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Dieses Buch stellt verschiedene Beschwerdeverfahren vor und bietet Unterstützung für die erfolgreiche Einführung in unterschiedlichen Einrichtungen. Praxisbeispiele zeigen, wie durch ein gelungenes Beschwerdeverfahren die Rechte der Kinder und Jugendlichen gestärkt werden. Hinweise zu wichtigen Implementierungsschritten und Lösungsansätze für die typischen Stolpersteine helfen auf dem Weg zum individuellen und gelungenen Entwicklungsprozess. Mit Beispielen zu Beschwerdeformularen, Info-Flyern etc. als Online-Material. Die 2. Auflage wurde überarbeitet und um neue Praxisbeispiele erweitert.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Ulrike Urban-Stahl • Nina Jann • Susan Bochert
Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
Mit Praxisbeispielen und Online-Materialien
2., überarbeitete und erweiterte Auflage
Ernst Reinhardt Verlag München
Prof. Dr. Ulrike Urban-Stahl, Dipl.-Pädagogin, lehrt Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitbegründerin des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e. V. und des Bundesnetzwerks Ombudschaft in der Jugendhilfe.
Dr. Nina Jann, Dipl.-Pädagogin, ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Tübingen.
Susan Bochert, Dipl.-Pädagogin (Rehab.), ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-497-03200-6 (Print)
ISBN 978-3-497-61735-7 (EPUB)
ISBN 978-3-497-61734-0 (PDF-E-Book)
2., überarbeitete und erweiterte Auflage
© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
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Printed in EU
Cover unter Verwendung eines Fotos von © Dron – fotolia.com
Anhang A1, B3, C3: Thomas Burger, Sozialdienst kath. Frauen e. V., Heidelberg
Satz: Sabine Ufer, Leipzig
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]
Inhalt
Einleitung zur zweiten Auflage
1Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
1.1Begründungslinien: Warum Beschwerdeverfahren?
1.2Beschwerden – Bürde oder Chance?
1.3Was sind Beschwerdeverfahren?
AdressatInnen des Verfahrens
AnsprechpartnerInnen für Beschwerden
AnsprechpartnerInnen – einrichtungsintern
AnsprechpartnerInnen – einrichtungsextern
Bearbeitung von Beschwerden
Informationen über Beschwerdeverfahren
1.4Worüber soll man sich beschweren können?
2Konfliktpotenziale von Beschwerdeverfahren
2.1Rechte junger Menschen in Einrichtungen
Rechte sind nicht an Pflichten und Kompetenzen geknüpft
Die Legitimität von Beschwerden
Beschwerdeverfahren im Spannungsfeld der Erziehung
2.2Machtasymmetrien zwischen Kindern, Jugendlichen und Fachkräften
Auswirkungen von Beschwerden auf persönliche Beziehungen
Handlungsspielräume von Kindern und Jugendlichen
Von der Störung zur Chance
3Implementation und Gestaltung – wie kann es gelingen?
3.1Welches Beschwerdeverfahren passt für uns?
Beschwerdeverfahren für jüngere Kinder
Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen
3.2Anforderungen an den Entwicklungsprozess
Beteiligung aller Statusgruppen
Die Rolle der Leitung im Entwicklungsprozess
Die Rolle des ‚Kümmerers‘
3.3Anforderungen an das Beschwerdeverfahren und die Ansprechpersonen
Anforderungen an das Verfahren
Anforderungen an die für Beschwerden zuständige Ansprechperson
3.4Unterstützungsmöglichkeiten für Einrichtungen im Entwicklungsprozess
4Beschwerdeverfahren konkret
4.1Ev. Jugendhilfe Geltow
Das Beschwerdeverfahren als Sicherheitsnetz: Selbstwirksamkeit ist der beste Kinderschutz
Das Beschwerdeverfahren der Ev. Jugendhilfe Geltow
Die Einrichtung wächst – das Beschwerdeverfahren wächst mit
4.2Josefshaus Olpe
Ohne Rechte keine Beschwerde
Das Beschwerdeverfahren des Josefshauses
Ein gut gelebtes Beschwerdeverfahren braucht gut gelebte Partizipation
4.3St. Paulusheim Heidelberg
Partizipation, Kinderrechte, Beschwerde – verschiedene Facetten eines Themas
Das Beschwerdeverfahren des St. Paulusheims
Das Beschwerdeverfahren langfristig im Bewusstsein der Menschen verankern
4.4PFIFF gGmbH – Fachdienst für Pflegefamilien
Entwicklung des Beschwerdeverfahrens als Teil des Schutzkonzeptes
Das Beschwerdeverfahren im Bereich der Vollzeitpflege
Vernetzung und Digitalisierung als zukünftige Herausforderungen
4.5Berliner Notdienst Kinderschutz
Beteiligung und Kinderschutz gehen Hand in Hand
Das Beschwerdeverfahren des Berliner Notdienst Kinderschutz
Das Beschwerdeverfahren verstetigen und mit Leben füllen: Vom Konzept zur gelebten Partizipationspraxis
4.6Ev. Kindergarten Nammen
Implementierung des Beschwerdeverfahrens im Modellprojekt „Partizipation in der Kita“
Das Beschwerdeverfahren im Ev. Kindergarten Nammen
Positive Veränderungen für alle Beteiligten und zukünftige Herausforderungen
4.7Hort Röwekamp
Die Äußerung von Beschwerden als Arbeitsprinzip im pädagogischen Alltag
Das Beschwerdeverfahren vom Hort Röwekamp
Mehr Zeit für Auseinandersetzung mit dem Umgang mit Beschwerden
5Beschwerdeverfahren – ein Thema in Bewegung
Literaturempfehlungen
Praxisberichte
Materialien und Arbeitshilfen
Fachveröffentlichungen und empirische Studien
Einrichtungsexterne Ombudsstellen
Literatur
Sachregister
Online-Materialbeispiele
A Informationen über Beteiligung und Beschwerde
A1 Aushang Beschwerdeweg St. Paulusheim Heidelberg (Sozialdienst kath. Frauen e. V. Heidelberg, St. Paulusheim)
A2 Postkarte Beschweren erlaubt PFIFF gGmbH, Hamburg
A3 Partizipationsmanifest Ev. Kindergarten Nammen, Porta-Westfalica
B Instrumente der Beteiligung und Beschwerde
B1 Formular Beschwerdemanagement Hort Röwekamp, Wardenburg
B2 Beschwerdeformular Josefshaus Olpe
B3 Fragebogen St. Paulusheim Heidelberg (Sozialdienst kath. Frauen e. V. Heidelberg, St. Paulusheim)
B4 Feedbackbogen Berliner Notdienst Kinderschutz
C Informationen über Rechte
C1 Rechtekatalog Jugendhilfe Geltow, Schwielowsee
C2 Rechtekatalog Josefshaus Olpe
C3 Rechteflyer St. Paulusheim Heidelberg (Sozialdienst kath. Frauen e. V. Heidelberg, St. Paulusheim)
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Einleitung zur zweiten Auflage
Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe müssen die Möglichkeit haben, an der Gestaltung der Angebote und ihres Alltags mitzuwirken, Einfluss auf Entscheidungen in persönlichen Angelegenheiten zu nehmen und sich bei Sorgen, Kritik und Beschwerden an eine Vertrauensperson wenden zu können. Dieses zu gewährleisten, zu gestalten und zu sichern, ist sowohl eine fachlich-pädagogische Aufgabe von Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe als auch ein in Deutschland im SGB VIII verankertes Recht von Kindern und Jugendlichen.
Mit Einführung des Bundeskinderschutzgesetzes am 1. Januar 2012 hat der Gesetzgeber die Bedeutung von Partizipations- und Beschwerderechten betont: Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten wurden in diesem als Voraussetzung für den Erhalt einer Betriebserlaubnis für Einrichtungen verankert. Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz wurde diese Regelung noch einmal erweitert. Nach § 45 Abs. 2 SGB VIII ist eine Betriebserlaubnis zu erteilen,
„wenn das Wohl der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung gewährleistet ist. Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn
(…)
4. zur Sicherung der Rechte und des Wohls von Kindern und Jugendlichen in der Einrichtung die Entwicklung, Anwendung und Überprüfung eines Konzepts zum Schutz vor Gewalt, geeignete Verfahren der Selbstvertretung und Beteiligung sowie der Möglichkeit der Beschwerde in persönlichen Angelegenheiten innerhalb und außerhalb der Einrichtung gewährleistet werden.“
Mit dieser Regelung soll die Entwicklung einheitlicher Standards zur Sicherung der Rechte junger Menschen und zum Schutz vor Gewalt in der Kinder- und Jugendhilfe gefördert werden.
Hintergrund dieser Regelung waren die seit 2006 erfolgten öffentlichen Auseinandersetzungen mit grenzverletzendem und gewalttätigem Verhalten von MitarbeiterInnen gegenüber Kindern und Jugendlichen in pädagogischen Einrichtungen. Ausgangspunkt hierfür war die Bekanntmachung leidvoller Erfahrungen von Heimkindern in den 1950er und 1960er Jahren durch Peter Wensierski in dem Buch „Schläge im Namen des Herrn“ (2006). Hinzu kam die Aufdeckung und Veröffentlichung von Informationen über die Ausübung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in sogenannten Eliteinternaten und anderen pädagogischen Einrichtungen auch in jüngerer Zeit. Damit wurde ein Tabu gebrochen: Pädagogische Einrichtungen stellen nicht nur Schutzräume für Kinder und Jugendliche dar, sondern bergen auch Gefahren und Risiken. Das Verhältnis zwischen Kindern, Jugendlichen und ihren BetreuerInnen in pädagogischen Einrichtungen ist geprägt durch eine strukturelle Machtasymmetrie (Wolf 2007, 2010; Urban-Stahl 2018).
Grenzverletzungen und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Einrichtungen hat es immer gegeben. Viele Einrichtungen waren selbst bereits mit Vorkommnissen konfrontiert, in denen der Verdacht oder die Gewissheit über fehlerhaftes Verhalten von MitarbeiterInnen gegenüber betreuten Kindern und Jugendlichen bestand. Dennoch: Eine (fach-)öffentliche Auseinandersetzung darüber fand lange nicht statt (Fegert / Wolff 2006). Erst die sogenannten „Runden Tische“ –der „Runde Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ (2009–2011) und der „Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ (2010–2011) –führten zu intensiven Debatten über konkrete Vorkommnisse und über deren Einordnung in strukturelle Rahmenbedingungen sowie über Schutzmöglichkeiten. Beide „Runden Tische“, ebenso wie die bis Dezember 2011 amtierende „Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs“, Dr. Christine Bergmann, hoben in ihren Abschlussberichten die Bedeutung von Partizipationsmöglichkeiten und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie von unabhängigen, einrichtungsexternen Beschwerdemöglichkeiten für den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen hervor (AGJ 2010; Runder Tisch Sexueller Kindesmissbrauch 2011; Unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs 2011). Mit den entsprechenden Regelungen in § 45 SGB VIII kam der Gesetzgeber 2012 (BkiSchG) und 2021 (KJSG) diesen Empfehlungen nach.
Partizipation ist eine im SGB VIII verankerte Struktur- und Handlungsmaxime lebensweltorientierter Kinder- und Jugendhilfe. Viele Akteure der Kinder- und Jugendhilfe engagieren sich für eine Verankerung und Umsetzung von Beteiligung und Beteiligungsstrukturen im pädagogischen Alltag. Gleichzeitig bestehen jedoch Vorbehalte und Umsetzungsprobleme (Pluto / Seckinger 2003) wie Angst vor Machtverlust und Bedenken hinsichtlich der Abgabe von Entscheidungsbefugnissen. Nach § 45 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII sind die Einrichtungen gefordert, ihre Bemühungen zur Sicherung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Alltag zu intensivieren und nachzuweisen.
Beschwerdeverfahren wurden in einigen Einrichtungen bereits vor 2012 erprobt. Es gab jedoch weder eine systematische Forschung noch umfassende Veröffentlichungen zu diesen Praxen. Um den Umsetzungsprozess des Bundeskinderschutzgesetzes zu unterstützen, wurde daher von 2011 bis 2012 am Arbeitsbereich Sozialpädagogik der Freien Universität Berlin im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter der Leitung von Prof. Dr. Ulrike Urban-Stahl ein erstes Forschungsprojekt zu diesem Thema durchgeführt. Die Projektmitarbeiterinnen Susan Bochert, Nina Jann und Henriette Grapentin realisierten unter dem Titel „BIBEK – Bedingungen der Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe“ zehn Fallstudien über Prozesse der Entwicklung, Implementierung und Verstetigung von Beschwerdestellen und Beschwerdeverfahren in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wurde eine erste Handreichung mit dem Titel „Beschweren erlaubt! 10 Empfehlungen zur Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe“ erstellt (Urban-Stahl et al. 2013).
Mittlerweile hat sich die Diskussion und Forschungslandschaft rund um Beschwerde in der Kinder- und Jugendhilfe deutlich erweitert. Zudem gilt § 45 SGB VIII nicht nur für stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Auch andere Einrichtungen wie Kindertagesstätten und Inobhutnahmestellen bedürfen einer Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII und sind aufgefordert, für ihre Zielgruppe geeignete Umsetzungsformen von Beschwerdeverfahren zu entwickeln. In der vorliegenden Neuauflage wurde daher nicht nur der aktuelle Forschungsstand einbezogen, sondern es wurden über stationäre Einrichtungen hinaus neue Fallbeispiele aus anderen betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungsformen übernommen. Die im vorliegenden Buch verwendeten Zitate stammen aus Interviews, die wir im Rahmen des Forschungsprojekts BIBEK, auf Grundlage einer Wiederholungsbefragung und der Recherche zu dieser Neuauflage mit Einrichtungsleitungen, MitarbeiterInnen, Ansprechpersonen für Beschwerden sowie mit Kindern und Jugendlichen geführt haben.
Einführend stellen wir im ersten Kapitel dar, was Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind, was darin geregelt wird und warum sie eine Bedeutung für die fachliche Qualität einer Einrichtung und den Erhalt einer Betriebserlaubnis erlangt haben. Die Vielfalt der Möglichkeiten verdeutlicht: Es gibt nicht das Beschwerdeverfahren. Jede Einrichtung muss sich vor ihrem jeweiligen strukturellen, regionalen und personalen Hintergrund auf die Suche nach sinnvollen Umsetzungsformen begeben. In diesen Prozessen entstehen Dynamiken sowie Spannungs- und Konfliktpotenziale, die wir im zweiten Kapitel ausführen und diskutieren. Auf dieser Grundlage entwickeln wir im dritten Kapitel konkrete Hinweise und Vorschläge für eine konstruktive und nachhaltige Planung und Gestaltung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Wie dies praktisch umgesetzt wird, verdeutlichen wir im vierten Kapitel anhand von sieben Einrichtungsportraits aus unterschiedlichen Handlungsfeldern. Sie zeigen, wie die Konzeptionierung, Implementierung und Weiterentwicklung von Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren dort erfolgten, welche Such- und Entwicklungsprozesse vollzogen wurden und welche Erfahrungen die Beteiligten mit diesen Verfahren machten. In einem ausführlichen Online-Anhang sind Materialien und Instrumente der portraitierten Einrichtungen einsehbar, die zu eigenen Varianten anregen sollen. Das Buch schließt mit einem Resümee und Ausblick zu Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. In einer thematisch strukturierten Übersicht geben wir zudem Hinweise auf weiterführende Literatur zu den Themen „Beschwerde“, „Partizipation“, „Kinderrechte“ und „externe Ombudschaft“.
Bei der Erstellung und Überarbeitung dieses Buches haben wir vielfältige Unterstützung erfahren. Wir danken allen Einrichtungen, die bereit waren, ihr Wissen und ihre Materialien uns und anderen zur Verfügung zu stellen. Henriette Grapentin danken wir für die gute Zusammenarbeit im Projekt BIBEK. Arthur Fischer hat die Neuauflage dieses Buches leider nicht mehr erlebt. Seine methodischen Impulse im BIBEK-Forschungsprozess waren stets schonungslos, solidarisch und von unschätzbarem Wert. Eva Edskes, Ute Massih, Deborah Becker, Verena Schulte, Sophia Hoppe und Julian von Oppen gilt unser Dank für ihre vielfältige Unterstützung, für kritische Rückmeldungen, Recherchen und Korrekturlesung.
Besonders danken wir unseren GesprächspartnerInnen, den Kindern, Jugendlichen und Fachkräften, für die Offenheit, mit der sie uns in Interviews sowie auf Fachtagungen und in Workshops an ihren Erfahrungen teilhaben ließen. Wir haben von ihnen gelernt, dass die Entwicklung und das ‚im Alltag am Leben erhalten‘ von Beschwerdeverfahren einen fortwährenden Prozess darstellt, der Aufmerksamkeit, Zeit und Beharrlichkeit braucht. In diesem Sinne stellt auch diese zweite Auflage unseres Buches für uns nicht den Endpunkt dieses Austauschs, sondern einen weiteren Zwischenstand dar. Wir freuen uns auf die Fortsetzung sowie auf Rückmeldungen und Anregungen unter [email protected].
Berlin, im Juli 2022
Ulrike Urban-Stahl, Nina Jann und Susan Bochert
1 Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
Der Alltag in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist oft turbulent und potentiell konfliktreich. In der stationären Erziehungshilfe beispielsweise sind Diskussionen zu den Ausgehzeiten, den Regelungen zur Nutzung von Handys, den Hausaufgabenzeiten oder dem Essen ein normaler Bestandteil des gemeinsamen Alltags. In Kindertageseinrichtungen gehören das Tragen von Regenkleidung, das Aufräumen von Gruppenräumen oder die Gestaltung von Ruhezeiten zu den Themen, die regelmäßig verhandelt werden. Es ist Aufgabe von Fachkräften, solche Konflikte konstruktiv auszutragen und Kinder und Jugendliche sowohl darin zu unterstützen, ihre Perspektive deutlich zu machen, als auch eine gemeinsame Lösung bei Meinungsverschiedenheiten zu entwickeln. Doch nicht immer gelingt dies, nicht immer führen die Auseinandersetzungen zu einer für alle zufriedenstellenden Lösung.
Solche Situationen können Auslöser von Beschwerden sein. Die meisten MitarbeiterInnen in Einrichtungen, seien es ErzieherInnen oder SozialpädagogInnen oder auch Einrichtungsleitungen, sagen, dass Kinder und Jugendliche bei Problemen zu ihnen kommen und diese mit ihnen besprechen können. Diese informelle Möglichkeit der Äußerung von Beschwerden wird von vielen Kindern und Jugendlichen im Alltag genutzt.