Kopfüber - Torine Mattutat - E-Book + Hörbuch

Kopfüber E-Book und Hörbuch

Torine Mattutat

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Beschreibung

Kopfüber in die Liebe? Samantha sieht nur einen Ausweg, sie zieht von Gardelegen zu ihrer Freundin an die Ostsee. Dort schafft es ein anderer Mann, sich in Sams rotierende Welt zu quetschen. Beide werden durch die Vergangenheit für ihre neue Liebe blockiert. Unheimliche Vorkommnisse ängstigen Sam und sie gerät in Gefahr. Da Filip nach Rostock muss, kann er nicht zu ihr. Wie schafft ihre Liebe es, die Hindernisse zu überwinden? Jeder Roman in sich abgeschlossen.

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Seitenzahl: 348

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zeit:8 Std. 40 min

Veröffentlichungsjahr: 2025

Sprecher:Lysann Kelch

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1 Schulbeginn für Samantha
2 Samantha verlässt die Stadt
3 Samantha in Boernsteen
4 Florentines Wochenenddienst
5 Samanthas erster Schultag in Greifswald
6 Wohnungssuche
7 Samantha wird heimisch
8 Stühlerücken
9 Carina als Stadtvertreterin
10 Samantha liebt die Ostsee
11 Flo, Nora und Sam am Strand
12 Die Polizei klingelt bei Carina
13 Auf dem Polizeirevier
14 Wiedergutmachung
15 Filip und seine Kollegen
16 Samantha arbeitet mit den Taggern
17 Filip lädt Sam ein
18 Filip stellt sich nicht seiner Vergangenheit
19 Samantha erwischt es eiskalt
20 Filip wird reumütig
21 Samantha fährt nach Gardelegen
22 Georgs Erlebnis
23 Filip bekommt Besuch in der Kanzlei
24 Flo drängt Sam
25 Samantha sucht weiter
26 Samanthas Gedankenkarusell
27 Samantha und Filip
28 Filip wird in der Kanzlei erwartet
29 Sam wird mit der Erinnerung konfrontiert
30 Im Kaleidoskop
31 Auf dem Polizeirevier
32 Geduldsprobe
33 Samantha
34 Daniel treibt die Suche voran
35 Polizeibeamter Kasch
36 Samantha wird gerettet
37 Filip ist erleichtert
38 Florentine koordiniert
39 Samantha im Krankenhaus
40 Samantha darf nach Hause
41 Samantha ist wieder in ihrer Wahlheimat

Bernsteinfunkeln

Band 2

Kopfüber

Torine Mattutat

Bernsteinfunkeln Kopfüber

3. Auflage Juni 2024

Weiterhin erschienen:

Bernsteinfunkeln dieses Mal für immer? 5. Auflage 05/2024

Bernsteinfunkeln Lebensplan Liebe/Herzgestöber 2. Auflage 07/2024

Bernsteinfunkeln Inselgeheimnisse der Liebe 2. Auflage 08/2024

Ich danke dem Coverdesigner Renee und seiner Virginia, Sophie, Hannah und Bea. Danke für eure Unterstützung.

Text © Copyright Torine Mattutat

Covergestaltung © Copyright Dream Design – Cover and Art

mit Motiven von www.Shutterstock.com

Hintergrundfoto © Copyright www.UweKantz.de Ostseedüne

Lektorat Sophie Schmidt

Korrektorat Hannah Milou

[email protected]

www.TorineMattutat.de

Impressum Torine Mattutat

c/o Thomas Schütt, Triftstr. 4, 17506 Gützkow

Distributor: Neopubli GmbH, Köpenickerstraße 154a, 10997 Berlin

Dies ist das zweite Buch der Reihe Bernsteinfunkeln.

Die Bernsteinfunkeln-Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.

Jeder Roman ist in sich abgeschlossen.

Disclaimer – Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise, oder gleichartige Verwendung ist strengstens untersagt.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Die Stadt Boernsteen ist fiktiv.

Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Markennamen, sowie Warenbezeichnungen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum der rechtmäßigen Besitzer.

1 Schulbeginn für Samantha

Samantha holt ihr Fahrrad aus dem Keller. Vor dem Haus bemerkt sie, dass der Reifen Luft verloren hat. Sie flucht. „Mist, gerade heute früh!“ Kurz ist sie dadurch von ihrem unbehaglichen Gefühl abgelenkt, das sie seit gestern Abend beschäftigt. Nachdem sie den Reifen aufgepumpt hat, macht sie sich auf den Weg zu der Schule, in der sie ab morgen wieder unterrichtet. Heute früh hat sie sich dazu entschlossen, nicht an dem Unfallort vorbeizufahren. Auch wenn es der direkte und gewohnte Weg zum Schulgebäude ist, in dem sie als Lehrkraft arbeitet.

Es ist ein herrlicher Sommermorgen, die Sonne scheint, und die Temperaturen sind angenehm. Sie trägt ein apricotfarbenes Sommerkleid im Lagenlook. Die Haare hat sie mit wenigen Handgriffen zu einem Knoten zusammengedreht. Ihren Gedanken nachhängend, verpasst sie die Straße, in der sie abbiegen wollte, um den geplanten Umweg zu fahren. Einige Minuten später fährt sie an dem Spielplatz vorbei, den sie eigentlich meiden will. Sam hält die Luft an und spürt die aufwallende Übelkeit, die sie die ganzen Sommerferien über gequält hat. Besonders an diesem Ort wird es kritisch. Die beängstigende Stimmung, die sie in der vergangenen Nacht hatte, wird stärker, denn ihr ist klar, dass sie gleich morgen den Beweis der Wahrheit erhält. Zwei Stühle im Klassenraum werden unbesetzt bleiben.

Sie biegt noch einmal rechts ab, um direkt bei ihrem Arbeitsplatz anzukommen.

Was ist das für ein Tumult auf dem Schulhof? Samantha blickt verwundert in Richtung des Schulgebäudes, dort scheint es auf den ersten Blick, als gäbe es einen Flashmob vor der Hanseschule.

Auf dem Pausenhof angekommen, schiebt sie ihr Rad zur Fahrradgarage, um es anzuschließen. Sie nimmt ihre Tasche vom Gepäckträger und sieht, dass es Erwachsene und auch Kinder sind, die vor der Schule stehen. Als sie auf das Gebäude zugeht, wird ihr klar, dass es eher eine kleine Demo ist – einige der Personen tragen Plakate. Jetzt kann sie verstehen, was gerufen wird. „Malak raus! Malak raus!“, verschafft sich die aufgebrachte Menge Gehör und schüttelt ihre Schilder. Sam muss schlucken. Ihr steigt eine unübersehbare Röte in ihr Gesicht. Während sie wie im Zeitraffer weiterschleicht, hält sie ihre Tasche eng an ihren Bauch gepresst.

Die Stimmen nehmen an Lautstärke zu und Sam ist inzwischen so nah, dass sie erkennt, was auf den Spruchbannern steht. Vor Schreck bleibt sie stehen, Angst befällt sie, als ihr Blick über die Schilder wandert.

Frau Malak darf unsere Kinder nicht unterrichten!

Wer kleine Kinder überfährt, darf kein Lehrer sein!

Weg mit der Helfershelferin!

Komplizin Malak muss abgesetzt werden!

Was soll das denn? Warum wird sie persönlich angegriffen? Aus welchem Grund glauben sie, dass Sam Bescheid wusste? Sam möchte laufen und die Schilder runterreißen.

In ihr brodelt es. Sie will schreien.

Es drehen sich einige Demonstranten zu ihr um – sie erkennt die Eltern ihrer Schüler. Die Rufe verstummen, dafür setzt ein unüberhörbares Gemurmel und Getuschel ein. Als der Pulk sich ihr zuwendet, stolpert sie panisch weiter. In ihrem leichten Kleidchen wird ihr jetzt so kalt, als hätte es sich um zehn Grad abgekühlt.

Sam hört die Stimme eines Mannes. „Da geht sie einfach vorbei! Scheint sie ja nicht zu interessieren!“

Sie blickt zu Boden und möchte niemanden ansehen, ihre Fingerknöchel sind ganz weiß. Sie umklammert weiter ihre Tasche, ihr laufen Tränen die Wangen hinab. Sie tut, als hört sie die Rufe und Beschimpfungen nicht. Vor dem Schulgebäude angelangt, hastet sie die steinerne Treppe zur Eingangstür hinauf, da kommt ihr der Schulleiter bereits entgegen. Er hält die Tür auf, um ihr damit zu sagen, sie soll sich in Sicherheit bringen. Sam stakst zwar die letzte Stufe empor, bleibt dann aber an der Glastür stehen, langsam dreht sie sich zu den Eltern um. Die Menschentraube wirkt bedrohlich. Der unverblümte Hass schlägt ihr entgegen. Es würde für alle wie ein Schuldeingeständnis aussehen, wenn sie sich jetzt verstecken würde. Ihr Herz wummert und das Gesicht glüht vor Aufregung. Die Zähne zusammengebissen, möchte Sam nicht, dass es aussieht, als hätten Eltern recht.

Der Direktor, Herr Grathwei, steht inzwischen neben ihr. Er hebt die Hände, um die Menschenmenge zum Schweigen zu bringen. „Meine geehrten Damen und Herren, bitte bleiben Sie ruhig.“

Verschiedene Stimmen werden laut. Die meisten sind aggressiv, alle haben ein Thema. Samantha Malak soll die dritte Klasse nicht mehr unterrichten. Er versucht, gegen den Zorn anzukommen. Die Welle der Aggression ist fast körperlich zu spüren. Es scheint, als sei der Schulleiter gegenüber diesem Widerstand der Erziehungsberechtigten machtlos. Für Samantha ist es eindeutig, die Eltern wollen sie fertigmachen.

Der Direktor versucht, die Stimmen zu übertönen. „Frau Malak hat nichts mit dem tragischen Unfall der Mädchen zu tun.“

Aus den hinteren Reihen schreit eine Frau. „Sie hat in dem Auto gesessen!“

„Das stimmt nicht, sie wusste nichts!“, probiert Herr Grathwei, die aufgebrachte Gruppe zu beruhigen. „Sie ist zu der Zeit nicht in Gardelegen gewesen.“

„Er ist ihr Lebenspartner – natürlich hat sie es gewusst!“, poltert eine Männerstimme los.

„Sie wollten es beide verheimlichen“, ist eine weinerliche Stimme zu hören.

„Ich bitte Sie, weder Mutmaßungen noch Beschuldigungen aufzustellen. Frau Malak wurde von der Polizei verhört – sie ist unschuldig. Selbstverständlich darf sie weiterhin die Kinder unterrichten! Sie ist eine kompetente Lehrerin und Ihre Kinder sind gern in Frau Malaks Unterricht.“

„Mein Kind ist ab morgen krank“, blafft eine Mutter. Sie nimmt ihren Sohn an die Hand und marschiert vom Pausenhof.

„Mein Kind ebenfalls!“ Aggressiv dreht sich ein Vater zu seiner Tochter um und sie verlassen gemeinsam das Schulgelände. Weitere Eltern schließen sich mit ihren Kindern an.

„Liebe Eltern, so geht das doch nicht. Lassen Sie uns gemeinsam eine Lösung finden!“, ruft der Schulleiter den aufgebrachten Eltern hinterher.

Niemand reagiert, sie gehen einfach.

Die Eltern, die mit ihren Kindern vor der Schule stehen geblieben sind, sehen ihn fragend an.

„Danke. Ich finde es nur fair, wenn Sie Ihre Kinder weiterhin zur Schule schicken. Ich verspreche Ihnen, eine Regelung zu finden.“

Die Kinder gehen nun, am letzten Tag der Ferienbeschäftigung, in den Hort und der Schulleiter verschwindet mit Samantha in seinem Büro. Sie versucht, nicht unsicher zu wirken, als sie an dem Tisch, der eigentlich nur eine Verlängerung des Schreibtisches ist, Platz nimmt. Sie fühlt sich wie ein kleines Häufchen Elend und spürt, dass ihr Mut und ihre Energie sie verlassen haben.

„Der erste Arbeitstag geht ja völlig nach hinten los“, murmelt sie.

„Guten Morgen erst einmal. Wir atmen jetzt gemeinsam durch.“ Ihr Chef schließt die Tür. „Mit so einer Reaktion der Eltern habe auch ich nicht gerechnet. Die Sekretärin, Frau Wetzler, kam vorhin und machte mich darauf aufmerksam, dass sich einige Eltern vor der Schule versammelt haben.“ Mit einer beruhigenden Geste nickt der Schulleiter ihr zu.

„Und was jetzt?“ Samantha blickt ihn verunsichert an. Sie fühlt sich gerade, als ist sie zwölf Jahre alt und wird wegen Schwänzens oder eines anderen Schulvergehens zum Direktor gerufen.

Er steht noch immer an der Tür und schaut Sam nachdenklich an. Als sie seine Hand auf ihrer Schulter spürt, beginnen ihre Tränen zu laufen.

Herr Grathwei dreht sich um und holt einen Karton mit Papiertaschentüchern aus dem Schrank, um ihr diesen fürsorglich zu reichen.

„Liebe Frau Malak, bitte erzählen Sie, was passiert ist. Ich kenne nur den Sachverhalt aus der Zeitung und für mich ist damit eigentlich alles erledigt gewesen.“

Nachdem Sam ihre Wangen getrocknet und die Nase gesäubert hat, holt sie tief Luft und beginnt zu reden. „Wie Sie wissen, habe ich mit der vierten Klasse das Schullandheim Tangermünde besucht. Mein ehemaliger Lebenspartner und ich hatten unsere Beziehung den Abend zuvor im Streit beendet. Er wollte während der Tage, an denen ich in Tangermünde war, seine Kleidung ausräumen. Er sollte die Wohnung abschließen und den Schlüssel der Nachbarin geben.“

Inzwischen hat die Sekretärin für beide eine frische Tasse Kaffee hereingebracht.

„Danke.“ Nachdenklich nimmt Herr Grathwei den Kaffeelöffel.

„Kurz vor der Zeugnisübergabe waren wir alle wieder hier. Ich habe zu Hause gleich geklingelt, um mir den Schlüssel geben zu lassen, doch meine Nachbarin hat nicht geöffnet. Sie hatte einen Stapel Briefe und Zeitungen auf den Küchentisch gelegt, darauf lag auch eine Nachricht für mich. Sie hat mir mitgeteilt, dass sie die Woche nach Magdeburg zu ihrem Sohn muss.“

Der Direktor lässt zwei Zuckerwürfel in seine Tasse fallen und beobachtet beim Rühren, wie der Löffel einige Runden im Kaffee dreht.

„Noch am gleichen Tag klingelte die Polizei bei mir. Ich wusste zuerst gar nicht, was sie wollten. Doch dann kam der Schock. Mein ehemaliger Freund ist wohl durchgedreht. Er hat sich in meiner Abwesenheit mein Auto genommen und ist damit losgefahren.“

Der Direktor sieht sie an, während er noch immer in seiner Kaffeetasse rührt. „Mich wundert, dass die Eltern denken, Sie wären schuld an diesem Unfall. Sie befanden sich doch in Tangermünde.“

„Auf der Wache habe ich die Info bekommen, dass bei dem Unfall eine Beifahrerin dabei gewesen ist. Da die Frau blonde, zum Zopf gebundene Haare hatte, lag der Verdacht nahe, dass ich als Beifahrerin im Auto saß. Sie wissen doch, wenn es sogar in der Zeitung steht, dann glauben die Leute das auch ...“ Samantha schaut den Direktor traurig und kraftlos an.

„Genau das ist der Punkt – so detailgetreu recherchiert eine Tageszeitung nicht. Interessant ist das, was passiert ist, und alles, was zur Aufklärung beiträgt, wird später selten noch geschrieben. Für die Zeitung ist der Fall abgeschlossen, wenn der Hauptverdächtige in Untersuchungshaft sitzt. Und genau das ist Ihnen hier zum Verhängnis geworden, Frau Malak.“

„Ja leider, und wie soll ich jetzt damit umgehen?“

„Die Antwort werde ich Ihnen nicht allein geben können. Ich schlage vor, Sie gehen bitte in Ihren Raum und bereiten auf jeden Fall den morgigen Tag vor.“

„Natürlich, ich setze mich sofort an die Arbeit. Das habe ich sowieso für heute geplant“, bestätigt Samantha.

„Die Referendarin aus dem letzten Halbjahr wird Sie vorerst begleiten. Bitte kommen Sie gegen neun Uhr zu mir, bis dahin habe ich mit dem Schulamt Gardelegen telefoniert.“

„In Ordnung, ich werde hier sein“, nickt Sam ihm zu und geht zur Tür, um an ihre Arbeit zu gehen.

Sam öffnet die Tür und betritt den Vorbereitungsraum. Die Referendarin scheint nichts zu bemerken, denn sie ist auf ihr Smartphone konzentriert und wischt darauf rum. Mit dem Geräusch der sich schließenden Tür hebt sie ihren Kopf und lächelt.

„Guten Morgen, Sam.“

„Morgen, Denise.“

„Du siehst irgendwie fertig aus. Was ist los?“

„Du erinnerst dich, dass mein Ex vor den Ferien den Unfall hatte?“, antwortet Sam leise.

„Ja, ist noch was passiert?“

„Nein, dass nicht, aber die Eltern der Klasse wollen nicht mehr, dass ich ihre Kinder unterrichte.“

„Aber du hast doch nichts damit zu tun?“

„Das glauben die aber.“

„Sam, du bleibst aber doch hier?“, fragt die Referendarin mit einem flehenden Unterton in der Stimme.

„Wenn ich es mir wünschen könnte – natürlich. Ich mag diese Schule.“

Samantha möchte sich ihre Unruhe nicht anmerken lassen und ordnet nach dem Gespräch ihre Unterlagen. Es gelingt ihr anfangs ganz gut. Doch nach einer Weile beginnt sie damit, alle zwei Minuten ihre Telefonhülle zu öffnen, um zu sehen, wie spät es ist.

Das fällt ihrer Kollegin auf. „Hast du irgendwie Zeitdruck?“

„Ich habe gleich einen Termin im Sekretariat.“

„Oh.“

„Ja oh, das war auch mein Gedanke. Der Chef will mit dem Schulamt reden, ich hoffe nicht, dass ich suspendiert werde.“ Die Angst in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

„Quatsch, so schlimm kann es nicht sein.“

„Hast du es gerade nicht auf dem Schulhof gesehen?“

„Nein, die Fenster hier gehen doch zur anderen Seite raus.“

„Fast alle Eltern meiner Klasse waren da. Sie hielten Schilder mit Aufschriften hoch, wie zum Beispiel, dass ich nicht mehr unterrichten soll.“

„Ach, red dir nichts ein! Warum solltest du etwas zu befürchten haben? Das passiert auf keinen Fall, nicht bei dem Lehrermangel.“

„Ich weiß nicht“, antwortet Sam kleinlaut.

Beide widmen sich wieder ihrer Arbeit. Sie legen sich für den Schulbeginn morgen die Arbeitsmittel parat. In den ersten zwei Stunden wollen sie die Kinder ermutigen, ihre Ferienerlebnisse zu zeichnen, anschließend dürfen die Schüler, die es sich zutrauen, über ihre Ferien berichten. Lächelnd legt Sam sich die dafür benötigten Zeichenblätter schon zurecht.

Samantha betritt das Büro des Schulleiters, während er telefoniert. Mit einer Handbewegung fordert er sie auf, sich zu setzen. Sie nimmt auf dem gleichen Stuhl Platz, wie vor knapp zwei Stunden.

„Vielen Dank für die Information, ich werde Frau Malak diesen Vorschlag gern unterbreiten“, beendet er das momentane Telefonat.

Samantha sieht ihn gespannt an. „Sie sehen nicht so aus, als müssten Sie mir gleich die traurige Neuigkeit offenbaren, dass ich vor die Tür gesetzt werde.“

„Nein, Sie haben doch nichts getan. Die Schulamtsleiterin hat inzwischen mit dem Justiziar Rücksprache gehalten. Ihnen wird nichts passieren, doch das Amt hat den Vorschlag unterbreitet, dass Sie an eine der Grundschulen unserer Ortsteile Mieste oder Klötze wechseln. Dort sind auch freie Stellen.“

„Ich, hier weg? Das kommt einem Rausschmiss gleich!“ Samantha schießen jetzt unzählige Gedanken durch den Kopf. Klötze, Mieste, wie ist es dort? Habe ich Positives gehört? Kenne ich die Kollegen?

„So spontan möchte ich weder zu- noch absagen. Ich beende diesen Tag wie geplant. Wenn ich nachher zu Hause bin, werde ich mir etwas überlegen“, antwortet Samantha, streicht sich die Haare aus dem Gesicht und atmet durch. „Das können Sie der Schulamtsleiterin mitteilen“, sagt sie mit mehr Mut in der Stimme, als sie momentan vorweisen kann. „Ich fühle mich, als stünde ich am Pranger. Warum sind die Menschen so? Wenn jemand anders ist, als deren Maßstab, kann man doch nicht davon ausgehen, dass Freunde oder Verwandte genauso sind! Was habe ich denn mit dem Unfall meines Exfreundes zu tun?“

„Ich würde sagen, es ist eine Grundsatzfrage, ich kann sie Ihnen nicht beantworten.“

„Ach, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Es hat mich die ganze Zeit gequält, aber ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass ich heute früh hier so empfangen werde.“

„Das hat wohl niemand erwartet. Bitte überdenken Sie den Vorschlag einfach bis morgen.“

Samantha kehrt in den Vorbereitungsraum zurück und widmet sich dem morgigen Tagesplan.

Ihre Gedanken kreisen um die anderen Schulen, nach diesem bedrückenden Arbeitstag möchte Sam nur noch nach Hause.

Sie hat bereits einen Teil des Rückweges hinter sich, da fällt ihr auf, dass sie ihr Fahrrad bei der Schule zurückgelassen hat, sie stöhnt ärgerlich auf.

Verdammt! Wie kann man nur so in Gedanken sein?

Sam trottet zurück, um es zu holen, und sieht gerade noch den Hausmeister, der das ganze Schulgelände absperren und die Alarmanlage scharf stellen wird.

„Hallo, Herr Weinke! Hallo!“

Der Hausmeister dreht sich in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Er bemerkt, dass die Lehrerin winkend auf ihn zukommt, und wartet.

„Zum Glück! Ich habe mein Rad stehen lassen.“

„Das habe ich gesehen, es passiert des Öfteren, dass Fahrräder in dem Unterstand bleiben, daher habe ich mir nichts dabei gedacht“, erklärt der ältere Mann und hält ihr das Tor auf.

Sam holt erleichtert ihr Rad, wünscht ihm einen schönen Abend und fährt nach Hause.

In der Wohnung angekommen, geht sie in die Küche und bemerkt, dass sie vergessen hat, unterwegs einzukaufen.

Noch einmal in den Discounter möchte sie nicht, nun wird ihr nichts Besseres übrigbleiben, als sich fürs Abendbrot eine Pizza zu bestellen.

Schlecht gelaunt überlegt sie, das Essen auszulassen, der ganze Ärger hat ihr sowieso den Appetit verdorben.

Sie mixt sich einen Kaffee mit viel Milchschaum, nimmt das Telefon und geht in ihr Wohnzimmer. Sie möchte jetzt nur mit der vertrauten Stimme ihrer Freundin Florentine reden.

In der Sekunde, in der sich ihre beste Freundin Florentine meldet, beginnt sie zu weinen.

„Sam? Was ist los mit dir?“

„Die Eltern wollen nicht, dass ich ihre Kinder unterrichte.“ Sie lässt sich aufs Sofa plumpsen.

„Wie? Das verstehe ich nicht.“

„Während der Sommerferien muss der Unfall von Simon wohl größere Kreise gezogen haben.“

„Größere Kreise? Du tust ja so, als lebst du in einer Großstadt! Das war doch zu erwarten. Liebeli, tut mir leid, dass ich dir das jetzt sagen muss, aber du bist nicht so naiv? Du wohnst in Gardelegen! Es muss dir doch klar sein, dass der Unfall Stadtgespräch ist! Dazu kommt noch, dass zwei kleine Mädchen verletzt wurden.“

„Du hast ja recht“, antwortet sie leise.

„Abersowasvon! Egal, das hilft nicht weiter“, tröstlich ist die Stimme von Flo zu hören.

„Die Eltern glauben das, was in der Zeitung stand. Und die Beschreibung passt auf mich – also bin ich für sie die Beifahrerin gewesen.“

„Wie beurteilt dein Chef das?“

„Er schützt mich und hat mit dem Schulamt besprochen, dass ich nach Mieste oder Klötze versetzt werde.“

„Du möchtest aber nicht dorthin?“

„Er hat es mir erst einmal vorgeschlagen.“

„Na das finde ich aber ziemlich unsinnig. Die beiden Schulen sind in zwei Ortsteilen von Gardelegen – es ist alles auf dem platten Land, da gehen dann die nächsten Eltern auf die Barrikaden.“

„Hast du einen besseren Vorschlag?“, fragt Sam und lässt erschöpft ihren Kopf auf die Sofalehne sinken.

„Ja natürlich! Hast du mich je ohne Ideen erlebt?“

„Allerdings, das habe ich. Und sogar reichlich verschwiegen. Wenn ich mich richtig erinnere, ist das noch nicht einmal ein halbes Jahr her!“

„Ist ja alles gut geworden. Du hast doch sowieso darüber nachgedacht, zu mir an die Ostsee zu ziehen. Ich weiß, du willst deine Klasse bis zum Ende der Grundschule begleiten, aber der Fisch ist ja nun geputzt.“

„Guter Vorschlag, leider nicht umzusetzen. Ich kann nicht von einem Bundesland ins andere wechseln, wir haben unterschiedliche Schulformen“, gibt Sam zu bedenken.

„Grundschulen hat jedes Bundesland! Liebeli, mir fällt da gerade ein Gespräch von letzter Woche ein, der Anwalt, der mich berät und vertritt, ist aus Gardelegen. Nein, Quatsch, sein Vater! Na, jedenfalls wohnt die Oma noch dort und sie ist wohl gestürzt. Deshalb würde seine Schwester gern dahinziehen, das wäre die Gelegenheit für dich!“, sprudelt es euphorisch aus Florentine heraus.

„Meinst du einen Jobtausch? Dir ist aber klar, dass ich mit einer Grundschullehrerin wechseln müsste?“

„Hatte ich das eben nicht gesagt? Sie ist Grundschullehrerin in Greifswald“, wirft Flo ein.

„Das wäre was. Ich hatte zwar vor, in Boernsteen zu wohnen und zu arbeiten, aber in Greifswald zu unterrichten, wäre auch in Ordnung“, stimmt Sam ihr zu. „Hast du mal ihre Telefonnummer für mich?“

„Ich gebe dir die von ihrem Bruder, oder du suchst online.“

„Gib sie mir mal, ich kümmere mich selbst darum, kennst du ihren Namen?“

„Nein. Der Bruder heißt Patrick Kaiser. Ist auf jeden Fall sinnvoll, ihn zu fragen.“

Gleich nachdem Flo ihr die Nummer vom Anwalt gegeben hat, beenden sie das Telefonat. Sam wählt die Handynummer des Anwalts, dieser meldet sich sofort.

„Patrick Kaiser.“

„Guten Abend, Herr Kaiser. Hier ist Samantha Malak, ich habe Ihre Telefonnummer von meiner Freundin, Florentine Weber.“

„Die liebe Flo, was liegt denn an?“

„Sie hat mir erzählt, dass Ihre Schwester gern wieder in Gardelegen wohnen würde oder vielmehr muss?“

„Ja, das stimmt. Janina will sich um unsere Großmutter kümmern.“

„Das passt mir sehr gut. Ich lebe zurzeit in Gardelegen und möchte am liebsten sofort nach Boernsteen ziehen. Außerdem bin ich auch Grundschullehrerin, genau wie Ihre Schwester. Vielleicht können wir einen kleinen Deal drehen. Ich würde sie deshalb gerne mal anrufen.“

„Das trifft sich ja gut. Da wird meine Schwester sich freuen. Moment, ich gebe Ihnen ihre Nummer.“

Patrick sucht sie heraus und wünscht ihr viel Erfolg.

Sam fühlt sich völlig enthusiastisch und probiert sofort, Janina Kaiser zu erreichen. Nach dem vierten Klingeln nimmt diese das Gespräch an.

„Kaiser.“

„Guten Abend, hier ist Samantha Malak.“

„Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich bin über Umwege an Ihre Telefonnummer gekommen, ich wohne in Gardelegen.“

„Ist irgendetwas mit meiner Oma?“, fragt Janina alarmiert.

2 Samantha verlässt die Stadt

„Nein, meine Freundin Flo, aus Boernsteen, hat mir gerade erzählt, dass Sie hierherziehen möchten, und Ihr Bruder hat mir dann Ihre Nummer gegeben.“

„Und um was geht es jetzt genau?“

„Es ist so, dass ich hier wegmuss. Ich bin Grundschullehrerin.“

„Sie müssen?“

„Sam klärt sie über ihren derzeit schweren Stand als Lehrkraft in ihrer Grundschule und ihren lange bestehenden Wunsch, nach Boernsteen zu ziehen, auf. Dann weiht sie Janina in ihre Idee ein, einfach die Schulen zu tauschen.“

„Wenn wir das hinkriegen könnten, wäre das super!“, freut sich Janina.

„Ist es in Ordnung, wenn wir uns duzen? Ich fühle mich sonst immer so alt.“

„Gerne, ich bin Janina.“

„Ich bin Samantha, aber Sam genügt.“

Die beiden Frauen reden fast eine halbe Stunde und tauschen sich über ihre Schulen, Klassen und Fächer aus, und versuchen, ein wenig zu planen.

Janina unterbricht das Gespräch kurz, da sie mit ihrer Mutter, die im Greifswalder Schulamt arbeitet, sprechen möchte. Sie hofft, dass sie etwas zu den Regularien sagen kann. Nach einigen Minuten ruft Janina zurück.

„Hallo, meine Mutter kann da keine Auskunft zu geben, hat mir aber Mut gemacht. Wir sollen probieren, morgen mit unseren Chefs zu sprechen.“

„Das mache ich auf jeden Fall. Oh, es wäre so toll, wenn das klappt. Dankeschön!“, entgegnet Sam voller Begeisterung.

„Ich habe zu danken – meine Oma wäre sehr glücklich. Wir hören uns morgen. Bis dann.“

Samantha versucht, sich vorzustellen, endlich wieder mit ihrer besten Freundin und Herzensschwester Florentine in einer Stadt zu wohnen.

Nachdem sie sich doch eine Pizza Calzone bestellt hat und am Küchentisch sitzt, fängt ihr Kopf schon an zu planen. Sie hofft, dass dieser Traum wahr werden kann.

Als Sams Handy am darauffolgenden Morgen die Weckmusik spielt, ist sie sofort fit und springt regelrecht aus dem Bett. Selbst das mulmige Gefühl kann ihr nichts anhaben. Durch das gestrige Telefonat hat sie neuen Mut.

Sie tanzt beinahe in die Küche, um sich wie gewohnt einen Kaffee zuzubereiten. Sie gießt ihn mit kochendem Wasser auf und nimmt ihn mit ins Badezimmer. Bis sie mit dem Zähneputzen fertig ist, hat er die richtige Trinktemperatur erreicht. Sie schaltet das Radio ein und hofft, noch das heutige Horoskop zu hören. Nach dem Musiktitel hört sie hintergründig die typische Melodie für die Tageshoroskope. Da ihr Sternzeichen der Widder ist, hört sie gleich am Anfang gespannt zu.

Beachten Sie Ihre Träume, heute ist ein guter Tag zum Träumen. Oder tun Sie, was Sie schon immer einmal tun wollten. In Berufsleben wechselt heute der Mond in Ihre Sterne, daher heißt es; Hören sie auf Ihre innere Stimme!

Auch wenn das Horoskop durchschnittlich für ein Zwölftel der Bevölkerung gelten soll, gefällt Sam die Vorstellung nicht für alles, was geschieht, selbst verantwortlich zu sein.

Durch die Vorhersage für den heutigen Tag fühlt sie sich gestärkt.

Nachdem sie sich eine Intensiv-Kur in ihr Haar einmassiert hat, bindet sie dies zu einem Knoten zusammen und zupft vereinzelt Haarsträhnen heraus. Sie wirft einen letzten, prüfenden Blick in den großen Spiegel, ist mit ihrem Outfit zufrieden und fährt gut gelaunt zur Schule.

Sam geht direkt in das Büro der Schulleitung. Heute spürt sie das selbst ihr Gang wieder ruhiger und sicherer ist. Nach dem Klopfen vernimmt sie das „Herein.“ Sie begrüßt die Sekretärin freundlich und diese steht auf, um in das Büro des Chefs zu gehen. Sam hört einen kurzen Wortwechsel, dann kommt Frau Wetzler ihr entgegen und bittet sie hinein.

„Guten Morgen, Frau Malak, wie ist es Ihnen ergangen?“, sichtlich entspannt lehnt er sich zurück.

„Zuerst nicht so richtig gut. Aber abends habe ich mit meiner Freundin telefoniert. Sie kennen sie sicher auch noch? Florentine Weber, ach nein, damals hieß sie Indira Weber.“

„Ja, ich erinnere mich. Sie sind beide zusammen im Kinderheim gewesen und sie hat Medizin studiert?“, überlegt er.

„Ja. Flo war schwanger, als sie hier wegzog. Sie benutzt seitdem nur noch ihren zweiten Vornamen. Inzwischen lebt sie mit ihrer Jugendliebe in der Nähe von Greifswald, wo sie in der Universität als Handchirurgin arbeitet“, klärt Samantha ihn über die vergangenen Jahre auf.

„Und was hat das Gespräch ergeben?“

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht erzählt sie über die geführten Telefonate. Ihr Gegenüber nickt ihr zu, als sie fertig ist.

„Sie wollen also ganz aus Gardelegen weggehen?“

„Eigentlich hatte ich vor, die Klasse bis zum Ende der Grundschulzeit zu begleiten. Aber so wie es aussieht, möchten das die Eltern nicht“, erwidert sie leise.

„Der Zeitpunkt ist zwar denkbar ungünstig, aber es scheint, als haben wir keine andere Wahl“, sagt der Chef nachdenklich.

„Ja, meine Freundin meinte, es sei egal, wo ich hier in der Region unterrichte, ich würde immer wieder auf Ablehnung stoßen.“

„Da können Sie beide recht haben. Ich telefoniere gleich mit der Leiterin des Schulamts, vielleicht sieht sie eine Möglichkeit.“

„Danke. Ich werde jetzt in meine Klasse gehen, ich hoffe, es haben sich einige Eltern beruhigt und ihre Kinder heute doch zur Schule geschickt.“

Sam hält ihm zum Abschied freundlich die Hand entgegen, die der Schulleiter mit kräftigem Händedruck schüttelt.

Als Sam im ersten Obergeschoss den Klassenraum ihrer dritten Klasse betritt, staunt sie nicht schlecht. Bis auf besagte zwei Schülerinnen sind alle Kinder anwesend. Das stimmt sie zwar zuversichtlich, aber sie hat sich in der vergangenen Nacht bereits mit dem Gedanken angefreundet, nach Boernsteen zu ziehen.

Einige Minuten nach Beginn der Frühstückspause ist sie wieder beim Direktor angekommen. Dieser eilt ihr entgegen, sobald sie die Tür des Vorzimmers geschlossen hat.

„Frau Malak, die Schulamtsleiterin aus Greifswald hat mich zurückgerufen. Sie findet den Vorschlag sehr gut, denn gestern hat sie begonnen, sich ein Konzept bereitzulegen, wie sie die junge Lehrerin aus Greifswald nach Gardelegen versetzen kann.“ Sam freut sich, dass ihr Plan so einfach aufgeht. Doch der Schulleiter sieht nicht glücklich aus.

„Ich möchte nicht behaupten, dass es mir gefällt, denn ich verliere eine erfahrene und beliebte Lehrkraft.“

„Herr Grathwei – danke, dass Sie mich so einschätzen. Wir wissen beide, dass ich hier wegmuss, und da ist es doch egal, wohin.“

„Aber es bestünde immer die Möglichkeit auf Rückkehr, aber so weit weg, sehe ich keine Möglichkeit.“

„Es geht leider nicht anders.“

„Frau Malak, Sie trifft keine Schuld an dem Unfall und wir versuchen jetzt, das Beste daraus zu machen. Das Telefonat war passend. Und es ist wichtig, dass Sie nicht untergehen.“

„Ja, ich weiß und Janina Kaiser ist damit ja auch geholfen“, schöpft Sam Zuversicht aus ihrem Vorhaben.

„Sieht so aus. Sie können sich glücklich schätzen, dass es passt. Sie gehen wieder in den Unterricht und ich werde mit Frau Kaiser aus Greifswald telefonieren.“

„Ich wäre ja lieber dabei, denn ich bin diejenige, um die es geht, doch ich werde Ihnen einfach vertrauen“, antwortet Sam.

„Sie haben Ihr Leben selbst in der Hand, das wissen Sie. Wenn ich sie gleich erreiche, weiß ich Genaueres noch vor dem Mittag.“

Gut gelaunt begibt Samantha sich in ihre Klasse.

In der Mittagspause eilt Sam wieder ins Sekretariat.

Sie fühlt sich mittlerweile fast heimisch in den Räumen der Schulleitung und auch die Sekretärin gibt ihr nur noch durch eine Geste zu verstehen, dass sie unverzüglich zum Chef durchgehen kann.

„Kommen Sie herein und setzen Sie sich“, mit ausgestrecktem Arm deutet Herr Grathwei auf die Stühle.

Samantha schaut ihn an, denn sie möchte wissen, wie es weitergehen soll.

„Frau Malak, Sie haben ungeheures Glück. Ich sehe jetzt mal von dem Sturz der alten Frau und davon, dass Sie uns verlassen werden ab. Die Mutter der jungen Lehrerin hat gleich zu Dienstbeginn alles mit ihrer Chefin im Greifswalder Schulamt besprochen. Sie waren deshalb bereits am Wirbeln.“

„Und was bedeutet das für mich?“

„Dass auch Sie Ihre Siebensachen packen können und in Ihr neues Leben starten dürfen.“

„Ernsthaft?“

Der Direktor nickt und Sam beginnt sich zu freuen, sie lächelt ihren Vorgesetzten dankbar an.

„Ich bin wirklich froh. Eigentlich habe ich geplant, in Boernsteen zu wohnen und zu arbeiten, aber mit Greifswald kann ich umgehen.“

Als Sam gegen Mittag zu Hause ist, schleudert sie ihre Ballerinas achtlos von ihren Füßen, sodass sie irgendwo im Flur landen. Sie schnappt sich das Telefon im Wohnzimmer, um ihre Freude zu verbreiten. Am anderen Ende der Leitung erklingt eine warme, freundliche Männerstimme. „Barnes.“

„Hey, Tonio, warum bist du denn mittags in der Woche zu Hause?“

„Hallo Sam, du weißt doch, dass Flo zukünftig unseren Lebensunterhalt bestreiten wird?“

Doch Samantha hört das Lachen in seiner Stimme und setzt dem entgegen. „Ach, und du machst jetzt einen auf Hausdame, oder wie?“

„Oh bitte, bloß nicht! Nee, Quatsch, der Lehrgang beginnt erst in der nächsten Woche und ich habe noch freie Tage. Soll ich Flo ans Telefon holen? Sie ist gerade bei unserer Tochter im Zimmer, Montag fängt hier das neue Schuljahr an.“

„Ja, das wäre lieb von dir, schließlich muss sie es als Erste erfahren.“

Im Hintergrund hört Sam, wie Tonio Flo ruft und einige Worte mit ihr wechselt, dann wird sie auch schon angesprochen. „Hallo Liebeli, was ist los?“, begrüßt ihre Freundin sie.

„Ich bin total durcheinander. Einerseits freue ich mich riesig, andererseits muss ich das alles erst langsam verarbeiten.“

„Klär mich auf“, drängt Florentine.

„Heute früh waren doch wirklich alle zwanzig Kinder meiner Klasse anwesend, bis auf die zwei Mädchen, die im Krankenhaus liegen. Mein Chef ist durchweg nett; gleich nachdem ich ankam, und ihm von deinem Vorschlag erzählt habe, stimmte er dem zu.“

„Das ist ja mal was richtig Gutes!“, freut Flo sich.

„Als ich dann später wieder zu ihm ging, hatte er bereits mit unserem Schulamt gesprochen – die Leiterin dann mit eurem. Und, habe ich Glück, oder habe ich Glück?“, lacht Sam herzhaft.

„Du hörst dich über und über glücklich an, los erzähl endlich!“

„Ich kann es doch selbst noch gar nicht glauben! Es fügt sich alles zum Guten. Ich telefonierte gestern Abend noch mit Janina Kaiser, und heute Mittag ist es beschlossene Sache! Flo! Ich komme!“, kreischt Sam die letzten Worte regelrecht in den Hörer.

„Wie geil ist das denn? Hast du genauere Details? Wir haben schon Donnerstag, Montag beginnt hier das Schuljahr. Du kannst natürlich übergangsweise bei uns wohnen. Ich freue mich ja so!“

„Das habe ich garantiert nicht vor! Ihr seid vier Personen und habt vier Räume, das klappt nicht!“

„Stimmt nicht, ich habe auch ein Büro. Du hast vergessen, dass Tonis Tochter in der zweiten Klasse ist und dich kennt. Sie freut sich, wenn du bei ihr bist. Außerdem haben wir unsere obere Etage jetzt so umgeräumt, dass im Büro ein Gast übernachten kann. Für den Übergang genügt es. Meinetwegen ziehe am Wochenende hier ein.“

„Flo, mal ganz im Vertrauen. Ist bei euch beiden alles in Ordnung, oder habt ihr Streit?“

„Ja natürlich, bei uns ist alles pico. Warum fragst du?“

„Schnattchen, Tonio sagte unsere Tochter und du erzählst was von Tonios Tochter. Ihr meint doch das gleiche Mädchen?“

„Oh.“ Flo stimmt ihr zu. „Sorry, es ist irgendwie noch so neu. Klar, Toni ist seit fast einem halben Jahr wieder in meinem Leben, die Lütte noch nicht ganz so lange. Ich liebe die Maus, aber es ist so surreal.“

„Höre ich da ein Klagen?“

„Nein, natürlich nicht, aber plötzlich für zwei Kinder zu sorgen, das ist einfach noch nicht vertraut.“

„Ich kann mich erinnern, dass du dir immer eine Prinzessin gewünscht hast.“, erinnert Sam.

„Ja, es ist auch alles schön. Verbuchen wir das Tonios Tochter unter Versprecher?“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, stimmt Samantha ihr fröhlich zu. „Ich werde nachher bei Janina Kaiser anrufen. Sie muss sagen, in welcher Zeit ihr ein Umzug möglich ist. Ich kann sie ja nun auch nicht verdrängen.“

„Klar, ich wäre glücklich, morgen von dir zu hören, wenn du dich entschieden hast, pünktlich zu unserem Schulbeginn hier anzufangen.“

„Träum weiter, Schnattchen – nicht bei den Behörden. Ich melde mich bei dir. Bis dahin.“

„Mach‘s gut, Liebeli, meine Gedanken sind bei dir.“

„Kaiser“, erklingt eine helle, warme Stimme an Samanthas Ohr.

„Hallo, hier ist Samantha.“

„Moin, die Leiterin vom Schulamt rief mich heute Vormittag an und erzählte mir von unserem Glück.“

„Wie heißt es so schön? Des einen Leid ist des anderen Freud. Aber ich will ja nicht klagen. Ich habe seit einigen Wochen überlegt, in der gleichen Stadt, wie meine Freundin zu wohnen.“

„Sie wohnt in Greifswald?“

„Nein, in Boernsteen und arbeitet an der Universität.“ Sam läuft von einem zum anderen Zimmer. „Aber ich rufe eigentlich an, um zu fragen, wie du dir den Wechsel vorstellst?“

„Okay, ich habe gedacht, ich ziehe einfach um.“

„Wenn die Behörden das auch so simpel sehen würden, wäre es toll“, antwortet Sam lachend, während sie sich auf das Bett setzt.

„Ich hoffe, dass wir es angesichts der Dringlichkeit in kurzer Zeit geregelt bekommen. Mal im Ernst, für deine Klasse ist es wichtig, oder eher für die Eltern der lütten Wrucken.“ Janina setzt sich auf ihren Sessel. „Und meine Drittklässler werden damit auch klarkommen. Meinetwegen kann alles so schnell wie möglich über die Bühne gehen“, plappert Janina sorglos.

„Wie nennst du die Schüler?“ Sam weiß nicht, ob sie sich verhört hat.

„Lütte Wrucken – das ist norddeutsch. Lütt heißt klein und Wrucken sind Steckrüben, das wird einfach landläufig so gesagt“, erklärt Janina ihr.

„Hilfe! So stark ist mir der Dialekt noch nie aufgefallen“, bemerkt Sam jetzt.

„Es ist nicht nur Dialekt! Klar, in Norddeutschland werden manche Laute etwas langgezogen, aber Plattdeutsch ist eine richtige Sprache“, klärt Janina sie auf.

„Warum hat Florentine das nie erwähnt? Ich bin des Öfteren bei ihr zu Besuch gewesen, ich habe es aber nie so bemerkt.“ Sam schüttelt den Kopf, auch wenn niemand im Raum ist. „Egal wird ohnehin alles klappen, Learning by Doing. Ich bin froh, so schnell eine Lösung zu haben, danke.“ Inzwischen ist sie im Wohnzimmer und setzt sich mit untergeschlagenen Beinen auf ihren großen Sessel.

„Ich habe hier in Greifswald eine wunderschöne Wohnung in der Altstadt gemietet, wenn du magst, dann telefoniere ich gleich morgen früh mit dem Hausverwalter.“

„Danke für dein Angebot, aber wenn, dann möchte ich auch in Boernsteen wohnen. Ich ziehe in das Apartmenthotel in Boernsteen, bis ich etwas Eigenes gefunden habe.“

Nachdem die beiden Frauen all das geklärt haben, beginnt Sam ihren Umzug zu organisieren. Während sie ihre Wohnung genau inspiziert und entscheidet, was sie mitnimmt oder verschenkt, fällt ihr ein, dass sie sich bei Flo melden sollte. Sie ruft sie sofort an.

„Weber, sagt Flo nach gefühlt einer Sekunde.“

„Huch, wie schnell bist du denn? Bei mir war noch nicht mal der Freiton zu hören“, wundert sich Sam.

„Dir auch ein Hallo. Ich wusste, dass du anrufst“, antwortet Flo lachend.

„Ja klar, habe ich dir schließlich versprochen.“

„Richtig. Sei beruhigt, hier hat es geklingelt. Erzähl, wann kommst du her?“

„Du wirst es nicht glauben. Ich laufe durch meine Wohnung und entscheide, was ich mitnehme und was ich weggebe – das heißt also, ich werde mich übermorgen auf den Weg machen. O Gott! Übermorgen! Ich kann es gar nicht fassen“, quietscht Sam vor Aufregung.

„Wirklich? Oh Liebeli, ich freue mich!“, stimmt Flo in Sams gute Laune ein.

Freitagabend gibt Sam ihren Ausstand im Jugendtreff in Gardelegen, einige Kollegen sind dabei, sogar der Schulleiter. Der Hauptteil der Gäste besteht jedoch aus den Jugendlichen, mit denen sie viel in ihrer Freizeit unternommen hat, egal ob Zeichnen, Kochen oder Schwimmen. Zahlreiche Freunde haben von sich aus angeboten, beim Umzug zu helfen, das hat Sam gern angenommen. Ihre Nachbarin ist die Schwester des Vermieters und diese übernimmt in der nächsten Woche das restlose Ausräumen zur Übergabe der Wohnung, denn einen Nachmieter wusste sie sofort.

3 Samantha in Boernsteen

Samstagfrüh sind alle Freunde pünktlich bei Sam. Die Nachbarin ist nicht mehr die Jüngste, liebt es aber, in der Küche zu agieren. Da sie sich unter allen Umständen nützlich machen möchte, haben die beiden Frauen beschlossen, dass sie sich um Kaffee und belegte Brötchen für die fleißigen Helfer kümmert. Innerhalb von zwei Stunden sind alle Möbel in den Transporter verladen. Mit Tränen in den Augen verabschiedet Sam sich von den liebgewonnenen Menschen.

Während sie ihren neuen roten Polo durch die Straßen lenkt, zieht die bekannte Landschaft an ihr vorbei. Sie verlässt die Stadt in nördlicher Richtung, wehmütig durchquert sie das kleine Wäldchen, in dem sie oft unterwegs gewesen ist, und fährt durch Hemstedt. Hier wohnt eine ihrer ehemaligen Schülerinnen. Einerseits reist sie mit Spannung ihrer Zukunft entgegen, andererseits befällt sie eine gewisse Traurigkeit darüber, ihr bisheriges Leben so einfach und schnell hinter sich zu lassen. Nach gut zehn Kilometern durchfährt sie Lindstedt, es gehört noch immer zur Hansestadt Gardelegen. Auf den vielen Feldern hat längst die Ernte begonnen. Selbst Bismark durchquert sie schweren Herzens. Wahrscheinlich liegt es daran, dass aus der Kirche gerade ein frisch getrautes Paar mit seiner Hochzeitsgesellschaft hinaustritt und dabei so viel Harmonie und Verbundenheit ausstrahlt. Es ist ihre Heimat. Kurze Zeit später fährt sie über die Elbe, die für die Bundesländer Sachsen-Anhalt und Brandenburg als Landesgrenze dient. Das Biosphärenreservat der Flusslandschaft Elbe-Brandenburg bietet eine umwerfende Natur, sie erfreut sich an dem Glitzern des Wassers im Sonnenschein.

In Wittenberge erinnert sie sich an die letzte Klassenfahrt. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Wenige Minuten darauf fährt sie auf die A19, ohne Verkehrsstörungen befährt sie dann die A20. Nun sind es noch gut achtzig Kilometer bis zu ihrem endgültigen Ziel. Das gesunde Grün auf beiden Seiten der Autobahn beruhigt sie, ohne ermüdend zu wirken. Eine tiefe Zufriedenheit überkommt sie. Für Sam fühlt es sich an, als habe sie etwas hinter sich gelassen, das jetzt wie durch eine Mauer von ihr getrennt ist.

Dann erreicht sie die Autobahnabfahrt Stralsund und kommt ihrem Ziel immer näher. Als sie die Autobahn in Richtung Boernsteen verlässt, erfasst sie eine leichte Spannung.

Sam lässt die letzten Tage noch einmal wie einen Film ablaufen. Es ist turbulent gewesen, aber sie freut sich, dass alles geklappt hat und sie endlich ihren langersehnten Wunsch, in der gleichen Stadt wie Flo zu wohnen, erfüllen kann. Sie wählt die Straße in Richtung Ostsee, in ihre neue Heimat.

Nach gut vier Stunden in Boernsteen angekommen, machen Sam und ihre Umzugshelfer die erste längere Pause im Apartmenthotel von Carina Lammers.

„Moin, Samantha, seid ihr ohne Probleme durchgekommen?“, begrüßt Carina sie.

„Hallo, Carina, ja danke, die Fahrt war ruhig, keine Staus, wenig Verkehr. Ich freue mich, angekommen zu sein und bei dir zuerst eine Kaffeepause einzulegen.“

„Kommt einfach mit durch, wir gehen ins Bistro. Was mögt ihr für Kaffee?“

„Danke, ich nehme einen Milchkaffee, und ihr?“, fragend dreht Sam sich zu den zwei Helfern der Umzugsfirma um.

„Wir möchten einen Cappuccino.“

Innerhalb einiger Minuten serviert Carina den Kaffee.

„Sam, hast du einen Plan, wie es weitergehen soll?“

„Ich werde gleich mit Flos Freunden zu dem hiesigen Umzugsunternehmen fahren. Flo hat arrangiert, dass ich ein paar Wochen die Möbel dort unterstellen kann. Ich würde meine Koffer gern auspacken, und danach falle ich bestimmt ins Bett. Seit Mittwoch laufen die Tage für mich nur noch im Turbogang ab. Ich weiß kaum, wo mir der Kopf steht, aber es ist ein tolles Gefühl.“ Trotz Erschöpfung lächelt Sam und ihre Augen strahlen.

„Wie wär‘s? Du verschiebst das Auspacken auf morgen und wir trinken heute Abend noch ein Glas Weinschorle? Du kannst den ersten Abend in der neuen Heimat doch nicht verschlafen! Das ist nicht ernsthaft deine Absicht?“

Samantha sieht Carina an, als wiegt sie das Für und Wider ab, dann antwortet sie. „Vielen Dank für die Einladung, du hast recht, ich sollte diesem Lebensabschnitt etwas mehr Beachtung schenken, ich komme nachher vorbei.“

Die weißen Lederstühle in Carinas Büro sehen nicht nur einladend aus, sie sind auch bequem. Während sich Sam setzt, holt Carina Weingläser aus ihrem Glasschrank und stellt sie neben die Flasche Weinschorle auf den ovalen Glastisch.

„Liebes, jetzt atme erst einmal tief durch, du bist gut angekommen, hast dein Apartment bezogen und bist in meinem Büro, um dich auf deinen ersten Tag an der Ostsee einzustimmen.“

„Ich bin total knülle. Wahrscheinlich trinke ich das Glas aus und schlafe dann hier“, lächelt Sam ihre neue Freundin an.

„Man behauptet auch, dass mein zweiter Vorname Neugier ist. Magst du mir erzählen, was dich hier so überstürzt herziehen lässt?“ Carina wendet sich an Sam, während sie die Gläser füllt.

„Hat Flo nichts erzählt?“

„Wir sind zwar gut befreundet, aber zum einen tratscht sie nicht und zum anderen weißt du doch selbst, dass sie im letzten halben Jahr den Kopf voll hatte“, antwortet Carina.

„Daran habe ich nicht gedacht, die beiden waren für mich immer ein Paar, ich habe sie nie verstanden.“