Berliner Zwischen Welten - Michael Jordan - E-Book

Berliner Zwischen Welten E-Book

Michael Jordan

4,8

Beschreibung

Was macht eigentlich ein Engel den lieben langen Tag? Wie regelt man seine Steuerrückstände unkonventionell? Wann gibt es endlich Joghurts mit Fischgeschmack? Haben Sie auch Vorsätze für jedes neue Jahr? Ist das Speisen in gediegener Atmosphäre dem Fast Food vorzuziehen? Warum gilt der Autor dieses Buches als Erfinder des "Small Talks"? Und seit wann können Nieren tanzen? Antworten darauf und anderes Zynische in diesem Buch. Mit Texten über und aus Berlin. Nicht nur für waschechte Berliner, auch für ungewaschene und den Rest der Welt.

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Inhaltsverzeichnis

Skurril oder wahr?

Probleme und Lösungen

Steppende Nieren

Tramping

Löffelglück

Engelei

Aufreger

Aufregend erregend

Der Wert der Arbeit

Berlin, Sex and Drugs & Rockn Roll

Grüne Triebe

Neuwörters

Mobile Sex-App

Vorsätze

Sex and Crime in Tempelhof

„Gedichte“

Wünsche

Muttertag

Fernab

Preis

Wahl

Schockstarre

Bunte Kreisel

Der Augenblick

Gejagt

Shopping

Tischgedanken

Berlin

Kreuzberger Gedanken

Stangerbad

Straßenkampf

Letzte Worte

Stationen

Anekdoten

Bus

Verbunden

Vorfreude

Schaut mal

Hilfe, Polizei!

Pause

Garage

Lenkfreuden

Leckereien

Aids

Genuss

Spiegel

Werbe-Ausklang

Luzie und Sophie: Theater

Skurril oder wahr?

Ich freue mich, dass Sie mein Buch in Händen halten und bin festen Glaubens, dass es keine dezentralisierte Sicherheitskopie ist, sondern vielleicht sogar echtes Papier!

Wer nicht selbst schreibt, kann sich wahrscheinlich keine Vorstellung davon machen, welcher Arbeitsaufwand dahinter steckt. Darum hab ich mal die Geburtsdaten der Texte mit angegeben. Auch, wenn` s nichts über die tatsächliche Arbeitszeit aussagt. Aber egal.

In dieser ersten Rubrik finden sich fünf recht verschiedene Texte.

Probleme und Lösungen erschien 2006 als einer der Gewinnertitel für die Anthologie:

Der Tod aus der Teekiste (Schreiblust-Verlag) mit sehr skurrilen Texten.

Natürlich, wie fast alle Texte im Buch, von mir in diesem Jahr überarbeitet.

Etwas bizarr und für Freunde des schwarzen Humors gedacht.

Mit Steppende Nieren hab ich 2005 begonnen. Ebenso bizarr, aber sehr viel zynischer, vieles davon leider wahr.

Klar - komplett überzogen! Andererseits vielleicht doch nicht.

Ganz anders der Text: Tramping. Dieser stammt aus 2016 und ist nur eine einfach erzählte, schöne Erinnerung an einen Urlaub.

Der gesponnene Löffelglück-Text stammt aus 2010. Vielleicht. Wahrscheinlich früher.

Im Laufe der Zeit haben sich zu viele Texte angesammelt, so dass es schwerfällt, sich an genaue Entstehungsdaten zu erinnern.

Löffelglück ist aus einer Art Ärger entstanden, aber ganz anders, als der Nierentext. In der Zeit der Entstehung war ich besonders extrem von der allgemeinen, geistlosen Werbung genervt.

Wie man sicher beim Lesen bemerken wird.

Der letzte Text in dieser Rubrik - Engelei - entstand 2015.

Er stand auch Pate für das Cover, symbolisiert den Titel des Buches und ist FAST erotisch!

Ich hoffe, dass ich die meisten Fehler in diesem Buch eliminiert habe. Wenn einer gefunden wird: teilt es mir mit!

Oder schickt mir Eure Kommentare - negativ oder viel lieber natürlich positiv - an:

[email protected].

So, jetzt viel Spaß beim Lesen!

Mit der Gewissheit, dass die Geschichtentexte besser sind als meine Vorworte.

Michael Jordan

Probleme und Lösungen

Werner Proll konnte man als einen typischen Verlierertypen bezeichnen:

Sein bester Freund war seit langem der Alkohol, das Haus war nicht abbezahlt und die Wettleidenschaft unseres Arbeitslosen war größer als sein Glück.

Wo seine Frau steckte, konnte er nur ahnen. Verabschiedet hatte sie sich nicht.

Er vermutete, dass sie jetzt einem ihrer zahlreichen Liebhaber auf den Keks ging.

Wenigstens ließ ihn dieser Umstand in Ruhe fernsehen.

Proll musste laut lachen, verschüttete dadurch wertvollen Gerstensaft. Es lief ein Beitrag über Probleme. Welch passendes Thema!

Das viele Bier machte ihn langsam duselig im Kopf, wodurch seine Aufmerksamkeit nachließ und er schläfrig wurde. Bald drangen nur noch ab und an Wortfetzen zu ihm durch.

Als er vom Läuten der Türklingel aufschreckte, stellte Proll fest, dass er eingenickt war.

Fluchend raffte er sich auf, ging zur Tür und öffnete.

„Guten Tag!“, sagte ein untersetzter Mann im schwarzen Anzug und fuhr fort:

„Mein Name ist Günter Huber. Sind Sie Werner Proll?“

„Ja“, kam die misstrauische Antwort.

Der Kleine überlegte einen kurzen Moment, machte einen Schritt auf Proll zu, holte aus, schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht und riss dabei mit seiner goldfarbenen Uhr einen Fetzen Haut aus Prolls Gesicht.

Werner Proll fiel nach hinten auf den Boden. Der Mann setzte einen Fuß auf seinen Hals.

„Ich wollte Sie an Ihren Rückzahlungstermin erinnern!“, mahnte Huber und erhöhte den Druck auf Prolls Kehle. Als dieser anfing Sterne vor den Augen tanzen zu sehen, löste Huber seinen Fuß, drehte sich um und ging wieder zur Tür hinaus. „Ich komme wieder!“, meinte er noch kurz.

„Ungelöste Probleme fressen einen auf!“, rief es in Proll. „Scheiß Fernsehen!“

Er stand taumelnd auf und trat gegen die Haustür, die geräuschvoll ins Schloss flog.

Immerhin hatte ihm der Schlag den Alkohol aus dem Kopf getrieben. Er dachte an den Zahlungstermin und die Konsequenzen bei Nichteinhaltung.

Da fiel ihm ein, dass er schon einmal überlegt hatte, sich einen Untermieter ins Haus zu nehmen. Das würde bedeuten, dass er mit der Mietkaution beim Pokerspiel sein Geld zurückgewinnen könnte.

Am nächsten Tag schaltete Werner Proll eine Annonce.

Unmittelbar nach Erscheinen des Inserates rief ein erster Interessent an. Ihm schien es auf die Kosten nicht anzukommen, war aber am Telefon nur schwer zu verstehen, weshalb Proll mit ihm schnell einen Termin für denselben Tag ausmachte.

Pünktlich zwei Stunden später klingelte es an der Tür.

„Olaf Rau, sehr angenehm“, stellte der Mann sich näselnd vor.

Dieser Kerl war Proll sofort unsympathisch.

Er schien relativ jung zu sein, hatte so ein behaartes Äußeres – übermäßig viele Haare im Gesicht und auf den Handrücken - und eine abartig tiefe, nuschelnde Stimme, die nicht viel verständlicher als am Telefon war.

Aber ok, die jungen Leute von heute hatten nun mal eine seltsame, eigene Sprache.

Am schlimmsten jedoch empfand Proll den stechenden Blick aus gelblichen Augen.

Trotzdem bat er diesen Olaf Rau – eine Ausgeburt an Langsamkeit – höflich herein.

Schließlich war sein Geld so gut wie das jedes anderen.

Während Proll ihm das Souterrain des Hauses zeigte, den Teil, den er vermieten wollte, trieb er Miete und Kaution in die Höhe.

Olaf Rau amüsierte sich dabei wie ein Kind, willigte begeistert in alles ein, zahlte die erste Miete plus Mietkaution sofort in bar und zog augenblicklich ein.

Proll freute sich über das Bargeld seines seltsamen, schon etwas unheimlichen Untermieters.

Die ersten Tage bekam er ihn kaum zu Gesicht, hörte nur manchmal seinen schleppenden Gang und sein röchelndes Lachen, wenn im Fernsehen ein Trickfilm lief. Noch so ein TV – Junkie …

Einige Zeit später erschien wieder Günter Huber, um das ausstehende Geld einzutreiben.

Huber erhielt einen Teil des Betrages, mit dem er jedoch nicht einverstanden zu sein schien.

Er drängte Proll ins Haus, schloss die Tür hinter sich und zog einen Schlagstock aus der Tasche. Voll Panik griff Proll nach dem nächstbesten Gegenstand und schlug zu. Der Schlag gegen den Kopf des Geldeintreibers hinterließ ein tiefes Loch. Günter Huber glotzte ein letztes Mal ungläubig und sackte dann zu Boden. Es sah nicht so aus, als würde er noch einmal von allein aufstehen.

Proll hoffte, dass er seinen Untermieter nicht aufgeschreckt hatte.

Er holte schnell einen großen Sack, zog unter lautem Knarzen den Gegenstand aus Hubers Kopf, stopfte mit Schweiß auf der Stirn die Leiche in den Sack und schleppte sie in den Schuppen hinter dem Haus. Dort sollte sie bleiben, bis ihm etwas Besseres bei ein, zwei guten Flaschen Bier einfiel.

Diese vertrackte Situation und die helle Sommernacht ärgerten Proll.

In der Dämmerung und nach vier Flaschen Bier wagte er sich schließlich mit einer

Taschenlampe erneut ins Freie, darauf hoffend, nicht gesehen zu werden.

Vorsichtige Blicke nach links und rechts – die Luft war rein und Proll konnte im Halbdunkel zum Schuppen huschen.

Beim Öffnen der Schuppentür knarrte es in die Stille hinein. Er merkte sich ein paar Tropfen Öl vor. Ein zweiter Gedanke kam ihm, als er den Leichensack nicht entdecken konnte, trotzdem er mit seiner Taschenlampe alles ausleuchtete.

Er sollte vielleicht auch ein Schloss an der Tür anbringen.

Für ihn gab es nur eine Erklärung: Günter Huber war nicht tot und würde sicherlich bald zu ihm zurückkehren, um sich zu rächen.

Proll zitterte und ging rückwärts aus dem Schuppen.

Als er sich umdrehte, stand sein Untermieter Olaf vor ihm.

„’Nschöneabnd, nichwa!“, zischelte dieser und grinste dabei ins Taschenlampenlicht.

Proll überkam in diesem Augenblick eine große Übelkeit.

Seinen Untermieter hatte eine Furcht einflößende Blässe überzogen, die Augenfarbe erinnerte nun fast an Eiter und in seinem Gesicht schienen sich die Spuren eines Kampfes zu zeigen.

Werner Proll dachte an seinen Bierkonsum, den er vielleicht reduzieren sollte.

Mit zittriger Stimme wünschte er ihm auch einen schönen Abend und verabschiedete sich sofort und wahrscheinlich recht undiplomatisch.

In dieser Nacht konnte Proll keinen Schlaf finden.

Der hätte vermutlich sowieso nur Albträume gebracht.

Als endlich die Sonne aufging, frühstückte er rasch eine Flasche Bier und ging zum Schuppen, um sich noch einmal umzuschauen. Entdecken konnte er nichts.

Der Tag zog sich träge dahin. Unruhe bereitete ihm Magenschmerzen und das Fernsehprogramm konnte ihn nicht ablenken.

Proll musste zu diesem Olaf, musste herausfinden, ob er etwas mitbekommen hatte. Er nahm sich vor, heute Abend zu ihm zu gehen – nachbarschaftlich mit ein paar Flaschen Bier.

Gegen zwanzig Uhr stieg er die Treppen ins Souterrain hinunter.

Sein Untermieter hätte ihn bemerken müssen, denn das Klirren der Bierflaschen und die Schritte auf den Stufen waren laut genug.

Dass er es nicht tat, verriet seine Reaktion. Er saß auf einem Sessel dicht vor dem Fernseher, sein Kopf ruckte herum, irgendeine sämige Flüssigkeit rann aus seinen Mundwinkeln und sein Grinsen war nicht ganz so breit wie gewohnt.

Als Proll seinen Blicken auswich und zu Boden sah, störte ihn etwas. Es war ein Arm, den eine goldene Uhr zierte. Ein Knochen ragte aus einem Ende des Armes hervor. Prolls Blick richtete sich wieder auf Olaf.

Dessen Augen leuchteten vor Freude. Er grinste breiter und nickte ihm wie um Anerkennung bettelnd zu.

Proll wusste nicht, ob er nun erleichtert oder schockiert sein sollte, nickte aber vorsichtig zurück.

Was für eine Situation!

Da saß dieser Typ in seinem Souterrain, sich ergeifernd an dümmlichen Trickfilmen, umgeben von Stapeln säuberlich aufgetürmter Knochen und lächelte ihn an.

„Mein Untermieter frisst meinen Toten! Und zahlt dazu noch Miete!“, dachte Proll. Sein Magen konnte sich mit der neuen Situation nicht anfreunden und begann erneut zu rebellieren.

Olafs Nuscheln war unverständlich. Es sollte wohl etwas Mitleidiges sein. Er nickte dabei beständig und steckte ermutigend einen Daumen in die Höhe.

Proll brachte nur ein krächzendes „Ja, ja!“ heraus, drehte sich langsam um und ging wieder hinauf, um sich zu übergeben.

Auch in dieser Nacht wälzte er sich im Bett hin und her.

Zwei Tage vergingen, an denen Proll sich auf dem Sofa fläzte und Unmengen von Bier in sich hinein kippte. Olaf hatte er seit jenem Abend nicht mehr gesehen.

Am dritten Tag nach Null wurde Proll wieder einmal vom Türklingeln aufgeschreckt. Von Müdigkeit geschwächt, ging er schleppenden Schrittes zur Tür. Gleichzeitig vernahm er aus dem Souterrain schlürfende Geräusche.

Olaf schien das Klingeln gehört zu haben und kam langsam die Treppe herauf. Als er neben Proll stand, öffnete dieser die Wohnungstür.

Der Kerl, den er erblickte, hätte Günter Hubers Bruder sein können: klein, untersetzt, schwarzer Anzug.

Während sich der Huberklon vorstellte und nach seinem Namen fragte, sah Proll nach kurzem Zögern Olaf an und nickte kaum merklich.

Olaf grunzte laut, machte einen Schritt aus dem Schatten der Tür nach vorn, packte den verblüfften Kerl am Hals und brach ihm beim Hereinziehen hörbar das Genick.

Proll schloss schnell die Tür und klopfte Olaf dankbar auf die Schulter.

Dieser schulterte den Geldeintreiber und trug ihn hinunter in seine Behausung.

Einen Moment stand Proll noch an der Treppe und blickte ihm hinterher.

Vielleicht sollte er ihn in einer dieser TV-Shows anmelden, dieser Container-Show zum Beispiel, mit diesen ganzen anderen

sabbernden Gestalten, dachte er. Er würde nicht auffallen und bestimmt mit Geld überhäuft werden.

Als Olaf dem Toten einen Arm abriss und sich ein Stück davon in den Mund schob, beschloss Proll, sich wieder auf das Sofa zu legen und erstmal eine Flasche Bier zu leeren.

Mit der Zeit wurde Proll gelassener. Die nächsten Schuldeneintreiber schickte er direkt ins Souterrain. Und auch der Mann vom Finanzamt hatte ihn zum letzten Mal gestört. Er ließ nun immer Musik laufen, damit ungebetene Besucher nicht von Olafs schlürfenden Schritten oder seinem Gegrunze beim Speisen oder Fernsehen abgelenkt wurden.

Da der aufdringliche Mensch von der GEZ ausgerechnet kam, als Olaf genau 3 Monate sein Untermieter war, bat Proll ihn zunächst in seine Küche, gab vor, ein Formular unterschreiben zu wollen, servierte ihm dabei jedoch diverse Köstlichkeiten, bevor er ihn ins Souterrain schickte.

Sicher würde Olaf diese Füllung zum kleinen „Jubiläumsstag“ zu würdigen wissen …

Das mit seiner Frau, die eines Tages plötzlich in der Tür stand, nahm er Olaf allerdings ein wenig übel. Er erreichte kurz vor Proll die Tür und brachte Frau Ex-Proll mit einer knappen, gezielten Bewegung in Ruhelage. Da Proll aber langsam die Eintreiberspeisungen ausgingen und die Vorräte im Souterrain einen Tiefstand erreicht hatten, senkte er seine Augenlider und deutete ein Nicken an.

Überhaupt hatte sich Olaf weiter sehr zu seinem Nachteil entwickelt. Seine Bewegungen wurden immer abgehakter, sein Aussehen ähnelte mehr und mehr eher dem eines Tieres. Dazu passten auch die Geräusche, die ehemals Sprache waren. Proll wunderte sich, denn die Nahrung war meist frisch und enthielt sicherlich genug Mineralien und Spurenelemente.

Er schob es auf das Fernsehen.

Proll hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, all die unverdaulichen Wertgegenstände der Verblichenen an sich zu nehmen. Zum Beispiel die Ringe seiner Ex-Frau, die wollte er sich jetzt holen und ging die Stufen hinab.

Trotz Olafs Veränderung, eines konnte Proll ihm nicht nachsagen: Die hohe Kunst der Lagerung und Sortierung von Speisen und Speiseabfällen. Heute jedoch stolperte er über einen herumliegenden Knochen, segelte die Treppe hinunter und brach sich unter Schmerzensschreien ein Bein.

Mindestens.

Olaf verfolgte den Sturz mit ausdruckslosem Gesicht. Erst als Proll auf dem Boden lag, begann er zaghaft zu grinsen. Er erhob sich, warf noch einen Blick auf den flimmernden Fernseher und bewegte sich langsam auf seinen Vermieter zu.

Nickend, grunzend und grinsend.

Proll wurde schlecht.

Olaf war nun fast bei ihm. Proll konnte bereits Magenknurren hören.

„Jedes ungelöste Problem frisst einen eines Tages auf!“, schoss es ihm durch den Kopf.

Proll lachte.

Erst leise, dann lauter und schließlich hysterisch.

Tränen der Angst vor der Pein der ersten Bisse liefen über seine Wangen.

Als Letztes sah Proll noch Olafs Daumen, den er grinsend in die Luft hob …

Steppende Nieren

Sechs Monate hatte ich eingesessen, weil ich dem Staat mal wieder einen Dienst erwiesen hatte.

Eine zu kurze Zeit für mich, denken Sie? Egal, wofür?

Dem Staat einen Dienst erwiesen?

Die Strafe war halt angemessen.

Ich hatte ja nicht falsch geparkt, war nicht bei Rot über die Straße gegangen, oder hatte nachts zu laut Musik gehört.

Und im Grunde ist es im Knast besser, als in einem unserer Pflegeheime.

Nur dass man sich in ersterer Lokalität auf das tägliche Pudern verlassen konnte.

Ich trat durch das riesige, eiserne Tor hinaus auf die Straße, sog die verstaubte Luft in mich hinein und wich erfolgreich einer halbvertrockneten Hinterlassenschaft auf dem Gehweg aus.

Manche Dinge ändern sich eben nie.

Um es kurz zu beschreiben und Ihre Neugier zu befriedigen: Ich hatte die Mission, unter anderem Lösungen für das derzeitige Arbeitslosenproblem zu finden. Also Geringverdienern Möglichkeiten zu bieten, ihr armseliges Salär aufzubessern. Was zwar an deren Situation grundsätzlich nichts ändern, aber diesem Pöbel einen Maulkorb verpassen würde. Denn das Einkommen würde dann zwar kaum höher sein, aber – erst einmal in Lohn und Brot gebracht – wäre keine Zeit mehr für die Malocher, dagegen aufzubegehren.

Das war – grob gesagt – die kurze Beschreibung meines hervorragend bezahlten Jobs mit dem kleinen Makel eines unvermeidlichen, relativ kurzen Einsitzens, welches man auch als symbolisch bezeichnen könnte.

Die Regierung war es schlicht leid, Statistiken ständig den Gegebenheiten anpassen zu müssen und je nach Bedarf zu verbiegen. Sich Woche um Woche neue Rechtfertigungen auszudenken.

Was ich hiermit niemals gesagt habe!

„Traue keiner Statistik, welche du nicht selber gefälscht hast!" Soll Winston Churchill mal gesagt haben. Und bei ihm war man ja in guter Gesellschaft.

Mal ehrlich: Haben Sie sich nie darüber gewundert, dass die Arbeitslosenzahlen ständig sinken, Sie aber immer mehr Menschen in Ihrem Umfeld haben, die ihren Job verlieren oder trotz Arbeit, vielleicht sogar in mehreren Jobs, kaum noch Geld und Zeit haben?

Höchstens, um wegen aufstockender Leistungen die Ämter zu bekriechen?

Nun ja, mein Lösungsversuch jedenfalls war revolutionär.

Zumindest für einen kurzen Zeitraum.

Unter dem Vorwand von Mündigkeit und Selbstverantwortung hatte man das Heer der Arbeitslosen sich selbst überlassen. Sie agierten nun in Eigenverantwortung, waren für sich selbst verantwortlich, mussten in regelmäßigen Abständen interne Wahlen abhalten, sich verwalten und erhielten Gelder vom Staat, welches sie auf ihre Leute verteilen mussten. Verbunden mit allen notwendigen Kontrollmaßnahmen.

Schon war der größte Ärger damit auf ein paar Dumme verteilt.

Und man konnte den Wegfall einiger Instanzen durch das Schaffen neuer, besser bezahlter Stellen für die Kontrollinstanzen kompensieren. Eine Krähe hackt der anderen nun mal kein Auge aus …

Eigentlich ein bekanntes Vorgehen.

Dienstleistungen kostengünstig auszulagern wird schon seit geraumer Zeit durchgeführt und wird im Wirtschaftssystem auch dauerhaft verankert bleiben.

Das merken Sie zum Beispiel spätestens, wenn Sie versuchen, eine Bedienungsanleitung zu verstehen, die - da preiswerter für die Firmen - von einer frustrierten Hausfrau zwischen Bügeln und unterbezahltem Vollzeitjob erstellt wurde. Und Sie sind daran ja auch mitschuldig, wenn Sie ständig nach dem Preiswertesten jagen, um es erst dann zu kaufen.

Aber zurück zur Sache.

Um diese Regelung der Pseudo-Autarkie durchsetzen zu können, mussten natürlich auch Gelder fließen, die nicht in den Büchern erschienen.

Aber dieses Vorgehen kennen Sie ja auch.

Hier mal ein kleines Landhausurlaubssponsoring in der Karibik, eine Spende für die Parteikasse oder ein Job beim BER-Flughafen. Könnte man seitenweise fortsetzen.

Eine undichte Stelle im System ließ diese Aktionen auffliegen. Undicht in dem Sinne, dass jemand schwatzhaft wurde, weil er von anderer Seite noch besser geschmiert wurde.

Letztlich nicht so schlimm, denn diesbezügliche Strafen fürs Ertappt werden wurden seit jeher von allen Parteien und Gerichten wohlweislich gering gehalten, da man ja in diesem Wirrwarr selbst irgendwo involviert sein könnte und eine detailliertere Untersuchung vielleicht auch den eigenen Job und die Immobilien im Ausland kosten könnte.

Je höher der Betrug und das Ansehen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, selbst irgendwo beteiligt zu sein und dementsprechend niedriger fiel die Strafe aus.