Berlin Amour Fou – Sinnliche Affären - Hugo Ventura - E-Book

Berlin Amour Fou – Sinnliche Affären E-Book

Hugo Ventura

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Beschreibung

»Berlin Amour Fou – Sinnliche Affären« ist ein ebenso brillanter wie eleganter erotischer Schlüsselroman über die Berliner Szene und ein Tatsachenbericht mit gefährlichen Konsequenzen. Geschrieben von einem unbekannten Meister seines Fachs.
Hugo erzählt während eines Urlaubs im Winter auf Sylt seiner Freundin Sabine, der Frau, die er liebt, von seinen erotischen Abenteuern und seinen Frauen. Sabine drängt ihn dazu. Mit von der Partie ist Harry, Juraprofessor aus Potsdam, Hugos bester Freund. Nach ein paar harmonischen Tagen keimt in Hugo der Verdacht, Sabine könne ihn mit Harry betrügen. Eifersucht flammt auf. Und die Angst, Sabine könnte mit Hugos Geschichten etwas völlig anderes beabsichtigen, als nur in langen Winterabenden unterhalten zu werden …

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Hugo Ventura

 

 

Berlin

Amour Fou

 

Sinnliche Affären 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Kathrin Peschel nach Motiven, 2023

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Autor 

Berlin Amour Fou – Sinnliche Affären 

Sabine 

Vera 

Renate 

Harry und Marie 

Maja 

Marie und Roberta 

Sandra 

Maria und Magdalena 

Sandra 

Renate 

Johanna 

Betsy 

Lena 

Cornelia 

Steff 

Falk 

Kathrin 

Emma 

Anja 

Marc 

Yvonne 

Petty 

Amelie 

Dzana 

Sissy 

Blue 

Sofia 

Martha 

 

Das Buch

 

 

 

»Berlin Amour Fou – Sinnliche Affären« ist ein ebenso brillanter wie eleganter erotischer Schlüsselroman über die Berliner Szene und ein Tatsachenbericht mit gefährlichen Konsequenzen. Geschrieben von einem unbekannten Meister seines Fachs.

Hugo erzählt während eines Urlaubs im Winter auf Sylt seiner Freundin Sabine, der Frau, die er liebt, von seinen erotischen Abenteuern und seinen Frauen. Sabine drängt ihn dazu. Mit von der Partie ist Harry, Juraprofessor aus Potsdam, Hugos bester Freund. Nach ein paar harmonischen Tagen keimt in Hugo der Verdacht, Sabine könne ihn mit Harry betrügen. Eifersucht flammt auf. Und die Angst, Sabine könnte mit Hugos Geschichten etwas völlig anderes beabsichtigen, als nur in langen Winterabenden unterhalten zu werden …

 

*

 

Der Autor

 

Hugo Ventura ist das Pseudonym eines Berliner Filmkritikers. Er schreibt für große Blätter, aber auch im Netz. Seine Kritiken sind gefürchtet und geliebt. Ein Mann der viel herumkommt und viel zu erzählen hat. 

 

 

***

 

 

Berlin Amour Fou – Sinnliche Affären

 

 

 

Sabine

 

Zu Sabines Lieblingsfilmen zählt der Film »Der Mann, der die Frauen liebte« von François Truffaut. Es geht darin um einen schüchternen Ingenieur namens Bertrand Morane aus Montpellier, gespielt von dem dunklen Charles Denner. Sabine sagt, der Film sei für sie eine Hommage an das Weibliche. Und an die unergründliche Anziehungskraft der Frauen auf Männer, möchte ich hinzufügen.

Bertrand, der die Frauen liebte. Alle und jede einzeln. Und zwar wegen ihrer Beine. Die erste Sequenz des Films besteht aus Aufnahmen von wunderschönen Frauenbeinen. Sie stöckeln alle zum Begräbnis von Bertrand Morane. Ihm wird im Film seine Empathie (vielleicht sogar Obsession) für Frauenbeine zur tödlichen Falle. Und als er ins Grab gesenkt wird, geben die Frauen ihm ein wenig sentimentale Liebe zurück und mit auf den weiten Weg, dafür, dass er ihre Beine und sie selbst liebte, wie nichts anderes auf der Welt. Sabine muss jedes Mal lachen und weinen, wenn sie den Film anschaut. Nur bei ganz großen Filmen können die Zuschauer zugleich lachen und weinen. »Il Postino« von Michael Radford und »Alexis Sorbas« von Michael Cacoyannis sind gute Beispiele dafür.

»Los, Hugo, hör’ auf zu zicken und fang’ endlich an«, drängte Sabine. Eigentlich möchte ich keine Geschichten erzählen. Ich bin Kritiker. Und wie alle Kritiker fürchte ich selber nichts so sehr wie Kritik. Wäre ich Filmemacher, hätte ich das eine oder andere aus meinem Liebesleben vor Sabine vielleicht in einem Episodenfilm verarbeitet. Aber darum ging es nicht an diesem Abend. Denn ich sollte mich nicht filmisch ausdrücken, sondern in Prosa. Nicht die Passion meiner geliebten Freundin für Filme, schlichte Neugier war die Ursache für ihre Quengelei. Ich sträubte mich wieder einmal anhaltend. Sabine ging in die Küche noch eine Flasche Wein holen, um mich trotzdem zum Reden zu bringen. Dazu zog sie sich nichts über. Harry schnarchte ja im Zimmer nebenan und würde von allem nichts mitbekommen. Ich blickte ihr nach. Welch’ eine Frau! Aber ich bin befangen. Ich liebe Sabine. Und deswegen war mir klar, dass ich irgendwann kapitulieren würde.

Also, die Sache ist so: Sabine versuchte mich schon seit Wochen zu überreden, dass ich ihr von meinen Verflossenen erzähle. Sie war neugierig auf die Frauen in meinem Leben vor ihr. Mir war es immer schon lieber, nichts über Sabines Vorleben zu wissen. Für mich ist Sabine Sabine, egal mit wem sie früher zusammen war. Ich selbst neige wirklich nicht zur Eifersucht. In meinen Augen ist es völlig unnötig, negative Emotionen zu wecken. Aber Sabine war scharf darauf, von mir zu erfahren, wie das mit den Frauen vor ihr war. Ob Sabine tatsächlich nur pure Neugier trieb, wusste ich nicht. Harry, mein bester Freund, meinte: »Es könnt’ sein, dass sie will, dass du mit ’m Erzählen über deine Verflossenen mit denen auch endgültig abschließt.«

»So eine Art Teufelsaustreibung?«

»I red’ net vom Deifi, i red’ davon, dass es sie vielleicht mehr beschäftigt, als sie zugibt.« Harry war Österreicher, und er verfiel manchmal in seinen Dialekt.

»Was?«

»Na, dass du kaa Juwel männlicher Treue bist.«

»Warst!«, korrigierte ich. Und es war mir sehr ernst damit zu betonen, dass ich Sabine noch nie betrogen hatte. Ich habe nie eine Frau betrogen, solange ich sie liebte. Aber wenn die Liebe langsam und leise verging, dann habe ich mich anderen zugewendet. Und das war kein Betrug. Denn dann bestand ja auch nicht mehr die Verabredung, beieinander zu bleiben. Und meistens habe ich vorher Schluss gemacht, oder ich wurde verlassen, bevor ich mit einer neuen Frau zusammen war.

Während Sabine in der Küche nach dem Korkenzieher suchte, fragte ich mich, wie viel Ehrlichkeit verträgt unsere Beziehung? Wie würde Sabine reagieren, wenn ich ihr beispielsweise erzähle, wie sehr ich Betsy geliebt und wie ich um Anja geweint habe, wie aufregend es war, als mich Lena im Flieger ansprach, wie ich Kathrin angehimmelt habe und wie sexy Steff war? Keine Ahnung, ob ich in eine emotionale Falle laufe. Unbekanntes Terrain. Vermintes sogar?

Es gibt viele Männer wie mich, mit einem Beruf, dessen Attraktivität häufig überschätzt wird. Sie leben in Berlin und kommen herum, reisen, treffen immer wieder neue Leute. Kontakte zu den unterschiedlichsten Frauen lassen sich nicht vermeiden. Deshalb dachte ich, dass meine Erlebnisse nicht so ungewöhnlich sind. Dass die meisten Männer gelegentlich Frauen verfallen oder sie verführen. Je nach dem. Doch Sabine blieb hartnäckig. Bisher ergebnislos, aber heute hatte sie einen Trumpf in der Hand.

Sabine kam mit neuen Gläsern und schenkte ein. »Du hast versprochen, dass du mir auf Sylt ein paar Geschichten erzählst.«

Das war richtig. Jenes Versprechen kam zustande, als wir in einer Bar in der Oranienstraße in Kreuzberg ziemlich viele Mojitos gebechert hatten. Ich hatte das Versprechen abgegeben, um mit Sabine aus der Bar raus in unser Bett zu kommen.

Sabine machte ein finsteres Gesicht und hob die Schwurhand, nachdem sie mir mein Glas gegeben hatte: »Ein Mann ein Wort! Und versprochen ist versprochen! Ich habe mich schon die ganze Zeit darauf gefreut. – Und Harry hat gesagt, dass du eine Menge zu erzählen hast.«

Harry wieder! 

»Wann hat Harry das behauptet?«

»Vorgestern oder so.«

Die ganze letzte Woche waren die beiden alleine in einem kleinen Ferienappartement auf Sylt gewesen, bevor ich nachgekommen war. Ich fragte: »Mhm, und was hat er sonst noch über mich gesagt?«

»Nichts weiter. Außer: ›Hugo ist ein Mann, der die Frauen liebt.‹ Da kannst du dir ja denken, dass ich noch neugieriger geworden bin, oder? Gerade ich!«

Von wem wohl die Idee stammte, mich mit dem Filmtitel in Verbindung zu bringen? 

Sie rief: »Überleg’ dir nicht genau Wort für Wort wie du anfangen willst. Das ist kein Artikel für eine Zeitung. Sei spontan.«

»Bschscht! Harry!« Ich wollte nicht, dass er aufwachte.

Sabine hatte Ansprüche gestellt. Sie erwartet vom mir (Zitat): »Ein wahres, ehrliches Bild von einem Mann und seinen Frauen, etwas über seine heimlichen Phantasien und das alles, was zu Beziehungen und Sex dieses Mannes gehört, egal ob zum Weinen oder zum Lachen. Klartext. Ohne Airbag fürs Gemüt. Ich will einen unverschleierten Blick in dein Inneres.«

»Sabine, meine Frauengeschichten sind kein analytischer Blick auf das Biotop Männerseele.«

»Männerseelen sind meistens ein staubiges Gestrüpp!«

»Wie abstoßend!«

»Nicht alle Männerseelen sind so. Deine Seele ist auch kein Biotop, sie ist wie der Sternenhimmel, rein und klar.«

Ich wusste, dass Sabine es heute Abend drauf anlegen würde gekitzelt zu werden. Ich packte sie, warf sie auf den Rücken, und griff in ihre Flanken. Sie mochte noch so strampeln und kreischen. Ich kitzelte sie, bis wir beiden außer Atem waren. Sabine sammelte lachend die Kissen und Decken vom Boden, ich kümmerte mich um die umgefallene, erloschene Kerze. Harry saß wahrscheinlich senkrecht im Bett, er schnarchte jedenfalls nicht mehr.

»Zur Strafe fängst du jetzt an zu erzählen. Und zwar sofort und von Anfang an«, flüsterte sie.

»Meine zarte Jugend? Das würde dich langweilen.«

»Hugo, mein Lieber, du drückst dich jetzt nicht! Hast du eigentlich schon mal was mit einer Frau in der Redaktion angefangen?«

»Don’t fuck the office«, ein heikles Thema. Ich zögerte. Sabine hakte nach: »Wenn du jetzt leugnest, lach’ ich mich tot.«

Da ich meine Freundin liebte und sie nicht sterben sehen wollte, auch nicht lachend, ließ ich mich breitschlagen und begann mit der Geschichte von Vera.

 

 

Vera

 

»Vera?«

»Sie war eine junge Kollegin, die für ein cooles Online-Stadtmagazin schrieb. Filmkritiken. Sie bat mich um ein Interview. Ganz altmodisch per Fax. Unterschrift »herzlichst, Ihre Dr. V. Myrland. Sofort ist mein Vegetativum angesprungen.«

»Deine vegetativen Nerven haben wegen eines Fax verrückt gespielt? Kann ich den genauen Text haben?«

»Sie hatte ein Foto dazu kopiert.«

»Ein Foto von sich? Sie hätte es auch mailen können, oder? War sie eine alte Schachtel?«

»Wart’ doch ab. Es war nicht nur aus technischen Gründen eine eigenartige Anfrage, sondern auch inhaltlich: wann wird ein Journalist, und dann noch ausgerechnet ein Filmkritiker, jemals um ein Interview gebeten? Es war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich ein Interview geben sollte. Mein erstes hatte ich mit der »Ostfriesen Zeitung«, nachdem mein erster und einziger Kurzfilm mit dem Titel »Echo« beim idyllischen Emdener Filmfest den Förderpreis gewonnen hatte. Jahre her.

Und nun bat Frau Dr. Myrland um ein Gespräch. Damit man nicht aneinander vorbeiläuft, die Stadt ist ja groß, schickte sie ein Foto per Fax. Das Foto war hübsch, aber keine Anmache. Soweit man das bei einem Faxausdruck beurteilen kann, schaute eine knapp 30-Jährige Blonde mit halblangen Haaren und kritisch schräg gelegtem Kopf in die Kamera und kaute an einem Stift. Ihr Lächeln war für meinen Geschmack etwas zu verspielt. Doch Anmache? Ich war neugierig und fand Vera auch spielend mitten im Gewühl vom Bahnhof Zoo am ersten Tag der Sommerferien vor ein paar Jahren.

An unserem dritten oder vierten Morgen, ich erinnere mich nicht mehr genau, ich weiß nur noch, dass es ein Sonntag war, fragte ich sie gespielt beiläufig, ob sie mich mit dem Fax auf ihre äußeren Vorzüge hatte aufmerksam machen wollen?

›Nein, darauf, dass ich promoviert bin‹, sie lachte.

Ich glaubte den Doktor, aber nicht die Behauptung.«

»Was hat Harry gesagt?«, fragte Sabine dazwischen.

»Harry ist meiner Meinung gewesen. Er fand übrigens Vera so anziehend, dass er sie mehrfach zu einem Interview zum Thema »Das Bürgerliche Recht im Film« oder so ähnlich überreden wollte.«

»Kam es dazu?«

»Rate mal.«

»Dann wohl eher nicht«, räumte Sabine ein.

»Kurz und gut: Das Interview von Frau Dr. Vera mit mir las sich nicht schlecht. Ich bin seither davon überzeugt, dass es oft nützlicher wäre, einen Kritikerkollegen zu fragen, wenn es um Film im Allgemeinen geht, als selbstverliebte Schauspielerinnen oder bedeutende Regisseure und Autoren.

Unsere Liaison endete in einem Hotel am Meer in Holland. Ein Wochenendausflug, kombiniert mit einer meiner Dienstreisen zu einem kleinen Festival. Ich spürte an der Art, wie Vera meinen Schwanz lutschte, dass sie an einen andren Mann dachte. Als sie Zähneputzen ging, fragte ich, ob sie einem anderen Mann ein Fax mit Foto geschickt habe.

›Nein. Aber es gibt eine Interviewanfrage bei Udo Lindenberg, und er hat zugesagt.‹

Ich hatte verstanden. Ich behauptete giftig, Lindenberg habe eine Glatze, sein Haarkranz sei falsch und innen am Hut festgeklebt. Vera entgegnete wütend aus dem Bad, ›Männer mit Glatze haben einen höheren Testosteronspiegel.‹

Das ist richtig. Sie erklärte wortreich, dass sie nicht die geringsten Ambitionen habe, mit jedem Interviewpartner ins Bett zu gehen, und für wen ich sie denn halte?

›Bei uns im Blatt schickt man keine Jungredakteure …‹

›Jungredakteurinnen!‹

›… zu Stars.‹

›Bei uns schon, man baut junge Leute auf. Wir sind cool.‹

Ein Wort gab das andere. ›Und außerdem schicke ich mein Bild nur an Typen, die sich nicht in einem Café, sondern am Bahnhof mit mir treffen wollten.‹

Doch ich greife vor. Ich wollte von einem kühlen, hellen Sommersonntagmorgen in Veras kleinen Schöneberger Hinterhofwohnung erzählen, deren Fenster fast vollständig von einem wuchernden Ahorn zugewachsen waren. Damals hatte Udo Lindenberg noch keine Interviewanfrage von Vera auf dem Tisch.

Vera saß nackt im Bett, im Schneidersitz. Ich sah sie zum ersten Mal mit Brille. Und ich wusste in diesem Moment, dass ich in Veras Herz angekommen war.

Ich bin davon überzeugt, dass jede Frau so ein No-go hat. Heutzutage sind sie zwar so drauf, dass sie mit dir über fast alles sprechen. Sowieso darüber, wann sie ihre Tage haben und welche Symptome vorher auftreten und erst dann, wenn es losgeht und über die Beziehungen der Vergangenheit (eingeschlossen, die gerade endende). Aber über ihre Brillen, ihre Lockenwickler oder heimliche Laser- oder Zellulitetherapie schweigen die meisten Frauen beharrlich. Und wer sich zu chirurgischen Korrekturen hinreißen lässt, oder Botox spritzt, verheimlicht das gegenüber jedem Mann ausgenommen dem Arzt.

Der Anblick einer Brille am Sonntag gegen elf auf der Nase einer hübschen Frau, die vorher ihre Brille nie erwähnt hat, ist ein Tabubruch und ein Liebesbeweis zugleich. Ich habe Vera mit ihrer randlosen, viel zu schmalen Brille in diesem Moment unglaublich sexy gefunden. Bestimmt war es das damit unbewusst verbundene Signal: ›Schau her, ich liefere mich dir aus, dir und deinen Blicken und deinen verdammten Vorurteilen.‹«

»Als ob du Vorurteile hättest«, spottete Sabine.

Ich ließ mich nicht beirren: »Ich war in Veras Bann. Nicht wegen ihrer im Schneidersitz weit gespreizten Beine, zwischen denen, eingebettet im weichen blonden Flaum ihre rosa Schamlippen zu sehen waren, nicht ihre altersgemäß sehr straffen, runden Busen, nein die Brille … ich konnte mich nicht losreißen.

Vera bemerkte das natürlich sofort und fragte so beiläufig wie möglich, ob was los ist. Ich ließ den grünen Tee grünen Tee sein, ging zu ihr und legte sie auf den Rücken und fickte sie durch. Einfach nur rambamrambam. Bis sie kam. Und sie hielt dagegen und klammerte sich an mich, bis ich kam. Es war das intensivste Abspritzen mit Vera. Als wir endlich voneinander lassen konnten, zuckte sie zusammen und flüsterte: ›Um Gottes Willen, meine Brille.‹ Zack war die Brille unter dem Kopfkissen verschwunden. Das Spiel war für dieses Mal beendet. Aber ich konnte Vera ohne große Mühe davon überzeugen, in gewissen Stunden wieder die Brille aufzusetzen.

Veras Körper war makellos. Wie ihr promovierter Kopf. Ich liebte es, dass sie auf alles eine gescheite Antwort hatte. Und ich liebte ihre ungemein glatte Haut. Ich habe so etwas nie wieder gesehen. Kein Leberfleck, kein Muttermal, keine Unreinheit und schon gar kein Pickel.

Nur eine unserer Starschauspielerinnen, die ich hier einfach Emma nenne, um jedes Gerücht zu vermeiden, nur sie hat eine vergleichbar makellose Haut. Ich weiß es, weil ich eine kurze Affäre mit ihr hatte. Aber Emma hat ein drolliges ziemlich großes Muttermal auf einem Busen, ich erinnere mich heute nicht mehr genau ob auf der linken oder rechten Seite. Es störte die Harmonie und war gerade deswegen so wunderbar. Trotzdem war das Muttermal der Grund, weshalb sich Emma nie vor der Kamera auszog.

Aber Veras Damenbart! Auch echte Blondinen können Damenbärte haben. So spärlich Veras Haarwuchs zwischen ihren Beinen war, so stark spross das Haar auf ihrer Oberlippe. Gleichgültig was Vera dagegen unternahm, es kam unweigerlich der Tag, an dem es beim Küssen kratzte.

Und ich hatte an diesem Tag zum ersten Mal im Leben das Gefühl, einen Kerl zu küssen. Und zwar mitten auf den Mund.

›Man gewöhnt sich an alles‹, sagte Harry. An Männerküsse würde ich mich nie gewöhnen.

Harry: ›Schade eigentlich.‹ Er wollte mich natürlich hochnehmen.

An Veras Küsse gewöhnte ich mich schon. Denn sie behandelte ihre Problemzonen auf der Oberlippe mit Wachs oder Chemikalien und alles war wieder weich und weiblich.

 

Dr. Vera war nicht nur klug, sondern auch noch eine Schönheit. Ich hatte vorher noch nie so eine schöne Frau wie Vera. Ich war stolz wie Bolle. Und verliebt wie ein Pennäler. Aber die Geschichte dauerte nicht sehr lange.«

»Aber doch nicht wegen ihres Damenbarts.«

»Ich habe doch gesagt wegen Udo Lindenberg.«

Sabine grübelte und schwieg. Schließlich fragte sie in die Dunkelheit: »Was war der wahre Grund, dass sie Schluss gemacht hat? Sag’ die Wahrheit, Hugo.«

»Weil sie opportunistisch war. Menschen sind so.« Ich gähnte.

»Oder weil Frauen immer dem noch mächtigere Alphatierchen verfallen?« Sabine provozierte.

»Wenn du es sagst.«

Sabine unbeirrt und sarkastisch: »Der grooooße Kollege Hugo Ventura! Der Mann, der jede Woche den prominentesten Film vor die Feder bekommt. Der Schöngeist, immer in intellektuelles Schwarz gekleidet. Unser aller Chefkritiker, vor dem die Filmleute in Babelsberg, Cannes und Venedig zittern, Ventura, der bei der Eröffnung der Berlinale von Dieter Kosslick persönlich auf den Roten Teppich begrüßt und umarmt wird, wenn die Kameras laufen.«

»Dieter umarmt jeden, den er kennt«, knurrte ich.

»Was ist Udo gegen dich? Vera hätte in Deinen Windschatten doch eine schöne Karriere machen können.«

»Sie arbeitet jetzt bei der Presse von Grönemeyer. Und zwar nicht weil sie mit ihm schläft, sondern, weil sie einen guten Job macht, wie man hört.«

»Da siehste mal … du und Vera … eigentlich schade.«

 

 

Renate

 

»Bei ›schade eigentlich‹, fällt mir Renate ein. Renate in Baden-Baden. Das hat auch was mit meinem Job zu tun. Renate sagte nach jedem passenden oder unpassenden Satz ›schade eigentlich‹. Darüber kamen Renate und ich in einer idyllischen Weinwirtschaft ins Gespräch. Über zwei Tische weg. Sie hatte mich angesprochen, weil sie an meinem Badge sah, dass ich beim örtlichen Fernsehfilmfestival war. Renate interessierte sich »rasend« für Fernsehen und Filme, ›schade eigentlich‹, dass sie in einer anderen Branche unterwegs war.

Sie sah überhaupt nicht wie eine Buchhalterin aus, geschweige denn wie eine »vereidigte Buchprüferin.« Nur der gedeckte Hosenanzug passte zum Beruf. Sie erzählte mir später, dass selbst gestandene Manager vor ihr zitterten, wenn sie in die Bücher schaute. Zu ihrem Leidwesen war sie nicht beim Finanzamt. Der Tremor, den Betriebsprüferinnen vom Finanzamt bei gestandenen Männern auslösen, ist noch hochfrequenter, denke ich.

Harry meinte, als ich ihm von Renate und dem Tremor der Männer bei ihrem Erscheinen erzählte, dass sie eine gute Domina abgeben würde. Und so wie ich die Sache schilderte, könne es sogar sein, dass Renate zu jenen Dominas zählen könnte, die bei der Ausübung ihres Berufes eine perverse Lust empfinden. Ich glaube Harry wirklich nicht alles, aber so wie ich Renate lächeln sah, wenn sie über die Einschüchterung von Männern sprach, wenn ich beobachtete, wie ihre Zunge die Lippen dabei netzte – an Harrys Theorie war anscheinend doch was dran.

Wir waren nur vorübergehend in Baden-Baden. Sie zu einer Buchprüfung, ich zum Festival. Vertretungsweise für den Kollegen Muser von unserer Medienseite. Eigentlich weiß keiner in Baden-Baden, dass Festival ist. Festival ist auch die falsche Bezeichnung für dieses Familientreffen im Kurhaus. Hier gibt’s keine roten Teppiche und die Preisverleihungsveranstaltung fällt aus wie eine Gemeinschaftsproduktion vom örtlichen Lions Club und der Volksbank. Irgendwie gut gemeint, aber trotzdem sympathisch daneben.

Es gibt keine Türkontrollen bei den Filmvorführungen, und man kann deswegen Leute mitbringen. Nur den Mantel muss man an der Garderobe abgeben, darauf achtet eine Aufsicht. Die Veranstaltungen finden im Kurhaus und nicht im Kino statt. Die Filme werden gebeamt oder laufen in HD auf Flachbildschirmen. Nicht alle, aber viele Stars und Sternchen kommen. Renate bestaunte die Größen der Mattscheibe. Sie hielt mich für einen ganz großen Kotzbrocken in meinem Job, weil einige der Anwesenden mich demonstrativ schnitten oder angifteten. Doch das ist bei einem Kritiker auch auf einem so sympathischen Festival total normal. Nur zwei oder drei Fernsehredakteure und eine Regisseurin kamen und schleimten herum.

›Schade eigentlich‹, fand Renate, ›dass du so schlechte Karten bei diesen tollen Leuten hast‹, und es kostete mich später an der Bar von »Brenner’s Parkhotel« ziemlich viele Drinks und viel Überredungskunst um sie trotzdem ins Bett zu bekommen.

Renate gehört zu dem Typ Frau, der ins Bett gequatscht werden muss. Diese Frauen senden nur kleine oder kryptisch verschlüsselte körperliche Signale aus. Ihr Interesse an einem Mann ist deshalb nicht weniger intensiv als bei anderen. Renate erzählte mir später einmal, dass sie als kleines Mädchen im Auto ihrer Eltern gerne den nackten Hintern an die Seitenscheibe gehalten und sich herrlich darüber amüsiert habe, was passierte, wenn sie auf der Autobahn überholt wurden. Aufmerksamkeit überall. Besonders bei den Eltern. Sie waren beide Lehrer und noch im Dienst, als ich mit Renate ein Verhältnis hatte. Ich lernte die beiden als sehr vernünftige Menschen kennen und konnte die damaligen Sorgen um ihre Tochter verstehen. Aber die Sorgen waren, wie so oft im Leben, langfristig gesehen, überflüssig.

Aber als kleines Mädchen brachte Renate ihre Pädagogeneltern mit der Nummer mit dem Hintern an der Seitenscheibe zur Verzweiflung. Und als Renate in das Alter kam, in dem sich Mädchen für ihre Sexualität zu schämen beginnen, begann sie sich auch dafür zu schämen, dass sie jede Gelegenheit genutzt hatte, ihren nackten Hintern an die Seitenscheibe des Autos ihrer Eltern zu halten. Sie schämte sich und äußerliche Zurückhaltung wurde zu ihrem sexuellen Prinzip.

Frauen wie Renate kleiden sich nicht auffällig, schon gar nicht sexy. Das hat aber nichts damit zu tun, wie ihre erotischen Bedürfnisse und Praktiken sind. Sie stellen sie nur nicht aus wie beispielsweise Maulhuren. Sie leben sie aus, wenn sich die Gelegenheit dazu gibt und ein Mann den richtigen Moment trifft. Ihr wacher Verstand will nicht erobert werden, eher phantasievoll eingelullt. Komplimente müssen in homöopathischen Dosen verabreicht werden und auf alle Fälle stimmen. Jeder noch so kleine falsche Ton oder jede noch so beiläufige Kritik an ihrem Äußeren hätte bei Renate eine seelische Kettenreaktion nach sich gezogen bis zurück zu den Zeiten, als ihr Vater sich nicht anders zu helfen wusste, und ihr den nackten Hintern vertrimmte, als wieder Mal ein Lieferwagen fröhlich hupend am elterlichen Volvo vorbeizog.

Der Flirt mit Renate in Baden-Baden war eine Gratwanderung. Und dann gab’s einen Minislot, auf dem man bei einer Frau wie ihr landen kann. Genau getimt wie die Landung eines Linienjets. Wer zu spät küsst, den bestraft sie mit einer knappen Kopfdrehung. Wer zu früh kommt, hat sowieso verloren. Aber Alkohol und einfühlsame Gespräche verlängern den Slot. Ich hatte gegen halb fünf morgens den Eindruck, dass ich mit dem richtigen Neigungswinkel im Landeanflug war. Renate hatte genügend getrunken. Es musste aber erst mal eine rationale Begründung her, sich gemeinsam aus der Bar zu entfernen.

»Uff, ich muss«, Blick auf die Uhr, »nachher früh raus. Arbeiten.«

»Ich auch.« Treffer! Renate schnappte ihre Handtasche und fragte noch einmal, ob sie sich an den Kosten für die Drinks beteiligen solle. Natürlich nicht.

Air controll to Hugo: Take your chance. 

Ich erwischte den richtigen Zeitpunkt im Aufzug im Brenner’s, wo bekanntlich kleine Bänke stehen, damit sich das gesetzte Klientel währenden der gemächlichen Fahrt ausruhen kann. Ich küsste sie. Und Renate setzte sich auf die Bank im Aufzug und öffnete spontan die Beine, um mir ihre Unterwäsche unter dem strengen schwarzen Kostümrock zu zeigen. Die Wäsche sei von Agent Provocateur erklärte sie mir mit schwerer Zunge. Ich nutzte die Chance, sie so gut es im Aufzug ging aus der Nähe zu bewundern. Und das was darunter verborgen war, flüchtig zu berühren, bevor im dritten Stock ein betagtes Ehepaar zustieg, das auf dem Weg zum Pool war, denn der junge Tag hatte über der Kurstadt schon lange begonnen.

Renate zeigte mir auf dem Zimmer ausführlich ihre Wäsche und ihren Körper. Er war sehr gepflegt, schlank, nur ein wenig grobknochig. Sie zeigte mir jeden Zentimeter, jede Falte, jeden Muskel. Immer wenn ich etwas an ihr bewundern wollte, um die Sache zu beschleunigen, bat sie mich zu schweigen und erzählte mir was sie an ihrem Körper nicht mochte. Manche Frauen machen das sehr gerne, weil sie von dem Mann Widerspruch und ein positiveres Urteil erhoffen. Die meisten Männer sind aber heuchlerisch, man will ja mit der Dame schlafen und ist zu Komplimenten und Kompromissen in den langen Minuten vor Beginn des Vorspiels bereit.

Und oft ist es dann noch so, dass einem Mann an einer Frau andere Dinge gefallen als ihr. Harry meint, dass man das besser überhaupt nicht sagt, sondern nur irgendwie zustimmend seufzt. Für Renate war diese morgendliche Demonstration ihrer Physis reine Exhibition. Sie war endlich wieder das kleine Mädchen, das mit seinem Körper Aufmerksamkeit erzeugte. Das war rührend. Anrührende Gefühle sind schlecht für den Sex.

Als Renate mich wie beim Doktorspielen untersuchte, war meine Erektion lange vergangen. Aber Renate war ein pflichtbewusstes Mädchen. Sie versuchte mit ihrem Mund meinem Schwanz wieder Energie einzublasen. Das gelang nur unvollständig. Und als ich sie endlich vögelte, war ich froh, dass ich schnell kam und alles in das verwurstelt an mir hängende Kondom gegangen war und nichts daneben. Denn Renate bestand darauf, dass der Mann auf alle Fälle in ihr kommt.«

»Ist ja auch ein schönes Gefühl«, warf Sabine dazwischen und kuschelte sich noch etwas enger an mich.

»Bei einem Kaffee im Kurhaus gegen 14 Uhr erzählte mir Renate, dass sie verheiratet war. Mit einem wesentlich älteren Mann. Sie lebte mit ihm auf dem Land nördlich von Berlin. Sie sagte, sie liebe ihren Mann. Und sie erzählte mir, dass er für sein Alter ausgesprochen viril sei. Ständig einen Ständer in der Hose. Sie haben es schon überall getrieben. Am irrsten, sagte Renate, war es in einer Vierergondel beim Skilaufen in Dorfgastein bei 20 Grad Minus. Wenn man so etwas als normaler Mann hört, kann man nur neidisch staunen. Ich fragte sarkastisch, ob der Gatte denn als Pornostar wirkt. Das war zwar beruflich nicht mein Filmgenre, aber ich könnte ja mal in einen Streifen reinschauen … Renate nahm das erstaunlicherweise nicht krumm und antwortete:

›Er ist ein hohes Tier beim Finanzamt Körperschaften zwo in Tiergarten.‹ Hier fehlte ausnahmsweise das ›schade eigentlich‹.«

»Also der perfekte Mann?!«

»›Schon, aber er kommt nie, weder in mir noch sonst‹, sagte Renate. ›Er hat kein Ejakulat und kommt nie. Er hatte einen Hodentumor. Wenn man den radikal operiert, treten oft solche paradoxen Nervenschäden auf. Bollenharte Erektion aber kein Sperma. Schade eigentlich.‹

›Soweit ich weiß, ist man auch noch mit einem Hoden zeugungsfähig. Mein Freund Harry kennt einen, der kann ein Lied davon singen.‹

›Das Ejakulat meines Mannes geht in die Blase. Folge der Operation. Das Einzige was mir mein Mann nicht geben kann ist Samen im Bauch. Kannst du verstehen, dass ich nichts mehr vermisse, als wenn Männer in mir kommen‹, sagte Renate und biss in ihr Croissant. ›Deswegen war ich dir gewogen.‹«

Sabine unterbrach: »Sie sagte ›gewogen‹? Oder hast du das jetzt erfunden?«

»Ich habe sie extra noch gefragt, wie sie zu der Formulierung ›gewogen‹ kam.«

»Es ist eigentlich schön altmodisch.«

»Genau das hat Renate geantwortet. – Sie verlor sich dann in Details wo, wann und wie sie es besonders mochte, wenn ein Mann in ihr kam.

›Ich mag aber überhaupt nicht, wenn sich einer einen runterholt, wenn ich ihm meinen Körper zeige‹, fügte Renate hinzu. Das war wieder einer jener Augenblicke, in denen ich wusste, ich werde Frauen nie richtig verstehen.«

»Nicht wirklich«, spottete Sabine.

»Ich verdanke Renate einige aufregende vaginale Ejakulationen und verschiedene Steuertipps, die sogar an Steuerhinterziehung und Steuerbetrug grenzten, aber halt nur daran grenzten. Renate verstand mich gut, nachdem ich ihr erklärt hatte, warum die Stars mich schnitten, weil sie als Buchprüferin auch immer ihr Bestes gab und dafür nicht immer so gemocht wurde, wie sie es sich vorstellte.

Unser Verhältnis dauerte nicht sehr lange.«

»Dein Schicksal, Hugo Ventura. Aber ich habe mehr verdient!«

So spricht die Frau, die mich liebt! 

»Ich weiß nicht, ob ihr Gatte uns auf die Sprünge gekommen ist oder Renate einen besseren Ejakulator gefunden hat. Eines Tages war ihr Handy abgeschaltet, wenn ich anrief, und meine Mails an ihre Privatadresse bleiben ohne Antwort. Ich war mir keiner Schuld bewusst. Ich hatte ihren Körper immer vorsichtig bewundert, den immersteifen Schwanz ihres Mannes aus meiner Vorstellungswelt gestrichen und jedes Mal in ihrer Vagina abgespritzt wo und wie es ihr passte. Sie liebte ihren Mann, hatte sie gesagt. Vielleicht hat er sich operieren lassen, um den Blutstau im Schwellkörper zu beseitigen und dem Ejakulat Bahn zu brechen?«

Sabine: »Sie hat wahrscheinlich auch ohne dich ein ausgewogenes Sexualleben. Immer mit Höhepunkten. Mach’ dir einfach keine Sorgen.«

»Und ich?«

»Du hast doch mich«, sagte Sabine und streichelte mich und schaute mir tief in die Augen. Wenn mir Sabine direkt tief in die Augen schaut, bekommt sie ein Silberblick. Wunderbar! Ich muss mal Harry fragen, warum wir Männer Frauen mit Silberblick besonders sexy finden.

Nachdem ich mich für Sabines Streicheln und in die Augen schauen bedankt hatte, kam ich noch mal auf Renate zurück.

»Wir hatten übrigens ein kleines Revival. Zwei Jahre später ging Renate plötzlich mit unseren Geschäftsführern und dem Prokuristen über den Flur der Redaktion. Wahrscheinlich mussten unsere Bücher geprüft werden. Jetzt trug sie zu ihrem Hosenanzug eine getönte Brille. Ich nickte, sie lächelte, ich sah ihr nach und malte mir aus, wie sie heute Morgen beim Duschen vor dem Spiegel gestanden haben mochte, um ihren Körper kritisch zu begutachten und welche Gedanken ihr durch den Kopf gegangen sein mochten, als sie vor ihrem Wäscheschrank stand. Denn sie konnte ja annehmen, dass sie mich irgendwo im Haus treffen würde. Am Ende des Flurs dreht sie sich flüchtig um, warf ihre Haare aus dem Gesicht, nahm die Brille ab und lächelte mir noch einmal zu.

Als in mein Büro ging kam eine SMS: »Agent Provocateur, dunkelrot, schwarze Spitze.« Ich bekam keine Chance, es zu checken. Schade eigentlich.«

 

 

Harry und Marie

 

Am nächsten Tag gingen wir über die Dünen ans Meer spazieren und kamen schnell wieder zurück, weil die Brandung donnerte, es viel zu kalt war und der Wind durch alle Nähte unserer Kleider zog. Harry spendierte in einer Kneipe an der Straße zum Hörnummer Hafen einen heißen, aber schlecht gebrauten Grog. Dann liefen wir gegen den steifen Westwind gebeugt zurück in unsere Unterkunft. Jeder verzog sich in eine Ecke. Es war gemütlich und still, wenn man vom Windgeheul absah. Ein Geräusch, das Stadtmenschen lieben, wenn sie im Warmen oder im Kino sitzen.

Es dämmerte bereits. Mein Freund Harry ruderte mit den Armen, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich nahm die Ohrstöpsel heraus und drückte auf »Pause.« Harry sagte, dass es langsam zu dunkel wird zum Lesen und fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er das Licht anmache. Hatte ich nicht.

Er stand auf und knipste die Lampe an. Ich nickte Harry zu und sah durch das bodentiefe Fenster auf kahle Dünen. Sie wirkten in der Dämmerung wie das lässig ausgebreitete Fell eines Raubtiers. Ocker mit braunen, silbernen und schwarzen Flecken. Ich wollte mich wieder dem Bildschirm meines Notebooks zuwenden und die Kopfhörer aufsetzen.

»Da! Schau her«, rief Harry fassungslos.

Er löschte wieder das Licht, damit man besser nach draußen sehen konnte. Es schneite. Damit man in der Dämmerung die Flocken erkennen kann, muss das Gestöber dicht genug sein. So war es. Der Wind trieb plötzlich Schnee fast waagrecht am Fenster entlang von West nach Ost. Von der offenen See zum Wattenmeer hinüber. Hinter einem geflochtenen Holzzaun, der den Gästen im Sommer Windschutz bot, verwirbelte sich der Schnee und verklebte schnell die Lücken. Die Briese hatte weiter aufgefrischt und brach sich mit einem summenden Geräusch an der Hauskante. Eine Blumengondel mit erfrorenen Herbstastern legte einen weißen Schleier um.

Harry hielt vor Staunen den Atem an. Schnee auf Sylt! Mein Freund Harald (Harry) Quehenhofleitner kam wie gesagt aus Österreich. Er konnte nicht glauben, dass es auf Sylt Schnee gab, jedenfalls so viel, dass auch ein Österreicher von Schnee spricht, ein Mann aus dem Land, das dem Kosmos unzählige Weltmeister und Olympiasieger in den weißen Disziplinen geschenkt hat. Schon als wir nach meiner Ankunft mit der Bahnverladung in Westerland auf der Insel von Harrys iPhone den aktuellen Wetterbericht bei einem Cappuccino ablasen, zog er in Zweifel, ob es dieses winterliche Phänomen an der See überhaupt gäbe. Schnee? Nordsee?

Harry, Grönland und die Polkappen liegen auch am Meer! 

Trotzdem staunte er nun über die langen weißen Fahnen vor dem Fenster und den Schneenestern in den Winkeln der Terrassenverkleidung, wo sich im Sommer und Herbst der Flugsand von den Dünen verfängt.

Harry klapperte mit Tassen und Unterteller und goss mir und sich Tee ein, den er kräftig mit karibischem Rum gewürzt hatte. Ich bedankte mich, pustete ein wenig in die Tasse und klappt mein Laptop wieder auf. Gerade, als ich auf »play« drücken wollte, wendete sich Harry mir zu und fragte:

»Hugo, bist’ schon mal eingeschneit gewesen?«

»Nöö.« Harry sollte eigentlich wissen, dass ich Berlin im Winter selten verlasse. Viele sehen das als Fehler an. Sie flüchten in die Berge oder in die Tropen. Harry gehört zu den Leuten, die Berlin im Winter nicht aushalten. Er erzählte mir dass er vor ein paar Jahren in Zürs im Hotel »Valluga« länger als eine Woche eingeschneit war.

»Hört sich romantisch an«, sagte ich und versuchte mich auf den Film zu konzentrieren, den ich auf meinem Rechner ansehen musste, weil ich wegen meines Urlaubs nicht in die Pressevorführung gehen konnte.

Harry verbrannte sich die Zunge am heißen Tee, dann knurrte er: »Es war zur selben Zeit als eine Lawine in Galtür, nur ein paar Kilometer Luftlinie entfernt mehrere Häuser und über 30 Menschen weggerissen hat. Da geht dir ganz schön der Reiß’n, wenn sie di net aus dem Hotel lassen und über dem Haus die Lawinenschutzgitter langsam im Schnee versinken.«

»Halt’ dich bloß von den Dünen hier auf Sylt fern«, lachte ich.

Harry stellte seine Tasse auf den Tisch und ging in die kleine Küche, um sich den Mund mit kaltem Wasser auszuspülen. Er rief:

»… mit Marie in einem Hotel, aus dem man nicht raus darf!«

 

Marie Quehenhofleitner-Stiegler war Österreicherin wie der Herr Gemahl und sagte immer Sätze, die man so nicht von ihr erwartet.

Wenn Harry sie fragte: »Schatzi (Österreicher sagen das oft), hast’ a mal für den Obdachlosen zwei Euro?«

Dann antwortete sie: »Schau’ an, wie die Wolken am Himmel fliegen – und kannst du mir bitte sagen wie viel Uhr es ist?« Aber sie gab ihm die Münze. Harry bewunderte die Wolken und sagte ihr die Uhrzeit und Marie antwortete: »Weißt’ Harry, eigentlich ist es völlig egal, wie viel Uhr es ist. Wir ändern die Zeit eh nicht. Und auch die Wolken vergeh’n.«

Marie war ein heiterer Mensch voller Phantasie.

Okay, ich wusste, dass Marie grundsätzlich nie mit dem Aufzug fuhr, nie flog, sich vor Höhen über drei Meter fürchtete und immer nachsah, ob sich Türen von innen öffnen lassen. Marie beim Skifahren, wo man Lifte und sogar Seilbahnen benutzt … undenkbar. Und dann noch eingeschneit! Die arme Marie! Marie konnte nicht still sitzen, war sehr praktisch veranlagt und erzählte gerne Geschichten aus ihrem Leben in rasender Geschwindigkeit. Öfter mal dieselben und mit den verrücktesten Wendungen in paradoxe Sätze gekleidet. Marie lachte gerne. Sie war unterhaltsam. Nur wenn sie Angst bekam, wurde sie nervig. Harry war seit undenklichen Zeiten mit Marie verheiratet. Es gab Momente, in denen ich Harry um seine lebhafte, erfolgreiche und ängstliche Marie beneidet habe.

Harry seufzte in Erinnerung an das Hotel Valluga im Schnee in Zürs, ich seufzte in Erinnerung an Johanna, von der ich seit langem geschieden war. Sie hätte die Situation in einem eingeschneiten Hotel spielend in den Griff bekommen. Johanna hätte telefonisch alles geregelt, sodass stundenlang die Auslandsleitung blockiert gewesen wäre. Sie war eine Großmeisterin im Delegieren.

Harry schaltete das Licht wieder ein und setzte sich in seinen Sessel und pustete eifrig in seine Teetasse. Ich stöpselte meine Kopfhörer wieder in die Ohren und drückte endgültig auf »play.« Der Film lief weiter.

Ich blieb noch ein paar Sekunden in Gedanken bei meinem besten Freund Harry, der gerade vorsichtig seine verbrühte Zunge mit dem Tee anfreundete. Harry war Professor für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsphilosophie – zu seinem Leidwesen »nur« in Potsdam und nicht in Berlin an der Humboldt-Universität. Zweite Liga statt Exzellenzfakultät. Das macht Harry empfindlich. Andere flüchten bei beruflichen Minderwertigkeitsgedanken in Statussymbole. Harry flüchtete sich in Sex. Harry behauptet jedenfalls er sei sexsüchtig, solange er nur Professor in Potsdam sei und nicht in Berlin. Das klingt eigenartig, aber Harrys Theorien sind stets wahr, aber auch immer etwas seltsam. Dass ein Mann zum Trinker werden kann, weil er ein Lebensziel verfehlt, kommt vor. Dass Sexsucht ihre Ursache in einer noch unerfüllten akademischen Karriere haben könnte, ist ungewöhnlich. Armer Harry!

Ich bin Filmkritiker und kein Psychologe. Ich kann nicht beurteilen, ob Harry wirklich sexsüchtig ist. Denn selbst ich als sein bester Freund habe noch nie mitbekommen, dass Harry es geschafft hätte, eine Frau außer seiner Gattin Marie ins Bett zu bekommen. Ich habe weder erlebt, dass er pornografische Heftchen las oder Sexfilme ansah. Um Bordelle und Huren machen wir beide einen großen Bogen. Es könnte sein, ja, ich bin fast hundertprozentig sicher, seine Sexsucht läuft nur in seinem Kopf ab. Aber was ist Fiktion? Was die Realität?

Wahr ist aber, dass Harry gerne und oft mit mir über Sex spricht. Neuerdings, wie ich hier auf Sylt erfahren habe, auch mit meiner Freundin Sabine. Seine sexuellen Assoziationen kommen oft spontan und überraschend. Aber nicht so unvermittelt wie die Gesprächsbeiträge seiner Frau.

Es könnte sein, dass er in diesem Augenblick seine Tasse auf die geblümte Tischdecke unseres Ferienappartements abstellt, mit mir Blickkontakt aufnimmt und davon anfängt, dass er glaubt, dass wir Europäer viel häufiger im Winter beim Skifahren Sex haben als im Sommer beim Badeurlaub. Harry schafft es immer wieder überraschende Begründungen für seine Behauptungen zu liefern. Etwas so:

»Weist’, Hugo, gevögelt wird ja ganz selten im Freien, deswegen ist die Außentemperatur a zweitrangiger Faktor in dem Spiel. Statistisch, wie auch praktisch. Im Gegenteil, die Kälte rückt die Pärchen näher zueinander. Im Durchschnitt sind die Hotelzimmer in an’ Skigebiet bei uns wärmer geheizt als die Zimmer an der See im Sommer mit aner Klimaanlagen. A Klimaanlagen is nit so sinnlich, wie a Kaminfeuer. Und die Sinnlichkeit ist eine der Turbinen, was die Humansexualität angeht.«

Wer solche Gedanken ausbreitet, steckt gedanklich tief in der Materie. Ich merkte, dass ich gerade dabei war, ein Teil unserer Welt wie Harry zu sehen und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Harry nimmt so ein Lächeln mit leicht geneigtem Kopf dankbar entgegen, wie ein berühmter Bühnenkünstler Standing Ovations. Ich habe in der Vergangenheit oft von Harrys Analysen und seinem Rat profitiert. Mag sein, dass Marie von seiner Kopf-Sexsucht sogar libidinös profitiert … sie macht gelegentlich, aber nicht immer den Eindruck, als sei das so, wenn sie ihm auch ein Applauslächeln zuwirft. Dann schenkt ihr Harry die zarte Andeutung einer zärtlichen Geste. Ich war eine ganze Zeit lang sicher, dass Harry der treuste Ehemann ist, den man sich vorstellen kann.

Ich machte mir deswegen auch keine Gedanken, als es sich ergab, dass mein durchaus nicht unattraktiver Freund Harry mit meiner durchaus nicht unattraktiven Freundin Sabine eine Woche in einem ziemlich romantischen Appartement auf Sylt alleine verbrachten, bevor ich Zeit hatte zu den beiden zu stoßen.

Harry schlürfte seinen Tee und wedelte dann mit einer Hand vor meinen Augen. Ich nahm wieder Mal die Ohrstöpsel heraus, stoppte den Film und sah ihn fragend an.

»Hugo, weißt’ was ich gerade denken muss?«

»Nein, Harry.«

Harry grinste verschwörerisch: »Ich hab’ gedacht, dass die Menschen im Winter mehr Sex haben als im Sommer. Man müsste mal die Geburtenstatistik checken.« Auf diesen wissenschaftlichen Aspekt war ich nicht gekommen. Harry erklärte mir warum es so sei, dass der moderne Mensch sexuell winteraktiv ist.

Nebenan im Dunkel der sorgfältig imitierten »Friesenstube« unseres Appartements mit Buddelschiff und einem hölzernen Tableau mit Seemannsknoten saß Sabine und spielte gegen sich selbst »Siedler«. Sabine kannte alle Fallen und Tricks bei diesem Spiel. Sie schaffte es deswegen immer. bei »Siedler« zu gewinnen. Nur nie gegen sich selbst. Sabine war so vertieft, dass sie nicht mitbekam, was wir redeten und dass es draußen schneite.

Harry und ich waren zum Arbeiten von Berlin nach Sylt gefahren. Harry musste zwei Doktorarbeiten lesen, auf korrekte Zitierweise überprüfen und benoten, ich musste versäumte und in naher Zukunft anlaufende Filme sehen. Wir hätten genauso gut nach Rhodos oder nach Nizza fliegen können. Sylt war meine Idee gewesen. Da ist im Winter so gut wie nichts los, die Gastronomie ist ordentlich, die Luft ist gut. Und ein Freund von Harry kennt die Betreiberin von EDEKA in Hörnum und die wiederum vermietet das Appartement mit der »Friesenstube« in Hörnum um diese Zeit zum halben Preis.

Also Sylt. Vierzehn Tage.

Terminlich war die Sache aber dann doch etwas komplizierter wie sich erst später herausstellte. Harry konnte nur die ersten neun Tage, weil er für einen Kollegen bei einem Kongress mit einem Vortrag einspringen musste. Ich kam nur eine Woche aus der Redaktion weg. Und zwar die zweite. Bloß Sabine hatte Zeit und Muße. Also flog Sabine mit Harry von Berlin schon mal vor nach Sylt. Ich war mit dem Auto nachgekommen. Harry würde übermorgen wieder zurückfliegen. Und ich würde mit meiner Freundin Sabine eine knappe Woche später mit dem Auto nach Berlin fahren. Zwei Tage verbrachten wir zu dritt in dem Appartement.

Harry und ich kannten uns seit Jahren. Und Sabine war die Frau, bei der ich endlich »angekommen« war. Sie und ich wohnten seit einem halben Jahr zusammen in der Mitte von Berlin-Mitte. Und wir waren glücklich. Sehr glücklich sogar.

Als Harry und ich in der Küche standen und unser Abendessen zubereiteten, löschte er wieder das Licht, um fasziniert nach dem Nordseeschnee zu sehen. Die weißen Wolken wurden dichter, Flocken wirbelten um die Straßenlaterne vor dem Haus. Auf dem Asphalt lag inzwischen ein weißer Teppich mit kleinen Fransen und Kanten an den Bürgersteigen, wo der Wind längliche, elegant geschwungene kleine Verwehungen bildete. Harry schaltete das Licht wieder an und lachte fassungslos, wie ein Forscher, der einem nie für möglich gehaltenen Naturphänomen begegnet.

»Hast’ auch Platzangst … ich mein’, für den Fall, dass wir hier einschneien?«, fragte Harry Sabine durch die offene Tür und half mir beim Auspacken der Leckereien, die wir bei »Feinkost Mayer« in Wenningstedt für ein kleines Vermögen gekauft hatten.

»Wieso?«, kam es aus der »Friesenstube«.

»Marie hat sich in Zürs damals derartig angestellt.«

»… hast du erzählt.« Man spürte, Sabine war nicht bei der Sache, sie grübelte, ob sie beim »Siedlern« Holz oder Erz kaufen sollte, und wie sie sich selbst damit überrumpeln könnte.

Ich fühlte mich veranlasst, auch etwas zur Konversation beizutragen und sagte: »Ich war in Saigon schon einmal über eine halbe Stunde im Hotelaufzug mit fünf Amerikanerinnen hängen geblieben und … also schön war das nicht, aber habe es ohne psychische Schäden weggesteckt.«

»Dann bin ich aber beruhigt«, sagte Harry, grinste und suchte nach einem Korkenzieher, wie man halt in einem fremden Haushalt sucht. Er öffnete und schloss geräuschvoll alle möglichen Türen und Schubladen. Sabine schaute herein. Sie begriff instinktiv worum es ging und fand den Korkenzieher mitten auf dem Tisch. Harry zog eine Flasche Rioja ›Gran Reserva‹ auf und kostete drei Mal, bevor er sie genussvoll dekantierte.

»Männer, macht mal, ich räum’ später ab«, sagte Sabine und verschwand wieder in der »Friesenstube«, kam aber gleich darauf wieder zurück, weil Harry die Knoblauchpresse für die rote Mayonnaise suchte. Mit einem Seufzen und einem Augenaufschlag drückte sie ihm das Gerät in die Hand und kostete auch ein Schlückchen Wein. Sabine blieb dann doch und lehnte mit dem Glas in der Hand am Küchenschrank. Sie beobachtete unsere Handgriffe und war, so schien es mir, mit den Gedanken beim »Siedlern«.

Ich verteilte frisch gepuhlte Büsumer Krabben auf drei Teller, gab Gewürzmarmelade und Harrys rote Mayonnaise dazu. Für die Matjes-Filets schnitt ich dünne Zwiebelringe und streute noch ein paar Pfefferkörner drüber. Käse und Obst richtete Harry auf einem Brettchen an, und ich garnierte die getrüffelte Leberpastete mit Petersilie und richtete einen Bückling an.

Sabine strich um uns herum und klaute mit einem blitzschnellen Überfall mit spitzen Fingern Krabben. Harry reagiert sofort, fing ihre Hand ab und rief:

»Tribut!«

»Yes, Deichgraf«, rief Sabine. Sie machte sich los, nahm ein paar Krabben und stopfte sie Harry in den Mund. Dann kam sie an die Reihe. Ich staunte. Die zwei lachten, als sie mein Gesicht sahen. Sabine fütterte mich auch mit einem Appetithappen. Es kam mir vor, als wäre ich in diesem Moment nicht Sabines Deichgraf.

»Ihr hattet anscheinend keine schlechte Zeit, während ich mich in Berlin in Kinos, der Redaktion und der Pizzeria gegenüber herumgedrückt habe«, sagte ich noch lachend.

»Selber schuld«, sagte Sabine und tauschte mit Harry einen Blick.

Harry grinste mich an und sagte: »Gute Zeiten … schlechte Zeiten … wie findest du eigentlich die Serie?«

Mir fiel nur ein humorloses: »Ich mache nur Kino« ein.

»Komm’ Herr Jesus, sei unser Gast …«, sagte Sabine in ironischem Ton und umschrieb mit einer Geste das üppige Mahl.

»Für den tät’s auch noch reichen«, meinte Harry. Er stellte die angestoßenen Friesenteller auf den Tisch und räumte die Teetassen beiseite. Sabine machte sich nützlich und riss Blätter von der Küchenrolle als improvisierte Servietten ab.

Als wir aßen fiel mir auf, dass Sabine plötzlich sehr einsilbig war und mich oft mit einem prüfenden Blick bedachte. Und Harry war sehr redselig, total aufgedreht. Wie ein kleiner Junge an Weihnachten vor der Bescherung. Ich dachte mir noch nichts dabei, aber ich bemerkte eine Veränderung im Verhalten der beiden. In Berlin waren sie distanzierter miteinander umgegangen. Aber ich gab in diesem Moment noch nicht viel drauf. So ein paar Tage alleine zu zweit schweißen halt zusammen. Wenn man da als Dritter reinkommt, ist man ein paar Stunden automatisch der Außenseiter.

 

Ich lag schon im Bett und sah Sabine zu. Sie stand im Slip im Bad und nahm die Kontaktlinsen heraus, dann schminkte sie sich ab, wusch ihr Gesicht und studierte ihre Haut Zentimeter um Zentimeter, forschte nach Zeichen des Alterns, nickte zufrieden und cremte sich ein.

»Sag’ was«, rief sie.

»Ich bin glücklich endlich wieder bei meiner Frau Freundin zu sein.«

»Heuchler!«

Ich nenne Sabine nur sehr selten »meine Frau«, weil wir nicht miteinander verheiratet sind. Komisch, man unterscheidet da doch noch. Mir gefällt »meine Frau Freundin« ganz gut. Das hat noch eine kleine, ironische Distanz. Sabine nahm die Anrede nicht zur Kenntnis. Sie begann ihre Zähne zu putzen, trat ans Fenster und verschwand aus meinem Gesichtsfeld. Ich hörte ein verwaschenes »irre, esch schneit immer noch«.

Stolz war ich auf meine Sabine. Sie war frech und klug, Sabine war schön wie eine venezianische Gräfin, ein paar Jahre jünger als ich, mitten in ihren herrlichen Dreißigern. Ich verkneife mir den Verglich mit einer erblühten Rose. Sabine war … ich war unbeschreiblich verliebt in diese Frau.

Sabine zog sich vollends aus und kuschelte sich zu mir ins Friesenbett. Sie küsste mich. Ich küsste sie. Wir machten es kurz, wie es Leute machen, die schon eine ganze Zeit zusammen sind und nicht mehr so spontan scharf aufeinander. Kurz aber intensiv. Jeder kennt den anderen, weiß wie er ihn zum Punkt bekommt. Und wann oder wie er oder sie sich selber am besten gehen lassen kann. Ein schöner Zustand!

Sabine ging aufs Klo, dann ins Bad und in die Küche und kam mit der offenen Flasche und zwei frischen Gläsern in unser Sylter Schlafzimmer zurück. Sie klappte ihren Mac auf und machte leise Musik. Ich glaube es war George Michaels »Songs From The Last Century«.

Klong machten die Gläser. Sabine klopfte unsere Bettdecken zurecht. Eine Kerze brannte, das elektrische Spar-Öko-Licht war längst gelöscht. Draußen vor dem Fenster huschten kurz hintereinander in regelmäßigen Abständen die Strahlen des Leuchtturms von Hörnum durch das Schneegestöber. Sabine vergrub ihren Kopf unter meiner rechten Achsel. Im Nebenzimmer schnarchte Harry wie gestern Abend. Wir lachten leise und konspirativ.

Ich fragte: »Wie war’s denn so mit Harry?«

Aus mehreren SMS und drei Telefonaten wusste ich, dass er viel gearbeitet hatte und Sabine alleine lange Strandspaziergänge um die Südspitze der Insel gemacht hatte. Sie war so beeindruckt, dass sie mir dort bei Ebbe zeigen wollte, mit welcher Geschwindigkeit die Strömung und der Wind aus dem Wattenmeer die Eisschollen auf die offene See hinaustreiben.

»Wenn man Glück hat sieht man Schweinswale. Oder Robben. Sie haben oft Krankheiten und schwimmen dann zum Sterben an Land. Sie tun uns leid. Aber wenn man ihnen zu nahe kommt, beißen sie. So eine Robbe beißt zehnmal härter zu als ein Schäferhund.«

Naturkunde, schön und gut. »Ich meine, wie habt ihr die Abende verbracht?«

»Ganz normal.«

Ich wäre mir blöd vorgekommen, wenn ich Sabine um nähere Erläuterungen dazu gebeten hätte, was ›ganz normal‹ war.

Sie sagte: »Erzähl’ weiter. Gab’s denn noch andere Frauen im Büro?«

»Hat dir Harry auch abends was erzählt?«

Sabine stützte sich auf den Ellenbogen und schaute mich mit großen Augen an: »Hey, Hugo, du sagst immer, Harry ist der größte Theoretiker, wenn es um Sex geht. Sind wir etwa eifersüchtig?«

Ich lachte. Nicht so ganz echt, aber auch nicht falsch. »Ich weiß nur, er plaudert so … charmant …«

»… über seine Fantasien und Träume, sagst du immer.«

»Ja.«

»Hätte ich gerne gehört, aber … weißt du, ich bin eine Frau, da ist er nicht so locker wie bei dir. Gerade weil er ein Theoretiker ist, denke ich mal. – Nee Harry hat viel gelesen. Gekocht haben wir zusammen.«

»Mit Tribut!«

»Mit und ohne.« Sabine strahlte mich an. Das schien mir echt, frei, offen. »Du bist dran, erzähl endlich weiter! Versprochen ist versprochen!«

 

 

Maja

 

»Es fing damit an, dass ich mir bei Schwartz’s Charcuterie Hébraique in der Ave Saint Laurent in Montreal eine Karnatzel mit einer Semmel, Kraut und Senf kaufte und auf einer Bank in der prallen kanadischen Herbstsonne im Parc du Montréal mit Blick auf die Stadt und den Strom genießen wollte. Die Karnatzel von Schwartz’s widerlegt schlagend das Gerücht, dass koschere Küche fad ist. Aber wer kein Knoblauch mag, sollte eher die Finger davon lassen. Ich mag Knoblauch, nehme aber Rücksicht auf Frauen und Zahnärzte und anderen Menschen, die einem nahe kommen können – falls dies absehbar ist.

An jenem Herbsttag in Montreal war nichts dergleichen absehbar. Als ich Sonne und Karnatzel genoss, setzte sich eine Frau neben mich auf die Bank. Sie tippte auf ihrem Telefon herum. Hinter ihrer enormen Sonnenbrille konnte ich ihre Augen nicht erkennen. Aber an der Kopfhaltung las ich ab, dass sie ein oder zwei Mal zu mir herüberschaute.

Sie war ein gutes Stück jünger als ich und hatte ein interessantes Gesicht, soweit ich das beurteilen konnte, ohne sie aufdringlich anzustarren. An ihrem Badge, den sie um den Hals trug, erkannte ich, dass sie dieselbe Veranstaltung schwänzte wie ich. Ich sagte ihr das, soweit mein Französisch reicht.

›Ich weiß, ich sollte dort sein, ich habe auch ein ziemlich schlechtes Gewissen‹, antwortete die Frau ohne ein Lächeln auf Deutsch und sah nicht vom Display ihres Telefons hoch.

Ich wischte mir den Mund mit der zweisprachig bedruckten Serviette von Schwartz und wollte etwas Schlagfertiges erwidern.

Sie kam mir zuvor und fragte: ›Hugo Ventura?‹

Ich nickte, kaute und schluckte und zeigte ihr wortlos wie zur Legitimation das Badge mit einem miserablen Foto von mir (es gibt nur miserable Fotos von mir) und meinem Namen. Die Frau wendete sich ab, ohne ein Wort zu sagen.

›Gibt’s ein Problem?‹, fragte ich. Sie wendete sich mir wieder zu.

›Arschloch.‹

Sie stand einfach auf und ging als hätte ich etwas Beleidigendes zu ihr gesagt und nicht umgekehrt. Ich kannte die Frau nicht und sie ließ mich mit der Frage alleine, mit welcher Filmkritik ich sie so getroffen haben könnte, dass sie derartig verächtlich mit mir umging. Ich sah ihr nach und grübelte. Ich wusste nicht, wo ich das Gesicht hintun sollte. In meinem Beruf nimmt man im Laufe der Zeit sogar hin, dass daran was man zu Papier bringt, sogar Freundschaften zerbrechen können. Echte verbale Ausfälle dagegen sind selten. Man legt sich ein dickes Fell zu und tut, als ob es einem nichts ausmacht, angemacht zu werden.

Ich blinzelte in die Sonne, sah zwei adipösen Skatern zu, wie sie trotz ihrer Körperfülle auf einem Basketballplatz akrobatische Nummern übten. Ein bekiffter, tadellos gekleideter Collegestudent setzte sich zu mir auf die Bank und sah aufmerksam zu, wie ich den letzten Zipfel der »Karnatzel« aß und die verbliebenen Krümel von Kraut und Brot aufpickte.

Der Student lachte auf einmal schallend, stand auf und ging weiter. Die Frau mit dem Badge und der Sonnenbrille kam von seitlich hinten zurück und setzte sich wieder hin. Ich knüllte die Serviette zusammen und warf sie haarscharf neben den Papierkorb.

›Hat dir schon mal jemand gesagt, was für ein Arschloch du bist?‹

Ich hob die Serviette auf und beförderte sie in den Müll. Eigentlich wollte ich nicht antworten und weggehen. Doch ich bleib stehen, lächelte und sagte:

›Ja, erst vor wenigen Minuten, eine Frau, die aussieht wie Sie.‹ Ich hasse die spontane Duzerei in meiner Branche.

Ich griff ungefragt nach ihrem Badge. Darauf stand, dass sie Maja hieß und von einer der vielen Berliner Mikroproduktionsfirmen war. Ich kannte den Laden vom Namen und von einem Film, den sie herausgebracht haben. Der Film war erfolglos, obwohl meine Kollegen und ich ihn wohlwollend besprochen hatten. Den Titel habe ich vergessen. Es war irgendeine Berliner Geschichte von einer Frau, die ihr Baby nicht annehmen kann. Nicht wirklich gut, aber annehmbar. Man ist ja bescheiden geworden.

›Produzentin?‹, fragte ich.

›Producerin‹, stieß sie heraus.

Mir war jetzt klar, warum sie mich hasste.

Producer heißen in der deutschen Filmindustrie Menschen, die für alles verantwortlich sind, aber nie ordentlich bezahlt und von niemandem wirklich geachtet werden. Jeder Producer will Produzent sein. Richtige Produzenten wie beispielsweise David O. Selznick, die viel eigenes Geld in die Hand genommen haben, damit Filme entstehen und, wenn es schief läuft, daran bankrottgegangen sind, gibt es in Deutschland kaum, sieht man vielleicht von so atypischem Urgestein wie Arthur Brauner oder dem verstorbenen Bernd Eichinger ab. Wer existenziell von dem abhängt, was er macht, geht anders an die Sache heran, als wenn er fremdes Geld einsetzt.

Ein Autor sagte neulich auf einem Berlinale-Empfang zu einem der »Produzenten« der Bavaria-Studios: ›Du bist kein Produzent, du bist ein leitender Angestellter in einer Firma, die Filme herstellt.‹

Er überging bei der Bemerkung, dass diese Firmen das nicht mit eigenem Kapital tun, sondern mit Geld der Beitragszahler und »bedingt rückzahlbaren Darlehen« der Filmförderer, also auch von uns Steuerzahlern. Von dem Kapital sieht die öffentliche Hand, weil nur »bedingt rückzahlbar« in vielen Fällen nie wieder einen Cent. Ohne es zu wissen sind wir alle in Filmen engagiert wie »Groupies bleiben nicht zum Frühstück«, oder Streifen wie »Jud Süß – Film ohne Gewissen«, ein schlecht gemachter Pseudoaufreger oder fade Sauce wie »Poll« oder »Amour Fou« (nicht zu verwechseln mit dem hier vorgelegten Tatsachenbericht von Hugo Ventura).

Die letztlich dafür die Verantwortung tragen sind die Producer. Wenn die Sache schief geht, werden sie gefeuert und die leitenden Angestellten der Firmen, die Filme herstellen, bekommen frisches Geld von uns Steuerzahlern dafür, dass sie mit ihrem Unfug weitermachen können. Das Lebensziel eines Producers ist also, leitender Angestellter zu werden, damit er noch mehr Unfug anrichten kann als seine Vorgänger aber nicht so leicht gefeuert werden kann.

Deutsche Produzenten gehen ans Filmemachen heran wie leitende Angestellte. Denen ist es auch meistens egal, ob sie für Danone oder Nivea arbeiten. Nur dass Manager von Danone oder Nivea viel seltener in der »Bunten« kommen. Es gibt Leute, die behaupten, unsere Filme wären besser, wenn es keine »Bunte« oder »Gala« gäbe oder wenn wir mehr richtige Produzenten hätte, risikofreudige, uneitle Kreative mit eigenem Geld in der Tasche – oder von mir aus auch mit Mafiageld. Denn wenn man das versaubeutelt, gibt es auch harte persönliche Konsequenzen, hört man.

Producer und Produzenten sehen das selbstverständlich anders.

Ich schweife nicht ab.

Es war nicht meine Tätigkeit als Filmkritiker im engeren Sinne, die derartig auf eine ins Persönliche gehende Ablehnung bei der Frau auf der Bank im Parc du Montréal stieß, es war mein Vortrag über »Das Elend der deutschen Filmproduktion«, den ich am Tag davor auf dem Symposium »New Fiction, New Media in Germany« gehalten hatte. Ich hatte kein gutes Haar an den Produzenten und ihren Erfüllungsgehilfen gelassen.

Ich lachte und sagte ihr das. Maja bekräftigte spontan ihre Einschätzung meiner Person und riss vor Empörung ihre Sonnenbrille von der Nase. Ich stellte fest:

›Sie haben aber schöne blaue Augen.‹

Das entsprach zwar nicht ganz der Realität, aber ich wusste nicht, womit ich Maja sonst hätte ein entwaffnendes Kompliment machen können. Die Frisur? Ihre tadellose Figur? Zu anzüglich. Maja war nicht besonders attraktiv, weil sie viel zu viel arbeitete und sich dabei eine Winzigkeit zu sehr vernachlässigte. Aber sie hatte etwas. Dieser Zorn, diese Leidenschaft! Und ihre Augen waren schön und voller Ausdruck, auch wenn sie eher farblos waren.

›Das ist ganz schön billig‹, sagte Maja und ordnete flüchtig ihre Haare. Ich musste an Harrys Theorie denken, mit der er das Verhältnis von Frauen zu ihren Frisuren analysierte. Maja setzte ihre Sonnenbrille nicht wieder auf.

›Aber es entspricht der Wahrheit.‹

›Warum hasst du uns?‹

›Weil ich selber gerne Produzent geworden wäre und über einen Kurzfilm mit dem Titel »Echo« nicht hinaus gekommen bin. Menschen reagieren wie der Fuchs unter den Trauben. Hängen sie zu hoch, macht man sie mies.‹ Ich spielte mit dem Klischee. Das kam anscheinend an.

›Producer war dir zu popelig?‹

›Ja.‹

›Filmkritiker ist besser, meinst du?‹

›Nein.‹

Ich sah sie an und brachte sie mit einer französischen Grimmasse dazu, dass sie lachte. Frauen werden immer schön, wenn sie lachen. Das sagte ich Maja. Sie wusste nicht, ob sie sich wieder ärgern oder noch einmal lachen sollte.

Wir gingen gemeinsam zurück zu dem Symposium mit dem hochtrabenden Titel, das vom Goethe-Institut veranstaltet wurde. Dabei redeten wir darüber, wie sehr uns Montreal gefiel. Besser gesagt, ich redete. Maja hörte zu und warf nur nachdenklich ein paar Brocken dazwischen, als ich Betrachtungen über den angenehm lässigen Lebensstil der Quebéquois im Allgemeinen anstellte.

Wir sahen uns gemeinsam noch einmal »Vier Minuten« an. Der schon etwas ältere Film handelt von einer jungen Mörderin namens Jenny, von Hannah Herzsprung hinreißend gespielt. Jenny ist musikalisch hoch begabt, ein Mädchen, das im Knast bei einer alten Lehrerin Klavierspielen lernt. Ich glaube die Rolle der Traude Krüger war die letzte Partie der großen Monica Bleibtreu. Es geht um das Leben dieser beiden Frauen und die Unfähigkeit Jennys die Liebe Traudes und die Chance ihres Lebens anzunehmen.

Ich erlebte danach Maja auf dem Podium als sachkundige, gewandte Disputantin. Mein Interesse an ihr als Frau war schon lange geweckt, wenngleich ich genau wusste, dass die Regel »never fuck the office« eine goldene Regel ist. Ich wusste, dass ich sie schon gebrochen hatte. Ich beobachtete ihre Gesten, ihr Temperament und ihre Schlagfertigkeit.

Maja wendete sich mit beachtlichen Argumenten gegen das Klischee, das Producern anhaftet, beschrieb die Verantwortung, die sie täglich zu schultern hatte. Sie beschrieb die Summe der Ignoranz, die ihresgleichen entgegengebracht wurde am Beispiel eines alternden Filmkritikers, – ich dachte, ich höre nicht richtig alternden Filmkritiker – der Wurst kauend auf einer Parkbank, sich den Sabber mit einer Papierserviette vom Mund abtupfend, die ollen Kamellen über Seltznick und Arthur Brauner zum Besten gibt, ahnungslos, wie die Branche heute tickt, aber sich, ganz Filmkritiker, einbildet, dass er der Einzige ist, der sich auskennt.

Ein langer, schwer zu deutender Blick streifte mich. Maja begann auf dem Podium mit einer kleinen Parodie auf das, was mir an diesem Nachmittag durch den Kopf gegangen war, als hätte sie Gedanken lesen können. Sie gab sich die Pose eines kümmerlichen, hüstelnden, näselnden Intellektuellen mit einer Wurst in der einen und einer Papierserviette in der anderen Hand und schwadronierte drauf los:

›Öh, ök … Also der deutsche Produzent ist bloß so eine Art Manager, sozusagen. Kein Rückgrat, kein Risiko. Hüstel, hüstel. Denen ist es einfach egal, ob sie quasi für Lidl oder Mercedes arbeiten.‹