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Majas Leben gerät in eine komplizierte und aufregende Phase, als sie auf der Vernissage Kolja trifft und der sie für seine Arbeit gewinnen möchte. Zeitgleich tritt sie das Erbe ihrer Großmutter, am Meer, an. Sie ist überwältigt von den Geheimnissen, die sich dahinter verbergen. Um die Schleier der Affäre zu lüften, bleibt ihr keine andere Wahl, als Koljas Angebot anzunehmen. Die Angst vor der Enthüllung ihrer wahren Identität katapultiert sie in gefährliche Situationen. Die Frage, ob Kolja sie aufrichtig liebt, oder den Geist der Vergangenheit, den sie verkörpert, beschäftigt sie. Maja steht vor einer schwierigen Entscheidung, die ihr Leben grundlegend beeinflussen wird.
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Seitenzahl: 259
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Bernsteinfunkeln
Band 4
Inselgeheimnisse der Liebe
Torine Mattutat
Bernsteinfunkeln
Inselgeheimnisse der Liebe
1. Auflage Refresh August 2024
Bisher erschienen:
Bernsteinfunkeln Dieses Mal für immer? Refresh 05/2024
Bernsteinfunkeln Kopfüber Refresh 06/2024
Bernsteinfunkeln Lebensplan Liebe/Herzgestöber Refresh 07/2024
Einen großen Dank an Renee und Virginia, an Sanne, Hannah und Bea.
Ich danke euch von Herzen für die Unterstützung.
Text © Copyright Torine Mattutat
Covergestaltung © Dream Design – Cover and Art
mit Motiven von www.shutterstock.com
Hintergrundbild © Copyright www.UweKantz.de Prerow
Lektorat © Copyright Lektorat WortLust
Korrektorat Heike Susanne Przybilla, Hannah Milou, Beatrice B.
www.TorineMattutat.de
Impressum Torine Mattutat
c/o Thomas Schütt, Triftstr. 4, 17506 Gützkow
Distributor: Neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Dies ist das vierte Buch der Reihe Bernsteinfunkeln.
Die Bernsteinfunkeln-Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.
Jeder Roman ist in sich abgeschlossen.
Disclaimer – Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, oder gleichartige Verwendung ist strengstens untersagt.
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Die Stadt Boernsteen ist fiktiv.
Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Markennamen, sowie Warenbezeichnungen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum der rechtmäßigen Besitzer.
Übersetzung Plattdeutsch – Hochdeutsch
Lütte - kleines Mädchen
Wruke - Steckrübe, norddt. als Kosename benutzt für kleines Mädchen
Lütter - kleiner Junge
Schietmatz - kleiner Junge/kleines Kind
mien Diern- mein Mädchen
Schlunze - Schlampe, norddt., salopp abwertend
Likedeeler - Kaperer und Piraten der Ostsee,
die Vitalienbrüder teilten ihre Beute auf
Köm - norddeutscher Kümmelschnaps
1. Unerwartete Post
„Nicht schon wieder diesen alltäglichen Dutt.“ Esther atmet geräuschvoll aus.
„Wie meinst du das?“ Majas Stirn bildet Falten. Sie steht im Badezimmer vor dem Spiegel und versucht, ihre langen Haare zu bändigen.
„Zu besonderen Events solltest du deine Haare offen tragen.“ Schon hat Esther das Satinband gelöst, welches Maja um den Dutt gelegt hat. Gekonnt dreht sie die Bürste aus Majas Hand und fuhrwerkt in der dicken lockigen Mähne ihrer Freundin.
„Ich würde sie an deiner Stelle so frisieren.“ Esther tritt einen Schritt zur Seite, sodass Maja ihr Spiegelbild betrachten kann.
Sie öffnet den Mund, um ihre Bewunderung auszudrücken, da klingelt es an der Tür.
„Erwartest du Besuch?“, fragt Esther.
Maja schüttelt den Kopf. „Unmittelbar vor dem großen Dinner? Auf keinen Fall!“
Inzwischen ist sie bei der Badtür, sie blickt noch einmal zu Esther. „Ich werde den Störenfried verscheuchen“, flüstert sie. Mit einem Luftküsschen dreht sie sich um und ist mit zwei Schritten bei ihrer Tür, um Kontakt über die Wechselsprechanlage aufzunehmen.
„Ja, bitte?“
„Guten Tag, hier ist die Post, ich habe ein amtliches Einschreiben für Sie und benötige eine Unterschrift.“
„In Ordnung, würden Sie bitte in die erste Etage kommen?“, fragt Maja und betätigt den Türsummer. Dabei geht ihr der Gedanke durch den Kopf, dass niemand sie in so vielen erbärmlichen Zuständen kennt wie die Postboten. Sie öffnet ein kleines bisschen die Tür und schaut nur mit dem Kopf vorsichtig auf den Flur. Die Postbring-Susi lächelt sie an, als Maja die Tür ein Stück weiter aufmacht und im Bademantel vor ihr steht. Sie übergibt den weißen Fensterumschlag mit einem Lächeln.
Maja erklärt entschuldigend: „Wir wollen gleich zu einer Vernissage ins Museum – ich bin bei der Vorbereitung“, sie greift nach dem Touchpen und bestätigt den Empfang.
Die Postmieze steckt den Scanner wieder weg, sieht zu Maja und wünscht ihr lächelnd einen tollen Abend. Bevor Maja sich bedanken kann, ist sie schon die Treppe runter.
Esther steht vor dem Spiegel und korrigiert ihre Augenbrauen. „Na, wer war es?“
„Die Post. Ich bekam ein Einschreiben.“
Maja setzt sich auf den Hocker, den sie zum Stylen extra ins Bad gestellt hat, und knibbelt vorsichtig an dem Kuvert, um es nicht zu zerfetzen.
„Oh, ein Termin zur Verlesung eines Testaments“, murmelt sie und liest weiter.
„Wer ist denn gestorben?“ Esther beugt sich über den Umschlag und hofft, kopfüber etwas entziffern zu können.
Maja dreht den Kopf von links nach rechts und schaut zu Esther.
„Hier steht, dass ich das im Testament vorgesehene Alter erreicht habe, und nun das Erbe von meiner Großmutter antreten kann.“
„Du hattest eine Großmutter?“
Maja fasst sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Wer denn nicht?“
„Kanntest du sie? Die Mutter von deinem Vater oder deiner Mutter?“
Maja lacht kurz auf. Abwertend stöhnt sie: „Von meinem Vater! Den kenne ich nicht, geschweige seine Eltern! An meine Oma Alwine erinnere ich mich nur in Schwarz/Weiß. Sie und meine Mutter haben sich böse zerstritten, bevor ich eingeschult wurde. Die wird es nicht einmal wissen, dass ich mit einem Erbe bedacht bin.“ Maja atmet tief ein. „Und es wird sie nicht interessieren, sie lebt doch mit ihrem Golfclubbesitzer in Spanien.“
„Ob sie auch etwas geerbt hat?“
Maja lächelt vage. „Wenn, dann nachdem meine Großmutter vor fünfzehn Jahren verstorben ist – sie war nicht einmal zur Beisetzung oder hat mir Bescheid gegeben, also gehe ich nicht davon aus, dass sie geerbt hat.“
Esther nimmt ihre Freundin vorsichtig in den Arm und fragt: „Wann hast du den Termin?“
Erschrocken schaut Maja hoch. „Morgen um elf!“
„Bleibt es heute Abend bei der Vernissage oder bist du jetzt kopflos?“
Maja windet sich aus der Umarmung und steht auf. Kerzengerade stellt sie sich ins Bad und blickt zu ihrer Freundin.
„Natürlich bleibt es dabei! Ich freue mich seit Wochen darauf!“ Dann grinst sie unverschämt: „Außerdem sagt mein Monatshoroskop, dass ich meinen Prinzen kennenlernen werde, und ich hoffe auf heute Abend.“
Esther lacht. „Natürlich, dein Monatshoroskop in deinem Geburtsmonat wird dir nichts Schlechtes voraussagen. Vielleicht ist es auch der Notar.“ Esther lacht.
„Nie nicht! Welcher Justiziar interessiert sich schon für eine kleine Magdeburger Grundschullehrerin?“
„Sag sowas mal nicht zu laut! Wir sollten dann jetzt mal durchstarten mit unserer Verschönung.“
Esther legt beide Hände auf die Schultern ihrer Freundin und drückt sie leicht auf den Hocker. „Wie hast du dich entschieden wegen deiner Haare?“
Maja kneift die Lippen zusammen und nickt. „Ja, ich gebe dir recht, stecke sie irgendwie um den Kopf, ich trage sie offen.“
Das lässt Esther sich nicht zweimal sagen. Flink und geschickt wickelt sie die Haare, steckt sie mit minikleinen Haarkrebsen fest und fixiert sie zum Schluss mit Stylingspray.
„Ist es in Ordnung, wenn ich den dunklen Lidschatten nehme? Er passt so gut zu deinen grünen Augen und den kräftigen roten Haaren.“
„Ja, gerne und bitte auch dunklen Lippenstift.“
„Du wirst aussehen, als wenn es deine Vernissage ist, du bist so wunderschön.“
„Sagt die hübscheste Frau aus Gardelegen“, spöttelt Maja.
„So ein Quatsch und außerdem wohnen wir schon einige Jahre in Magdeburg und fallen gar nicht auf.“
„Ich zwischen den Grundschülern sicher nicht – aber du bist eine angesehene Kuratorin! Du bist mit Künstlern in Gesprächen und hast renommierte Bekanntschaften, da kann ich gar nicht mitreden.“
Maja beobachtet, wie ihr eigenes Gesicht immer ausdrucksvoller wird, und wünscht sich auch, dieses Talent für hübsche Haarfrisuren und das Geschick für die Make-up-Kunst zu besitzen. Esther greift zum Parfümzerstäuber und benetzt sie beide mit einem exotischen Duft.
Maja schaut Esther verschmitzt an. „Leider kommst auch du nicht gegen meine Sommersprossen an.“
„Dazu müsste ich eine Zauberin sein“, stubst Esther an Majas Nase. „Liebes, ich finde sie sehr bezaubernd, sie haben einen gewissen Charme.“
Maja und Esther sind seit ihrer Grundschulzeit befreundet. Esther ist immer die Macherin gewesen, diejenige, die Maja aus ihrer Schüchternheit herausholte und zu Unternehmungen drängte.
Und genau dieses Gespür für die Realisierbarkeit hatte ihr ihren Traumjob eingebracht. Sie hatte es geschafft, als Kuratorin am Magdeburger Museum eine Festanstellung zu erhalten. Am heutigen Abend ist eine Vernissage von drei Künstlern von der Ostsee. Die Gemälde sind hoch dotiert.
Maja fühlt sich wohl in ihrer Rolle als Lehrerin, sie neidet ihrer Freundin ihren Erfolg nicht, obwohl sie selbst keinesfalls so eine traumhafte Karriere vor sich hat. Sie mag ihre Arbeit mit den kleinen Schülern.
Was wohl das Erbe meiner Großmutter beinhaltet?
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie sieht wieder zu ihrem Spiegelbild, ihre Sommersprossen kommen ihr sehr präsent vor. Natürlich kennt sie Esthers Meinung, jedoch ändert sie nichts daran, dass Maja die kupferfarbenen Punkte auf ihren langen, schlanken Armen und auf ihren Schultern mit Missfallen betrachtet.
Sie sind ein Erbe Ihrer Großmutter, wie auch die langen und dicken roten Haare. Alwine Lulik hat ihr Selbstbewusstsein leider nicht vererbt. Die roten Haare, wie auch die Figur, haben eine Generation übersprungen, ihre Mutter Isolde ist dunkelhaarig und auch nicht so feingliedrig. Oft betonte Isolde morgens, bevor Maja zum Kindergarten musste, dass die roten Haare ein Verhängnis seien. Sie selbst liebt ihre Mähne inzwischen.
Esther ruft ihre Freundin aus dem Schlafzimmer. Als Maja sie sieht, stockt ihr der Atem. Ihre Freundin strahlt sowieso eine enorme Selbstsicherheit aus, doch gerade verkörpert sie Stolz und Siegesgewissheit. Maja mustert bewundernd ihre Herzensfreundin. So viel Eleganz, ihre Haarfrisur mit dem Undercut und den blonden Strähnen passen ideal zu ihrem souveränen Erscheinungsbild.
„Wahnsinn! Du siehst aus wie eine königliche Lady!“
„Gibt es sowas?“, lacht Esther. „Königlich sind Königinnen oder Prinzessinnen, das Wort Lady existierte damals bestimmt noch nicht.“
Nun ist es an Maja, den Kopf zu schütteln. „Lady Diana?“
„Oh, das stimmt natürlich, sie habe ich gar nicht in Betracht gezogen. Aber ich sehe so aus?“
„Ja, du bist wunderschön“, schwärmt Maja und geht zu ihrem Kleiderschrank, um ihren dunklen Hosenanzug herauszuholen.
„Nein! Das ist jetzt nicht dein Ernst!“ Entrüstet drängt Esther ihre Freundin zur Seite, inspiziert deren Kleiderbügel und zetert kaum hörbar vor sich hin. „Das kannst du mir doch nicht antun.“
Klack, drei Kleiderbügel werden zur Seite geschoben.
„Ich lasse nicht zu, dass du einen langweiligen Hosenanzug trägst, nachdem ich dich so aufregend gestylt habe.“
Klack, sie schiebt die nächsten Bügel beiseite. Aber sie spricht kein bisschen verständlicher.
„Du machst eben nichts aus dir.“
Bei diesen Worten zuckt Maja unmerklich zusammen, ist ihrer Freundin aber nicht böse, denn sie weiß, dass es lieb gemeint ist.
Klack, weitere Strandkleider werden bewegt.
„Das ist es!“
Esther zieht ein smaragdgrünes Cocktailkleid heraus. Sie hält es vor ihren Körper, was natürlich grandios aussieht, denn sie ist, mit ihren einen Meter zweiundsiebzig, verschwindende zwei Zentimeter kleiner als Maja.
Maja hebt abwehrend die Hände. „Oh nein! Das passt nicht zu mir.“
„Aber es hängt in deinem Schrank!“ Esther lächelt sie an. „Du hast es dir also mal gekauft.“
„Ja, wahrscheinlich in einem Anflug von geistiger Umnachtung.“ Maja nimmt das Kleid entgegen.
„Du siehst bezaubernd aus!“, ruft Esther, als sie ihre Freundin in dem extravagant geschnittenen Teil sieht. „Es ist so ein schmeichelnder Stoff!“, schwärmt sie weiter. „Es sieht einfach fabelhaft aus! Dieser Stiftrock und das passende Oberteil mit den langen, weiten Ärmeln. Du machst mir Konkurrenz!“ Bei den letzten Worten streicht sie Maja die Haare aus dem Gesicht und umarmt sie für ein Bussi. „Du bist heute Abend die unschuldige Verführung.“ Lachend fassen sie sich bei den Händen und drehen sich im Kreis.
Nachdem Maja fertig ist, begutachtet sie ihr Spiegelbild. Dabei muss sie an Esthers Statement denken: unschuldig und verführerisch. Hatte ihr Ex Ivo so etwas auch gemeint, wenn er sie einen sündigen Engel nannte? Es kam ihr immer abwertend vor. Esther hätte ihm schon die Richtung gewiesen, sie hätte sich nicht so benutzen lassen.
Prüfend inspiziert sie das Kleid. Es ist schlicht, wirkt aber dennoch raffiniert. Ihre kleinen, runden Brüste kommen vorteilhaft zu Geltung. Das smaragdgrüne Kleid lässt Majas Augen regelrecht funkeln. Wie die Augen ihrer Großmutter sind sie ein wenig schräg gestellt, sie geben ihrem Gesicht eine edle Extravaganz.
Ihre Mutter, Isolde Lulik, hatte sie immer herabmindernd Katzenaugen genannt. Auch betitelte ihre Mutter Alwine Lulik oftmals als Schlunze. Als Alwine damals ans Meer ging, um ihr Erbe auf der Halbinsel Fischland-Darß anzutreten, hat die Familie mit ihr gebrochen. Dort verliebte sie sich in einen Maler, der ursprünglich aus der Altmark stammte. Durch diese Affäre gab es einen Skandal in der Stadt, doch wie es so ist, ein Stadtgespräch folgt dem nächsten – nur Alwines Ehemann und die Tochter Isolde haben ihr diese Schmach nie verziehen.
Zu der Zeit war Maja noch im Kindergarten, sie erinnert sich nicht daran. Manchmal fragt Maja sich, warum ihre Mutter so schlecht von ihrer eigenen Mutter denkt, Maja ist unehelich zur Welt gekommen und Isolde lebt jetzt mit einem Golfclubbesitzer in Spanien. Es interessiert sie keinen Deut, wie es ihrer Tochter geht.
Maja weiß nur, dass Hans Mirow wenige Jahre später seine Frau und den Sohn an die Ostsee holte, weil der elfjährige Sohn an einer lebensgefährlichen Lungenerkrankung litt. Alwine war eine starke Frau und sie blieb dort wohnen, ohne dass sie je wieder Kontakt hatten, und ist vor zwölf Jahren gestorben. Sie muss allein gewesen sein, denn mit ihrer Familie hat sie sich nicht wieder vertragen. Vielleicht lebte und starb sie dort einsam und verlassen.
Maja erinnert sich an zwei vergilbte Fotografien, die sie zwischen alten Büchern gefunden hatte. Leider kennt sie keine Porträts, die Hans Mirow von seiner Geliebten malte.
Als junges Mädchen entdeckte Maja mal einen Druck auf einem Flohmarkt. Es war von dem Maler, es stellte eindeutig ihre Großmutter dar.
Ihre Großmutter posiert in einer koketten Stellung, die oberen Knöpfe der Bluse sind bis zum Brustansatz geöffnet. Der Blick des Betrachters fällt auf ihr prachtvolles rotes Haar. Einige Locken haben sich aus dem Dutt gelöst und fallen verführerisch über ihr Gesicht.
Maja vermutet, dass sich das Original im Landesmuseum befindet und vom Bundesland werden sicher auch Haus und Grundstück von ihrer Oma verwaltet.
Sie weiß, dass noch ein enorm geheimnisvolles Gemälde existiert. Es soll ein wunderschöner Akt sein, auf dem liegt Alwine zwischen weißen Kissen und viel Spitze, ein Hauch aus Tüll rutscht gerade von ihrem Körper.
In Wahrheit kann niemand mit Sicherheit behaupten, dass es das Bild wirklich gibt. Maja schaut in den Spiegel und sieht die gemalte Frau auf dem Porträt in ihrem Ebenbild – die frappierende Ähnlichkeit kann sie nicht leugnen.
Esther kommt wieder und blickt ihre Freundin an. „Wow! Ich bin stolz auf mich.“ Sie klopft sich auf die Schulter. „Du siehst bezaubernd aus.“ Mit einem Augenaufschlag lächelt sie und sagt „Es wird Zeit, wir sollten uns auf den Weg zur Ausstellung machen.“
Schon bevor sie beim Museum ankommen, sieht Maja das hellerleuchtete Foyer und den kunstvoll gestalteten Eingang. Zu Ehren der Impressionistin Maria Slavona soll die Auftaktveranstaltung durch verschiedene Klangfarben des Komponisten Richard Strauss untermalt werden. Maja sieht in der Eingangshalle die Instrumentalisten eines kleinen Ensembles vom Opernhaus Magdeburg stehen.
„Ich spüre jetzt schon, dass es außergewöhnlich wird“, schwärmt Maja, während Esther ihren Wagen auf den für sie reservierten Parkplatz manövriert. „Liebes, du glaubst gar nicht, wie glücklich ich bin, dass wir nach Corona endlich ein Leben mit Kultur fortsetzen können“, bemerkt Maja.
„Das hoffe ich doch sehr, es steckt wirklich eine Menge Arbeit in dieser Ausstellung. Zuerst müssen wir jedoch diese kleine Zusammenkunft mit den Finanzierern und Sponsoren hinter uns bringen.“
Die Lobby ist mit einigen Bildern von den Künstlern ausgestattet und die Musiker formatieren sich für ihren Auftritt. Der Zugang zu den eigentlichen Ausstellungsräumen ist noch mit einer breiten roten Kordel abgesperrt.
Während Esther sich mit zwei Assistentinnen unterhält, wahrscheinlich Kunststudentinnen, liest Maja sich die Tafel neben dem Bild durch. Sie betrachtet den Druck ausgiebig und versucht die Veränderlichkeit des Lichts und der Farben auf sich wirken zu lassen. Sie entdeckt verschiedene Varianten in unterschiedlichen Atmosphären zu diversen Tageszeiten. Bei dem Bild, welches einen Strandweg zwischen Weizenfeldern zeigt, bleibt Maja stehen und ihre Gedanken wandern zu ihrer Großmutter. Zuversichtlich fragt sie sich, was sie ihr wohl hinterlassen hat.
Einige Zeit später ertönen die ersten Klänge der Musik und die geladenen Gäste finden sich ein. Zu den jungen Studentinnen haben sich jetzt weitere Kommilitonen dazugesellt. Sie wirken edel und fügen sich ausgezeichnet in die Kulisse ein. Die Studenten sind in Fracks gekleidet und servieren Cocktails.
Maja sieht ihrer Freundin die Aufregung an, auch wenn Esther nach außen ruhig und gelassen wirkt. Sie begrüßt die Ankommenden herzlich, einige sogar mit Bussi und Umarmungen. Sie gibt Maja ein Zeichen und als Maja bei ihrer Freundin ist, bittet Esther sie, ihr bitte das kleine schwarze Täschchen, mit dem desinfizierendem Reinigungsgel zu holen.
Wieder im Foyer bemerkt sie sogleich, dass Esther im Gespräch mit einem gutaussehenden jungen Mann und zwei älteren Damen ist. Maja schätzt ihn auf Anfang dreißig. Die Frauen sortiert sie in die Schublade der Sponsoren ein, man sieht es ihnen einfach an.
Sie beobachtet, dass sich das Gespräch dem Ende neigt, denn sie verabschieden sich, dann geschieht es. Er drückt der älteren, mit viel Gold geschmückten Dame die Hand und verbeugt sich. Sie schiebt Esther unauffällig ihr Täschchen unter den Arm. Als er wieder aufrecht steht, treffen sich ihre Blicke, er wirkt erst erstaunt, gleich darauf fasziniert. Maja erwidert kurz mit einem Augenaufschlag, dann senkt sie ihren Blick. Der Fremde mit den aufregenden dunklen Augen schubst gerade alle Planeten aus der Umlaufbahn.
Maja fragt sich, was aktuell passiert. Sein Gesicht ist zart und schön, wie aus der Werbung. Sie würde seinen Bart als Fünf-Uhr-Schatten bezeichnen, seine Augen sind richtig königsblau. Und seine Lippen sinnlich geformt. Sein dunkles Haar glänzt wie Ebenholz. Er hat einen durchtrainierten Körper, wirkt sehr athletisch und hat äußerst schmale Hüften. In seinem Smoking sieht er aristokratisch aus, garantiert ist der maßgeschneidert.
Maja ertappt sich, wie sie erneut den Blickkontakt sucht. Seine Augen wirken jetzt nachtschwarz und die Fältchen drumherum scheinen unergründlich und rätselhaft.
Sie spürt, dass sie errötet. Sie ist froh, als sie angesprochen wird und sich abwenden kann. Später schaut sie noch einmal zu ihm, er ist jetzt ebenfalls in ein Gespräch vertieft.
Maja, weiterhin verwirrt, ertappt sich dabei, dass ihre Gedanken ständig in seine Richtung wandern und sie denkt, dass sie nur wissen möchte, wer er ist. Sie erinnert sich: Sein Blick war so intensiv und so voller … ja! Voller Verlangen – ihr Herz beginnt zu wummern, schnell nimmt sie sich von einer umherschwirrenden Servicekraft eine Sektflöte und trinkt sie in einem Zug leer. Dem nächsten Bediensteten stellt sie das Glas schleunigst wieder aufs Tablett, sie hört, dass die Bürgermeisterin mit ihrer Begrüßungsrede beginnen möchte. Vor lauter Nervosität schnappt sie sich ein weiteres Sektglas, dieses Mal hält sie es einfach in den Händen und lauscht den Worten zur Eröffnung. Anschließend folgen noch einige Sätze von den Sponsoren und dann löst Esther die rote Kordel.
Esther und ein paar der Kunststudenten führen die Gäste durch die Museumsräume.
„Sind diese Gemälde nicht spektakulär?“, spricht Maja eine Besucherin an, die etwa im gleichen Alter wie sie ist.
„Ich finde sie auch beeindruckend“, stimmt diese ihr zu.
„Und das in einem Zeitalter, in dem wir denken, dass digitale Malerei und KI alles in den Schatten stellen.“
„Da hast du recht“. Die junge Frau lächelt. „Diese Impressionsmalerei ist vielleicht der Vorgänger der digitalen Art und des Grafikdesigns.“ Zwinkernd stößt sie mit ihrem Glas leicht gegen das von Maja und beide trinken einen kleinen Schluck.
„Ach, hier bist du!“
Maja rinnt ein Schauer über den Rücken, sie dreht sich mit der Gewissheit um, dass diese Worte von dem Fremden mit den dunklen Augen kommen.
„Kolja!“, ruft Majas Gesprächspartnerin und schwenkt das Sektglas. „Ich warte schon die ganze Zeit auf dich! Zum Glück hatte ich ein niveauvolles Gespräch mit – ja, wie heißt du?“
„Ich bin Maja und du?“
„Ich bin Domenika und eine Studienfreundin von Kolja.“
Er sieht Maja wieder so eindringlich an, dass ihr abermals ein Schauer über den Rücken läuft, dieses Mal stellen sich auch ihre Härchen an den Armen auf.
Kolja und Domenika umarmen sich kurz und schon ruft der Nächste den faszinierenden Fremden. Maja entflieht lieber unbemerkt dieser Szene.
Während der ganzen Zeit fühlt Maja sich von den dunklen Augen regelrecht verfolgt. Ohne diesen Mann zu sehen, spürt sie seinen Blick.
Sie zieht sich diskret in eine Ecke der Küche zurück und füllt ein Glas mit aufgesprudeltem Wasser und drei Eiswürfeln.
Hastig trinkt sie einen großen Schluck, dabei geht ihr immer wieder die Frage durch den Kopf, wer dieser Mann wohl ist.
„Freyja!“, hört sie eine klangvolle Stimme und zugleich Schritte. „Mein süßer Vamp.“
Maja, die gerade ihr Wasserglas wieder in die Hand nimmt, dreht sich erschrocken um, sodass etwas Wasser aus dem Glas spritzt. Der Fremde kommt auf sie zu.
„Wer sind Sie?“
„Das weißt du nicht?“ Prüfend taxiert er sie, dann lächelt er. „Entschuldigung, woher solltest du das wissen?“, fügt er in einem sanften Ton dazu. „Es ist Fügung.“
Er steht plötzlich ganz nah bei ihr. So dicht, dass sie die Wärme seines Atems spüren kann. Er legt ihr seine schlanken Hände auf die Schultern. Obwohl sie bis vor einer halben Stunde noch nicht einmal seinen Vornamen kannte, genießt sie die vertraute Geste.
„Auch wenn du die Augen und die Haare von Freyja hast – vielleicht bist du es doch nicht“, raunt er in ihr Ohr. „Es ist egal, ich möchte dich küssen.“
Maja verstummt. Ihr Schweigen wertet er als Einverständnis, er berührt sanft ihre Lippen, dann tippt seine Zunge sacht an ihre Mundwinkel, bevor er ihren Mund in Besitz nimmt.
Ohne den kleinsten Widerstand lässt sie es geschehen. Maja spürt Verlangen in sich aufsteigen und bekommt einen Schreck. Eine Zehntelsekunde erstarrt sie, denn stärker als ihre Willenskraft ist die Sehnsucht, die dieser Kuss in ihr auslöst. Die Begierde für diesen Mann wächst ins Unermessliche. So etwas hat sie bisher nie erlebt. Selbst in ihrer vorherigen Beziehung mit Ivo hat sie nie so empfunden.
Nachdem er ihren Mund freigegeben hat, bleiben sie so eng beieinanderstehen, dass sich ihre Körper berühren. Maja sieht, dass sein Blick vor Verlangen glüht.
„Verzeihung, denke bitte nicht, dass ich verrückt bin – noch nie in meinem Leben habe ich eine wildfremde Frau geküsst. Kommst du mit mir? Irgendwohin, wo wir uns lieben können?“
„Gehts noch? Ich kenne dich doch gar nicht!“
Er tritt einen Schritt zurück, um Abstand zu gewinnen.
„Entschuldige, ich muss froh sein, dass du nicht das ganze Museum zusammengeschrien hast, es tut mir leid.“
„Nie hätte ich schreien können. Meine Freundin ist die Kuratorin dieses Hauses.“
„Ist das der einzige Grund?“
„Das habe ich noch nicht entschieden.“ Maja fügt kategorisch hinzu: „Ich muss jetzt wieder Esther helfen und mich um die Gäste kümmern.“
Kolja legt leicht seine Hand auf ihren Arm. „Dann beginne einfach bei mir, ich bin ebenso ein Gast. Trinke mit mir ein Glas Sekt, oder soll ich mich lieber offiziell vorstellen lassen?“
„Ich benötige erst einmal einen Moment, um meine Gedanken zu ordnen, ich brauche keine förmliche Kontaktherstellung.“
Kolja schaut sie an. „In Ordnung.“
Die Damentoilette erscheint Maja als sicherer Zufluchtsort. Sie erschreckt sich vor ihrem eigenen Spiegelbild. Der Lippenstift und ihre Mascara sind verschmiert und ihre kunstvoll gesteckten Haare sind zerzaust.
Sie bringt ihre Frisur in Ordnung, es gelingt ihr aber nicht so einfach wie Esther. Lippen und Augen kann sie nur säubern, da ihre Handtasche im Büro liegt.
Äußerlich gelassen geht sie zu den Ausstellungsräumen zurück. Denkt sie.
Esther sieht ihr sofort an, dass etwas nicht stimmt. „Was ist mit dir?“, flüstert sie ihr zu. „Du siehst aus wie nach einem Duell. Ausgerechnet mit ihm …“
„Was soll das denn bedeuten?“ Maja schaut in Richtung des Fremden.
„Ich sah nur, dass du wie von einer Tarantel gestochen von der Küche in die Toilette geflüchtet bist. Und unmittelbar nach dir verließ Kolja Mirow sie. Was hattet ihr dort zu tun?“
Maja ignoriert die Frage. „Mirow?“ Der Name kommt ihr bekannt vor. „Du bist dir ganz sicher, dass er so heißt?“
„Natürlich!“ Pikiert schaut sie in die Runde. „Jeder kennt ihn, wenn er sich für moderne Kunst interessiert!“ Esther kneift die Augen zusammen. „Die Prominenz seines Vaters mal außen vor gelassen, Kolja ist ein angesehener Kunstkenner von der Ostsee.“
„Wie heißt sein Vater?“
„Mirow natürlich, Hans Mirow, er ist ein bedeutender zeitgenössischer Maler“, Esthers Miene wird fragend. „Hast du mir nicht mal erzählt, dass ihr verwandt seid?“
Maja wird es abwechselnd heiß und kalt. Gern würde sie vor Scham im Boden versinken, jetzt ist ihr klar, warum er ein Gefühl hatte, als kennt er sie, entweder kannte er ihre Großmutter oder er kennt die Gemälde.
„Was ist? Warum antwortest du mir nicht?“
Maja hebt kopfschüttelnd ihren Blick. „Verwandt ist nicht das richtige Wort.“ Kurz schluckt sie. „Hans Mirow hat Frau und Sohn verlassen, um mit meiner Großmutter zusammenzuleben. Da war ich aber noch sehr klein. Für meinen Großvater und wohl auch für meine Mutter war es eine endlose Demütigung, sie haben zeitlebens keinen Frieden mehr geschlossen.“
Diese Offenbarung von Maja bringt Esther etwas aus dem Gleichgewicht, sie legt den Arm um die Schulter ihrer Freundin.
„Oh mein Gott! Du hast sicher ihren Namen gesagt, aber ich habe null Verbindung hergestellt!“
„Dann hast du jetzt den Einblick.“ Maja schaut Esther schuldbewusst an. „Hans Mirow und meine Großmutter Alwine Lulik sind sozusagen durchgebrannt. Auch wenn sie unabhängig voneinander am Meer gewesen sind, dort lernten sie sich wohl kennen.“ Maja hebt unschuldig ihre Unterarme. „Nichts Genaues weiß man nicht.“
„Ist es ihm bewusst? Ich meine, ist ihm klar, wer du bist?“
„Das glaube ich nicht“, sinniert Maja kopfschüttelnd. „Er kennt von mir nur den Vornamen, selbst wenn er meinen kompletten Namen wüsste, er könnte damit nichts anfangen, ich trage den Namen meines Vaters.“
„Er hat nicht den leisesten Schimmer, wer du bist?“
Verneinend schaut Maja sie an.
„Du wusstest bis eben noch nicht, wer er ist.“ Esther umfasst gedankenversunken ihr Kinn. „Warum bist du dann, wie ein aufgeschrecktes Huhn, regelrecht aus der Küche geflohen?“
Errötend denkt Maja an den intensiven Kuss und an seinen Vorschlag, mit ihm fortzugehen. Sie entschließt sich, ihre beste Freundin schnell in das Geschehene einzuweihen. Dass sie Freyja genannt wurde, behält sie für sich.
Esther steht mit offenem Mund und aufgerissenen Augen vor ihr. „Das ist übergriffig! Auch wenn er meint, dass er ein berühmter Maler ist!“ Esthers Worte zischen regelrecht durch die Museumshalle. „So ein Verhalten kenne ich nicht von ihm – du verzichtest auf eine offizielle Vorstellung?“
Maja kann nichts darauf antworten. Ohne Frage, sein Auftreten hat sie schockiert, aber wenn sie es auch nur sich selbst gegenüber zugibt, es war ein angenehmer Zwischenfall, sehr ansprechend.
Die Unsicherheit ist erst gekommen, als Esther ihr verraten hat, wer das ist. Wie können der Sohn von Hans Mirow und die Enkeltochter von Alwine Lulik nur eine Liebelei beginnen?
„Ich gebe dir recht, auf ein erneutes Wiedersehen verzichte ich gern.“
Esther schaut Maja unauffällig über die Schulter.
„Er hat zwei Sektgläser in der Hand und sucht die ganze Halle nach dir ab“, flüstert sie. „Was möchtest du tun?“
Ängstlich und gleichzeitig entschuldigend guckt Maja ihrer Freundin in die Augen. „Am liebsten würde ich wieder nach Hause.“
„Ich ordere für dich den Shuttle, der offizielle Akt ist vorbei – jetzt gibt es nur noch Small Talk und die Gläser werden geleert.“
„Ich kann einfach so verschwinden?“
„Mach dir darüber keine Gedanken, es ist völlig okay.“
Beide verständigen sich wortlos, mit Augenkontakt, Maja holt ihre Handtasche und verschwindet durch eine Hintertür.
Maja wird am nächsten Morgen wach und sofort hat sie die gestrigen Bilder wieder im Kopf. Wütend sinkt sie ein Stück tiefer in die Matratze, sie legt ihre Hände auf die Augen. Ihr Telefon piept, es ist das Klingelzeichen für ihre Freundin. Sie dreht sich zur Seite, um es vom Nachtschrank zu angeln.
„Hallochen Esther“, murmelt Maja, noch etwas verschlafen.
„Guten Morgen, mein liebes Majalein, ist bei dir alles in Ordnung?“ Esther sprüht vor Energie.
„Guten Morgen, liebes Estherlein, ja, ist es. Wie sieht es bei dir aus?“
„Auch ganz gut, danke. Es war noch ein langer Abend. Liebes, ich habe einiges gestern Abend zusammengeräumt, da ist ein opulentes Frühstück für uns beide drin, wann bist du bei mir?“
Maja lacht. „Vielen Dank für die Einladung, ich springe ins Bad und bin in Sekundenschnelle bei dir.“
„Das freut mich, mach aber langsam, nicht, dass noch was passiert!“
Doch Maja hat schon aufgelegt und fliegt fast durch ihre Wohnung. Einige Minuten später schließt sie ihr Fahrrad vor Esthers Haus an und geht hinein.
Maja interessiert brennend, was Esther zu Kolja sagen wird.
Doch ihre Freundin erzählt überschwänglich von dem grandiosen Abend. Maja schmiert gedankenverloren die Salatcreme auf das Ciabatta. Da hört sie den Namen Kolja und ihr Kopf schnellt nach oben, sie lauscht gespannt, nur um zu hören, dass er gleich, nachdem er erfahren hat, dass Maja die Veranstaltung verlassen hat, ebenfalls gegangen ist.
Das bringt sie jetzt ja keinen Schritt weiter. In Ordnung, zumindest sieht es so aus, dass er sich nach ihr erkundigt hat und da sie weg war, hat er die Ausstellung verlassen.
„Ist er gestern Abend noch zurück ans Meer gefahren?“
„Ich glaube nicht“, antwortet Esther nichtsahnend. „Ich kenne ihn nur dienstlich. Ich meine aber zu wissen, dass er einen Onkel oder Cousin in Zichtau hat. Sie übernachten dort immer, wenn sie hier zu tun haben.“ Esther gießt beiden neuen Kaffee in die Tassen.
„Sie?“
„Er ist verheiratet, wie aber gesagt wird, hält seine Frau sich absolut zurück. Sie ist wohl hauptsächlich in Stralsund.“
Maja starrt sie an. Kolja ist verheiratet.
„Ihre Tochter ist sieben oder acht Jahre.“
Erst jetzt bemerkt Esther, dass Maja wie versteinert ist und ins Leere guckt.
„Sei doch nicht so schockiert. Kolja ist nicht der einzige gebundene Mann, der seine Partnerin betrügt. Du kannst mir glauben, auf mich haben es immer wieder Familienväter abgesehen.“
„Wem sagst du das? Ivo ist ebenfalls verheiratet gewesen. Er konnte es gut verheimlichen, denn als Journalist ist er viel unterwegs und konnte bei mir selten die Nacht verbringen.“
„Du hast recht, dann wird man kaum misstrauisch.“
„Richtig, bis meine Kollegin, die mit seiner Schwester befreundet ist, mal etwas von seiner Frau erzählte. Ich dachte, ich bin im falschen Film.“ Maja muss erst einmal tief durchatmen, diese Erinnerung schmerzt noch.
„Ich kam sowieso nicht wirklich mit ihm klar, fand immer, er benimmt sich wie ’ne offene Hose.“
Maja lächelt. „Das passt.“ Dann legt sie die Hände auf ihr Herz und schaut Esther an. „Aber der Schritt in ein neues Leben sollte keiner sein, der zurückführt“, seufzt sie nun.
Esther steht auf und geht zu Maja. Dann legt sie ihr die Arme um die Schultern. „Richtig, lieber gucken, was das Leben noch so parat hat.“ Sie schenkt Maja ein Bussi. „Und glaub mir, da gibt es einiges.“
„Ich werde erst einmal versuchen, nicht ständig an Kolja zu denken, bis ich ihn völlig vergessen habe.“
Maja schaut auf die Uhr. „Ich werde mich mal auf den Weg zum Notar machen. Du kannst mir glauben, ich habe keine Ahnung, was mich erwartet.“
„Ich kann es so ein bisschen nachempfinden – denn ich bin bestimmt genauso gespannt wie du. Und wenn wir uns heute Mittag im Bistro ‚Basilikum‘ treffen, bist du vielleicht schon eine reiche Frau.“
„Das bezweifle ich.“
Maja steht auf und geht in den Flur. Als sie dabei ist, sich die Schuhe anzuziehen, denkt sie, dass sie Kolja eigentlich gern wiedersehen möchte. Schnell denkt sie wieder an ihre Großmutter. Wehmütig kommen ihr Gedanken daran, dass sie all die Jahre weder einen Brief noch sonst irgendein Wörtchen oder Zeichen bekommen hat. Sie freut sich, dass sie jetzt vom Notar wenigstens einiges von ihrer Großmutter erfahren kann. Wieder bedauert sie, dass ihre Mutter wenig von ihr gesprochen hat.