ich mir lebhaft vorstellen. Und am Ende ist er dann geplatzt vor Stolz auf seine geniale Lösung, stimmt’s?«

»Trifft es recht gut. Außerdem vermute ich stark, dass seine finanziellen Interessen letztendlich über sein Engagement für alte Häuser gesiegt haben«, interpretiert Enzo den Sinneswandel des Architekten. »Aber jetzt komm, das Haus zeige ich dir später, suchen wir erst mal Paola.«

Er hält mir die schwere, gut isolierte Glastür auf und wir betreten eine völlig andere Welt. Hell, weit, freundlich, große neue Fenster. Kommt mir vor, als würde ich von einem alten Bauernhof mitten im Allgäu in ein Münchner Bürohaus gehen.

Enzo schreitet zielstrebig voraus. Ein breiter Gang zieht sich an den beiden Büroräumen vorbei bis zum gläsernen Ausgang.

»Hier, das ist unser Büro.« Enzo zeigt auf den ersten Raum. »Na ja, wohl eher Paolas Büro. Sie macht fast alles Schriftliche, Bank, Verträge und was sonst noch so anfällt«, schränkt er ein. »Nebenan sitzt dann unsere Signora Brasi, la nostra segretaria. Und Fabrizio, il nipote di Paola, der Sohn ihres Bruders.«

Die beiden großen Räume sind bis zum Boden verglast, wenn man hier ungestört sein will, muss man die weißen Lamellenvorhänge schließen, was in Paolas Büro der Fall ist.

»Meine Frau hat anscheinend eine Besprechung, bei der sie nicht gestört werden will«, erklärt Enzo.

»Hitzige Verhandlungen«, kommentiere ich die lauten Stimmen, die zu uns in den Flur dringen. Leider versteht man nichts.

Enzo zuckt mit den Schultern. »Manche Kunden sind schwierig«, sagt er knapp.

»Willst du deine Frau nicht unterstützen? Du musst dir wegen mir keine Gedanken machen, ich warte draußen auf dich.«

»Danke, Doro, Paola ist geschickter alleine, ich bin zu emotional, sagt sie immer. Sie rührt sich schon, wenn es kritisch wird, aber bis jetzt ist sie noch mit jedem fertiggeworden. Und wie ich eben höre, ist es sowieso ihr Bruder Ugo, mit dem sie sich da drinnen duelliert. La famiglia«, entschuldigt er sich für das lautstarke Temperament seiner Frau.

»Ihr Bruder? Ist das der Vater von eurem Neffen Fabrizio? Der hier bei euch arbeitet?«, zähle ich eins und eins zusammen und deute auf das zweite Büro.

»Sì, seit ein paar Jahren. Fabrizio hat studiert, Weinbau und Wirtschaft wie Paola. Ich habe nur eine Ausbildung gemacht und meine Erfahrungen auf diversen Weingütern gesammelt. Bis ich Paola kennengelernt habe. Seitdem lebe ich hier mit ihr unseren Traum.«

»Wer kann das schon von sich behaupten«, sage ich.

»Aber jetzt ist dieser Traum zu Ende.« Enzo schluckt schwer.

Ich lege ihm tröstend die Hand auf den Arm. »Warte erst mal ab. Vielleicht ist alles ganz anders und du machst dich unnötig verrückt.«

Enzo schnaubt. »Wäre schön, wenn ich das glauben könnte. Aber mach dir erst mal selber ein Bild … Komm, ich stelle dir die anderen vor.«

Wir sehen vom Flur aus durch die offen gestellten Lamellen, dass sowohl Signora Brasi als auch Fabrizio telefonieren.

»Macht nichts«, sagt Enzo, »dann zeige ich dir vorher dein Zimmer und wir schauen anschließend noch mal hier vorbei. Wartest du kurz? Ich springe schnell nach oben und sehe nach, ob schon alles hergerichtet ist, bevor wir die Koffer hochschleppen. D’accordo?«

Ich nicke. »Kein Problem, ich geh raus auf den Hof.«

»Mach das und schau dich gerne um, ich bin gleich wieder da.« Enzo eilt den Gang entlang nach hinten zum Durchgang, ich gehe vorne raus und schlendere ums Haus herum. Laura kauert immer noch am Boden. Mittlerweile hat das kleine, struppige Kätzchen Gesellschaft bekommen. Ein buntes Grüppchen umschwärmt das Mädchen. Ein rot getigertes, ein schwarz-weißes und ein besonders süßes hellgraues Wollknäuel. Das wäre meins, dieses Katzenbaby würde ich am liebsten mit nach Hause nehmen.

Ich hocke mich neben Laura. »Gibt hier viele Streuner, was?«, frage ich.

Laura zuckt mit den Schultern. »Sì, certo«, sagt sie, »aber viele sind dann plötzlich wieder verschwunden.«

»Wieso verschwunden? Meinst du …?« Das will ich mir jetzt lieber nicht vorstellen. »Wenn die Besitzer die Kleinen umbringen wollten, dann würden sie das doch gleich nach der Geburt tun, oder nicht?«

»Die gehören keinem. Die Katzen legen ihren Wurf irgendwo an einem geschützten Ort ab und kümmern sich dann oft nicht so, wie es nötig wäre. Das sind ja selber meistens Streuner. Die sind mager und können den Jungen nicht viel Milch geben.«

»Und du versorgst sie? Finde ich klasse.«

Laura wehrt sanft die spitzen Krallen der Kleinen ab. »Ich gebe ihnen ein bisschen Futter. Aber viele sind krank und kommen nicht wieder. Wahrscheinlich sterben sie.« Ihre Stimme klingt traurig.

Verstehe ich gut. Diese kleinen Kerlchen haben keine Lobby.

»Es gibt Leute, die Katzen einfangen und verkaufen«, sagt sie.

»Wie …? Meinst du für Tierversuche?« Natürlich habe ich davon gehört, gibt’s ja überall auf der Welt, aber konkret dreht es mir bei der Vorstellung fast den Magen um.

»Keine Ahnung. Aber ja, vielleicht. Wahrscheinlich, denk ich.«

Enzo kommt um die Ecke.

»Wir reden noch darüber«, verspreche ich Laura.

Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht.

Ich erhebe mich und gehe Enzo entgegen.

»Komm, wir holen dein Gepäck. Dein Zimmer ist fertig. Zweiter Stock«, sagt er und zwinkert mir zu.

Löst bei mir gemischte Gefühle aus. Ich wohne im Haus der Familie, obwohl Paola mich da eigentlich gar nicht haben will – kein angenehmer Gedanke.

Enzo übernimmt kommentarlos den Koffer, ich schnappe mir den Rucksack und folge ihm. Wieder gehen wir den Flur runter bis zum Ende, lassen den neuen Bürotrakt diesmal links liegen.

»Rechts hinten ist das Treppenhaus. Im ersten Stock wohnt die Familie, also Paola, ich und die Kinder. Im zweiten Stock haben wir noch jede Menge Platz für Freunde und sonstige Besucher, die wir nicht im Gästehaus drüben unterbringen wollen. Das neue Gästehaus war eine gute Investition, der Trend, direkt auf dem Weingut Urlaub zu machen, nimmt immer mehr zu. Das kann man in diesem Haus nicht wirklich ideal trennen. Manche waren ja so dreist und standen abends bei uns im Wohnzimmer, so groß konntest du das Schild ›Privat‹ gar nicht schreiben.«

»Du brauchst mir nichts zu erzählen«, sage ich lachend, »was meinst du, wie oft bei uns im Restaurant ein ungebetener Gast in der Küche steht. Jeder meint ja, er sei etwas Besonderes und so weiter.«

Enzo nickt wissend.

»Wie sehr stört es deine Frau denn, dass ich hier wohne?«

»Mach dir keine Sorgen, Doro. Es tangiert sie nicht so stark, wie du vielleicht vermutest. Paola ist nur momentan nicht sie selbst. Sie ist nicht ärgerlich auf dich, ich glaube, sie mag sich grade selber nicht.« Enzo seufzt tief. »Es lässt sie wahrscheinlich nicht kalt, wie sie mich hintergeht. Wir waren immer ein glückliches Paar, anders kann ich es nicht sagen. Umso schlimmer, dass es jetzt vorbei sein soll.«

»Enzo, du weißt doch noch gar nichts Genaues. Wir fühlen deiner Frau auf den Zahn, das verspreche ich dir. Und wenn dann alles so schlimm ist, wie du befürchtest, dann darfst du jammern. Aber vorerst verordne ich dir Optimismus. Basta!«

Enzo verzieht das Gesicht, aber wirklich fröhlich sieht er immer noch nicht aus.

»Ein bisschen anstrengen musst du dich schon«, befehle ich so oberlehrerinnenhaft, dass er nun doch lächeln muss.

»Hier ist dein Zimmer.« Er bleibt stehen und steckt den Schlüssel ins Schloss. Die Tür schwingt nach innen auf.

»Wow!«, entfährt es mir. »Es ist mega.« Groß, hell, nach Westen ausgerichtet, ich ahne den Gardasee hinter den zugezogenen Gardinen. Mit ein paar Schritten bin ich am Fenster, schiebe den Vorhang zur Seite, und richtig, das Gut liegt hoch genug, um hier im zweiten Stock einen gigantischen Blick auf den See zu haben. Ich drehe mich zu Enzo um. »Wow!«, wiederhole ich. »Wenn du wüsstest, wie sehr ich den Ausblick liebe!«

»Kann ich mir vorstellen. Ich dachte, als kleine Entschädigung für das, was ich dir hier zumute …«

»Grazie, Enzo, aber lassen wir das Thema. Es ist, wie’s ist, und ich hoffe, dass wir den ganzen Scheiß nicht umsonst machen. Sorry, aber manchmal muss man die Dinge beim Namen nennen. Und jetzt würde ich sagen: Auf in den Kampf!«