Berggasse 41 - Ernst Geiger - E-Book

Berggasse 41 E-Book

Ernst Geiger

0,0

Beschreibung

Täter, Mitläufer oder Opfer? Wie verhielt sich die Wiener Kriminalpolizei in der Zeit des Nationalsozialismus? Ernst Geiger, selbst langjähriger Wiener Chefermittler, zeichnet ein akribisch recherchiertes Bild der Kripo und ihrer Schlüsselpersonen im Schatten des Hitlerregimes.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 239

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



BERGGASSE 41

Ernst Geiger:

Berggasse 41

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 edition a, Wien

www.edition-a.at

Satz: Bastian Welzer

Cover: Marc Ressler

Grafiken: Hannah Rott

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Europa

12345—26252423

ISBN 978-3-99001-697-8

eISBN 978-3-99001-698-5

Ernst Geiger

BERGGASSE 41

Die Wiener Kripo in der Nazizeit

edition a

Inhalt

Vorwort

Danksagung

Einleitung

I. Die Wiener Kriminalpolizei in der Ersten Republik

Entwicklung

Entstehung des Sicherheitsbüros

Polizeiagenten

Das Kriminalbeamtenreferat

Konzeptsbeamte/Polizeijuristen

Organisation

Kriminalität und kriminalpolizeiliche Herausforderungen

Kriminalfälle dieser Zeit

Ansehen der Kriminalpolizei

Internationale Polizeiliche Kommission – IPK

Ausbildung

Mitarbeiterfürsorge

Personelle Situation

Infiltration durch Nationalsozialisten

Der Juliputsch

II. Der Anschluss

III. Die Organisation der Deutschen Polizei

Die höheren SS- und Polizeiführer

Amt des Inspekteurs der Ordnungs- und Sicherheitspolizei

Reichssicherheitshauptamt

Reichskriminalpolizeiamt

Kriminalpolizeileitstellen und Kriminalpolizeistellen

Die Verbindung der Polizei mit der SS

IV. Neuorganisation der Kripo in Österreich – Kriminalpolizeileitstelle Wien

Organisationsstruktur

Weiterentwicklung der Organisation

Personalstand der Kriminalpolizeileitstelle Wien

Ausbildung und Laufbahn in der Deutschen Polizei

Ausrüstung und Arbeitsweise

Dienstzeitsystem

SS-Angehörige in der Kriminalpolizeileitstelle Wien

SS- und Polizeidienstgrade

V. Führungseinheiten und Personal – Biografien

Die höheren SS- und Polizeiführer Donau mit Dienstsitz in Wien

Die Inspekteure der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes

Die Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes

Der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes

Die Polizeipräsidenten

Die Polizeivizepräsidenten

Die Leiter der Kriminalpolizeileitstelle Wien

Die Leiter der Direktionen in der Kriminalpolizeileitstelle Wien

Die Leiter der Inspektionen

Die Kriminalbeamten

Die Gruppe der gemaßregelten, teilweise im Krieg wiedereingesetzten und in der Zweiten Republik weiterverwendeten Beamten

Leitende Beamte in auswärtiger Verwendung

VI. Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung im Dritten Reich im Bereich der Kriminalpolizeileitstelle Wien

Meldungen in Tagesberichten

Lagebericht des Sicherheitsdienstes

Mitteilungsblatt des Reichskriminalamtes

VII. Kriminalitätsentwicklung und die Situation der Kriminalpolizei im Zweiten Weltkrieg

VIII. Verbrechensvorbeugung

Fallbeispiel Franz Hellweger

Fallbeispiel Friedrich Ludwig

Maßnahmen der Verbrechensvorbeugung

Die Bekämpfung der »Zigeunerplage«

»Asoziale«

Lackenbach – »Zigeunerlager« der Kriminalpolizeileitstelle Wien

IX. Ende und Neubeginn

X. 1945 – Die Befreiung

XI. Saubere Kripo – Verbrecherische Gestapo

Fallbeispiele

XII. Exkurs – Die weitere Entwicklung der Wiener Kriminalpolizei in der Zweiten Republik

XIII. Epilog

XIV. Quellenverzeichnis

Vorwort

Ich habe fast mein gesamtes Berufsleben in der Kriminalpolizei verbracht. Der Sitz der Wiener Kriminalpolizei war seit dem Jahr 1912 bis heute im Amtsgebäude Berggasse 41.

Die Arbeit in der Kriminalpolizei ist nicht einfach. Mehr als in jedem anderen Beruf ist man täglich mit Leid, menschlichen Abgründen und schlimmen Bildern konfrontiert. Man steht unter gewaltigem Erfolgsdruck, weil die Bevölkerung zu Recht die rasche Klärung von Morden, Vergewaltigungen, Raubüberfällen, Einbrüchen und anderen schweren Straftaten erwartet. Daneben ist man aber auch noch Teil einer Organisation, die sich ständig verändert, wo Konfliktpotenziale mit Kollegen und Vorgesetzten auftreten, und die von politischen Veränderungen zutiefst betroffen ist. Ich habe mir oft die Frage gestellt, wie meine Amtsvorgänger, die in verschiedenen Zeitepochen in den gleichen Amtsräumen der Berggasse arbeiteten, diese Aufgaben bewältigt haben. Unter welchen Rahmenbedingungen wurden die kriminalpolizeilichen Aufgaben gelöst?

Wie war der Weg vom Rechts- in den Unrechtsstaat, wie wurde die Organisation verändert, wie haben die Personen reagiert? Wer von den damaligen Kriminalpolizisten verlor seine Stellung, wurde verfolgt, kam ins Konzentrationslager oder passte sich an und machte Karriere? Wer waren die Opfer, wer waren die Mitläufer und wer wurde zum Täter?

Man kann diese sieben Jahre der Naziherrschaft nicht isoliert behandeln. Die Entwicklung zum Nationalsozialismus begann bereits in der Ersten Republik, inbesondere in der Kanzlerdiktatur des Ständestaates.

Ich habe also auch diese Entwicklung in der Kriminalpolizei beschrieben.

Besonders wichtig waren mir die Einzelschicksale der Kriminalpolizisten und der Führungskräfte dieser Zeit. In Kurzbiografien, die ich anhand von Akten erstellt habe, habe ich diese Schicksale beleuchtet. Sie waren nicht nur Kriminalpolizisten, sondern auch Familienväter, für die der Beruf die Existenzgrundlage darstellte. Sie trugen Verantwortung gegenüber dem Wohl der Familie. Das macht manches Verhalten vielleicht ein wenig verständlicher, wenn auch nicht entschuldbar.

Nach der Befreiung Wiens im April 1945 erstand die Wiener Polizei in der Organisation der altösterreichischen Polizei wieder auf. Es gab auch da personelle Kontinuitäten, auf die ich eingegangen bin.

Neben meiner kriminalpolizeilichen Tätigkeit war ich immer historisch interessiert und habe auch gerne reflektiert, wie meine Amtsvorgänger in schwierigen Zeiten ihre Aufgaben bewältigt haben. Ganz besonders interessiert haben mich die Vorgänge in der Kriminalpolizei beim Untergang der Ersten Republik, also während des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich. Das war ein gewaltiger, bis dahin noch nie dagewesener Umbruch, der von einem Tag auf den anderen im März 1938 die Polizeiorganisation radikal veränderte und damit auch die Lebensschicksale der Polizisten.

Ich habe nach Büchern gesucht, um mich über die Kriminalpolizei in schwierigen Zeiten zu informieren, habe aber nichts gefunden. Während die Gestapo und die Uniformierte Polizei sehr gut erforscht sind, gab es über die Kriminalpolizei keine Bücher. Lediglich der Wiener Kriminalbeamte Gerd Hörmedinger hat 2017 eine Bachelorarbeit an der Fachhochschule Wiener Neustadt über die Wiener Kriminalpolizei von 1938 bis 1945 verfasst. In anderen Publikationen finden sich nur spärliche Hinweise und rudimentäre Ansätze über die Kriminalpolizei in dieser Zeit.

Deswegen habe ich dieses Buch geschrieben.

Danksagung

Mein Buch handelt vorwiegend von Männern. Dank für Hilfestellungen beim Zustandekommen schulde ich aber vorwiegend Frauen.

Allen voran danke ich meiner Ehefrau Evi, die mir durch Anregungen, Schreibarbeiten, Layout, Formulierungen und kritisches Hinterfragen bei der Entstehung des Buches zur Seite stand.

Julia Seidl, meiner Lektorin danke ich für die sprachlichen Verbesserungen.

Lisa Deutsch, Studentin der Geschichte, hat mich beim Auffinden von Quellen und bei der Archivarbeit maßgeblich unterstützt.

Das Auffinden der umfangreichen Quellen wäre ohne Unterstützung fachkundiger Archivarinnen nicht möglich gewesen. Ich bedanke mich bei Beatrix Kroll vom Österreichischen Staatsarchiv und bei Dr. Susanne Fritsch-Rübsamen vom Wiener Stadt- und Landesarchiv.

Aber auch Männer standen mir hilfreich zur Seite. Vor allem Mag. Harald Seyrl, wohl der profundeste Kenner der Österreichischen Kriminalgeschichte, unterstützte mich dankenswerterweise mit seinem umfangreichen Archiv.

Dank sage ich auch Otto Scherz von der Vereinigung Kriminaldienst Österreich (VKÖ), der mir Unterlagen aus seiner reichhaltigen Sammlung zur Verfügung gestellt hat.

Nicht zuletzt danke ich Mag. DDDr. Franz Weisz, dem Verfasser mehrerer Bücher über die Gestapoleitstelle Wien, für seine wertvolle Unterstützung.

Einleitung

Die Kriminalpolizei ist zahlenmäßig der kleinere, aber in der öffentlichen Wahrnehmung durchaus mehr in Erscheinung tretende Teil der Polizei, was durch Kriminalberichterstattung, Berichte über Verbrechen und Kriminalfilme noch gefördert wird.

Viele Probleme dieser speziellen polizeilichen Arbeit und auch die Auswirkungen von politischen Veränderungen und damit verbundener Reformen haben sich auch sehr konkret auf Lebensschicksale und Berufslaufbahnen der Beamten ausgewirkt. Ganz besonders drastisch waren die politischen Auswirkungen in der Ersten Republik sowie die Folgen durch den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938, die nationalsozialistische Diktatur bis 1945 und das Wiederauferstehen Österreichs in der Zweiten Republik 1945.

Ich habe hauptsächlich auf Primärquellen wie Erlässe, Amtsblätter, Dienstbefehle, Tätigkeitsberichte, Meldungen und Schulungsunterlagen zugegriffen, welche sich im Österreichischen Staatsarchiv, im Wiener Stadtarchiv, im Wiener Polizeiarchiv und in der kriminalhistorischen Sammlung des Mag. Harald Seyrl befinden. Wenngleich auch Dokumente aus dieser Zeit verloren gegangen sind, war dennoch ausreichend Material vorhanden.

Ergänzt wurden diese Quellen durch zeitgenössische Zeitungsberichte, die im digitalisierten Zeitungsarchiv »Anno« aufgerufen werden können.

Für die Biografien und persönlichen Schicksale der Beamten standen nur ganz wenige Personalakte zur Verfügung, weil Personalakte aller vor dem Jahr 1958 in den Ruhestand versetzten Beamten bereits skartiert, das heißt vernichtet, wurden. Nur vereinzelt waren solche Akte im Staatsarchiv und im Wiener Stadtarchiv auffindbar, wobei sich dort vor allem die Gauakte der NSDAP Wien und die Volksgerichtsprozessakte sowie die Registrierungsakte des Magistrats als wertvolle Quellen erwiesen haben.

Mit dieser Quellenlage war es möglich, ein Bild von der Entwicklung der Kriminalpolizei vom Ende der Monarchie über die politischen Wirren der Ersten Republik bis zur Überführung in das Deutsche Polizeisystem zu zeigen. Den Schwerpunkt bildet die Kriminalpolizeileitstelle Wien, also die Wiener Kriminalpolizei in den Jahren 1938 bis 1945. Darüber hinaus wird das Wiederauferstehen der Kriminalpolizei in der Zweiten Republik skizziert.

In Kurzbiografien habe ich die persönlichen Schicksale und Laufbahnen von kriminalpolizeilichen Führungskräften, Polizeijuristen und Kriminalbeamten in dieser wechselvollen Zeit nachgezeichnet. Sie geben Einblick in Herkunft, sozialen Hintergrund, Bildung, politische Einstellung, Werdegang und in den Charakter der Menschen in diesen politisch herausfordernden Zeiten.

Besonders die Aussagen in den Gauakten der NSDAP Wien und in den Volksgerichtsakten ergeben ein anschauliches Bild über die Einstellung der Personen im Jahr 1939 und deren Rechtfertigung im Jahr 1945.

Mehrheitlich wollten die Beamten ihre berufliche Existenz retten, Mitläufertum war vorherrschend, nur ganz selten wurde Haltung gezeigt oder gar Widerstand geleistet.

Die kriminalpolizeilichen Herausforderungen im Wechsel der Zeiten, Kriminalfälle, veränderte Arbeitsmethoden und die Beteiligung an Verbrechen des Nationalsozialismus durch die Wiener Kriminalpolizei, vor allem durch das Instrument der Vorbeugehaft und die Ausrottung der sogenannten Zigeuner sind ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit.

Zur sprachlichen Vereinfachung wurden belastete Begriffe aus dem NS-Jargon wie Zigeuner, Asoziale oder Berufsverbrecher verwendet. Sie wurden in Anführungszeichen gesetzt. Ihre Verwendung beinhaltet keine moralische Wertung oder die Übernahme nationalsozialistischer Gedanken.

I

Die Wiener Kriminalpolizei in der Ersten Republik

Entwicklung

Die Kriminalpolizei war nie eine eigenständige Behörde. Man kann sie nur im Gesamtkonzept der Polizei darstellen, wo sie ein kleiner, aber in der öffentlichen Wahrnehmung durchaus wichtiger Teil des Gesamtgefüges ist. Sie befasst sich mit der Verfolgung und Verhütung von Straftaten und agiert dabei in einer Doppelfunktion: Einerseits hat sie Straftaten zu verhindern oder zu beenden, wie das heute im Sicherheitspolizeigesetz geregelt ist, andererseits ist sie nach der Strafprozessordnung mit der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten befasst. Prävention oder Repression wurden im Verlauf der Geschichte verschieden verstanden und gewertet. Der Umgang damit sowie das Verhältnis zueinander hatte einschneidende Konsequenzen, was sich besonders im Nationalsozialismus zeigte.

Vorläufer des Kriminalbeamtenkorps war die Zivilpolizeiwache. Sie wurde 1852 mit Erlass des Innenministeriums eingerichtet. Ihre Aufgabe war »die ununterbrochene Überwachung und Wahrnehmung aller wichtigen Vorkommnisse in den ihr zugewiesenen Bezirken zum Zwecke der Vorbeugung oder Verhinderung, dann der schnellen und wirksamen Verfolgung gesetzwidriger Handlungen oder Unterlassungen, sowie auch die Ermittlung oder Zustandebringen der Täter derselben«.

Entstehung des Sicherheitsbüros

Die Zivilpolizeiwache versah ihren Dienst in den Wiener Bezirken. Mit der Entwicklung Wiens zur Großstadt und den sich daraus ergebenden Sicherheitsproblemen war die Schaffung einer Zentralstelle zur Kriminalitätsbekämpfung im gesamten Stadtgebiet notwendig. Als Vorbild diente die Pariser Sûreté nationale (das polizeiliche Exekutivorgan in Frankreich), auch der Name geht darauf zurück.

Als Geburtsstunde des Wiener Sicherheitsbüros gilt der 11 Januar 1858, an dem durch einen Erlass aus dem Evidenzbüro das »Büro für die Öffentliche Sicherheit« geschaffen wurde. Der Grundgedanke forderte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Zentralisation und Dezentralisation, in dem die Kriminalpolizeiliche Zentralstelle und Bezirkspolizeikommissariate zusammenfinden konnten. Es bedurfte noch einiger Gewöhnung und Anweisungen, bis die Bezirke mit der Zentralstelle entsprechend gemeinsam arbeiteten.

In einer Dienstanweisung vom 19. November 1887 wurde festgelegt: »Künftig sind alle Amtshandlungen im Sinne des 11. und 12. Hauptstückes des StG im Sicherheitsbüro zu konzentrieren, daher alle darauf bezugnehmenden Anzeigen, mögen sie wichtig oder minder wichtig erscheinen, der Sektion II zu übergeben. Das Kommissariat hat nur die ersten unabweislich nötigen Schritte zur Feststellung des Tatbestandes und zur Eruierung des Täters selbstständig einzuleiten.« Trotz dieser Dienstanweisung gab es immer wieder Kompetenzkonflikte.

Polizeiagenten

Während 1869 die Wiener Sicherheitswache aufgestellt wurde, kam es 1872 zur Schaffung des Institutes der k.u.k.-Polizeiagenten in Wien, wiederum nach Pariser Vorbild. Die Polizeiagenten versahen den Dienst in Zivilkleidung, waren mit Legitimationskarte und Kokarde (militärischer Aufnäher) ausgestattet. Sie waren bereits Staatsdiener mit Anspruch auf Pension und wurden vorwiegend aus der Sicherheitswache rekrutiert.

Ihr Aufgabengebiet glich dem der Zivilpolizeiwache: Überwachung von Personen, die die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdeten, aber vor allem auch die Aufklärung von Straftaten. Die Polizeiagenten waren zentral im Polizeiagenteninstitut organisiert, dem ein Konzeptsbeamter vorstand. Von dort wurden sie den Zentralämtern und den Polizeikommissariaten zugewiesen, wobei sie ausschließlich zum Ausforschungsdienst herangezogen werden durften.

Dabei unterstanden sie den Weisungen des jeweiligen Amtsvorstandes oder Bezirksleiters, disziplinär aber dem Vorstand des Polizeiagenteninstitutes. Diese Zweiteilung und dadurch auch Ausgewogenheit der Machtverhältnisse bestand bis zum Ende der Ersten Republik und in der Zweiten Republik bis zur Polizeireform von 2003.

1891 wurde das Polizeiagenteninstitut reorganisiert, wobei auch Vorschriften über die Bewaffnung und den Waffengebrauch der Polizeiagenten erlassen wurden. Dieses Jahr bedeutete auch für das Dienstrecht der österreichischen Beamten eine wichtige Zäsur, weil die Vorschriften für Staatsbeamte in der Dienstpragmatik zusammengefasst wurden. Aber auch Fortschritte der kriminalpolizeilichen Untersuchungsmethoden wie Fotografie und Daktyloskopie fanden Eingang in die Vorschriften, welche neben dem Ausforschungsdienst auch den Telegrafen-, Telefon-, Fotografen-, Daktyloskopen- und Lithografendienst regelten.

Während des Ersten Weltkriegs wurde die Kriminalpolizei durch stark ansteigende Kriminalität und neuartige Aufgaben stark beansprucht. Eine gesteigerte Jugendkriminalität, aus dem Krieg entstandene Wirtschaftsdelikte wie Wucher und Preistreiberei, aber auch Deserteure und Geheimprostitution brachten neue Herausforderungen.

Das Kriminalbeamtenreferat

1919 kam es zu einer Neuordnung des Polizeiagentenkorps. Mit Erlass des Staatssekretärs des Inneren vom 26. November 1919 wurde der Amtstitel von »Polizeiagent« auf »Kriminalbeamter« geändert.

Das Polizeibeamtenkorps führte die Bezeichnung Kriminalbeamtenkorps, das Polizeiagenteninstitut wurde zum Kriminalbeamteninspektorat. Die Kriminalbeamten waren im exekutiven Außendienst zu verwenden, den Kommissariaten oder den Zentralstellen zugeteilt, wobei sie Konzeptsbeamten unterstanden.

In den Bezirkspolizeikommissariaten wurden unter Polizeipräsident Dr. Schober Sicherheitsreferenten, also besonders ausgebildete Polizeijuristen, eingeführt, welche die kriminalpolizeilichen Amtshandlungen im Bezirk leiteten und den Verbindungsdienst zum Sicherheitsbüro herstellten. Im Sicherheitsbüro waren Fachreferate nach Deliktsgruppen eingerichtet, welche von Polizeijuristen geleitet und denen Kriminalbeamte zugeteilt waren.

Konzeptsbeamte/Polizeijuristen

Ein Spezifikum der Österreichischen Polizei, auch im internationalen Vergleich, bildete die hohe Anzahl der Polizeijuristen. In der Wiener Polizei der Ersten Republik gab es damals 270 Planstellen für Polizeijuristen, und das in einer Zeit größter wirtschaftlicher Not. Die Juristen wurden nicht nur in den Bezirkspolizeikommissariaten und Ämtern der Polizeidirektion eingesetzt, sondern auch im Wachkörper.

In der Sicherheitswache waren 45 Planstellen mit Juristen besetzt, darunter Fachreferate im Generalinspektorat, aber auch in der Alarmabteilung, der berittenen Abteilung und allen großen Bezirksabteilungen. Der hohe Anteil an Juristen ermöglichte der Bevölkerung im Journaldienst den direkten Zugang zu einem rechtskundigen Beamten. Alle Führungsfunktionen waren damals mit juristisch gebildeten Beamten besetzt, die überdies noch Reserveoffiziere waren und großteils im Ersten Weltkrieg gedient hatten.

Um den Aufbau und die Gliederung der Wiener Kriminalpolizei verständlich darstellen zu können, ist es auch notwendig, den Aufbau der gesamten Polizeidirektion Wien, von der die Kriminalpolizei nur ein Teil war, darzustellen.

Organisation

Die Kriminalpolizei der Ersten Republik hatte organisatorisch und personell ihre Wurzeln in der Monarchie. Die Österreichische Polizeiorganisation ging auf das Organisationsstatut von 1850 zurück. Ihr Prinzip lag in der Verbindung von Zentralisation und Dezentralisation. Zentralämter und Bezirkspolizeikommissariate bildeten den Schwerpunkt der polizeilichen Tätigkeit, wobei die Zentralämter mit der Entwicklung Wiens zur Großstadt an Bedeutung gewannen. Der Wirkungsbereich der Bezirkspolizeikommissariate deckte sich weitgehend mit den politischen Bezirken. Zur Erfüllung des Exekutivdienstes waren Wachkörper beigegeben.

Diese bereits aus der Monarchie stammende Organisationsstruktur der Wiener Kriminalpolizei überdauerte den Ersten Weltkrieg, blieb im Wesentlichen bis zum Anschluss unverändert und wurde auch nach 1945 mit geringfügigen Änderungen wieder eingeführt.

Präsidialbüro

Den Polizeipräsidenten stand zur Führung der Behörde das Präsidialbüro zur Verfügung. Das Präsidialbüro »besorgte« die Aufgabe des Sekretariates, führte also Personalreferat, Büro für Organisation und Kontrolle und Budgetreferat. Der Polizeichefarzt, dem die Leitung des Amtsärztlichen Dienstes mit 45 Amtsärzten unterstand, war unmittelbar dem Polizeipräsidenten unterstellt. Das Staatspolizeiliche Büro war wegen der besonderen Bedeutung in den politisch unsicheren Zeiten der Ersten Republik direkt dem Polizeipräsidenten unterstellt.

Staatspolizeiliche Approbationsgruppe

In der Staatspolizeilichen Approbationsgruppe waren die Ämter des Vereinsbüros, des »Pressbüros« (Pressebüros), der Polizeidirektionsabteilung für gerichtliche »Presspolizei« (Pressepolizei), das Passamt und das Administrationsbüro zusammengefasst. Das Kernstück des Staatspolizeilichen Büros unterstand direkt dem Polizeipräsidenten. Das Administrationsbüro war für die Verleihung diverser Konzessionen und die Überwachung von Theatern, Kinos und Vergnügungsbetrieben zuständig. Im Passamt wurden damals neben Reisepässen auch Waffenpässe und sonstige Ausweispapiere ausgestellt.

Kriminalpolizeiliche Approbationsgruppe

Die Kriminalpolizeiliche Approbationsgruppe umfasste all jene Dienststellen, deren Tätigkeit der Kriminalpolizei dient. Das Sicherheitsbüro war das Kernstück und umfasste den gesamten Polizeirayon Wiens, hatte aber auch Zuständigkeiten für das gesamte Bundesgebiet. Sachlich waren ihm alle großen Verbrechensfälle, insbesondere Tötungsdelikte mit unbekannten Tätern zur Bearbeitung zugewiesen. Aber auch schwere Eigentumsdelikte wie Kasseneinbrüche, Diebstähle in Ämtern, Raubüberfälle und die zentrale Bekämpfung des Taschendiebstahls gehörten zu den Aufgabengebieten.

Im Sicherheitsbüro war auch das Zentralamt zur Bekämpfung der Fälschungen, insbesondere der Geld- und Passfälschungen eingerichtet. Gerade diese Fälschungszentrale zur Bekämpfung des internationalen Verbrechertums hatte hohes Ansehen auch außerhalb der Landesgrenzen. Die Wahrnehmung der vorbeugenden Sicherheitspolizei, die Aufsicht über die Sicherheitsreferenten der Bezirke und die Instruktion der Kriminalbeamten gehörten zu den weiteren Aufgaben. Um dieses Kernstück der Kriminalpolizei – Sicherheitsbüro – gruppierten sich die anderen Ämter der Kriminalpolizeilichen Approbationsgruppe.

Im Erkennungsamt war der gesamte Erkennungsdienst zentralisiert, nicht nur für Wien, sondern für das gesamte Bundesgebiet.

Die Daktyloskopische Abteilung umfasste die Fingerabdruckkartenregistratur, die Handabdruckregistratur und die Monodaktyloskopische Registratur. (Erklärung: Die Einzelfingerabdrucksammlung und die Handabdruckregistratur dienen der Erfassung von daktyloskopischen Tatortspuren, die dann eine Zuordnung zu Tatverdächtigen ermöglichen.) Die Lichtbildersammlung enthielt alle Häftlingsfotografien mit den wichtigsten Daten und diente der Einsichtnahme durch Agnoszierungszeugen und der Fahndung. (Erklärung: sogenannten Erkennungszeugen werden Lichtbilder aus dem sogenannten »Verbrecheralbum« vorgelegt, um Tatverdächtige zu identifizieren.)

Die Fotografische Abteilung besorgte die Tatortfotografie. Wertvolle Ergänzungen waren die Handschriftensammlung und die Abformsammlung (Moulageabteilung). Wer es nicht kennt: In den 1930er-Jahren wurden Abgüsse von Gesichtern und Körperteilen, aber auch von anderen Gegenständen und Spurenträgern hergestellt, um Identifizierungen zu ermöglichen. Das Gesicht einer Brandleiche im Lainzer Tiergarten, das teilweise verkohlt war, konnte durch Moulage beispielsweise wiederhergestellt werden, sodass die vorerst unbekannte Leiche identifiziert werden konnte.

Das Fahndungsamt war gleichfalls eine Zentralstelle für das gesamte Bundesgebiet und führte die Zentralfahndungsevidenz und das tägliche Fahndungsblatt.

Im Strafregisteramt wurden die Strafevidenzen geführt; dieses Amt war eine unentbehrliche polizeiliche Informationsquelle.

Die Wirtschaftspolizeiliche Abteilung war aus dem Kriegswucheramt hervorgegangen und zuständig für die Verfolgung aller mit dem Wirtschaftsleben zusammenhängenden Delikte wie Betrug, Veruntreuung, Krida (Zahlungsunfähigkeit durch Schuldner) und Kreditwucher.

Die Rauschgiftstelle zur Bekämpfung des Handels mit Kokain und anderen narkotischen Giften war damals der Wirtschaftspolizei angegliedert.

Die Kriminalpolizeiliche Apparatur wurde ergänzt durch das mit dem damals modern ausgestatteten Kriminalistischen Laboratorium.

Die Polizeiabteilung bei der Wiener Staatsanwaltschaft vermittelte den direkten Verkehr zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Richterschaft.

Die Polizeiabteilung für Gefangenenhausangelegenheiten hatte zwei Aufgabengebiete: die Verwaltung des Polizeigefangenenhauses und die Handhabung des Schubwesens. Dazu gehörte auch die Handhabung der Fremdenpolizei und die Verfügungen bei der Abgabe von Häftlingen in Arbeitshäuser.

Administrativpolizeiliche Approbationsgruppe

Der Administrativpolizeilichen Approbationsgruppe waren das Zentralmeldeamt, das Fundamt, das Korrespondenzbüro, das Verkehrsamt, die Abteilung für Bekämpfung der Prostitution, des Mädchenhandels und der Arbeitsscheu sowie das Fürsorgeamt zugewiesen. Das Korrespondenzamt war für die Ausführung von Sittenzeugnissen zuständig. Das Fürsorgeamt führte die gesamten Agenden der polizeilichen Jugendfürsorge, der Schutzaufsicht und der Fürsorge für Trunkgefährdete und Lebensmüde.

Wachkörper

Zur Unterstützung der Aufgaben waren der Bundespolizeidirektion die Wachkörper »Bundessicherheitswache« und das »Kriminalbeamtenkorps« beigegeben. Der Generalinspektor der Wiener Sicherheitswache und der Vorstand des Kriminalbeamtenkorps waren Konzeptsbeamte und dem Polizeipräsidenten unmittelbar unterstellt.

Das Kriminalbeamtenreferat war für die Führung, Ausbildung, Ausrüstung und Disziplin des Kriminalbeamtenkorps zuständig, wobei die Kriminalbeamten ihren Dienst in Kriminalbeamtenabteilungen der Bezirkspolizeikommissariate oder der Zentralstellen versahen. Dabei waren sie den Weisungen der jeweiligen Amtsleiter unterworfen, unterstanden aber in disziplinärer und organisatorischer Sicht dem Vorstand des Kriminalreferates. Diese Zweiteilung bewirkte eine Machtaufteilung, die 1938 zugunsten einer Zentralisierung aufgegeben wurde.

Das Generalsinspektorat der Sicherheitswache war in Fachabteilungen gegliedert, denen vorwiegend Konzeptsbeamte vorstanden. Neben den Bezirksabteilungen waren vor allem die Alarmabteilung und die berittene Abteilung von großer Bedeutung für den Großen Polizeilichen Ordnungsdienst und zur Bewältigung der Herausforderungen bei den Ereignissen des Jahres 1934.

Bezirkspolizeikommissariate

Der Hauptteil der polizeilichen Arbeit, auch der kriminalpolizeilichen Ermittlungen wurde in den Bezirkspolizeikommissariaten geleistet.

An der Spitze jedes Bezirkspolizeikommissariats stand ein Beamter des höheren Polizeidienstes, der den Funktionstitel Stadthauptmann führte. Ihm waren Konzeptsbeamte für die Detailleitung der Geschäfte beigegeben. Für den exekutiven Dienst stand eine entsprechende Anzahl von Kriminalbeamten unter der Führung eines Leitenden Beamten zur Verfügung. Die Abteilung der Sicherheitswache stand unter dem Kommando eines Polizeioffiziers oder in größeren Bezirken eines Konzeptsbeamten.

Journaldienst

Von wesentlicher Bedeutung war der Permanenzdienst/Journaldienst bei den Bezirkspolizeikommissariaten, der von einem Polizeijuristen rund um die Uhr versehen wurde und zu dem die Bevölkerung jederzeit Zutritt hatte. Die Kommissariate verfügten über die für den lokalen Bereich notwendigen Evidenzen, deren wichtigste das Meldeamt war. Sie waren auch in das Telegrafen-, Telefon- und Funknetz der Polizeidirektion einbezogen.

Kriminalität und kriminalpolizeiliche Herausforderungen

Die Kriminalität war in den ersten Jahren nach dem Ersten Weltkrieg als Folge dieses Krieges besonders hoch. Um ihr effektiv begegnen zu können, steckte Polizeipräsident Dr. Schober trotz der wirtschaftlich schwierigen Lage viele Ressourcen in den Aufbau einer Wissenschaftlichen Kriminalpolizei. Damit konnte auch in den 1920er-Jahren ein Rückgang vor allem der Eigentumskriminalität erreicht werden.

Bei den politischen Ereignissen der Jahre 1927 (Justizpalastbrand) sowie ab Ausschaltung des Parlamentes 1933 und insbesondere im Februar 1934 (Bürgerkrieg) und Juli 1934 (Nationalsozialistischer Putschversuch) wurden auch massiv kriminalpolizeiliche Kräfte abseits ihrer Kernaufgabe – der Verbrechensbekämpfung – für Festnahmen und Hausdurchsuchungen bei politischen Gegnern eingesetzt.

Trotzdem geriet die Kriminalpolizei um einiges weniger in den Blickwinkel des Hasses der Regimegegner als die uniformierte Sicherheitswache. In den Tageszeitungen herrschte eine breite Berichterstattung über Kriminalfälle. Auch die Prozessberichterstattung kam nicht zu kurz. Auffallend ist in dieser Zeit, dass die Spruchpraxis der Geschworenengerichte in den 1920er-Jahren und Anfang der 1930er-Jahre, auch im Vergleich zur heutigen Zeit, sehr milde war. Freisprüche wegen »Sinnesverwirrung«, aber auch aus anderen, heute kaum mehr nachvollziehbaren Gründen, waren häufig.

So hielt die rechtsgerichtete Frontkämpfervereinigung im Gasthof Tscharmann am 30. Januar 1930 in der burgenländischen Gemeinde Schattendorf eine Versammlung ab. Sozialistische Schutzbündler hielten eine Gegendemonstration ab. Im Tumult fielen aus dem Gasthaus heraus Schüsse, die einen kroatischen Kriegsinvaliden und ein Kind tödlich verletzten. Die drei Schützen wurden festgenommen, aber im späteren Prozess freigesprochen.

Nicht nur die Todesschützen von Schattendorf wurden freigesprochen, was zu massiven Protesten der Sozialdemokraten und letztlich zum Brand des Justizpalastes mit mehr als achtzig Todesopfern auf Seiten der Demonstranten führte, sondern auch Raubmörder wurden milde behandelt.

Einige Beispiele

Die Mörder vom Alsergrund, die 1926 eine Milchhändlerin in der Liechtensteinstraße wegen 500 Schilling ermordet hatten. Diese kamen mit geringen Freiheitsstrafen davon.

Ein Josef Wimpassinger wurde nach der von ihm eingestandenen Tötung seiner Frau und Zerstückelung der Leiche, von der nur ein Bein bei der Reichsbrücke aufgefunden wurde, wegen Sinnesverwirrung freigesprochen.

Der Journalist Oskar P. tötete 1928 im Bezirksgericht Hietzing seinen Prozessgegner mit zwölf Revolverschüssen. Auch in diesem Fall kam es zu einem Freispruch wegen Sinnesverwirrung.

Auch viele andere Mörder und schwere Straftäter kamen in dieser Zeit oft mit geringen Freiheitsstrafen davon. Heute unvorstellbar.

1929 erreichte die Diskussion über die Spruchpraxis der Geschworenengerichte politisch und medial ihren Höhepunkt. Auch die Kriminalpolizei übte in der Zeitschrift »Öffentliche Sicherheit« Kritik an den milden Urteilen.

Ab 1934 sollte sich das ins Gegenteil verkehren. Nach Ausschaltung des Parlaments 1933 regierte Bundeskanzler Dr. Dollfuß autoritär und unter dem Justizminister Kurt Schuschnigg wurde die Todesstrafe wieder eingeführt. Drakonische Strafen, oft für kleinste Vergehen, standen an der Tagesordnung. Trotzdem stieg ab 1935 die Kriminalität wieder an. In der Zeitschrift »Öffentliche Sicherheit«, dem offiziellen Organ des Bundesministeriums für Inneres, schrieb der Vorstand des Sicherheitsbüros, Hofrat Bruno Barber, mehrere Artikel über die kriminalpolizeiliche Praxis. Er beklagte den Anstieg der Kriminalität und führte das, neben der internationalen Entwicklung, auf die politischen Emotionen der Verhältnisse, wie sie die Ereignisse des Jahres 1934 mit sich brachten, zurück.

Rüstzeug der Kriminalpolizei nannte er die Evidenzen des Erkennungsamtes, des Strafregister- und des Fahndungsamtes, wobei er die daktyloskopische Sammlung, die Lichtbildersammlung und das Abformverfahren (Moulage) besonders hervorhob. Als taktische Waffen der Kriminalitätsbekämpfung nannte Barber »Schnelligkeit«, »Raschheit in den Entschlüssen« und »energisches Handeln der Kriminalpolizei«.

Kriminalitätsphänomene der damaligen Zeit waren Taschen-, und Ladendiebstahl, Scheckfälschungen, Bettel- und Wohltätigkeitsbetrug, Kasseneinbrüche, Hoteldiebstähle und vieles mehr. Eine besondere Herausforderung für die Kriminalpolizei waren professionelle Banden von Kasseneinbrechern, die Banken, Postämter und Juweliere heimsuchten und dort hohe Beute machten.

Bruno Barber stellte auch ausführlich die Ermittlungen bei Mordfällen dar und beschrieb schwierige Fallbeispiele.

Kriminalfälle dieser Zeit

Besondere Herausforderungen stellte der Fund von Fleischteilen am 7. April 1932, welche die Fettfischer (Personen, die aus den Abwässern Fett abschöpften, um daraus geringe Einkünfte zu erzielen) aus der Donau gefischt hatten, für die Kriminalpolizei dar. Es gelang der Gerichtsmedizin aus den Leichenteilen die Identifizierung einer abgängigen Frau, wodurch es der Kriminalpolizei möglich war, den Täter auszuforschen.

Ein internationaler Kriminalfall in dieser Zeit war der Eisenbahnattentäter Silvester Mattuska, der 1931 auf den Nachtschnellzug Budapest-Wien auf ungarischem Gebiet einen Sprengstoffanschlag verübte, wodurch 24 Tote und zahlreiche Schwerverletzte zu beklagen waren. Dem Wiener Sicherheitsbüro gelang es, obwohl örtlich gar nicht zuständig, diesen Fall zu klären, weil der Täter in Wien wohnte.

Aufsehen erregte auch der Frauenmörder Franz Laudenbach, der mit Heiratsanzeigen Frauen anlockte, sie um ihre Ersparnisse brachte und tötete. Die Leichen zerstückelte er, warf sie in die Donau und stellte in einem Fall den Koffer mit den Beinen am Nordbahnhof ab. Auch dieser Fall, bei dem drei Opfer zu beklagen waren, konnte durch das Sicherheitsbüro geklärt werden.

Spektakulär war auch der Mord auf der Philosophenstiege in der Universität Wien, wo ein ehemaliger Hörer den berühmten Universitätsprofessor Dr. Moritz von Schlick durch mehrere Revolverschüsse tötete.

Der Fall der Giftmörderin Martha Marek, die Männer mit Rattengift vergiftet hatte, um ihren aufwendigen Lebensstil durch Versicherungsbetrug zu finanzieren, konnte erst 1938 nach dem Anschluss abgeschlossen werden. Sie wurde als erste Frau zum Tode verurteilt und hingerichtet.

1937 ereigneten sich auch zwei Fälle häuslicher Gewalt, die man heute Femizide nennt. Am 19. Mai 1937 stieß ein Wagenreiniger bei den Bundesbahnen seine Gattin aus dem dritten Stock der ehelichen Wohnung in Wien Meidling. Zahlreiche Zeugen hatten den Streit und den darauffolgenden Fenstersturz mitbekommen. Der Gattinnenmörder wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Ähnlich erging es einer Frau in Wien Ottakring, die von ihrem Mann am 21. Mai 1937 aus dem Fenster der Wohnküche im dritten Stock gestoßen wurde und noch vor Ort verstarb. Auch in diesem Fall wurde der Täter zum Tode verurteilt, aber 1938 durch Entschließung des Reichsstatthalters zu lebenslangem Kerker begnadigt. Er beging 1942 Selbstmord, indem er sich erhängte. Die beiden Fälle zeigen, dass häusliche Gewalt auch zu dieser Zeit häufig vorkam, machen aber auch die strenge Spruchpraxis der späten 1930er-Jahre deutlich.

Ansehen der Kriminalpolizei

Die Kriminalpolizei, insbesondere das Wiener Sicherheitsbüro, hatte sich durch eine gute Medienarbeit und durch Klärungserfolge bei aufsehenerregenden Verbrechen in der Öffentlichkeit einen Namen gemacht. Seit Schobers Reformen galt die Wiener Kriminalpolizei als die weltbeste.

Heimito von Doderer stellte in seinem Buch »Die Dämonen« der Wiener Kriminalpolizei ein gutes Zeugnis aus. Der Roman spielt im Jahr 1927 und beschreibt die Ereignisse rund um den Wiener Justizpalastbrand. In der sogenannten »Maisgeierepisode« schreibt er:

»Die Wiener Kriminalpolizei, international sehr angesehen wie man weiß, setzte hohes Können, ihre profunde Erfahrung, Fleiß und Pflichtbewusstsein voll und ganz in dieser Sache ein und gerade ihr – ganz ausnahmsweises – vergebliches Bemühen erweckt das Mitgefühl weiter Kreise, welche wohl wussten, dass die Beamten dieses Dezernates auch dem Tode ohne weiteres ins Auge zu sehen gewohnt waren. Es sind gerade anlässlich des Falles Plankl der Wiener Kriminalpolizei weithin Sympathien entgegengebracht worden.«

Das Wiener Sicherheitsbüro, dem dieses literarische Lob zuteilwurde, leiteten damals die Hofräte Alexander Wahl und Bruno Barber. Während Wahl den Anschluss nicht mehr erlebte, wurde Barber noch im März 1938 von seiner Funktion enthoben.

Den Grundstein für das hohe, auch internationale Ansehen der Wiener Polizei legte der Wiener Polizeipräsident Dr. Johannes Schober (1874-1932). Schober war schon in der Monarchie mit der Leitung der Wiener Polizeidirektion von Kaiser Karl betraut worden und führte die Polizei nahtlos in die Republik über, wodurch sie der Garant für Ruhe und Ordnung in diesen schwierigen Zeiten blieb. Schober blieb bis zu seinem Tod Polizeipräsident, wobei die Amtszeit lediglich während seiner mehrmaligen Kanzlerschaften und seiner Ausübung der Ämter des Außen- und Innenministers unterbrochen wurde.

Als Politiker der Großdeutschen Volkspartei (Schoberblock) war er umstritten. In seiner Funktion als Polizeipräsident wurde er in den Medien und von der Sozialdemokratischen Partei besonders für den blutigen Einsatz der Polizei beim Brand des Justizpalastes, der 89 Todesopfer forderte, verantwortlich gemacht. Dafür ging er auch als »Arbeitermörder« in die Geschichte ein. Unbestritten sind seine Verdienste bei der nachhaltigen Modernisierung der Kriminalpolizei.

1924 wurde das Kriminalistische Institut der Polizeidirektion Wien eingerichtet. Durch hochschulmäßigen Unterricht und wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Kriminologie sollte eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung des Kriminaldienstes erreicht werden. Vorlesungen aus Kriminaltaktik, Psychologie des Verfahrens, Erkennungslehre, Handschriftenuntersuchung, Fototechnik und Kriminalbiologie standen am Lehrplan. Hochschulprofessoren wurden als Lehrkräfte gewonnen. Eine Zentralfahndungsevidenz verbesserte das Fahndungswesen.

Internationale Polizeiliche Kommission – IPK

Schober legte auch den Grundstein für die Gründung der Interpol und schuf dadurch eine Einrichtung zur internationalen Bekämpfung der Kriminalität. 1923 wurde in Wien auf einer Konferenz mit 138 Delegierten ein Arbeitsausschuss eingerichtet und die Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission (IPK) gegründet. Präsident wurde satzungsgemäß der Wiener Polizeipräsident und das blieb bis zum Tod von Otto Steinhäusl im Jahr 1940 so. Danach übernahm Reinhard Heydrich als Leiter des Reichssicherheitshauptamtes diese Funktion.

Generalsekretär wurde der Wiener Polizeijurist Dr. Otto Dressler, der diese Funktion bis 1945 ununterbrochen innehatte. Betont wurde, dass es sich um eine völlig unpolitische Organisation handelte, mit dem Ziel der internationalen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Verbrechertums. Durch den Zweiten Weltkrieg nahm die Bedeutung der IPK, die nach dem Tod Heydrichs durch Ernst Kaltenbrunner geleitet wurde, ab. Sie stand nach 1945 als Interpol aber wieder auf und hatte in Frankreich ihren Sitz.

2023 wird in Wien das hundertjährige Jubiläum der Interpol feierlich begangen.