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Annabel Bachmann (Bella) arbeitet als Sekretärin in einem Detektivbüro in Düsseldorf. Mit ihrer japanischen Freundin Hisako besucht sie eine Teezeremonie. Dort findet die Gastgeberin den abgeschnittenen Finger ihres Gatten in einem ominösen Kästchen. Was als Ermittlung in einem Fall von Unterschlagung anfing, entwickelt sich zu einer Mordintrige. Bella verliert dabei nicht nur ihre liebgewonnene Freundin, sondern auch fast ihren Verstand. Sie fühlt sich plötzlich verfolgt und niemand will ihr glauben. Dann werden zwei Leichen gefunden. Schnell steht der Täter fest. Bella zweifelt an dem vermeintlichen Mörder. Plötzlich gerät Bella unter Verdacht. Kann ihr Chef Erich Rothbaum sie entlasten?
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Seitenzahl: 387
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Text: © Copyright U.Lange (ohne KI)
Lektorat. © Susanne Brügmann
Umschlaggestaltung: © U.Lange
Verlag: U.Lange
Heinrich-Steden-Weg
58642 Iserlohn
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH
Köpenicker Straße 154a
10997 Berlin
Kontaktadresse nach Eu– Produktsicherheitsverordnung:
Bella und das geheimnisvolle Kästchen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Zum Schluss
U.Lange
Nur das seidene Geschenkpapier knisterte noch. Stille.
Die fünf Frauen hockten wie vom Blitz getroffen um einen niedrigen, mit Resten von Köstlichkeiten der asiatischen Küche bedeckten Tisch. Annabel schluckte krampfhaft, der letzte Bissen wollte wieder nach oben kommen. Sie saß neben der Gastgeberin, Frau Akiko Mitsui, und konnte den Inhalt des Kästchens ganz genau in Augenschein nehmen. Sie blickte kurz zu ihrer Freundin Hisako Bergius, die ihr direkt gegenüber hockte in die Augen und sah deren Entsetzen. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Gesicht wurde leicht grünlich. Krampfhaft presste sie ihre Lippen aufeinander. Auch die beiden anderen Japanerinnen, Freundinnen der Gastgeberin, saßen mit starrem Blick und bleichen Gesichtern da, wie eingefroren. Annabel schaute wieder zu Frau Mitsui, die versuchte vorsichtig den Inhalt des Kästchens zu berühren. Ihr Gesicht war starr und emotionslos.
In dem offenen Kästchen aus Holz, lackiert in Grün und goldfarben lag auf einem schwarzen kleinen Kissen, aufgespießt mit einer gelben Nadel, mit der man eigentlich Schmetterlinge oder Käfer befestigte, ein gelblich, bläulicher Stummel eines Fingers. Genauer gesagt, ein zwischen dem zweiten und dritten Glied abgeschnittener Ringfinger, an dem noch ein Ehering festsaß. Annabel konnte es jetzt ganz genau sehen und ihr sträubten sich die Nackenhaare.
Frau Mitsuis Finger schwebte noch immer darüber. Sie zögerte. Noch ein kleines Stück. Aber bevor sie ihn ganz berührte, zuckte sie erschrocken mit ihrem Finger wieder zurück. Da holte eine der japanischen Frauen plötzlich tief Luft und fing an jämmerlich zu kreischen. Erst leise, dann immer lauter, bis sie erschrocken wieder verstummte. Das Entsetzen brach sich jetzt fast lautlos seine Bahn. Die zweite von ihnen lief grünlich an, wollte sich zitternd aufraffen und fiel auf der Stelle ohnmächtig zur Seite. Da erbrach sich die erblasste Hisako still auf ihren Teller. Sie legte diskret eine Serviette darüber. Annabel war abgelenkt von den Reaktionen und wusste nicht, ob dieser Finger jetzt echt war oder nur ein fieser Scherz sein sollte. Sie und Frau Mitsui schauten erstaunt, aber gefasst, um sich. Die beiden Japanerinnen, wieder bei Sinnen, versuchten zitternd aufzustehen, konnten es aber nicht, oder trauten sich nicht. Annabel konnte es nicht zuordnen. Zur Bewegungslosigkeit verdammt, heulten und jammerten sie leise vor sich hin. Annabel und Frau Mitsui starrten wieder fassungslos auf den Finger. Stummes Entsetzen.
Abrupt richtete sich Annabel auf, griff nach dem hellblauen Töpfchen vor sich und kippte sich den, noch warmen, Sake durch ihre Kehle. Frau Mitsui tat es gleichfalls, wie synchron und wurde sofort vollkommen ernst. Niemand kam, um nach ihnen zusehen. Plötzlich blickte Frau Mitsui jede der Frauen mit einem durchdringenden Blick an, hob ihre Hand und augenblicklich verstummten sie alle. Sie hatte sich wieder absolut im Griff und übernahm das Kommando. Annabel wartete auf ihre Ansprache. Schnell hatte Frau Mitsui das Kästchen wieder geschlossen und lächelte beruhigend in die Runde. Jetzt sah das gruselige Geschenk recht harmlos aus. Annabel war erstaunt über so viel Selbstbeherrschung. Hoffentlich war es nur ein Scherz gewesen. Sie hörte ihr Herz klopfen, so eine Überraschung hatte sie beim japanischen Treffen der Frauen ganz sicher nicht erwartet. Frau Mitsui wollte sprechen, doch da öffnete sich die mit Papier bespannte Türe des Raumes und der Geschäftsführer der exquisiten Sushi-Bar Herr Matsumoto stand in derselben, um nach ihrem Unbehagen zu fragen. Frau Mitsuis Gäste waren plötzlich ganz stumm und hatten den Blick gesenkt. Annabel hatte ihre Hände unter dem Tisch verkrampft. Sie warteten alle auf das, was Frau Mitsui, ihre Gastgeberin, sagen würde. Höflich hielt er den Kopf gesenkt und wartete. Nur Annabel blinzelte gelegentlich nach oben, um zu sehen, was weiter passieren würde.
Akiko Mitsui war ruhig und wählte ihre Worte sorgfältig und mit Bedacht.
„Keine Sorge, es ist alles in Ordnung, wir haben uns nur alle über das Geschenk so gefreut. Wir möchten noch etwas Sake nachbestellen, bitte.“ Niemand der anderen Frauen wagte etwas anderes zu behaupten.
Der Kopf von Herrn Matsumoto wippte nur leicht und überaus höflich bestätigte er: „Aber gerne, ehrenwerte Mitsui-san und verzeihen sie mein Eindringen. Die ängstliche Kellnerin für ihren Raum werde ich auswechseln lassen. Bitte verzeihen Sie. Der Sake ist selbstverständlich ein Geschenk des Hauses. Gomen nasai, ich bitte sie die Unterbrechung zu entschuldigen.“
Frau Mitsui wedelte nur fächerartig mit ihrer Hand und der Geschäftsführer verschwand sofort.
Annabel war vollkommen überrascht von dem Geschehen, doch die japanischen Sitten geboten ihr als Fremde, sich nicht zu äußern und abzuwarten. Schließlich war die Einladung hierher für sie ein Privileg. Ihre Freundin Hisako hatte sie darauf vorbereitet, keinen Ton von sich zu geben, sofern sie nicht aufgefordert wurde, etwas zu sagen. Was ihr sehr schwer fiel.
Bereits am Anfang der Zusammenkunft hatte sie sich schon zweimal auf die Zunge gebissen, sodass sie jetzt mindestens doppelt so dick sein musste. Sie schmeckte bereits Blut, doch der warme Sake hatte es mit seiner Schärfe überdeckt. Vielleicht fiel es ihr deshalb leichter nichts zu sagen, man hätte sonst gemerkt, dass sie bereits leicht beschwipst war. Dummerweise hatte sie nach dem zweiten Glas vergessen, es umzudrehen und so füllte ihr ihre rechte Tischnachbarin, eine der Japanerinnen, höflich immer wieder nach. Trotzdem arbeitete es in ihrem Kopf und sie fragte sich, was noch alles passieren konnte. Eigentlich sollten sie die Polizei rufen, aber keine der anderen Frauen reagierte. Frau Mitsui umschloss das Kästchen mit ihren Händen und wartet, bis die neue Kellnerin den Sake gebracht hatte und den Raum wieder verließ. Dann begann sie wieder zu sprechen:
„Ich bitte Euch kein Wort darüber zu verlieren. Meine Familie ist euch dafür sehr dankbar und ihr kennt meine Familie. Ihr seid meine Freundinnen und ich kann mich auf euch verlassen. Nun zu Ihnen, Annabel-san. Ich hoffe, Sie bekommen keinen falschen Eindruck von mir.“
Annabel schüttelte instinktiv, aber mit einem kleinen Lächeln, den Kopf. Sie dachte bei sich, die Frau muss sich aber sehr gut im Griff haben, Respekt. Bloß, was wollte Frau Mitsui von ihr, sie hatte nicht den leisesten Hauch einer Ahnung. Halte dich an Hisako, die sie gerade hypnotisch anstarrte, sie fühlte ihren Blick regelrecht, sag vorerst kein Wort. Annabel riss sich zusammen, irgendwie musste sie versuchen, an den Finger zu kommen, um zu testen, ob er echt oder ein Fake war. Sonst hätte sie keine ruhige Minute mehr. Sie versuchte langsam ein und auszuatmen. So tief war sie auch nicht in die japanischen Sitten und Kulturen eingetaucht, als dass sie sich mit einem leichten Schwips aus der Schlinge ziehen könnte. Plötzlich fiel ihr der Film mit den betrunkenen Karatekämpfern ein, wie hieß der noch, ach ja, „Drunken Master“. Sie musste leise kichern. Ich werde jetzt nicht albern. Beherrsche Dich und nimm Dir ein Beispiel an Frau Mitsui. Schnell verstummte Annabel und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie hatte sich wieder im Griff und sah Frau Mitsui gefasst an.
Dieser verflixte warme Sake haute aber auch rein. Annabel war sonst nur Wein oder europäische Spirituosen gewohnt. Sie bemühte sich um Haltung und versuchte ihren Rücken gerade zu machen. Die Pause dauerte schön lange, aber Japaner sind ja höflich und warten, bis sich ihr Gegenüber wieder im Griff hat.
Dann sprach Frau Mitsui äußerst freundlich weiter:
„Gomen nasai, Entschuldigen Sie, aber Sie sind keine von uns. Ich möchte Sie anschließend gerne unter vier Augen sprechen. Bitte trinken Sie ab sofort Mineralwasser, bitte. Domo arigato.“
Annabel wurde schlagartig nüchtern, errötete leicht und nickte. Daran hatte sie auch schon selbst gedacht, denn dieser Sake war echt heimtückisch. Sie schaute kurz zu Hisako hinüber, konnte aber keinen Blick mehr von ihr erhaschen. Alle hielten den Kopf leicht gesenkt vor Respekt und hatten ihren Sake zügig ausgetrunken, bevor er kalt wurde. Als die neue Kellnerin den Sake und das Wasser gebracht hatte und die Papierwand wieder geschlossen war, wartete Frau Mitsui, bis sie sicher ist, dass niemand von draußen lauschen würde.
Mit einem eisigen Lächeln stellte Frau Mitsui Annabel zuerst das Mineralwasser hin. Dann sprach sie eindringlich zu ihren Gästen: „Vergesst das Geschehene, meine Familie wird das Regeln! Lasst uns in Ruhe den netten Nachmittag beenden und ohne Angst und mit einem gefüllten Bauch nach Hause gehen. Genki desu, mir geht es gut. Das Kästchen bedeutet nichts, meine Lieben. Lasst uns den Rest der Feier genießen. Alles ist gut!“
Der weitere Nachmittag verlief, als wäre nichts passiert. Die anderen Frauen hatten sich einfach frisch gemacht und unter dem strengen Blick von Frau Mitsui wieder an ihren Platz gesetzt. Obwohl, das Kästchen noch immer da war.
Es stand geschlossen vor Frau Mitsui inmitten der anderen Geschenke. Es fiel kaum auf zwischen den vielen Gaben, wenn nicht alle gewusst hätten, was es beinhaltete.
Während sie alle erst zögerlich, dann aber fröhlich weiter aßen und tranken, wurde es Annabel fast übel vor so viel Beherrschung. Ihrer aller Blicke mieden den Kontakt zum Objekt. Nur Frau Mitsui und Annabel hatten es aus den Augenwinkeln immer fest im Blick. Ihr grauste ein bisschen davor, nachher mit Frau Mitsui allein zu sein, ließ sich aber nichts anmerken. Bis dahin würde sie sich schon etwas überlegt haben, um den Finger überprüfen zu können. Sie wollte Frau Mitsui dann unbedingt davon überzeugen, zur Polizei zu gehen. Sie trank jetzt nur Mineralwasser, von etwas anderem wäre ihr auch nur schlecht geworden. Es wurde langsam Abend und zum Abschluss wurde noch eine landestypische Haifischflossensuppe gereicht. Gleich danach verabschiedete Frau Mitsui eine Frau nach der anderen.
Als letzte ging Hisako, mit einem letzten aufmunternden Blick auf Annabel, die nun mit Frau Mitsui allein war. Sie nickte Hisako zum Abschied beruhigend zu und wartete ab. Annabel war Hisako unendlich dankbar, ihr so einiges an japanischer Sitte und Gebräuche gezeigt zu haben. Sie war nicht mehr allzu unsicher, wie sie sich verhalten sollte.
Annabel wartete geduldig darauf, dass Frau Mitsui sie ansprach. Sie war etwas überrascht, als diese noch einmal Sake für beide bestellte. Als der Sake auf dem Tisch stand, nahm Frau Mitsui ausdruckslos ihr kleines Glas und gab Annabel das andere. Dann schaute sie ihr direkt in die Augen, was für japanische Verhältnisse eher ungewöhnlich war: „Auf ihre Verschwiegenheit!“ Sie setzten die leeren Gläser ab und Frau Mitsui bedeutete ihr, gegenüber Platz zu nehmen. Was sollte das jetzt mit der Verschwiegenheit, sie musste das doch der Polizei melden. Annabel setzte an, um zu fragen, doch Frau Mitsui bedeutete ihr zu schweigen. Annabel fing an, sich unwohl zu fühlen, was wollte diese Frau jetzt bloß von ihr.
Dann erklärte ihr Frau Mitsui ihr Anliegen: „Sie werden sich wohl wundern, warum ich Sie, eine Doitsu-jin, allein sprechen will. Aber Ihre Freundin und meine Cousine vierten Grades, Hisako, hat mir beiläufig von ihrem Beruf erzählt.“ Sie seufzte und holte tief Luft. Es schien ihr unangenehm, eine Fremde um etwas zu bitten.
„Nun denn, ich möchte Sie engagieren meinen Gatten zu suchen. Der abgeschnittene Ringfinger in dem Kästchen ist von ihm, ich habe den Ehering erkannt und es bedeutet eigentlich seinen Tod. Doch ich bin von Natur aus misstrauisch, vor allem in einem fremden Land. Es könnte ebenso auch eine Entführung sein. Mein Ehemann ist zwar mittellos, aber mein Vater besitzt eine gut situierte Traditionsfirma in Japan mit großem Einfluss. Bitte verstehen Sie! Ich muss es ganz genau wissen, bevor ich meinen Vater kontaktiere. Er ist bereits sehr alt und krank. Er verträgt keine Aufregungen. Mein Mann sollte bald die Geschäftsführung übernehmen, weil es keinen männlichen Nachfolger gibt. Bevor ich seine Position einnehmen darf, muss ich sicher sein. Nur sie können mir dabei helfen. Kudasai, bitte!“
Frau Mitsui schaute sie bittend an, eine kleine Träne rollte ihre Wange herunter. Sie senkte verschämt die Augen, die Hände wie betend zusammengefaltet und verbeugte sich kurz vor ihr.
Annabel bekam Mitleid mit dieser eigentlich so selbstbewussten, starken Frau und fühlte sich mulmig bei diesem kleinen Gefühlsausbruch. Was konnte schon passieren, Annabel war zwar nur die Sekretärin, doch ihr Freund Tom ist der Detektiv mit Lizenz und die Detektei „Albatros“ war dem Mann doch schon wegen Unterschlagung auf der Spur. Sie sollte doch Frau Mitsui nur seinen Aufenthaltsort liefern. Den Rest würde sowieso dann die Polizei erledigen. Dafür brauchten sie sicher auch diesen Finger. Der Auftrag schien doch einfach und Tom würde ihr bestimmt helfen. Der letzte Sake machte sie wieder mutiger, trotz des reichlichen Mineralwassers. Sie verbeugte sich ebenso respektvoll bis auf Schulterhöhe ihrem Gegenüber, eine Würdigung an die Gastgeberin, das hatte sie von Hisako gehört, etwa drei Sekunden lang und gab Frau Mitsui eine formelle Zusage.
„Sehr verehrte Frau Mitsui, ich werde mein Möglichstes tun, um Ihnen zu helfen. Bitte seien Sie versichert, dass ich Ihnen den Beweis, oder Hinweis, auf den Verbleib ihres Gatten liefern werde. Um eines muss ich sie noch bitten, geben sie mir das Kästchen für die Polizei mit. Oder, noch besser, bringen sie es selbst zur Wache. Bitte! Eine Untersuchung des Fingers ist dringend notwendig. Schließlich müssen wir wissen, ob er wirklich von ihrem Mann ist oder nicht! Vielleicht dürfte ich mir den Inhalt schon einmal genau ansehen?“
Frau Mitsui gab ihr zögernd das Kästchen in die Hand und wollte sie dabei beobachten. In diesem Augenblick öffnete die neue Kellnerin die Türe, um nach dem abschließenden Service zu fragen und sie drehte sich in Richtung der Schiebetüre. Mit einem kurzen Blick auf Annabel redete sie einige Minuten mit ihr. Das war die richtige Ablenkung, denn anscheinend musste sie einiges klären. Annabel lächelte und nutzte den unbeobachteten Moment instinktiv. Das Kästchen stand geöffnet vor ihr auf dem Tisch, ihre Handtasche lag auf dem Stuhl neben ihr. Sie stellte sich zwischen Tisch und Tür, sodass Frau Mitsui das Kästchen nicht mehr im Blick hatte. Schnell zupfte sie mit einer Pinzette aus ihrer Tasche etwas Hautfetzen von dem Fingerstumpf und ließ die Probe in ein Taschentuch gleiten. Dann drehte sie sich wieder um. Gerade rechtzeitig, denn Frau Mitsui unterschrieb die Rechnung und wandte sich wieder ihr zu. Annabel trat schnell zur Seite, tat so, als ob sie sich die Nase putzen würde und steckte das Taschentuch wieder in ihre Tasche. Sofort streckte Frau Mitsui ihre Hand nach dem Kästchen aus und legte wieder den Deckel darauf. Sie wickelte eine der weißen Stoffservietten herum und steckte es vorsichtig in ihre Handtasche.
„So, die Feier ist beendet und ich werde mich jetzt auf den Weg zur Polizei machen, wie sie es mir geraten haben. Nochmals, vielen Dank für ihre Hilfe und melden sie sich möglichst bald bei mir, Bachmann-san.“
Damit übergab sie Annabel ihre Visitenkarte und verbeugte sich leicht mit einem kleinen Lächeln: „Domo arigato, danke schön!“
Bella war froh, als sie zu Hause in ihren eigenen vier Wänden, der kleinen Dachgeschosswohnung, in der Altstadt ankam. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich kurz mit dem Rücken an die Tür, in ihrem Kopf drehte sich alles. Was hatte sie sich dabei gedacht, diesen Auftrag anzunehmen! Sie war doch nur die Schreibkraft, aber der Gedanke an ihre Freundin hatte sie vorschnell handeln lassen. Nun konnte sie nicht mehr zurück. Sie fühlte sich erschöpft. Sie warf den Schlüssel mitsamt der Visitenkarte auf die Kommode im Flur, streifte ihre Schuhe nacheinander ab und ließ die Handtasche fallen. Die lag jetzt offen vor ihr und mit zwei Fingern nahm sie das Taschentuch mit der Probe heraus, ging in ihre kleine Küche und steckte es in eine Frischhaltetüte. Sie öffnete ihren Kühlschrank, da war sowieso nicht viel drin und legte die Tüte ins oberste Fach. Sie schlug die Tür mit einem Ruck zu und atmete tief durch. Morgen früh würde sie dieses widerliche Teil als erstes, nach einem kleinen Frühstück, bei ihrem befreundeten Gerichtsmediziner in der Uniklinik vorbeibringen. Sicher ist sicher. Hoffentlich ging Frau Mitsui mit dem Finger auch zur Polizei.
Worauf hat sie sich da bloß eingelassen!
Mit einem tiefen Seufzer ging Bella in ihr Schlafzimmer und sank in ihren Klamotten auf ihr Bett. Verzweifelt versuchte sie noch ihren Kollegen Tom anzurufen, sie brauchte ihn jetzt zum Reden, aber sein Handy war aus. Keine Antwort. Sie ließ ihr Handy auf den Nachttisch fallen und starrte an die Decke. Ihre Augen wollten nicht zufallen. Was würde Tom wohl dazu sagen, oder ihr Chef, oder gar Hisako. Hoffentlich hatte sie nichts Verkehrtes gesagt oder getan. Himmel, war das ein anstrengender Nachmittag. Alles drehte sich. Sie rannte zum Klo und übergab sich. Mühsam schlich sie zurück ins Bett.
Annabel Bachmann, genannt Bella, mittelgroß, grüne Augen, sportlich, dunkelblonde Haare, wälzte sich unruhig in ihrem breiten Bett hin und her. Nachdem sie sich im Bad erleichtert und wieder ins Bett gekrochen war, hatte sie mit zitternden Händen nach den Schlaftabletten im Nachtschrank gesucht. Die Ärztin in Hamburg hatte ihr das Valium für den Notfall mitgegeben, weil sie sich geweigert hatte auf Dauer Psychopharmaka zu nehmen. Bella hatte eine Aversion gegen Tabletten jeglicher Art. Bisher hatte sie ihre Angstdepression auch so im Griff gehabt und war lange stabil gewesen. Doch jetzt hatte dieser Vorfall sie überrollt. Sie hörte noch die eindringlichen Worte ihrer Ärztin, möglichst nur eine halbe Tablette zu nehmen und niemals mit Alkohol. Doch ihr Zittern hörte nicht auf und kalter Schweiß brach ihr aus, als sie sich wieder hinlegen und die Augen schließen wollte. Die gruseligen Bilder dieser Tee Party ließen sie nicht los. Das grausige Kästchen, die kalten, blauen Augen der Gastgeberin und die blassen, ängstlichen Gesichter der Japanerinnen schwebten auf dunklen Wolken durch ihren Kopf. Oh Himmel, geht doch einfach weg! Da würde eine halbe Tablette ihr wenigstens durchgehenden, hoffentlich traumlosen, Schlaf geben. Das Röhrchen lag in der hintersten Ecke ihres Nachttisches und beinahe wäre ihr der ganze Inhalt auf den Boden gefallen. Bella kniete vor ihrem Bett und versuchte sich zusammen zu reißen. Sie nahm mit zittriger Hand eine halbe Tablette mit viel Wasser und füllte die restlichen Tabletten wieder vorsichtig ein. Dann verschwand das Röhrchen wieder da, wo sie es versteckt hatte. Erleichtert legte sie sich auf ihr Bett und starrte wieder an die Decke. Aufregende Träume würden zwar dennoch kommen, aber sie hatte einen Trick im Schlaf, um sie abzumildern. Ihr Traumfahrstuhl, der sie in ein ruhigeres Level brachte. Sie stieg ein, die Türen schlossen sich und der Fahrstuhl bewegte sich von alleine nach oben. Als die Türen sich wieder öffneten, lag eine bunte Wiese vor ihr und weiße Wolken flogen am Himmel. Die Tablette half ihr, nicht in Panik zu verfallen und verfrüht aufzuwachen. Endlich fielen ihr die müden Augen zu. Sie hoffte, der nächste Tag würde ihr wieder Mut und Elan bringen. Dann hatte sie auch ihre Freunde, die ihr helfen würden, den Vorfall irgendwie zu verarbeiten. Doch anfangs verfolgten sie noch wilde Träume von Samurai und Ninjas, denen ein Finger fehlte. Fast bis zum Morgengrauen, als sie endlich in ihren Fahrstuhl flüchten konnte. Danach atmete sie ruhiger, schlief tief und fest ein. Endlich.
In ihrem kleinen Appartement unterm Dach in der Düsseldorfer Altstadt wurde es langsam hell. Erste Sonnenstrahlen schienen durch das kleine Dachfenster in ihr Schlafzimmer, direkt auf ihr Gesicht. Sie hatte vergessen das Rollo zu schließen. Es war morgens früh um sieben. Die ersten Schwalben begrüßten den sommerlichen Tag. Abrupt waren auch ihre Alpträume vorbei, zuletzt von einem Ehemann, der merkwürdigerweise wie Tom aussah, und zwei kleine, schreiende Kinder in einem kleinen Reihenhaus. Na ja, wenigstens waren dadurch die Ninjas verschwunden, die versucht hatten, ihr die Finger mit ihren scharfen Schwertern abzuschneiden. Da war sie schnell in ihren imaginären Aufzug gestiegen und ihnen nur knapp entkommen. Die letzten paar Stunden hatte sie wenigstens erholsam schlafen können. Sie fühlte die Sonnenstrahlen wärmend auf ihren geschlossenen Augen und dämmerte noch etwas vor sich hin. Da klingelte der Wecker plötzlich penetrant. Sie rollte sich grummelnd auf die Seite und hieb mit ausgestrecktem Arm ihre Hand darauf, sodass er auf den Boden fiel. Gähnend rieb sie sich den Schlaf aus ihren Augen und richtete sich langsam auf. Alles war wieder gut, wenigstens hatte sie noch ein paar Stunden durchgeschlafen. Trotzdem fühlte sie sich gerädert, wie nach einem Marathon. Sie brauchte jetzt unbedingt einen starken Kaffee, eine Dusche und andere Kleidung. Merkwürdig, sie hatte gar keine Kopfschmerzen, nach diesem japanischen Reiswein. Das jährliche Familientreffen am vorherigen Wochenende in Hamburg, auf dem sie nie fehlen durfte und jetzt noch dieses japanische Frauentreffen, beides hatte sie doch sehr mitgenommen. Dann war da noch der kurze, besorgte Anruf ihrer Mutter am späten Abend, oder mitten in der Nacht, an den sie sich fast nicht mehr erinnern konnte. Bella stöhnte auf, das alles hatte sie innerlich ziemlich erschöpft. Sie erinnerte sich nur verschwommen, dass sie ihre Mutter auf einen Rückruf vertröstet hatte, weil sie todmüde und bereits im Halbschlaf gewesen war. Dabei war sie die Einzige der Familie, zu der sie noch regelmäßig Kontakt pflegte.
Nach dem Tod ihrer Zwillingsschwester hatte sie den Geburtsnamen ihrer Mutter angenommen, um nicht mehr mit der Reederei ihres Vaters in Verbindung gebracht zu werden. Sie wurde zu einer Ausgestoßenen, weil sie danach ihr Studium abbrach und mit einem Nervenzusammenbruch in eine Klinik kam. Sehr zur Freude ihres Bruders, der nun die Geschäfte leitete. Er wollte sie gerne ganz loswerden und auch ihren gesetzlichen Anteil löschen lassen. Dafür musste er versuchen, sie zu entmündigen.
Ihre Eltern verbrachten ihren Lebensabend in ihrer herrlichen Villa an der Außenalster, mit einer Haushälterin und einer examinierten Pflegerin. Der Vater saß seit einem Schlaganfall im Rollstuhl und war stolz auf seinen Sohn. Für ihn waren beide Töchter gestorben und niemand konnte ihn vom Gegenteil überzeugen, auch Annabel selbst nicht. Er erkannte sie nicht einmal, wenn sie zu Besuch da war, für ihn war sie eine Fremde. Bella hatte damit abgeschlossen und wollte wieder mehr vom Leben als nur die Tochter aus reichem Haus sein. Ihr waren diese gesellschaftlichen Intrigen zuwider und die affektierten Partys, auf denen sie kaum ehrliche Gespräche führen konnte. Ihre Schwester hatte es genossen und sich gerne über die Leute lustig gemacht, wenn sie beide abends noch zusammen in der Gartenlaube die Sterne betrachteten. Bella konnte dann wenigstens mit ihr darüber lachen. Jetzt gab es sie nicht mehr und Bella hatte festgestellt, dass der Tod schneller kommen konnte, als man dachte. Sie hatte Angst davor, das Schicksal ihrer verunglückten Schwester zu teilen, wenn sie nicht weit weg von zu Hause bliebe. Deshalb war sie auch sechs Monate in Therapie in einer Privatklinik gewesen. Ihre Ängste hatten sie zu stark blockiert und zerrten an ihrer Seele. Nur ihre Mutter hatte Verständnis für ihre Befindlichkeiten. Zu ihr hielt sie weiter heimlich Kontakt, die anderen Familienmitglieder ignorierte sie, um ihren Seelenfrieden und ihre Nerven zu schützen. Ihrem Bruder und seiner Frau war das nur Recht.
Hier in Düsseldorf hatte Bella ihr eigenes, unabhängiges Leben und liebe Freunde gefunden.
Bellas Glieder fühlten sich ein bisschen an wie Blei und ihre Muskeln ächzten nach Erholung. Bloß nicht hängen lassen, ihr Körper brauchte nur wieder Koffein. Wenigstens hatte sie ihre neugewonnene Selbstsicherheit zurück. Sie konnte alles schaffen, wenn sie aufmerksam war und sie hatte ihre Freunde, die sie unterstützen würden.
Seit einiger Zeit verlief ihre Woche doch recht anstrengend. An drei Tagen intensive Schreibarbeiten in der Detektei Albatros, die dann sogar oft bis kurz vor Mitternacht dauerten. Sonst war es nicht so zeitaufwendig, Berichte für das Büro nach Band zu schreiben und sie hatte öfters mal frei. Aber Erich Rothbaum, Chef der Detektei Albatros, war bei dem jetzigen Fall mit den Japanern recht penibel. Herrje, und ins Englische übersetzten sollte sie das auch noch. Dafür bekam sie allerdings extra Honorar. Obwohl sie einen Fond von ihrer Familie besaß, wollte sie finanziell so weit wie möglich unabhängig bleiben. Niemand wusste hier in Düsseldorf, wer sie in Wirklichkeit war und das sollte auch so bleiben. Nur ihr Chef Erich Rothbaum war im Bilde, ihr polizeiliches Führungszeugnis kam ja aus Hamburg und er schwieg eisern. Ihm konnte sie vertrauen. Ihr jetziges Leben gefiel ihr, so wie es war, unbeschwert, abwechslungsreich und unabhängig. Na ja, bis auf den vergangenen, gruseligen Zwischenfall.
In ihrer gemütlichen Wohnung stolperte Bella vom kleinen Schlafzimmer durch den Flur in die Wohnküche. Verflixt, dabei hatte sie sich ihren kleinen Zeh am Türpfosten gestoßen, sie biss die Zähne zusammen und humpelte bis der Schmerz langsam nachließ. Rasch räumte sie ein paar Sachen zur Seite und wollte die Tür zu ihrer kleinen Dachterrasse schließen. Sie hielt inne und lauschte. Die Terrasse hatte mal gerade Platz für einen Liegestuhl, zwei Klappstühle, einen kleinen Tisch und eine halb vertrocknete Palme. Hier ruhte sie gern abends aus, um vom Tag herunterzukommen und ihren Blick über den nächtlichen Rhein schweifen zu lassen. Nachts lullten sie dann die Geräusche bei offener Tür ein. Das Hupen der Berufsschiffer und das Schlagen der Wellen an die Uferböschung wirkten beruhigend nach einem ereignisreichen Tag. Die Geräusche erinnerten sie an zu Hause und nahmen ihr das Heimweh, das sie doch manchmal heimlich überfiel. Frühmorgens machte sie schon mal ein paar Dehnübungen, wenn es nicht regnete. Jetzt roch sie mit geschlossenen Augen die feuchte Luft, die vom morgendlichen Rheinnebel herüber wehte und atmete tief ein. Sie hatte heute keine große Lust auf sportliche Tätigkeiten, nach den Atemübungen fühlte sie sich bereits besser. Sie war versucht sich niederzulassen und die frische Luft noch länger zu genießen. Nichts da, wach bleiben und beeilen, sie wurde gegen Mittag im Büro erwartet und sie hatte doch vorher noch was Wichtiges zu erledigen. Entschlossen schloss sie mit einem lauten Ruck die Terrassentüre, ging zurück ins Bad und roch an ihren alten Klamotten. Pfui, sie rochen nach Schweiß, bestimmt Angstschweiß von gestern. Sie schaute in den Spiegel und erschrak über das graue Gesicht, dass ihr dort entgegenblickte. Dieser warme Sake hatte ordentlich Spuren hinterlassen, verflixt. Schnell unter die heiße Dusche. Sie ließ das heiße Wasser über ihren Kopf den Körper hinunterfließen und nahm ihr duftendes Shampoo zur Hand. Ach, herrlich, als ob sie sich alle Sorgen herunter wusch. Nach dem Abduschen schnell abtrocknen und dann fertig machen. Noch etwas Make-up half da sicher auch, etwas Tusche und Lippenstift, dann relativ frische Sachen an und wieder raus hier. Im Wohnraum stand der leere Kleiderständer, daneben der Wäschekorb, Mist. Bella wühlte darin und schlüpfte in eine dunkelblaue Jeans, schnüffelte an einem roten T-Shirt, sie sollte ein Neues anziehen, aber die Waschmaschine war noch immer nicht ausgeräumt. Heute Abend musste sie die Sachen unbedingt auf ihrer Terrasse zum Trocknen aufhängen, sonst hatte sie bald nichts mehr anzuziehen. Sie seufzte ärgerlich auf. Das rote Shirt roch jedenfalls nicht nach Angstschweiß, nur etwas muffig. Sie verzog trotzdem angewidert ihr Gesicht. Bella zog dann doch lieber das dunkelgrüne Shirt von vorgestern an, dass sie noch im Bad hatte, hängen sehen. Das roch jetzt wenigstens nach ihrem großartigen Duschgel. Sie sollte sich mal wieder etwas Schickes gönnen.
Ihr fiel plötzlich der jadegrüne Seidenanzug ein, den Frau Mitsui bei der Teegesellschaft getragen hatte. Der war bestimmt sündhaft teuer gewesen und sie hatte nicht einen Fleck nach dem aufregenden Ereignis darauf gesehen. Kein Soßenfleck oder so. Dabei hatte die Frau ihren Trinkbecher fast fallen lassen. Bella schüttelte ihren Kopf. Den Anzug hatte sie mal in rubinrot im japanischen Kaufhaus gesehen, wo die Japanerinnen meistens einkauften. Herrje, sowas gab es sicher auch in einer der kleinen Boutiquen, in Saphir-blau würde der ihr auch stehen. Bella nahm sich vor, gleich übermorgen einmal danach zu suchen. Doch jetzt musste sie sich sputen, Bella seufzte und lächelte zaghaft. Positive Gedanken würden ihr wieder Mut geben und die Vorfreude auf ein neues Kleidungsstück war doch positiv, oder?
Sie ging in die Küche. Der Kühlschrank könnte auch wieder mal Nachschub gebrauchen. Igitt, da lag ja die Tüte mit der Hautprobe. Eigentlich hatte sie sich gewünscht, das mit dem Kästchen hätte sie nur geträumt. Aber nun erschreckte es sie zum Glück nicht mehr so sehr. Verflixt, sie blickte auf ihre Uhr, sie musste sich wirklich beeilen und sofort damit ins Labor fahren, bevor sich da zu viele Leute tummelten. Es sollte doch niemand davon erfahren und Sebastian war eigentlich sehr verschwiegen, wenn ihn niemand bei einem Gefallen für die Detektei erwischte. Die Sache mit dem halben Finger machte sie wieder vollkommen nervös und ihr wurde leicht übel. Sie hatte einen bitteren, galligen Geschmack im Mund und spülte ihn schnell mit Mundspülung im Bad aus. Bella war froh, wenn sie die Tüte abgegeben hatte und nie mehr sehen musste. Sie blickte noch schnell in den Spiegel und war zufrieden.
Wieder in der Küche griff sie nach einer Schale, holte einen Esslöffel und öffnete den Schrank. Nach einem mageren Frühstück mit Haferflocken und Milch, Mist, die war schon wieder sauer, also mit Kranwasser. Sie hielt die Schale unter den Wasserhahn und füllte sie mit Leitungswasser. Dann packte sie rasch ihre Sachen zusammen. Ihr Magen hatte wenigstens etwas zu verdauen und war beruhigt. Schon fühlte Bella sich fit genug, um loszustürmen. Na ja, ein starker Kaffee täte jetzt wirklich gut, aber sie hatte wie immer keinen im Haus. Gut, dass es unten Pedros Coffeeshop gab, bei dem holte sie sich, wie fast jeden Morgen, ihren Aufwachkick, Milchkaffee mit einem Schuss Karamell zum Mitnehmen. Pedro sorgte für sie, wie ein Vater und sie mochte seine große Familie. Seine Frau Maria achtete darauf, dass Bella mindestens abends eine warme Mahlzeit hatte. Bella packte jetzt die eklige Tüte mit der Gewebeprobe vorsichtig an, griff sich ihre Schlüssel von der Kommode und hob ihre braune Umhängetasche aus speckigem Leder auf, in der sie ihre lebensnotwendigen Utensilien, wie Deo, Handy, Pinzette und Pfefferminz-Bonbons befanden. Eine weitere Auflistung wäre zu umfangreich und sie kannte den Inhalt schon selbst nicht mehr genau. Bald brauchte sie eine Taschenlampe, um irgendetwas darin zu finden. Schnell ließ sie die eklige Tüte hineinfallen und warf sich die Tasche über die Schulter. Bella hoffte noch, dass alles ein makabrer Scherz war und das Ganze nur eine Prüfung ihrer Integrität oder die Abschreckung einer Gaijin, einer Nichtjapanerin, war. Damit käme sie klar, aber sollte das Gewebe echt sein, fürchtete sie, dem nicht ohne Hilfe gewachsen zu sein. Ihr Chef wäre nicht besonders begeistert über ihren eigenwilligen Einsatz. Rasant hüpfte sie die Treppen der fünf Etagen runter, schon 8.30 Uhr. Warum gab es hier bloß keinen Aufzug? Wahrscheinlich würde der auch noch steckenbleiben bei ihrem Glück. Aber nachdenken sollte sie darüber, die alte Dame im vierten Stock kam kaum noch vor die Türe. Bisher hatte die Familie aus dem dritten Stock ihr immer geholfen und für sie eingekauft. Gelegentlich hatte auch Bella Besorgungen für sie erledigt. Jetzt ließ Frau Jovanovic sich oft die Sachen liefern. Das mit dem Aufzug würde sie später mal mit Pedro besprechen, denn insgeheim war sie zwar die Eigentümerin des Hauses, aber er kümmerte sich um alles Technische hier. Sie erreichte die letzten Stufen und wäre beinahe gestolpert, konnte sich aber gerade noch fangen. Bella hielt für einen Moment an und atmete tief durch. K a f f e e, ich brauche dringend Kaffee!
Gott sei Dank hatten sie gestern Mittag vor ihrem japanischen Frauentreffen einen Parkplatz fast direkt vorm Haus gefunden. Ihre Freundin Hisako hatte sie mit dem Taxi abgeholt. Es hatte Bindfäden geregnet und sie war knapp zwischen den Regentropfen durchgeschlüpft, weil sie keinen Regenschirm besaß. Der warme Mai Regen wollte an dem Tag gar nicht aufhören. Sie hatte angemessene Kleidung anziehen müssen. Eine dunkle Hose und eine weiße Bluse, die sie sonst nur für Feiertage im Schrank hatte, mit einem schwarzen Jackett darüber. Jetzt wieder in ihren Alltagsklamotten, Jeans, T-Shirt und Turnschuhe, fühlte sie sich viel wohler.
Bella war unten angekommen, jetzt aber schnell in den Coffeeshop. Pedro hielt ihr den fertigen Kaffee schon grinsend entgegen. Er hörte sie immer die Treppe herunterrennen, weil sie es meistens eilig hatte. Sie nahm dankbar den Kaffee entgegen, aber beim Umdrehen rempelte sie mit einem jungen Mann zusammen, der eine Tüte mit frischen Brötchen in der Hand hielt und aus der Küche kam. Die Tüte riss und die Brötchen kullerten auf den Boden.
„Oh, entschuldigen sie, ich habe sie nicht gesehen!“
Blaue Augen schauten sie erst vorwurfsvoll an, doch dann lächelte der Typ wieder. „Kein Problem, Maria gibt mir neue Brötchen mit. Meine Tante ist da sehr penibel!“
Bella schaute ihn fragend an.
„Ähem, ich bin Kai-Uwe und wohne in den Semesterferien bei meiner Tante, Frau Jovanovic, vierter Stock!“
Sie lächelte zurück und zwinkerte ihm zu: „Schön, ich bin Bella aus dem fünften Stock, dann sehen wir uns bestimmt noch ein paar Mal! Liebe Grüße an ihre Tante, ich muss jetzt aber los!“
Bella warf Pedro noch einen Handkuss zu und eilte mit dem Kaffee in der Hand zu ihrem Auto. Wenn sie so weiter machte, war sie bald am Coffeeshop beteiligt. Heute schien auch wieder die Sonne hinter den abziehenden Wolken und ließ die letzten Pfützen trocknen. An der Straße pustete Bella auf ihren Becher und nahm erst einmal einen großen Schluck Kaffee. Ihr Kreislauf begann wieder auf normal zu schalten. Sie atmete auf, erblickte erleichtert ihr Auto und lief langsam darauf zu. Sie schloss die Fahrertür auf und warf ihre Tasche auf den Beifahrersitz. Das Labor müsste jetzt bereits besetzt sein, hoffentlich war Sebastian Dragovic noch allein da. Er war mit ihrem Chef Erich Rothbaum aus der Detektei gut bekannt und hatte schon öfters versucht Bella zum Essen einzuladen. Bisher ohne Erfolg. Sie stand nicht so auf blonde Jungs. Aber für so einen Gefallen, würde sie es schon machen, war ja nichts dabei.
Ihr weißes Käfer-Cabrio, der einzige Luxus, den sie sich leistete, sprang sofort an, als sie ihn startete. Jetzt musste sie nur vorher über den Südring Richtung Universitätskliniken zum Labor. Noch war es nicht so voll auf den Straßen, der erste Schwung Berufsverkehr war schon weg. Im Moment kamen die Pendler vom Bahnhof und die meisten liefen oder fuhren mit der Straßenbahn zu ihrer Arbeitsstelle. Die nächste Blechlawine rollte bestimmt schneller ran, als sie vermutete, denn die Läden wurden ja noch beliefert. Bella blinkte und fuhr rasant in die nächste Straße ein. Bisher kam sie zügig vorwärts.
Na schön, diesmal würde sie um eine Verabredung zum Essen mit Sebastian nicht herumkommen. Er war auch eigentlich nett, also halb so schlimm, solange er nicht versuchte, sie anzubaggern. Der Kaffee To-Go stand in dem Becherständer rechts neben dem Lenkrad und sie nippte zwischendurch vorsichtig an dem heißen Getränk. Gut, dass ihr Auto mit Automatikgetriebe bestückt war, da hatte sie die eine Hand frei. Sie blinkte wieder, sah sich um und fuhr auf die sich langsam füllende Hauptstraße aus der Altstadt nach Friedrichstadt.
Die Kneipen räumten die letzten Reste des Abends in ihren Biergärten weg, ein Reinigungsfahrzeug der Stadt säuberte die Bordsteinrinnen, denn ab mittags ging es wieder in die heiße Phase in der Altstadt. Das warme Wetter lockte die Leute vor die Tür und auch die ersten Blumen schossen ans Licht. Die Sonne schien schon stärker auf die Straßen der Stadt, sie hatte die paar restlichen Wolken schnell vertrieben und wärmte den Asphalt. Kleine Dampfwolken huschten empor und verschwanden rasch. Die Bürgersteige füllten sich mit Menschen in gepflegter Kleidung, die in ihre Büros hasteten oder wichtige Geschäftstermine hatten. Erstaunlich, wie viele von ihnen ebenso einen Kaffee To-Go in der Hand hielten wie Bella. Sie bemerkte es kopfschüttelnd, lächelte vor sich hin und blickte dann wieder konzentriert auf die Fahrbahn.
Noch war die Straße quer durch die City nicht so sehr mit Autos vollgestopft und sie konnte zügig, ohne viele rote Ampeln durchfahren. Das würde sich auf jeden Fall bald ändern und sie hoffte inständig, in keinen Stau zu geraten. Die Geschäfte würden bald ihre Lieferungen bekommen und dann verstopften auch mehr LKWs die Straßen oder standen in zweiter Reihe, um auszuladen. Kaum hatte Bella es zu Ende gedacht, da scherte plötzlich vor ihr ein dunkler, kleiner Lkw, von links aus der Seitenstraße kommend, ein.
Auf seiner Kastenseite war ein riesiges, grün, goldenes Kästchen mit offenem Deckel, darin lag -, ein Ringfinger, – nein -, eine zweifarbige Praline verziert mit einer Pistazie. Wie ein Blitz schoss ihr das Bild von dem grausigen Kästchen vor ihr inneres Auge. Bella riss erschrocken das Lenkrad nach rechts, während ihr Fuß voll auf die Bremse trat. Der Kaffeebecher hüpfte aus der Halterung und ergoss sich in den Fußraum auf der Fahrerseite, über ihre Hose und die Schuhe. Wenigstens war er nicht mehr so heiß und nur noch halbvoll. Mist, jetzt hatte sie braune Flecken auf ihrer Hose. Herrje, heute begann der Tag ja echt klasse. Das rechte Vorderrad hatte an dem Bordstein vorbeigeschliffen. Die Radkappe sprang ab, kullerte über den Bürgersteig und blieb vor einem Hauseingang liegen. Vor Schreck sprang ein Passant zur Seite und belegte sie mit lauten Schimpfworten, die sie nur halb verstand. Eilig ging er dabei weiter, gottseidank! Auf einen Disput wollte und konnte sie sich jetzt nicht einlassen. Gut, dass hier eine größere Lücke war. Sonst hätte sie bestimmt mehr Schaden verursacht und vielleicht noch ein parkendes Auto gerammt. Nach diesem Schrecken stand Bella noch immer auf der Bremse und musste erst einmal tief durchatmen. Hinter ihr fingen die ersten Wagen ärgerlich an zu hupen, weil sie mit ihrem Heck noch in die Straße reichte und die Weiterfahrt schwierig machte. Sie stöhnte auf. Menno, sie hatte wohl gestern den warmen Sake nicht gut vertragen, obwohl sie doch nachher nur Wasser getrunken hatte. Dieser gruselige, abgetrennte Finger geisterte durch ihre Gedanken, versteckte sich heimtückisch und tauchte dann zur falschen Zeit auf. Hoffentlich war Frau Mitsui damit zur Polizei gegangen.
Sie legte entnervt ihren Kopf kurz aufs Lenkrad, störte sich nicht an das ständige Hupen und atmete tief ein und aus. Ruhig bleiben, sonst passiert noch mehr Mist. Ach, sie wäre überaus froh, endlich diese Gewebeprobe loszuwerden, dann müsste sie nicht mehr an diesen Finger denken, hoffte Bella. Doch noch ratterten ihre Gedanken um dieses schreckliche Ereignis. Irgendetwas stimmte da nicht.
Wochenlang hatte ihr Kollege Tom genau diesen Mann, Herrn Mitsui, der nun vielleicht tot oder entführt sein sollte, für dessen Arbeitgeber beschattet. Verflixt, sie konnte die Einzelheiten nicht zusammenbringen. Sie brauchte dringend Toms Hilfe und die ihres Chefs.
Das Zittern ließ allmählich nach und sie stieg aus dem Wagen, um ihre Radkappe zu holen. Keiner der Fußgänger beachtete sie, alle hatten es eilig, pünktlich zur ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Sie winkte den hinter sich wartenden Autos beruhigend zu. Ungeduldig begannen diese langsam ihren Wagen zu umfahren, nicht ohne ihr einen bösen Blick oder fiese Handzeichen zuzuwerfen. Bella stieg kopfschüttelnd wieder ein und wandte sich um. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder in den fließenden Verkehr einreihen konnte. Niemand wollte ihr freiwillig eine Lücke zum Ausfahren bieten. Jetzt drängten immer mehr Autos durch, die Hauptverkehrszeit hatte begonnen. Schließlich erbarmte sich ein Taxi, Bella winkte dankend und fuhr weiter durch die voller werdenden Straßen. Sie schimpfte sich selbst eine Idiotin. Alles wird sich aufklären lassen, das sagte Tom ihr immer und der war Profi.
Bella war Anfang dreißig und noch immer solo, aus Prinzip. Ab und an ein Freund war schon drin, aber nichts Festes. Sie hatte irgendwie Angst davor, sich länger als einige Monate zu binden. Bella hasste die altmodischen Sprüche ihrer Mutter: „Kind, sieh zu, dass du endlich einen Mann findest, bald nimmt dich keiner mehr und dann bist du zu alt zum Kinderkriegen!“ Bella aber liebte ihr Leben, so wie es war. Sie wollte gleichberechtigt im Leben stehen, keine Kinder und liebte ihre Unabhängigkeit. Bereits während ihres Studiums orientierte sie sich in Kursen auch anderweitig, wie zum Beispiel, Kampfsport, Computertechnik, Kunst und Kultur, Schauspiel und Maske, Finanzmanagement. Nebenbei arbeitete sie als Barmixerin, Platzanweiserin, Kassiererin und Kellnerin. Sie hoffte, ihre Mutter würde es irgendwann verstehen.
Als dann ihre Zwillingsschwester bei einem Unfall durch einen betrunkenen Autofahrer starb, verkaufte sie ihre Unibücher an die Studentenbibliothek und brach das Studium ganz ab. Das Leben war einfach zu kurz und sie wollte noch so viel erleben. Die Reederei ihrer Eltern hatte mit ihrem großen Bruder eine gute Führung und der war heilfroh, dass sie dort raus war. Der Vater war selig, dass sein Sohn die Reederei übernahm und übergab ihm gern die Geschäfte. Nur die Mutter telefonierte noch mit Annabel. Bella war sozusagen abgetaucht, niemand kannte ihren familiären Hintergrund und so sollte es auch bleiben.
Seit mehr als einem Jahr war sie nun in Düsseldorf und fühlte sich einfach nur gut. Das asiatische, internationale Flair der Stadt und die bunte Mischung der Menschen hatten es ihr angetan. Sie war eine unter vielen und hatte ein paar liebe Freunde gefunden. Sie konnte bleiben oder gehen, wohin sie wollte. Niemand machte ihr hier Vorwürfe. Das alles gefiel ihr und tat ihrer Seele ausnehmend gut.
Bella hatte Hisako in einer kleinen Sushi-Bar an der Immermann Straße, mitten im japanischen Viertel, kennengelernt. Dorthin hatte ihr neuer Chef Erich Rothbaum sie und ihren Kollegen Tom in der zweiten Woche nach Beginn ihrer Tätigkeit als Sekretärin in der Detektei Albatros zum Mittagessen eingeladen. Sie sollte sich in lockerer Atmosphäre in dem kleinen Team wohlfühlen und nicht nur als Tippse. Sonst ging ihr Chef oft allein zum Mittagessen und Tom, sein einziger und bester Detektiv, ging eigentlich lieber Currywurst mit Pommes im Imbiss am Bahnhof essen. Das war ein klasse Einstand als Berichtschreiberin von kriminellen Vorfällen oder langweiligen Scheidungskriegen. Sie unterhielten sich über alles Mögliche und Bella war fasziniert von den Geschichten der beiden Männer. Sie lachten oft und verstanden sich prima. Es schien spannend zu werden. Auch eine Verschwiegenheitsklausel musste sie unterzeichnen.
Später, beim Lesen der Berichte, konnte sie oftmals nicht fassen, was es so alles an merkwürdigen Fällen gab.
Wie zum Beispiel bei einem Japaner, der sein Auto in einem Parkhaus gesucht hatte. Er hatte bei einer Betriebsfeier zu viel getrunken und vergessen in welchem Parkhaus es abgestellt war. Als sie es endlich fanden, hatte er ordentlich dafür bezahlen müssen, um es auszulösen und das Honorar der Detektei dazu. Dafür hätte er sicher ein neues Auto bekommen. Aber nein, er wollte unbedingt seines zurück, weil – in seinem Kofferraum lagen Frauenkleider und Schuhe, wie auch ein Schminkkoffer. Er hatte panische Angst davor, dass sein Hobby herauskam und er sein Gesicht verlieren könnte, als Buchhalter einer japanischen Firma. Aber die Detektei Albatros war äußerst diskret und vermerkte dies nur in ihrem internen Bericht. Offiziell hieß es, im Kofferraum hätten sich besondere Wertgegenstände und wichtige Unterlagen befunden. Wegen der Unterlagen bekam er noch eine Abmahnung seines Chefs, weil er sie nicht hätte mitnehmen dürfen. Aber das nahm er alles in Kauf, dafür konnte er doch das Geheimnis seines Hobbys bewahren. Bella fand diese Geschichten eigentlich amüsant. Es machte auch Spaß, wenn es nicht zu ernst wurde, was sie schreiben musste. Ihre Arbeit gab ihr das Gefühl, etwas Wichtiges und Spannendes zu tun und eigentlich konnte sie ja auch damit aufhören, wann immer sie wollte. Bisher war alles harmlos und ungefährlich, aber man konnte ja nie wissen, was noch kommen würde.
In dieser Sushi-Bar waren Hisako und Bella beim Weg auf die Toilette zusammengestoßen.
„Entschuldigung, bitte gehen Sie zuerst.“
„Verzeihung, bitte nein, gehen sie vor.“
„Also eigentlich gehen Frauen ja sowieso immer zu zweit in diese Räumlichkeiten. Schauen Sie, es ist Platz genug für uns zwei!“
Sie gingen lachend zusammen weiter und kamen ins Gespräch. Hisako erzählte ihr, dass sie in dieses Lokal öfter zum Mittagessen ging. Bella mochte das asiatische Essen sehr. Sie waren sich auf Anhieb sympathisch und verabredeten sich. Danach trafen sie sich immer öfter und wurden Freundinnen.
Hisako zeigte ihr einige andere japanische Lokale und Geschäfte, die ihr selbst nie aufgefallen wären. Bella tauchte ein, in eine ihr fremde Welt und lernte die japanische Kultur näher kennen. Hisako brachte ihr bei, wie sie mit Stäbchen essen konnte und, dass man Sushi auch mit der Hand essen durfte. Dafür gab es immer vor dem Essen ein feucht-warmes Tuch für die Hände und nach dem Essen, eine Schale mit Zitronenwasser mit einem kleinen Gästehandtuch zum Waschen der Hände. Reinlichkeit war oberstes Gebot. Bella lernte gern und schnell die grundlegenden Gebräuche im Alltag. Sie war fasziniert von der japanischen Bedächtigkeit, es schien, als ob sie nie ein Problem mit Stress oder Hektik hätten und doch war ihre Arbeit schnell erledigt.
Hisako arbeitete in einer japanischen Bank am Empfang und war seit zehn Jahren mit einem deutschen Ingenieur verheiratet. Auch sie freute sich über die Bekanntschaft mit Bella. Endlich jemand, mit dem sich die sonst zurückhaltende Japanerin zwanglos unterhalten konnte. Viel Kontakt zu anderen Japanerinnen hatte sie nur wenig, da sie selbst ja hier in Deutschland lebte und die meisten sich hier nur einen begrenzten Zeitraum aufhielten. Sie interessierte sich sehr für die deutsche Küche und bekam von Bella auch einige alte, deutsche Rezepte, um ihren Mann zu überraschen. Das war jetzt schon fast ein Jahr her. Ihre Freundschaft war etwas Besonderes geworden.
Dann hatte Bella Gelegenheit bei einem Ikebana Kurs zusammen mit Hisako und anderen japanischen Frauen ihr Wissen bei einem leichten Gesprächsaustausch zu testen. Dabei lernte sie auch Frau Mitsui zum ersten Mal kennen. Allerdings fühlte sich Bella dabei anfangs nicht so wohl. Sie merkte, dass sie die fremde Kultur niemals ganz verstehen würde, denn die Japanerinnen beachteten sie kaum und waren sehr wortkarg, obwohl sie mit Hisako ankam.
Zuerst gab es zwei Gruppen, die um den Tisch mit den Pflanzen und Schalen standen. Auf der einen Seite die Japanerinnen und auf der anderen Seite ein paar deutschen Frauen. Die engagierte Floristin gab sich Mühe, beiden Gruppen die Vorgehensweise verständlich zu erklären. Doch die Europäerinnen hatten Probleme es korrekt umzusetzen. Die Blicke der Japanerinnen sprachen Bände, sie waren äußerst geschickt und folgten ganz genau den Anweisungen. Na ja, Heimvorteil, sie waren darin Naturtalente und kannten es bestimmt aus ihrer Heimat. Hisako und Bella standen sich gegenüber. Die anderen Japanerinnen schauten zuerst nur mitleidig herüber.