Bayern erlesen! - Bernhard Hampp - E-Book

Bayern erlesen! E-Book

Bernhard Hampp

0,0

Beschreibung

Bayern ist ein Bücherland. Große Literaten lebten hier, darunter Thomas Mann und Bertolt Brecht. Geschichtsträchtige Städte wie Nürnberg und Augsburg zählten zu den Hochburgen des Buchdrucks und auch eines der frühsten poetischen Zeugnisse in deutscher Sprache entstand im Freistaat. Der Autor Bernhard Hampp führt auf einer Reise durch Bayern zu Dichterstätten, Büchermärkten sowie einem Schloss voller Kinderbücher und stellt auf unterhaltsame Weise einen Mann mit Eselsohren sowie ein rätselhaftes Findelkind vor. Eine Region zwischen zwei Buchdeckeln - die schönste Art, das Leseland Bayern zu erkunden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 180

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernhard Hampp

Bayern erlesen!

Für Literaturfreunde und Bibliophile

Impressum

Sofern im Folgenden nicht aufgeführt, stammen alle Fotos vom Autor: Caritas Buchcafé am Gleis 1 S. 42; Stadtarchiv Ingolstadt S. 44, 46; Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg S. 88; Zisterzienserinnen-Abtei Waldsassen S. 90, 92; Peter Neithardt S. 94; Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg S. 120. Alle Seitenangaben beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2018 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2019

Lektorat/Bildredaktion: Katja Ernst

Satz: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Bildbearbeitung/Umschlaggestaltung: Benjamin Arnold

unter Verwendung eines Fotos von © Bernhard Hampp, mit freundlicher Genehmigung der Abtei Metten

Kartendesign: © Maps4News.com/©HERE

ISBN 978-3-8392-5738-8

Inhalt

Impressum

München und der Süden

1  Von der Boheme ins Exil

Literaturarchiv Monacensia in München

2  Bayerns Bücherherzkammer

Bayerische Staatsbibliothek in München

3  Schmökern im Bücherschloss

Internationale Jugendbibliothek in München

4  Erotik in der Kaffeetasse

Literaturhaus München

5  Die Technik macht’s

Bibliothek des Deutschen Museums in München

6  Zuerst brannten die Bücher

NS-Dokumentationszentrum München

7  Erlesenes ab 50 Cent

Antiquariat Kitzinger in München

8  Wer bietet mehr?

Auktionshaus Hartung & Hartung in München

9  Schnäppchenparadies für Bücherjäger

Gröbenzeller Bücherflohmarkt

10  Abgründe am Alpenrand

Ödön von Horváth und Gabriele Münter im Schloßmuseum Murnau

11  Hinterfotziges aus dem Herrgottswinkel

Ludwig-Thoma-Haus in Tegernsee

12  Auszeit am Bahnsteig

Buchcafé am Gleis 1 in Rosenheim

13  »Ehrenbürgerin wird sie nicht«

Dokumentationsstätte Marieluise Fleißer in Ingolstadt

14  Ein Garten, wie er im Buche steht

Bastionsgarten auf der Willibaldsburg in Eichstätt

Augsburg und der Westen

15  Der ganze Stolz der Fuggerstadt

Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

16  Bühne frei

Brechthaus in Augsburg

17  Bücherpracht wie zu Ottheinrichs Zeit

Staatliche Bibliothek Neuburg an der Donau

18  Lesespaß statt Hexenwahn

Lesecafé cafe-buch.de in Nördlingen

19  Drei mit spitzer Feder

Stadtmuseum Kaufbeuren

20  Im schwäbischen Escorial

Benediktinerabtei Ottobeuren

21  Unten essen, oben lesen

Ehemaliges Benediktinerkloster Sankt Mang in Füssen

22  Urlaub gebucht

books – Bücher & Café in Oberstaufen

23  Bürgerstolz und nackte Männer

Ehemals Reichsstädtische Bibliothek in Lindau

Regensburg und der Osten

24  Nach den Sternen greifen

Museum document Keplerhaus in Regensburg

25  Bei den Postboten des Kaisers

Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek in Regensburg

26  Zwischen Altar und Apothekerschrank

Literaturcafé Spiegelgasse in Regensburg

27  Wo Oskar auf die Trommel haut

Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg

28  Vogel aus dem Kopf

Stiftsbibliothek der Zisterzienserinnen-Abtei Waldsassen

29  Der Literat zieht in den Wald

Museum Fressendes Haus in Regen

30  Weisheit alt und jung

Benediktinerabtei Metten

31  Dem sanften Gesetz auf der Spur

Adalbert-Stifter-Wanderweg bei Neureichenau

32  Born in Schiefweg

Emerenz-Meier-Haus in Waldkirchen-Schiefweg

33  Einhorn-Horn und geköpfte Madonna

Staatliche Bibliothek Passau

34  Am Ort der Verschwörung

Literaturcafé im Röcklturm in Landshut

35  Von Helden, Damen, Drachen und Mördern

Burg Prunn in Riedenburg

Nürnberg und der Norden

36  Stein der Weisen und Struwwelpeter

Germanisches Nationalmuseum in Nürnberg

37  Das Renaissance-Genie

Albrecht-Dürer-Haus in Nürnberg

38  Wie Nürnberg Druck machte

Museum Industriekultur in Nürnberg

39  Der Dichter mit dem Trichter

Irrhain des Pegnesischen Blumenordens in Nürnberg

40  Kammern voller Fragezeichen

Museum Wolfram von Eschenbach in Wolframs-Eschenbach

41  Veggie-Kochbuch unterm Wursthaken

Buchhandlung Zum Grünen Baum in Dinkelsbühl

42  Wer bist du, Kaspar Hauser?

Markgrafenmuseum Ansbach

43  Auf der Lesewiese in den Bücherherbst

Erlanger Poetenfest

44  Bibliophiles auf dem Domberg

Staatsbibliothek Bamberg

45  Guckloch ins Grauen

E. T. A. Hoffmann-Haus in Bamberg

46  Botschaften aus der Vergangenheit

Antiquariat Zipprich in Bamberg

47  Weltschmerz in Gänsefüßchen

Jean-Paul-Museum in Bayreuth

48  Wo sein Wähnen Frieden fand

Richard Wagner Museum in Bayreuth

49  Willkommen in Entenhausen

Museum Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach an der Saale

50  Mathelehrer der ersten Stunde

A. Ries und V. von Scheffel im Stadtmuseum Bad Staffelstein

51  Belesen in 44 Sprachen

Friedrich-Rückert-Wohnhaus in Coburg-Neuses

52  Sammler mit System

Museum Otto Schäfer in Schweinfurt

53  Schneider ließ die Köpfe rollen

Literaturhaus Wipfeld

54  Menschenfreund mit Hut

Erich-Kästner-Bibliothek in Oberschwarzach

55  Vogelweide auf einem Steine

Lusamgärtlein in Würzburg

Adressen

Karten

München und der Süden

Ludwig-Thoma-Haus in Tegernsee

1  Von der Boheme ins Exil

Literaturarchiv Monacensia in München

»

München leuchtete« – so beginnt Thomas Manns (1875−1955) Novelle Gladius Dei. Während Mann von 1894 bis 1933 hier lebte, leuchtete München tatsächlich. Die Dauerausstellung im Literaturarchiv Monacensia im Hildebrandhaus wirft Schlaglichter auf eine Epoche, in der die Stadt eine Kultur- und Literaturmetropole europäischen Ranges war.

Schriftstücke, Habseligkeiten, Fotos, aber auch O-Töne und Videos erzählen von Kaiserzeit, Weltkrieg, Räterepublik, leichtfüßigen 20er-Jahren, Naziwahn und noch einmal Weltkrieg. Sie stellt Thomas Mann und die Seinen vor – darunter Bruder Heinrich, Frau Katia, Tochter Erika und Sohn Klaus. Aber auch anderen Münchnern, die das kulturelle Leben einer bewegten Epoche prägten, begegnen Besucher der Künstlervilla am Isarhochufer.

Zum Beispiel Annette Kolb (1870−1967), Autorin von Romanen wie Die Schaukel und Daphne Herbst. Die Tochter eines Münchners und einer Pariserin kämpfte leidenschaftlich gegen Kriegstreiberei und für deutsch-französische Aussöhnung – im Schaukasten liegt ihr Reisepass. Einst war die Schriftstellerin selbst Gast im Hildebrandhaus. Die mondäne Villa hatte sich der Bildhauer Adolf Hildebrand 1898 bauen lassen. Der vordere, nüchtern gehaltene Teil des Hauses diente ihm als Atelier und Salon. Den hinteren Teil ließ er barock mit einem schneckenhausförmigen Treppenaufgang gestalten.

Die Monacensia ist nicht nur Museum, sondern auch öffentliches Forschungszentrum, Bibliothek und das umfangreichste Literaturarchiv Bayerns. 300 Nachlässe und Vorlässe von Autoren sind hier deponiert. Darunter die komplette Hinterlassenschaft von Klaus und Erika Mann sowie Briefe und Manuskripte ihrer Geschwister Golo, Monika, Michael und Elisabeth Mann. Gegenüber der imposanten Bücherwand mit der Privatbibliothek des deutsch-britischen Schriftstellers Peter de Mendelssohn (1908−1982) finden sich auf zwei Galerien und im Obergeschoss sämtliche Übersetzungen des Werks von Thomas Mann sowie insgesamt 150.000 Bände aus und über München. Auch die Nachlässe von Autoren und Künstlern der Nachkriegszeit wie Herbert Achternbusch, Herbert Rosendorfer und Dieter Hildebrandt sind hier untergebracht. Einiges aus dem reichen Fundus hat Eingang in die Ausstellung gefunden.

Etwa ein Rubinglas mit der Aufschrift »Sei glücklich« aus dem Besitz von Lena Christ (1881−1920). Christ zählt zu den großen bayerischen Volksschriftstellerinnen. In ihren Lausdirndlgeschichten und Romanen wie Mathias Bichler oder Madam Bäuerin porträtierte sie das Leben der Landbevölkerung um 1900 ungeschminkt und humorvoll. Glücklich war sie nicht. In der Autobiografie Erinnerungen einer Überflüssigen schilderte sie die Misshandlungen ihrer Kindheit. Mit 38 Jahren nahm sich die schwer Traumatisierte das Leben. Ausgestellt ist auch Christs Abschiedsbrief an ihren Förderer Ludwig Thoma.

Thoma war in München unter anderem als Redakteur des Simplicissimus tätig. Diese satirische Wochenzeitschrift, die 1896 von Verleger Albert Langen begründet wurde und bis 1944 Bestand hatte, prägte Münchens Ruf als Künstlerstadt. Autoren wie Jakob Wassermann und Zeichner wie Olaf Gulbransson drückten ihr den Stempel auf.

Aus dem Umfeld des Simplicissimuserwuchs auch Deutschlands erstes politisches Kabarett Elf Scharfrichter, das von 1901 bis 1904 in der Maxvorstadt Gesangsnummern, Gedichte und Szenen darbot. Einer der Stars der Brettl-Bühne war der Bänkelsänger, Poet und Dramatiker Frank Wedekind (1864−1918). Die Laute, auf der er seine scharfzüngigen Balladen begleitete, liegt im Hildebrandhaus zu Füßen von Wedekinds Schreibtisch. Das Möbelstück zierte dessen Wohnung in der Prinzregentenstraße.

Franziska Gräfin zu Reventlow (1871−1918) vertraute ihrem Tagebuch 1903 an, sie habe sich auf dem Scharfrichterball zu Fasching »wieder in W(edekind) verliebt«. Die Malerin und Autorin galt wegen ihres unabhängigen Lebensstils als Königin der Schwabinger Bohème. Ihr HerrnDamesAufzeichnungen: OderBegebenheitenaus einem merkwürdigen Stadtteil von 1913 wurde zum Schlüsselroman einer unbeschwerten Zeit.

Der Erste Weltkrieg setzte all dem ein Ende. Die Ausstellung illustriert das am Beispiel von Ludwig Thoma, der sich vom kritischen Liberalen zum vaterlandsvernarrten Kriegsfreiwilligen wandelte.Ein Foto zeigt ihn in Uniform. Nach dem verlorenen Krieg avancierten Schriftsteller wie Ernst Toller, Erich Mühsam und Heinrich Mann zu Hauptfiguren der kurz währenden Münchner Räterepublik. Schon im April 1919 schlug die Armee das politische Experiment blutig nieder. Bayern wurde zur ultra-konservativen Ordnungszelle Deutschlands.

Der in München geborene Romancier Lion Feuchtwanger (1884–1958) porträtierte diese Zeit der Inflation, in die auch der gescheiterte Hitler-Putsch von 1923 fiel, in seinem Roman Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. An der Wand ist daraus zitiert: Die Veranstaltungen des Komikers Balthasar Hierl habe Kleinbürger, »Dreiviertel-Rentner«, aber auch »Großkopfige« angelockt. In Feuchtwangers Hierl ist unschwer der Münchner Karl Valentin (1882–1948) zu erkennen. Der tragikomisch-geniale »Linksdenker« – so nannte ihn Kurt Tucholsky – perfektionierte auf hintergründige Art die Kunst des »saudumm Daherredens«. Als Beweis ist ein Kärtchen zu sehen, auf das er seinen verqueren Dialog vom Radfahrer gekritzelt hatte. Gleich daneben: die Klarinette seiner kongenialen Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt. Bayerische Dramatiker wie Ödön von Horváth und Bert Brecht nahmen Impulse von Volkskünstlern wie Valentin und Karlstadt auf, um das Theater zu revolutionieren.

Andere Töne schlugen die Nazis an, die München zur »Hauptstadt der Bewegung« machten. Erika Mann bekämpfte sie erst mit ihrem antifaschistischen Kabarett Die Pfeffermühle. Dann muss sie wie der Rest der Familie emigrieren. Zu sehen sind ihr Reisekoffer und die Uniformjacke, in der sie als Angehörige der US Army zurückkehrte, um Deutschland zu befreien. In einem Video interviewt ihr Bruder Klaus Mann als Soldat der US-Streitkräfte Nazi-Verbrecher Hermann Göring.

Der zweite geschichtsträchtige Schreibtisch im Hildebrandhaus gehörte dem oberbayerischen Geschichtenerzähler Oskar Maria Graf (1894–1967) und stand in dessen Wohnung in Upper Manhattan, New York. An die Schreibtischladen hatte der Exilant Adressen seiner deutschen Freunde und Postkarten bayerischer Schlösser, Seen sowie eines Schuhplattlers geklebt. Graf flanierte in Lederhosen durch New York. Er vermisste seine Heimat, während er auf seiner Smith-Corona-Schreibmaschine sein Hauptwerk Das Leben meiner Mutter (1940) tippte.

Die Monacensia ist im Hildebrandhaus, einer Künstlervilla von 1898, untergebracht

2  Bayerns Bücherherzkammer

Bayerische Staatsbibliothek in München

Wo gibt es Handschriften auf Birkenrinde, Elfenbein, Gold oder Knochen? In der Bayerischen Staatsbibliothek mit ihrer asiatischen Sammlung zigtausender gedruckter und geschriebener Werke auf Tibetisch, Singhalesisch und unzähligen anderen Sprachen. Doch das ist nur ein winziger Teil der Bücherherzkammer Bayerns, die mit zehn Millionen Bänden als eine der bedeutendsten Universalbibliotheken Europas gilt.

Vor der Fassade in der Münchner Ludwigstraße wachen Statuen von Thukydides, Homer, Aristoteles und Hippokrates über die Sammlung. 1558 als Herzogliche Bibliothek gegründet, wuchsen ihre Bestände explosionsartig durch die Säkularisation der Klöster nach 1803. Als legendärer Bücherjäger bereiste damals Hofbibliothekar Johann Christoph von Aretin die Büchereien der Nonnen und Mönche. Wertvolle Funde konfiszierte er und ließ sie nach München schaffen. So auch eine Handschrift mit Lied- und Dramentexten des 11. und 12. Jahrhunderts aus dem Kloster Benediktbeuern. Diese sogenanntenCarmina Burana vertonte Carl Orff 1937.

Den Bibliotheksbau errichtete Architekt Friedrich Gärtner von 1832 bis 1843 im Auftrag König Ludwigs I. Im Zweiten Weltkrieg wurde er fast völlig zerstört – mit ihm ein Viertel des Bestands. Das wiederaufgebaute Gebäude zeigt sich schmucklos.

Bayerns größte Bibliothek sammelt Pflichtexemplare aller Veröffentlichungen, die im Freistaat erscheinen – sowie weltweit alles, was Bayernbezug hat. In den sechs Lesesälen sind 240.000 Bände und 18.000 aktuelle Zeitschriften zugänglich. Der größte davon, der Allgemeine Lesesaal, bietet auf drei Ebenen 636 Sitzplätze. In Spezial-Lesesälen können Forscher etwa Landkarten oder Bavarica studieren. 41.000 abendländische sowie 81.000 orientalische und asiatische Handschriften schlummern in den Magazinen, dazu 70.000 Musikhandschriften. Zu den Schätzen zählen das um 800 entstandene Wessobrunner Gebet – das älteste christliche Gedicht deutscher Sprache – sowie die Leithandschrift A des Nibelungenliedes. Die Nachlässe von Oskar Maria Graf, Richard Strauss und mehr als 1.000 anderen Persönlichkeiten lagern hier. Unter den 36.000 Autografen im Bestand sind Dokumente der Literaturgeschichte: wie der Brief, in dem die Autorin Lena Christ 1920 ihren Selbstmord ankündigte.

3  Schmökern im Bücherschloss

Internationale Jugendbibliothek in München

Das Binette-Schroeder-Kabinett in der Internationalen Jugendbibliothek

Wie in einem Leuchtturm ist es hier! Vorbei an Vulkansteinen, Skarabäus-Figuren, Bildern von Schiffen und Matrosen, zwischen weiß gestrichenen Wänden und leuchtend rotem Stahl führt eine Wendeltreppe in die Höhe. Das mit dem Leuchtturm soll so sein: Im alten Südostturm von Schloss Blutenburg dreht sich nämlich alles um den Kinderbuchautor James Krüss (1926–1997). Auf Helgoland geboren, auf Gran Canaria gestorben, schrieb er unvergessliche Geschichten vom Leuchtturm auf den Hummerklippen, den Glücklichen Inseln hinter dem Winde und Henriette Bimmelbahn, dazu eine Menge lustiger und nachdenklicher Gedichte. In der Vitrine, die sich über die ganze Höhe des Turms erstreckt, liegt ein Teil von Krüss’ Nachlass. Das kleine Krüss-Museum ist nur eines von vielem Entdeckenswertem auf dem Gelände der Internationalen Jugendbibliothek. Das weltweit einzigartige Bücherschloss in München-Obermenzing ist ein riesiges Reich der Fantasie.

Gleich neben der Schloss­schenke, im Neuen Saalbau, können kleine und große Besucher zum Beispiel in den Romanen von Michael Ende (1929–1995) schmökern: unter ihnen Jugendbuchklassiker wie Momo, Die unendliche Geschichte oder Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Der Autor, der in Garmisch zur Welt kam, verbrachte den größten Teil seines Lebens in München. Seine Witwe Mariko Sato-Ende hat der Jugendbibliothek viele Gegenstände und rund 3.000 Bände aus der Privatbibliothek des Schriftstellers vermacht. Neben dem Momo-Manuskript sind etwa die geliebten Tabakspfeifen, eine selbstgebaute Marionette und ein blauer indischer Buddha-Kopf Endes ausgestellt. Ein Schrank enthält über 550 Originalausgaben der 30 Werke Michael Endes in mehr als 40 Sprachen. Interessant ist herauszufinden, welche Bücher Ende selbst gelesen hat. Zum Beispiel die 30-bändige Bibliothek von Babel, herausgegeben von Jorge Luis Borges. Ein Gemälde, das sein Vater – der surrealistische Maler Edgar Ende (1901–1965) – 1951 schuf, zeigt den Schriftsteller mit einem Fuchs zu seinen Füßen und einer rätselhaften Kugel in der Hand.

Ein herrlich gemütliches Lesereich bietet das Kabinett unter dem Dach des Alten Saalbaus, benannt nach Binette Schroeder, der 1939 geborenen Bilderbuchautorin und -illustratorin. Deren Bücher, in denen Figuren wie Lupinchen und Laura inmitten märchenhafter Landschaften Abenteuer erleben, liegen zum Anschauen und Lesen bereit. Hier findet sich nämlich das Gesamtwerk Schroeders – und obendrein ihre vielsprachige Kinderbuchsammlung. Überall sind Hingucker verstreut. Die Regalbeine tragen Schühchen, in Nischen ist Spielzeug verborgen. Dort fährt ein ängstlich dreinblickender Frosch mit der Eisenbahn, da harren uralte weiße Holzpferde aus. In einer Holzkiste, die Augen, Mund und Nase hat, versteckt sich eine riesige rote Blüte, auf der Bienen und Käfer herumkrabbeln. Wird eine Lade im Bücherregal aufgeklappt, so erscheinen Bilderbuchfiguren, die sich sogar bewegen.

Der Uhrenturm wiederum ist Erich Kästner (1899–1974) gewidmet. Darin stehen der Lesesessel und der Schreibtisch des Schriftstellers – und natürlich ein Regal mit seinen Kinderromanen wie Emil und die Detektive undDas fliegende Klassenzimmer. Kästner lebte von 1945 bis zu seinem Tod in München.

Die größten Schätze schlummern unter der Erde: Im Magazin lagern mehr als 600.000 Kinder- und Jugendbücher in 130 Sprachen. Vieles existiert nur hier und nirgendwo sonst, vermutlich weil Literatur für die Jüngsten vielerorts als Gebrauchsgegenstand gilt und nach dem Lesen weggeworfen wird. Interessenten können im wissenschaftlichen Lesesaal einen Blick in diese riesigen Bestände werfen.

Diese Kostbarkeiten zu bewahren und zugänglich zu machen, war das Ziel der Bibliotheksgründerin Jella Lepman (1891–1970). Wegen ihrer jüdischen Abstammung musste die Stuttgarter Journalistin aus Nazi-Deutschland nach England emi­grieren. In ihrer 1964 erschienenen Autobiografie Die Kinderbuchbrücke beschrieb Lepman ihre Rückkehr ins kriegsverwüstete Deutschland. Als Angehörige der US Army mit Offiziersrang sollte sie sich um die Reeducation von deutschen Frauen und Kinder kümmern. »Lassen Sie uns bei den Kindern anfangen, um diese gänzlich verwirrte Welt langsam wieder ins Lot zu bringen«, sagte Lepman 1945 und organisierte eine Ausstellung der besten Kinderbücher aus aller Welt. So freuten sich die ausgehungerten und verängstigten Kinder im Jahr 1945 über 4.000 Bücher im Münchner Haus der Kunst. Lepman, die von Prominenten wie Erich Kästner, Carl Zuckmayer und der US-Präsidentengattin Eleanor Roosevelt unterstützt wurde, gründete schließlich 1949 in der Münchner Kaulbachstraße die Jugendbibliothek. Eine Besonderheit, die sie sich ausgedacht hatte, beschreibt den liebenswerten Geist dieser Einrichtung: In einer versteckten Nische konnten Kinder heimlich Bücher deponieren, die sie vergessen hatten zurückzugeben.

Seit 1983 residiert die Internationale Jugendbibliothek auf dem geschichtsträchtigen Wasserschloss Blutenburg. Der spätere Herzog Albrecht III. von Bayern (1401–1460) hatte es ab 1431 für seine vergötterte Frau Agnes Bernauer (1410–1435) erbaut. Doch die Liebesgeschichte endete tragisch, denn Albrechts Vater, Herzog Ernst (1373–1438), war die Liaison mit der einfachen Baderstochter ein Dorn im Auge. Er ließ die 25-Jährige bei Straubing in der Donau ertränken.

Betreiber der Internationalen Jugendbibliothek ist eine Stiftung, Zuschüsse kommen von mehreren Bundesministerien, dem Freistaat Bayern und der Stadt München. Das Ziel damals wie heute: mit Kinderbüchern weltweit Brücken bauen und so früh wie möglich die Lust aufs Lesen wecken.

Deshalb befinden sich auf dem Schlossgelände auch eine öffentliche Kinderbücherei sowie ein Mal- und Bastelstudio, das viele Aktivitäten rund ums Lesen anbietet. Die Jugendbibliothek reist weltweit mit Wanderausstellungen zu Buchmessen, in Bibliotheken und Schulen. Von ihrem Stipendienprogramm profitieren jährlich 12 bis 16 Kinder- und Jugendbuchautoren. Die Institution gibt den Empfehlungskatalog The White Ravens mit Neuerscheinungen für Kinder und Jugendliche heraus, konzipiert einen Wochenkalender mit Gedichten für Kinder und verleiht jährlich den James-Krüss-Preis an Kinderbuchautoren.

 

Die Blutenburg beherbergt die Internationale Jugendbibliothek

4  Erotik in der Kaffeetasse

Literaturhaus München

»

Mehr Erotik bitte«: Wer im Münchner Literaturhaus einen Kaffee getrunken hat, könnte diese Worte auf dem Grund der Tasse entdecken. Vielleicht steht auf der Untertasse auch noch »Mehr Sexualität, die Herrschaften«. Beides sind Zitate von Oskar Maria Graf (1894–1967). Der bayerische Romancier ist einer der »Hausgötter« des 1997 eröffneten Literaturhauses am Salvatorplatz – Münchens erste Adresse für Lesungen, Poetry Slams, Literaturausstellungen und Schreibworkshops.

Die Graf-Zitate sind Teil eines von der New Yorker Künstlerin Jenny Holzer geschaffenen Denkmals zu Ehren des Autors, das ins Haus integriert ist. Seine Aussprüche finden sich in der hauseigenen Brasserie OskarMaria auch auf den Tischsets aus Papier, dem elektronischen Spruchlaufband über der Bar, den Rückenlehnen der Sitzbänke sowie den Granittischen vor dem Haus.

Während im Erdgeschoss neben der Brasserie aktuelle Ausstellungen, meist zu literarischen Themen und Autoren mit Münchenbezug, zu finden sind, beherbergt der ehemalige Turnsaal der einstigen Mädchenrealschule – der ersten in Bayern – ein Stockwerk höher eine kleine Bibliothek. Hier oder im großen Saal finden sich fast täglich renommierte Schriftsteller aus dem In- und Ausland zu Lesungen ein. Außerdem haben Institutionen wie der Landesverband Bayern im Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Gebäude ihre Büros. Mit seiner Bayerischen Akademie des Schreibens bietet das Literaturhaus Seminare für junge Autoren an.

In den 90er-Jahren wurde der renovierungsbedürftige Renaissancebau vom Architekturbüro Kiessler + Partner mit einer Stahl-Glas-Konstruktion versehen. Dadurch erlaubt nun die Glasfront im obersten Stock den Blick auf ein Münchner Wahrzeichen, die Theatinerkirche mit ihren bauchigen Kuppeln. Wer diese Etage betritt, wird von einem mächtigen Braunbären begrüßt. Der ausgestopfte Petz erinnert an Thomas Mann (1875–1955), den zweiten »Hausgott« des Literaturhauses. Das Tier stand bis zur Emigration des Literaten 1933 in dessen Haus an der Poschingerstraße. Die Familie Mann hatte ihn von Verwandten aus Sankt Petersburg geschenkt bekommen. Thomas Mann verewigte ihn im Roman Buddenbrooks, wo ein Pastor der Familie zur Taufe des jüngsten Sohnes Hanno den ausgestopften Meister Petz mitbringt.

5  Die Technik macht’s

Bibliothek des Deutschen Museums in München

Im Deutschen Museum gibt’s viel zu bestaunen: den vergrößerten Nachbau einer menschlichen Zelle, das erste Motorflugzeug der Gebrüder Wright, den Computer-Urahn namens Z3 von Konrad Zuse, Nachbildungen der Deckenmalereien der spanischen Altamira-Höhle und vieles, vieles mehr. Aber für Bücherfreunde ist die Entdeckungsreise durch das umfangreichste Technikmuseum der Welt nur das Vorspiel: Sie schlendern vom Ausgang aus schnurstracks über den Hof. Dort bewachen die Steinreliefs eines Greifen, einer Sphinx und weiterer Fabelwesen das Portal zu Deutschlands größter Museumsbibliothek.

950.000 Bände werden hier aufbewahrt. Was Erfinder gedacht, Wissenschaftler ersonnen, Tüftler ausprobiert und Ingenieure konstruiert haben, liegt zum Nachlesen bereit. Darunter auch seltene Abhandlungen des Universalgelehrten Albertus Magnus oder des Mathematikers Leonhard Euler. The Book of Perfumes des Meisterparfümeurs Eugène Rimmel von 1865 gehört ebenso zu den Schätzen der Bibliothek wie Louis Daguerres Abhandlung Historique et description von 1839, welche die Fotografie mitbegründete. Auch Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst (1889) von Otto Lilienthal ist zwischen diesen Mauern zu finden. Sowie die Liebesbriefe des Flugpioniers an seine spätere Frau Agnes Fischer. Denn außer Büchern und 16.000 älteren, oft vergriffenen Zeitschriften beherbergt das Gebäude von 1933 ein riesiges Spezialarchiv mit 300 Nachlässen: zum Beispiel den des Physikers Ferdinand Braun oder der Fliegerin Hanna Reitsch.

Angemeldete Nutzer können in Patentschriften, Firmenkatalogen, Gebrauchsanweisungen, Musterbüchern und Brückenbauplänen blättern. Ganze Firmenarchive – etwa der Luftfahrtunternehmen Junkers und Heinkel – liegen hier, außerdem Dokumente zum Atomprogramm der Nationalsozialisten und das Laborjournal Otto Hahns mit der Entdeckung der Kernspaltung.

Das Bibliotheksgebäude wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt – die Bücher blieben jedoch unversehrt. Heute gelten die beiden Lesesäle auf der Museumsinsel als Geheimtipp für Studierende und Wissenschaftler, die in Ruhe arbeiten und aktuelle Fachzeitschriften lesen wollen. Jährlich 40.000 Nutzer zählt die Bibliothek, die Dokumente auch weltweit per Fernleihe und vielfach digital verfügbar macht.

 

6  Zuerst brannten die Bücher

NS-Dokumentationszentrum München

Blick in die Bibliothek der verbrannten und verbannten Bücher im NS-Dokumentationszentrum München

Prasselnder Regen hielt sie nicht ab. Grölend marschierten sie zum Königsplatz, wo 50.000 Schaulustige warteten. Zwischen den antikisierenden Prachtbauten warfen die Hitler-Anhänger Bücher pazifistischer, jüdischer und sozialistischer Autoren ins Feuer. Die Bücherverbrennung der Deutschen Studentenschaft lief am 10. Mai 1933 in rund 100 deutschen Städten ab. München als Ort des gescheiterten Hitlerputsches von 1923, Gründungsort der NSDAP und laut den Nazis »Hauptstadt der Bewegung« durfte da nicht fehlen. Die Bücher von Anna Seghers, Erich Maria Remarque, Erich Kästner und vielen anderen gingen in Flammen auf.

Werke dieser Autoren sind heute im Untergeschoss des NS-Dokumentationszentrums am Königsplatz zu sehen. Die Bibliothek der 12.000 verbrannten und verbannten Bücher hat der Sammler Georg P. Salzmann zusammengetragen und 2009 an die Uni Augsburg verkauft. Eine Auswahl ist im Lernforum des Zentrums ausgestellt.

Die 2015 eröffnete Einrichtung am Ort der NS-Parteizentrale zeichnet den Weg in die Hitler-Diktatur nach. Fotos, Dokumente und Medien erläutern auf 1.000 Quadratmetern, welche Rolle München dabei spielte: Im benachbarten Führerbau, heute Hochschule für Musik und Theater, trafen Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien 1938 das Münchner Abkommen zur Annektierung des Sudetenlands. Propagandaminister Joseph Goebbels rief in einer Hetzrede am 9. November 1938 im Münchner Rathaus zu Übergriffen auf Juden auf und löste die Pogromnacht aus. Das Konzentrationslager im nahen Dachau diente als Blaupause für die europaweiten NS-Vernichtungslager. Aber auch die Widerstandsbewegung Weiße Rose wirkte hier.

Die Schau thematisiert die Rolle der Schriftsteller im »Dritten Reich«: Nur wer Mitglied in der Zwangsorganisation Reichskulturkammer war, durfte publizieren. Etliche Münchner Künstler emigrierten – wie Thomas Mann. Andere passten sich an – wie der Intendant der Münchner Kammerspiele, Otto Falckenberg. Manche bejubelten das Regime – so zunächst auch der Volkssänger Weiß Ferdl.

W