Beim wilden Rosenbusch - Ian Maclaren - E-Book

Beim wilden Rosenbusch E-Book

Ian Maclaren

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Beschreibung

Der schottische Dichter und Theologe Ian Maclaren hieß in Wirklichkeit John Watson und lebte von 1851 bis 1905. Zunächst war er Hilfsprediger in Edinburgh, dann Pfarrer der schottischen Freikirche, von 1877 bis 1880 in Glasgow und ab 1880 in Liverpool. Mit hintergründigem Humor, knapp, aber treffend unmittelbar Erlebtes wiedergebend, schildert er das Leben frommer schottischer Dorfleute, die das Christentum auszuleben suchen

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Beim wilden Rosenbusch

Schottische Erzählungen

Ian Maclaren

Impressum

© 2017 Folgen Verlag, Langerwehe

Autor: Ian Maclaren

Übersetzung: Luise Öhler

ISBN: 978-3-95893-120-6

Verlags-Seite: www.folgenverlag.de

Kontakt: [email protected]

Shop: www.ceBooks.de

 

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Autor

Der Prediger John Watson (3 November 1850 – 6 May 1907), bekannt unter seinem Pseudonym Ian Maclaren, war ein schottischer Autor und Theologe.

Inhalt

Titelblatt

Impressum

Autor

Der alte Schulmeister

Seiner Mutter Predigt

Pfarrer Davidsons letzter Christtag

Ein Doktor von der alten Schule

Um des Gewissens willen

Unsere Empfehlungen

Der alte Schulmeister

Ein begabter Junge

Wir haben in unserer Gemeinde einen Ortsschulrat samt Präsidenten und Sekretär und auch einen Kassier und einen Famulus. Der junge Hillocks, der zwei Jahre bei einem Notar gelernt hat, ist Sekretär, und wenn eine Sitzung gehalten werden soll, so lädt er die Leute durch die Post ein, obgleich er alle Mitglieder auf dem Markt oder in der Kirche trifft. Das Protokoll wird mit großer Feierlichkeit verlesen, und dann bewilligt man vielleicht die Summe von zehn Mark für einen Kohlenkeller.

Das neue Schulhaus steht auf einem freien Platz neben der Landstraße nach Muirtown. Die roten Backsteinwände sehen kahl und ungemütlich aus, denn es ist kein Baum weit und breit. Es ist ein Spielplatz da für die Buben und einer für die Mädchen und ein hübsches Lehrerhaus – alles sauber und symmetrisch und nach der Schnur. Als das Schulhaus fertig war, kam in dem Lokalblättchen ein Artikel mit der Überschrift Drumtochty. Darin beschrieb der Baumeister von Muirtown das Gebäude in einer mit Kunstausdrücken gespickten Sprache, die wahrscheinlich ein Schmerzensgeld für die Steuerzahler sein sollten; er nannte den Namen des Bauunternehmers und schloss mit den Worten: »Dieses stattliche Gebäude in schottisch-griechischem Stil ist eines der schönsten Werke, die wir den Händen des geschickten Architekten verdanken.«

Die Bänke und die Kartenständer sind von amerikanischem Föhrenholz. In der Schulstube hängt ein Thermometer, das nie unter dreizehn und nie über fünfzehn Grad stehen soll, und an den Fenstern sind Ventilatoren, die der Inspektor sorgfältig visitiert. Als ich neulich in die Schule kam, saß der Lehrer am Harmonium und gab Singstunde nach einer neuen Methode. Ich schlich mich auf den Zehen wieder hinaus.

Man findet sich schwer in Neuerungen, und meine Gedanken schweifen zurück zu dem alten Schulhaus und unserem alten Schulmeister. Ein Mann, dem Gottes Liebe im Herzen wohnte, hatte es vor langen Jahren gebaut. Es lag mitten in dem duftigen Tannenwald, da, wo der Weg nach Whinnie Knowe und den höher gelegenen Höfen führt. Es stand in einer Lichtung und hatte auf drei Seiten die hohen schottischen Fichten und auf der vierten ein Ginster- und Brombeergebüsch, durch das ein Fußweg auf die Straße führte. Die Lichtung war der Spielplatz, aber im Sommer benützten die Kinder auch den Wald, soviel sie Lust hatten; sie spielten Verstecken zwischen den Bäumen, und zur Mittagszeit setzten sie sich auf die weichen, trockenen Nadeln, die den Boden wie mit einem Teppich bedeckten.

Eines Abends traf ich den Schulmeister, wie er dastand und den verhallenden Stimmen lauschte. Er schaute so freundlich drein, dass ich ihn am liebsten schildere, wie ich ihn von jenem Abend her in Erinnerung habe. Er ist ein Mann von mittlerer Größe, aber ein wenig gebückt, mit hellem, schon ins Graue spielendem Haar und buschigen Augenbrauen über zwei lebhaften, gescheiten Augen. Sein Hemd ist grob, aber tadellos rein, seine Kleider sind sehr abgetragen, aber gut gebürstet und sauber. Das merkwürdigste Kleidungsstück ist der Rock oder vielmehr der alte, schwarze Frack, den der Schulmeister trägt, denn man findet seinesgleichen nicht im ganzen Dorfe. Es ist ein wahrhaft vorsintflutlicher Frack, aber ohne ihn können wir uns den Schulmeister nicht denken. Der Frack ist uns das Sinnbild der Gelehrsamkeit.

Der Schulmeister hatte studiert und ein ausgezeichnetes Examen gemacht; ich habe sogar unseren Pfarrer einmal sagen hören, er habe eine glänzende Laufbahn vor sich gehabt. Niemand wusste, was geschehen war und warum er plötzlich auf alles verzichtete und sich zu den Kindern von Drumtochty in den Wald zurückzog. Als er starb, fand ich auf seiner Brust ein Medaillon, das das Bild eines schönen, stolzen Frauengesichts enthielt. So hatte der Schulmeister wohl Unglück in der Liebe gehabt. Fortan schenkte er all seine Liebe den Kindern und auch fast all sein Geld, denn er half den Knaben, dass sie studieren konnten, und hatte einen unerschöpflichen Vorrat an Pfefferminzplätzchen für die Kleinen.

Vielleicht hätten wir uns unseres schlechten Schulhauses schämen sollen, aber es hatte jedenfalls einen besonderen Vorzug: es war die Geburtsstätte manches Gelehrten, und noch jetzt kommt hie und da irgendein berühmter Mann und betrachtet sich eine Weile den verlassenen Spielplatz. Die Tür der Schulstube ging unmittelbar ins Freie und stand im Sommer offen, so dass die Knaben die Kaninchen aus ihren Löchern am Saum des Waldes hervorkommen sahen. Manchmal flog auch wohl ein Vögelchen in die Stube herein. Der Tür gegenüber war der Kamin; darin brannte im Winter ein lustiges Feuer, zu dem die Kinder Holz und Torf herbei trugen. An einem Ende der Stube saß der Lehrer mit dem halben Dutzend Jungen, die er auf die Universität zu bringen hoffte und an denen er keine Mühe sparte; am andern Ende sammelten sich die Kleinsten, die oft ihre bloßen Fußzehen am Feuer wärmten. An den Seitenwänden saßen die anderen Kinder auf ihren plumpen, alten Bänken und beschäftigten sich mit Schreiben und Rechnen. Von Zeit zu Zeit trat eine Klasse vor und sagte etwas auf, und hie und da bekam einer von den Knaben, die nichts gelernt hatten, ein paar Tatzen. Die Mädchen schlug der Schulmeister nie, sondern er ließ sie dableiben mit einem Bruder, der sie heimbegleiten musste. Ehe sie aber gingen, durften sie mit dem Lehrer Tee trinken und bekamen Honigbrot dazu, und so wussten sie nachher nicht recht, ob sie ein andermal dem Schulmeister zur Freude gut lernen oder sich durch Faulheit mit der Strafe auch den Tee beim Lehrer erwerben wollten.

Sieben Pfarrer, vier Lehrer, vier Ärzte, ein Professor, drei andere Beamte und viele Geschäftsleute waren unter unserem alten Schulmeister aus der Schule von Drumtochty hervorgegangen. Er hielt am meisten auf die klassische Bildung, aber er ließ auch andern Talenten ihr Recht widerfahren, und als der Sohn von Hillocks' Aufseher eine Sammlung der Insekten von Drumtodity angelegt hatte, wurde im Pfarrhaus ein Rat gehalten. Der »Bienenwilli« (das war des Jungen Spitzname) durfte nicht mehr ausgelacht werden, und man förderte seine Bestrebungen. In späterer Zeit kam jedes Jahr einmal ein langer Brief an Herrn Patrick Jamieson, Dr. phil., Schulmeister von Drumtochty, und zwar kam der Brief aus dem britischen Museum. Wenn ihn der Schulmeister dann in der Schule vorlas, so versäumte er nie, hinzuzufügen: »Dr. Graham ist der größte lebende Kenner der Käfer.« Wenn ein begabter Junge keine Lust zum Latein hatte, so konnte er sich immer für die Käfer entscheiden.

Aber nach dem Latein suchte der Schulmeister wie nach feinem Golde. Es war ein Freudentag in seinem Leben, wenn er einen künftigen Gelehrten entdeckte. Die ganze Schule freute sich mit, als es mit Georg Howe richtig wurde. Einen Winter lang hatte ihn der Schulmeister durch den Cäsar gehetzt, ihn durch die unregelmäßigen Zeitwörter gejagt und ihm zwischenein als Lockspeise ein Stückchen Virgil vorgehalten. Während dieser Übungen sah er über seine Brille weg auf den Schüler, mit einer Hoffnung, die von Tag zu Tag zuversichtlicher wurde, bis sie bei einem Stück lateinischer Prosa ihren Gipfelpunkt erreichte. Der Schulmeister machte ein Gesicht, als ob er einen recht guten Bissen in den Mund bekommen hätte, und klatschte sich vor Vergnügen zweimal aufs Bein.

»'s geht, 's geht«, rief er laut, indem er eine große Prise nahm; »Georg, mein Junge, sag deinem Vater, dass ich heute Abend nach Whinnie Knowe komme, ich muss etwas mit ihm besprechen.«

Nim wusste die Schule, dass Georg für die Universität bestimmt war.

Whinnie (so nannte man Georgs Vater nach dem Namen des Hofs) war sehr neugierig und neckte Margaret, seine Frau, der Georg schon vorher in der Milchkammer merkwürdige Dinge anvertraut hatte.

»Er kann doch kaum wollen, dass ich ihm Kohlen am Bahnhof hol, er muss noch einen ganzen Haufen haben.

Saatkartoffeln können's auch nicht sein, denn er hat selber welche von der roten Sorte. Ich fürcht, 's hat mit dem Jungen was gegeben; er wird hinter die Schule gegangen sein. Ich weiß wohl noch, wie ich einmal Schläge gekriegt hab fürs Nesterausnehmen. Ja, so wird's sein.«

»Aber Willem«, unterbrach ihn Margaret, eine große, stille Frau mit ausdrucksvollem Gesicht, »was fällt dir ein? Nein, 's ist was ganz andres, 's ist das, um was ich gebetet hab, seit der Junge klein war. Wasch dich und geh dem Schulmeister entgegen, 's ist kein Mann in Drumtochty, kein Bauer und kein Pächter, vor dem ich mehr Respekt hab.«

Wir Drumtochtyer tun gemach im Gespräch; wir gehen langsam voran, halten zuweilen inne und lassen alle Bauern aufmarschieren, ehe wir die Königin ins Spiel bringen. Die beiden Männer sprachen ausführlich vom Wetter, ehe sie auf Georg kamen, aber man merkte wohl, dass der Schulmeister etwas Wichtiges auf dem Herzen hatte, und auch Whinnie konnte nicht mit dem gewohnten Interesse von der Rübenernte sprechen.

Endlich räusperte sich der Schulmeister und sah nach Margaret, die hin und hergegangen war, aber so, dass sie alles hören konnte: »Georg ist ein Prachtjunge, Frau Howe.«

Eine gewöhnliche Mutter in Drumtochty wäre bei diesen Worten fast vor Stolz vergangen, sie hätte aber geantwortet: »Ja, er wäre schon recht, wenn er nur auch frömmer wär«; in einem Ton, als wäre dem Jungen nichts Gutes zuzutrauen, ja, als wäre er einer der ärgsten Taugenichtse im Dorf. Margaret aber sah nur den Lehrer mit einem fröhlichen, fragenden Gesicht an.

»Was wollt Ihr aus ihm machen?« sagte der Schulmeister langsam und deutlich, wie es sich für eine so wichtige Frage geziemte.

Whinnie sah seine Frau an und wandte sich zum Schulmeister: »Die Margaret möcht eben gern, dass der Georg ein Pfarrer würd.«

»Nur wenn er's würdig ist«, sagte sie; »aber woher das Geld kommen soll, weiß ich nicht. Die Pacht ist hoch, und am Ende vom Jahr sind kaum ein paar Pfennig übrig.«

»Aber Ihr möchtet doch, dass der Georg studiert? Wenn aus dem Jungen nichts wird, dann will ich nie mehr sehen können, ob einer begabt ist. Der Pfarrer ist auch meiner Ansicht.«

»Herr Jamieson«, sagte Margaret mit großem Ernst, »meines Herzens Wunsch ist, dass der Georg ein Pfarrer wird, und wenn unser Herrgott mich's erleben lässt, dass mein eigener Sohn das Evangelium verkündigt, so hab ich sonst nichts mehr zu wünschen … Aber ich weiß nicht, wie wir's machen sollen.«

Mehr wollte der Schulmeister nicht wissen, und er zeigte sich jetzt in seiner ganzen Kraft. »Wenn der Georg Howe nicht studiert, so ist er der erste Schüler, mit dem mir's nicht geglückt ist. Ihr könntet doch für seine Kost sorgen?«

»Daran soll's nicht fehlen«, sagte Whinnie, der jetzt auch in Eifer kam, »und wenn ich die vier Jahre keinen neuen Rock haben sollt. Aber wie ist's mit dem Kollegiengeld und was er sonst braucht?«

»'s ist einer im Dorf, der alles zahlen kann, ohne dass ihm's weh tut, und ich steh dafür, er tut's.«

»Meint Ihr den Drumsheugh?« sagte Whinnie, »oh, der gibt keinen Pfennig her. Wisst Ihr nicht mehr, wie die von der Freikirche ihn beschwatzt haben, dass er in ihre Kirch kam, als dem Netherton seiner Schwester ihr Sohn von Edinburgh eine Missionspredigt hielt? Sie meinten, er werd ein Goldstück opfern, aber er hat wahrhaftig im Wirtshaus eine Mark wechseln lassen und einen Zehner eingeworfen. Ja, der Drumsheugh, das ist so einer. Den Gang könnt Ihr Euch sparen.«

Aber Margarets Gedanken gingen zurück in die Vergangenheit, und sie sagte mit einem freundlichen Blick: »Früher war er der gutherzigste Mensch im Dorf.«

Der Schulmeister fand Drumsheugh gut aufgelegt, und sie sprachen ausführlich über die Ereignisse im Dorf. Dann kam das Gespräch auf die Schule.

»Wie ist's mit Euren Buben, Herr Schulmeister? Habt Ihr ein paar, aus denen was wird?«

Drumsheugh hatte eine Bresche sehen lassen, und der Schulmeister begann den Sturm auf die Festung mit einer begeisterten Schilderung von Georgs lateinischen Kenntnissen. Drumsheugh zeigte sich befriedigt.

»Nun, 's freut mich, dass der Margaret ihr Sohn sich wacker hält. Vom Vater hat er den Lernkopf nicht geerbt.«

Beim nächsten Angriff merkte Drumsheugh Gefahr und war auf seiner Hut. »Nein, nein, Schulmeister. Ich seh wohl, wo's hinaus will. Ich hab Euch doch am Martinimarkt letztes Jahr sechzig Mark für Eure Studenten gegeben, und jetzt wollt Ihr vier Jahre lang allemal hundert Mark. Na, Ihr seid nicht dumm. Und warumsoll ich der Margaret Howe ihren Buben studieren lassen? Wenn Ihr alles wüsstet, würdet Ihr mir's nicht zumuten. Nein, da wird nichts draus.«

Er war nur ein alter Dorfschulmeister, aber der Geist der Humanisten erwachte in ihm, und er bestürmte die Festung mit aller Macht.

»Haltet Ihr das für eine große Zumutung, wenn ich Euch um ein paar hundert Mark bitt, dass ein armer Junge studieren kann? Ich sag Euch, das muss Euch eine Ehre sein, und es ist für Euch die beste Gelegenheit, reich zu werden. Wenn Ihr das Geld aufspart, das Ihr zusammengescharrt habt, so kriegt's ein lachender Erbe, der's in Kammern und Unzucht verprasst. Aber wenn Ihr's für einen Jungen wie der Georg Howe verbraucht, so kriegt Ihr einen doppelten Lohn, den Euch niemand rauben kann: erstens die herzliche Dankbarkeit eines Jungen, dessen Wissensdurst Ihr gestillt habt, und zweitens helft Ihr, dass es einen Gelehrten mehr im Lande gibt. Was wird's Euch kosten? Nicht viel mehr als eine Kuh. Drumsheugh, Ihr armer Mann, ich hab nichts als ein paar Bücher und das Geld für mein Begräbnis, aber wenn ich nicht meines Bruders Kinder verhalten müsst, ich würd alles selber zahlen. Der Georg darf mir kein Bauernknecht werden, und wenn ich von Haus zu Haus betteln müsst. Nein, nein, es darf kein Gras wachsen auf dem Weg zwischen der Universität und dem Schulhaus von Drumtochty, bis man mich auf den Kirchhof trägt.«

»Ei der tausend, der Schulmeister war aber wild«, erzählte Drumsheugh am nächsten Markt. »›Alter Geizhals‹ war noch das feinste Wort, das er zu mir gesagt hat. Er wollt nicht sitzen und nicht trinken und war schon halb über dem Hof, eh ich ihn begütigen könnt. Und recht hätt er erst noch gehabt, wenn mir's ernst gewesen wär mit dem, was ich gesagt hab. 's wär eine Schand fürs ganze Dorf, wenn ein gescheiter Bub nicht studieren könnt, weil er's Geld nicht hat.«

An jenem Abend war der Schulmeister so freudetrunken, dass er nicht wusste, was er redete, und alles verkehrt sagte. Er versicherte auf dem Heimweg dem Hillocks, Drumtochty werde noch stolz sein auf Whinnie Knowe, denn er schreibe Latein fast wie Cicero, und Drumsheugh habe versprochen, ihn vier Jahre in Edinburgh studieren zu lassen.

Wie wir die Nachricht nach Whinnie Knowe brachten

Der Schulmeister bereitete uns mit großer Vorsicht vor auf das, was man von Georg, der jetzt Student war, erwarten durfte. Am Sonntag auf dem Kirchhof, wo er uns unter einer alten Ulme belehrte, und zweimal in der Woche auf dem Postamt und unterwegs beschwor er uns, nicht zu viel zu erwarten.

»Sehet«, sagte er, »er hat einen Trieb zum Lernen, und zum Lateinischen zog's ihn wie die Ente zum Wasser. Was man hier hat für ihn tun können, ist geschehen, und er schafft Tag und Nacht, aber er muss es mit den Buben aus der Stadt aufnehmen, und das ist kein Spaß. Nein, nein, Nachbarn. Einen Preis dürfen wir nicht erwarten, jedenfalls nicht im ersten Jahr.«

»Wie kommt Ihr mir vor, Schulmeister«, sagte Drumsheugh, der, seit er Georg unterstützte, der hoffnungsreichste von uns war, »ich sag Euch, wenn der Georg nicht in allem der Erste wird, so dauern mich die Preisrichter.«

»Je, Drumsheugh, schweiget doch, Ihr schadet ja sonst dem armen Jungen«, sagte der Schulmeister erschrocken. »Nein, an einen Preis ist nicht zu denken, und der Erste – das ist einfach Tollheit; eine Belobung, ja, das könnt er kriegen, das kommt gleich nach dem Preis.«

Wenn der Schulmeister vom Markt heimkam, mochte er wohl einmal sagen, was sein Herz hoffte: »Der Georg wird unter den sechs ersten sein, oder ich will nicht Jamieson heißen«; aber gewöhnlich weissagte er nur mäßigen Erfolg. Manchmal stellte er sich gleichgültig und sprach von der Landwirtschaft. Dann blickten wir ihn scheu an, denn wir dachten, das sei übermenschlich.

Ich hatte das Glück, dem Schulmeister Georgs Brief zu bringen, und da merkte ich, was er durchgemacht hatte.

In Drumtochty verlangt die Sitte, dass man sich wundert, wenn man einen Brief bekommt, und versichert, er sei an jemand anders. Wenn man ihn endlich annehmen muss, so betrachtet man ihn an allen Ecken und besinnt sich, von wem er wohl sein könnte. Manche werden dann so frei, den Brief zu öffnen, aber solche Eile gilt eigentlich für unanständig. Gewöhnliche Briefe liest man am Feierabend, und wenn's eilt, beantwortet man sie im Laufe der Woche.

Aber der Schulmeister riss mir den Brief aus der Hand und hätte den Umschlag aufgerissen, wenn seine Hand nicht so gezittert hätte. Er sah den Brief nur an, und ich musste ihn vorlesen: »Lieber Herr Schulmeister – die Preise sind eben verkündigt worden, und es wird Sie freuen zu hören, dass ich im Lateinischen und Griechischen die Medaille bekommen habe.«

Es kam noch etwas, dass man es seiner Mutter sagen solle, und wie dankbar er dem Schulmeister sei, aber dieser hörte nichts mehr. Er wollte sprechen, aber er konnte nicht, und die Tränen strömten über sein altes, raues Gesicht.

Als die Schulkinder mit lautem Freudengeschrei davongesprungen und im Wald verschwunden waren, sagte er: »Sie gehen doch mit?« Er sprach unterwegs kein Wort, aber zweimal blieb er stehen und las den Brief, den er fest in der Hand hielt. Er zwang sich, gefasst auszusehen, als wir die Steige hinaufgingen. Ich habe sein Gesicht später einmal auch so gesehen, als wir denselben Weg hinabstiegen –, es war gut, dass wir nicht in die Zukunft schauen konnten.

Whinnie ließ seinen Pflug in der Furche stehen und lief uns entgegen – immer über zwei Furchen mit einem Schritt – und schrie uns Bemerkungen über das Wetter zu, als er noch zwanzig Schritt entfernt war.

Der Schulmeister hielt ihm den Brief hin und sagte: »Vom Georg.«

»Ja, ja, und was ist's?«

Der Schulmeister faltete den Brief feierlich auseinander, setzte die Brille auf und las: »Edinburgh, den 7. April.« Dann sah er Whinnie an und sagte: »Wir müssend zuerst der Mutter sagen.«

»Ihr habt recht, Schulmeister, sie verdient's. Ich glaub, sie hat uns schon gesehen.« So zogen wir ins Haus – der Schulmeister immer zehn Schritt voraus. Und da geschah etwas Merkwürdiges: er pfiff zum ersten und letzten Mal in seinem Leben, und zwar pfiff er ein ganz lustiges Liedchen; dabei köpfte er mit seinem Stock Disteln, eine Distel auf jeden Schlag.

»Der Schulmeister ist ganz oben draus«, flüsterte Whinnie, »da hört alles auf.«

Margarete traf uns an der Ecke neben dem Rosenbusch, wo Georg nachher während seiner letzten Lebenszeit an warmen Sommernachmittagen zu sitzen pflegte. Der Schulmeister und die Mutter warfen sich einen strahlenden Blick zu. Sie wusste jetzt, dass alles gut stand, und heftete ihre Augen auf den Brief, während Whinnie mit den Daumen in den Armlöchern seine Frau beobachtete.

Der Schulmeister wollte den Brief lesen, aber Hand und Stimme zitterten, es ging nicht. »Ich bring's nicht heraus«, rief er, »der Georg ist der Erste im Lateinisch, der Allererste von hundertundsiebzig Jungen, und im Griechisch auch der Erste, so was ist fast unerhört, und in Drumtochty hat man so was nicht erlebt, seit die Schule steht. Also das hat er geschrieben und mich gebeten, es gleich der Mutter zu sagen, und da bin ich, so schnell als meine alten Füße laufen können.«

Ich sah mich um, obgleich ich nicht ganz deutlich sehen konnte. Margarete schwieg einen Augenblick; sie war eine gute Frau, ich habe sie später noch näher kennengelernt. Sie fasste des Schulmeisters Hand und sagte: »Nächst Gott ist das Euer Werk, Herr Schulmeister; Ihr werdet nicht Gold und Silber als Lohn bekommen, aber Ihr habt einer Mutter Dank.«

Whinnie lachte vor sich hin und sagte zu seiner Frau: »Das hat der Bub von dir geerbt, Margaret.«

Wir setzten uns jetzt in die Wohnstube; der Schulmeister fand endlich seine Sprache wieder und erhob die Stimme, um Georgs Lob zu singen.

»Es ist jetzt zehn Jahr her, 's war am Ende des Winters – da brachtet Ihr mir den Jungen, Frau Howe, und Ihr sagtet an der Tür zu mir: ›Seid nicht zu streng gegen ihn, Herr Schulmeister, er ist mein Einziger und ist noch ein bissel sehr still.‹ – Wisst Ihr noch, wie ich Euch dann sagte: »Hinter dem Gesicht steckt was'? und von der Stund an hatt ich den Jungen lieb. Zwei Jahre nachher visitiert der Herr Pfarrer die Schul, und er sieht den Georg an und sagt: Das ist ein netter Junge, was denken Sie von ihm, Herr Schulmeister? – Er war damals erst acht Jahre alt und ein schmächtiges Bürschlein. »Herr Pfarren, sag ich, »ich kann nichts Vorhersagen, eh er's Lateinische angefangen hat, aber ich hab so meine Gedanken.‹ – Ja, meine Gedanken hab ich mir die ganze Zeit gemacht, aber laut gerühmt hab ich ihn nicht, das ist gefährlich. Aber, Whinnie, hab ich nicht einmal am Markt zu Euch gesagt: »Ihr habt einen hoffnungsvollen Buben?‹«

»Ja, das ist wahr«, sagte Whinnie, »'s war an dem Tag, wo ich mir die weiße Kuh gekauft hab.«

Der Schulmeister fuhr fort: »Ich hab's gewusst nach dem ersten lateinischen Jahr. Die Zeitwörter hat er nur so aufgeschnappt; am Cäsar hat er sich nicht lang auf gehalten; eh er noch elf war, könnt er den Virgil lesen. Und sein lateinischer Stil! Ich sag dir, Mann, von Anfang an hat mich's an den Cicero erinnert.«

Whinnie schüttelte erstaunt den Kopf.

»Und grad an dem Abend«, fuhr der Schulmeister fort, »als er ein so schönes Latein geschrieben hatt' und ich zu Euch kam wegen dem Studieren, da glaubtet Ihr, er sei hinter die Schule gegangen.«

Whinnie lachte laut, aber der Schulmeister fuhr unentwegt fort: »'s gab schwere Arbeit die nächsten zwei Jahr, aber der Herr Pfarrer hat tüchtig nachgeholfen mit dem Griechisch. Wisst Ihr noch, wie der Georg in Regen und Schnee über die Heide ins Pfarrhaus gewandert ist und wie in der Küch immer trockene Strümpfe für ihn waren, eh er zur griechischen Stund ins Studierzimmer ging?«

»Und einen warmen Tee hat er auch immer gekriegt«, warf Margaret dazwischen, »und wenn's eine dunkle Winternacht war, hab ich allemal 's Licht ins Fenster gestellt, dass er nicht verirrt.«

»Das ist nun alles vorbei«, sagte der Schulmeister, »und er ist's wert gewesen, dass wir uns so viel Müh gegeben haben. Der Erste im Lateinisch und der Erste im Griechisch. Wahrhaftig! ich kann's kaum glauben. Ja, vor den Buben vom Gymnasium war mir's angst. Die hatten Lehrer von England, und ich weiß nicht was alles, aber Drumtochty hat den Kranz davongetragen. Ei, wenn das in die Zeitung kommt: Lateinisch: Erster Preis (nebst Denkmünze) Georg Howe aus Drumtochty, Grafschaft Perth. Griechisch: Erster Preis (nebst Denkmünze) Georg Howe aus Drumtochty, Perth.«

»Herrlich wird's sein!« rief Whinnie, der jetzt auch warm geworden war.

»Jetzt kommt er dann an die Philosophie und die Mathematik«, fuhr der Schulmeister fort; »in der Mathematik ist er nicht schlecht. Wenn er was anfasst, so bringt er's auch zustand. Mein eigener Junge – und des Herrn Pfarrers –, den dürfen wir nicht vergessen; dem seine griechischen Bücher hat der Junge alle durchstudiert. Den Herrn Pfarrer wird's freuen, wenn er am Samstag heimkommt. Ich glaub, wir werden am Sonntag was davon zu hören kriegen. Und der Drumsheugh wird sein wie von der Kette gelassen am Sonntag auf'm Kirchhof, aber ich, ich tät mit keinem König tauschen«, und der Schulmeister warf im Eifer fast den Tisch um.

Dann erwachte er wie aus einem Traum und, wie es bei ehrenhaften, alten Schotten ist, schämte er sich, dass er geprahlt hatte. »Aber ich red ja den hellen Unsinn. Ihr müsst mit dem Geschwätz von einem alten Schulmeister Geduld haben.«

Er fing an von einer Versteigerung zu sprechen, die kürzlich stattgehabt hatte, und ließ sich nicht davon abbringen, obgleich Whinnie ihn zu verlocken suchte.

Ich sah ihm nach, als er heimging; seine Rockschöße flatterten triumphierend, während er über einen Erdwall sprang. Er ging zu Drumsheugh, um ihm zu sagen, dass das Preisgericht seine Sache gut gemacht habe.

In Margarets Garten

Margaret hatte ein Giebelfenster, von dem aus sie den Fahrweg nach Whinnie Knowe übersehen konnte.

Als Georg zum letzten Mal heimkam, ging Margaret beständig zwischen seinem Stübchen und dem Giebelfenster hin und her, und sie verbarg sich hinter dem Goldregenstrauch, um ihres Sohnes Gesicht zu sehen, als der Wagen am Fußweg hielt. Sie las auf dem Gesicht die Bestätigung dessen, was sie befürchtet hatte, und sie kämpfte einen schweren Kampf durch, während die goldenen Blüten auf ihr Gesicht fielen. Als Mutter und Sohn sich in die Augen schauten, verstanden sie einander, noch ehe sie ihm vom Wagen geholfen hatte.

»Weißt du noch, Mutter, was ich dir, ehe ich fortging, von den griechischen Müttern erzählt hab? Ich hätt gern meinen Schild vorangetragen, aber es hat nicht sein sollen, drum komm ich auf dem Schild.« Und als sie miteinander durch den Garten gingen, fuhr er fort: »Mein Examen hab ich noch gemacht, ich bin im Griechisch und in der Mathematik der Erste.«

»Du bist ein wackerer und ein treuer Kämpfer gewesen, Georg.«

»Treu bis zum Tod, Mutter, hoff ich.«

»Nein, bis zum Leben.«