Baron von Teive - Fernando Pessoa - E-Book

Baron von Teive E-Book

Fernando Pessoa

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Beschreibung

Álvaro de Campos, Alberto Caeiro, Ricardo Reis - Fernando Pessoa, der größte Dichter Portugals des 20. Jahrhunderts, träumte immer davon, alle Menschen zugleich zu sein. In seinem Werk hat er sich diese Sehnsucht erfüllt: unablässig erschuf er neue Dichter, schenkte ihnen eine Biographie und schrieb ihnen die unterschiedlichsten Werke zu. Die legendäre Truhe, in der man Pessoas Manuskripte lang nach seinem Tod fand, enthält so das größte Stimmentheater der Weltliteratur, dessen Partitur die neue Pessoa-Ausgabe Band für Band enthüllt. Álvaro Coelho de Athayade ist der 20. Baron von Teive und der einzige Selbstmörder im Werk Pessoas. Seine persönliche Chronik ist eine Sammlung negativer Lebenslektionen, und voll Schmerz muss er erkennen, dass er die Bücher, die er schreiben wollte, nicht schreiben kann. Der Text des Halbheteronyms ist eine wichtige Ergänzung zum »Buch der Unruhe«: »Träumen ist besser als sein. Im Traum gelingt alles so mühelos!«

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Fernando Pessoa

Baron von Teive

Die Erziehung zum Stoiker

Herausgegeben von Richard Zenith

Aus dem Portugiesischen übersetzt von Inés Koebel

FISCHER E-Books

Inhalt

Vorwort des HerausgebersDie Erziehung zum StoikerManuskript, in einer Schublade gefundenDie tiefste und tödlichste [...]Nichts ist tragischer, als [...](als Kind) [...](Die Verführung von Maria [...]Andere FragmenteErläuternde BemerkungDas DuellThree PessimistsDrei PessimistenLeopardiLeopardiAnhangPost mortemErläuterung der ZeichenAnmerkung der ÜbersetzerinDer Baron als StoikerI.II.III.IV.V.VI.

Vorwort des Herausgebers

Die Erziehung zum Stoiker, in der Baron von Teive sich anschickte, »unumwunden zu sagen, aus welchen Gründen« er die von ihm angestrebten literarischen Werke nicht verwirklichte, gehört zu den zahlreichen Schriften innerhalb von Pessoas Gesamtwerk, die weder überarbeitet noch abgeschlossen wurden. Pessoa hat nicht eines jener Teive zugeschriebenen Textfragmente veröffentlicht. Er erwähnt den Baron lediglich in einem seiner zahlreichen (hier im Nachwort zitierten), ihn selbst deutenden Texte. Ungeachtet der seltenen Erwähnung Teives, hat Pessoa nachdrücklich im Namen des Edelmanns geschrieben, eines seiner Heteronyme, das laut eines an Gaspar Simões gerichteten Briefes vom 27. 5. 1932 »demnächst in Erscheinung treten« sollte.

Maria Aliete Galhoz hat durch die Aufnahme einiger mit dem Namen Teives gezeichneter Fragmente in ihren Pessoa-Band Obra Poética (Rio de Janeiro, 1960) den Baron als erste der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Teresa Rita Lopes wiederum hat in ihrem 1990 in Lissabon erschienenen Band Pessoa por Conhecer (Pessoa zum Kennenlernen) weiteres, bisher unveröffentlichtes Material aus der Feder Teives publiziert. Hier nun liegt die erste vollständige Ausgabe des ihm zugeschriebenen Werks vor. Es umfaßt neben einigen hand- und maschinenschriftlichen auch zahlreiche in einem kleinen, schwarzen Heft enthaltene und erst vor kurzem transkribierte Texte: in der Mehrzahl Notizen und Entwürfe, schwer zu entziffern und zu ordnen, »plötzliche Einfälle, trefflich, (…) doch unzusammenhängend, noch zu verknüpfen«, wie wir durch Teive erfahren – ein Werk, das er seinen Worten nach im Ofen verbrannte.

Die Fragmente des schwarzen Heftes in ihrer ursprünglichen Anordnung vorzustellen wäre eine durchaus zu rechtfertigende editorische (und für eine kritische Ausgabe zwingende) Entscheidung, zudem hätte sie den Vorteil, den schöpferischen Weg von Gedanken zu Gedanken, von Thema zu Thema sichtbar zu machen und aufzuzeigen, wie dieser bald zum Ausgangspunkt zurückkehrt, bald eine neue Richtung einschlägt. Dann aber stünden viele Aufzeichnungen so vereinzelt da, daß sie in diesem Labyrinth verlorengingen oder aber der Leser sich darin verlieren würde.

Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, den Inhalt des schwarzen Heftes zusammen mit anderen Fragmenten aus der Feder des Barons zu veröffentlichen und bestimmte »biographische« Details ebenso miteinander zu verknüpfen (darunter zwei Anmerkungen zu Teives Kindheit) wie vereinzelte Gedankenfragmente zu einem Thema. Es handelt sich hierbei weder um einen editorischen Eingriff, zumal die Authentizität jedes Fragments gewahrt wird, noch um die »Wiederherstellung« eines Textkörpers, den es niemals gegeben hat. Ich versuche lediglich, die –behauenen und unbehauenen– Steine eines Monuments deutlicher hervorzuheben, das niemals errichtet wurde.

 

Für diesen Band stehen mehrere Titel zur Auswahl, alle aus der Feder Pessoas: Das einzige[1] Manuskript des Barons von Teive, Die Erziehung zum Stoiker, Beruf eines Unproduktiven und Manuskript, in einer Schublade gefunden. Einige Texte der bereits zitierten Obra Poética sind nicht in dieser Ausgabe enthalten, so auch das Fragment, das ich unter der Nummer 207 in das Buch der Unruhe aufgenommen habe[2], desgleichen ein Fragment aus der Erzählung Daphnis und Chloe, das jedoch weder einen Bezug zur Erzählung selbst noch zu Teive hat. Statt dessen aber finden Sie im Anhang drei Texte, deren Thematik mir von besonderem Interesse scheint. Zum einen Das Duell, es dürfte lange vor der eigentlichen Existenz des Barons von Teive geschrieben worden sein, zum anderen Three Pessimists und Leopardi, beide in Englisch verfaßt und offenbar aus derselben Zeit, in der Teive sich schriftstellerisch betätigte, nämlich ab 1928. Teives Englisch ist im allgemeinen stark portugiesisch gefärbt, ein Phänomen, das sich mit Pessoas wachsender Distanzierung von seiner südafrikanischen Kindheit noch verstärkte.

Richard Zenith

Die Erziehung zum Stoiker

Das einzige Manuskript des Barons von Teive Über die Unmöglichkeit, hohe Kunst zu schaffen

Manuskript, in einer Schublade gefunden

Um dieses Buch nicht auf dem Tisch meines Zimmers zu lassen und somit den neugierigen und fragwürdig sauberen Händen des Hotelpersonals auszusetzen, habe ich mit einem gewissen Kraftaufwand die Schublade geöffnet, es hineingelegt und bis ganz nach hinten geschoben. Es stieß gegen irgend etwas, denn die Schublade selbst war von nicht geringer Tiefe.

Die tiefste und tödlichste aller Dürren seit Menschengedenken ist über uns gekommen – die der inneren Erfahrung von der Vergeblichkeit aller Anstrengung und der Nichtigkeit aller Vorsätze.

 

Ich habe die Sättigung des Nichts erreicht, die Fülle des Garnichts. Der gleiche Impuls, der uns früh in den Schlaf treibt, wird mich in den Selbstmord treiben. Ich bin aller Absichten überaus müde.

Nichts kann mein Leben mehr ändern. Wenn … Wenn … Ja, wenn aber immer irgend etwas nicht geschehen ist, wenn also nichts geschehen ist, warum dann überlegen, was wäre, wenn etwas geschehen wäre?

 

Ich fühle das Ende meines Lebens nahe, weil ich selbst es nahe will. Die beiden letzten Tage habe ich damit verbracht, meine Manuskripte eines nach dem anderen zu verbrennen, und dies dauerte so lange, da ich hin und wieder in ihnen las, in den Aufzeichnungen meiner abgelebten Gedanken: Notizen und bisweilen bereits fertige Passagen für Werke, die ich nie schreiben würde. Ohne zu zögern, doch mit verhaltener Trauer, habe ich die Brücken verbrannt, dieses Opfer vollbracht, mit dem ich mich vom Ufer des Lebens, aus dem ich gehen werde, verabschieden wollte. Ich bin entschlossen und befreit. Mich töten, ich werde mich jetzt töten. Doch will ich wenigstens mit all der Genauigkeit, deren ich fähig bin, Bericht ablegen von meinem geistigen Leben, ein inneres Bild dessen hinterlassen, was ich war. Ich möchte, wenn mir schon kein Erbe schöner Lügen zu meiner Person vergönnt ist, zumindest die wenige Wahrheit hinterlassen, die auszusprechen uns die große Lüge gerade noch zu erlauben scheint.

Dies wird mein einziges Manuskript sein. Ich überlasse es, anders als Bacon, nicht der barmherzigen Beurteilung der Nachwelt, sondern bedenkenlos der Betrachtung derer, welche die Zukunft mir gleichmachen wird.

Ich erreiche, indem ich alle Bande, mit Ausnahme des letzten, zwischen dem Leben und mir zerreiße, die Klarheit der Seele im Fühlen und die des Verstandes im Begreifen. Sie verleihen mir die nötige Wortkraft, nicht um das Werk zu verwirklichen, das ich nie hätte verwirklichen können, sondern um zumindest unumwunden zu sagen, aus welchen Gründen ich es nicht verwirklicht habe.

 

Diese Seiten stellen kein Selbstbekenntnis dar, sondern eine Selbstkennzeichnung. Während ich sie niederzuschreiben beginne, spüre ich, daß ich es mit einer gewissen Wahrhaftigkeit werde tun können.

 

In dieser Hinsicht war der Selbstmörder im voraus ungerecht gegen sich selbst. In den Zeitungen wird ihm rückhaltlose Würdigung zuteil. So übermittelt auch der örtliche Korrespondent des »Diário de Notícias«[3] seinem Blatt die Todesnachricht mit folgenden Worten: »Gestern hat sich in seinem Haus in Macieira Senhor Álvaro Coelho de Athayde, 20. Baron von Teive und Nachfahre einer der vornehmsten Familien dieses Landkreises, den Tod gegeben. Das traurige Ende des Barons von Teive hat große Betroffenheit ausgelöst, war der Verstorbene für seine edlen Charaktereigenschaften doch allseits geschätzt.«

Landgut Macieira

12. Juli 1920

Nichts ist tragischer, als wenn intellektuelles und moralisches Vermögen in ein und derselben Seele oder in ein und demselben Menschen gleich stark ausgeprägt sind. Um eindeutig und absolut moralisch sein zu können, muß ein Mensch etwas dumm sein. Um absolut intellektuell sein zu können, muß ein Mensch etwas unmoralisch sein. Ich weiß nicht, welches Spiel oder welche Ironie der Dinge den Menschen weitgehend zu dieser Dualität verdammt. Zu meinem Übel vollzieht sie sich in mir. So, im Besitz zweier Stärken, habe ich niemals etwas aus mir zu machen vermocht. Nicht eine, sondern zwei gleich starke Eigenschaften haben mich für das Leben getötet[4].

 

Wo auch immer ich auf einen Rivalen oder möglichen Rivalen traf, gab ich sofort und ohne zu zögern auf. Dies gehört zu den wenigen Dingen in meinem Leben, bei denen ich nie gezögert habe. Mein Stolz hat mir nie erlaubt, mit anderen zu konkurrieren, sofern die erschreckende Möglichkeit eines Scheiterns bestand. Desgleichen habe ich nie an irgendwelchen Wettspielen teilgenommen. Denn ich wäre immer ein mißmutiger Verlierer gewesen. Weil ich mich den anderen für überlegen hielt? Nein, ich habe mich nie im Schach oder im Whist für überlegen gehalten. Es war schlicht Stolz, ein überbordender und bluttriefender Stolz, den keine noch so verzweifelte Bemühung meines Verstandes zu brechen oder zu zügeln vermochte. Ich habe mich immer ferngehalten von der Welt und dem Leben, und der Zusammenprall mit einem ihrer Elemente hat mich immer wie eine von unten kommende Beleidigung getroffen, wie die plötzliche Revolte eines allgegenwärtigen Lakaien.

 

Was mich besonders gegen mich aufbrachte in jenen Augenblicken schmerzlicher Ungewißheit, obgleich ich lange im voraus wußte, daß es keine Lösung für meine Zweifel gab, war das Eindringen des gesellschaftlichen Faktors in das unausgewogene Spiel meiner Entscheidungen. Nie habe ich etwas gegen den Einfluß der Vererbung und der frühkindlichen Erziehung auszurichten vermocht. Auch wenn ich mich immer gegen solch sterile Begriffe wie Adel und gesellschaftlicher Rang verwehren konnte, vergessen konnte ich sie nie. Sie sind in mir wie eine Feigheit, die ich verachte, gegen die ich aufbegehre, die aber auf befremdliche Weise meinen Verstand und meinen Willen in Fesseln legt. Es bot sich mir einst die Gelegenheit, eine junge, sehr einfache Frau zu heiraten und vielleicht glücklich zu werden; dann aber spürte ich, wie, durch die Unentschiedenheit meiner Seele, zwischen sie und mich vierzehn Generationen von Baronen traten, eine über meine Hochzeit lächelnde Kleinstadt, der beißende Spott meiner nie nahen Freunde, ein nicht enden wollendes, aus Engstirnigkeit bestehendes Unbehagen, ein solches Maß an Engstirnigkeit, daß sie wie ein Verbrechen auf mir lastete. Und so habe ich, ein intelligenter und unabhängiger Mensch, mich durch Nachbarn, die ich verachte, um mein Glück gebracht.

Die Art, wie die junge Frau sich kleiden, sich geben, in meinem Hause empfangen würde, in dem ich vielleicht niemanden zu empfangen hätte, die vielen Ungeschicklichkeiten in Worten und Verhalten, die mich weder ihre Zärtlichkeit noch ihre Hingebung vergessen lassen könnten – all diese Gedanken verdichteten sich zu einem bedrohlichen Schreckgespenst, zu einem stichhaltigen Argument gegen die Heirat, wenn ich wach lag und mich hin und her wälzte in meinem Verlangen, jene Frau in dem unendlich großen Netz der Unmöglichkeiten zu sehen, in dem ich mich stets verfangen habe.

Ich erinnere mich noch mit einer Genauigkeit, in die [sich] der vage Duft der Frühlingsluft mischt, des Abends, an dem ich, über all dies nachsinnend, entschied, mich der Liebe zu entziehen wie einem unlösbaren Problem. Es war Mai – ein sommerlich milder Mai, voller Blumen auf den kleinen Flächen meines Guts, Blumen in verschiedenen Farben, die im langsam hereinbrechenden Abend erstrahlten. Ich führte mein schlechtes Gewissen zwischen den wenigen Baumgruppen spazieren. Ich hatte früh zu Abend gegessen und ging, allein wie ein Symbol, unter den unnützen Schatten und dem trägen Rauschen des dunklen Blattwerks dahin. Plötzlich ergriff mich der Wunsch nach völliger Entsagung, nach uneingeschränkter und unwiderruflicher Abgeschiedenheit, ein Widerwille gegen meine zahlreichen Wünsche, meine zahlreichen Hoffnungen, die ich von außen gesehen so mühelos hätte erfüllen können und deren Verwirklichung auch nur zu wollen ich im Inneren so unfähig war. In dieser milden und traurigen Stunde entstand der Gedanke an meinen Selbstmord.

 

… Die unfreiwillige und schwache Askese der Naturen, deren Intelligenz wie ein Blutstrom ist, eine Grundvoraussetzung, eine organische Grundlage für das Leben.