Berlin erlesen! - Bernhard Hampp - E-Book

Berlin erlesen! E-Book

Bernhard Hampp

0,0

Beschreibung

Deutschlands erste Adresse für Literaturfans und Leseratten? Natürlich Berlin! Wer hier auf Entdeckungsreise geht, wandelt auf den Spuren von Anna Seghers und Kurt Tucholsky, Moses Mendelssohn und Theodor Fontane, E. T. A. Hoffmann und Irmgard Keun. In der Hauptstadt und ihrer märkischen Umgebung warten Buchcafés, prächtige Bibliotheken und versteckte Schatzkammern, Antiquariate und Museen, dazu eine legendäre Wassernixe, eine rätselhafte alchimistische Handschrift und ein bücherverliebter König: Ein Leseland, wie es im Buche steht!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 180

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernhard Hampp

Berlin erlesen!

Eine literarische Schatzsuche

Impressum

Sofern im Folgenden nicht aufgeführt, stammen alle Fotos vom Autor:

Heiner Harke 14; Bernhard Hampp mit Genehmigung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz 36; Steffi Schulz 56; Georg Held 62; Bezirksamt Berlin-Reinickendorf 114; Potsdam, Park Sanssouci, Neues Palais, Friedrichswohnung, Bibliothek Friedrichs des Großen, R. 208 / SPSG / Roland Handrick 136; Potsdam, Schloss Sanssouci, Bibliothek, R. 6. / SPSG / Leo Seidel 138; Hans Bach, Potsdam, mit freundlicher Genehmigung des Einstein Forums Potsdam, www.einsteinforum.de 142; Peter-Huchel-Gedenkstätte e.V. 146; Horst Drewing 168; Kleist-Museum 170

Alle Seitenangaben in diesem Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2021 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2021

Lektorat / Bildredaktion: Anja Kästle

Satz / Bildbearbeitung / Umschlaggestaltung: Susanne Lutz

unter Verwendung eines Fotos von: Agota Kadar - stock.adobe.com

Kartendesign: Susanne Lutz; © Maps4News.com / © HERE

E-Book: Mirjam Hecht

ISBN 978-3-8392-6864-3

Inhalt

Impressum

Östliches Zentrum

Humboldt-Universität

1 Geteilte Lesefreude

Staatsbibliothek zu Berlin

2 Schnäppchenjagd am Kupfergraben

Antik- & Buchmarkt am Bodemuseum

3 Die Schönste im ganzen Land

Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität

4 Am Ende auch Menschen

Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung

5 Geschichte geschrieben

Bibliothek des Deutschen Historischen Museums

6 Alles und noch viel mehr

»Dussmann – Das KulturKaufhaus«

7 Schreib mal wieder

Museum für Kommunikation Berlin

8 Hoffmanns Erzählungen

Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt

9 Das literarische Trio

Nicolaihaus – Ein Haus der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

10 »Jesacht, wies is«

»Zille Museum«

11 Zeit für eine Pause

Café Tasso – Das andere Antiquariat

12 Alles über Anne

»Anne Frank Zentrum«

13 Bücher machen Kleine groß

LesArt – Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur

14 Fortsetzung folgt …

Comicbibliothek Renate

15 Heine und ein anderer Buchladen

Heine-Denkmal und Buchhandlung »ocelot« am Weinsbergpark

Westliches Zentrum

Deutsches Technikmuseum

16 In den Rauch geschrieben

Brecht-Weigel-Museum im Brecht-Haus

17 Sie bleiben lebendig

Dorotheenstädtischer Friedhof

18 Weltkunst auf Papier

Kupferstichkabinett

19 Anziehende Bücher

Sammlung Modebild – Lipperheidesche Kostümbibliothek

20 Literatur im Parterre

Buchhändlerkeller Berlin

21 Erlesenes unter dem Gleis

Bücherbogen am Savignyplatz

22 Qualität vom Erzeuger

Autorenbuchhandlung Berlin

23 Folge dem weißen Elefanten

Literaturhaus Berlin beim Kurfürstendamm

24 Schwarz auf Weiß

Deutsches Technikmuseum

25 Hoffmann kam nicht raus

Friedhöfe am Halleschen Tor

26 In Omas altem Lesesessel

»Café BilderBuch«

27 Bowie hatte keine Chance

Bücherhalle

28 Zauberreich in Randlage

Antiquariat Tode

29 Letzte Station als »Giftmischer«

Fontane-Apotheke im Haus Bethanien

Äußere Bezirke

Kleiner Wannsee

30 Alte, neue schwarze Kunst

Offizin Die Lettertypen

31 Ausguck in Adlershof

Anna-Seghers-Museum

32 Mikrofon läuft

Haus für Poesie

33 Im Papierhaus

Antiquariat Die Geisterschmiede

34 Lesen ist gesund

Bibliothek am Luisenbad

35 Spur der Brüder

Humboldt-Bibliothek

36 Spandauer Geheimnisse

Museum Spandovia Sacra

37 Guter Tausch

Bücherboxx

38 Edles unter dem Hammer

Kunst- und Buchauktionshaus Bassenge

39 Hintertür ins Paradies

Kleistgrab am Kleinen Wannsee

40 Haus am See

Literarisches Colloquium Berlin

41 Zu Gast bei Mary

Hotel Friedenau – Das Literaturhotel Berlin

Ausflüge nach Brandenburg

Fontanedenkmal in Neuruppin

42 Der Große und seine kleinen Bücher

Schloss Sanssouci und Neues Palais: Die Bibliotheken Friedrichs II.

43 Potsdamer Rätselspiel

Buchhandlung Viktoriagarten

44 Relativ glücklich

Einsteinhaus in Caputh

45 Ermutigung

Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshorst

46 Undine verzaubert

Fouqué-Bibliothek in Brandenburg an der Havel

47 Schummerige Gänge

Bücher- und Bunkerstadt Wünsdorf

Brandenburg an der Havel

48 Ein Leben wie ein Jahrhundert

Franz Fühmann Literatur- und Begegnungszentrum in Märkisch Buchholz

49 Produktiver Spaziergänger

Gerhart-Hauptmann-Museum in Erkner

50 Fremder ohne Schatten

»Chamisso Museum im Kunersdorfer Musenhof«

51 Rätsel, Kämpfe, Brüche

Kleist-Museum in Frankfurt / Oder

52 Warner und Mahner

Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz

53 Dem Dichter der Mark

Theodor Fontane im Museum Neuruppin

54 Für Verliebte – und den Rest

Kurt Tucholsky Literaturmuseum in Rheinsberg

55 Belletristik zum Bacalao

Schmökerstuw in Berlinchen

Adressen

Karte 1

Karte 2

Östliches Zentrum

Humboldt-Universität

1 Geteilte Lesefreude

Staatsbibliothek zu Berlin

Steinerne Büchermenschen empfangen Besucher der Staatsbibliothek Unter den Linden: Männer- und Frauenskulpturen flankieren das efeubewachsene Portal im Vorhof. Sie tragen Bücherstapel, halten Schriftrollen oder sind in dicke Wälzer vertieft. Ganz klar: Wer lesen und lernen möchte, ist hier richtig. Elf Millionen Druckschriften und zahllose weitere Medien – jährlich kommen rund 100.000 hinzu – schlummern an diesem Ort. Genauer gesagt an diesen zwei Orten: Wie ganz Berlin war auch die Staatsbibliothek lange Zeit geteilt. Die beiden Häuser im ehemaligen Ost- und Westteil der Stadt arbeiten seit der Wende wieder zusammen. Betrieben unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, bilden sie eine der bedeutendsten Bibliotheken weltweit.

Alles begann im 17. Jahrhundert mit dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg: Der Landesherr beschloss, seine Büchersammlung ausgewählten Gelehrten zugänglich zu machen. 1661 ließ er die Bibliothek im Apothekenflügel des Berliner Schlosses einrichten. Als der Kurfürst 1688 starb, lagerten hier schon rund 20.000 Druckwerke und 1.600 Handschriften. Die nachfolgenden Preußenherrscher pflegten die Bestände weiter. Unter König Friedrich II., dem passionierten Leser, erhielten sie 1784 ihr eigenes Gebäude neben dem Opernhaus – wegen seiner barock geschwungenen Fassade nannten die Berliner es sogleich »Kommode«.

Das Haus Unter den Linden gefällt als neobarocker Prachtbau. Bis 1902 stand an dieser Stelle der Marstall mit Akademie der Wissenschaften und Akademie der Künste, in dem Johann Gottlieb Fichte ab 1817 seine Reden an die deutsche Nation hielt. Das heutige Bibliotheksgebäude erbaute Ernst von Ihne ab 1903. 1909 füllte es sich mit Büchern, zu Beginn des Ersten Weltkriegs war es fertiggestellt. Von 1918 an trug die ehemals Königliche Bibliothek den Namen Deutsche Staatsbibliothek. Als der Zweite Weltkrieg nahte, war der Bestand schon auf drei Millionen Bände und mehr als 70.000 Handschriften angewachsen. Die Verantwortlichen lagerten ihn aus Furcht vor Bombenangriffen und Plünderungen an verschiedene Orte überall in Deutschland aus. Nach dem Krieg kehrte vieles, was sich in der sowjetischen Besatzungszone befand, in das Haus Unter den Linden zurück, das nun zur Bücherherzkammer der DDR werden sollte.

Heute dient die Staatsbibliothek Unter den Linden als historische Forschungsbibliothek für Literatur bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Der große Kuppellesesaal im Zentrum des Gebäudekomplexes, eröffnet 1914, wurde während des Zweiten Weltkrieges schwer beschädigt. An seiner Stelle befindet sich der 2013 eröffnete Allgemeine Lesesaal unter einem Glaskubus. Das Haus wurde zuletzt in den Jahren 2005 bis 2020 umfassend saniert und präsentiert nun eine gelungene historisch-moderne Mischung.

Die Staatsbibliothek Unter den Linden ist auch der Standort des Bibliotheksmuseums: In der ehemaligen grünen Eingangshalle geben auf 200 Quadratmetern eine Dauerausstellung zur Geschichte der Sammlung, eine Schatzkammer und Wechselausstellungen einen Einblick in rund 350 Jahre Kulturgeschichte Berlins, Preußens und Deutschlands. Die Exponate belegen: Die Berliner Büchersammlung sucht ihresgleichen. Zu sehen ist etwa eine Handschrift des Nibelungenliedes. Weltweit sind nur neun vollständige Fassungen des Heldenepos erhalten – drei davon bewahrt die Staatsbibliothek auf. Auch eine zweibändige illuminierte Pergamentbibel, hergestellt 1454 / 55 vom Druckpionier Johannes Gutenberg, sorgt für Staunen.

Die meisten Preziosen aber halten die Bibliothekare in den Tresoren streng unter Verschluss und holen sie nur für Forscher mit besonderem Anliegen hervor. So das Psalterium Latinum 1457 aus Mainz – eine der 18.500 abendländischen Handschriften im Bestand. Aufbewahrt sind zudem rund 4.600 Inkunabeln aus dem 15. Jahrhundert, als der Buchdruck sprichwörtlich noch in der Wiege lag.

Mit Rekordverdächtigem geizt die Bibliothek nicht: 1,1 Millionen Karten, Pläne und Globen, dazu der weltgrößte gebundene Atlas. Zu den mehr als 321.000 Autographen zählen Faust-Fragmente Johann Wolfgang von Goethes, Schriften Martin Luthers sowie der Wissenschaftler Max Planck und Albert Einstein. Rund 1.600 Nachlässe, unter anderem von Moses Mendelssohn, den Brüdern Grimm, Annette von Droste-Hülshoff, Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann und Dietrich Bonhoeffer, sind hier verwahrt. Mehr als 80 Prozent aller Musikautographe von Johann Sebastian Bach und die größte Mozart-Sammlung weltweit gehören zu einer der international bedeutendsten Musikalien-Sammlung. Zu den 66.700 Musikautographen zählen Partituren von Ludwig van Beethovens Sinfonien Nummer 4, 5, 8 und 9. In den Lesesälen für Handschriften, Musik, Karten, Zeitungen sowie Kinder- und Jugendbuch können Nutzer die Werke aus den entsprechenden Abteilungen konsultieren.

Während die Staatsbibliothek im altehrwürdigen Gebäude unter den Linden Altes sammelt, ist ihr West-Pendant Haus Potsdamer Straße für die neue Literatur nach 1945 zuständig. Dazu passt auch das Gebäude, das 229 Meter lang, 152 Meter breit und 42 Meter hoch aus dem Boden ragt wie ein Ozeanriese aus dem Wasser. Die Pläne stammen von Hans Scharoun. Der prägende Architekt der Berliner Nachkriegszeit erhielt den Auftrag, ein Heim für die im Krieg nach Westdeutschland ausgelagerten Bestände zu entwerfen. Das Bücherschiff am Matthäikirchplatz zwischen Kulturforum und Potsdamer Platz entstand von 1967 bis 1978. Die Forschungs-, Informations- und Leihbibliothek der Moderne in seinem Inneren baut ihren Bestand kontinuierlich aus. Hier sind außerdem Sonderabteilungen für Literatur und andere Schriftzeugnisse aus Osteuropa, Ostasien und dem Orient angesiedelt. Die Bibliothek verwahrt 42.170 orientalische Handschriften, darunter die größte hebräische Pergamentbibel: Die sogenannte Erfurter Bibel ist 63 Zentimeter hoch, 47 Zentimeter breit und stammt aus dem Jahr 1343. Für die Herstellung des Pergaments wurden die Häute von 1.100 Tieren benötigt. Ebenfalls enormen Ausmaßes ist eine Thora-Rolle vom Ende des 13. Jahrhunderts. Der Stab, um sie zu halten, misst 1,19 Meter. Verwahrt sind Blockdrucke der frühen Ming-Zeit sowie das vielleicht älteste Druckwerk der Welt: das Hyakumantō Darani, ein Papierröllchen mit buddhistischen Zaubersprüchen aus dem Japan des 8. Jahrhunderts.

Das Ibero-Amerikanische Institut, wichtigster Anlaufpunkt für Forschung zu Spanien, Portugal und Lateinamerika, ist dem Gebäude am Kulturforum angegliedert.

2 Schnäppchenjagd am Kupfergraben

Antik- & Buchmarkt am Bodemuseum

Berlin bietet paradiesische Zustände für alle, die gerne trödeln und feilschen: Lampenschirme, Lederjacken, Rosenkränze, Rätschen, Fahrräder, Filzhüte, Taschenuhren, Toaster gehören zum bunten Angebot – genau wie Lesestoff aller Art. Bücherkisten unter, vor und auf den Tapeziertischen, manchmal sogar in Stehregalen, entdecken Schnäppchenjäger und Sammler eigentlich auf allen regelmäßigen Berliner Flohmärkten.

Dabei besitzt jeder dieser Märkte seinen eigenen Charme: Im Mauerpark und am Ostbahnhof dürfen sich Second-Hand-Freunde durch eine riesige Auswahl bummeln. Am Boxhagener Platz in Friedrichshain könnten Vintage-Fans fündig werden, während am Fehrbelliner Platz Pelzmäntel und Porzellanfiguren aus gediegenen Wilmersdorfer Haushalten zum Verkauf stehen. Der Flohmarkt am Schöneberger Rathaus ist eine gute Adresse, um sich mit Schraubenschlüssel und Co. einzudecken, auf der Straße des 17. Juni warten ausgesuchte Antiquitäten, während in Bohnsdorf nahe dem neuen Flughafen BER Schätzchen aus DDR-Zeiten ihrer Bergung harren.

Für Bücherfreunde aber führt kein Weg am Antik- und Buchmarkt am Bodemuseum vorbei. Durchschnittlich 50 bis 60 Händler – Profis und private Verkäufer – sind jeden Samstag und Sonntag am Kupfergraben anzutreffen. Sogar feiertags findet der Markt statt, der im Jahr 1992 gestartet ist. Eine Pause machen die Händler lediglich über die Weihnachtsfeiertage, selbst an Neujahr darf hier getrödelt werden.

An den Ständen zwischen Bodemuseum und Pergamonaltar ist nahezu alles zu haben, was zwischen zwei Buchdeckel passt: Romane, Krimis, Historisches, Ratgeber, Bilderbücher, Comics und vieles mehr. Auch wer bibliophile Werke sucht, könnte fündig werden. Und natürlich gibt es wissenschaftliche Literatur, schließlich ist die Humboldt-Universität gleich in der Nähe.

Wer selbst auf dem Antik- und Buchmarkt verkaufen möchte, kann sich beim Veranstalter anmelden. Es dürfen allerdings nur Kunst, Antiquitäten und Bücher angeboten werden. Erlaubt sind beispielsweise Postkarten, Fotos, Gemälde, Porzellan, Schallplatten und Briefmarken.

3 Die Schönste im ganzen Land

Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität

Hinein in den riesigen Bücherschrank: Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität ist innenarchitektonisch einem großen Bibliotheksregal nachempfunden. Wer dort schmökert, studiert und arbeitet, hat das Gefühl, selbst auf einem der Regalbretter in rötlich amerikanischem Kirschbaumfurnier zu sitzen. Entworfen hat den 20 Meter hohen Lesesaal, der treppenartig zu zwei Seiten hin ansteigt und nahtlos in die Freihandbibliothek übergeht, der Schweizer Architekt Max Dudler. Mit diesem Bau bekam die Berliner Humboldt-Universität 2009 nach rund 100 Jahren erstmals ihre eigene Zentralbibliothek. So lange war die traditionsreiche Bildungs- und Forschungseinrichtung Untermieterin der Staatsbibliothek gewesen.

Das Zentrum bietet den 252 Bänden aus der sprachwissenschaftlichen Bibliothek ihres Gründers und Namenspatrons einen würdigen Platz. Auch, wenn die Universität 1809 zunächst nach dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. benannt wurde: Aus der Taufe hob sie der Berliner Universalgelehrte Wilhelm von Humboldt, der als Verantwortlicher für das preußische Kultus- und Unterrichtswesen sein Ideal der humanistischen Bildung durchsetzte. Das enorme Gewicht auf Bildung und Gelehrsamkeit darf als durchaus bemerkenswert gelten – in einer Zeit, da Preußen militärisch am Boden lag. Mehrere Niederlagen gegen den französischen Feldherrn Napoleon hatten das Land und seine Hauptstadt schwer gebeutelt. Die Verantwortlichen packten die Gelegenheit beim Schopf und modernisierten die Staatsverwaltung, wobei sich besonders die Minister Karl Freiherr vom Stein und Karl August von Hardenberg auszeichneten.

Humboldts Universität stieg schnell zum Mittelpunkt des geistigen Lebens auf. Dafür sorgten nicht zuletzt Gelehrte wie der Stuttgarter Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der 1818 an die Hochschule berufen wurde. Mit seinem allumfassenden philosophischen System, in dessen Zentrum Werden und Versöhnung der Gegensätze stehen, begeisterte er Berlin. Nicht nur die Studenten strömten in die Vorlesungen, in denen der spröde Schwabe nuschelnd seine unerhörten Theorien erläuterte. Auch die bessere Berliner Gesellschaft hing an seinen Lippen: Was sagt Hegel zu einem neuen Theaterstück? Wie kommentiert Hegel die aktuelle politische Entwicklung? 1829 wurde Hegel Rektor. Zwei Jahre darauf starb er: Ob ihn die Cholera dahinraffte oder ein langjähriges Magenleiden, darüber scheiden sich bis heute die Geister. In jedem Fall begleitete ihn ein gewaltiger Leichenzug von seiner Wohnung im Kupfergraben bis zum Dorotheenstädtischen Friedhof. Ein Begräbnisredner verglich den Denker gar mit Jesus Christus. Die Bibliothek der Humboldt-Universität bewahrt in ihrer umfangreichen Porträtsammlung ein Bildnis Hegels auf. Er ist darauf im Schlafrock zu sehen: Auf dem Kopf trägt er das legendäre Barett – sein Markenzeichen, das er auch in Vorlesungen nicht ablegte.

Die Zentralbibliothek ist nach zwei Brüdern benannt, die ebenfalls an der Berliner Universität lehrten und forschten: die Sprachforscher und Volkskundler Jacob und Wilhelm Grimm, bekannt als Herausgeber der Kinder- und Hausmärchen und des Deutschen Wörterbuchs. 1841 hatte sie der preußische König Friedrich Wilhelm IV. in seine Residenzstadt berufen und mit einer Pension ausgestattet. Ihre vorherige Wirkungsstätte, die Universität Göttingen, hatte sie 1937 entlassen: Sie hatten als Teil der Professorengruppe Göttinger Sieben gegen die Aufhebung der liberalen Verfassung protestiert. Beide lebten bis zu ihrem Tod in Berlin und liegen auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg begraben. In einem klimatisierten Raum hütet das Grimm-Zentrum die Privatbibliothek der Märchenbrüder. Die rund 6.000 wissenschaftlichen Bände enthalten vielfach Widmungen, Erwerbungsvermerke und handschriftliche Anmerkungen der sammelwütigen Gelehrten. Im Forschungslesesaal in der sechsten Etage können Nutzer sie auf Anfrage einsehen.

Neben vielen weiteren Spezial- und Gelehrtenbibliotheken bewahrt das Zentrum das rund 13.000 Dokumente starke Archiv des 1827 gegründeten literarischen Vereins Tunnel über der Spree auf, dem unter anderem Theodor Fontane und der spätere Literaturnobelpreisträger Paul Heyse angehörten. Die Namen der großen Geister, die das Berliner Universitätsleben prägten, sind Legion. Zu ihnen gehört der Begründer der Quantenphysik, Max Planck. Er ist Namensgeber der Straße, die an der Westseite des Bibliotheksgebäudes vorbeiführt. Mit Verspätung wurde die Universität zur Wirkungsstätte exzellenter Wissenschaftlerinnen wie der Sozialreformerin Alice Salomon und der Atomphysikerin Lise Meitner. 1912 wurde die Mikrobiologin Lydia Rabinowitsch-Kempner als erste Frau in Berlin zur Professorin ernannt. Auch Robert Musil gehörte von 1903 bis 1908 zu denjenigen, die hier Vorlesungen besuchten. Er schloss an der Universität sein Zweitstudium der Philosophie und Psychologie mit der Promotion ab. Der Autor des eindringlichen Romans Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) brachte mehrere Phasen seines Lebens in der deutschen Hauptstadt zu. Beim Verleger Ernst Rowohlt in Berlin publizierte er ab 1940 sein dreibändiges Hauptwerk Der Mann ohne Eigenschaften, das vom Taumel der K.-u.-k.-Monarchie in den Untergang erzählt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung der Stadt wurde die Universität zur prestigeträchtigsten Forschungseinrichtung der DDR. Humboldt-Universität zu Berlin heißt sie seit 1949.

Mit dem Grimm-Zentrum ist die Bildungsstätte um ein Superlativ reicher:dengrößten zusammenhängend in Freihandaufstellung verfügbaren Bibliotheksbestand Deutschlands. Zwei Millionen der 2,5 Millionen Einheiten im Haus können von allen Benutzern jederzeit eingesehen werden. Integriert in das Zentrum sind außerdem zwölf Zweig- und Teilbibliotheken aus den Bereichen Geistes- und Kulturwissenschaften sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Das Grimm-Zentrum bietet fast 1.400 Arbeitsplätze und verzeichnet täglich rund 5.200 Nutzer. Mit ihren weiteren Standorten gehört die Bibliothek der Humboldt-Universität sogar zu den deutschlandweit meistbesuchten wissenschaftlichen Bibliotheken.

 

Bücher im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität

4 Am Ende auch Menschen

Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung

Und dann hörte er seinen eigenen Namen. Von diesem »psalmodierenden, gestikulierenden Teufelchen«. Erich Kästner selbst war Augen- und Ohrenzeuge auf dem Berliner Opernplatz an jenem 10. Mai 1933. Er vernahm, wie Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels geiferte. Wie er und seine Schergen wetterten gegen Schriftsteller wie Thomas und Heinrich Mann, Sigmund Freud, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Bertolt Brecht – und ihn, den Journalisten, Literaten und Satiriker Kästner. Der Autor stand im Regen, eingekeilt zwischen aufgehetzten Studenten in SA-Uniform. Er sah, wie die Bücher von Oppositionellen, jüdischen Autoren, Pazifisten, Lebensreformern, Feministinnen und anderen kritischen Schriftstellern ins flackernde Feuer flogen. Rund 20.000 Bücher brannten. Die aufgehetzten Studenten hatten ganze Büchereien geplündert: auch die Alte Bibliothek direkt am Opernplatz, die ab 1775 für die Büchersammlung Friedrichs des Großen erbaut und wegen ihrer geschwungen-barocken Form »Kommode« genannt wurde.

Mit den Worten »wider den undeutschen Geist«, betitelten Hitlers Getreue ihre Kampagne. Für die betroffenen Autoren bedeuteten sie Berufs- und Publikationsverbot. Viele emigrierten daraufhin. »Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen«, hatte Heinrich Heine 1823 in seinem Drama Almansor geschrieben. Die Nazis machten dieses Diktum auf grausamste Weise wahr. Kritische Geister wie der Journalist und Friedensnobelpreisträger Ossietzky kamen in Konzentrationslagern zu Tode. Millionen Menschen folgten.

Seit März 1995 erinnert am Ort des Geschehens, der heute Bebelplatz heißt, ein unscheinbares Mahnmal an die Bücherverbrennung. Zwischen dem Boulevard Unter den Linden, Hedwigskathedrale, »Kommode« und Oper ist eine Glasscheibe in das Kopfsteinpflaster eingelassen. Sie gibt den Blick nach unten frei. Zu sehen ist ein weißes Bücherregal aus Beton. 20.000 Bände hätten hier Platz. Doch das Regal ist leer. Deutlicher ist kaum zu zeigen, wie die Nazis dem Geistesleben in Deutschland und Europa den Garaus machten. Geschaffen hat das Mahnmal der israelische Künstler Micha Ullmann. Von ihm stammt auch der am Jüdischen Museum aufgestellte stählerne Kubus mit dem Titel Niemand.

5 Geschichte geschrieben

Bibliothek des Deutschen Historischen Museums

Bücher machen Geschichte. Das beweist das Deutsche Historische Museum: Das Schreiben, Lesen, Drucken, die Literatur und der Ideenwettstreit haben die Zeitläufte mindestens genauso geprägt wie Feldzüge und Kriege.

Sein Domizil hat das nach der Wende eingerichtete Museum im Zeughaus – dem ältesten Bauwerk am Boulevard Unter den Linden. Das frühere Waffenarsenal wurde selbst zum Schauplatz historischer Umbrüche, als es Anhänger der Revolution 1848 erstürmten und plünderten. Die Dauerausstellung zur deutschen Geschichte vom Mittelalter bis zum Mauerfall, die der barocke Bau auf 8.000 Quadratmetern beherbergt, ist derzeit wegen Bauarbeiten geschlossen. Von rund einer Million Objekte, welche die historische Schatzkammer der Nation aufbewahrt, waren bis zum Jahr 2021 rund 7.000 als Exponate zu sehen. Und jedes zehnte dieser Ausstellungsstücke war ein Buch: »Kaum ein Museum besitzt so viele Bücher«, sagt Matthias Miller, Leiter der Museumsbibliothek und Hüter der präsentierten Papier-Preziosen.

Wann sind Bücher ein Fall für das Museum? Wenn sie Geschichte gemacht haben, Geschichte ausdrücken und transportieren oder auf ihre eigene Geschichte zurückblicken können. Zu sehen und erleben sind sie weiterhin als Teil von informativen Sonderausstellungen im benachbarten Pei-Bau. Die 2003 eröffnete, lichtdurchflutete Ausstellungshalle ist nach ihrem chinesisch-nordamerikanischen Architekten Ieoh Ming Pei benannt.

Als Geheimtipp darf Deutschlands sechstgrößte Museumsbibliothek gelten. Sie findet sich im anschließenden Verwaltungsgebäude direkt am Spreekanal. Unter einem Glasdach, umgeben von Mosaiken und prachtvollen Regalwänden können nicht nur Mitarbeiter, sondern alle historisch Interessierten an 16 Lese- und Arbeitsplätzen forschen. Die feudale Ausstattung erinnert an den früheren Zweck des Bauwerks: Es wurde um 1900 als Kassenhalle der Preußischen Central-Genossenschaftskasse erbaut. Ihre Wertgegenstände bewahrte die Bank damals ein Stockwerk tiefer, im Tresorraum, auf. Dieser war offenbar so gut gesichert, dass nicht einmal die berüchtigten Panzerknacker-Brüder der 1920er-Jahre, Franz und Erich Sass, hier einen Bruch wagten. Heute hütet die Bibliothek unterirdisch die kostbaren Originale, von denen die Ausstellungsbesucher meist Faksimiles zu Gesicht bekommen.

Zum Beispiel ein Pergamentfragment der Heliand-Handschrift aus dem 9. Jahrhundert, die das Leben Jesu Christi als Ritterepos erzählt. Es stammt wahrscheinlich aus dem Kloster Verden und tauchte um 1880 in der Prager Universitätsbibliothek auf. 1953 überreichte es der tschechoslowakische Staatspräsident Klement Gottwald als Staatsgeschenk an den DDR-Ministerpräsidenten Wilhelm Pieck. Mit der Goldenen Bulle von 1356 liegt hier auch ein Stück Verfassungsgeschichte. Das Museum verfügt über den ersten illustrierten Druck des frühen Gesetzeswerkes von 1485, das die deutsche Königswahl regelte. Christoph Kolumbus schrieb 1492 noch an Bord seines Schiffes einen Brief an den spanischen Königshof: Er berichtete darin von seinen jüngsten Entdeckungen – vermeintlich in Indien. Im Museum ist der Brief in Buchform zu sehen, gedruckt bereits 1493 in Rom. Im selben Jahr erschien die Schedelsche Weltchronik: Umfangreich illustriert, beschreibt sie den Lauf der Welt mit den Augen des Nürnberger Arztes, Humanisten und Historikers Hartmann Schedel.

Mit seinen 95 Thesen gab Martin Luther anno 1517 den Anstoß für eine Zeitenwende. Das Deutsche Historische Museum besitzt einen der frühesten Drucke, der selbst durch die Hand des Reformators ging. Daneben ist zudem die persönliche Bibel des Luther-Jüngers Joachim Graf zu Ortenburg verwahrt, der sich 1534 eine Ausfertigung auf Pergament drucken und mit kolorierten Holzschnitten versehen ließ. Sein Leitspruch EMW – Eile mit Weile – ­ist in den Einband geprägt. In der Nachbarschaft findet sich ein Text mit dem Titel Osnabrückischer Frieden-Schluß von 1648, der als Westfälischer Friede den Dreißigjährigen Krieg beendete. Die älteste Darstellung des menschlichen Auges von innen im Universallexikon des Kartäusermönchs Gregor Reisch von 1503 ist hier ebenso aufbewahrt wie ein Medizinbuch mit Pop-up-Darstellungen des menschlichen Körpers von 1632. Dazu alle Bände der ab 1642 erschienenen Topographia Germaniae des Matthäus Merian. Der Kupferstecher und Verleger stellte mehr als 2.000 Ansichten von Städten, Burgen und Klöstern zusammen.

In Erstausgaben besitzt das Museum Literaturklassiker wie Johann Wolfgang von Goethes Faust, Friedrich Schillers Die Räuber, die Kritiken des Immanuel Kant, aber auch Wilhelm Buschs Bildergeschichte von den bösen Buben Max und Moritz. Wie ihr Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 – hier im Erstdruck – die Weltgeschichte beeinflussen würde, ahnten wohl nicht einmal die Verfasser Karl Marx und Friedrich Engels. Ein bedrückendes Zeitdokument ist das Telefonbuch der Stadt Warschau von 1939. Zahllose Bürger jüdischer Abstammung sind dort aufgeführt, die wenig später Opfer der NS-Vernichtungspolitik wurden. Oppositionelle ließen 1941 wahrscheinlich in Amsterdam ein Heftchen mit dem Titel Zehn kleine Meckerlein