Barmherzigkeit - George Augustin - E-Book

Barmherzigkeit E-Book

George Augustin

4,8

Beschreibung

Nach dem Matthäusevangelium, mit dem das Neue Testament beginnt, kritisiert Jesus seine engsten theologischen Verwandten und ärgsten theologischen Konkurrenten, die Pharisäer und Schriftgelehrten, dass sie in der Auslegung der Tora falsche Prioritäten setzten: Sie kümmerten sich um den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel, ließen aber außer Acht, was den Schlüssel zum Ganzen bilde: "Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Glauben" (Mt 23,23). Die Gerechtigkeit ist die Treue Gottes zu seinen Verheißungen, dem Recht zum Sieg zu verhelfen; die Barmherzigkeit ist die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, die Not leiden und Schuld auf sich laden; im Glauben wird Gottes Gerechtigkeit wie seine Barmherzigkeit angenommen und nachgeahmt - durch die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Diese jesuanische Hermeneutik des Gesetzes und damit der Bibel Israels kommt nicht von ungefähr. Sie nimmt den cantus firmus beider Testamente auf: dass Gottes höchste Gerechtigkeit in seiner Barmherzigkeit kulminiert, weil sie nicht an irdische Grenzen gebunden ist, sondern himmlische Weite erlangt, und dass seine Barmherzigkeit nicht ungerecht, sondern gerecht ist, weil sie durch Gnade selbst da noch Recht schaffen kann, wo ein brutales Unrechtsregime katastrophale Verhältnisse heraufgeführt hat. Dass in der katholischen Kirche mit großem Echo ein "Jahr der Barmherzigkeit" ausgerufen worden ist, nimmt diesen Grundzug biblischer Theologie auf; es bejaht die Sehnsucht vieler Menschen, von Gott nicht verurteilt, sondern in aller Schwäche geliebt zu werden; es hat aber auch die dunkle Kehrseite einer kirchlichen Lehre und Praxis, die oft als ungerecht und unbarmherzig empfunden wird und dadurch zur großen Glaubwürdigkeitskrise wird, weil anscheinend Prinzipien wichtiger sind als Einzelfälle und Dogmen wichtiger als Personen. Von einem neutralen Standpunkt aus kann man zwar fragen, ob ein solcher Eindruck nicht vielfach vorurteilsbehaftet ist. Aber die unruhige Frage wird dadurch nicht beantwortet, wie glaubwürdig werden kann, dass, von Jesus her geurteilt, das erste Prinzip die Barmherzigkeit in ihrer Einheit mit der Gerechtigkeit und das erste Dogma die Inkarnation der Liebe Gottes in Jesus Christus ist. George Augustin hat mit sicherem Gespür die missionarischen und katechetischen Chancen erkannt, die das Mega-Thema Barmherzigkeit birgt - nicht nur in einem "Jahr der Barmherzigkeit". Er ist dafür prädestiniert und hat daraus viel gemacht.

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Mut!

Gib Deiner Zeit

Barmherzigkeit!

Liebe macht Sinn,

wag und gewinn,

lebe sie heut,

trotze dem Leid –

Dein Mut erfreut!

Hans-Jürgen Sträter

Inhalt

Vorwort

von Thomas Söding

Barmherzigkeit Neuentdeckung der christlichen Berufung

von George Augustin

Auszüge aus der „Biblischen Real- und Verbal-Hand-Concordanz“

von M. Gottfried Büchner

Barmherzigkeit

Barmherzigkeit Gottes

Erbarmen

Erbarmer

Zu den Autoren

Pater George Augustin, Kardinal Walter Kasper und Hans-Jürgen Sträter am 21. Mai 2016 zum 10-jährigen Jubiläum des Kardinal Walter Kasper Institutes in Vallendar

Vorwort

Nach dem Matthäusevangelium, mit dem das Neue Testament beginnt, kritisiert Jesus seine engsten theologischen Verwandten und ärgsten theologischen Konkurrenten, die Pharisäer und Schriftgelehrten, dass sie in der Auslegung der Tora falsche Prioritäten setzten: Sie kümmerten sich um den Zehnten von Minze, Dill und Kümmel, ließen aber außer Acht, was den Schlüssel zum Ganzen bilde: „Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Glauben“ (Mt 23,23). Die Gerechtigkeit ist die Treue Gottes zu seinen Verheißungen, dem Recht zum Sieg zu verhelfen; die Barmherzigkeit ist die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, die Not leiden und Schuld auf sich laden; im Glauben wird Gottes Gerechtigkeit wie seine Barmherzigkeit angenommen und nachgeahmt – durch die Liebe zu Gott und zum Nächsten.

Diese jesuanische Hermeneutik des Gesetzes und damit der Bibel Israels kommt nicht von ungefähr. Sie nimmt den cantus firmus beider Testamente auf: dass Gottes höchste Gerechtigkeit in seiner Barmherzigkeit kulminiert, weil sie nicht an irdische Grenzen gebunden ist, sondern himmlische Weite erlangt, und dass seine Barmherzigkeit nicht ungerecht, sondern gerecht ist, weil sie durch Gnade selbst da noch Recht schaffen kann, wo ein brutales Unrechtsregime katastrophale Verhältnisse heraufgeführt hat.

Dass in der katholischen Kirche mit großem Echo ein „Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen worden ist, nimmt diesen Grundzug biblischer Theologie auf; es bejaht die Sehnsucht vieler Menschen, von Gott nicht verurteilt, sondern in aller Schwäche geliebt zu werden; es hat aber auch die dunkle Kehrseite einer kirchlichen Lehre und Praxis, die oft als ungerecht und unbarmherzig empfunden wird und dadurch zur großen Glaubwürdigkeitskrise wird, weil anscheinend Prinzipien wichtiger sind als Einzelfälle und Dogmen wichtiger als Personen. Von einem neutralen Standpunkt aus kann man zwar fragen, ob ein solcher Eindruck nicht vielfach vorurteilsbehaftet ist. Aber die unruhige Frage wird dadurch nicht beantwortet, wie glaubwürdig werden kann, dass, von Jesus her geurteilt, das erste Prinzip die Barmherzigkeit in ihrer Einheit mit der Gerechtigkeit und das erste Dogma die Inkarnation der Liebe Gottes in Jesus Christus ist.

George Augustin hat mit sicherem Gespür die missionarischen und katechetischen Chancen erkannt, die das Mega-Thema Barmherzigkeit birgt – nicht nur in einem „Jahr der Barmherzigkeit“. Er ist dafür prädestiniert und hat daraus viel gemacht.

Er ist Schüler von Walter Kasper, der das Thema weit nach oben auf die Agenda der Katholischen Kirche geschoben und fest mit einem heißen Eisen der katholischen Moraltheologie verschmolzen hat: der Ehe und Familie.

Er ist von Haus ein Inder, der weiß, was es heißt, als kleine christliche Minderheit in einem gigantischen Vielvölkerstaat zu leben und eine traditionell geprägte Glaubenswelt mit der Globalisierung zu vernetzen.

Er arbeitet als Priesterseelsorger, der die Nöte der Seelsorger kennt, nicht nur die eigenen, die nicht selten mit dem Zölibat und der Sexualität zu tun haben, aber auch oft genug ganz tief in die Glaubensexistenz dringen, sondern nicht weniger die der Gläubigen, die in Deutschland kaum noch zur Beichte gehen, aber oft von Sorgen zerfressen und von Schuldgefühlen zernagt, zuweilen aber auch von ihrem Erfolg aufgefressen werden.

George Augustin treibt seine eigene Theologie ganz nah an der Erfahrungswelt der Menschen, unter denen er lebt und für die er Priester und Professor sein will. Deshalb der Rückgriff auf die Bibel: nicht um exegetischer Detailgenauigkeit oder historischer Neugier willen, sondern um einen Eindruck von der großen Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen zu gewinnen, die nicht aufhört, sondern weitergeschrieben wird.

Das Thema der Barmherzigkeit ist aktuell, aber nicht neu. Es ist in der katholischen Theologie der Gegenwart brisant, aber nicht nur hier. Deshalb ist es ein ökumenisches Zeichen, dass in diesem Buch ein Gespräch angebahnt wird, das Jahrhunderte, Konfessionen und Kontinente überspannt. M. Gottfried Büchner ist ein urdeutscher evangelischer Theologe des 18. Jahrhunderts, dessen „Biblische Real- und Verbal-Hand-Concordanz oder exegetisch-homiletisches Lexikon“ äußerst beliebt gewesen ist, weil sie aus pastoralen Gründen biblische Theologie identifiziert hat.

Barmherzigkeit ist ein gesamtbiblisches, ein gesamtchristliches, ein gesamtmenschheitliches Thema. Es bleibt aktuell.

Thomas Söding

George Augustin

Barmherzigkeit Neuentdeckung der christlichen Berufung

Die Botschaft der Barmherzigkeit steht im Zentrum der biblischen Offenbarung und sie bildet die Mitte der christlichen Berufung: „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!“ (Lk 6,36). Barmherzigkeit ist die Mitte der christlichen Heilsbotschaft und das Grundgesetz des Christseins. Diese Botschaft ist aber nicht nur zentral für die Heilige Schrift, sondern Barmherzigkeit ist ein Begriff, der universal über die Grenzen der Nationen, Kulturen und Religionen hinweg verstanden wird. Barmherzigkeit ist eine Sprache des Herzens und als solche ist sie universal kommunikabel. Deshalb ist die Botschaft der Barmherzigkeit von bleibender Aktualität und brisanter praktischer Bedeutung.

Um die tiefe Bedeutung der Barmherzigkeit für unser Leben und Tun zu erfassen, müssen wir verschiedene Dimensionen der Barmherzigkeit unterscheiden: 1. die Barmherzigkeit Gottes als Ausdruck seiner wohlwollenden Liebe; 2. geschenkte Barmherzigkeit durch die Teilhabe an der Barmherzigkeit Gottes und ihre verwandelnde Kraft in unserem Leben; 3. Barmherzigkeit als Ausdruck der gelebten Nächstenliebe in unseren Handlungen, besonders das Erweisen von Barmherzigkeit gegenüber den Armen und Notleidenden. Die Praxis der Barmherzigkeit kann unsere Welt gerechter und schöner machen. Für das Leben und Zusammenleben der Menschen in unserer Zeit ist die Praxis der Barmherzigkeit zentral.

Deshalb ist es von unverzichtbarer Bedeutung, dass wir die Schönheit der Barmherzigkeit Gottes erkennen und seine Tiefe in unserem Leben erfahren, damit wir in allen Lebensbereichen Barmherzigkeit leben können.

Barmherzigkeit ist der Name Gottes

Die existentielle und spirituelle Bedeutung der Barmherzigkeit kommt in ihrer ganzen Schönheit zum Vorschein, wenn wir uns ihr von der unendlichen Barmherzigkeit Gottes her annähern. Gott ist Ursprung der Barmherzigkeit. Aus dieser Quelle strömt alles. Die Praxis der Barmherzigkeit führt uns zurück zu dieser Quelle. Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von Gott. Im Licht seiner Herrlichkeit erkennen wir sein Erbarmen und seine Gerechtigkeit (vgl. Bar 5,1–9).