Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Zwischen Schwarzwald und Rhein, Odenwald und Bodensee schlummert ein faszinierendes Bücherland. Hier schufen weltoffene Universitätsstädte eine einzigartige Lesekultur, wurde Deutsch zur Literatursprache erhoben und ersann Hans Jakob von Grimmelshausen seine Schelmenromane. Literarische Größen wie Marie Luise Kaschnitz oder Hermann Hesse haben ihr Herz in der Sonnenregion verloren. Der Autor Bernhard Hampp stellt auf einer kurzweiligen Reise durch Baden prächtige Bibliotheken, urige Buchcafés und versteckte literarische Juwelen vor. Eine Region zwischen zwei Buchdeckeln - die schönste Art, das Leseland Baden zu erkunden.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 175
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Bernhard Hampp
Baden erlesen!
Für Literaturfreunde und Bibliophile
Sofern im Folgenden nicht aufgeführt, stammen alle Fotos vom Autor: Automuseum Dr. Carl Benz/Petra Arnold 32; Stadtmuseum Sinsheim/Dinah Rottschäfer 34; Gerhard Seitz (DTA) 98; Tourist-Information St. Peter 102; Salmen e. V. 122; Markgräfler Museum 124; Dreiländermuseum Lörrach 138; Mühlenwegmuseum/Felder-Archiv, Bregenz 154; Suso-Haus/Michael Stoll 164; Achim Mende/Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Kloster und Schloss Salem 168
Alle Seitenangaben im Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.
Besuchen Sie uns im Internet:
www.gmeiner-verlag.de
© 2019 – Gmeiner-Verlag GmbH
Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch
Telefon 0 75 75/20 95-0
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2019
Lektorat/Bildredaktion: Ricarda Dück
Satz: Julia Franze
E-Book: Mirjam Hecht
Bildbearbeitung/Umschlaggestaltung: Benjamin Arnold
unter Verwendung eines Fotos von: Bernhard Hampp
Kartendesign: © Maps4News.com/©HERE
Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-6114-9
Impressum
Heidelberg und der Neckar
1 Mutter aller Büchersammlungen
Universitätsbibliothek Heidelberg
2 Literaturstadt to go
Philosophenweg in Heidelberg
3 Ein Buch gegen das Vergessen
Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg
4 Dichter an der Quelle
Wolfsbrunnen in Heidelberg
5 Beim literarischen Alchemisten
Stift Neuburg bei Heidelberg
6 Vorhang auf für Schiller
Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim
7 Erfinder auf Lebensfahrt
Automuseum Dr. Carl Benz in Ladenburg
8 Für die freie Republik
Stadtmuseum Sinsheim
9 Aus Papier mach Kunst
Buchmachermarkt in Mosbach
10 Worte verbinden
Bücherei des Judentums in Buchen
11 Falkenfestung und Baumbibliothek
Burg Guttenberg in Neckarmühlbach
12 Hier fluchte Götz von Berlichingen
Burg Hornberg in Neckarzimmern
Karlsruhe und nördlicher Schwarzwald
13 Badens Bücherbasis
Badische Landesbibliothek in Karlsruhe
14 Leuchtturm im Leseland
Museum für Literatur am Oberrhein in Karlsruhe
15 Deutschlands Lehrer, Luthers Freund
Melanchthonhaus in Bretten
16 Im Sprachlabor des Humanisten
Museum Johannes Reuchlin in Pforzheim
17 Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten
Auktionshaus Kiefer in Pforzheim
18 Hohe Schule der Weisheit
Historische Bibliothek in Rastatt
19 Russische Roulettespieler
Literarischer Streifzug durch Baden-Baden
20 Schelm im Kriegsgetümmel
Heimat- und Grimmelshausenmuseum in Oberkirch
21 Grimmelshausen beflügelt die Fantasie
Simplicissimus-Haus in Renchen
22 Von Nixen und Goldstücken
Mummelsee bei Seebach
23 Widerspruchsgeist im Priesterrock
Hansjakob-Museum in Haslach
Freiburg und südlicher Schwarzwald
24 Reflexionen
Universitätsbibliothek Freiburg
25 Studiertes und Skurriles
Uniseum Freiburg
26 Wörter im Angebot
Literaturhaus Freiburg
27 Literaturreich mit Charme
Buchhandlung zum Wetzstein in Freiburg
28 Für Lesereisende
Park-Hotel Post in Freiburg
29 Pssst! Geheim!
Deutsches Tagebucharchiv in Emmendingen
30 Lese am Kaiserstuhl
Endinger Büchermarkt
31 Abt Speckle und die Bücherräuber
Ehemaliges Kloster St. Peter auf dem Schwarzwald
Todtnauberg
32 Geheimnis gelüftet
Klosterbibliothek Oberried
33 Der Philosoph kommt zum Berg
Martin-Heidegger-Rundweg in Todtnauberg
34 Freunde in der Fauststadt
Literarische Ausstellung im Stubenhaus Staufen
35 Herzkammer der Heimat
Marie-Luise-Kaschnitz-Zimmer im Rathaus Bollschweil
36 Shakespeare an der Wand
Kulturgasthof und Schwanitz-Haus zum Salmen in Hartheim
37 Wo der Rhein ein Buchfalz ist
Markgräfler Museum in Müllheim
38 Zum letzten Mal von der Sonne liebkost
Tschechow-Salon in Badenweiler
39 Weltuntergang im Wiesental
Hebelhaus in Hausen
40 Trompetenklänge
Scheffel-Räume im Hochrheinmuseum Bad Säckingen
41 Was sind schon Grenzen?
Dreiländermuseum in Lörrach
Konstanz und der Bodensee
42 Comic aus dem Mittelalter
Rosgartenmuseum in Konstanz
43 Homer hält Wache
Suso-Bibliothek in Konstanz
44 Insel der Büchermönche
Museum Reichenau
45 Leseglück wie in Santiago
Museumscafé Reichenau
46 Abenteurer in der Fremde
Mühlenwegmuseum Allensbach
Reichenau
47 Wanderer im Bodenseenebel
Hesse-Museum Gaienhofen
48 Dichters Gartenträume
Hermann- und Mia-Hesse-Haus in Gaienhofen
49 Der Mystiker vom Bodensee
Suso-Haus in Überlingen
50 Auferstanden aus der Asche
Kloster und Schloss Salem
51 Schreiblust in Festungsmauern
Annette von Droste-Hülshoff auf Burg Meersburg
52 Vom verliebten Ekkehard
Scheffel-Pfad in Singen
53 Vergangene Bücherpracht
Fürstlich Fürstenbergisches Archiv und Hofbibliothek
54 Blick in die Bücherwerkstatt
Museumsdruckerei Revellio in Villingen
55 Wege, Werke, Weltverstehen
Martin-Heidegger-Museum in Meßkirch
Adressen
Karten
Weitere Titel von Bernhard Hampp
Philosophenweg Heidelberg
So sehen Bibliotheken in Spielfilmen aus: Giebel und Erker, Pilaster und Türme, Säulen und Skulpturen aus rötlichem Sandstein schmücken den Hauptbau der Heidelberger Universitätssammlung. Dass der Jugendstilpalast an die Ruine des Schlosses hoch über dem Neckar erinnert, ist kein Zufall. Vielmehr hatte Architekt Josef Durm das Wahrzeichen direkt vor Augen, als er den Büchertempel 1905 errichtete.
Das Bauwerk ist Lern- und Arbeitsstätte für 30.000 Studenten der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und gleichzeitig Heimat unglaublicher bibliophiler Schätze. Dazu gehört ein Teil der Sammlung Bibliotheca Palatina, der Pfälzischen Landbibliothek – diese galt in der Renaissance als Vorbild aller Schriftbestände. Der Hauptbau mit seinen Lesebereichen und Magazinen sowie 64 weitere Gebäude beherbergen mehr als drei Millionen Bücher, eine Million davon aus der Zeit vor 1900.
Groß wurde die Einrichtung gemeinsam mit der Ruperta Carola. 1386 als erste Universität auf dem Gebiet des heutigen Deutschland gegründet, entwickelte sich die Hochschule schnell zu einem Zentrum des Geisteslebens. Große Denker lernten, lehrten und wirkten hier: die Humanisten Rudolf Agricola (1443–1485) und Sebastian Münster (1488–1552), ebenso Martin Luther (1483–1546), der an der Universität 1518 seine reformatorischen Ideen vorstellte. Zu den berühmten Heidelberger Professoren gehörten die Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) und Hans-Georg Gadamer (1900–2002) sowie der Kultursoziologe Max Weber (1864–1920). Die Schriftstellerin Anna Seghers promovierte 1924 an der Ruperta Carola in Kunstgeschichte, der philippinische Literat José Rizal praktizierte 1886 an der Uniklinik Augenheilkunde.
Als dunkler Tag ging der 17. Mai 1933 in die Geschichte der Institution ein. Auf dem Universitätsplatz verbrannten Anhänger der Nazi-Ideologie die Bücher jüdischer, sozialistischer und oppositioneller Autoren. Eine in das Pflaster eingelassene Gedenktafel erinnert an die Untat.
Unter dem Platz lagern heute rund 1,5 Millionen Bücher im klimatisierten Tiefmagazin. Von dort aus gelangen Mitarbeiter durch einen 80 Meter langen Gang in den Hauptbereich der Bibliothek. Hier führt ein Treppenhaus im Art-déco-Stil wiederum zu einer kleinen Ausstellung mit Schätzen der Sammlung. Und das sind nicht wenige: Fast 7.000 mittelalterliche Handschriften besitzt die Institution, dazu mehr als 1.800 Inkunabeln aus der Frühdruckzeit vor 1500 sowie rund 110.000 Autographen und graphische Blätter. Tausende der kostbaren Bücher gelangten im 19. Jahrhundert aus den aufgehobenen Klöstern Salem und Petershausen nach Heidelberg.
Das Prachtstück der Universitätsbibliothek trägt die Signatur Cod. Pal. germ. 848 und wiegt sieben Kilo: dieGroße Heidelberger Liederhandschrift, auch Manessische Handschrift oder Codex Manesse genannt. Das bis 1340 entstandene Werk enthält 6.000 Strophen von 140 Minnesängern. 138 Illustrationen stellen die höfischen Dichter dar. Am berühmtesten ist wohl das Bildnis des Walther von der Vogelweide, der versonnen auf einem Stein ruht. Entstanden ist die Handschrift wohl in Zürich, womöglich unter Beteiligung des Patriziers Rüdiger Manesse. Wie sie in den Besitz des 1596 ermordeten Heidelbergers Johann Philipp von Hohensax kam, ist nicht vollständig überliefert. Bekannt ist, dass die Kurfürsten von der Pfalz den Codex erbten. So wurde er Teil der legendären Bibliotheca Palatina.
Diese Pfälzische Landbibliothek geht auf den Kurfürsten Ludwig III. (1378–1436) zurück, der ab 1410 regierte. Er ließ einen Teil seiner Schriftensammlung in die Heidelberger Heiliggeistkirche bringen. Auf der eigens dafür errichteten Nordempore des Gotteshauses wurden die Bände an Pulten angekettet und standen Universitätsangehörigen zur Verfügung. Der bibliophile Kurfürst Ottheinrich, ein glühender Protestant, baute die Bestände rund 150 Jahre später aus. Auch der Humanist Ulrich Fugger (1526–1584), der als Glaubensflüchtling aus dem katholischen Augsburg ins evangelische Heidelberg übersiedelte, steuerte Bücher bei. Die Palatina avancierte zur großen geistigen Rüstkammer für die evangelische Glaubenswelt. Dem Papst war das ein Dorn im Auge. Als Heidelberg im Dreißigjährigen Krieg von katholisch-bayerischen Truppen besetzt wurde, meldete der Vatikan Ansprüche auf die Palatina an. Der päpstliche Abgesandte Leone Allacci ließ die rund 3.700 Handschriften und 1.300 Druckwerke 1623 nach Rom transportieren – wo die meisten von ihnen bis heute in derBiblioteca Apostolica Vaticana verschlossen liegen.
Erst die Friedensverhandlungen auf dem Wiener Kongress rund 200 Jahre später veranlassten den Vatikan, 847 deutschsprachige Handschriften an die Universität Heidelberg zurückzugeben. Der Codex Manesse, der schon vor der Eroberung in Sicherheit gebracht worden und jahrhundertelang durch verschiedene Adelsbibliotheken gewandert war, kehrte 1888 im Rahmen eines Tauschgeschäfts zurück an den Neckar. Sämtliche Drucke und nicht deutschsprachige Werke verblieben allerdings in Rom. So etwa die älteste erhaltene Vergil-Handschrift aus dem Jahr 500 oder das illustrierte Falkenbuch des Stauferkaisers Friedrich II. (1212–1250) über die Jagd mit Raubvögeln. Diesen Beständen widmet sich ein Team der Universität Heidelberg in der Via della Conciliazionein Rom. Es digitalisiert die Bücher unter vatikanischer Aufsicht und stellt sie samt wissenschaftlicher Beschreibung online. Mit den Heidelberger deutschen Palatina-Handschriften ist dies bereits geschehen.
Doch die Recherche im Internet ersetzt nicht einen Besuch der erhabenen Bibliothek in der Kurpfalz mit ihren geräumigen Lesesälen. Hier stoßen Interessierte auch auf eine unglaubliche Menge von Sekundärliteratur zur Palatina: Die Kunstgeschichte bildet einen der Heidelberger Sammlungsschwerpunkte. Forscher können Faksimiles der deutschen Palatina-Bücher durchsehen – bei Ausstellungen werden auch die Zimelien selbst präsentiert. So zum Beispiel der Sachsenspiegel. Dieses Rechtsbuch aus dem 14. Jahrhundert gilt als eines der ersten deutschen Prosawerke überhaupt und führte juristische Begriffe wie »beanspruchen« in die deutsche Sprache ein. Oder die 27 zwischen 1417 und 1477 entstandenen Bilderhandschriften aus drei Schreibwerkstätten im Elsass und in Schwaben, die erstmals deutschen Lesestoff als Massenware produzierten. Nicht nur historisch interessant ist die Abschrift vom Tagebuch des Kurfürsten Friedrich IV., der gerne über die Stränge schlug: »Bin ich fol gewesen«, trug der Pfälzer Trunkenbold am 9. Juni 1598 ein.
Nachdruck des Codex Manesse in der Universitätsbibliothek Heidelberg
Literaturstadt: Dieses Siegel hat die UNESCO Heidelberg 2014 offiziell verliehen. Die »City of Literature« steht damit in einer Reihe mit Kulturmetropolen wie Barcelona, Prag und Edinburgh.
Ein passender Ort, um dem poetischen Geist Heidelbergs nachzuspüren, ist der Philosophenweg.
Der mitunter steile Pfad mit mehreren Abzweigungen erstreckt sich vis-à-vis der Altstadt am Südhang des Heiligenbergs auf der nördlichen Neckarseite.
Seinen Namen erhielt der Weg von den Einheimischen, noch bevor er 1841 ausgebaut wurde. Sie benannten ihn nach den studierten Herren, die schon vor Jahrhunderten zwischen den sonnigen Weinbergen lustwandelten. Darunter Joseph von Eichendorff, der von 1807 bis 1808 in Heidelberg studierte. Er verliebte sich unglücklich und schrieb sein Gedicht In einem kühlen Grunde über die bedrückende Erfahrung. An den Romantiker erinnert eine Stele in den mediterran wirkenden Parkanlagen am Weg, in denen Palmen, Jasmin und Lorbeer gedeihen. Unter dem Konterfei des Poeten ist sein Vierzeiler Wünschelrute zu lesen: »Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.« Eichendorff erinnerte sich zeit seines Lebens an Heidelberg und widmete der Stadt zahllose Gedichte und Lieder. »Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik; da umschlingt der Frühling Haus und Hof und alles Gewöhnliche mit Reben und Blumen, und erzählen Burgen und Wälder ein wunderbares Märchen der Vorzeit«, schrieb er später. Dass der Zauber der Neckarstadt bis heute fortwirkt, zeigt ein Essay der 1977 geborenen Schriftstellerin Jagoda Marinic. Die »Stadt des magischen Denkens« nennt sie Heidelberg darin.
Hinter jeder Biegung des Philosophenwegs eröffnen sich Aussichten auf die Altstadt, den Fluss, die Brücken und die Schlossruine. Eine Schautafel zeigt an der entsprechenden Stelle, welcher Anblick sich dem Kupferstecher Matthäus Merian im Jahr 1620 bot, als er sein berühmtes Heidelberger Panorama schuf. Sitzbänke umringen wiederum einen Gedenkstein für Liselotte von der Pfalz (1652–1722). Die Tochter des Pfälzer Kurfürsten Karl Ludwig musste ihr geliebtes Heidelberg verlassen, weil sie mit dem Bruder des französischen Königs Ludwig XIV. verheiratet wurde. Aus Frankreich schrieb sie unermüdlich Briefe an die deutsche Verwandtschaft. Dass ausgerechnet ein Streit um ihr Erbe zum Anlass genommen wurde, um ihre Heimatstadt und das Schloss im Pfälzischen Erbfolgekrieg zu zerstören, verbitterte sie.
Die Ära der Kurfürsten in Heidelberg endete um 1720, als Karl Philipp seinen Hof nach Mannheim verlegte. Dafür begannen immer mehr Literaten, den Charme der Universitätsstadt zu entdecken. Ein Gedenkstein am östlichen Ende des Philosophenwegs erinnert an Friedrich Hölderlin, der zwar nur auf der Durchreise Station machte, dessen Hommage an Heidelberg aus dem Jahr 1800 aber noch heute nachklingt: »Lange lieb’ ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust, Mutter nennen, und dir schenken ein kunstlos Lied, Du, der Vaterlandsstädte Ländlichschönste, so viel ich sah.«
In typischem Tonfall lobte auch Johann Wolfgang von Goethe 1797 Heidelberg: »Die Stadt in ihrer Lage und mit ihrer ganzen Umgebung hat, man darf sagen, etwas Ideales.« Der Dichterfürst stattete am Neckar unter anderem den Brüdern Melchior (1786–1851) und Sulpiz Boisserée (1783–1854) Besuche ab, die mit ihrer Sammlung altdeutscher und niederländischer Gemälde für Aufsehen sorgten. Zum Sehnsuchtsort erhoben die Romantiker Achim von Arnim und Clemens Brentano die Stadt. 1805 erschien beim hiesigen Buchhändler Johann Georg Zimmer ihre Volkslieder- und Gedichtsammlung Des Knaben Wunderhorn. Einen handschriftlichen Entwurf des Epoche machenden Büchleins, das von Robert Schumann, Johannes Brahms und Gustav Mahler vertont werden sollte, bewahrt heute die Heidelberger Universitätsbibliothek auf.
Alle besuchten und besangen das Städtejuwel im 19. Jahrhundert: Nikolaus Lenau, Adolph Freiherr Knigge, Homer-Übersetzer Johann Heinrich Voß, Friedrich Hebbel und Gottfried Keller. Joseph Victor von Scheffel flocht in sein Versepos Der Trompeter von Säckingen das Gedicht Alt Heidelberg, du Feine ein, das später als Strophe in das Badnerlied einging.
US-Autor Mark Twain verbrachte den Sommer 1878 hier. In seinem Buch Bummel durch Europa schwärmte er 1880 vom geselligen Leben der Studenten und Professoren. Sein satirischer Essay über Die schreckliche deutsche Sprache, der zuerst als Anhang zum Bummel durch Europa erschien, beginnt mit einem Erlebnis auf dem Heidelberger Schloss: Twain spricht den Leiter des dortigen Raritätenkabinetts in mühsam erlerntem Deutsch an. Dieser hält Twains Sprechweise für so einzigartig, dass er sie gerne in sein Kabinett aufnehmen möchte.
Nicht nur auf Twains Spuren pilgern amerikanische Touristen heute in die Stadt. Für den großen Boom sorgte Sigmund Romberg mit seiner Musical-Operette The Student Prince, die 1924 am New Yorker Broadway uraufgeführt wurde. Vorlage ist Wilhelm Meyer-Försters Schauspiel Alt-Heidelberg von 1901. Die Romanze um einen Prinzen, der das Studentenleben genießt und sich in eine Wirtstochter verliebt, wurde vielfach als Kitsch geschmäht, mauserte sich jedoch in aller Welt zum Inbegriff Heidelberger Studentenromantik.
Dem Philosophenweg blieben die Kreativen und Denker treu. So besaß der Philosoph und Universitätsprofessor Hans-Georg Gadamer (1900–2002), der sich in seinem Hauptwerk Wahrheit und Methodevon 1960 den Fragen von Erkenntnis und Verstehen widmete, ein Gärtchen an dem Pfad. Auf ihm und dem anschließenden, steil zum Neckar hinabführenden Schlangenweg schlenderte sicher auch Erica Jong. Die US-Amerikanerin lebte von 1966 bis 1969 am Neckar. Den Aufenthalt verarbeitete sie in ihrem 1973er-Roman Fear of Flying, einem Klassiker der feministisch-erotischen Literatur.
Heidelberg spielt noch immer eine Hauptrolle: Der Erzähler in Christian Krachts Faserland von 1995 stürzt in der Max Bar ab. Als Schauplatz von Bernhard Schlinks Bestseller Der Vorleser von 1995 ist unschwer die Weststadt zu erkennen, wo der Autor selbst aufwuchs. Und sogar in Joanne K. Rowlings Romanen um den Zauberlehrling Harry Potter taucht ein Heidelberg Harriers Team auf, das in der magischen Sportart Quidditch triumphiert. Die Literaturstadt pulsiert auch im realen Leben: Dafür sorgen regelmäßige Veranstaltungen wie die Heidelberger Literaturtage, literarische Stadtführungen mit dem Autor und Historiker Michael Buselmeier und Einrichtungen wieJagoda Marinićs Interkulturelles Zentrum.
Philosophenweg in Heidelberg
Bücher können entsetzlich sein. Ein solches Buch liegt im Heidelberger Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma hinter Glas. Es enthält 21.000 Namen von Menschen, die ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und fast alle in den Tod geschickt wurden: alles Angehörige der Minderheit, die die Nazis als »Zigeuner« beschimpften, drangsalierten und verfolgten.
Auf einer Wand im Zentrum stehen sämtliche Einträge aus dem Gedenkbuch. Dass das Dokument des Völkermordes überhaupt erhalten ist, verdanken wir den Häftlingen. Bevor die SS das sogenannte »Zigeunerlager« in Auschwitz-Birkenau 1944 gewaltsam räumte, vergruben sie die Namenslisten in einem Eimer. Nach dem Krieg bargen die Befreier die Schriften.
Menschen stehen im Mittelpunkt der Dauerausstellung zum nationalsozialistischen Genozid im 1997 eröffneten Zentrum: Diese Menschen gehörten oder gehören zur Minderheit der Sinti und Roma, die seit mehr als 600 Jahren in Deutschland zu Hause ist. Geschätzt 500.000 von ihnen fielen dem Völkermord zum Opfer. Die pädagogisch aufbereitete Schau zeichnet auf 700 Quadratmetern Schicksale anhand alter Familienbilder nach, zitiert Zeitzeugen und kontrastiert die Sicht der Opfer mit den Verordnungen, Dokumenten und Aussagen der Täter.
Erschütternd der Fall des Boxers Johann »Rukelie« Trollmann, dem die Behörden 1933 aus »rassischen Gründen« den Deutschen Meistertitel im Halbschwergewicht aberkannten und den die SS 1943 ermordete. Fast unerträglich die aufgerissenen Augen des Sinti-Mädchens Settela auf dem Foto, das sie im Zug nach Auschwitz zeigt. Dort starben sie, ihre Mutter und neun Geschwister in den Gaskammern. Auch die Eheleute und Kinobetreiber Lisetta und Anton Rose kamen im KZ ums Leben.
Ihr Enkel Romani Rose engagiert sich seit vielen Jahren unermüdlich für die Rechte der Minderheit. Er leitet von Heidelberg aus den Zentralrat der Sinti und Roma und das angegliederte Dokumentationszentrum. Im Fokus stehen der Kampf gegen das Vergessen und die Diskriminierung, die nach dem Krieg längst kein Ende genommen hatte. Aber auch die reiche und lebendige Kultur der Sinti und Roma ist im Zentrum zu erleben: etwa mit Vorträgen, Workshops, Flamencotanz, Jazzkonzerten und Lesungen.
Bedächtig gluckert das Wasser aus den Quelltümpeln ins Schlierbachtal bei Heidelberg hinab. Wer genau hinhört und die Fantasie spielen lässt, kann die Geschichten hören, die es erzählt. Von der heidnischen Wahrsagerin Jetta, die hier einer alten Sage nach im Mittelalter von einer Wölfin zerfleischt wurde. Vom Barockdichter Martin Opitz, der als Student oft am Wolfsbrunnen saß und ihn als »edele Fonteyn mit Ruh und Lust umbgeben« besang. Oder vom Romanheld Clairant, der an dieser Stelle seine geliebte Clara ihrem zornigen Vater entrissen haben soll.
Der Wolfsbrunnen bei Heidelberg ist ein mythisches und poetisches Gefilde. Seinen Namen erhielt der Hain, an dem sich das Quellwasser zwischen Farn, Sumpfdotterblumen und alten Laubbäumen seinen verschlungenen Weg Richtung Neckar sucht, wohl nicht wegen der Sage um Jetta. Vielmehr ging laut einer Urkunde im Schlierbachtal um 1465 ein »Wolfkreiser« seiner Arbeit nach: ein Gehilfe bei der Wolfsjagd, der die Tiere mit Stricken und stinkenden Stofflappen einkreiste, damit die Jäger sie mühelos schießen konnten.
Auch die Kurfürsten bei Rhein und zur Pfalz jagten in dieser Gegend, allerdings hatten sie es vornehmlich auf Hirsche und Wildschweine abgesehen. Sie entdeckten das romantische Gestade für sich, das sie über einen Pfad von ihrem Heidelberger Schloss aus erreichen konnten. Kurfürst Friedrich II. ließ die Quelle um 1550 in ein Brunnenhaus fassen. Auf sein Geheiß wurde auch ein Lust- und Jagdhaus errichtet, in dem die adelige Familie viele ihrer Gäste unterbrachte. Wie die damaligen Herrschaften am Wolfsbrunnen flanierten, tafelten und musizierten, zeigt der Kupferstich Jagdgelage am Wolfsbrunnen von Matthäus Merian, 1620 entstanden und veröffentlicht in der Landesbeschreibung Topographia Palatinatus Rheni et vicinarum Regionum von 1645.
Auch Elisabeth Charlotte (1652–1722), genannt Liselotte von der Pfalz, die Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig, spielte als Kind gerne hier. Für eine Prinzessin eher untypisch, liebte sie es, im Galopp über die Hügel zu reiten und auf Bäume zu klettern. Mit 19 Jahren allerdings musste sie Herzog Philipp II. von Orléans, den Bruder des französischen Königs, heiraten – so wollte es das politische Kalkül. Liselotte fühlte sich unglücklich, litt an den starren Ritualen. Tausende Briefe schrieb sie aus Frankreich an Verwandte und Freunde. 5.000 davon sind heute als beredte Zeitdokumente erhalten. Das Verhängnis begann, als Liselottes Bruder, Kurfürst Karl, kinderlos starb: Der französische König Ludwig XIV. erhob Anspruch auf die Pfalz. Vorgeblich, weil er Liselottes Interessen wahren wollte, brach er den Pfälzischen Erbfolgekrieg vom Zaun. In diesem verwüsteten seine Truppen Heidelberg, das Schloss und weite Teile der Pfalz. Liselotte konnte den Schmerz darüber nie verwinden.
Auch wenn die Kurfürsten Heidelberg 1720 Richtung Mannheim verließen, suchten Adelige weiterhin gerne den Wolfsbrunnen auf. Kaiser Alexander I. von Russland (1777–1825) weilte an diesem Platz, Prinz Wilhelm von Preußen (1797–1888), der spätere Kaiser Wilhelm I., und Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837–1898), genannt Sisi, besuchten das Quellidyll. Die Anlage verfiel jedoch bereits ab dem 18. Jahrhundert zusehends, wurde dadurch aber erst recht zum geheimnisvollen, romantischen Ort.
Das begeisterte vor allem die Dichter auf Opitz’ Spuren. Dramatiker August von Kotzebue (1761–1819) schwärmte von den Linden, die sich über dem Brunnen wölbten wie ein Tempel, in dem man feiern konnte, Joseph von Eichendorff, der in Heidelberg studierte, hielt in seinem Tagebuch fest, »wie sich endliche der Weg senkte, u. uns das unbeschreiblich einsame Thal des Wolfsbrunnens in seine gantz eigne magische dunkle Stille aufnahm«. Einen regelrechten Ansturm löste schließlich der Romancier August Heinrich Lafontaine mit seinem Bestseller Clara du Plessis et Clairant von 1795 aus, in dem er eine Schlüsselszene am Wolfsbrunnen, »dem lieblichsten aller Thäler in ganz Deutschland«, spielen ließ. Die Liste der Literaten, die den Wolfsbrunnen besuchten und beschrieben, lässt sich nahezu endlos fortführen: Heinrich von Kleist und Johann Wolfgang von Goethe kamen im späten 18. Jahrhundert hierher, Gottfried Keller und der Heidelberg-Reisende Mark Twain im 19. Jahrhundert. Um 1920 inszenierte der Schriftsteller Carl Zuckmayer, der in Heidelberg studierte, an der Quellanlage Lieder, Szenen und eine Dramatische Stationenreihe. Seit dem Jahr 1822 erhebt sich am Wolfsbrunnen eine dreistöckige Unterkunft für Gäste, die der Erbauer im Stil eines Schweizerhauses mit großen Holzbalkonen ausstattete. Seit 1870 befindet es sich im Besitz der Stadt Heidelberg.
1